Der Frauenliebling im Festgewande

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Autor: Albert Fränkel
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Titel: Der Frauenliebling im Festgewande
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 803–806
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Frauenliebling im Festgewande.


Als im denkwürdiger Jahre 1866 die Vorahnungen und Stürme des damaligen Entscheidungskampfes durch alle deutschen Gemüther brausten, fühlten sich zugleich Unzählige von einem milden Seelenstrahl berührt, der aus zwei hellen blauen Augen in alle finstere Sorge und bange Wirrniß dieser heißen Tage fiel. Ein liebliches Frauenbild, ein goldhaariges deutsches Mädchen hatte ein Wunder gewirkt und die zerstreuten Blicke einer wankenden, von leidenschaftlicher Gährung und blutigem Streit erfüllten Welt auf den schlichten und stillen Glanz ihrer anmuthvollen Erscheinung gelenkt. Wie eine frisch entfaltete Blüthe war das Bild aus dem idealen Lande der Dichtung gekommen, aber es ergriff mit allem bluterwärmenden Zauber einer holdseligen Wirklichkeit; es trug nicht die erhitzten Züge des politischen Tageskampfes, aber aus dem rosigen Antlitz und von der reinen [804] und sinnigen Stirn dieser Jungfrau sprach doch anheimelnd der stolze Kampf des Jahrhunderts, das heitere Siegesbewußtsein der ringenden Zeit- und Volksgedanken. Viele Tausende unserer Leser werden den Eindruck nicht vergessen haben, sie wissen noch, daß es Marlitt’s „Goldelse“ gewesen, die in jener eisernen Zeit großer Wendungen ihnen Stunden des Glückes bereitet und wie ein erquickender Sonnenblick durch ihre Herzen und Häuser geleuchtet hat. Freudiger, herzlicher und begeisterungsvoller kann eine menschliche Schöpfung nicht begrüßt werden, als diese junge Erzählung weit und breit in Hütten und Palästen sich begrüßt und aufgenommen sah, da sie zum ersten Mal auf den Schultern der „Gartenlaube“ durch die Welt getragen wurde.

Goldelse auf dem Walle.

Was wir hier sagen, ist kein Urtheil über das Werk, sondern nur Bestätigung einer zweifellosen Thatsache. Die strenge ästhetische Kritik mag ja an diesem und jenem Punkte den vollen Kunstwerth des Werks durch diesen oder jenen Mangel beeinträchtigt finden; aber die lebendige Aesthetik des Volksgemüths hatte über dieses Werk schon entschieden, das Werk hatte schon einen festen Platz im Urtheil und Herzen des Volkes erobert, war schon wie eine fromme Sage und ein beliebtes Märchen in das Fühlen und Denken großer Volksmassen verwoben, ehe sein Einfluß durch die Stimme der Kritik gehemmt oder gefördert werden konnte. Und als die Kritik endlich ihr Urtheil zu sprechen begann, da äußerte sie doch auch im Ganzen nur Lob für das Werk und nur Freude über den Sinn, der es bereits aus eigener Machtvollkommenheit erkannt und gewürdigt hatte. Das nennt man Instinct des Volkes, und von einem solchen Instincte sprechen wir, wo wir die Gesammtheit einer öffentlichen Meinung oder Stimmung ohne jede Hülfe der Reclame, ohne vorherige Ueberredung oder Verabredung in so durchschlagender Weise einer neuen Erscheinung sich zuwenden sehen. Ist die Erscheinung eine gute und gesunde, so kann mit Sicherheit angenommen werden, daß auch der Instinct, von welchem ihr Werth sofort erspürt, der sofort in besonderem Grade von ihr bewegt und angezogen wird, einem gesunden geistigen Boden entsprossen ist. Von einem sichtlichen Begehren nach schlechten und verwerflichen Producten, von einem offenen Beifall und einer unzweideutigen Empfänglichkeit für dieselben wird dagegen mit Recht auf eine Verderbniß und Verirrung des öffentlichen Geschmacks und auf einen Verfall seiner sittlichen Grundlagen geschlossen. Steht es also fest, daß die Geschichte von der Goldelse gleich bei ihrem ersten Erscheinen eine unleugbar große und ungewöhnlich ausgedehnte Theilnahme gefunden, so müssen wir doch weiter fragen, ob die Masse unseres deutschen Publicums auch hier richtig gefühlt und geurtheilt, ob es sich mit dieser offenkundigen Hinneigung ein Zeugniß gesunden und unverdorbenen Sinnes ausgestellt.

