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Der Holzhacker

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Textdaten
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Autor: Adolf Douai
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Titel: Der Holzhacker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 471–473
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Deutsch-amerikanische Lebensläufe, Nr. 3
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[471]
Deutsch-amerikanische Lebensläufe.
Von Adolf Douai.
3. Der Holzhacker.


Der Dritte, an welchen die Reihe des Erzählens kam, war P…, ein Farmer aus Missouri, der sich im Unionskampfe einen geehrten Namen erworben hatte, ein riesiger, baumstarker Recke, mit Zügen und Gliedmaßen, wie aus knorrigem Eichenholze zugehauen, dessen gutmüthige Miene aber Jedem zurufen zu wollen schien: „Kann ich denn was dafür, daß man mir scheu aus dem Wege geht, wie einem Mammuth? Habe ich nicht die wohlwollendsten Absichten? Wer hat ein besseres Gewissen als ich?“ Er bedurfte auch einiger Zeit zum Räuspern und Zurechtsetzen, ehe er Worte finden konnte, wie eine riesige Maschine, welche langsam in Gang kommt, und einer Einleitung, die wir weglassen, um sich wegen Mangels an Redegewandtheit zu entschuldigen. Endlich half ihm ein Schluck 65er zum Anfange seines amerikanischen Lebenslaufs.

„Als ich,“ sagte der Farmer P. aus Missouri, „im Herbste 1856 in Philadelphia landete, war guter Rath theuer. Auf meinen erlernten Beruf, Cameralwissenschaften, fortzukommen, war außer Frage, und Geld hatte ich ungefähr soviel, wie ein Bruder Studio, wenn das Semester zu Ende geht. Man rieth mir allerlei Erwerbswege an, zu deren Verfolgung aber mehr Geld, oder mehr Englisch gehörte, als ich erschwingen konnte. Diese Rathschläge von Leuten, welche schon lange im Lande, über die ersten Nahrungssorgen hinweg und gewissermaßen schadenfroh waren, Andere in den nämlichen Verlegenheiten zu erblicken, welche sie selbst anfänglich hatten ausstehen müssen, kamen mir in meinem grimmigen Humor ebenso vor, wie der Rath, den man wohl Kindern giebt, wenn sie einen Sperling fangen wollen, ihm doch Salz auf den Schwanz zu streuen. Ich sah ein, daß ich die erste beste Arbeit suchen müßte, und beschloß in Betracht meiner körperlichen Rüstigkeit, es als Holzhacker zu versuchen. Ich kaufte mir also eine Säge, eine Axt und einen Sägebock und begab mich vor die Hausthüren, vor denen ich eine Fuhre Holz abladen sah, mit dem Anerbieten meiner Dienste. Hui! wie da die Spähne flogen! Es ist doch gut, dachte ich bei mir selbst, daß es Arbeiten giebt, mit denen man sein Brod verdienen kann, ohne Kant’s Kritik der reinen Vernunft und Hegel’s Phänomenologie vollkommen verstanden zu haben, die mir soviel Kopfzerbrechen gekostet hatten. Ich bin mein Lebtage nicht so sehr mit mir zufrieden gewesen, wie am ersten Abende meines holzhackerischen Lebenslaufes, als ich mit anderthalb Dollars redlich verdienten Geldes nach Hause ging, umsomehr, als dies überhaupt das erste Geld war, welches ich jemals verdient hatte. Denn bis dahin hatte ich lediglich meiner Eltern Geld verstudirt und verjubelt. Wie ich nun so in mein stilles Glück versunken heimwärts gehe – ich hätte die ganze Welt umarmen mögen und baute auf meine mit Holzhacken zu machenden Ersparnisse mir schon eine idyllische Zukunft – da überfiel mich an der nächsten Straßenecke eine ganze Rotte zerlumpter und besoffener Irländer, welche das Holzhacken in den Straßen der Stadt der Bruderliebe als ihr Monopol zu betrachten schienen und mir meinen Eingriff in ihre wohlerworbenen Rechte büßen lassen wollten. Ehe ich mich dessen versah, regnete es Püffe, Faustschläge und Fußtritte auf mich, und zwei meiner Gegner versuchten mir meine Werkzeuge zu entreißen. Der gute Rath der Bibel: seid langsam zum Zorn![1] ließ sich hier schlechterdings nicht buchstäblich befolgen. Wozu anders giebt der Schöpfer dem Menschen Leibesstärke, als um sich seines Lebens zu wehren? Und dann – da bekanntlich ein irischer Schädel nicht eher Vernunft annimmt, als bis man ihm mit dem Knüttel zuredet, so that ich vielleicht am Schlusse meines Tagewerkes noch eine extragute, menschenfreundliche Handlung, indem ich ihre Liebkosungen nicht unbeantwortet ließ. Kurz, mit dem Axtstiel in der einen, dem Sägebock in der andern Hand liebkoste ich sie, bis ich Meister des Schlachtfeldes blieb. Wie mir das Abendessen darauf geschmeckt hat, läßt sich nicht beschreiben.

