Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin/5. „Subscription“ und „Einführung“

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Autor: Otto Glagau
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Titel: Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin
5. „Subscription“ und „Einführung“.
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
5. „Subscription“ und „Einführung“.


Wie viel Stadien hat nicht erst ein Friedens- oder Allianzvertrag zu durchlaufen; wie viel Conferenzen und Verhandlungen sind vorher nöthig! Welche Mühe kostet nicht das Einstudiren eines Schauspiels; wie viel Vorbereitungen und Zurüstungen sind nothwendig, bevor es wirklich zur Aufführung kommt! Welche Kämpfe finden selbst zwischen Mitarbeiter und Redacteur, oft wegen eines einzigen Journal-Artikels statt! Von alledem erfährt das Publicum so gut wie nichts; was ihm geboten wird, sind vollendete Thatsachen, fertige Producte. – Mit den Gründungen verhielt es sich noch ganz anders. Hier geschah alles Wesentliche und Wirkliche hinter den Coulissen. Alles war bereits abgekartet und eingefädelt, und was an die Oeffentlichkeit trat, war bloßer Hokuspokus, allein darauf berechnet, die Menge zu verblenden und einzufangen.

Mit dem „Prospect“, welcher von der glücklich erfolgten Gründung Kunde gab, die neue Actiengesellschaft in den rosigsten Farben malte und den Actionären Gewinn über Gewinn verhieß – war die Einladung zur Subscription verbunden. An dem und dem Tage und an den und den Orten wurde das Actiencapital, ganz oder theilweise, zur Zeichnung aufgelegt, dem Publicum zum Pari-Course (100) oder darüber angeboten. Und nun herbei, Ihr guten Leute, die Ihr Geld im Beutel habt und Willens seid, es sicher und mit Vortheil anzulegen! Versäumt ja die Stunde nicht. Sie bedeutet Euer Glück und sie kehrt nicht wieder. Und sie kamen in hellen Haufen; sie versperrten die Straße; sie belagerten das Haus, und als die Thüren sich endlich öffneten, quoll der Strom herein, und in einem Augenblick waren die ausliegenden Bogen mit Unterschriften bedeckt. Der Eine zeichnete 100 Thaler, der Andere 500, der Dritte 1000, der Vierte 3000, der Fünfte 10,000 Thaler. „Drei-, fünfmal überzeichnet!“ „Kolossal überzeichnet!!“ meldeten noch an demselben Abend die Zeitungen im Chor. „Die Zeichnungen müssen erheblich reducirt werden!!“

Das war aber in der Regel Alles bloßer Hokuspokus. Nichts weiter als ein von den Gründern in Scene gesetztes Spectakelstück. Jene Leute, welche sich an der Zeichnungsstelle drängen und stoßen, sind Commis und Ausläufer von verbündeten oder befreundeten Geschäftshäusern oder gemiethete Dienstmänner, welche man heute in Paletot und Cylinder gesteckt hat, und zu ihnen gesellen sich Müßiggänger und Neugierige. Hin und wieder verirrt sich auch wohl ein Privatmann; getäuscht von dem Treiben, zeichnet er eine Summe und erhält sie, trotz aller „Reductionen“, unvermeidlich und – voll.

Die „Neue Börsen-Zeitung“, die sich überhaupt des Publicums gegen die Börsianer ritterlich annahm, beleuchtete den „Subscriptions-Humbug“, wie sie ihn nannte, wiederholt und kritisirte ihn scharf. Sie tadelte namentlich die „Discontogesellschaft“, welche in zwei Fällen, bei Gelegenheit der Ungarischen Eisenbahn-Anleihe und der Aachener Discontogesellschaft, den Subscribenten „die Thüren blos der Formalität wegen geöffnet hatte, um sie dann gleich wieder zu schließen“. Aber etliche herzhafte Leute, fügte das Blatt hinzu, hätten sich nicht wie Narren heimschicken lassen, wären so energisch aufgetreten, daß man ihnen noch ein „Pöstchen aus dem Privatschatz“ abgelassen.

