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Der Hof der Tuilerien in Paris

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DCLXVII. Der Pyräus, Hafen von Athen Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCLXVIII. Der Hof der Tuilerien in Paris
DCLXIX. Freiburg in der Schweiz
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Der HOF der TUILERIEN

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DCLXVIII. Der Hof der Tuilerien in Paris.




„Wer wird nach Louis Philipp dies Haus bewohnen? Das Kind, sein Enkel, welches mit einer Krone nur spielen, sie nicht tragen kann? Oder einer aus dem Triumvirat der Prätendenten? Oder wer sonst? Das Schicksal rüttelt die Würfel: aber Gott weiß, für wen sie fallen“.

So schrieb ich im Jahre 1844 in diesem Buche[1].

Seitdem ist der Hof der Tuilerien zum dritten Mal der Friedhof der Bourbonenherrschaft geworden. Zum dritten Mal stürzte das Volk die Vertheidiger derselben aus den Fenstern des Palastes; noch einmal sahen die Tuilerien einen König fliehen vor dem Vive la Republique und zum Vagabonden werden in seinem eigenen Reiche; noch einmal sahen sie die Proletarier in den goldenen Sälen, welche sonst nur die Fürsten und Großen zu betreten wagten, und noch ein Mal streuete der Gamin die Asche eines Throns jubelnd in alle Winde. Dem Bürgerthum kann’s nicht wohnlich seyn im Hause der Monarchie: die Republik schloß also die Tuilerien zu und schrieb den Spruch über die Pforte:

„So knechtet Euch der Menschen Lob und Spott,
Macht heut’ Euch ehrenreich und morgen ehrlos“.

Aber während ich dies schreibe (am 2. December), hat sie das Schicksal wieder aufgeriegelt, damit der Schatten des großen Kaisers Einzug halte, und mit diesem Tage beginnt für Europa die neue Aera des byzantinischen Cäsarenthums – oder das Zeitalter eines zweiten Attila, der Geißel Gottes, um ein verderbtes Geschlecht zu züchtigen.

