Der Funke in’s Pulverfaß

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Autor: Fr. Hofmann
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Titel: Der Funke in’s Pulverfaß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 812–815
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Funke in’s Pulverfaß.
Geschichtliche Jubelskizze von Fr. Hofmann.


Wird unsere Illustration, die an sich ohne Kunstwerth ist, als Ehrenbild der Gründung eines der mächtigsten Reiche der Welt gelten? Gewiß nicht! In der That hat sie von Haus aus das Gegentheil bedeuten sollen: ein Schmähbild auf den Widerstandskampf der englischen Colonien Nordamerikas gegen König und Parlament von Großbritannien. Darum ist ein Act der Volksjustiz, das Betheeren und Federn eines königlichen Zollbeamten, dem geschwärzte Unmenschen „Thee“ eingießen und mit Strick und Prügel drohen, carrikirt in den Vordergrund gestellt, während die geschichtliche That des Bostoner Theesturms, welche den „Funken in‘s Pulverfaß“ des nordamerikanischen Befreiungskrieges warf, in den Hintergrund verlegt ist. Das Bild ist im Jahre 1774 in London gemalt; das Betheeren und Federn des Zollbeamten geschah erst vier Wochen nach dem Theesturme, mochte aber der englischen Auffassung noch entsetzlicher erscheinen, als dieser, dessen Folgewichtigkeit damals noch nicht zu erkennen war. Daher trägt es auch nur die Unterschrift. „The Bostonians paying the excise-man or tarring & feathering.“ (Wie die Bostoner den Zolleinnehmer mit Theeren und Federn bezahlen.) Auch daß man als den Galgen, unter welchen der Gefederte eine Zeitlang gestellt wurde, einen Freiheitsbaum Liberty-Tree), wie sie damals in den Städten häufig errichtet wurden, in das Bild brachte, ist ein Beweis mehr für die bezeichnete Bestimmung desselben. Trotz alledem hat es seine Stelle unter den Geschichtsbildern der „Historischen Gesellschaft“ in Boston gefunden und feiert nun die hundertjährige Wiederkehr des großen Tages mit, den es verhöhnen sollte.

Der „Bostoner Theesturm“, oder, wie amerikanische Geschichtschreiber sagen, die „Bostoner Theegesellschaft“, bildet zwar, als nächste Ursache kriegerischer Feindseligkeiten, den Anfang des nordamerikanischen Befreiungskrieges, der nach achtjährigem Kampfe (1775–1783) mit der Anerkennung der „Vereinigten Freistaaten von Nordamerika“ endete. Mit gleichem Rechte erkennen wir aber in dem Bostoner Theesturme die Explosion, die nach zehnjähriger Gährung der sich feindlichen Elemente im Staatskörper der Colonien erfolgte. Diese „Krisis“, wie im Hinblick auf den Erfolg George Bancroft diese Zeit als den Ausgang der Staatskrankheit in Genesung bezeichnet, unseren Lesern in raschen Zügen darzustellen und mit der entscheidungsvollen Nachtarbeit der „Bostoner Theegesellschaft“ zu schließen, ist die Aufgabe dieses Artikels.

Der amerikanische Theil des „Siebenjährigen Krieges“, ein Abzweig des Vernichtungskampfes, den England, als Preußens Bundesgenosse, damals gegen Frankreichs Flotte und Seehandel führte, hatte die englische Macht auf dem nordamerikanischen Festlande außerordentlich erweitert und gefestigt. Im Frieden von Paris zwischen England und Frankreich am zehnten Februar 1763, dem der zu Hubertusburg zwischen Preußen und seinen Gegnern am fünfzehnten folgte, erhielt England die ehedem französischen Besitzungen Acadien (Neu-Schottland), Canada und Cap Breton, gab zwar Havanna an Spanien zurück, verband aber dafür Florida und alle ehemaligen spanischen Gebiete auf der Ostseite des Mississippi mit seinen Colonialländern, die fortan auf dem Festlande nirgends durch einen überlegenen Feind in ihrem Aufblühen gestört werden konnten. Die Colonien aber hatten redlich mitgefochten und durch ihre Tapferkeit und große Opfer das Glück verdient, dessen sie sich freuten.