Das war aber auch wieder Hokuspokus. Bloße Reclame für die beiden Papiere, um den Cours zu treiben und das Publicum lecker zu machen. – Der Privatmann betheiligte sich nicht wohl schon an den Subscriptionen, und wenn er’s dennoch that, zeichnete er nicht selber, sondern ließ durch seinen Banquier zeichnen. Die Banquiers aber hatten es nicht nöthig, sich an der Zeichnungsstelle zu drängen: sie gaben ihre Ordres einfach schriftlich und vorher mittelst der Post auf.

Wirkliche Ueberzeichnungen kamen nur ausnahmsweise vor, und dann geschahen sie von Börsenspeculanten, welche ohne Rücksicht auf die Gründung selber, deren eigentlichen Werth sie ebensowenig wie das große Publicum kannten und zu beurtheilen vermochten, ein besonderes Vertrauen hatten zu der „starken“ und „glücklichen“ Hand der Gründer. Aber von jeder netten Gesellschaft mußten die Zeitungen eine „sehr erhebliche“ oder gar eine „kolossale“ Ueberzeichnung vermelden, und laut besonderer Bekanntmachung wurde dann stets eine „Repartition“ vorgenommen. Immer waren die Gründer so edeldenkend, in erster Reihe die kleinen Zeichnungen zu berücksichtigen, den sonnenklaren Prosit zunächst den minder wohlhabenden Leuten zu gönnen.

Inmitten dieser regelmäßigen „Ueberzeichnungen“ und obligaten „Reductionen“ mußte es umsomehr auffallen, als [235] plötzlich Herr Richard Schweder von der Preußischen Boden-Creditactien-Bank dem Publicum einen nicht „subscribirten Rest“ F. Wöhlert’scher Maschinenbau-Actien von 750,000 Thalern nachträglich offerirte und freundlichst zu „Nachanmeldungen“ einlud. Obgleich man sich mitten in der Schwindelperiode befand, machte diese Gründung, dargeboten von den Herren Karl Braun-Wiesbaden, Stadtrath Pohle, Geheimen Commerzienrath F. W. Krause, bald hernach geadelt, und Gustav Markwald, Schwiegervater des genialen Directors Schweder, doch ein rauschendes Fiasco. Das Actiencapital betrug die Kleinigkeit von drei und ein Viertel Millionen Thaler, und gewisse Vorgänge hinter den Coulissen waren ruchbar geworden. Als das „erste Geschäftsjahr“ zu Ende ging, erschien in „Saling’s Börsenblatt“ ein „Eingesandt“, welches constatirte, daß die Gesellschaft, die im „Prospect“ 120 Locomotiven alljährlich versprochen, wirklich geliefert habe 40, und überhaupt fertig stellen könne höchstens 50. Auch wurde bemerkt, „daß die Verwaltung einen recht starken Frost und Schneefall herbeisehne“, weil dann die Aufnahme der Inventur[1] über das im Freien herumliegende Material unmöglich sei. Diesem „Eingesandt“ ist nirgends widersprochen, wohl aber erzählte man sich laut, daß der Vorbesitzer, Commerzienrath F. Wöhlert, an der neuen Actiengesellschaftswirthschaft seine offene Schadenfreude habe und sie mit beißenden Witzen begleite.

Keine Gründung machte größeres Furore als „Vereinigte Königs- und Laura-Hütte“. Laut Bekanntmachung erhielten die Zeichner von 200 bis 2000 Thalern eine Actie à 200 Thaler, von 2200 bis 8000 Thaler zwei Actien, die höheren Summen nur fünf Procent. Hier mag thatsächlich eine Ueberzeichnung stattgefunden haben. Die Gesellschaft vertheilte 1871 bis 1873 – 12¼, 29 und 20 Procent Dividende. Die Actien wurden an der Börse ein wildes Spielpapier, und der Cours stieg unaufhörlich bis zum Wiener Krach, wo er etwa 270 stand. Aber was für „Hände“ waren auch hier thätig, und was für „Hände“ halten die Gesellschaft noch heute, nachdem sie für 1874 wahrscheinlich keine Dividende mehr geben wird, und der Cours bis auf 100 gesunken ist, über Wasser! Wir nennen nur: Gerson-Bleichröder, inzwischen geadelt, Wilhelm Behrens und Baron von Westenholz in Hamburg, Jakob Landau und Heinrich Heimann in Breslau, Geheimräthe Krienes und von Carnall, Graf von Hatzfeld-Wildenburg und Altenburgischer Minister von Gerstenberg, Fabrikbesitzer a. D. Karl Egells und Herr W. von Kardorff-Wabnitz, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und des deutschen Reichstags, einen Hauptredner der freiconservativen Partei, eine Autorität in allen Finanz- und volkswirthschaftlichen Fragen, sowie auf dem Gebiete der Gründungen. Hut ab vor diese „Händen“!