Ihr sollt nicht wähnen, daß ich kam zur Erde, Den Frieden Euch zu bringen. Nein! das Schwert!“[2] [18] Ludwig Napoleon erscheint mir wie ein Riese mit thönernen Füßen, auf dessen Schultern das schwankende Gebäude der Gesellschaft ruht ; er ist die Welle, um welche sich Eurepa’s Zukunft bewegt; er ist die Hieroglyphe des Schicksals und der Vergeltung, vor welcher die Völker und die Könige stehen und zu deren Ausdeutung sie vergeblich ihre Weisen berufen. – Fatalist wie Wallenstein, festgebannt im Kreise seiner ehrgeizigen Pläne und über die Mittel, sie zu verwirklichen, aller Skrupel baar, glaubt Ludwig Bonaparte an seinen Stern, glaubt er an den Beruf der Napoleoniden zur Weltherrschaft, glaubt er an seine Mission, und er fragt nicht darnach, ob er sie vom Teufel oder von Herrgott empfangen habe. Wie ein Schatzgräber an die geheime Gewalt der Kreuzwege glaubt, wie ein Astrolog dem Einfluß gewisser Konstellationen und Zeiten geheime Kräfte zuspricht und darnach das Gelingen oder Mißlingen seiner Handlungen zum Voraus berechnet: so ist dieser merkwürdige Mann entweder tollkühn, oder muthlos, je nachdem die Ereignisse ihn bestimmen, oder drängen, an einem Glücks- oder Unglückstage seine Streiche zu wagen. Die Drei gilt ihm als die heilige Zahl seines Glücks. Was ihm zweimal in Straßburg und Boulogne mißlang, das mußte, seinem Glauben gemäß, zum dritten Male gewißlich glücken. Und so ist es auch geschehen, und heute zieht er ein in das Kaiserhaus als unumschränkter Czar von Frankreich, keinem Gesetze unterthan, denn seinem Willen allein. Wie alle Wege nach Rom führen, so haben alle Wege Herrn Ludwig Bonaparte nach den Tuilerien geführt. Er war rother Republikaner mit Ledru Rollin, Sozialist mit Proudhon, Reformator mit Girardin; er träumte mit Cabet, war Reaktionär mit Thiers, gemäßigter Republikaner mit Gavaignac, Feind des Kapitals und der Bourgeoisie mit Louis Blanc, Gegner der Demokratie und der Revolution mit den Legitimisten, ein Bekenner der Glaubensfreiheit, wenn er vor Protestanten sprach, und ein demüthiger Verehrer, Beschützer und guter Sohn der katholischen Kirche, da es galt, die Unterstützung der Hierarchie und die Gunst der dreifachen Krone zu erlangen. Er schmeichelt dem Arbeiter mit der Hoffnung auf Verbesserung seiner Lage, tanzt mit den Damen der Halle, ladet den Sackträger zu Gast, läßt dem Bauer und dem Handwerker die Wiederkehr des goldnen Zeitalters verkündigen, verspricht ihnen Abnahme der Steuern und Schulden, peitscht die Kurse zum Jubel der Börse und zum Frommen der Schwindler und der Spieler in die Höhe, berauscht die Soldaten mit Champagner und sprudelnder Hoffnung auf Gloire und versichert dem ruhelechzenden Besitz und dem kalkulirenden Handel: l’empire c’est la paix. Er verspricht Alles und unterschreibt Alles, sagt „Ja“ zu jedem Wunsche und läßt jedem Verlangen Befriedigung hoffen; er schmeichelt dem Volke, indem er sich den Diener seines Willens nennt; er macht den ungebührlichsten Erwartungen der Menge Koncessionen, und ihren Gelüsten nach Vergnügen und Zeitvertreib bringt er die größten Opfer: aber während er dieses that, wendete er mit perfekter Menschenkenntniß jedes andere wirksame Mittel an, die indolenten Massen seinen Zwecken unterthänig zu machen, sey es durch das Brod, das er austheilen ließ, sey es durch bunten Flitter- und Zinselkram, mit