Wir glauben das und sind durch eine unbefangene Prüfung zu dieser beruhigenden Ueberzeugung geführt worden. Zunächst hat das große Publicum mit seinem Beifall den Beweis geliefert, daß es durch den Glanz berühmter Namen sich nicht bestechen läßt. Eine fast noch gänzlich unbekannte Verfasserin, deren wahrer Name sogar der schriftstellerischen Welt noch lange nachher ein emsig bewahrtes Geheimniß blieb, hatte aus tiefster Zurückgezogenheit die Gabe gespendet. Und die Gabe war kein sogenannter Sensationsroman, der mit aufreizenden Effecten blasirten Nerven zu genügen, durch scharf gewürzte Stoffmassen und spannende Abenteuerlichkeit der Verschlingungen die nimmersatte Gier eines fieberhaften Unterhaltungsdurstes zu stillen weiß. Ebensowenig bot sie Nahrung für das unklare Bedürfniß einer weichlichen Empfindsamkeit und Gefühlsschwelgerei, die gern von dem Dichter über die harten Conflicte der Gegenwart sich hinwegtragen und in eine romantische Traumwelt versetzen läßt. Und auch für eine dritte krankhafte Neigung großer heutiger Leserkreise fehlte dem neuen Roman jede Anziehungskraft: er war vor Allem nicht „pikant“ im undeutschen Sinne dieses zweideutigen Wortes, er hat keiner Frivolität, keiner Abweichung von der ernsten Pflicht geschmeichelt, nicht die Leidenschaften einer angefressenen Sittlichkeit mit brillantem Farbenschmelz umschleiert, nicht in den übelriechenden Schmutz des eleganten Lasters ein Rosen- und Veilchenparfüm gemischt.

Aus reifer Lebensanschauung und wärmster Gemüthstiefe stieg hier vielmehr ein ebenso einfaches als zartes Kunstgebilde vor den Seelen der Leser auf. Dasselbe kann vielleicht in Bezug auf Stoff oder Composition, auf Inhalt oder Form dem Widerspruche Einzelner begegnen, aber Niemand wird bestreiten können, daß es aus edlem Stoffe geschaffen und eine durchaus reine und keusche Gestaltung ist. Edel, rein und keusch nicht blos in den Vorgängen und Situationen, sondern auch in der Beseelung und Haltung des [805] Ganzen, im Geiste und in den Gedanken, den poetischen, künstlerischen und sittlichen Motiven, aus denen es erzeugt und geboren wurde. Mag das wechselnde Scenengefüge der Erzählung dem Leser schon an sich eine fesselnde Unterhaltung bereiten, mag sie ihn beleben und erfreuen durch die trauliche Eigenart liebenswürdiger Menschengestalten, durch das leuchtende Grün und den erfrischenden Sommerhauch ihres thüringischen Berg- und Waldlebens, so hat sie das mit anderen Darstellungen unserer besten Erzähler gemein. Ihr bestrickender und bezeichnender Hauptreiz dagegen liegt, unserem Eindrucke nach, nur in dem unbeschreiblichen Duft jener sauberen Idealität, die nicht wie ein künstlich gemachter Anhauch über das Bild sich breitet, sondern gleichsam aus ihm hervorblüht, als ein gesundes Blut, eine vollkräftige Lebenswärme durch alle seine Züge und Adern schimmert. Auch häßlicher Unsinn, auch ererbte und verlogene Schnödigkeiten heutiger Gesellschaftsclassen werfen verhängnißvoll ihre breiten Schatten in das kleine Gemälde. Den Sieg jedoch über diese Gewalten vermoderten Dünkels und anmaßender Scheinheiligkeit erringt der harmlose Sinnesadel, das stolze und doch so bescheidene Würdegefühl einer jungfräulichen Weiblichkeit, die still und züchtig auf dem stillen Boden des kleinen deutschen Bürgerhauses, der deutschen Sitte und Bildung gewachsen und ihre Kraft zum Widerstande gegen Hochmuth und frömmelnde Heuchelei nicht aus der gedunsenen Weisheit verschollener Emancipations-Romane und ihrer zweifelhaften Heldinnen gesogen hat.

Goldelse mit Onkel Oberförster.