Auf die „Subscription“ folgte die Einführung an der Börse. In vielen Fällen, namentlich als der Schwindel in üppigster Blüthe stand, und die Börse jedes Papier, ohne es weiter zu prüfen, willig aufnahm, sah man von „Prospect“ und „Subscription“ ganz ab und brachte die neuen Actien gleich zu Markte. Ein paar Tage vorher erschien im redactionellen Theile der Zeitungen eine ziemlich gleichlautende Notiz, welche die Gründung kurz, aber natürlich in günstiger Weise skizzirte und der Welt verkündete, daß am nächsten Dienstag das große Haus Itzig Meyer u. Comp. mit den Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ debutiren werde.

Unterm 10. Februar also wie der Schwindel bereits stark zu Ende ging, brachte der „Berliner Börsencourier“ einen Artikel, worin er die beiden Verfahren „Subscription“ und „Einführung“ gegen einander abwog, und die bloße „Einführung“ als „nicht reell“ bezeichnete. Wenn schon, so ungefähr führte er aus, der „Prospect“ gemeinhin keinen Glauben verdiene, und auch die „Subscription“ eine etwas undurchsichtige Operation bleibe, so böten beide doch dem Publicum immer einen gewissen Anhalt, während die „Einführung“ den Gründern Gelegenheit gebe, selbst „ein gänzliches Fiasco zu cachiren“. Der „Börsencourier“ forderte daher namentlich die „ersten Häuser“ auf, sich dieses unberechtigten Modus der „Einführung“ möglichst bald zu entschlagen, oder doch wenigstens vorher, „durch Publication eines detaillirten Prospects, ihrer Pflicht gegen das Privatcapital“ zu genügen.

Wieder der reine blanke Hokuspokus. Für das Publicum hatten „Subscription“ wie „Einführung“ genau dieselbe Bedeutung; beides waren Schauspiele, die die Gründer mit ihren Helfershelfern aufführten, um dadurch die Menge erst aufmerksam zu machen und zum Kaufen der neuen Actien zu verlocken. Alle solche Enthüllungen und Ausplaudereien der Börsenblätter, solche Schutzreden für das arme liebe Publicum und solcher Appell an die Respectabilität der „ersten Häuser“ sind weiter nichts als: „Sand in die Augen!“ Ja, meistens ist damit noch eine geschickte Reclame für irgend ein „erstes Haus“ und dessen neueste Operation“ verbunden, und es werden unter der Maske sittlicher Entrüstung blos wieder neue Sprenkel gelegt.

Wir kommen jetzt zur „Einführung“.

Itzig Meyer u. Comp., welche die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ vertreiben sollen, haben sich zunächst mit einem „Consortium“ umgeben. Die Mitglieder desselben sind nicht zu verwechseln mit den „ersten Zeichnern“, welche, wie man weiß, in der Regel blos zum Scheine gezeichnet haben. Nein, dieses Consortium ist ganz ernsthaft gemeint; es ist für Itzig Meyer u. Comp. eine Art von Rückversicherung, wie sie Lebens- und Feuerversicherungsgesellschaften eingehen, um sich ihrerseits wieder den Rücken zu decken und das große Risico zu vertheilen. Solch Consortium besteht aus zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Personen, die sich aus Banquiers, Maklern, Speculanten und anderen Börsianern zusammensetzen. Sie übernehmen die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“, in Posten von 5000, 10,000, 20,000 oder gar 100,000 Thaler, zu einem bestimmten Course, welcher der Consortialcours heißt, und im vorliegenden Falle etwa 70 betragen mag. Zu diesem Preise dürfen Itzig Meyer u. Comp. von ihren Consortial-Verschworenen nöthigenfalls die Abnahme der Actien verlangen, brauchen aber, wenn sie nicht wollen, dafür kein Stück zu liefern und geben vorläufig auch kein Stück aus den Händen.

