Der Kampf in Dresden im Mai 1849

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Autor: Friedrich von Waldersee
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Titel: Der Kampf in Dresden im Mai 1849
Untertitel: Mit besonderer Rücksicht auf die Mitwirkung der preußischen Truppen geschildert und militairisch beleuchtet
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Erscheinungsdatum: 1849
Verlag: E. S. Mittler und Sohn
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Erscheinungsort: Berlin
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[I]
Der
Kampf in Dresden
im Mai 1849.
Mit besonderer Rücksicht
auf
die Mitwirkung der Preußischen Truppen
geschildert
und militairisch beleuchtet
durch
den Königlich Preußischen Obersten
Graf v. Waldersee,
Kommandeur des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments,
Befehlshaber der Preußischen Hülfstruppen in Dresden.

Mit einem Plane.

Berlin, 1849.
Druck und Verlag von E. S. Mittler und Sohn.
Zimmerstraße 84. 85.

[III]
Vorwort.

Bald nach der Rückkunft aus Dresden wurde der Verfasser von verschiedenen Seiten her aufgefordert, über den Häuserkampf daselbst, der in seiner Eigenthümlichkeit bis dahin ziemlich vereinzelt in der Preußischen Kriegsgeschichte da stand, Einiges zu veröffentlichen.

Diesen Aufforderungen entsprach der eigene Wunsch: die Leistungen der tapferen Truppen-Abtheilungen, welche in jenen denkwürdigen, für die Geschicke Deutschlands so wichtigen Tagen ihm untergeben gewesen waren, zur allgemeinen Anerkennung zu bringen.

Leider haben dienstliche Abhaltungen die Abfassung, einige andere Umstände den Druck dieser Zusammenstellung verzögert, so daß sie einen Theil ihres Interesses: das der Neuheit, verloren haben dürfte.


Die Quellen der Schrift sind:

die eigene Anschauung;
die dienstlichen Meldungen und Berichte der dem Verfasser untergeben gewesenen Abtheilungen;
ein ihm durch das Königlich Sächsische Ober-Kommando gefälligst mitgetheilter General-Bericht;

[IV]

verschiedene mündliche und schriftliche Mittheilungen von Offizieren der Königlich Sächsischen Truppen, so wie von andern Augenzeugen;
endlich einige bald nach den Ereignissen herausgekommene Broschüren, so weit dieselben glaubwürdig erschienen.

Was die Königlich Sächsischen Truppen betrifft, so bedauert der Verfasser, daß ihm nicht alle Special-Berichte derselben zugänglich gewesen sind, indem hierdurch viele einzelne Züge von Heldenmuth und viele Details über umsichtige Benutzung der Lokalitäten noch so lange dem größeren Publikum entzogen bleiben, bis eine Veröffentlichung durch eine Feder erfolgt, welcher jene Quellen offen stehen.


Die eingeflochtenen Betrachtungen und Beleuchtungen mögen für sich selbst sprechen. Sie sind noch unter dem frischen Eindrucke der Ereignisse niedergeschrieben. Der Verfasser ließ sie deshalb selbst auf die Gefahr hin stehen, daß die Kritik gelehrter Kriegskünstler an dem Urtheile eines alten Praktikers Manches auszusetzen finden dürfte.


Als Schluß mögen hier die Worte eines vor den in kameradschaftlicher Einigkeit versammelten Sächsischen und Preußischen Offizierkorps ausgebrachten Trinkspruchs wiederholt werden:

Möge Feder und Dinte nicht wieder trennen, was Schwert und Blut verbunden!


[V]
Inhalt.
Seite
§. 1. Veranlassung des Kampfes 1
§. 2. Die beiderseitigen Streitkräfte 5
§. 3. Die obere Leitung des Kampfes auf beiden Seiten 14
§. 4. Der Schauplatz des Kampfes 21
§. 5. Die nächsten Vorboten der Empörung, vom 28sten April bis 2ten Mai 33
§. 6. Der erste blutige Zusammenstoß, Donnerstag den 3. Mai 49
§. 7. Der offene Bruch und die Vorbereitungen zum Kampfe, Freitag den 4. Mai 66
§. 8. Die beiderseitigen Dispositionen zum Kampfe 78
§. 9. Der erste Gefechts-Tag, Sonnabend den 5. Mai 111
§. 10. Die Eisenbahnfahrt der Preußischen Hülfstruppen 131
§. 11. Der zweite Gefechts-Tag, Sonntag den 6. Mai 146
§. 12. Der dritte Gefechts-Tag, Montag den 7. Mai 160
§. 13. Schilderung der Eigenthümlichkeiten des Kampfes und Beleuchtung der Gefechts-Methode 181
§. 14. Der vierte Gefechts-Tag, Dienstag den 8. Mai 198
§. 15. Die Beendigung des Kampfes, Mittwoch den 9. Mai 205
§. 16. Folgen des Kampfes, im Allgemeinen, wie insbesondere in Bezug auf die dabei betheiligten Preußischen Truppen 219

[VII]
Der
Kampf in Dresden
im Mai 1849.

[1]
§. 1. Veranlassung des Kampfes.

Die republikanische Parthei in Deutschland, eng verbunden mit allen Gesinnungsgenossen in ganz Europa, hatte das Frühjahr 1849 zu einer neuen Schild-Erhebung ausersehen. Während in Paris die rothe Republik jeden Augenblick den blutigen Sieg davon tragen zu können schien, während Rom und Venedig den französischen und österreichischen Waffen noch unzugänglich waren, während die siegreichen Magyaren fast vor den Thoren Wiens standen und während ein deutsches Reichsheer an der Gränze Jütlands beschäftigt war, sollte die Frage wegen der von der Frankfurter National-Versammlung in hastiger Eile, und ohne Vereinbarung mit den Regierungen „endgültig“ beschlossenen Reichsverfassung und die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone von Seiten Preußens, das Mittel zur Aufregung der unterwühlten Massen, den Vorwand zur Erhebung des: „souverainen“ Volks darbieten.

In Süd-Deutschland glaubte die genannte Parthei ihrer Sache gewiß zu sein, denn daß Würtemberg nicht auch dem Beispiele Badens und der Rheinpfalz folgte, war damals kaum zu erwarten. – Am Rhein und in Westphalen trat die Unzufriedenheit immer offener hervor, dort in der Abneigung gegen preußisches Beamten-Wesen, hier in kommunistischen Ideen neue Nahrung für deutsche Einheits-Schwärmereien findend. – In Posen [2] gährte es von neuem, trotz der von Osten her drohend sich heranwälzenden Heeresmacht Rußlands. – In Breslau war, wie auch die Folge lehrte, Alles zum Aufstande vorbereitet, für den man dort auch von Seiten des durch Vorspiegelungen aller Art aufgehetzten Landvolkes kräftige Unterstützung hoffte. – Ob die in Berlin an den Jahrestagen der März-Revolution und Ende April nach der Auflösung der Kammern stattfindenden Aufläufe, welche durch Aufstellung gefechtsbereiter Truppenmassen und durch wenige Schüsse unterdrückt wurden, wirklich ernst gemeint, oder nur Versuche, wie weit hier Erfolge zu erlangen, oder endlich nichts als Demonstrationen waren, um die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zu ziehen und die hier zur Aufrechthaltung des Belagerungszustandes concentrirten Streitkräfte in Schach zu halten? – dies dürften erst spätere Enthüllungen aufklären.

Jedenfalls hatte die republikanische Parthei unter allen diesen begünstigenden Umständen rings umher, Sachsen und insbesondere Dresden zum Haupt-Schauplatz des Ausbruchs, zum revolutionairen Centralpunkt für Nord-Deutschland, vielleicht zum Regierungs-Sitz der neuen deutschen Republik ausersehen.

Wie der Zeitpunkt, so war auch der Schauplatz nicht übel für diese Zwecke gewählt.

Seitdem in Nachahmung der Juli-Revolution Sachsen ein konstitutioneller Staat geworden war, hatte die Regierung sich fast unausgesetzt bestrebt, der angeblich in der Presse und in den Kammern sich aussprechenden öffentlichen Meinung nachzugeben, nach neuerem Kunstausdrucke: „Rechnung zu tragen“.

Diese Nachgiebigkeit trefflich und systematisch ausbeutend, hatte die Umsturz-Parthei mit jedem Jahre mehr Terrain gewonnen. Mit jedem Jahre wurden die Institutionen: „freisinniger“, mit jedem Jahre die Kraft [3] der Regierung schwächer, mit jedem Jahre die Sprache der Parthei des „Fortschritts“ kühner und rücksichtsloser, ihr Einfluß immer größer, bis endlich zu Ende des verhängnißvollen Jahres 1848 die über das ganze Land verbreiteten Vaterlands-Vereine, unter planvoller Leitung gemeinschaftlich wirkend, in Wort und Schrift mit ihren republikanischen Tendenzen dreist hervortretend, in den Kammern und selbst in der obern Staats-Verwaltung herrschten, in den Kommunalgarden und den bewaffneten Turnerkorps sich organisirte Streitkräfte bildeten, selbst im Heere Sympathien zu erwecken suchten und, wenn man der Krieger-Zeitung hätte glauben dürfen, sie auch zu finden schienen. Die ländlichen wie die Fabrik-Arbeiter, die Gesellen wie die Dienstboten waren gegen ihre Brotherren, die Bürger gegen ihre Obrigkeiten, die Besitzlosen gegen die Besitzenden, die Geringeren gegen die Höhergestellten, Alle gegen die Regierung aufgehetzt. Von der Presse und den Vereinen gedrängt nahm die Regierung die von der Frankfurter National-Versammlung erlassenen Grundrechte des deutschen Volkes an und gab sich dadurch fast die letzten Mittel, die Zügel mit einiger Energie zu führen, aus der Hand.

Wider alles Erwarten gelang es, trotz der Anfeindungen der Kammern, der Presse und der Vereine, im Laufe des Winters ein neues Ministerium zu bilden, in welchem anfangs die konservativen Elemente zwar noch in der Minorität waren, denen es aber durch ihre Energie weiterhin gelang, diese Minorität zur Majorität umzuwandeln und welche endlich am letzten Tage des April es wagte, die, offen gegen die Regierung, wie gegen das monarchische Princip überhaupt auftretenden, Kammern aufzulösen.

Die Aufregung in Dresden, wie in ganz Sachsen, wuchs von diesem Augenblicke an stündlich. Deputationen, nicht allein des Stadtraths, der Stadtverordneten und [4] der Bürgerwehr Dresdens, sondern auch aus allen Theilen des Landes, forderten, nach vorangegangenen stürmischen Zusammenkünften, Berathungen und öffentlichen Demonstrationen, in drohend abgefaßten Adressen vom Ministerium und vom Könige die Anerkennung der deutschen Reichsverfassung, – einer Verfassung, welche erst kurz vorher wegen des darin festgesetzten Erb-Kaiserthums von der nämlichen Parthei verhöhnt worden war, und von der jetzt unverholen ausgesprochen wurde, daß man sie nur als bequeme und sichere Uebergangsstufe zur Republik erstrebt habe. Ueberall traten die demokratischen Vereine, die Bürgerwehren und Freikorps, wie nicht weniger Zusammenrottungen des Proletariats in drohender Haltung zusammen. Polen und andere fremde Sturmvögel der Empörung, Veteranen der Barrikaden, begannen sich zu zeigen; bewaffnete Zuzüge aus den Provinzialstädten nach Dresden wurden beschlossen und theilweise schon ins Werk gesetzt. Selbst der Beamten- und Richterstand, wie das Polizei-, Post- und Eisenbahn-Personal, huldigte entweder offen den demokratischen Ansichten, oder schwärmte für die deutsche Einheit, ohne sich klar der Mittel ihrer Verwirklichung bewußt zu sein, oder war terrorisirt, oder hoffte endlich von schwacher Nachgiebigkeit der Regierung die Abwendung des heranziehenden Sturmes.

So stand der König mit seinen drei Ministern: Dr. Zschinsky, v. Beust und Rabenhorst, fast allein, diesem Sturme die Stirn zu bieten, nur auf die Treue der an Zahl schwachen Armee bauend. Die Geschichte wird zweifelhaft sein, wem sie in dieser entscheidenden Stunde eine höhere Bewunderung zu zollen hat, ob den drei Männern, welche fest und klar, besonnen und unbeirrt von dem tobenden Geschrei des großen Haufens, wie von dem scheuen Bedenken der Mehrzahl der Gebildeten, ihre Existenz und unzweifelhaft auch ihr Leben [5] auf das Spiel setzten, sobald der Aufruhr siegte, – oder einem Monarchen, der seine ganze Regierungszeit hindurch, nach dem Vorbilde seiner Vorgänger, nur nach der Liebe seines Volkes gestrebt hatte, der sehr wohl erkannte, daß seine Weigerung zum Bürgerkriege führen mußte, auf den von vielen, selbst den wohlmeinendsten Seiten her drei lange Tage hindurch eingestürmt wurde, dem Blutvergießen durch Eingehen in die: „Wünsche des Volkes“ vorzubeugen, – und der dennoch an der eigenen Ueberzeugung und der seiner erkornen Rathgeber fest hielt: daß der Augenblick gekommen sei, wo jede fernere Concession nur der erste Schritt auf dem unwiederbringlich zum Umsturz des Thrones und der gesellschaftlichen Ordnung hinabführenden Wege sein würde.

Die hiernach am 3ten Mai bekannt gemachte Erklärung des Ministeriums, daß der König und die Regierung die Frankfurter Reichsverfassung nicht annehmen könne, ward von der revolutionären Parthei begierig als Kriegs-Erklärung, als Signal zum Kampfe ergriffen. Das politische Vorspiel schloß damit ab, der Vorhang des kriegerischen Trauerspiels: des Bürgerkrieges, rollte auf.

Ehe zur einleitenden Schilderung desselben übergegangen werden kann, sind noch die Haupt-Elemente desselben: die beiderseitigen Streitkräfte, die obere Leitung derselben und der Kriegs-Schauplatz, etwas näher ins Auge zu fassen.

§. 2. Die beiderseitigen Streitkräfte.

Die Hälfte der Sächsischen Truppen, selbst wenn man nur nach Abtheilungen rechnen will, befand sich zur Zeit des Ausbruchs der Empörung bei der Reichs-Armee in Schleswig; der Zahl und dem militairischen Gehalte nach, war es sogar über die Hälfte; denn während jene mobile Division mit 6000 Kombattanten ausgerückt war, [6] waren deren kaum 5000 in der Heimath zurückgeblieben, und während die ausgerückten Truppentheile durch Aushülfe von den zurückbleibenden auf den höheren Kriegsfuß gesetzt worden waren, hatten letztere dafür zum Theil Rekruten und Remonten erhalten.

Die sämmtlichen im Lande befindlichen Truppen bestanden:

1) in Dresden selbst, aus:
1100 Mann Infanterie (das 1ste Linien-Infanterie-Regiment Prinz Albert),
450 Mann Kavallerie (das Depot des Garde-Reiter-Regiments und das 1ste leichte Reiter-Regiment),
300 Mann Artillerie (der nicht mobile Theil des Fuß-Artillerie-Regiments) mit 6 Geschützen,
30 Mann Pontonniere,
  Summa 1880 Mann mit 6 Geschützen;
2) im übrigen Lande aus:
2000 Mann Infanterie (das Leib-Infanterie-Regiment in Chemnitz, Penig und Schneeberg, und 1½ Bataillone leichter Infanterie in Leipzig),
500 Mann Kavallerie (das 2te leichte Reiter-Regiment in Grimma, Borna und Rochlitz),
100 Mann Artillerie (die reitende Artillerie in Radeberg) mit 6 Geschützen.
Summa 2600 Mann mit 6 Geschützen,
Summa summarum 4480 Mann mit 12 Geschützen.

Wird hiervon die Reiterei, als beim eigentlichen Gefecht innerhalb Dresdens nicht in Betracht kommend, und die Zahl der Kommando’s in Königstein, Waldheim und Zwickau abgerechnet, so sind an Sächsischen [7] Truppen, selbst in den Tagen, wo sie sämmtlich in Dresden vereinigt waren, wenig mehr als 3000 Kombattanten verfügbar gewesen.

Im Publikum des In- und Auslandes war durch die demokratische Parthei geflissentlich die Meinung verbreitet worden, als stimme ein großer Theil der Truppen mit jener Parthei überein. An Bearbeitungen durch Wort und Schrift, in Vereinen und Versammlungen, hatte es nicht gefehlt, so daß ein Zweifel an die unbedingte Zuverlässigkeit der Mannschaften bei einer Verwendung gegen das Volk nicht ganz unbegründet schien. Die Erfahrung hob diesen Zweifel jedoch auf das glänzendste und bewies von neuem, daß wohlorganisirte Truppen, tüchtig geführt und umsichtig geleitet, stets Das leisten werden, was man von ihnen fordert.

Bei allem Vertrauen in diese Truppen erschien indessen ihre Zahl offenbar zu schwach, von dem Augenblicke an, wo mit ziemlicher Gewißheit die Aussicht hervortrat, es mit einer aufrührerischen Stadt von 80000 Einwohnern, mit einem großentheils insurgirten Lande und mit zahlreichen bewaffneten, dem Rufe nach zum Aeußersten entschlossenen, fremden Banden zu thun zu bekommen. Die Sächsische Regierung beantragte daher die Unterstützung durch Preußische Truppen und wurde ihr diese Hülfe auch bereitwilligst zugesagt.