dem er die Augen blendete, sey es durch [19] vage Hoffnungen, sey es durch Furcht und Schrecken, durch Lambessa und Cayenne. Jedes Mittel zur Erreichung seines Ziels ist ihm recht gewesen, und er erschrak so wenig vor den verschwenderischen Ausgaben der Millionen, als vor den sittlichen Konsequenzen seines Thuns und seines Handelns. Jenes erste Ziel, den Kaiserthron, hat Ludwig Bonaparte heute erreicht. Jetzt steht die Frage: was wird sein nächstes seyn? Die Herrschaft der Napoleoniden in Europa war der eingestandene Plan des großen Oheims; und Ludwig Bonaparte gibt sich für seinen Erben aus und für berufen, dessen Entwürfe zu erfüllen. Er sagt jedoch: „l’empire c’est la paix“; und dieses sein kaiserliches Wort ist eben so glaubwürdig, als des Präsidenten Eidschwur auf die Verfassung, die er heute vor einem Jahre zerriß und in dem Blute ihrer Vertheidiger begrub; es ist nicht weniger werth, als das Wort seiner Proklamation nach dem Staatsstreich: „ich liebe die Republik, weil sie die Freiheit schützt, und werde sie erhalten“; es ist so viel werth, als sein Wort von gestern: „l’empire c’est la democratie couronnée“. Wenn alle diese Worte niemals mehr gewesen sind, als Phrasen, um des Mannes wahre Absichten zu verheimlichen, so wird man auch das Wort „l’empire c’est la paix!“ für nicht mehr annehmen mögen. Ludwig Bonaparte hat zwar keinen Funken von dem Genie seines Onkels, sein Ehrgeiz aber ist gewiß nicht kleiner. Alles, was diesem Ehrgeiz zur Befriedigung dienen kann, ist ihm willkommen. Frömmigkeit und Heuchelei, Wahrheit und Falschheit, Treulosigkeit und Grausamkeit, eiserne Härte und Großmuth, Wohltätigkeit und Freigebigkeit bis zur Verschwendung – sie können in seinen Augen gleichbedeutende und gleichgültige Dinge seyn. Wer will behaupten, daß Ludwig Bonaparte ein Gefühl habe von Liebe oder Freundschaft, von Dankbarkeit oder Verpflichtung, wenn er heute der Treue den Rücken kehrt, die er gestern belohnte, wenn er morgen seinen Bundesgenossen in’s Exil stößt oder in den Kerker, den er heute mit den Zeichen der Gunst und seines Vertrauens bedeckte; wenn er dem Feind, den er verfolgte, mit der Miene der Großmuth plötzlich die Hand reicht, sobald es seinen Absichten frommt? Verschlossen in seinen Plänen, Herr seines Mundes, dem er niemals das Recht gibt, der Verräther seiner Gedanken zu seyn, in der Verstellung ein noch weit größerer Meister als Talleyrand war, erreicht er seine Ziele mit der Gewandtheit eines Luchses, während die Welt ihn noch weit davon entfernt glaubt und sich in falsche Sicherheit wiegt. Er ersieht bei seinen Sprüngen „seine Stunde“, in der sein Stern ihm Erfolg verheißt und ihn der Glaube kräftigt, daß der Erfolg ein sicherer sey. Zaghaft und schwankend zu andern Zeiten ist er immer bereit, in jenen Momenten des Glücks das Verwegenste, Unerwartetste und Ueberraschendste zu unternehmen und jeder Gefahr mit kaltem Blute zu trotzen. Als Monoman seines Namens glaubt er blind an das Dämonische seines Schicksals und an die Größe seiner historischen Sendung, und so betrachtet erscheint und seine Gestalt wie die des Leviathan, welche über eine unglücksschwangere Zukunft die schwarzen Schwingen breitet. Ledig aller Bande, die die gewöhnlichen Sterblichen fesseln, und ohne sittliches Steuer, folgt er, mehr fanatisch, als willensklar, dem Fatum, seinem Gott.