Der Krieg hatte jedoch ungeheure Summen verschlungen. Die Schulden Englands waren bis auf hundertsechsundvierzig Millionen Pfund Sterling gestiegen, und die Last drückte schwer auf die Steuerpflichtigen. Da lag wohl der Gedanke nahe, die Einkünfte des Staats durch Auflagen auf die amerikanischen Colonien zu vermehren.

Dies geschah schon am 5. April 1764 durch die sogenannte Zuckeracte. Gemäß derselben wurden Zucker, Syrup, Molassen, Kaffee und Indigo, alle Weine außer den französischen und alle ostindischen seidenen und halbseidenen Tücher mit einer Abgabe belastet, die einem Verbote dieses Handels gleich kam.

Diese Maßregel war nach der bisherigen Behandlung der Colonien außerordentlich unklug, denn sie wurden stets rücksichtslos ausgenutzt für die britischen Handels- und Industrievortheile und bildeten den profitabelsten Markt für das Mutterland, das den stiefmütterlichen Charakter zu unverhüllt sehen ließ.

[813] Man hatte in England nicht bedacht, daß ein Krieg, wie er in Amerika geführt worden war, kühne und streitbare Männer erzieht. Hatte schon vor dem Kriege die Nothwendigkeit, sich der englischen Ausbeutung nach Möglichkeit zu entziehen, zum Schmuggelhandel verleitet, so nahm dieser nun eine wahrhaft großartige Gestalt an, und die neue Maßregel dagegen, daß alle britischen Seeofficiere auf der amerikanischen Station als Zollbeamte beeidigt und somit zur Untersuchung jedes Schiffes berechtigt wurden, machte das Uebel nur ärger.

Das folgende Jahr brachte eine noch stärkere Überraschung, denn am 22. März 1765 setzte eine Parlamentsacte die Einführung des Stempelpapiers in den Colonien durch. Eine zweite gleichzeitige Acte legte den Colonien die Verpflichtung auf, königlichen Truppen, die in den Casernen und Forts nicht untergebracht werden könnten, Quartier und Naturalleistungen zu gewähren.

Wie gegen die Zuckeracte brach auch gegen die Stempelacte in allen Theilen der Colonien die gleiche Entrüstung sich Bahn. In der Volksvertretung von Virginien legte Patrick Henry feierlich Protest gegen die Stempelacte ein. Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er die Uebergriffe und Rechtsverletzungen Englands. „Cäsar,“ so rief er, „hatte seinen Brutus, Karl der Erste seinen Cromwell, und Georg der Dritte –“

„Hochverrat! Hochverrath!“ unterbrach ihn der Sprecher; aber Henry fuhr nach einer Pause fort:

„– und Georg der Dritte möge sich jene Beispiele zu Nutz machen!“

Am ersten November, an welchem die Stempeltaxe in Kraft treten sollte, läuteten in vielen Städten die Trauerglocken. In New-York wurde die Stempelacte statt mit dem Wappen des Königs mit einem Todtenkopf bedruckt und mit der Unterschrift „Englands Thorheit und Amerikas Untergang“ in den Straßen vertheilt. In Massachusetts verbrannte man eine Menge Stempelbogen und schlug das Bildniß des Stempelmeisters an den Galgen. Es fehlte auch nicht an wilden Tumulten. Aber alle derartigen Demonstrationen machten in England weniger Eindruck als der stille Widerstand, der sich in ernsterer Weise vorbereitet hatte. So standen plötzlich viele Gerichtshöfe leer, weil die Parteien sich lieber friedlich vorher einigten, als später zur Anwendung des Stempelpapiers gezwungen zu sein. Den wichtigsten Schritt wagte aber die Vertretung von Massachusetts: ein vom Sprecher des Unterhauses unterzeichnetes Rundschreiben lud die gesetzgebenden Körper aller übrigen Provinzen ein, auf den ersten Dienstag des October Abgeordnete nach New-York zu einem allgemeinen Congreß zu senden, „damit die Regierung des Mutterlandes nicht ferner einzelne Bitten und Vorstellungen höre, sondern in den Beschlüssen dieser Versammlung die Stimme der vereinigten Colonien erkenne.“