Es konnte diese Hülfe vornämlich von drei Seiten her geleistet werden. Zuerst von den in Berlin und dessen nächster Umgebung unter Befehl des Generals der Kavallerie v. Wrangel stehenden Massen aus circa 25 Bataillonen (die Kavallerie und Artillerie außer Betracht lassend) bestehend. Wenige Tage zuvor war indessen Berlin selbst, nach der Auflösung der Kammern, sehr aufgeregt gewesen und es war sogar Blut bei Wiederherstellung der Ordnung geflossen. Ob unter diesen Umständen also einigermaßen beträchtliche Streitkräfte [8] nach Dresden abgegeben werden könnten, erschien mindestens zweifelhaft. – Bei Görlitz sammelte sich eine Division unter dem Befehl des General-Lieutenants v. Holleben, größtentheils jedoch aus Landwehren bestehend, welche erst einberufen wurden. Der Erfolg lehrte, daß hiervon, selbst mit Hülfe der Eisenbahn, erst am 9ten Mai Mittags die ersten Bataillone nach Dresden herangeschafft werden konnten. – Eine zweite mobile Division sollte sich unter Befehl des General-Lieutenants Fürst Radziwill bei Halle sammeln, deren erste Bataillone jedoch erst am 12ten bei letztgedachtem Orte eintrafen, während bis dahin von den Besatzungen Torgau’s und Wittenbergs auch nicht ein Mann Infanterie gemißt werden, sondern nur etwas Kavallerie und Artillerie, jedoch auch nicht vor dem 11ten Mai, zur Unterstützung gegen Dresden geschickt werden konnte. – Aus Erfurt und Umgegend endlich war von den wenigen Truppen, welche dort das unruhige Thüringen in Zaum hielten, um so weniger etwas zu entbehren, als die allgemeine Lage her Dinge in Deutschland allen disponiblen Kräften eher eine Richtung nach Westen, als umgekehrt, zu geben gebot.

Um hier gleich (wenn auch etwas vorgreifend) eine Uebersicht der Truppen, welche an dem Kampfe in Dresden wirklich Theil genommen haben, zu geben, möge vorläufig angeführt werden, daß hierzu (unter dem Befehl des Oberst-Lieutenant Graf Waldersee) aus Berlin und Umgegend verwendet wurden:

das 1ste und Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiment, das Füsilier-Bataillon des 24ten Infanterie-Regiments, und ein Pionier-Detachement.

Die Stärke dieser Abtheilungen betrug, nach Zurücklassung von Kranken, Handwerkern, Kommandirten und unausgebildeten Rekruten, im Ganzen etwa 2200 Kombattanten. [9] Rechnet man nun aber, daß als das letzte Bataillon dieses Detachements in Dresden eintraf, zwei Kompagnien der Sächsischen leichten Infanterie bereits wieder nach Leipzig zurückgesendet worden waren, so ergiebt sich, daß die größte Stärke der in Dresden gleichzeitig verwendeten Truppen (die nicht ins eigentliche Gefecht kommende Reiterei abgerechnet) kaum die Zahl von 5000 Kombattanten (nämlich 2800 Sachsen und 2200 Preußen) erreichte.


Wenn sich so die Kräfte auf der einen Seite genau in Ziffern darstellen lassen, so ist dies auf der entgegengesetzten Seite nur annähernd möglich.

Den ersten bewaffneten Kern der Opposition gegen die Regierung bildete die Dresdner Kommunalgarde, in der Altstadt aus 4 Bataillonen, in der Neustadt aus 1 Bataillon und in der Friedrichstadt aus einer Division bestehend. Nahm ein Theil derselben, namentlich das Bataillon der Neustadt, auch keinen Theil an dem Aufstande, trat ein anderer noch größerer zurück, als er das von den Empörern aufgestellte Panier der Republik erkannte, oder als der ernstlich entbrennende Kampf Denjenigen davon doch zu bedenklich erschien, welche sehr gern in Folge einer der Regierung durch eine drohende Demonstration abgetrotzten Concession, als siegreiche Vorkämpfer für die Volkssache geglänzt hätten, – so wurden die Waffen der Komunalgarde aber doch von entschlosseneren Arbeiter-Fäusten geführt oder auch den unter Drohungen zu den Reihen der Empörer gepreßten Unfreiwilligen in die Hände gegeben.

Nächstdem lieferte Dresden selbst das bewaffnete und militairisch eingeübte Turnerkorps, dem sich noch manche improvisirte Freiwillige anschlossen.

[10] Die Vorläufer und Troßbuben jeder Empörung: die Haufen zusammengelaufener Arbeiter, Lehrburschen und Straßenbuben, fehlten auch hier nicht. Wie überall bereiteten sie den eigentlichen Kampf durch Zusammenrottirung, durch wüstes Geschrei, durch Einwerfen von Fenstern und Laternen, durch Verhöhnen der Behörden und des sich noch passiv verhaltenden Militairs, und durch Thätlichkeit gegen vereinzelte Schildwachen und Soldaten vor. Zerstieben auch solche Haufen im ernsten Kampfe wie Spreu vor dem Winde, so ermüden sie vorher doch die Truppen, so schüchtern sie doch die Schwachen und Unentschlossenen unter der Einwohnerschaft und den Beamten ein, so hindern sie doch die freie Kommunication, so hülfreiche Hand leisten sie doch, wenn der Kampf wirklich zu beginnen droht, bei der Errichtung von Barrikaden, und so furchtbar endlich werden sie doch, sobald der Aufruhr irgendwo den Sieg davon getragen hat.

Neben diesen aus Dresden selbst stammenden Streitkräften der Insurrection stellten alle Theile Sachsens und die nächsten kleinen Staaten ihre Kontingente.

Aus vielen Provinzialstädten kamen, oft auf Aufforderung oder doch mit Unterstützung der Orts-Behörden, geordnete Abtheilungen der Kommunalgarden und Schützengilden, ferner Turner-, Künstler-[1], Studenten- und andere Frei-Korps unter verschiedenen Benennungen. Aus den Berg-Districten zogen die seit vielen Menschenaltern [11] zu fest organisirten, bei Aufzügen und Festlichkeiten in militairischer Ordnung aufzutreten geübten, im gefährlichen Gewerbe an Todesverachtung gewöhnten Korporationen der Berg- und Hütten-Leute in die Hauptstadt ein. Die Forst-Akademie zu Tharandt schickte wohlgeübte Büchsenschützen, deren sich überhaupt eine große Zahl unter den Aufständischen befand. Arbeiter aus den Fabrik-Bezirken, – Tagelöhner vom Lande, besonders aus der Ober-Lausitz, aus den an Zügellosigkeit, und Brandstiftung gewöhnten Schönburgschen Herrschaften und aus dem Gebirge, durch die eingeimpften kommunistischen Ideen zur Erkämpfung eines geträumten, ohne Arbeit zu erlangenden, behaglichen Zustandes aufgereizt, gaben den Landsturm der Insurrections-Armee ab. Auch an einheimischen und fremden Züchtlingen und andern Verbrechern fehlte es nicht.

Den Generalstab und die Elite gewissermaßen dieser Armee bildeten vorzugsweise Polen und andere abentheuernde Fremdlinge, demnächst auch bekannte Aufwiegler aus allen Gegenden Deutschlands. Sie leiteten theils das Ganze, theils einzelne Abtheilungen, sie stachelten an, oder drohten mit Mord, Plünderung und Brand, je nachdem es nothwendig schien, sie gaben den Bau der Barrikaden und die Methode der Führung des Kampfes an.

Wenn es fast unmöglich ist, die Stärke von Streitkräften, welche aus den geschilderten Elementen zusammengesetzt waren, nur mit einiger Gewißheit anzugeben, besonders weil Viele, die anfangs zum Kampfe bereit geschienen hatten, beim ernsteren Verlauf der Dinge sich still in ihre Wohnung oder nach ihrer Heimath zurückbegaben, und weil andererseits auch Viele wieder nur gelegentlich und vorübergebend die Waffen zur Hand nahmen, den blutigen Schauplatz zu Gastrollen benutzend. Auch an einzelnen durch Gewalt und [12] Drohungen gepreßten Mitkämpfern fehlte es nicht, welche sich diesem Zwange selbstredend bei erster Gelegenheit entzogen.

So kann nur höchst annähernd die Stärke der Insurgenten auf etwa 8000 bis 10000[2] geschätzt werden, von denen nur die kleinere Hälfte aus Dresden selbst stammen, die größere Hälfte dagegen von den auswärtigen Zuzügen geliefert worden sein mochte.

Die Organisation dieser Haufen war durch die Art ihres Zusammentretens von selbst gegeben. Einheimische und fremde Kommunalgarden (welche letztere meist mit einer Art von militairischem Gepränge: mit reich uniformirten Führern, mit Musik und Fahnen, und in gegliederter Ordnung einrückten), Schützengilden, Turnerkorps, Landsmannschaften, Knappschaften und andere Genossenschaften behielten diese Organisation auch im Kampfe bei; von den einzeln Eingetroffenen gesellte sich Gleich und Gleich zu einander. Späterhin wurden die verschiedenen Abtheilungen auch als bestimmte Besatzungen der numerirten Barrikaden bezeichnet.

Die Bewaffnung der Insurgenten war besser, als sie in den meisten ähnlichen Fällen gewesen sein dürfte, indem Kommunalgarden, Turnerkorps etc. bereits seit längerer oder kürzerer Zeit mit gesetzlicher Sanction Waffen führten. Besonders war die große Zahl von Büchsen, namentlich auch Spitzkugelbüchsen, bemerkenswerth, welche, meist in der Hand geübter Schützen, bei den Empörern wirksam waren. Auch Windbüchsen, so wie Wallbüchsen von großem Kaliber, zeigten sich. Neben den üblichen Geschossen daraus, wurde sich auch des [13] gehackten Blei’s, der Glasscherben und anderer, im ehrlichen Kampfe als widervölkerrechtlich angenommenen, Ladungen bedient.

Die Stelle des Geschützes vertraten, nächst einigen Böllern von Schützengilden, sechs Stück einpfündige Kanonen, welche ein reicher Hüttenbesitzer zum „Vergnügen“ im Besitz gehabt hatte und die ihm jetzt von den Insurgenten angeblich mit Gewalt weggeführt worden waren. Sei es aus Mangel an Kugeln oder aus Mangel an Zeit, dergleichen herzustellen, sei es um ein mörderischeres Geschoß auf nahe Entfernungen zu gewinnen, waren Eisen-Cylinder von der Stärke des Geschütz-Kalibers gegossen und in Stücke von etwa 6 Zoll Länge zerhackt worden. So wenig dieses Projectil auf weitere Entfernungen einen nur einigermaßen sichern Schuß dargeboten haben würde, so gräßlich zerschmetternde Wunden riß es auf nähere Entfernungen im Straßen-Kampfe in seinen drehenden Schwingungen; man erkannte es schon in der Luft an einem eigenthümlichen Rauschen, das weder dem volltönenden Sausen der Kanonenkugel noch dem zischenden Pfeifen der Gewehr- oder Büchsen-Kugel glich.

Wie an Eisen und Blei so konnte es auch an Pulver den Insurgenten in einer großen Stadt und besonders in einem Lande nicht fehlen, wo für Bergbau und Steinbrüche so viel Sprengungs-Material im Handel und Privat-Verkehr vorräthig gehalten wird. Auch wurden gleich anfangs die Bestände einer bedeutenden Pulver-Fabrik in der Umgegend Dresdens von den Insurgenten in Beschlag genommen. Nach Beendigung des Kampfes wurden noch 18 Centner Pulver aus dem Rathhause nach dem Zeughause geschafft.

Zu den Brandstiftungen wurden Pechkränze, Terpentin-Oel und andere brennbare Stoffe theils in Bereitschaft gehalten, theils ihre Anwendung sowohl versucht [14] als in Ausführung gebracht. Auch Vitriol-Vorräthe, um damit, nächst einem Hagel von Steinen und Scherben, die etwa in den Straßen vordringenden Truppen zu überschütten, fanden sich vor.

Die blanke Waffe endlich, war in der, oft aus Sammlungen von Alterthümern und aus Privat-Besitz gewaltsam geraubten, renommirend zur Schau getragenen, Ausstaffirung der Führer und bei den, in Insurrectionen neuerer Zeit unerläßlich scheinenden, Piken- und Sensenträgern repräsentirt, ohne daß deren wirkliche Anwendung bekannt geworden wäre. Auch Eisenstangen und andere plumpe Werkzeuge zeigten sich anfangs in den Fäusten der rohesten Schichten der Empörung, ohne daß auch sie zu mehr, als zum Terrorisiren gebraucht worden zu sein scheinen.

§. 3. Die obere Leitung desa) Kampfes auf beiden Seiten.

So waren die gegenseitigen Streitkräfte beschaffen. Da aber solche ohne bewegendes und ordnendes Princip nichts als todte Massen oder wild durch einander gährende Elemente bleiben, so gehört zur Kenntniß der Verhältnisse auch ein Hinblick auf die Behörden und Persönlichkeiten, in deren Händen die obere Leitung dieser Kräfte sich befand. Auf jeder Seite unterscheidet sich hier wiederum die allgemeine politische Leitung und die speciell militairische Befehligung.

Jene, die politische Leitung, befand sich (selbstredend unter Vorbehalt der zu jedem wichtigeren Akte erforderlichen Sanction des konstitutionellen Königs) in den Händen des schon oben genannten Ministeriums. Nach der am 4ten Mai stattfindenden Uebersiedelung des Königs nach dem Königstein blieb der Minister Dr. Zschinsky dort, um die Person des Monarchen, die von [15] diesem ausgehenden Erlasse kontrasignirend. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Beust und der Kriegsminister Oberst Rabenhorst blieben in Dresden. Nach Ausbruch des Kampfes hielten sie sich Tag und Nacht in dem in der Neustadt unmittelbar an der Elbbrücke gelegenen Gouvernements-Hause (dem sogenannten Blockhause) auf, auf diese Weise den Schauplatz des Kampfes unausgesetzt vor Augen behaltend, von hier aus die vom Drange der Umstände gebotenen augenblicklichen Verfügungen für das Land erlassend und den diplomatischen Verkehr unterhaltend.

Bis zum 4ten Abends führte der Gouverneur der Residenz, General-Major v. Schulz, den in ruhigen Zeiten ihm zukommenden Befehl innerhalb der Stadt. Am Abend dieses Tages wurde, laut Tagesbefehl des Kriegsministers, der Divisionair der Armee, General-Lieutenant v. Schirnding zum Oberbefehlshaber der bewaffneten Macht ernannt.

Dieser Veteran hatte seine kriegerische Laufbahn ebenfalls mit Preußischen Truppen vereinigt, wenn zwar unglücklich kämpfend, begonnen, indem er im Jahre 1806 dem Gefechte von Saalfeld in der Nähe des den Heldentod findenden Prinzen Louis Ferdinand von Preußen beiwohnte; später hatte er 1809 auf dem Marchfelde und 1812 in Rußland unter dem größten Feldherrn des Jahrhunderts gefochten. Unerschütterlicher Gleichmuth, selbst in kritischen Momenten, bekundeten auch im Aeußern die innere Gediegenheit des kriegserfahrnen Führers. Der sicheren Konsequenz, mit welcher er an dem angenommenen Gefechts-Plan festhielt, ist die siegreiche Durchführung des hartnäckigen Kampfes vorzugsweise beizumessen. Ein Stab intelligenter, unermüdlich thätiger und doch nie über ihr Verhältniß hinausgreifender[3] [16] Offiziere stand sowohl ihm, wie dem Kriegsminister zur Seite.

Ueber das Verhältniß der beiden letztgedachten Autoritäten zu einander, erscheint der Erwähnung, wie der höchsten Anerkennung werth, daß einerseits der Kommandirende in seinem Verhältniß zum Kriegsminister, trotzdem dieser ihm weit an Jahren, wie auch im militairischen Range[4] nachstand, demselben jede der höheren Stellung gebührende Deferenz erwies, und daß andererseits der Kriegsminister, trotz dem er, wie oben gesagt, den Kampfplatz selbst vor Augen hatte und selbstredend jeden Augenblick in Kenntniß von dem jedesmaligen Stande der Dinge blieb, es doch sorgfältig vermied, in das Detail der militairischen Anordnungen einzugreifen. Dieses richtige Erkennen und Respectiren des gegenseitigen Wirkungskreises ließ jede störende Reibung, welche bei dem fast von der nämlichen räumlichen Stelle ausgehenden Handeln[5] und bei den leicht möglichen Zweifeln über die [17] Gränze der sich so nahe berührenden beiderseitigen Thätigkeit, so leicht hätte eintreten können, glücklich vermeiden, und trug das seinige zum glücklichen Erfolge bei. Die weitere Schilderung des Kampfes wird zeigen, wie die stets rechtzeitig eingreifenden, kräftigen Erlasse und allgemeinen Maßregeln des Ministeriums fördernd und anregend auf den Gang der militairischen Ereignisse einwirkten. Auch daß das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten sich im Angesicht des Kampfplatzes befand, ließ sich aus einem entschiedeneren Handeln, als es sonst der Diplomatie eigen zu sein pflegt, erkennen.


Wenige hundert Schritt diesem Sitze der Königlichen Regierung, diesem Hauptquartier der Königlichen Truppen gegenüber, in dem Altstädter Rathhaus auf dem Altmarkt befand sich die sogenannte Regierung, das sogenannte Hauptquartier der Insurgenten: ein Verhältniß, ein Auge in Auge-Blicken zweier kämpfenden Mächte, wie es wohl nur in einem Bürgerkriege möglich ist und auch hier nur selten in der Geschichte, in der deutschen vielleicht noch nie, stattgefunden haben mag.