Der Erfolg der „Einführung“ hängt zunächst davon ab, ob auch der richtige Zeitpunkt gewählt ist. Die überaus nervöse und sensitive Börse muß sich bei guter Laune befinden; sie darf nicht etwa „verstimmt“ oder „matt“ oder gar „flau“ sein, sonst wird die Einführung besser aufgeschoben, oder sie fällt in’s Wasser. Der bewußte Dienstag kommt, und die Börse hat ein vortreffliches Aussehen. „Ganz Israel strahlet und glänzet vor Lust.“ Der große Augenblick ist da, und der Chef oder der Bevollmächtigte des hochrenommirten Hauses Itzig Meyer u. Comp. tritt auf, umgeben von den Consortial-Verschworenen, die sein Gefolge bilden – wie jener Schwarm von Clienten, mit welchen Pompejus oder Julius Cäsar auf dem Forum erschien. Auch für „Volk“ ist gesorgt. Das Volk oder den „Mob“ bilden die Jobber der untersten Classe, welche von der Hand in den Mund leben und sich mitunter durch fettglänzende Röcke und zerrissene Hosen bemerklich machen. Sie sind die öffentlichen Ausrufer, und sie heißen, in Erinnerung an die ausgestorbenen Berliner Eckensteher, die Nante’s der Börse.

Die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf Itzig Meyer u. Comp.; das ganze Geschäft pausirt eine Weile, und mit großem Geräusch gehen die Actien der „Ersten Deutschen General-Leimsiederei“ in Scene. Der Einführungscours ist mit Rücksicht auf das „große Haus“ Itzig Meyer u. Comp. 102½; blos Pari (100) würde seinem Ansehen nicht recht entsprechen. „Leimsiederei“ wird heftig begehrt und fast ebenso heftig gekauft. Aber von wem? Einstweilen nur von den Consortial-Verschworenen, ihren Freunden, Anhängern und Agenten. Ein dicker Nante mit außerordentlich entwickelter Nase schreit: „Ich nehme Leim mit 103;“ – „Leim mit 103!“ brüllt der Janhagel ihm nach. Jedermann im Saale weiß, daß die Nante’s weder „Leim“ wollen, noch „Leim“ bekommen, daß sie nur von Itzig Meyer u. Comp. mit ein paar Stücken „betheiligt“ sind, und dafür ihre Ausruferdienste thun. Niemand im Saale läßt sich durch die armen Kerle täuschen, aber ihr Geschrei macht doch Effect, hallt in den Börsenberichten der Zeitungen wieder; sie nützen zwar nicht viel, aber sie könnten gegen das Papier schreien und doch Schaden anrichten: darum sind sie angeworben, und sie dünken den Gründern ebenso nöthig und unentbehrlich, wie einem großen Schauspieler oder einer berühmten Sängerin die – Claqueurs. Der Cours von „Leim“ geht heute bis auf 105; morgen ist er vielleicht schon 107 und übermorgen 110. Die Consortial-Verschworenen kaufen und lassen kaufen zu diesen Coursen, daher sie der Makler notiren [238] muß, und wenn es auch nur Scheinkäufe sind: der Makler erhält trotzdem seine Courtage oder Gebühr. Allmählich finden sich wirkliche Käufer, nach und nach wird, durch Zeitungsberichte und durch Empfehlungen der Banquiers, das Publicum herangezogen; und nun schwankt der Cours von „Leim“ zwischen 112 und 98, bis die Actien glücklich untergebracht sind, wo er dann sofort oder doch sehr bald einen jähen Sturz, bis etwa 70 oder 60, zu erfahren pflegt. Außer den unglücklichen Actionären kümmert sich fortan kein Mensch mehr um „Leim“. Itzig Meyer u. Comp. aber verrechnen sich mit den Consortial-Verschworenen. Der Mittelcours, zu welchem die Actien durchschnittlich „begeben“ sind, stellt sich auf