Dieser Congreß wurde von achtundzwanzig Abgeordneten, und zwar von Massachusetts, Rhode-Island, Connecticut, New-York, New-Jersey, Pennsylvanien, den niederen Grafschaften am Delaware, Maryland und Südcarolina beschickt und dauerte bis zum 25. October. Sein Resultat war eine Erklärung der Rechte und der Beschwerden der Colonien, die in Bittschriften von ebenso fester als ruhiger Haltung an das britische Parlament abgefertigt wurden. Ebenso ernstwirkend war der Beschluß, die Colonien in ihren Bedürfnissen vom Mutterland möglichst unabhängig zu machen und die eigene Gewerbthätigkeit zu beleben. Endlich bildete sich ein Verein von Männern, zunächst in Connecticut und New-York, „zur Aufrechterhaltung der britischen Constitution in Amerika“, mit einem Ausschuß, der die angesehensten Männer zur Theilnahme einlud und der in kurzer Zeit außerordentlich an Einfluß auf die Colonien gewann. Die Mitglieder dieses Bundes nannten sich „Söhne der Freiheit“.

Diese unverhohlene Stimmung im amerikanischen Volke erregte auch in England Bedenken bis in die höchsten Kreise, und dieser Umstand und die Bitten der ängstlich gewordenen englischen Kaufleute und Gewerbtreibenden vermochten endlich den König, am 18. März 1766 in feierlicher Sitzung im Westminster die Stempelacte wieder aufzuheben, – freilich nicht ohne die Erklärungsbill (declaratory bill), welche Großbritannien das Recht zusprach, „die Colonien in jeder Hinsicht zu beherrschen und ihnen Gesetze zu geben.“

In Amerika war die Freude über diesen friedlichen Sieg groß, jedoch von kurzer Dauer, denn der Anspruch der „Erklärungsbill“ blieb unvereinbar mit dem bisherigen Verfassungsleben der Colonien, das in den einzelnen Provinzen nach dem Muster des Mutterlandes gebildet, also auf möglichste Selbstregierung begründet war. Daher konnte auch ein Hauptkämpfer dieser Zeit, Samuel Adams aus Boston, welcher sich den Ehrentitel „Cato Nordamerikas“ erworben hat, früh die Unmöglichkeit der Abhängigkeit Amerikas von England erkennen, und so widmete er sein ganzes Leben dem Kampf für die Unabhängigkeit.

König Georg hatte die Aufhebung der Stempelacte als „ein unheilvolles Zugeständniß“ beklagt; man suchte nun um so eifriger die Amerikaner zur Bezahlung einer Steuer zu vermögen, denn sobald sie eine bezahlt hatten, mußten sie sich jeder Besteuerung fügen, hatten sie das Recht zum Widerstand verloren. Das wußten alle Engländer, aber ebendeswegen auch alle Amerikaner, und darnach handelten nun beide Theile bis zum unvermeidlichen Bruch.

