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Der Kampf gegen den „Schwammspinner“ in Massachusetts

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Textdaten
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Autor: Professor Dr. Pabst
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Titel: Der Kampf gegen den „Schwammspinner“ in Massachusetts
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 462–463
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Kampf gegen den „Schwammspinner“ in Massachusetts.

Von Professor Dr. Pabst.

Der sogenannte Schwammspinner oder Großkopf, Ocneria dispar L., dessen Raupe, ähnlich der von Liparis monacha L. (Nonne), in fast allen Teilen Europas zuweilen als Waldverderber und Feind der Obstkulturen auftritt, war bis zum Jahre 1869 in der Fauna der Vereinigten Staaten Nordamerikas nicht vertreten. Im Jahre 1870 aber berichtete Professor Riley, damals Staats-Entomolog von Missouri, daß im Sommer 1869 die Raupen dieses Falters von einem Entomologen in Massachusetts aus europäischen Eiern gezogen worden seien, und daß dieser dadurch unabsichtlich die Verbreitung des schädlichen Tieres in der Umgebung seines ländlichen Wohnsitzes, bei Medford, in der Nähe von Boston, veranlaßt habe. Bei der Zucht dieser ausländischen Raupen waren nämlich mehrere derselben aus dem mangelhaft verschlossenen Kasten, der am offenen Fenster stand, entwichen und hatten im Freien, außerhalb des Hauses, sehr schnell ihnen zusagende Nahrung gefunden. Obschon Riley den Namen jenes Züchters damals noch nicht erwähnte, war er ihm doch sicher bekannt; erst 20 Jahre später bezeichnete er einen Herrn Trouvelot als den unglücklichen Urheber der großen Kalamität.

Im Laufe der ersten zehn Jahre nach dem Entweichen der Raupen Trouvelots war der Schwammspinner nur vereinzelt in der Umgebung von Medsord und Malden bemerkt worden, und niemand außer Trouvelot hatte darauf geachtet; erst im Jahre 1880 machten sich die Großkopsraupen unangenehm bemerkbar durch den Schaden, welchen sie in Gärten und Baumpflanzungen anrichteten.

Der amerikanische Volksmund bezeichnete den Fremdling mit dem Namen „gypsy moth“, d. h. Zigeunermotte. Bestimmend für diese Benennung mag wohl das unstete nächtliche Herumflattern des Männchens gewesen sein, das braun von Farbe und kleiner als das weißlich gefärbte Weibchen ist. Unsere Bezeichnung Schwammspinner ist dagegen auf die Eihaufen des Weibchens zurückzuführen; denn diese sind mit einem vom mütterlichen Körper herrührenden wolligen Ueberzuge versehen und auf den ersten Blick dem Feuerschwamm ähnlich. Man konnte sich in Medford das plötzlich so massenhafte Auftreten des vorher fast unbekannten Schädlings nicht erklären; doch wenn man die Verhältnisse näher ins Auge faßt, so begreift man leicht, weshalb erst eine Reihe von Jahren verstreichen mußte, bis der Eindringling in der neuen Heimat festen Fuß fassen und sein ihm angeborenes, überraschend starkes Vermehrungsvermögen zur Geltung bringen konnte. Die Eier, aus welchen Trouvelot die Raupen des Großkopfes gezogen hatte, stammten nämlich aus dem südlichen Frankreich, und deshalb mußten die aus vererbter Neigung sehr frühzeitig ausschlüpfenden Räupchen im Freien in der Mehrzahl zu Grunde gehen, da in Nordamerika, ähnlich wie in Norddeutschland, auf eine sehr warme Frühlingsperiode nicht selten kaltes, stürmisches Wetter folgt. Erst allmählich paßten sich die wenigen überlebenden, mehr und mehr abgehärteten Individuen dem rauheren Klima an, bis von den weiter folgenden Generationen eine vollständige Acclimatisation erreicht war.