  105 Procent.
                 Davon ab:  
 Courtage an die Makler, Bonificationen an die
     Banquiers, Douceurs, Gratificationen und
     andere Spesen, zusammen
15
Bleiben 90 Procent.
 Der Cours, zu welchem die Consortial-
     Verschworenen „Leim“ übernahmen, war
70
 Mithin haben sie verdient 20 Procent,

was bei einem Pöstchen von 5000 oder 10,000 Thalern schon ein hübsches Sümmchen ausmacht, und bei einem Posten von 50,000 oder gar 100,000 Thalern eine sehr anständige Summe. Auch die „Nante’s“ halten ihren Schmaus. Der dicke Chorführer ist mit 10 Stück Actien à 200 Thaler „betheiligt“, so daß er 400 Thaler einstreicht, während den Andern nur je 5 Stück zugeschrieben sind, auf jeden von ihnen also ein Consortialgewinn von 200 Thalern entfällt. Davon fristen die armen Schlucker nun wieder eine Zeit lang ihr Leben, aber es giebt unter ihnen auch feine anschlägige Köpfe, und Einer oder der Andere arbeitet sich wohl rasch empor und spielt bald an der Börse eine wichtige Rolle.

Wie schon gesagt, werden den Consortial-Verschworenen selber keine Stücke ausgehändigt. Itzig Meyer u. Comp., die den Cours halten und daher alles Material, was etwa angeboten wird, wieder aufnehmen, könnten sonst leicht in die Lage kommen, „Leim“ von ihren eigenen Helfershelfern zu hohem Course zurückkaufen zu müssen. Werden die Actien aber nicht abgesetzt, dann sind die Verschworenen verpflichtet, die gezeichneten Posten zu dem verabredeten Consortialcours zu beziehen, was sie natürlich nicht gern und in der Regel nicht gutwillig thun. Ein solcher Fall ereignete sich unter Anderm bei Gründung der Dannenberger’schen oder eigentlich Liebermann’schen Kattunfabrik. Herr Richard Schweder, der den „Krach“ wohl schon in den Gliedern verspürte, hatte die „Einführung“ der Actien verzögert und verzögert, bis er endlich ganz plötzlich damit herausrückte. Er machte ein gründliches Fiasco, und sein Adjutant, Herr Paradies, mußte es ausbaden. Die Consortial-Verschworenen, die bei so vielen Gründungen mit Herrn Schweder Hand in Hand gegangen waren und jedes Mal so hübsch verdient hatten, wiesen jetzt „Kattun“ mit Entrüstung und Abscheu zurück, und als es zum Processe kam, gab der Richter, in Erwägung der eigentümlichen Umstände, ihnen Recht, und die „Preußische Boden-Credit-Actien-Bank“ mußte den ganzen „Kattun“ für sich behalten.

Allerdings war die „Einführung“, ohne „Subscription“ und ohne „Prospect“, ein bequemeres und kürzeres Verfahren, aber es gehörten dazu auch starke und kraftvolle „Hände“, zumal der Einführungscours fast regelmäßig nicht unbedeutend über Pari (100) gesetzt wurde, was dann sofort die Schweißhunde der Börse, die Fixer herbeilockte – jene ehrlichen Leute, welche ein Geschäft daraus machen, auf das Fallen der Course zu speculiren und die Course unter Aufbietung jedes Mittels herunterzureißen, wofür sie freilich zuweilen arg bluten müssen. Des bessern Verständnisses wegen folge hier ein Beispiel. Die Actien der „Producten- und Handelsbank“ – eine Schöpfung, zu der auch Wiener Gründer extra nach Berlin gekommen waren – wurden mit 116 eingeführt. Weil aber diese Actien nicht voll, sondern nur mit 40 Procent eingezahlt waren, betrug der Einführungscours thatsächlich 140. Gewiß eine colossale Unverschämtheit, da die Bank noch gar nichts gethan hatte, noch nicht einmal eingerichtet war!