Gleich im nächsten Jahre, 1767, bedachte das Parlament im schönen Monat Mai Amerika mit einer Steuer auf Thee, Glas, Papier und Malerfarben. Die Abgabe war absichtlich verführerisch gering und der Ertrag derselben sollte angeblich zu den Gehalten der Statthalter, Richter und anderer Beamten der Colonien bestimmt sein, – also im Lande bleiben. Dennoch antworteten die Kaufleute von Boston und ganz Massachusetts auf diese Acte mit dem Beschluß, fortan gar keine englischen Waaren, wenige ganz unentbehrliche ausgenommen, einzuführen bis dieser Zoll wieder aufgehoben sei. Um aber nicht allein zu stehen, sondern alle Colonien durch ein geistiges Band zu verknüpfen, stiftete Samuel Adams sogenannte „Correspondenz-Bureaux“ in den bedeutendsten Städten, die sich von allen Vorkommnissen und nothwendigen gemeinsamen Beschlüssen eiligst Nachricht gaben und von den „Söhnen der Freiheit“ auf das Eifrigste bedient wurden.

Da Boston immermehr als Revolutionsherd erkannt wurde, so benutzte die Regierung einen Tumult, der wegen eines von den Zollbeamten aufgebrachten Schleichhandelsschiffs ausgebrochen war, zur Besetzung der Stadt mit zwei Regimentern Soldaten und des Hafens mit einer Fregatte und einigen anderen bewaffneten Schiffen. Mitten in die Erbitterung darüber fiel eine neue empörende Nachricht von London. Der Geschäftsträger von Massachusetts in London, der berühmte Benjamin Franklin, hatte eine verleumderische Correspondenz des Statthalters Hutchinson und des Unterstatthalters Oliver über Massachusetts an‘s Licht gezogen und die Entfernung beider von ihren Posten verlangt. Dafür hatte der Kronanwalt Wedderburne ihn auf das Schimpflichste behandelt und einen Aufwiegler und den gefährlichsten Feind Englands genannt – denselben Mann, welchen Pitt als „die Ehre Englands und der Menschheit“ pries.

War man nun auf neue Gewaltmaßregeln von England gefaßt, so mußte es die äußerste Ueberraschung bereiten, als nach einem vom Minister Lord North am 5. März 1770 dem Parlament vorgelegten Antrag die Besteuerung Amerikas von 1767 wieder aufgehoben wurde. Den Grund dazu hatten allerdings nicht Liebe und Güte, sondern die bittere Erfahrung dictirt, daß die englische Kaufmannschaft in Folge des Widerstandsbeschlusses der Colonien im Jahre 1769 für siebenhundertvierundvierzigtausend Pfund Sterling weniger an Waaren nach Amerika eingeführt hatten, als früher; ebenso schwer hatten die Zollcassen gelitten. Um aber das Princip zu wahren und wohl in der Hoffnung, durch die Geringfügigkeit der Abgabe dennoch zum Kauf zu verlocken, belegte man nur den Thee mit einem Zoll von drei Pence (vierundzwanzig Pfennige preußisch) für das Pfund. Und wirklich lag jetzt die Gefahr nahe, daß die Lockung gelang; wenigstens führte man in den südlichen und mittleren Provinzen wieder englische Waaren ein, wenn auch noch mit Ausnahme des Thees. Eine Schwäche konnte die andere nachziehen; da galt es: Aufraffen! Samuel Adams, die Correspondenzbureaux und die „Söhne der Freiheit“ wandten alle Mittel der Beredsamkeit an, um die Widerstandskraft zu erneuen, und abermals ging Massachusetts mit seiner Hauptstadt Boston muthig und opferbereit voran und empfand auch die ersten Gewaltschläge. In Boston war es am 5. März 1770 zu einem Straßenkampf mit dem Militär gekommen. Es war Blut geflossen, gab Todte und Verwundete. Am andern Morgen versammelte sich das Volk in

[814]

Wie die Bostoner einen Zollbeamten bezahlen, d. h. theeren und federn.
Einzige bildliche Darstellung aus der Theesturmzeit, jetzt im Besitz der „Historischen Gesellschaft“ in Boston.