Im Jahre 1880 traten die Raupen zum erstenmal massenhaft auf; sie entlaubten die Bäume der Myrtle Street in Medford sowie die südlich von Medford der Eisenbahn entlang sich hinziehende Waldung, und schon im nächsten Jahre hatte der Schädling auch die nördliche Seite vollkommen in Beschlag genommen. In Medford selbst suchte man zunächst durch einen erbitterten Vertilgungskampf den Feind auf kleine Gebiete zu beschränken, aber da in den benachbarten Wäldern hierfür nichts geschah, wuchs die Raupenplage in der ganzen Umgegend von Jahr zu Jahr. Im Sommer 1889 standen sämtliche Bäume in Medford kahl, und da es den Raupen schließlich an Futter gebrach, wanderten sie in langen, breiten Zügen durch die Straßen, fraßen jedes grüne Blatt auf ihrem Wege und drangen sogar massenhaft in die menschlichen Wohnungen, Stuben, Keller, Bodenräume ein, um Nahrung zu suchen. Man stand ihnen machtlos gegenüber. Je mehr man vertilgte, [463] um so größere Scharen strömten herbei. Die auf den Straßen und Fußsteigen myriadenweis zertretenen Raupen machten dieselben glatt, glänzend und schlüpfrig. Beständig fielen große, erwachsene Tiere von den Straßenbäumen auf die Passanten herab. Auf manchen Straßen mußten die Damen das Ungeziefer von sich abschütteln und vermochten nicht ihre Kleider vor Beschmutzung zu schützen.

Schwammspinner.
(Männchen.)

Der Schaden, welchen die Raupen anrichteten, war sehr beträchtlich, denn wenn sie die Bäume sämtlicher Blätter beraubt hatten, überfielen sie die Blumen- und Gemüsebeete, weideten sie ab und verzehrten alle Arten von Früchten, Beeren in den Gärten und auf den benachbarten Feldern. Das einzige, was sie verschonten, war die Roßkastanie. Tausende von Obst- und anderen Laubbäumen starben nach zwei- bis dreijähriger Heimsuchung vollkommen ab oder mußten wegen ihres kläglichen Aussehens niedergeschlagen werden. Während die Haus- und Grundstücksbesitzer alle möglichen Anstrengungen machten, die lästige Brut auf jede nur denkbare Art zu beseitigen, blieben viele Bewohner des heimgesuchten Platzes gleichgültig und interesselos, da sie nur zur Miete wohnten und somit kein Eigentum zu schützen hatten. So wurden die Gärten und Straßen, wo die Raupen ungestört hausen konnten, zu Brutstätten von immer neuen Generationen des Schwammspinners, welche die Zahl der vernichteten Feinde tausendfach ersetzten und dem beschränkten Vertilgungskampf Hohn sprachen.

Im Jahre 1889 hatte die Raupenplage in ganz Medford und Umgegend so bedenkliche Ausdehnung angenommen, daß vom Gemeinderat große Summen bewilligt werden mußten für die offizielle Vernichtung des das allgemeine Wohl bedrohenden Feindes. Professor Fernald, der Staatsentomolog, wurde zu Rate gezogen, und auf dessen Betrieb erschien bereits am 4. März 1890 von seiten des Staates eine Verordnung, welche die strengsten Verhaltungsmaßregeln in Bezug auf die Bekämpfung des Schädlings vorschrieb, und eine besoldete Landeskommission wurde beauftragt, die Einhaltung dieser gesetzlichen Vorschriften rücksichtslos zu überwachen. Diese Kommission, welcher eine Summe von 25000 Dollars überwiesen wurde, begann ihre Arbeit mit einer genauen Besichtigung des gefährdeten Distrikts, wobei sich herausstellte, daß bereits ein Umkreis von 50 engl. Quadratmeilen Landes von dem Schwammspinner besetzt war. Die anfangs bewilligte Summe erschien viel zu gering, und die Kommission erhielt sofort noch weitere 25000 Dollars, um die Gefahr gründlich zu beseitigen. Gegen hundert Beamte waren von früh bis abends ausschließlich damit beschäftigt, durch bezahlte Arbeiter den Schädling in allen Stadien der Entwicklung töten zu lassen. Im Monat April wurden die überwinterten Eier in unglaublichen Massen zusammengetragen, aufgehäuft und verbrannt. Anfang Mai bis Mitte Juli bespritzte man das Laub und die Stämme der von den Raupen heimgesuchten Bäume mit Pariser Grün, und 15 Gespanne dienten zur Beförderung der hierzu nötigen Apparate. Polizisten beaufsichtigten während des ganzen Tages die Landstraße von Medford nach Malden und untersuchten jedes diese Straße passierende Fahrzeug, um die anhaftenden Raupen abzulesen und so die Verschleppung nach anderen Distrikten zu verhindern.