Allein wenn ich in anderen Stadttheilen Holz sägte und hackte, wo man mich noch nicht näher kannte, wiederholten sich die Angriffe der irischen Monopolisten auf mich. Natürlich wiederholte sich auch deren Ausgang. Einmal kam die Polizei dazu und schritt ein; aber da ich der Einzige war, der ruhig stehen blieb, im Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, während meine Angreifer Fersengeld gaben, so wurde ich allein verhaftet und in das Sectionshaus eingesperrt, wo ich die Nacht zubringen mußte. Als ich den nächsten Morgen vor den Richter gestellt wurde, konnte ich natürlich keinen meiner Angreifer namhaft machen. Ich hatte also weiter keine Genugthuung, als die, daß die verkannte Unschuld am Ende doch immer gerechtfertigt wird und daß, was das Laster betrifft, auch in Amerika der Krug solange zu Wasser gehe, bis er zerbricht – was freilich mitunter etwas lange dauern kann. Mit löblicher deutscher Standhaftigkeit aber beschloß ich, als Holzhacker auszudauern, bis ich mir einen Wirkungskreis erobert hätte, und führte diesen Entschluß recht vorsätzlich in allen Stadttheilen aus, was mir täglich anderthalb Dollars, den Irländern aber, meinen Mitbewerbern, ungezählte Beulen und blaue Flecke eintrug.

Das Verdienst bleibt doch auf die Dauer nicht unbekannt und unbelohnt. Eines Tages trat ein feingekleideter Angloamerikaner auf mich zu und redete mich an: ‚Ich habe bemerkt, daß Sie ein starker, furchtloser und tapferer Mann sind. Einen solchen suche ich längst. Wollen Sie in meine Dienste treten? Ich brauche einen Usher (Portier, Thürsteher) und zahle vierzig Dollars den Monat bei freier Kost und Wohnung.‘

‚Mir recht,‘ antwortete ich, ‚vorausgesetzt, daß es ein anständiger Dienst und eines gebildeten Mannes würdig ist. Ich bin ein deutscher Studirter.‘

Er musterte jetzt erst meine Gesichtszüge genauer und, wie es schien, beifällig, reichte mir die Hand und führte mich in ein Speisehaus, wo wir zusammen Mittag machten. Er setzte mir dabei die Pflichten auseinander, welche ich bei ihm zu erfüllen haben würde, und versprach mir höheren Lohn und eine bessere Stellung, sobald ich Genüge leiste. Er war Inhaber einer Academy in einem benachbarten Land- und Fabrikstädtchen, in welcher sowohl Knaben als Mädchen – aber in getrennten Räumen – unterrichtet wurden. Als Usher hatte ich nicht blos Fremde anzumelden, ungebetene Gäste abzuweisen, Botengänge nach auswärts zu machen, sondern auch widerspenstige Jungen zurechtzuweisen – womöglich ohne körperliche Züchtigung, den Verkehr zwischen Jungen und Mädchen zu verhüten, überhaupt die ultima ratio des Directors zu bilden.

Eines Tages z. B. gerieth der Director in Streit mit einem Irländer, der für gelieferte Arbeit nicht hoch genug bezahlt zu sein glaubte. Da der Kerl einen pöbelhaften Lärm im Hause anstimmte, den Director vor seinen Schülern beschimpfte und mit Gewalt drohte, so bekam ich den Wink, ihn zur Thür hinauszuschaffen. Dies ging nun durchaus nicht friedlich ab; er schlug nach mir, und es blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn wie ein Wickelkind zwischen steif ausgestreckten Armen in die Höhe zu heben und jenseit der Grenzen des Grundstücks wieder niederzusetzen. Da ihm dabei die Rippen im Leibe ein klein wenig geknackt haben mochten, warf er nunmehr mit Steinen nach mir und den Fensterscheiben des Hauses, und ich konnte weiteres Unheil nur dadurch verhüten, daß ich ihn packte, unter die benachbarte Pumpe trug und dort solange einwässerte, bis er sich auf’s Bitten legte und mir Urfehde schwor. Ob er mir freilich späterhin für meine praktische Unterweisung in der Reinlichkeit und Sanftmuth Dank gewußt hat, daran erlaube ich mir zu zweifeln.