Wie fast bei allen Revolutionen, hatten anfangs die bestehenden Stadt-Behörden, hier Stadtrath und Stadtverordneten, sich an die Spitze der Opposition gegen die Regierung gesetzt. Wie immer war dies anfangs in scheinbar gesetzlicher Weise, selbst in der äußeren Form respectvoller Bitten und Vorstellungen geschehen. Mit jedem Tage, zuletzt fast mit jeder Stunde, [18] hatte sich die offene Widersetzlichkeit gesteigert; am 3ten Mai hatten die oben genannten Behörden einen Sicherheits-Ausschuß (selbst dem Nahmen nach: ein Erbstück der ersten Französischen Revolution) gebildet, aus dem sich dann am folgenden Tage eine: „Provisorische Regierung“ (diese Uebergangs-Behörde aller Revolutionen) aus den bekannten Abgeordneten Tzschirner, Heubner, Todt bestehend, entwickelte. Zwei dieser Regenten waren entschiedene und anerkannte Demokraten, der dritte ein Beamter, der sich stets der äußersten linken Seite hingeneigt hatte, weniger vielleicht aus voller Ueberzeugung, als um sich unter der wechselnden Herrschaft der Partheien stets für einen Ministerposten möglich zu erhalten.

Wie in allen Revolutionen suchte diese revolutionäre Regierung, welche fast unverholen den Abfall vom Königthum aussprach, die öffentlichen Angelegenheiten vorzugsweise durch Proclamationen zu leiten und in die Hand zu bekommen. Allen Behörden des Landes, selbst den Truppen, gingen Aufforderungen zu, diese Provisorische Regierung als die höchste gesetzliche Autorität anzuerkennen, und ihre Macht durch bewaffneten Zuzug (die Truppen: durch Anerkennung und Uebertritt) zu verstärken und zu konsolidiren. Von Seiten vieler Lokalbehörden, wie der Kommunalgarden vieler Städte, wurde diesen, den eigenen Sympathien entsprechenden, Aufforderungen genügt; bei den Truppen erzeugten sie nur in der aller ersten Zeit, und auch da nur einzeln und vorübergehend, einen Zustand des Zweifels, ob diese so keck auftretende Autorität nicht doch den Willen des souverainen Volkes repräsentire und diesem Willen zuletzt denn doch vielleicht das Geforderte gewährt werden möchte. – Damit es der Provisorischen Regierung auch nicht an diplomatischem Verkehr, oder wenigstens dem Anschein eines solchen, fehle, setzte sich dieselbe mit der [19] Frankfurter National-Versammlung in Verbindung, und stellte sich unter deren Schutz, so wie unter den derjenigen deutschen Staaten, welche bereits die von jener Versammlung aufgestellte Verfassung anerkannt hatten.

Was nun die militairische Leitung des Aufstandes betrifft, so war, nachdem der bisherige Kommandant der Dresdner Kommunalgarde, Kaufmann Napoleon Lenz, in Folge, der Nichtrespectirung seiner Befehle, seine Entlassung eingegeben hatte (ein Schritt, der ihm die Plünderung seiner Wohnung zuzog), und nachdem auch sein Nachfolger, Advokat Heinz, bald diesem Beispiel gefolgt war, von Seiten der provisorischen Regierung am 3ten Mai dem Abgeordneten, Oberstlieutenant Heinze dieses Kommando übertragen und ihm der Rechtskandidat v. Zychlinski als rathgebender Adjutant zur Seite gestellt worden. Dem Nahmen nach führte sonach jener, ehemals in Griechischen Diensten gestandener Offizier den Oberbefehl, in Wahrheit aber der Russe Bakunin.

So weit sich die Fäden der revolutionären Verschwörung aus Kombinationen, früheren Nachrichten und späteren Untersuchungen verfolgen lassen, bildete dieser politische Flüchtling einen der Mittelpunkte der Umsturz-Parthei; durch seine Hände gingen die oft bedeutenden Geldmittel der Propaganda; er bildete das Verbindungsglied zwischen den revolutionären Bestrebungen in Frankreich, Italien, Polen, Ungarn, Böhmen und dem übrigen Deutschland einerseits und dem Aufstande in Dresden andererseits, während er gleichzeitig den letzteren persönlich überwachte und leitete. Nicht bloß der Kommandant der Kommunalgarde, sondern auch die Provisorische Regierung selbst, ward durch ihn förmlich terrorisirt. In welchem Geiste er sein Kommando führte, zeigen die vorgefundenen, zum Theil auch ausgeführten [20] Befehle zu Brandstiftungen. Ein improvisirtes zahlreiches Hauptquartier, meist aus jungen Leuten oder Ausländern bestehend, hatte sich mit ihm im Rathhause installirt, nahm dort Meldungen an, erließ Befehle und fertigte Anweisungen auf Waffen, Schießbedarf, Lebensmittel und andere Bedürfnisse für die Kämpfenden aus.

Die fernere Gliederung der militairischen Hierarchie bei den Insurgenten bezog sich auf das allen neueren Revolutionen zum Losungswort wie zum Schreckbild dienende Vertheidigungsmittel: „auf die Barrikaden!“, wie nachstehend gedruckte Barrikaden-Ordnung nachweist:

Barrikaden-Ordnung.
1. Den Oberbefehl über die Barrikaden hat der Ober-Kommandant der Dresdner Kommunalgarden, Oberstlieutenant Heinze, Stellvertreter ist der Bataillons-Kommandant Vollsack.
2. Das Hauptquartier ist auf dem Altmarkte im Rathhause.
3. Für jede Barrikade übernehmen abwechselnd 3 Führer je 6 Stunden den Befehl und ernennen für jede Wache einen Unterführer, der die Namen der Wachenden aufschreibt.
4. Fällt nichts Außerordentliches vor, so bringt der Barrikadenführer nach Ablösung der 3ten Wache diese Namenliste nebst dem Führerzettel auf’s Hauptquartier.
5. Bei jeder Barrikade wird in dem nächsten und passendsten Hause zu ebener Erde eine Wachtstube eingerichtet.
6. Gegen Vorzeigung des Führerzettels kann auf Rechnung des Ober-Kommando’s an jede Barrikade das nöthige Bier, Brod, Pulver und Blei vertheilt werden.
7. Barrikadenführer sind an der Barrikade Nr. [21]
für die 1. Wache von       Uhr bis       Uhr – –
für die 2. Wache von       Uhr bis       Uhr – –
für die 3. Wache von       Uhr bis       Uhr – –
Dresden, am 5. Mai 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.


§. 4. Der Schauplatz des Kampfes.

Die Erwähnung der Barrikaden leitet in natürlicher Ideenverbindung auf den Schauplatz des Kampfes (militairisch gesprochen: das Terrain).

Obwohl der Plan der Stadt die Umrisse des Kampfplatzes darstellt, so ist hierzu für diejenigen, welche Dresden nicht aus genauer eigener Anschauung kennen, doch noch Folgendes über die Beschaffenheit der Stadt in militairischer Hinsicht, so weit sie nicht aus dem Plane hervorgeht, hinzuzufügen.

Fast ohne Ausnahme ist die Stadt in allen ihren Theilen massiv gebaut und zwar meist aus Sandstein, der auch oft das Material der Zwischenwände, selbst der Treppen, abgiebt. Diese Bauart verminderte die Wirkung des Geschützes in hohem Grade, und würde selbst die Zerstörungen eines Bombardements nur mäßig haben sein lassen. Auch der schnellen Verbreitung von Feuersbrünsten, wären diese nun eine Folge der Beschießung oder absichtlich angelegt gewesen, setzte sich diese Bauart entgegen. Das sowohl von den Insurgenten in defensiver Hinsicht, behufs Gewinnung von Verbindungslinien, als auch von den Truppen als Angriffsmittel angewandte Durchschlagen der Brandmauern, um aus einem Hause in das andere zu gelangen, wurde durch dies Material, das dem gewöhnlichen Schanzzeuge der Truppen, selbst den [22] Werkzeugen der Pioniere, große Schwierigkeiten entgegensetzte, sehr erschwert und aufgehalten[6].

[23] Die Höhe der Häuser Dresdens, selbst in den neuerdings theilweise zu den schönstgebauten Stadttheilen herangewachsenen, sogenannten Vorstädten, beträgt selten unter 3, oft 4, 5 und mehr Stockwerke. Im Innern der Altstadt sind viele Häuser, nahmentlich in der Schloßgasse fast in sämmtlichen Stockwerken, mit hervorspringenden Erkern versehen, von welchen aus in friedlichen Zeiten der Hausbewohner seine Neugierde im Hinabblick die ganze Straße hinunter befriedigt, welche aber jetzt von den Insurgenten als vorspringende, die ganze Straße enfilirende Bollwerke benutzt wurden, von denen aus sie, durch Betten, Matratzen, nasse Decken und Hausgeräth jeder Art vollständig gedeckt, aus einzelnen ausgesparten Schießöffnungen ihr Feuer in jedem Augenblick sobald es erforderlich schien eröffnen und unterhalten konnten, während sie in den Pausen des Gefechts die bequemste Ruhe und die vollkommenste Sicherheit in den hinter den Erkern sich ausdehnenden Wohnungen fanden.

Da in dem Kampfe im Innern einer Stadt, die Straßen selbst zum Gefechts-Terrain dienen und das [24] Straßen-Pflaster ein Haupt-Kriegs-Material der Empörungen, sowohl zu Steinwürfen als zum Barrikadenbau liefert, so gehört hier die Beschaffenheit der Straßen und des Straßen-Pflasters ebenfalls wesentlich zur Terrain-Beschreibung.

Die Straßen Dresdens sind fast ohne Ausnahme eng und selten weithin gradlinicht laufend. Am engsten sind die Gäßchen der Altstadt, besonders in dem östlich der Schloßgasse, des Altmarkts und der Seegasse gelegenen Theile; wogegen die westlich von dort auslaufenden Straßen meist gerade sind. In den drei Vorstädten der Altstadt: der Wilsdruffer, der See- und der Pirnaischen Vorstadt, sind die meisten Straßen zwar auch ziemlich eng und gekrümmt, jedoch größere Quartiere bildend, deren Inneres mit Gärten angefüllt ist. Fast rings herum sind diese Vorstädte durch breite, auf der Stelle der ehemaligen, neuerdings abgetragenen, Festungswerke angelegte Promenaden von der Altstadt getrennt. Die von einer armen Bevölkerung bewohnte Friedrichstadt, auf dem linken Ufer der Weisseritz, hat breite gerade Straßen. Die Neustadt besitzt in der Allee oder Haupt-Straße die einzige größere breitere Straße Dresdens; auch sonst ist dieser Stadttheil weniger winklicht als die Altstadt gebaut. Die nordwärts der Neustadt gelegene Antonstadt ist erst in neuerer Zeit in rechtwinklichten, noch nicht überall mit Häusern angefüllten Quarrees erstanden und (nächst der Friedrichstadt) der Wohnplatz der ärmeren Bevölkerung Dresdens. – Die einzelnen Plätze weist theils der Plan nach, theils wird ihrer Beschaffenheit und ihrer Umgebungen bei Schilderung derjenigen Gefechts-Momente, in welchen sie Kampf-Schauplatz wurden, Erwähnung geschehen.

Das Straßenpflaster Dresdens ist fast durchgängig aus ziemlich großen würfelförmigen Stücken und das fast in allen Straßen vorhandene Trottoir aus langen [25] Platten hergestellt. Unter der Mitte aller Straßen erstreckt sich ein System von tiefen Abzugs-Kanälen, in welchen in geringen Zwischenräumen mit hölzernem Belage bedeckte geräumige Oeffnungen hinabführen.

Nicht leicht dürfte daher irgendwo eine günstigere Lokalität zum Straßenkampf und ein geeigneteres Material zum Barrikaden-Bau aufzufinden gewesen sein. Der Geschichts-Erzählung vorgreifend, möge des sächlichen Zusammenhanges wegen, diesen Barrikaden gleich an dieser Stelle eine etwas ausführbare Beschreibung gewidmet werden.

Fast an allen Straßen-Ecken der Altstadt waren Barrikaden erbaut; in den Vorstädten der Altstadt und in der Friedrichsstadt wenigstens an den hauptsächlichsten Straßen-Knoten und an den meisten Stadt-Ausgängen (Schlägen). Es sollen etwa 108 gewesen sein; ein im Buchhandel erschienener Barrikaden-Plan weist sie nach[7], es soll sogar schon ein solcher vor dem Ausbruch des Aufstandes existirt haben: ein Beweis, wie vorbereitet der Ausbruch desselben war[8].

In der Nähe des Altmarktes, nahmentlich in der Schloßgasse, am westlichen Ausgange der Wilsdruffer und der Scheffel-Gasse, ferner am Ausgange der Moritz-Gasse nach dem Neumarkt (zwischen dem Hôtel de Saxe und der Stadt Rom) befanden sich die stärksten Barrikaden. Nach Anleitung des, viele Königliche Gnaden-Beweise mit hochverrätherischem Undank belohnenden, Schloß-Baumeisters Semper waren sie auf das sorgfältigste erbaut. [26] Es waren förmliche kleine Festungswerke, bis an das erste Stockwerk der Häuser hinaufreichend, aus den Quadern des Straßenpflasters kunstgerecht zusammengefügt, durch die in schräger Böschung angebrachten Trottoir-Platten selbst gegen schweres Geschütz widerstandsfähig, mit Brustwehren versehen. An den weniger wichtigen und von dem Mittelpunkt der Stadt entfernteren Punkten war das Material der Barrikaden mehr das bei improvisirten Volks-Aufläufen und Straßenkämpfen gewöhnliche: umgestürzte Fahrzeuge, Düngerwagen, Fässer, Tonnen und Kisten mit Steinen gefüllt, Balken und Bretter, selbst Hausgeräthe.

Mit den hauptsächlichsten Barrikaden bildeten die nächsten Eckhäuser und die entfernteren, dominirenden oder enfilirenden Gebäude ein zusammenhängendes Vertheidigungs-System. Die Fenster waren in der Art, wie es schon weiter oben von den Erkern angegeben ist, zum gedeckten Stand für Schützen vorgerichtet; bis in die Dachluken hinauf fanden diese günstige Aufstellungen; häufig wurden dazu sogar nur einzelne ausgehobene Ziegelsteine in den Dächern benutzt, so daß kein Aufblitzen des Pulvers und kein Schütze zu sehen war. Thüren und Thorwege waren verrammelt, im Innern der Altstadt von Haus zu Haus Kommunicationen durch die Mauern durchgeschlagen.

In der ganzen Stadt (die immer in den Händen der Truppen bleibende Neustadt ausgenommen) war der Belag der Abzugs-Kanäle abgenommen, so daß sich dadurch in der Mitte der meist an sich engen Gasse gewissermaßen eine Reihe tiefer Wolfsgruben fortzog, welche den Bewegungen in geschlossenen Abtheilungen und denen der Reiterei ein nicht unbedeutendes Hinderniß entgegengestellt haben würden.

Als Vervollständigung dieses, die Haupt-Vertheidigungs-Hülfsmittel der Insurgenten: Barrikaden nebst [27] Zubehör, darstellenden Bildes, mag noch der Kirchen und Thürme Erwähnung geschehen, von denen aus fast ohne Unterbrechung das Sturmläuten zum Kampfe rief, so wie auch Raketen und andere Feuer-Signale die Umgegend, wahrscheinlich vorbereitetermaßen, zum Zuzug mahnte.

Die Beschreibung einzelner Punkte, welche von den Insurgenten besonders hartnäckig vertheidigt wurden, möge da erfolgen, wo die Gefechts-Erzählung darauf hinleitet.

Hat so die Topographie der Stadt in natürlicher Gedanken-Verbindung auf die Vertheidigungs-Mittel, man möchte sagen auf den Vertheidigungs-Plan, der Insurgenten hingeführt, so ergiebt sich andererseits die bei Ausbruch des Kampfes stattfindende Lage der Dinge auf der Seite der Truppen eben so ungesucht aus einem Ueberblick auf die Lokalitäten, in deren Besitz sie sich der Natur der Sache nach in diesem Augenblick befanden.

Die meisten Militair-Etablissements, namentlich Kasernen, befinden sich in der Neustadt, und zwar der größte Theil in einem Dreieck nahe beisammen liegend, das von der Elbe, der Haupt-Straße und der Hospital-Straße eingeschlossen wird und dessen drei Spitzen das Gouvernements-Haus (auch Neustädter Hauptwache oder Blockhaus genannt), der Bautzener Platz und das Militair-Hospital bilden. Es gab gewissermaßen das Reduit ab, in dem die Veranstaltungen für die Verpflegung der kämpfenden Truppen ruhig ihren Fortgang hatten, so wie diese zusammenhängende Masse von Militair-Gebäuden, selbst wenn sie häufig nur von einer geringen Zahl von Kombattanten besetzt war, dazu beitrug, der Bevölkerung der Neustadt zu imponiren. Beiläufig mag hier erwähnt werden, daß die Neustadt, in der fast alle Offizier- und Militair-Beamten-Familien ihre Wohnungen haben, als gutgesinnt bezeichnet wurde, demnächst die [28] von aristokratischen Elementen bevölkerte See- und Pirnaische Vorstadt; in der Friedrichs- und Antons-Stadt herrschte ein, wie überall, zu Unordnungen und Excessen geneigtes Proletariat vor, in der Altstadt war der Sitz des theils konstitutionell-liberalen, theils republikanisch-demokratisirten Bürgerthums.