[815] der sogenannten „alten Kirche“ im südlichen Theil der Stadt und zwang durch seinen Beschluß den Statthalter, die beiden Regimenter, die in Boston lagen, in das Fort Williamsburg zu verlegen. Eine feierliche Bestattung der Gefallenen vermehrte die Erbitterung und die Hartnäckigkeit des Volks.

Um den Beschluß des Königs Georg, daß der Theezoll das englische Recht der Besteuerung Amerikas zu repräsentiren habe, durchzuführen, griff man zu einer List, zu welcher die große Noth der Ostindischen Compagnie mit ihrem Theehandel zwang. Sie hatte jährlich zwei Millionen vierhunderttausend Pfund Sterling für ihr Monopol an die Regierung zu zahlen, und nun lagerten nicht weniger als siebenzehn Millionen Pfund Thee in ihren Magazinen, denen der Hauptmarkt, Amerika, verstopft war. Sie erbot sich, gegen Aufhebung des Theezolls, der Regierung den doppelten Ertrag desselben vergüten zu wollen. Vergeblich. Dagegen ward der Compagnie gestattet, den Thee unversteuert auszuführen, und so konnte den Amerikanern das gewohnte und längst bitter entbehrte Labsal zu Spottpreisen dargeboten werden. Diese Verlockung war zu groß. Die Kaufleute an vielen Küstenorten weigerten sich, jetzt noch vom Einkauf abzustehen, so daß Zagheit und Niedergeschlagenheit in das Volk einzubrechen drohten. Da galt es noch einmal das Anspannen aller Kräfte, die glühendste Beredsamkeit, ja, die fürchterlichsten Drohungen bis zum Rufe nach den Waffen, um die Kaufleute und Agenten einzuschüchtern und zugleich alle Colonien zu bewegen, Massachusetts in seinem Kampfe gegen England nicht zu verlassen.

Als nach harten Kämpfen in den Volksversammlungen der Entschluß endlich allgemein angenommen war, auch jetzt keinen Thee von England an das Land zu lassen, war man zugleich Willens, die in zahlreichen Schiffen herübergebrachten Vorräthe nicht anzutasten, sondern unverletzt nur zurückzuweisen. Dies war zum Beispiel in New-York und Philadelphia geschehen, wo die Capitaine der Theeschiffe, von dem auflodernden Volkszorne erschreckt, vor den Häfen gleich wieder umwendeten. In Boston kam’s zur Gewalt.

Hier hatte am 28. November 1773 das erste Theeschiff, die „Dartmouth“, im Hafen Anker geworfen. Die Bevölkerung stemmte sich gegen die Landung derselben, und dem Statthalter kam es offenbar nur darauf an Zeit zu gewinnen. So ging das Hin- und Her-Senden und -Reden bis zum sechszehnten[1] December, dem zwanzigsten Tage nach Ankunft des Schiffes, an welchem nach gesetzlichen Vorschriften den Zollbeamten das Recht zustand, von dem Schiffe Besitz zu nehmen und den Thee nach dem Castell zu schaffen. Währenddeß hatten noch zwei Theeschiffe sich im Hafen eingestellt. Der Tag mußte die Entscheidung bringen: Das fühlte Jedermann, und Niemand hatte Ruhe im Hause. Es wogte in den Straßen und große Volksmassen, zu denen vom Lande über Zweitausend hereingekommen waren, sammelten sich wieder vor und in der „alten Kirche“ (gewöhnlich „Old-South-Meeting-House“ genannt) und wählten Samuel Savage zu ihrem Vorsteher, um zu berathen und sich für die Ereignisse der nächsten Stunden vorzubereiten. Der ganze Tag verging mit Verhandlungen. Hier schürten Adams und Josiah Quincy, ein gewaltiger Redner, das Feuer von Neuem, und als endlich abermals die Frage an die etwa siebentausend Anwesenden gestellt wurde, ob die Versammlung auf ihrem früheren Beschlusse verharre, erscholl ein einstimmiges „Ja!“