Wenn also für ein derartiges Literaturerzeugniß, das weder einer hausbackenen Alltäglichkeit zusagen, noch irgend einer geistigen oder sinnlichen Extravaganz genügen dürfte, in den weitesten Kreisen unseres Volkes eine so lebendige Empfänglichkeit sich zeigte, so konnte das immerhin in den mannigfach unklaren Gährungsjahren, welche unserm letzten Kriege vorhergingen, und im Hinblicke auf die gleichzeitige französische Literatur als ein trostreiches Cultursymptom erscheinen. Und in der That bietet denn auch die äußere Geschichte des Romans dem tieferen Beobachter solcher Vorgänge ein gewisses culturhistorisches Interesse dar. Nachdem „Goldelse“ bereits in der Gartenlaube, einer Durchschnittsberechnung nach, wohl von anderthalb Millionen Menschen mit unverkennbarer Theilnahme gelesen und in den verschiedensten, freilich meistens sehr schlechten dramatischen Bearbeitungen auch über unzählige große und kleine Bühnen gegangen war, stellte sich der Roman auf eigene Füße und erschien in selbstständiger Buchform. Von diesem Buche aber (wie auch von den späteren Romanen der Verfasserin) sind gleich im ersten Jahre zwei und bis zu diesem Augenblicke sechs für einen Roman ganz ungewöhnlich starke Auflagen vollständig vergriffen worden. Wer irgend von den Verhältnissen des Büchervertriebes nur eine oberflächliche Kenntniß hat, wird nicht behaupten wollen, daß solche Erfolge, solche dauernde Begünstigungen künstlich erzeugt oder gemacht werden können. Wo sie vorhanden sind, spricht sich in ihnen immer ein selbstständiger Antrieb, ein gänzlich unabhängiges Urtheil der Leser aus. Gebildete Damen haben uns denn auch zu unserer eigenen Ueberraschung gestanden, daß sie und viele ihrer Freundinnen „Goldelse“ bis jetzt fünf- oder sechsmal mit immer erneuertem Genusse gelesen, ja sogar in der französischen und englischen Uebersetzung gelesen haben. Daß es vornehmlich nur die Frauen und zwar die jüngeren sind, denen das gesunde Ideal, die keusche, innige und doch lebensfrohe Poesie des Buches so besonders zum Herzen spricht, soll hiermit nicht gesagt sein. Gewiß aber ist, daß es im Laufe des Jahres in Tausenden von zarten Händen ruht, daß es in die lieblichsten Kreise sich gezogen sieht und fort und fort als willkommenes Geschenk auf unzähligen Fest- und Geburtstagstischen liegt. Sollte es für eine solche Gesellschaft und für solche Zwecke nicht endlich sein schlichtes Gewand ablegen und in einem angemessenen Festschmucke sich zeigen dürfen?

So dachte mit Anderen auch Meister Thumann in Weimar und nahm seinen Griffel zur Hand, um die Gestalten und Scenen Goldelse’s so leibhaftig und lebendig vor die Leser zu stellen, wie er sie mit eigenem Künstlerauge im schönen Thüringerlande gesehen und beobachtet hat. Es ist eine gar herrliche und mannigfaltige Reihe herzig-charakteristischer, sinn- und poesievoller Bilder geworden, und zwei davon haben wir mit Bewilligung des Künstlers hier zur Anschauung gebracht. Sammt und sonders jedoch sind diese schönen Originalzeichnungen Thumann’s als werthvoller Illustrationskranz durch eine neue Ausgabe Goldelse’s geflochten, welche jetzt von der Verlagshandlung durch besondere Eleganz der Ausstattung zu einer wirklichen Fest- und Prachtausgabe für den nächsten Weihnachtstisch gestaltet wurde.

Dem ausdrücklichen Wunsche vieler Verehrer und der Pietät gegen ein berühmtes und gefeiertes Lieblingsbuch ist hiermit in

[806] gebührender Weise genügt. Der Lebenslauf des Romans aber wird sicher mit dieser Prachtausgabe nicht abgeschlossen sein. Wir glauben vielmehr, daß er im schlichten wie im festlichen Kleide weiter blühen und den Reiz einer jugendfrischen Erscheinung bewahren wird, so lange in den deutschen Frauenherzen noch jene Regungen tiefer Innerlichkeit und hohen und reinen Edelsinnes nicht erstorben sind, an die er so erfolgreich sich gewendet hat.
A. Fr.