Die einzige Verbindung zwischen der Neustadt und Altstadt bildete die bekannte massive Elbbrücke. Von der Brücke der Schlesisch-Böhmischen Eisenbahn, welche unterhalb jener Brücke hart an der Mündung der Weisseritz über die Elbe führen soll, waren erst die Pfeiler vollendet. Die Verbindung zwischen beiden Ufern war jedoch, wenigstens für einzelne Personen, sehr durch die zahlreichen kleinen Fahrzeuge erleichtert, welche in friedlichen Zeiten den Geschäfts- und Vergnügungs-Verkehr zwischen den beiden Stadttheilen unterhalten, und ließ sich dieser Verkehr, besonders etwas ober- oder unterhalb der Stadt, sehr schwer überwachen.

Von der Seite der Altstadt ist die Brücke durch einen Komplex von Baulichkeiten beherrscht, deren Zusammenhang zwar der Plan ergiebt, deren hieraus allein jedoch nicht hinreichend erkennbare militairische Bedeutung indessen noch einiger erläuternder Worte bedarf. (Behufs der Uebereinstimmung mit der später folgenden Gefechts-Beschreibung, wird sich hierbei statt der Bezeichnung nach den Himmels-Gegenden, der Ausdrücke: rechts und links, vorwärts und rückwärts, in Bezug auf die Front der kämpfenden Truppen, bedient werden.)

Rechts der Brücke treten, mit den weitläuftigen königlichen Stallgebäuden ein Quarree bildend, die Gebäude des Packhofes auf wirksame Büchsenschußweite von der Brücke an das Elb-Ufer heran, näher noch das große, isolirt stehende, Calberla’sche Haus. Dem am Zwinger sich anlehnenden Zwingerwall ist durch letztgenanntes Haus und durch das Theater großentheils [29] die Aussicht nach der Brücke genommen. Das Theater selbst, so wie die katholische Kirche, blieben, jenes wohl seiner so leicht dem Feuerfangen ausgesetzten Beschaffenheit, letztere der zur Vertheidigung wenig geeigneten Konstruktion ihrer Fenster wegen, trotzdem beide Gebäude anfangs mitten zwischen den kämpfenden Partheien lagen, von beiden Seiten unbesetzt.

Gerade der Brücke gegenüber liegt das königliche Schloß, dessen Behauptung den Sächsischen Truppen in vielfacher Beziehung als ein Haupt-Objekt erscheinen mußte. Zunächst rein-militärisch betrachtet, beherrscht es die Elbbrücke und schneidet die Zugänge derselben von der Altstadt ab; die Haupt-Passage nach letzterer führt in drei gewölbten Bogengängen, dem Georgenthore, durch das Schloß hindurch, nach der Schloßgasse. Außerdem war es beim Ausbruche der Empörung noch der Wohnsitz des Monarchen und der Königlichen Familie und blieb auch nach dessen Abreise sein Besitz gewissermaßen der sichtbare Maaßstab der behaupteten Regierungs-Gewalt; endlich enthielt es die Schätze des Grünen Gewölbes, auf welche von Seiten der Empörer bereits Anweisungen ausgestellt waren.

So günstig die militairische Situation des Schlosses gegen die Elb-Brücke zu ist, eben so ungünstig ist dasselbe gegen die Stadt-Seite zu gelegen. Theils hängt es hier unmittelbar mit Privatgebäuden zusammen, theils ist es von denselben nur durch schmale, wenig Schritte breite Gäßchen getrennt, und gerade auch nach dieser Seite hin ist sein Inneres ein Gewirr enger Gänge und Treppen, isolirter und unzusammenhängender Gemächer, in denen nur ein vieljähriger Bewohner sich mit Sicherheit zurecht zu finden vermag. – Auf beiden Seiten ist das Schloß mit zwei vorspringenden Baulichkeiten verbunden, welche zwar einerseits seine Flanken durch ihre Anlehnung an offene Plätze sicherten, andererseits aber auch eine [30] vermehrte Besatzung erforderten. Es ist dies auf dem rechten Flügel das dem Zwinger und der Sophien-Kirche gegenüber liegende Prinzen-Palais, mit dem eigentlichen Schlosse nur durch eine über eine Straße (dem Taschenberge) hinwegführende Gallerie verbunden; – auf dem linken Flügel: das an den Neumarkt stoßende Quarree der Gemälde-Gallerie, durch den längs der ganzen Augustus-Straße fortlaufenden Schloßflügel, in welchem sich die königliche Gewehr-Sammlung befindet, mit dem eigentlichen Schlosse in Verbindung stehend.

Links der Brücke erhebt sich am Elb-Ufer die weltbekannte Brühlsche Terrasse (nächst dem Zwingerwall der einzige Rest der alten Umwallung der Altstadt), welche mit mehreren daran und darauf gelegenen Gebäuden die Brücke im nächsten, wie im entferntesten Schußbereiche beherrscht. Auf ihrem äußersten linken Ende erhebt sich wie ein Festungs-Cavalier das Kaffehaus des Belvedere, von der Pirnaschen Vorstadt durch den letzten Rest des alten Festungsgrabens getrennt. Am Fuße dieses Endpunktes der Terrasse, vorwärts nach der Stadt zu (oder aus dem Gesichtspunkte der alten Befestigung betrachtet: in der Kehle der ehemaligen Bastion), liegt das Zeughaus mit dem Zeugplatz, bis in unmittelbarer Nähe von hohen Gebäuden, nahmentlich vom Klinischen Institut und nach der Frauenkirche auf dem Neumarkte zu, von dem Cosel’schen Palais beherrscht. Das Zeughaus enthielt das ganze Geschütz-Material der Armee, so weit es nicht zur Armirung des Königsteins oder zur Ausrüstung der Batterien diente.

Außerdem befand sich an Militair-Etablissements in der Altstadt nur noch die Kaserne des Garde-Reiter-Regiments in der See-Vorstadt, welche gleich beim Ausbruch des Aufstandes von dem Depot dieses Regiments geräumt und dadurch auch der Plünderung Preis gegeben werden mußte.

[31] Das ungünstigste Verhältniß für die Truppen bot die Lage der Munitions-Vorräthe dar. Sie befanden sich in dem sogenannten Laboratorium an den Schusterhäusern, auf etwa Büchsenschußweite von dem aus der Friedrichsstadt herausführenden Prießnitzer Schlage. Auf offenem Felde, nicht durch die mindeste feste Einfriedigung geschützt, auf dem in den Händen der Insurgenten befindlichen Elb-Ufer gelegen, schien dieses wichtige Etablissement eine leichte Beute für die letzteren werden zu müssen, wenigstens die Ergänzung der Munition für die kämpfenden Truppen, welche nur auf einem großen Umwege und über die Elbe hinweg bewirkt werden konnte, durch die einfachste Maßregel von Seiten der Insurgenten verhindert werden zu können.

So wenig sonst die Umgebung der Stadt auf den Kampf in derselben unmittelbar von Einfluß war, so mag doch (für die erste Zeit des Kampfes: in Bezug auf die Zuzüge und deren Verhinderung, so wie für die letzte Zeit: in Bezug auf Cernirung, Abschneidung und Verfolgung der geschlagenen Insurgenten) erwähnt werden, daß die Altstadt, ihre Vorstädte mit eingerechnet, fast ringsum von einer freien sanft ansteigenden Ebene umgeben ist, in der erst in stundenweiter Entfernung einzelne Thal-Einschnitte, nahmentlich der Plauensche Grund, ihren Anfang nehmen.

Was die Neustadt betrifft, so ist der Umstand, daß der Rand sich meilenweit ausdehnender Waldungen, bis auf wenige hundert Schritte an die Nordseite der überall offenen Antonstadt herantritt, allerdings ohne Einfluß auf den Gang der Ereignisse geblieben, dennoch aber in Bezug auf die Kritik, als ein von den Insurgenten unbenutzt gelassener Vortheil, zu erwähnen.

Außer den fast aus allen, hier: „Schläge“ genannten, Stadt-Ausgängen hinausführenden Chausseen wird die Verbindung Dresdens mit den übrigen Landestheilen [32] und mit dem Auslande durch drei Eisenbahnen bewirkt: die Dresden-Leipziger (vermittelst der Riesa-Jüterbogker Verbindungs-Bahn zugleich die Kommunication mit Berlin), die Sächsisch-Schlesische und die Sächsisch-Böhmische. Die beiden erstgenannten Bahnen haben ihre Bahnhöfe nahe bei einander an dem westlichen Ausgange der Neustadt. Die erst bis Pirna fertige Böhmische Bahn hatte, da ihr Elb-Uebergang, wie schon oben erwähnt, noch nicht hergestellt war, ihren provisorischen Bahnhof vor dem Plauenschen Schlage.

Die Wasserverbindung Dresdens wird theils durch zahlreiche, den Handelsverkehr und insbesondere den Transport der sogenannten Pirnaischen Sandsteine betreibenden, Segelschiffe, theils durch die mehr dem Personen- und Vergnügungs-Verkehr dienenden Dampfschiffe vermittelt.

Vermöge der Eisenbahnen treten neuerdings die meisten, auch die entfernteren, Landestheile eines Staats gewissermaßen in die nächste Umgebung der Hauptstadt und entsteht dadurch eine so schnelle Wechselwirkung der Zustände, wie sie die frühere Zeit nicht gekannt. Diese Zustände des Königreichs Sachsen, deren historische Entwickelung im §. 1. in flüchtigen Umrissen angedeutet ist, waren denn von der Art, daß vermittelst der Presse, der Vaterlands-Vereine, der Volks-Versammlungen und der Volks-Bewaffnung, die demokratische Richtung, wenn auch nicht vermöge der wirklichen Majorität ihrer Anhänger, so doch vermöge des energischen Auftretens ihrer Wortführer, fast überall dominirte. Ueberall wurden offene Demonstrationen gegen die Regierung gemacht, Zuzüge nach Dresden gesammelt, die Besitzenden und die Behörden (so weit es bei letzteren, von denen viele selbst den neueren Ideen huldigten, nöthig war) terrorisirt und Anstalten zur Zerstörung derjenigen Eisenbahnen gemacht, [33] auf denen Unterstützung für die Regierung nach der Hauptstadt gelangen konnte.

§. 5. Die nächsten Vorboten der Empörung, vom 28sten April bis 2ten Mai.

Wenn im §. 1. ein Ueberblick der politischen Lage Europa’s, Deutschlands und Sachsens insbesondere; die Veranlassung des Kampfes in den allgemeinsten Umrissen darzulegen versucht ist, so mögen hier noch die Ereignisse in Dresden selbst, in den letzten fünf Tagen vor Ausbruch der offenen Empörung in chronologischer Reihenfolge angeführt werden. Es erhellt daraus der allmählige Uebergang aus dem bis dahin nur mit den Waffen der Rede und der Schrift, in den Kammern, in Vereinen, in der Presse und in Plakaten geführten politischen Streite, zu dem wirklichen militairischen Kampfe.

Sonnabend den 28sten April beschloß die erste Kammer des Landtages, wenn schon nicht dem Wortlaut, doch dem Wesen nach die Steuer-Verweigerung, indem auf die Tagesordnung der nächsten, zum 30sten anberaumten, Sitzung nicht die Berathung über Weiter-Bewilligung der Steuern, welche nur bis zu diesem Tage votirt waren, sondern: „nur“ die Berathung über einen die deutsche Reichsverfassung betreffenden Antrag gestellt wurde.

Am nämlichen Abend wurde, in Folge dieses die Existenz des Staats bedrohenden Schrittes, vom Ministerium die Auflösung des Landtages beschlossen, und dieser Beschluß am folgenden Tage, den 29sten, bekannt.

Die revolutionäre Parthei benutzte diese Nachricht, wie den zufälligen Umstand, daß sie an einem Sonntage sich verbreitete, wo die ganze Bevölkerung theils arbeitsfrei, theils vergnügungssüchtig, die Straßen zu füllen pflegt, nach Möglichkeit. In der ganzen Stadt wurde [34] durch Knaben und Mädchen (gegen welche kräftig einzuschreiten, auf die Behörde ein doppelt gehässiges Licht geworfen haben würde) ein die Ueberschrift: „Feuer! Feuer!“ tragender, offener Aufruf an ganz Deutschland zur Empörung gegen die Fürsten ausgeboten. Die aufregendsten Gerüchte, theils über die durch die Fürsten angeblich beabsichtigten Gewaltschritte, theils über anderwärts ausgebrochene Empörungen wurden ausgesprengt und begierig weiter verbreitet. Mit Einbruch der Dunkelheit durchzogen Haufen von Gesindel mit wüstem Geschrei und schrillendem Pfeifen die Straßen der Hauptstadt.

Montag den 30sten April trat die erste Kammer in ihrer letzten Sitzung noch den Beschlüssen der zweiten Kammer bei, wonach in einer Landtagsschrift bei der Regierung die Annahme, Bekanntmachung und Durchführung der in Frankfurt beschlossenen deutschen Reichsverfassung auf das entschiedenste und dringendste beantragt werden sollte.

Der Geheime Regierungsrath Todt (der Nämliche, welcher wenige Tage darauf Mitglied der revolutionären Provisorischen Regierung wurde) erklärte hierauf im Namen der Regierung die Kammern für aufgelöst. Beide Kammern trennten sich mit einem von der tobenden Zustimmung der Gallerie begleitenden, Lebehoch auf die deutsche Reichsverfassung, auf die Einheit und Freiheit Deutschlands, auf den „Willen des Volkes“.

Sofort erschienen an den Straßen-Ecken folgende, mehr oder weniger zum Widerstand gegen die Regierung auffordernde Plakate:

„Mitbürger von Stadt und Land seid wach!
Noch lebt Metternich und seine Politik!
Die fluchwürdige Politik Metternichs steht nach dem Erlaß des Ministeriums Held vom 28. d. M. deutlich [35] vor uns! – Nachdem der östreichische Reichstag in Kremsier durch die Bajonette aus einander gejagt, nachdem die Kammern in München vertagt, nachdem die Kammern in Hannover – nachdem dieselben in Berlin aufgelöst, hat auch das Ministerium Held den Muth bekommen, unsere dermalen versammelten sächsischen Kammern aufzulösen. Leset den Erlaß des Ministeriums Held, welches das Vertrauen des sächsischen Volkes nie besessen und verdient hat, beachtet die neuesten Vorgänge in den übrigen deutschen Staaten und urtheilt selbst, ob nicht die eingeschlagene Politik der größeren deutschen Fürstenhöfe, der berüchtigten, volksfeindlichen Politik Metternichs ähnelt oder gleicht, wie ein Ei dem andern.
Männer des Volks! Lasset unter euren Augen den bereits bebrüteten Basiliskeneiern die Brut nicht entschlüpfen; sondern vernichtet sie, ehe noch die werdenden Ungethüme Kraft erlangen, euch und eure Freiheit zu verschlingen! –
Ein Ministerium Held hat es gewagt, an die Stimme des sächsischen Volks noch Berufung einzulegen, nachdem das Volk durch seine ersten Wahlen bereits deutlich genug geredet!
Mitbürger! Ihr werdet gewiß, wenn es gilt, als deutsche Männer antworten.“
Pirna, am letzten April 1849.