Ein anderes Mal mußte ich einem der größeren Schulknaben einen ähnlichen Dienst erweisen. Diese hatten alle den größten Respect vor mir, weil sie den Vorfall mit dem Sohne der grünen [472] Insel mit angesehen hatten. Es war an der gemeinsamen Mittagstafel, an welcher auch die Schülerinnen und Lehrerinnen theilnahmen; der Junge, ein überaus frecher Bengel von etwa fünfzehn Jahren, hatte ein ungenießbares Stück Beefsteak bekommen, welches er, zum Ergötzen der Schüler auf der Gabel hoch emporhielt, indem er dazu an dieselben eine aufrührerische Rede losließ, als ich, weil er auf alle Ermahnungen des Directors und der Lehrer zur Ruhe nicht stillschwieg, zur Execution herzugeholt wurde. Er entwickelte eine hinreißende Beredsamkeit. Er erinnerte seine Cameraden an alle die ledernen Roastbeefs, die halbverbrannten Muttonchops (Schöpsenfleisch-Schnitte), die verdächtig duftenden Stücken Suppenfleisch, die versalzenen Gemüse, die faulen Kartoffeln, an all’ das unausgebackene Brod und an den homöopathisch-verwässerten Kaffee, deren Verdauung man ihren unschuldigen, noch unverdorbenen Mägen zumuthe, und schloß jeden Satz mit dem Ausruf: ceterum censeo Carthaginem esse delendam! auf gut Englisch: solch’ Futter gehört den Schweinen! – Es war eine Scene zum Malen, nicht zum Beschreiben. Durch den tobenden und jubelnden Aufruhr von mehr als hundert Jungen und Mädchen hindurch, welche offenbar alle mehr oder weniger mit dem Redner sympathisirten, kreischten die Lehrerinnen, brüllten die Lehrer, ächzte der hülf- und rathlose Director, welcher vergebens zu Worte zu kommen suchte, während die Frau Directorin in Ohnmacht lag. Ich selbst mußte mir die Verwirrung eine Weile mit ansehen, ehe ich mir klar wurde, was hier zu thun sei. Wäre ich mit Gewalt eingeschritten, so hätte mir’s der Director am Ende selbst schlechten Dank gewußt, weil dadurch seine Anstalt zu Grunde gehen konnte. Ich bahnte mir also einen Weg bis gegenüber dem verwegnen Redner und sah ihn eine halbe Minute lang mit vernichtenden Blicken an. Das allein hatte schon genügt, Todtenstille herzustellen. Jetzt öffnete ich die Schleußen meiner Beredsamkeit. Es war das erste Mal, daß ich zusammenhängend Englisch zu reden versuchte; aber der große Moment verlieh mir, wie den Aposteln beim Pfingstfeste, Sprachengabe.

‚Was glaubst du wohl, mein Sohn,‘ rief ich mit einer dröhnenden Donnerstimme, vor welcher Alt und Jung erzitterte, ‚daß Plato in seiner Akademie gethan hätte, wenn ihm solch’ ein Bürschchen wie du die Zucht der Anstalt gestört hätte? (Lange Pause.) Oder was würden wohl die alten Lakedämonier gethan haben, wenn solch’ ein halbwüchsiger Junge laut erklärt hätte, daß die schwarze Suppe vor die Schweine gehöre? (Noch längere Pause.) Oder was für eine Strafe würde wohl der alte sittenstrenge Cato dem Römerjüngling verordnet haben, der seinem Schulmeister den Gehorsam aufgekündigt und seine Mitschüler zum Aufruhr gegen die Schulgesetze verleitet hätte? (Sehr lange Pause.) Die Antwort überlasse ich euch Allen selber. Jetzt aber verschwinde in weniger als keiner Zeit! Fort zur einsamen Haft auf dein Zimmer, bis dein Lehrer dich wieder herausläßt! Fort!‘

Das wirkte zauberhaft. Die Schüler hatten indeß alle schon wieder ihre Plätze eingenommen; der Sünder wankte lautlos der Thüre zu, und der Director hatte Sprache und Zuversicht wiedergewonnen. Ich selbst entfernte mich mit großen Schritten, um dem Director ausschließlich die Zügel der Ordnung zu überlassen, und wiederholte auf meinem Zimmer die gehaltene Rede leise mehrere Male, um mich zu vergewissern, daß ich auch mustergültiges Englisch gesprochen habe. Das mußte auch der Fall gewesen sein, da auch der Director es mir versicherte, welcher bald darauf zu mir kam. Er war mit mir so zufrieden, daß er mir eine Stellung als Lehrer der classischen Sprachen an seiner Anstalt bot bei doppeltem Ushergehalte.