[20] So stellt sich meinem Blicke Derjenige dar, welcher heute einzog in das „Haus des Schicksals“ das Zepter des Imperators und das Schwert des Autokraten in den Händen. Ein Glück für die Welt, wenn das Bild nicht mehr ist als ein Trugbild meiner Phantasie.


Auf ein anderes Feld der Betrachtung treten wir, wenn wir die Frage erörtern: Hat Ludwig Napoleon eine Chance für das Gelingen seiner Pläne? – Hier haben wir es nicht mit seiner Persönlichkeit allein, – sondern zugleich mit den Thatsachen und der Gewalt der Situation zu thun, in welcher er sich befindet und in die er sich versetzt hat. Ich spreche unbedenklich, weil mit voller Ueberzeugung, den Glauben aus: Ludwig Bonaparte hat keine Chance. Er hat keine, nicht trotzdem daß er den Kaiserthron bestieg, sondern weil er ihn erklimmte und erklimmt hat durch alle macchiavellistischen, ich will nicht sagen diabolischen Künste. Er hat seine Mittel mit meisterhaftem Geschick benutzt: Mephistopheles selbst hätte es nicht klüger und hinterlistiger thun können: aber die Tragweite dieser Mittel war der Kaiser, und mit Erreichung dieses Ziels ist sie erschöpft. Der Allen Alles versprochen hat, um sich Stimmen zu verschaffen, muß nothwendig Allen Täuschungen bereiten. Auf der Spitze seines Ehrgeizes, auf dem Throne, steht er isolirt wie auf dem Gipfel einer Pyramide, – einsam, ohne Rückhalt. Er hat seinen Thron mit gemeinen Werkzeugen, inspirirt von gemeinen Leidenschaften, umgeben, – mit bloßen Sklaven seines Willens. Es hilft ihm nichts, daß er sie mit den hohltönenden Titulaturen: – Senat, Repräsentanten, Ministerien bekleidet. Er hat die Legislative so tief herabgewürdigt, daß sie bloß einen verspotteten Bedientenschwarm vorstellt, der dem Lande Millionen kostet, der Regierung aber keine Stütze bietet. Seine Minister sind Kommis und sie werden von ihm wie Kommis behandelt; sie, wie die Legislativen, sind nur beständige Elemente des Hasses und der Verachtung, die auf den Stufen des Thrones knieen. Er hat die Armee als blindes Werkzeug seiner Pläne gebraucht und ihre Ehre in Frage gestellt; ihre Sympathieen sind zusammengeschrumpft zum Gehorsam, den die strenge Disciplin erzwingt und zusammenhalten wird, bis sie – bricht. Die Träger ihres Ruhms und ihres Stolzes, die vorzüglichsten Generale, sind verbannt, oder entfernt; sie sind die natürlichsten, die stärksten, die unversöhnlichsten Feinde Bonaparte’s, und alle seine Gewalt kann die Gefühle der Theilnahme nicht verhindern, welche in jedem französischen Soldatenherzen für diese Helden schlagen, die keine andere Schuld an sich tragen, als die Treue für ihren Eid, welchen Bonaparte brach, und daß sie als Ehrenmänner keinen Theil haben wollen an dem meuchelmörderischen Ueberfall der Freiheit und der Republik, der, von 8 Millionen Franzosen gutgeheißen, jetzt den Kaisermantel umthut. Wie die Feldherren, so tragen auch die ersten Staatsmänner Frankreichs unversöhnliche Feindschaft im Busen gegen Den, der in seiner Person alle Gewalt und Macht des Staats vereinigte und sie selbst zur Richtigkeit verwiesen [21] hat, und was Frankreich an Genie und großem Talent besitzt, was der Ruhm gekrönt hat mit unsterblichen Kränzen im ewigen Reiche der Wissenschaft, der Gelehrsamkeit und des Gedankens; Alles endlich, was die Geschichte früherer Zeiten mit erblichen Ehren, Würden und Rang belieh, steht tief verletzt und unversöhnlich ihm gegenüber. Der Weg, den er genommen, die gewaltthätigen Mittel, die er gebraucht, die grenzenlose Koncentration der Macht, die er sich zugesprochen hat, sie können nicht die geringste unabhängige Kritik, nicht den mindesten Tadel vertragen; die Spannung der Verhältnisse, die er hervorgerufen, ist schon jetzt so entsetzlich geworden, daß die mindeste Lockerung der Zügel für die Regierung zu einer gefährlichen Opposition umschlagen wurde. Ludwig Napoleon wird durch die Gewalt der Dinge zu immer größerer Gewaltthat fortgetrieben, und er kann jetzt so wenig einhalten als der vollbeladene Wagen, der auf schiefer Fläche dem Abgrunde zurollt. Er muß unbeschränkter Herr, Kaiser, Sultan, Czar bleiben, oder er ist nichts, weniger als nichts. Darin liegt die meiste Gefahr sowohl für seinen fundamentlosen Bau, als für Frankreich, für Europa, für die Gesellschaft, für die Welt; eine Gefahr, die schon viel größer geworden ist, als sie der Fortbestand der Republik in Frankreich jemals hätte erzeugen können, deren Untergang die Kurzsichtigkeit mit so viel Jubel begrüßte. Eine Zeit lang kann sich, meiner Meinung nach, Ludwig Bonaparte noch dadurch halten, daß er – die Rolle eines modernen Attila ergreifend – die unzufriedenen, unruhigen, oppositionellen Kräfte der Nation nach Außen hin lockt, Frankreich in Streit mit den Nachbaren bringt, das Feuer eines Universalkriegs anzündet, und Europa, und mit Europa die Welt, den blutigsten, furchtbarsten Erschütterungen Preis gibt, die je erlebt worden sind.

So sieht mein Auge – das menschliche, irrende. Diis aliter visum. Vielleicht! – – denn wer kann sagen, daß er im Rathe der Götter sitze?