Protestation.
„Die Regierung löst die Kammern auf. Die Dynastie verwirft die Volksvertretung. Die verantwortlichen Minister wagen gegen die Beschlüsse der Volksvertretung Abgaben zu erheben und die Staatsgelder zu verwenden. Sie handeln verfassungswidrig. Und warum?
Die „Handlungsweise“ der Kammern soll den Grund abgeben, der doch in dem Widerstreben der Dynastien [36] und der ihnen dienenden Büreaukratie gegen die Beschlüsse der deutschen Reichsversammlung zu suchen wäre.
Ueber die Handlungsweise der Kammern wird das Volk richten und dessen Geschichte.
Es wird auch richten über die Wahrhaftigkeit dieses Ministeriums, welches bisher so wenig gethan für Ausführung der deutschen Grundrechte und der deutschen Reichsverfassung und doch aufrichtige und thätige Unterstützung dazu von der Volksvertretung fordert!
Aber dieses Verfahren der Krone und der Räthe derselben gefährdet das Wohl des Volkes und des Vaterlandes.
Wir machen sie verantwortlich für die Folgen ihres Schrittes.
Er ist, wenn schon nach dem Buchstaben der Verfassung zulässig, doch nicht einmal ordnungsmäßig eingeleitet; er ist durch die Zeitverhältnisse nicht gerechtfertigt; er widerspricht dem ausdrücklichen Beschlusse der Reichsversammlung vom 26. April d. J.; er hindert die Erledigung so vieler Beschwerden der Staatsbürger; er stört die Ordnung des Staats und die Aufrechthaltung der Verfassung!
Wir verwahren uns feierlichst gegen diesen Schritt!
Wir wahren dem Volke das Recht, die ohne verfassungsmäßige Bewilligung aus den Staatskassen gemachten Ausgaben von der Regierung zurückzufordern!
Wir wahren dem Volke das Recht, Steuern und Abgaben, welche nicht verfassungsmäßig ausgeschrieben sind, nicht abzuführen!
Möge nun das Volk entscheiden!
Der Konstitutionalismus hat der Demokratie den Fehdehandschuh hingeworfen: – er wird aufgehoben werden. [37]
Das Volk aber, möge es mannhaft und siegreich den Kampf bestehen, den Kampf um sein Recht, um seine Freiheit!
Dresden, 30. April 1849.
Finke.       Gruner.       Haustein.       Joh. Hnr. Floß.       Hnr. Herz.       Reimann.       Benseler.       Ahnert.       Jahn.       Unger.       Päßler.       Haußner.       Segnitz.“

„An unsere Mitbürger!“
„Die von den Ministern „an das sächsische Volk“ bei Auflösung der Kammern gerichtete Ansprache legt ein vollgültiges Zeugniß gegen die Minister ab. Die Staatsminister haben dem Könige gerathen, die Kammern aufzulösen. Das aus der Schreibstube und der diplomatischen Schule hervorgegangene Ministerium Held wagt es, das erste Mal im Königreich Sachsen die Kammern aufzulösen, zu einer Zeit, wo Sachsens und Deutschlands Schicksal und des Volkes Wohl vielleicht für Jahrhunderte entschieden werden soll. Die Minister haben, wie sie sagen, es gethan, weil sie nicht glauben könnten, daß die Handlungsweise der Kammern den wahren Bedürfnissen des Landes und der wirklichen Meinung des sächsischen Volkes entsprochen habe. Die Volksvertretung ist berufen, über die Handlungsweise der Minister zu urtheilen, das neue Ministerium macht es umgekehrt, es stellt sich über die Volksvertretung, und weil diese in inniger Auffassung der Zeitverhältnisse und der Wünsche des Volks, sowie einer heiligen Pflichterfüllung sich bewußt, die Handlungsweise des Ministeriums mit dem Wohle und der Ehre des Landes unverträglich erachtete, sagt das Ministerium: „diese“ Kammern sind nicht der wahre Ausdruck des Volkswillens.
Die Minister führen zu ihrer Rechtfertigung an: daß es sich nicht um einzelne Fragen der Politik und Gesetzgebung, [38] sondern um das gesammte Auftreten der Kammern während der drei Monate ihres Zusammenseins handle. Ganz recht, die Kammern konnten sich nicht mit der bloßen Publikation der Grundrechte begnügen, nachdem sie selbst diese mit dem Rücktritte eines Ministerium Braun-Oberländer erst erzwingen konnten, sie mußten, wenn sie dem Volke wahrhaft nützen wollten, mit Zugrundelegung derselben eine allseitige Umgestaltung der Gesetzgebung und Verwaltung anstreben.
Nicht durch Versprechungen gefesselt, sondern von dem heißen Verlangen durchglüht, daß endlich einmal Einfachheit und Sparsamkeit in den Staatshaushalt eingeführt, daß das sächsische Volk in den Vollgenuß der Freiheit gesetzt werde und zu einem beglückenden Wohlstand gelange, durften die Kammern den in tausend Zuschriften ausgesprochenen Willen des Volks nur als den Leitstern ihres Pfades betrachten.
Das Volk wird es nicht mißbilligen, daß die Kammern die Finanzfragen mit größter, gegen die Minister gebotener, Vorsicht erfaßten und der reiflichsten und der sorgfältigsten Erwägung unterwarfen; daß sie, ehe sie sich zu weit erstreckenden, in der Verfassung nicht einmal begründeten, Bewilligungen verstanden, die Gesinnung und Thaten der neuen Minister erst kennen wollten; daß sie auf Gewährung der verfassungsmäßigen Vorlagen drangen, um nicht gerechte Vorwürfe der Betheiligung an einem verfassungswidrigen Gebahren auf sich zu laden.
Die Rechtsverhältnisse der Regierung zu den Steuerpflichtigen in Bezug auf Erhebung und Entrichtung von Steuern werden in einer besondern Schrift von Mitgliedern der Kammermehrheit auseinandergesetzt werden.
Unbequem mag es den Ministern erschienen sein, daß die Volksvertreter die ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe streng, gewissenhaft und mit größter Freimüthigkeit [39] beurtheilten; die Minister haben aber, wie die Verhandlungen nachweisen, von ihrer Unbefangenheit, Sachkenntniß und ihrem Verstande keinen glänzenden Beweis geliefert, sonst würden sie in freier Diskussion oder, wenn sie von der freien Rede nicht den erforderlichen Gebrauch machen konnten, in Schriften die Einwürfe und Anträge der Kammern widerlegt haben. Leichter läßt es sich freilich ohne lästige Anfragen über das eingeschlagene oder einzuschlagende Verfahren der Staatsverwaltung regieren, aber eine Regierung, welche nach festen und klaren Grundsätzen verfährt, wird sich nicht scheuen, dem Volke Rechenschaft von ihren Handlungen zu geben.
Die Minister können unmöglich einem nach Fortschritt, Verbesserung und Erleichterung strebenden Volke, wie dem sächsischen, große Hoffnungen erwecken, wenn sie die von den Kammern gestellten Anträge, welche doch nur auf die Verwirklichung dieses Zieles gerichtet waren, schon als maßlos bezeichnen. Die Uebelstände, welchen in der bürgerlichen Gesellschaft gesteuert werden soll, sind sehr groß und tief in das Mark des Volkes dringend; kleine Abhülfen reichen nicht mehr aus. Mit allem Ernste und aller Kraft muß an die Verbesserung der Zustände Hand gelegt werden, wenn wir nicht einer ganz trüben Zukunft entgegen gehen wollen. Ein Ministerium Könneritz oder Held vermag die Bedürfnisse unserer Zeit nicht mehr zu befriedigen.
Die Minister sind nicht zurückgetreten, weil sie nicht glauben können, daß das sächsische Volk so vertreten sein wolle. Und doch waren diese Kammern die ersten aus der freien Wahl des Volkes hervorgegangenen, und doch zeigte das Volk durch solche Wahlen, daß es so vertreten sein wollte.
Wie unvollständig das Ministerium – den Wünschen des Volkes gegenüber – seine Aufgabe nach Innen [40] aufgefaßt hat, zeigen die unerledigten Anträge und unbefriedigt beantworteten Anfragen.
Wäre es den Ministern Ernst und Gebot inneren Dranges gewesen, Deutschlands Einheit und Freiheit zu begründen, so wären sie den Kammern, welche übereinstimmend in der deutschen Frage für ihre deutsche Gesinnung zeugende Anträge stellten, mit Vorlagen entgegen gekommen, während sie bisher vermieden, eine bestimmte, faßliche und klare Zusage zu geben. Sie haben ihren Aufruf erlassen, ehe sie noch die Ueberzeugung gewannen, daß auch eine Landtagsschrift in der deutschen Frage an sie gelangen würde.
Wohl kann man über die Art, wie die Aufgaben des Staates zu lösen sind, verschiedener Ansicht sein; aber das Volk sieht mit aller Entschiedenheit der Verwirklichung seines Willens entgegen und verlangt von der Regierung Grundsätze, Gesinnung und Thaten, welche es zu der Hoffnung gewissenhafter Ausführung seiner gerechten Wünsche berechtigen.
Mit dem Bewußtsein, unsern Auftrag in dem Sinne der Mehrzahl des Volkes, so weit es uns verstattet war, erfüllt zu haben, und frei von dem Bestreben, den Verdächtigungen der Minister mit Anklagen gegen dieselben zu antworten, auch unbekümmert um die Nachreden derselben, der Reaktionäre und der Staatsbevorzugten, treten wir in den Kreis unsrer Mitbürger zurück.
Dresden, am 30. April 1849.
Ahnert. Arndt. Auerswald. Benseler. Berthold. Bertling. Birnbaum. Bitterlich. Blöde. Böhme. Böricke. Clauß aus Zennewitz. Dammann. Du Chesne. Elßner. Eymann. Fincke. Floß. Fritzsche. Garbe. Gautsch. Gruner. Günther. Haase. Haberkorn. Haden. Haustein. Haußner. Heinze. Hensel. Herz. Heubner. Hitzschold aus Dresden. Hitzschold aus Wolkenstein. Hohlfeld aus Löbau. Jacob. Jahn. Joseph. Jungnickel. [41] Kaiser. Kaltofen. Kell aus Dresden. Müller I. aus Taura. Müller II. aus Taura. Müller aus Friedbach. Oehmichen aus Nerchau. Päßler. Reimmann. Rewitzer. Riedel. Segnitz. Schaffrath. Schmidt. Schneider. Schwerdtner. Steinmüller. Theile. Tzschucke. Unger. Voigt aus Penig. Ziesch. Zschweigert.“

Der demokratische Vaterlands-Verein, dieser leitende Central-Club der revolutionären Parthei, dem in 280 eng mit ihm verbundenen Zweig-Vereinen 27000 militairisch organisirte Mitglieder zu Gebote gestanden haben sollen, beschloß in einer Abend-Versammlung, unter dem Vorsitz des Obmann Minkwitz folgende zwei Erklärungen:

„In Erwägung, daß einzig und allein dem Volke das Recht zusteht, die von seinen Bevollmächtigten ausgearbeitete Verfassung zu prüfen und nach Befinden durch einen Urakt seiner Souveränität wieder aufzuheben, dieses Recht aber niemals den Fürsten zugestanden werden kann, hat die Hauptversammlung des demokratischen Vaterlandsvereins zu Dresden beschlossen, die National-Versammlung zu Frankfurt ihres vollen Beistandes bei Aufrechthaltung der Volksherrschaft gegen die Uebergriffe der Fürsten zu versichern, sodann auch die hohe Versammlung aufzufordern, mit Nachdruck die Vereidigung des Militairs und der Bürgerwehr auf die Reichsverfassung in ganz Deutschland zu betreiben“.

„An das Gesammtministerium!“
„Der unterzeichnete Verein erklärt dem k. Gesammtministerium, daß er die von den Vertretern des deutschen Volks beschlossene und verkündete deutsche Reichsverfassung als zu Recht bestehend anerkennt, seine Kräfte zu deren unbedingter Durchführung der National-Versammlung [42] zu Frankfurt zu Gebote stellt, jeden Widerstand gegen diese Verfassung von oben als revolutionären Akt betrachtet und das k. Gesammtministerium für die Folgen einer solchen Revolution von Oben allenthalben verantwortlich macht.
Dresden, 30. April 1848.
Der Ausschuß des demokratischen Vaterlandsvereins.“

Dienstag den 1sten Mai Vormittags 11 Uhr wurde die letzte dieser beiden Erklärungen einer sich auf diese Weise eigenmächtig zu einer politischen Körperschaft aufwerfenden Versammlung, dem Ministerium in Begleitung mehrerer Hunderte von Arbeitern und junger Leute unter Vorantragung deutscher Fahnen, also in der Form einer sogenannten: „Sturm-Adresse“ überbracht. Nachdem der Minister Dr. Held der Deputation seine erfolgte Entlassung angekündigt hatte, erklärten die beiden allein auf ihrem Posten verbliebenen Minister: von Beust und Rabenhorst, daß sie die Adresse dem Könige vorlegen würden.

Ein Theil des der Deputation gefolgten Haufens wandte sich gegen das Schloß und begann die dortige Wache zu verhöhnen, ward jedoch von den Leitern der Bewegung, denen die zum wirklichen Ausbruche geeignete Zeit noch nicht gekommen zu sein schien, noch beschwichtigt und auf die folgenden Tage vertröstet. Doch nahm von jetzt an das wüste Treiben der Massen, das bis dahin erst nach eingetretener Dunkelheit aufzutreten gewagt hatte, schon am Tage immer mehr überhand.

Auch der, bisher in seinen demokratischen Tendenzen nicht ganz so weit als die Vaterlands-Vereine gehende, deutsche Verein sandte Nachmittags eine Deputation mit der Bitte zum Könige, die deutsche Reichsverfassung anzuerkennen. [43] Aus dem eigenen Munde des Monarchen wurde ihr die Erklärung, daß er nach reiflichster Erwägung die Ueberzeugung gewonnen habe, wie diese Anerkennung nur zum Unheil führen könne und daß die Sächsische Regierung in dieser Angelegenheit ganz mit der Preußischen in Einverständniß zu handeln gedenke. – Statt zu überzeugen und zu beruhigen, hatte diese Erklärung nur die Folge, daß der deutsche Verein sich von nun an dem zu den extremsten Schritten drängenden Vaterlands-Vereine anschloß.

Dem Beispiel der eben genannten, sich unbefugt und eigenmächtig zu Organen der sogenannten öffentlichen Meinung, ja eigentlich des ganzen Volkes, aufwerfenden Vereine folgten am Abend die konstituirten städtischen Behörden, denen wohl das Recht: der Regierung ihre Anliegen vorzutragen, doch aber keineswegs die Befugniß zustand, diese Anliegen auf die politische Richtung des gesammten Staats auszudehnen und sie in einer dem Wesen nach drohenden Form auszusprechen und anzubringen.

Sowohl der Kommunalgarden-Ausschuß als die Stadtverordneten beschlossen unter den stürmischen, häufig zu den gewaltsamsten Schritten auffordernden Debatten, diejenigen Adressen an den König, welche am folgenden Tage redigirt und am 3ten Mai dem Könige wirklich überbracht wurden.

Mittwoch den 2ten Mai reiften die Pläne und Vorbereitungen der zum Aufruhr entschlossenen Parthei mit jeder Stunde ihrer Ausführung entgegen.

In einem Anschlage riefen die Kommandanten der Kommunalgarden dieselbe in Ur-Versammlungen zusammen, um sich über die Reichsverfassung auszusprechen, – ein Schritt, der, unter der herrschenden Aufregung, der den Kommunalgarden gesetzlich obliegenden Verpflichtung: die gesetzmäßige Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten, augenscheinlich entgegen lief.

[44] Außerdem wurden folgende zwei Anschläge an allen Ecken angeheftet und darin nun ganz unverholen zum gewaltsamen Widerstande gegen die Regierung aufgerufen:

„Mitbürger!“
„Die von dem Volke gewählte verfassunggebende deutsche Nationalversammlung hat die Reichsverfassung vollendet und als Reichsverfassung verkündet. Sie mißfällt den deutschen Fürsten, eben weil sie lediglich kraft des der Nationalversammlung übertragenen Volkswillens geschaffen ist. Die „mächtigsten deutschen Fürsten“, wie sie sich nennen, der österreichische Kaiser und der König von Preußen, widersetzen sich der Einführung dieser Reichsverfassung. – Die österreichische Regierung hat die Abgeordneten, die nicht sie, sondern das Volk gewählt, aus der Nationalversammlung zurückberufen, Preußen will einen Fürstencongreß der Nationalversammlung entgegenstellen und sammelt Truppen in Frankfurts Nähe, offenbar um einen Gewaltstreich gegen dieselbe auszuführen und den alten Bundestag wieder herzustellen. Mit Friedrich Wilhelm IV. und seinem Ministerium Brandenburg handelt im Einverständniß die Krone von Hannover, der König von Baiern mit seinem Ministerium v. d. Pfordten, und Friedrich August von Sachsen mit dem Ministerium Beust. Auch sie wollen die Reichsverfassung nicht anerkennen, auch sie, auch der König von Sachsen, treten der Souverainität des Volkes entgegen. In 28 Staaten wurde bis jetzt die Reichsverfassung freiwillig verkündet. Gegen die widerspenstigen Regierungen erhob sich das Volk zuerst in Würtemberg wie Ein Mann, und Militair und Bürgerwehr erklärten: mit Gut und Blut die Reichsverfassung durchsetzen zu wollen, und der König hat sich dem Volkswillen beugen müssen. Die Reichsverfassung ward in Kraft gesetzt. Mitbürger! Wir Sachsen [45] haben seit dem Beginn der deutschen Revolution festgehalten an dem Grundsatze der Volkssouveränität. Wollen wir ihn jetzt verlassen – in dem Augenblicke, wo es gilt, entweder ihn zur Geltung zu bringen oder uns wiederum zu beugen unter das Joch fürstlicher Willkür oder fürstlicher Gnade mit all ihrem Gefolge des vormärzlichen Druckes und Elendes! Wie in Preußen, wie in Hannover, hat man unsere Kammern aufgelöst, die dieser Souveränität, die der Reichsverfassung Geltung verschaffen wollten.
Schon erhebt das Volk in Baiern, in Schlesien und Hannover seine Stimme für sein Recht, das es sich durch seine Revolution erworben, für die höchste und heiligste seiner Errungenschaften, die alle andern in sich schließt, für seine Selbstherrlichkeit. Soll Sachsen zurückbleiben? Soll es sich des Rufes unwürdig zeigen, den es sich durch sein Freiheitsstreben in Deutschland erworben? Die Stunde hat geschlagen, wo das Volk durch die That beweisen muß, daß es ein einiges, souveränes deutsches Volk sein will, es koste was es wolle. Bürger, in solcher Stunde müssen wir stehen Alle für Einen, Einer für Alle. Männer der Bürgerwehr, Männer vom Militär, erinnert Euch, daß die Waffen, die Ihr tragt, alle Volkswaffen sind, vereinigt Euch in dem heiligen Streben nach dem gemeinschaftlichen Ziele. Stehet fest auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes!
Es lebe die Souveränität des deutschen Volkes! Es lebe die Reichsverfassung!
Dresden, am 2. Mai 1849.
Der Ausschuß des Vaterlandsvereins. 
Dr. jur. Minkwitz, Obmann. H. Lindemann.