Puppe und Raupe des Schwammspinners.

In der von den Raupen ganz besonders heimgesuchten, südlich und nördlich von der Eisenbahn bei Medford gelegenen Landschaft wurden gegen 20 Acker Hoch- und Buschwald rasiert und durch Feuer dem Boden gleichgemacht; auch an anderen Stellen fällte man Hunderte von Bäumen, die dem Absterben bereits nahe und dicht mit Eierklumpen des Schwammspinners überzogen waren.

Im Frühling 1891 wurde die Arbeit mit erneuter Kraft aufgenommen; neue Geldmittel wurden bewilligt, ein neues strengeres Staatsgesetz erlassen. Die bereits erwähnten Mittel wurden von neuem angewandt. Außerdem umband man zur Verpuppungszeit mehr als 68 000 Baumstämme mit locker anliegenden Leinwandlappen, unter welchen dann unzählige Puppen hafteten, die bequem abgenommen werden konnten. Professor Fernald hatte sein Augenmerk besonders auf die Parasiten gerichtet, welche die Raupen des Schwammspinners vernichten. Es sind dies Schlupfwespen und Raupenfliegen. Auf sein Anraten wurden von besonders dafür ausgebildeten Leuten die von Schmarotzern augenscheinlich bewohnten Puppen gesammelt und vor Vernichtung bewahrt. Die aus ihnen entschlüpften Parasiten unterstützten dann den Menschen wesentlich in seinem Vernichtungskampf. Es konnten jedoch nicht alle verseuchten Bezirke behandelt werden. Die Kommission verlangte demnach für das Jahr 1892 neue 75000 Dollars, welche auch am ersten März vom Staate bewilligt wurden. Doch während der ersten Monate des neuen Jahres war wegen erschöpfter Kasse und wegen der Ungewißheit, ob man auch wieder die entsprechenden Geldmittel gewähren würde, nicht viel geschehen in Bezug auf Vertilgung überwinterter Eier des Schwammspinners. So machte man leider die Entdeckung, daß sich die Grenzen des Verbreitungsgebietes an anderen, nicht ernstlich ins Auge gefaßten Stellen immer bedenklicher erweiterten.

Schwammspinner
(Weibchen.)

Im Jahre 1893, für welches 100 000 Dollars bewilligt wurden, hatte sich der Schwammspinner bereits über mehr als 220 engl. Quadratmeilen Landes verbreitet. Man konnte bei den bis zum 1. Januar 1894 verbrauchten 245 255 Dollars nicht stehen bleiben und entschloß sich nochmals 150 000 Dollars der Kommission zu überweisen. Aber auch diesmal wurden die Gelder zu spät im Jahre bewilligt.

In einer geradezu unheimlichen Weise trat der Schädling bei Lexington, Woburn, Medford und andern Orten auf, wo ausgedehnte, ganz entlaubte Waldstrecken mitten im Sommer ein winterliches Aussehen hatten und von den sie umgebenden, im grünen Laubschmuck prangenden Waldungen trostlos abstachen. Im Jahre 1895 mußte man wieder 170 000 Dollars, im Jahre 1896 140 000 Dollars für den Feldzug gegen den Schwammspinner verwenden. Für das Jahr 1897 verlangte der Vernichtungsausschuß (Committee on the gypsy moth) weitere 200 000 Dollars, und wenn auch diese Summe nicht vollständig vom Staate bewilligt wurde, so reichten die Mittel doch aus, das Vernichtungswerk sehr energisch und mit Erfolg fortzusetzen. Ende vorigen Jahres teilte mir Herr Forbush, der Direktor dieses Ausschusses und Vorstand der Landwirtschaftlichen Ministerialabteilung von Massachusetts, brieflich mit, daß man sehr günstige Resultate erzielt habe, die zu den besten Aussichten berechtigten. – Hoffentlich erfahren wir demnächst, daß der Krieg gegen den Schwammspinner in Amerika durch die völlige Vernichtung des Feindes sein Ende erreicht hat.