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Der Friedhof auf Mount Auburn bei Boston

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DCCIX. Der Viadukt über das Göltzschthal Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCCX. Der Friedhof auf Mount Auburn bei Boston
DCCXI. Im Bosporus
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AUBURN-CEMETRY in BOSTON

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DCCX. Der Friedhof auf Mount Auburn bei Boston.




Es ist ein wunderliches Volk, diese Amerikaner. Ihr kurzes, in Hast und Jagen dahin eilendes Leben hat wenig Sinn und Freude an der Natur, sie gönnen sich kaum Zeit zu einem Spaziergang in Feld und Wald; für Millionen schmückt der Frühling das Land vergeblich mit Blumen und Blüthen und die Berge mit jungem Grün. Für sie ist der Mai umsonst ein beredter und freundlicher Prediger im Tempel der Natur, wiegen vergeblich sich die bunten Schmetterlinge auf den glänzenden Büschen, läuten die Maiblümchen ihre Glöckchen zum Feste, haucht der Fichten- und Kiefernwald balsamische Düfte. Was sie sich selbst im Leben versagen, das gönnen sie aber ihren lieben Todten! Die Friedhöfe – wo wir unsern Geliebten mit widerlicher Kargheit kaum den allerdürftigsten Raum gewähren, und wo jede Handbreit Erde über das polizeiliche Maß hinaus mit Geld aufgewogen werden muß, – wissen sie zu einem lieblichen Paradiese umzugestalten, und dem Amerikaner thut der Gedanke wohl, daß die abgerufenen Seinen, die er nicht mehr an sein Herz drücken kann, in einem Garten unter duftenden Rosenbüschen oder im Schatten blühender Baumgruppen schlummern.

Der Friedhof der Bostoner auf Mount Auburn ist ein Muster amerikanischer Ruheplätze für die aus dem Leben Geschiedenen. Der Todtenpark nimmt den Raum einer halben englischen Geviertmeile ein und entfaltet die Schönheiten einer überschwenglichen und reichen Natur in größter Mannigfaltigkeit. Freiheit herrscht im unendlichen All, Freiheit herrscht in der Vorstellung des Volks; die freie Natur soll daher die Bewahrerin und Erbin seines Staubs seyn. In Auburn sieht man keine steifen Alleen, nach deren Linien der Sexton die Gräber [213] aneinanderreiht; man sieht keinen Abklatsch des Uniformen und Despotischen. Allenthalben bringt noch der Boden und Himmel hervor, was sie hervorbringen können und darum sollen, ähnlich dem Menschen selbst, der in Amerika schafft und wirkt in gesetzlicher Freiheit, was er selbst als das Beste erkennt. Im Auburn-Todtenpark ist darum ein Stück Urwald so gut an seiner Stelle wie die duftenden Jasmin- und Rosengehäge es sind, und die Haine von Tulpenbäumen und Oleander.

Durch Wald und Gesträuch, um Blumenparterres und Rasenplätze winden sich enge Pfade und breite Wege, und sinnige und reiche Denkmäler wechseln mit den einfachen Malsteinen, oder dem bescheidenen Holzkreuz. Jedes Grab hat Raum genug übrig, daß die Liebe es schmücken kann nach ihrem Wohlgefallen. Alle Wege und Pfade aber führen aus der Tiefe der Höhe zu, von der man durch eine Oeffnung des Waldes das meerumspülte Boston erblickt, das seinen Kindern die herrliche Ruhestätte schuf, – eine Ruhestätte, welche an die Worte des Dichters erinnert:

„Nicht unter Steingewölben, die Gottes Licht verbergen,
Nicht in des Domes Kreuzgang, umringt von Leichensärgen,
Und wo mit Prunkgewändern zur Schau die Menge steht,
Quillt aus des Herzens Tiefen Trauer – Lieb’ – Gebet.
Dort, wo durch Buchenkronen und durch die heil’gen Eichen
Geheimnißvoll die Lüfte mit leisen Flügeln streichen,
Wo aus den Blüthenästen der Sang der Vögel schallt,–
Dort ist es, wo ich bete; mein Tempel ist der Wald:
Da haucht’s der Lieben Nähe, da kann ich Gott begreifen,
Wenn meine trunk’nen Blicke durch seine Werke streifen;
Da hör’ ich seine Worte, da les’ ich seine Schriften
Auf buntgeschmückter Erde und in den blauen Lüften;
Da steht sein großer Tempel auf unsichtbaren Säulen,
Da darf der Christ, der Heid’, der Türk’ und Jude weilen;
Da dürfen Alle beten, wenn’s nur im Herzen flammt,
Denn aller Menschen Vater übt selbst das Priesteramt.