„Erklärung“!
„Obgleich die von der Nationalversammlung zu Frankfurt beschlossene und publizirte Reichs-Verfassung [46] nicht der Art ist, daß wir derselben in allen ihren Punkten beizustimmen vermöchten – obgleich wir den Wunsch nicht unterdrücken können, daß unsere Vertreter in Frankfurt in dem langen Jahre ihres Beisammenseins dem allgemeinen Volkswillen hätten besser Rechnung tragen sollen – obgleich in Hinblick darauf und in Bezug auf die materielle Wohlfahrt des Volkes für die Zukunft viel, sehr viel zu thun bleibt: so können wir doch auch nicht gleichgültig ansehen, wenn an dem Wenigen, was uns die frankfurter Professorenweisheit bot, noch gemäkelt und gemarktet werden soll, wenn uns die Herren von Gottes Gnaden dieses Wenige ganz vorenthalten wollen, wenn auf diese Art der glorreichen Erhebung des vorigen Jahres offen ins Gesicht geschlagen, der Contrerevolution die Krone aufgesetzt wird. Wir erklären uns daher, in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen unserer Vertreter in den deshalb aufgelösten sächsischen Kammern, in Uebereinstimmung mit den Erklärungen von politischen Vereinen der verschiedensten Farbe aus allen Gauen des Vaterlandes, in Uebereinstimmung endlich mit der Ueberzeugung jedes ehrlichen Deutschen, für unverweilte und unverkürzte Anerkennung der deutschen Reichs-Verfassung, und werden, in Gemeinschaft mit unsern Mitbürgern, Alles aufbieten, diesen ersten Grundstein der deutschen Einheit vor den zerstörenden Eingriffen despotischer Willkür zu wahren, und – wenn es sein muß – selbst unsere einzigen und höchsten Güter, unser Blut und Leben, auf dem Altare des Vaterlandes und der Freiheit zu opfern nicht scheuen.
Dresden, am 2. Mai 1849.
Der Arbeiter-Verein.     
Friedrich Grille, Obmann.“

[47] Hätte die Empörung gesiegt, so dürfte die letzte dieser Erklärungen leicht die erste Kundgebung der zur sogenannten: „Rothen Republik“ führenden kommunistischen Parthei und die erste Stufe zur Erreichung ihrer Zwecke gebildet haben.

Der Stadtrath trat der Adresse der Stadtverordneten bei; in den Nachmittags abgehaltenen Versammlungen der Kommunalgarde ward in einigen Bataillonen ausgesprochen, die Anerkennung der Reichsverfassung sei vom Könige nicht zu erbitten, sondern zu fordern, ja selbst der Person des Monarchen als Unterpfand gegen das Einschreiten fremder Truppen sich zu versichern; der Kommunalgarden-Ausschuß endlich beschloß die berathene Adresse (s. §. 6.) Tags darauf dem Könige zu übergeben, die Bürgerwehr zusammen zu berufen und von ihr, selbst für den Fall einer abschläglichen Königlichen Antwort, der Reichsverfassung durch ein feierliches Hoch huldigen zu lassen. So war auch von dieser zur Erhaltung der Ordnung bestimmten bewaffneten Körperschaft die offene Widersetzlichkeit gegen die Regierung beschlossen!

Im Laufe des Tages war das Ministerium durch die Ernennung des Dr. Zschinsky zum Justiz-Minister und Vorsitzenden des Gesammt-Ministeriums vervollständigt worden.


Unter diesen drohenden Anzeichen hatte die Regierung denn natürlich auch auf Vorsichts-Maßregeln und Vertheidigung zur etwa nöthig werdenden militairischen Unterdrückung der Bewegung Bedacht genommen. Seit dem Sonntag hatten die Soldaten die Stadt, seit dem Dienstage von 6 Uhr Abends an die Kasernen nicht mehr verlassen dürfen. Das vorhandene Geschütz war in Bereitschaft gesetzt, die Stäbe der Truppen zur augenblicklichen [48] Ertheilung und Weiterbeförderung der erforderlichen Befehle auf ihren Posten.

Es kann hier eine den inneren Dienstbetrieb der Truppen in solchen kritischen Zeitläufen betreffende Bemerkung nicht unterdrückt werden. Mochte auch hier in Dresden der Umstand, daß die Behörden den Ausbruch des offenen Kampfes noch nicht für so nahe hielten, als er es wirklich war, die Veranlassung gewesen sein, daß in allen diesen Tagen noch nicht zu der vollständigen Consignirung der Truppen in den Kasernen geschritten worden war, so beweist doch dies Beispiel gerade, daß es jener in unruhigen Zeiten so überaus häufig angewandten Maßregel nicht dringend bedarf, um die Truppen gefechtsbereit und (was auch oft ein Nebengrund des so beliebten Consignirens ist) frei von den gefürchteten Einflüssen der Demokratie zu halten. Seit Jahren war das Sächsische Militair, das sich von jeher den übrigen Ständen niemals schroff entgegen gestellt hatte, von der revolutionären Parthei bearbeitet worden, welche sogar im Offizierstande, wenn auch ganz vereinzelte und von ihren Kameraden verläugnete Anhänger hatte, und dennoch blieb es ohne nachtheiligen Einfluß, daß die Truppen in den eben geschilderten Tagen der höchsten Aufregung des Volks theilweise noch im Verkehr mit demselben ungehindert geblieben waren. Möge dieses Beispiel die in unruhigen Städten befehligenden Militair-Behörden dazu vermögen, die vollständige Consignirung der Truppen in den Kasernen nicht zu oft und zu lange dauernd anzuordnen. Es ist dies in der Regel eine unnütze Beschränkung der Freiheit und kann durch die sich darin aussprechende übermäßig vorsichtige Besorglichkeit, durch das unbehagliche und abspannende Gefühl des unthätigen Abwartens feindlicher Provokationen und Agressionen, selbst durch die Langeweile und durch die dadurch erst recht herbeigerufenen Betrachtungen und Besprechungen [49] über politische Gegenstände, eher nachtheilig, als vortheilhaft wirken. Man kann nun einmal den aus dem Volke hervorgegangenen, mit dem Volke verkehrenden Soldaten nicht hermetisch gegen die Einwirkung der andern Stände absperren. So lange also im jahrelangen Verkehr mit letzteren das Pflicht- und Ehrgefühl des Soldaten etwaigen Einflüsterungen und Aufhetzungen unzugänglich geblieben ist, so lange kann man auch das völlige Consigniren ganzer Garnisonen bis zu dem Augenblick verschieben, wo die ersten auch dem Urtheilsvermögen des beschränktesten Rekruten in die Augen springenden Anzeichen des wirklich ausbrechenden Kampfes eintreten; mit doppelt frischem Muthe wird der Soldat in solchen Augenblicken aus dem entferntesten Stadttheil herbeieilen, um in Reihe und Glied seiner Pflicht zu genügen. Besorge man von einer solchen, von ängstlichen oder an äußeren disciplinarischen Formen hängenden Gemüthern als unverantwortliche Sorglosikeit verschrienen Zuversicht keinen Echec, der den Truppen widerfahren könne! Wollten es ja etwa Volkshaufen wagen, gegen die Kasernen eines Truppentheils, wenn dieser auch nicht in derselben consignirt wäre, angriffsweise zu verfahren, so würde dies nur zu seinem Verderben ausschlagen, wie denn auch ja der 18te und 19te März 1848 in Berlin wenigstens so viel lehrte, daß schon wenige Soldaten unter entschlossener Führung hinreichend sind, die weitläuftigsten Kasernen gegen wüthende Pöbelhaufen zu behaupten.

§. 6. Der erste blutige Zusammenstoß. Donnerstag den 3. Mai.

Noch einmal versuchte das Ministerium durch Worte des Friedens und der Verständigung auf die bessere Ueberzeugung der Wohlgesinnten zu wirken, und erließ am 3ten Morgens folgende:

[50]
Bekanntmachung.
„Von verschiedenen Seiten sind sowohl an S. M. den König, als an das Gesammt-Ministerium Adressen eingegangen, in welchen die sofortige Anerkennung der von der deutschen Nationalversammlung verkündeten Reichsverfassung beantragt wird. In gleichem Sinne hatte sich eine von den Kammern nach deren Auflösung eingereichte Landtagsschrift ausgesprochen. In Erwiderung dieser Kundgebungen sieht sich das Ministerium zu nachstehender Erklärungb) veranlaßt.
Nachdem gemäß der Verordnung vom 10ten April v. J. die Wahlen von Nationalvertretern für das zwischen den Regierungen und dem Volke zustandezubringende deutsche Verfassungswerk erfolgt waren, blieb der Regierung das Recht der freien Zustimmung zu den Beschlüssen der zu solchem Endzweck zusammengetretenen Nationalversammlungc) selbstverstanden vorbehalten. Die Regierung hat seitdem jederzeit ihre Bestrebungen dahin gerichtet, daß eine Vereinbarung zwischen den Regierungen Deutschlands und der Nationalversammlung ermöglicht werde, sie hat aber auch, und zwar in Uebereinstimmung mit den sächsischen Kammern, bei mehrfacher Gelegenheit jenes Recht der Zustimmung gewahrt. Indem nun die Regierung sich berufen sah, zu erwägen, in wie weit sie von diesem Rechte gegenüber der von der Nationalversammlung beschlossenen Verfassung Gebrauch zu machen habe, konnte sie sich zunächst erheblicher Zweifel darüber nicht enthalten, ob diese Verfassung in allen ihren Theilen geeignet sei, die Einheit Deutschlands auf dauerhafter Grundlage aufzurichten und für das wahre Heil des weitern und engern Vaterlandes beruhigende Bürgschaften zu gewähren. Gleichwohl würde sie, in Berücksichtigung der im eigenen Lande erfolgten vielfachen Kundgebungen zu Gunsten einer raschen Anerkennung der Verfassung, sich allerdings die Frage haben stellen [51] müssen, ob sie nicht diese ihre ernsten Bedenken der Erreichung des Einen großen Zieles, nämlich der thatsächlichen Herstellung der deutschen Einheit unterzuordnen habe, hätte es sich wirklich darum gehandelt, daß die Lösung dieser Aufgabe nicht durch das Zurückhalten ihrer Entschließung verzögert werde. Allein es war und ist diese Bedingung nicht erfüllt. Für die einheitliche Gestaltung Deutschlands haben S. M. der König wiederholt die nöthigen Opfer zu bringen Sich bereit erklärt. So lange aber von Seiten der größten deutschen Staaten die entschiedene Weigerung besteht, die in Frankfurt verkündete Verfassung anzunehmen, so lange insbesondere der ausgedehnteste deutsche Staat, so lange Preußen, ohne welches ein deutsches Reich nicht gedacht werden kann, mit seinem Eintritt in den Bundesstaat auf Grund dieser Verfassung zurücksteht, kann bei ruhiger Erwägung der Verhältnisse kaum ernstlich erwartet werden, daß die sächsische Regierung schon jetzt unbedingt auf ihre bisherige Selbstständigkeit verzichte. Die Regierung Preußens hat die Nationalversammlung zu einer Vereinbarung über einige ihr nothwendig scheinende Abänderungen der Verfassung aufgefordert und die Hoffnung ausgesprochen, zu einem Einverständniß mit ihr zu gelangen. Die sächsische Regierung wird aber ihrerseits den Beweis zu liefern wissen, daß sie die thatsächliche Herstellung der deutschen Einheit nicht aufzuhalten bestrebt ist und sobald nur das Anerkenntniß der Reichsverfassung von Seiten Preußens erfolgt ist, in gleicher Weise dazu vorschreiten.
Dresden, den 3. Mai 1849.
Gesammtministerium. 
Dr. Zschinsky.       v. Beust.       Rabenhorst.“

Ohne Rücksicht hierauf überbrachte eine Deputation des Stadtraths und der Stadtverordneten dem Könige [52] die schon am Tage vorher beschlossene Adresse folgenden Inhalts:

„Majestät!“
„Die ehrerbietigst Unterzeichneten fühlen sich als die gesetzlich berufenen Vertreter hiesiger Gemeinde gedrungen, in einer Zeit, wo das gemeinsame Vaterland in Gefahr ist, ehrfurchtsvoll dem Throne Ew. Majestät sich zu nahen. Ew. Majestät Regierung hat von Beginn der Erhebung des deutschen Volkes an, die bündigsten Versicherungen ausgesprochen, daß es ihr Ernst sei, um die Verwirklichung der deutschen Freiheit und Einheit und daß Ew. Majestät bereit sei, die Opfer zu bringen, welcher dieser hohe Zweck erheischt.
Die freudige Anerkennung des Reichsverwesers, mit welcher Sachsen allen andern deutschen Staaten vorangegangen ist, und die bereitwillige Ausführung aller Beschlüsse der Centralgewalt und der Nationalversammlung sind hinreichende Beweise dafür. Auch von den dermaligen Räthen der Krone sind bereits die Grundrechte, als ein Theil der deutschen Verfassung, in unserem Vaterlande als Gesetz in dem Maaße verkündet worden, wie sie von der Nationalversammlung berathen und beschlossen worden sind. Jetzt aber, wo es gilt, den Schlußstein der bisherigen Thätigkeit dieser Versammlung als einen festen Grundstein für den Bau von Deutschlands Einheit, Freiheit, Wohlfahrt niederzulegen, jetzt, nachdem auch die bisherigen Volksvertreter fast einstimmig sich für die Anerkennung der Reichsverfassung ausgesprochen haben, müssen wir mit Schmerz bemerken, daß Sachsen in seiner leidigen Sonderstellung hinter den 29 deutschen Regierungen zurückbleibt, welche bereits die Reichsverfassung unumwunden anerkannt haben; wir beklagen es tief, daß die Krone auch dermalen noch von Männern berathen wird, welche weder die Unabhängigkeit der sächsischen [53] Nation gegenüber den andern deutschen Regierungen zu wahren, noch insbesondere in den deutschen Angelegenheiten im Sinne der großen Mehrzahl des sächsischen Volks zu handeln verstehen. Indem wir ehrfurchtsvoll Unterzeichnete die Rechtsgültigkeit der deutschen Verfassung, wie sie aus der zweiten Lesung der Frankfurter Nationalversammlung hervorgegangen ist, auch für Sachsen anerkennen und jeden Widerstand gegen dieselbe als ein Auflehnen gegen den, durch seine freigewählten Vertreter ausgesprochenen Willen des deutschen Volkes betrachten, bringen wir den dringenden Antrag an Ew. Majestät:
Höchstdieselben wollen dahin Anordnung treffen lassen, daß diese deutsche Reichsverfassung in den sächsischen Landen unverweilt und unverändert als Gesetz verkündet werde.
Der allenthalben rege und begeisterte Sinn für das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes wird dadurch befriedigt, die Einheit und Freiheit Deutschlands wird dadurch um einen bedeutenden Schritt ihrem Ziele näher gebracht und Ruhe und Glück eines jeden einzelnen Staatsbürgers mittelbar durch die Sicherheit festbegründeten Rechtszustandes gefördert werden.
Unser Gewissen gebietet uns, Ew. Majestät auf die traurigen Folgen und die dringende Gefahr aufmerksam zu machen, in welche eine längere Verweigerung der gerechten Forderungen des Volkes, das ganze Vaterland und auch insbesondere unsere Stadt stürzen würde.
Hoffen wir, daß das Band des Vertrauens, welches bisher Sachsens Fürsten und Volk umschlang, nicht auf alle Zeiten zerrissen werde.
Erfurchtsvoll verharren wir
Dresden, den 2. Mai 1849.
Der Rath zu Dresden.
Das Stadtverordneten-Collegium.“

[54] Ebenfalls im Laufe des Vormittags wurden dem Könige durch Deputationen aus den größeren Städten des Landes, aus Leipzig, Freiberg, Zwickau u. a. m., Adressen ähnlichen Inhalts übergeben, so wie von der Bürgerwehr Dresdens die nachstehende:

„Königliche Majestät!“
„Bei der hohen Wichtigkeit, welche die in diesem Augenblicke in allen Theilen des deutschen Vaterlandes verhandelte Frage über die endliche lang ersehnte Gestaltung eines mächtigen und freien deutschen Bundesstaates auch für Sachsen gewonnen hat, bei den lauten Besorgnissen, welche über einen gefahrdrohenden Widerstreit der Ansichten über diese Frage hervorgetreten sind, hält es die Dresdner Bürgerwehr für eine heilige Pflicht, Ew. Königl. Majestät gegenüber hierdurch ehrerbietigst aber offen zu erklären, daß die Bürgerwehr die Ueberzeugung von der dringenden Nothwendigkeit der sofortigen Anerkennung der Beschlüsse der Frankfurter Nationalversammlung wegen der deutschen Reichsverfassung theilt und daß sie ihrer Pflicht zu Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung jederzeit eingedenk, doch gegen ihre Mitwirkung zu Maßregeln, welche die Gültigkeit der deutschen Reichsverfassung in Frage stellen sollten, sich feierlichst verwahrt.
Dresden, den 2. Mai 1849.“

Allen diesen Deputationen wurde durch den König persönlich der mit Gründen belegte, selbst gegen erhobene Einwendungen ruhig motivirte, zwar in sichtlicher Bewegung, jedoch bestimmt und fest ausgesprochene Bescheid zu Theil, daß die Regierung bei ihrem Beschlusse: die Reichsverfassung nicht anerkennen zu können, beharren müsse. Die Kommunalgarde insbesondere wurde noch außerdem auf die ihr obliegende Verpflichtung: die gesetzliche [55] Ordnung und die öffentliche Ruhe aufrecht zu erhalten, hingewiesen.