So dachten auch die Fixer, und sie begannen die Actien zu werfen, ein Pöstchen nach dem andern in blanco zu verkaufen; das heißt, ohne es zu haben. Aber sie hatten die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Gründer hielten fest, nahmen die Blanco-Abgaben bereitwilligst auf und drückten den Fixern Zoll um Zoll die Gurgel zu. Als der Ultimo, der letzte Tag im Monat und damit der Zeitpunkt der Lieferung kam, mußten die Fixer sich mit einem Verlust von 7 Procent „decken“, und die Gründer, als die alleinigen Besitzer des Materials, hätten ihnen eine noch weit höhere Buße dictiren können. Solche Strangulirung aber nennt man an der Börse eine Schwänze.

Der Einführungsmodus war das beste Mittelchen für die Agiotage oder den Courswucher, welcher sich nicht wesentlich von der sogenannten Halsabschneiderei unterscheidet. Herr Richard Schweder führte noch im Januar 1873 die Actien der Kohlenzeche „Louise Tiefbau“ mit 115 ein, während heute der Cours 50 steht und höchst wahrscheinlich noch viel tiefer sinken wird. Die famose „Dortmunder Union“, gegründet von den Herren Miquel und von Hansemann in Berlin, Wilhelm von Born in Dortmund, Abraham von Oppenheim in Köln, Rothschild in Frankfurt etc., – erschien an der Börse mit 110, wurde dann bis 228 hinaufgetrieben und steht jetzt circa – 20!!!

Wie die „großen Häuser“ die wuchtigsten Gründungen vollführten, so waren sie auch die eigentlichen Meister des Agiotagespiels, bei dem sie Millionen einstrichen. Rothschild, Bleichröder, Hansemann, Jakob Landau und Wilhelm Behrens in Hamburg, denen sich wieder Herr von Kardorff und Graf Hatzfeld zugesellten, componirten die „Deutsche Reichs- und Continental-Eisenbahnbau-Gesellschaft“, mit einem Grundcapital von zehn Millionen Thaler. Die 40procentigen Interimsscheine wurden mit 55 bis 65 Thalern untergebracht, während sie heute etwa mit 22 Thalern bezahlt werden!! Das Stärkste aber leistete doch die „Discontogesellschaft“ mit den Herren von Hansemann und Miquel an der Spitze. Wenn der Schlichte Menschenverstand darauf schwört, daß 2 × 2 = 4 ist, so bewies die „Discontogesellschaft“, daß an der Börse eine höhere Rechenkunst gilt. daß hier 2 × 2 sowohl 5 wie 3 sein kann, je nach den Umständen und Zeitverhältnissen.

Wie die „Preußische Boden-Credit-Actien-Bank“ sich eine Filiale in der berüchtigten „Preußischen Credit-Anstalt“ zulegte, so schuf auch die „Discontogesellschaft“ ein Tochter-Institut, die seitdem ebenso anrüchige „Provinzial-Discontogesellschaft“, mit einem Grundcapital von zehn Millionen Thaler. Die Actien, worauf 40 Procent eingezahlt, kamen an die Börse mit circa 125 und gingen bei solcher Einzahlung bis etwa 150. Von diesem Cours wurden die fehlenden 60 Procent abgezogen, und somit 40 Thaler mit 65 bis 90 Thaler bezahlt!! Damals waren nach der Rechnung der Discontogesellschaft 2 × 2 = 5. Inzwischen sind auf die Actien noch 20 Procent nachgezahlt, aber trotzdem werden sie gegenwärtig nur mit circa 75 notirt. Von diesem Cours gehen ab die fehlenden 40 Procent, und es werden demnach 60 Thaler mit etwa 35 Thalern bezahlt!! Das aber bedeutet, daß bei der Discontogesellschaft 2 × 2 heute nur 3 ist.



  1. WS: korrigiert, Vorlage: Inventnr