Sofort erhält der Besitzer der „Dartmouth“, Rotch, den Befehl, begleitet von acht Zeugen, vom Statthalter seine Pässe zu verlangen und den Hafen zu verlassen. Der Abend bricht herein, ohne daß die Antwort kommt. Schon länger als eine Stunde ist es ziemlich dunkel geworden; die menschenvolle Kirche ist düster beleuchtet, die Stimmung der Versammlung wird immer bedenklicher. – Endlich, ein Viertel vor sechs Uhr, erscheint Rotch sammt den Zeugen und meldet, daß der Statthalter ihm einen Paß verweigert habe, weil sein Schiff nicht gehörig clarirt sei. Als Rotch geendet hatte, erhob sich Samuel Adams und erklärte: „Diese Versammlung kann nichts mehr thun, um das Land zu retten!“ – In demselben Augenblick ertönt in der Vorhalle der Kirche der indianische Kriegsruf. Etwa fünfzig Männer, bekleidet und gemalt wie Mohawk-Indianer, ziehen, von Samuel Adams, Hancock und Anderen mit Jubel begrüßt, an der Thür vorüber und nach dem Hafen. Die Menschenmenge stürmte auf das Bollwerk nach. Die „Mohawks“ sprangen in die Boote, erstiegen die „Dartmouth“, deren Mannschaft beim Anblick der Volksmassen am Ufer jeder Widerstand verging, erbrachen binnen drei Stunden sämmtliche Theekisten, dreihundertzweiundvierzig an der Zahl, und schütteten den Inhalt in’s Wasser. Das war die nächtliche That der „Bostoner Theegesellschaft“, das war der „Theesturm“, welcher so still und friedlich, so ohne jedes Geschrei abging, daß man am Ufer jeden Axtschlag hörte, der eine Kiste erbrechen half. Ohne irgend das Geringste in und an dem geleerten Schiffe zu berühren, stiegen die Mohawks auf die Boote zurück und verschwanden, wie sie gekommen waren. In Boston, in Massachusetts, durch alle Colonien verbreitete die Nachricht von diesem Ereigniß den Jubel des Gefühls, daß Allen eine drückende Last vom Herzen sei. Die Unentschiedenheit war vorüber, die Colonien hatten „die Schiffe hinter sich verbrannt“. Dies- und jenseits sang man aber noch lange das Volkslied:

„O Mutter, lieb’ Mutter,“ die Tochter da rief,
„Ich thu’ nicht, was Du verlangst, Schatz!
Ich zahle Dir willig den Preis für den Thee,
Doch nimmer den Dreipfennigsatz.“

„Und Du mußt!“ schrie die Mutter ganz krebsroth vor Zorn.
„Bist Du meine Tochter nicht, he? –
Nur recht ist’s und billig, wenn’s Töchterlein zahlt
Für die Mutter den Zoll auf den Thee.“

Ueber die Folgen des Bostoner Theesturms wird die Gartenlaube berichten, wenn sie das hundertjährige Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung, am 4. Juli 1876, mitfeiert.




  1. Seltsamer Weise sind die geschichtlichen Angaben über den Tag des Theesturms nicht einig. Viele bezeichnen den sechsundzwanzigsten December als diesen Tag. Die deutsche Bearbeitung des Bancroft sagt sogar: „Sonntag, der letzte December, dämmerte über Boston auf etc.“ Der letzte December 1773 war aber ein Freitag, während der letzte Sonntag des December allerdings auf den 26. fiel. Da jedoch bei dem strengen Puritanismus der Bostoner schwerlich eine Theelandung an einem Sonntag angeordnet werden konnte, so ziehen wir es vor, den Sechszehnten als Jubeltag zu bezeichnen, bis wir officiell eines Andern belehrt werden. – Das am Schlusse mitgetheilte englische Volksliedchen verdanken wir dem so eben erscheinenden Buche Ludwig Wittig’s: „Ein Jahrhundert der Revolution.“
    D. Red.