Auch dieses eben so würdige als langmüthige Verfahren des Monarchen fruchtete nichts, im Gegentheile rief es nur neue, offenbar empörerische Schritte der bewaffneten Körperschaft hervor.

Einerseits beschloß der Bürgerwehr-Ausschuß die Kommunalgarde um 1 Uhr auf ihren Sammelplätzen zusammenzurufen, ihr die Antwort des Königs mitzutheilen, und, trotz derselben, die Parade zur Huldigung der Reichsverfassung abzuhalten, – andererseits wurde um 12 Uhr von Seiten der Stadtverordneten-Versammlung folgendes Plakat angeschlagen:

„Mitbürger! Der König hat mehreren Deputationen eine ablehnende Antwort ertheilt und sich namentlich auf Preußen und Baiern berufen. Nach der neuesten preußischen Note steht uns die Besetzung des Landes mit preußischen Truppen bevor. Die Stadtverordneten zu Dresden werden deshalb heute in außerordentlicher Sitzung Nachmittags 4 Uhr die Niedersetzung eines Landes-Vertheidigungs-Ausschusses gegen fremde Truppen beantragen.
Dresden, den 3. Mai 1849.
Blöde.       Minkwitz.       Seidenschnur.“

So war denn die offene, die bewaffnete Widersetzung gegen die Regierung ausgesprochen und diese durfte sich nicht länger verhehlen, daß der Kampf unvermeidlich und die Ergreifung militairischer Maßregeln nicht allein gerechtfertigt, sondern geboten sei.

Die in §. 2. näher detaillirten geringen Streitkräfte, welche der Regierung zu Gebote standen, wurden allmählig je nachdem die Aufregung stieg und die Gefahr dringender erschien, in folgender Weise verwandt:

[56] Zunächst wurde bei dem um Mittag stattfindenden Aufziehen der neuen Wache angeordnet, daß die alten Wacht-Mannschaften der beiden Hauptwachen, so wie der Schloß- und Zeughaus-Wache statt nach ihren Kasernen zurückzukehren, als Verstärkung der Posten in diesen verbleiben sollten. Nächstdem wurden auch die, jede nur aus wenigen Leuten bestehenden, Wachen an den Schlägen eingezogen und zur Verstärkung jener größeren Wachen verwendet.[9] Später wurde die, für gewöhnlich in dem zwischen dem Schlosse und dem Zwinger isolirt gelegenen Wach-Gebäude sich befindende Altstädter Hauptwache nach dem Schlosse gezogen.

Hierdurch, wie durch allmähliges Heranziehen ganzer Abtheilungen wurde die Besatzung des Schlosses bis Nachmittags 4 Uhr bis auf 8 Kompagnien des in Dresden garnisonirenden 1sten Infanterie-Regiments, Prinz Albrecht (im Ganzen höchstens eben so viele Hundert Feuergewehre stark) vermehrt. Eine kräftige Ansprache des von seinen Untergebenen mit Recht eben so geliebten als hochverehrten Regiments-Kommandanten, des Oberst v. Friderici, welchem der Befehl im Schlosse übertragen wurde, steigerte das in diesem ausgezeichneten Truppentheile stets unerschüttert gebliebene Gefühl der Pflichttreue bis zum Enthusiasmus und bis zum erneuerten Schwure: für die Vertheidigung des angestammten Regentenhauses und der gesetzlichen Ordnung, Blut und [57] Leben freudig einzusetzen. – Von der Schloß-Besatzung wurde auch das Prinzen-Palais und das an der Brühlschen Terrasse gelegene Finanzhaus besetzt und die Bedeckung für 2 am Ausgang der Brücke aufgestellte Geschütze gegeben.

In das Zeughaus kamen 3 Kompagnien des bereits genannten Infanterie-Regiments, ferner 60 Mann Fuß-Artillerie mit 4 unbespannten Geschützen, im Ganzen etwa 350 Mann.

Von der Reiterei wurden 2 Eskadrons auf dem Schloß- und Theater-Platz und 2 andere in der Neustadt am Blockhause aufgestellt; das Depot des Garde-Reiter-Regiments rückte anfangs auf den Neumarkt, dann vorübergehend nach seiner Kaserne in der See-Vorstadt zurück und wurde später (gegen Abend) größtentheils zur Deckung der Pulver-Magazine verwandt, wo von seiner Wirksamkeit weiterhin (im §. 9.) die Rede sein wird.

Die Neustädter Hauptwache (das sogenannte Blockhaus) wurde von Artillerie-Mannschaften besetzt, welche zugleich die an dem diesseitigen Ende der Elbbrücke aufgestellten 2 Geschütze bedienten und bedeckten.

Zur Bewachung der Kasernen, des Militair-Hospitals und der übrigen Militair-Etablissements in der Neustadt blieben nur etwa 100 Mann der Infanterie und der Pioniere zurück.

Um 5 Uhr rückte die reitende Artillerie mit 4 Geschützen, ohngefähr 100 Mann, aus Radeberg in Dresden ein und wurde als Reserve in der Reiter-Kaserne in der Neustadt aufgestellt.

Während die Truppen sich auf diese Weise in Gefechts-Bereitschaft behufs Vertheidigung der wichtigsten Punkte der Stadt setzten, wurde durch Allarmschlagen und durch Glockenzeichen vom Kreuzthurme die Bürgerwehr zusammenberufen. Der bisherige Kommandant derselben, Lenz, hatte zwar, nachdem er in der bereits [58] erwähnten Ausschuß-Sitzung mit seiner sich dawider aussprechenden Meinung in der Minderheit geblieben war, beim Ober-Kommandanten der sämmtlichen Kommunalgarden des Königreichs, v. Mandelsloh, seine Entlassung eingereicht, diese war aber nicht angenommen worden, so wie auch das Ober-Kommando die angeordnete Parade der Bürgerwehr für ungesetzlich erklärt und verboten hatte. Nach Mittheilung dieses Befehls und der auf die Adresse erfolgten Antwort des Königs an die einzelnen Bataillone wurden diese entlassen, bis auf zwei, welche angeblich zum etwa nöthig werdenden Einschreiten gegen den augenscheinlich sich vorbereitenden Aufstand, beisammen behalten wurden.

Sowohl bei den Bewegungen der Truppen, als bei dem Zusammenkommen der Bürgerwehr, hatten die in den letzten Tagen schon immer sehr belebten Straßen, besonders die um das Schloß und das Zeughaus, so wie der Alt- und Neumarkt, sich immer mehr mit Menschenmassen gefüllt, deren Haltung mit jeder halben Stunde drohender und herausfordernder wurde. Die Sprache der Volksvertreter wurde kühner, das Benehmen des Gesindels frecher; immer mehr verwegene, meist fremde Physionomien im revolutionären Kostüm traten hervor; die Vorbereitungen zum Versperren und Verbarrikadiren der Straßen, nahmentlich auch der Zugänge zum Schloß und zu den Königlichen Ställen (um eine Abreise des Königs zu verhindern[10]) begannen. Die Kommunalgarde [59] wurde von ihrem Kommandanten aufgefordert, dies Beginnen zu hindern und die in aufrüherischem Toben begriffenen Volksmassen, deren Steinwürfe schon die Fenster der Königlichen Wohnzimmer zertrümmert, deren Wuth sich schon in Thätlichkeiten gegen Königliche Diener gezeigt hatte, auseinander zu treiben; die Bataillone verweigerten aber den Gehorsam, worauf der Kommandant Lenz den Befehl abermals niederlegte, und der älteste Bataillons-Kommandant, Advokat Heinz, wenn auch nur auf kurze Zeit, an seine Stelle trat. Aus Rache wurde die reiche Modewaaren-Handlung und die Wohnung des abgetretenen Kommandanten völlig geplündert und verwüstet; gleichzeitig wurden die Eisen- und Waffen-Handlungen, trotz der an allen Thüren und Läden in großen Lettern mit Kreide angebrachten Schutzworte: „Heilig ist das Eigenthum“ erbrochen und ihre Vorräthe zur Ausrüstung der noch unbewaffneten Proletarier geraubt.

Die schon seit längerer Zeit völlig militairisch organisirte und in den Waffen geübte Turnerschaar war schon um Mittag bei dem Appel der Bürgerwehr ungerufen erschienen, hatte aber wohl da den günstigen Augenblick zum Handeln für noch nicht eingetreten gehalten. Jetzt, einige Stunden später, eröffnete sie und die Scharfschützen-Kompagnie der Kommunalgarde, mit Fremden vermischt, und wahrscheinlich nach gehaltener Berathung von diesen geleitet, zuerst den eigentlichen Kampf, mit dem Versuche, sich des Zeughauses zu bemächtigen.

Als Einleitung hierzu diente die Besetzung der das Zeughaus und den Hof desselben beherrschenden Gebäude, [60] nahmentlich des Klinischen Instituts. – Von den Truppen, welche noch immer den Befehl hatten, nicht selbst angriffsweise zu verfahren, vielmehr sich nur auf die unumgänglich nothwendig werdende Abwehr zu beschränken, geschah hiergegen nichts, sondern wiesen dieselben erst die durch das erbrochene Gitterthor in den Hof eindringende Menge durch einige Gewehrschüsse zurück. Der Knall derselben schreckte auch das 5te Bataillon der Kommunalgarde, das eben, angeblich in der Absicht, die Menge zu vertreiben, anrückte, in eiliger Flucht bis auf den Altmarkt zurück.

Dagegen schaffte ein entschlossenerer Volks-Haufe einen Wagen herbei, um mit diesem das Thor des eigentlichen Zeughauses einzustoßen und sich auf diese Weise in den Besitz dieses wichtigen Punktes zu setzen. Es war dies der erste Entscheidungs-Moment des Kampfes. Gelang es den Empörern, sich des Zeughauses zu bemächtigen, so waren nicht allein die Vorräthe desselben für die Truppen verloren und in den Händen der Aufrührer, sondern einflußreicher gewiß noch die moralischen Folgen dieses Ereignisses; in demselben Maaße wie dadurch auf der einen Seite der Sieg der Empörung in den Augen der Mithandelnden wie der nur zuwartenden Gesinnungsgenossen, in den Augen des Inlandes wie des Auslandes, für entschieden gehalten worden wäre, und wie damit der Muth, die Zuversicht, und mit diesen die Kraft und die Macht der Insurgenten gesteigert worden wäre, in demselben Maaße wäre auf der andern Seite dadurch das Selbstvertrauen der Truppen erschüttert, wo nicht untergraben worden.

Ein Veteran auf dem halb als Versorgung betrachteten Posten ergraut, in dessen gebeugter Gestalt sich aber das alte Soldatenherz ungebeugt erhalten hatte, der dem Zeughause vorgesetzte Artillerie-Oberst Dietrich, rettete hier die Waffenehre seines Heeres, vielleicht den Thron seines [61] Königs! Mit unerschütterlichem Gleichmuthe ordnete er die einfachen Vertheidigungs-Maßregeln an: an jedes der beiden, dem Eingange gegenüber gestellten mit Kartätschen geladenen Geschütze, ward ein Artillerist mit dem bestimmten Befehle gestellt, loszufeuern, sobald der Eingang erstürmt werde. Wie in der Regel immer, fand auch hier der bestimmt und kaltblütig Befehlende den eben so bestimmt und kaltblütig Gehorchenden. Als die Thorflügel den Stößen des vom Volke als Sturmbock gebrauchten Wagens wichen, zog der von den einstürzenden Trümmern getroffene Zimmermann Richter[11] ruhig die Zündschnur an, – der Kartätschschuß krachte und mehr als 20 Todte und tödtlich Verwundete des eindringenden Haufens lagen am Boden; der Rest floh unter Angst- und Rachegeschrei aus der verderbensprühenden Nähe.

Wie auf der einen Seite sich hier glänzend die nachhaltige Kraft des ein langes Leben hindurch bewahrten Pflichtgefühls und die Macht der Gewohnheit des ruhigen Gehorsams bewährte, eben so zeigte sich andererseits wie wenig die blinde Wuth ungeregelter Massen zu fürchten ist. Stand auch noch ein zweites geladenes Geschütz bereit, so konnte dieses doch von den aus mehreren Hunderten bestehenden Haufen auch höchstens wieder eben so [62] viel treffen, wie der erste Schuß, der unversehrte Rest dann aber sich des Zeughauses bemächtigen; in einer geordneten Truppe hätte es gewiß einen oder den andern Führer gegeben, der nach dem Schusse Geistesgegenwart genug behalten hätte, um zu erkennen, daß die größte Gefahr vorüber und der Zweck des Angriffs so gut wie erreicht war, so daß es nur weniger energischer Worte bedurft hätte, um die Untergebenen zur Benutzung des, wenn auch theuer erkauften, Vortheils anzuspornen! Hier aber floh Alles in wilder Flucht, nachdem eigentlich nicht viel mehr zu wagen und Alles zu gewinnen war!

Die einzige Fortsetzung des Kampfes von Seiten der Insurgenten an diesem Tage bestand in einer Beschießung des Zeughauses und des Zeughofes von den dasselbe umgebenden und dominirenden Gebäuden aus, wodurch denn auch den Sächsischen Truppen der erste Verlust und nahmentlich auch der des ersten gefallenen Offiziers: des Lieutenant Krug- v. Nidda, zugefügt wurde.[12]. In der Schloßgasse wurden zwar auch noch einige Schüsse zwischen den Empörern und der Schloßbesatzung gewechselt, die jedoch beiderseits keinen Schaden zufügten.

Während der Vorfälle am Zeughause hielten der Stadtrath und die Stadtverordneten die am Morgen beschlossene außerordentliche Sitzung. Ihr Resultat war: daß, wenn auch nicht der beantragte Landes-Vertheidigungs-Ausschuß, so doch ein Sicherheits-Ausschuß aus den Stadträthen Flathe und Hitzschold und aus den Stadtverordneten Dr. Köchly und Dr. Minkwitz bestehend, gewählt und eine abermalige Deputation an den König abgeschickt wurde, um ihn zur Nachgiebigkeit [63] und zu der daraus gehofften Vorbeugung ferneren Blutvergießens zu bewegen.

Noch während der Abwesenheit dieser Deputation, feuerte Tzschirner, der sich als Wortführer einer sogenannten „Kommission“ bereits zum Führer der Bewegung aufgeworfen hatte, vom Balkon des Rathhauses herab, das Volk zum ferneren Bau von Barrikaden an, der bereits begonnen hatte und dann in der bereits weiter oben (im §. 4.) näher angegebenen Form und Ausdehnung weiter geführt wurde. Zur Verbindung der diese Barrikaden beherrschenden Häuser unter einander wurde durch dieselben durchgebrochen; in Wohnungen mißliebiger Personen, z. B. von Offizieren, geplündert und Alles verwüstet. Die besten Meubel wurden rücksichtslos zum Versetzen der Fenster und Erker verwendet, die Hausbewohner oft zur Flucht genöthigt, oder, ihrer eigenen Sicherheit wegen, zum Aufenthalt im Keller veranlaßt. Die Kirchenthüren wurden erbrochen, von den Thürmen Sturm geläutet und Schüsse abgefeuert. Zugleich mit der deutschen schwarz-roth-goldnen Fahne wurde an vielen Orten auch die rothe der Republik, nebst dem Bilde des als Freiheits-Märtyrer betrachteten Robert Blum aufgesteckt und die wirkliche Proklamirung der Republik wohl nur deshalb unterlassen, um die Schwankenden, Schwachen und nur Halbes Wollenden, nicht zu früh mit den letzten Konsequenzen der begonnenen Bewegung zu schrecken. Von den am Zeughause Gefallenen wurden (ganz wie am 19ten März 1848 in Berlin) Einige mit offen gelegten Wunden zur Schau umhergefahren und dabei das Volk zur Rache gegen die Regierung und die Truppen aufgefordert.

Auch enthob die Kommission den Advokaten Heinz, der nur wenige Stunden dem Amte als Kommandant der Kommunalgarde vorgestanden, sich aber darin den neuen Leitern nicht entschieden genug gezeigt hatte, dieser [64] Function, und ernannte in seiner Stelle den Abgeordneten Heinze, ehemals Griechischen Oberstlieutenant, und stellte ihm den Rechtskandidaten v. Zychlinski als Adjutanten zur Seite. Der frühere Bürgerwehr-Kommandant, Lenz, war nebst seinem Adjutanten gefangen gesetzt worden, dann aber durch die Flucht entkommen. Schon jetzt zog sich der besonnene oder zur Besinnung kommende Theil der Kommunalgarde von dem Treiben der großen stürmischen Menge zurück, und überließ die Gefahren des Kampfes den im §. 2. geschilderten bunt zusammengesetzten Elementen.

Die von der Kommission an den König abgeschickte Deputation hatte mittlerweile einige Zeit warten müssen, bis sie vorgelassen wurde. Das bereits begonnene Blutvergießen hatte allerdings das Gemüth des Königs, nicht aber seinen Entschluß erschüttert. Nach Anhörung des den schweren Ernst und die Gefahren des Augenblicks mit lebhaften Farben schildernden Sprechers der Deputation zog er sich, wohl fühlend, daß es sich um die Existenz des Staates und des Thrones, und um die Fortsetzung des bereits blutig begonnenen Bürgerkampfes handele, zur letzten ernsten Berathung zurück, kehrte jedoch dann mit der festen Erklärung zurück, daß er bei der früheren Entscheidung verharren müsse.