Wer war froher als ich, einen passenden Wirkungskreis gefunden zu haben? Keine Stellung ist so sehr wie die eines Lehrers geeignet, rasch die Landessprache gründlich zu erlernen, keine auch giebt mehr Gelegenheit, vortheilhafte Bekanntschaften zu erwerben und mit der Wissenschaft im Zusammenhang zu bleiben. Aus diesen Gründen blieb ich an dieser Anstalt mehrere Jahre, während deren ich nur Kenntnisse und Geld genug einsammelte, die ich später gut verwerthen konnte. Ich brauche aus diesem Abschnitte meiner Lebensgeschichte blos noch das Eine zu erwähnen daß ich fleißig, theils aus Büchern, theils bei sachverständigen Lehrern Physik und Chemie studirte und deshalb den Unterricht in diesen Wissenschaften an der Anstalt überkam. Auch die Mädchen mußten daran theilnehmen. Es waren das halb- und ganz erwachsene hübsche Dinger von dreizehn bis siebzehn Jahren, von denen aber keine einen lebhafteren Antheil an diesem Unterrichte nahm. Wenn ich ihnen Quecksilber auf einen Teller ausgoß und die Kügelchen hin- und herrollen ließ, um ihnen die Natur des Metalles durch eigene Anschauung kennen zu lehren, da riefen sie wohl: ‚ach, wie hübsch! – gerade wie ein Haschemannsspiel!‘ – Wenn ich ihnen die Natronflamme und ihr Spectrum mittels verbrennenden Kochsalzes zeigte, da meinte Jenny, solch’ eine Farbe liebe sie für ihren Strohhut, und Lisbeth hätte lieber ein seidenes Kleid von dieser Couleur gehabt. Wenn ich Kaliumkügelchen auf Wasser warf und sie tanzten darauf unter Selbstentzündung, so meinte Ellen: es gehe ihr beim Tanzen ebenso, sie würde warm, besonders wenn der Tänzer ein hübscher Junge wäre; aber bis zum Feuerfangen hätte sie’s doch noch nicht gebracht. Wenn ich dann wiederholte und das Atomgewicht des Quecksilbers und seine verschiedenen Mischungsverhältnisse wissen wollte, oder die Zusammensetzung des Kochsalzes, oder die häufigst vorkommenden Kalium-Verbindungen, da fing bald die Eine, bald die Andere verstohlen an zu gähnen, oder zum Fenster hinauszusehen, oder sonst Allotria zu treiben, und Juliet, eine überreife starke Brünette, rief einmal ganz naiv aus: ‚Aber, Herr Professor, warum fragen Sie uns das Alles? Sie wissen das ja doch selber viel besser als wir unwissenden Dinger.‘ Und sie sagte es obendrein in einem so gutmüthig neckischen Tone, daß man ihr nicht gram werden und sie strafen konnte. Nun können Sie denken, wieviel diese Mädchen ungefähr Fortschritte in der edlen Naturwissenschaft gemacht haben mögen. Nur Eine war darunter – eine echte Yankeein, nicht schön, aber fesselnd durch sittiges und sinniges Wesen und ein seelenvolles, gescheidtes Auge – die paßte auf, als wenn die ewige Seligkeit davon abhinge. Die lernte wunderbar. Sie war auch ausgezeichnet im Lateinischen und Griechischen, in Geschichte und Geographie, kurz in Allem, was ich zu lehren hatte. Die Eine war schuld, daß ich mich als Lehrer dieser Mädchenclasse ganz außerordentlich anstrengte und wirklich Ansehnliches leistete, so daß der Director meinem Gehalte fort und fort zulegte, wenn ich nur die entfernte Möglichkeit meines Weggehens durchblicken ließ. Larifari! Ich wäre von ihm nie weggegangen, solange Harriet dablieb. Und – merkwürdig – auch Harriet schien gar nicht an’s Abgehen denken zu wollen, obschon ihre akademische Laufbahn beendet war und sie den obersten Cursus unnöthigerweise ein zweites Mal mit durchmachte.

Das öffnete mir die bis dahin blöden Augen, und ich faßte mir ein Herz und redete die Augensprache mit ihr. Und als sie auch darin so sehr als Meisterin sich erwies, daß ich zuletzt immer verstummen, d. h. meine Augen vor den ihrigen niederschlagen mußte, wenn diese in vollem Glanze auf mir ruhten, da ging mir die jubelnde Gewißheit auf, daß dies eine Lebensgefährtin für mich werden könnte und müßte – und heute ist sie’s; sie ist es geworden nach jahrelanger Trennung und seltsamen Schicksalen beiderseits. Sie ist ihrem damals mir gegebenen Gelübde treugeblieben trotz der heftigen Widerrede ihres Vaters, der in mir zugleich den Fremdgebornen, den Unkirchlichen, den Revolutionär und den Sclavereifeind haßte. Sie ist mein treues Weib geworden, trotzdem daß ihr Vater sie enterbte und mein damaliges Loos nichts weniger als glänzend war. Denn meine Farmerlaufbahn im nördlichen Missouri war besonders während des Unionskriegs eine höchst dornenvolle. Bald nach dem Anfange dieses Krieges verbrannten mir meine Rebellennachbarn Haus und Hof über dem Kopfe, eben als ich soweit eingerichtet war, daß ich meine Braut heimführen zu können glaubte. Ich baute mir sofort eine neue Blockhütte, als ich von dem gegen die Buschklepper unternommenen Rachezuge siegreich zurückgekehrt war, und fragte dann brieflich bei ihr an, ob sie nicht lieber mit dem Kommen warten wollte, bis ich besser eingerichtet, und die Zeiten ruhiger geworden wären. Sie kam statt aller Antwort selber, um meine Gefahren und schweren Arbeiten beim Wiedereinrichten meiner ganz verwüsteten Farm zu theilen. ‚Wenn Du,‘ sagte sie zu mir, ‚für unser gemeinsames Vaterland kämpfst und duldest, so steht es mir, einer Eingebornen, schlecht an, hinter Dir zurückzubleiben.‘ Dann diente ich drei Jahre in der Miliz und konnte in dieser ganzen Zeit nur drei oder vier Male auf Urlaub bei ihr sein. Indessen verwaltete sie meine Farm mit Hülfe zweier flüchtiggewordener Negersclaven, ja, sie bewährte bei mehreren Lebensgefahren, wie die steten Glückwechsel dieses Hinterwaldkrieges sie mit sich brachten, eine wunderbare Geistesgegenwart und Entschlossenheit. Einst [473] wurde sie, als sie mit ihrem Säugling mutterseelenallein auf der Farm war, von einer kleinen Buschklepperbande überfallen, die von meiner Abwesenheit vom Hause Wind haben mochten. Da sie wußte, wie sehr mein Name bei allem Gesindel der Umgegend gefürchtet war, so rief sie mit vollkommenster Zuversichtlichkeit rasch und laut in’s Haus hinein: ‚Captain Werner, komm, rasch mit Deiner Büchse, es sind Buschklepper da!‘ – Und das kühne Stückchen gelang – die Burschen verschwanden wie Spreu vor dem Winde.“

Hier wurde der Erzähler von allgemeinem Beifall unterbrochen, und Einer knüpfte an die Aussprache seiner vollen Bewunderung für eine solche Hausfrau die schelmische Frage: „Was hat es denn nun aber dem guten Weibchen genutzt, daß sie Physik und Chemie so eifrig studirt hat?“

„Ei,“ versetzte der glückliche Gatte mit vieler Wärme, „kochen hat sie gelernt, wie keine andere Angloamerikanerin. Die Chemie der Küche und die Physik der Wirthschaft hat sie anwenden gelernt. Und von der Gährungschemie versteht sie soviel wie ich, so daß ich meine ausgedehnten Weinkeller wochenlang unter ihrer alleinigen Obhut lassen kann. Und dann ist es in der Wildniß des fernen Westens ein unschätzbarer Gewinn, an seiner Seite ein treues Weib zu haben, das alle unsere Gedanken versteht und würdigt, mit dem wir jede Regung des Geistes austauschen können und das ein Verständniß für unser ganzes Innere hat.“

Der Erzähler wurde beglückwünscht und beklatscht, und ein Anderer hatte die Unterhaltung fortzusetzen.



  1. WS: Jak. 1,19