Nach 7 Uhr Abends verkündigte die sogenannte Kommission vom Balkon des Rathhauses herab sowohl diese Antwort des Königs als die oben erwähnte Veränderung im Kommando der Bürgerwehr, an die hauptsächlich aus bewaffneten Turnern und Künstlern, aus Piken- und Sensenmännern, dagegen nur noch aus wenigen Kommunalgardisten, zusammengesetzte, auf dem Altmarkt versammelte Menge. Ein Schuß fiel aus derselben: ob zufällig, ob in der Absicht die Aufregung zu steigern, dürfte schwer zu ermitteln sein? Tschirner rief von neuem zum Kampfe für die Revolution auf, versprach für Waffen [65] und Schießbedarf zu sorgen, und suchte die in diesem entscheidenden Augenblick sich nicht allzu zuversichtlich aussprechende Stimmung der beiden Versammlungen durch die Hinweisung auf auswärtige Zuzüge, auf die Sympathie der Truppen und auf die Unmöglichkeit zu ermuthigen, daß der Regierung Preußische Hülfe zukommen könne. Es erwies sich auch hier wieder, wie dergleichen falsche und übertriebene Vorspiegelungen sich zuletzt selbst am meisten strafen. Je mehr von den Aufrührern der Abfall der Sächsischen Truppen und das Ausbleiben der Preußischen Hülfe als Bürgschaft des Sieges geschildert worden war, desto größer mußte später der Rückschlag auf die Stimmung sein, als jene Truppen der Regierung treu blieben, als die Preußischen Helme und Zündnadelgewehre nun wirklich im Kampfe gegenüber traten!

Der Abend des Tages, welcher das erste Blut hatte fließen sehen, verging ruhiger, als zu erwarten gewesen war. Nur einzelne Schüsse in der Gegend des Schlosses und des Zeughauses fielen; an der Vervollständigung der Barrikaden wurde jedoch fleißig gearbeitet und vom Kreuzthurme stiegen Raketensignale auf, welche durch (offenbar bereit gehaltene) Feuerzeichen auf den in der Richtung nach dem Erzgebirge zu gelegenen Höhen beantwortet wurden.

Von Seiten der Regierung wurde an die noch im Lande zerstreuten Streitkräfte (s. §. 2.) der Befehl zum Aufbruch nach Dresden ausgefertigt, so wie ein Offizier nach Berlin abgeschickt, um von der Preußischen Regierung nunmehr die schleunigste Gewährung der in Aussicht gestellten Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Durch mannigfache ihm von Seiten der Eisenbahn-Beamten in den Weg gelegte Schwierigkeiten gelangte dieser Offizier jedoch erst den 4ten Abends nach Berlin. – Der Major v. Zeschau des Kriegsministeriums, welcher [66] sich mit der bei Görlitz sammelnden Preußischen Division in Verbindung setzen sollte, wurde in dem insurgirten Bautzen mit Gewalt zurückgehalten, bis später (am 8ten) sich eine Preußische Abtheilung auf dem dortigen Bahnhofe blicken ließ.

§. 7. Der offene Bruch und die Vorbereitungen zum Kampfe, Freitag den 4ten Mai.

Da zufolge der eingegangenen Nachrichten die Eisenbahnen an vielen Stellen zerstört sein sollten, die Ankunft sowohl der Sächsischen als der Preußischen Verstärkungen also ungewiß war, es dann aber auch zweifelhaft erschien, ob die wenigen in der Stadt befindlichen Truppen ihre Stellung zu behaupten im Stande sein würden, so wurde beschlossen, daß der König Dresden verlassen und momentan seine Residenz nach dem unüberwindlichen Königstein verlegen solle.

Um 4 Uhr Morgens verließ der König mit der Königin und demjenigen Theile der Königlichen Familie, welcher nicht schon am vorigen Tage nach dem Schlosse Wesenstein abgereist war, das Königliche Schloß zu Fuß, und begab sich über die Brücke nach dem an dem Pontonschuppen in der Neustadt liegenden Dampfschiffe. Von allen drei Ministern begleitet und unter der Bedeckung einer Kompagnie Infanterie schiffte er nach der Felsenfeste, die hierdurch nach langer Zeit einmal wieder eine politisch-militairische Wichtigkeit erhielt.

Schon am Tage vorher war das Gerücht von der beabsichtigten Abreise des Königs verbreitet gewesen und auch jetzt kam die Kunde davon den Empörern so schnell zu, daß sie auf der böhmischen Eisenbahn dem Dampfschiffe in Pirna zuvorkamen, und dieses im Vorüberfahren aufzuhalten suchten. In Dresden war in Folge [67] dessen sogar schon das Gerücht verbreitet, das Unternehmen sei gelungen: der König sei gefangen. – In welchem Grade der revolutionäre Schwindel übrigens bereits die alte Anhänglichkeit der Sachsen an ihr Königshaus zu übertäuben vermocht hatte oder in welchem Grade wenigstens die demokratische Parthei bereits überall dominirte und terrorisirte, bewies der Umstand, daß anfangs von der Einwohnerschaft des am Fuß der Bergfestung gelegenen Städtchens Königstein die Hinaufschaffung von Lebensmitteln für die Königliche Hofhaltung verhindert wurde, so daß um die Verproviantirung der Festung, so wie die Einschiffung der aus derselben nach Dresden zu sendenden Munition zu sichern, es erst der Aufstellung von mehreren auf die Stadt gerichteten Depressions-Geschützen und der Drohung bedurfte, die letztere in Grund zu schießen.

Nachdem schon um 3 Uhr Morgens neue Raketen-Signale vom Kreuzthurme aufgestiegen waren, das Sturmläuten wieder begonnen hatte und einige Schüsse zwischen den Empörern und den Truppen gefallen waren, machten erstere (wahrscheinlich in der Hoffnung, daß der König noch nicht wirklich abgereist sei) gegen 5 Uhr einen Angriff gegen das Schloß, der jedoch so nachdrücktlich von der Besatzung abgeschlagen wurde, daß während der Dauer des ganzen Kampfes kein ähnlicher Versuch wieder gewagt wurde.

Der bis jetzt als Reichscommissar in Dresden anwesend gewesene Weimarsche Staatsminister v. Watzdorf, seine auf Vereinbarung gerichtete Sendung für beendigt erklärend, verließ die Stadt, und war somit auch dieser letzte Weg der Vermittelung zwischen den beiden entgegengesetzten Partheien abgeschnitten.

Am Vormittage wurde folgendes Placat in dem von den Aufrührern besetzten Theile der Stadt angeschlagen:

[68]
„Aufforderung.“
„Alle noch anwesenden ehemaligen Mitglieder der Sächsischen Volkskammer werden hiermit aufgefordert, sich auf dem Rathhause zu versammeln.“
„Todt. Tschirner. Herz. Berthold. Böricke. Köchly. Blöde. Rewitzer. Gaust. Dörfling. Theile. Kell. Heubner. Benseler. Reimann. Klette. Helbig. Feldner. Oppe. Meier.“

Um 12 Uhr fand sich ein Theil der auf diese Weise Zusammenberufenen auf dem Rathhause ein und erfolgte nun unter Zuziehung des am vorigen Tage eingesetzten städtischen Sicherheits-Ausschusses, ja selbst unter dem Zutritt unberufener Personen, welche sich das Mandat zur Stimmen-Abgabe selbst ertheilten, die Wahl der Provisorischen Regierung. Nachdem ein vermittelnder Vorschlag, nach welchem neben Todt und Heubner der Gouverneur der Stadt: General v. Schulz, Platz in dieser Behörde finden und diese die Regierung nur bis zur Rückkehr des Königs führen sollte, unter stürmischen Debatten verworfen worden war, fiel bald nach 1 Uhr die Wahl auf den Geheimen Regierungsrath Todt, den Kreis-Amtmann Heubner aus Freiberg und den Advokaten Tzschirner aus Bautzen. Unter Glockengeläute wurde diese Wahl proklamirt, eine Wahl, mit der bei der bekannten, der äußersten Linken angehörenden Gesinnung des letztgenannten, die Seele der neuen Regierung bildenden Mitgliedes, der offene Bruch mit dem monarchischen Prinzipe ausgesprochen, die Republik der That, wenn auch noch nicht förmlich dem Namen nach, eingesetzt war. So sehr darüber die eigentliche Umsturz-Parthei jubelte, eben so trug dieser Umstand doch auch dazu bei, dem bisher noch nicht zur Besinnung gekommenen Theile der Bürgerschaft und Bürgerwehr die Augen zu öffnen. Zur großen Entrüstung der demokratischen [69] Presse, wie der neuen revolutionären Machthaber, welche sogar mit Gewalt-Maßregeln gegen die Säumungen drohte, war von jetzt ab der größte Theil der Kommunalgarde trotz alles Generalmarschschlagens und alles Stürmens nicht mehr aus den Häusern zu bringen. Auch von den eintreffenden Kommunalgarden mancher Provinzialstädte, welche in dem Glauben herbeigeeilt waren, es bedürfe nur einer großartigen bewaffneten Demonstration, um der Reichsverfassung, von der sie nun einmal das Heil Deutschlands erwarteten, Anerkennung zu verschaffen, – auch von diesen kehrten Viele in ihre Heimath zurück, als sie aus Tzschirners Erhebung an die Spitze der Bewegung die eigentliche Bedeutung derselben und die Gewißheit ernstlichen Kampfes erkannten.

Schon ehe die Wahl der neuen Regierung beendigt gewesen war, hatte der Kommandant der Bürgerwehr, Oberstlieutenant Heinze sich in Begleitung zweier Stadträthe, eines Stadtverordneten und eines Trompeters als Unterhändler erst nach dem Schlosse, dann nach der Neustadt in das Blockhaus begeben und hier mit dem Gouverneur, Generalmajor v. Schulz eine Art von Konvention abgeschlossen, wonach bis 4 Uhr Nachmittags eine Waffenruhe eintreten und während derselben folgende beiderseitige Stellungen inne gehalten werden sollten.

Der Schloßplatz bis zum Georgenthore und die Verbindung von dort bis zum Zeughause wurde neutral erklärt. Die auf dem Theaterplatz aufgestellte Reiterei, so wie die an und auf der Brücke placirten Geschütze wurden in die Kasernen der Neustadt zurückgezogen. Schloß und Zeughaus sollten durch die Truppen besetzt bleiben.

Wenn auch zur Rechtfertigung dieses Uebereinkommens von Seiten der betreffenden Militair-Behörde der dadurch erlangte Zeitgewinn, die militairische Unhaltbarkeit des Theaterplatzes (der allerdings von dem durch die [70] Kommunalgarde besetzten Zwingerwall dominirt wurde), und der Vortheil der Wiedererlangung der unterbrochen gewesenen Verbindung mit dem Zeughause angeführt werden können, so lag doch in dem ganzen Akt der mit den Empörern gepflogenen Unterhandlungen und der ihnen gemachten Zugeständnisse, so wie besonders in dem Zurückziehen der, wenn auch theilweise fehlerhaft aufgestellten Truppen, so viel Herabstimmendes, daß diese Einwirkung leicht die nachtheiligsten Folgen herbeigeführt hätte.

Die Anreizungen und Aufforderungen an die Truppen zum Uebertritt auf die Seite des Volkes, an welchen es schon seit Jahren nicht gefehlt hatte, wurden denn, wie sich erwarten ließ, in vermehrtem Grade und in unverschleiertem Gewande, an diesem letzten entscheidenden Tage angewandt, – entscheidend, weil die Geschichte aller Bürgerkriege lehrt, daß sobald einmal der wirkliche Kampf entbrannt ist, von politischen oder nationellen Sympathien oder Antipathien nicht mehr die Rede ist, sondern der Gegner, mit dem man sich erst einmal auf blutigem Felde gemessen hat, damit nun auch zum erklärten Todfeinde gestempelt ist.

Schon am Morgen dieses Tages war an den Ecken, wohin die Blicke der Soldaten reichten, mit großen Buchstaben zu lesen: „Seid Ihr mit uns gegen fremde Truppen?“ Die Aufforderung war nicht ungeschickt gewählt, wenn man bedenkt, daß seit dem Wiener Kongreß, in welchem Preußen auf Kosten Sachsens vergrößert worden war, in den Augen der meisten Bewohner des verkürzten Landes jener Staat in dem Lichte eines gefährlichen ländersüchtigen Nachbars erschien; daß die Kränkung, welche Blücher’s barsches Verfahren damals dem Selbstgefühl der Sächsischen Truppen bereitet hatte, noch nicht ganz verwunden war; daß auch im ferneren Lauf der Zeiten wohl nicht alle Mitglieder der größeren Heeresmacht immer vermieden hatten, mit einigem Dünkel [71] auf die an Zahl so viel geringeren, in ihrer äußeren Erscheinung so sehr von den eigenen gewohnten Formen abweichenden Bundestruppen herabzusehen; daß endlich noch im vergangenen Jahre, in einem Federkriege zwischen zwei Koryphäen der beiderseitigen Militair-Literatur, die Ueberhebung einerseits, die Bitterkeit andrerseits sich unverholen ausgesprochen hatte.

Einer der ersten Schritte der Provisorischen Regierung war denn auch darauf gerichtet, die Truppen zum Uebertritt zu bewegen. Es wurde zu diesem Behufe folgender Aufruf erlassen:

„Soldaten!“
„Brüder! Die provisorische Regierung, welche nach der Flucht des Königs und der Minister in der Stadt Dresden niedergesetzt worden ist, ruft Euch zu, das Land gemeinschaftlich mit ihr zu schützen, dem Volke die Bruderhand zu reichen, und Euch zur Verfügung der Landes- und Reichsverfassung zu stellen. Folgt dem Beispiele anderer braver Soldaten, vergeßt nicht, daß Ihr vereidete Staatsbürger seid, daß Ihr für Aufrechthaltung der Rechte und Freiheiten des Volkes zu wachen habt. Ihr seid erwählt, dem Volke zu zeigen, daß Ihr mit ihm geht, nicht gegen dasselbe seid.
Soldaten! Auf denn, haltet zu uns, die provisorische Regierung hat die Pflicht, in der jetzigen Zeit die Gefahr des Vaterlandes abzuwenden, und braucht Eure Kräfte.
Dresden, den 4ten Mai.
Die provisorische Regierung.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.“

Der Bürgerwehr-Kommandant, Oberst-Lieutenant Heinze, dem der Abschluß der Konvention mit dem Gouvernement so glücklich gelungen war, versuchte es [72] auch mit diesem Aufrufe, den er um 1½ Uhr in Begleitung eines Tambours und eines Kommunalgardisten, der ein weißes Tuch als Parlamentair-Fahne auf dem Bajonette trug, nach dem Hauptquartier der Truppen brachte, diesesmal jedoch selbstredend unverrichteter Sache zurückkehrte.

So wenig sich von einer solchen Aufforderung ein Erfolg bei den in voller Amtsthätigkeit begriffenen höheren Militair-Behörden und bei den unter deren Augen befindlichen Truppen erwarten ließ, so sehr schien dies vorübergehend bei einem detachirten Posten der Fall zu sein.

Das Zeughaus war seit den Vorgängen des vorigen Tages fast von aller Verbindung mit den übrigen Truppen und mit den oberen Behörden abgeschnitten gewesen und ohne Nachrichten von denselben geblieben. Dieser Umstand wurde von der Aufstands-Parthei auf das eifrigste benutzt, auf die Besatzung einzuwirken, theils durch direkte Aufforderungen; theils durch Einschüchterungen, z. B., daß das Zeughaus unterminirt sei und in die Luft gesprengt werden würde (ein Unternehmen, welches übrigens vermittelst eines von außen in den Keller des Zeughauses führenden Einganges nicht völlig unmöglich gewesen wäre); theils endlich durch die übertriebensten Nachrichten, von der völligen Flucht des Königs und der Minister, von der Anerkennung der Provisorischen Regierung von Seiten des ganzen Landes, besonders aber von dem Uebertritt aller übrigen Truppen zu dem Volke, welches letztere Gerücht durch die eingetretene vollständige Waffenruhe an Wahrscheinlichkeit gewinnen mußte.

Auch begann es im Zeughause an Lebensmitteln zu fehlen. Dies verleitete einen Offizier (obgleich sich später Stimmen unter seinen Mannschaften erhoben haben sollen, sie hätten noch keinen Hunger empfunden) deshalb [73] in Unterhandlungen mit Führern der Gegenparthei zu treten. Auf die Vorspiegelung: es sei hierzu seine Gegenwart auf dem Rathhause, so wie, zu seiner persönlichen Sicherheit auf dem Wege dahin, die Anlegung einer weißen Armbinde erforderlich, ging er auf beides ein. Dieser Schritt wurde von den Insurgenten sogleich zu der, scheinbar durch den Augenschein bestätigten, von der Menge mit Jubel aufgenommenen, Auslegung ausgebeutet: die Truppen hätten sich für das Volk erklärt. – Auf dem Rathhause wurde in der That eine Vereinigung abgeschlossen, wonach man den Truppen im Zeughause Lebensmittel zukommen lassen wollte, wogegen der Kommunalgarde, um ferneren blutigen Konflikten zwischen Volk und Truppen vorzubeugen und: „zum Schutz des öffentlichen Eigenthums“, der äußere Zeughof eingeräumt werden und das Militair nur im Besitz der inneren Theile des Zeughauses bleiben sollte.

Sogleich verkündigte Tzschirner vom Balkon des Rathhauses: die Besatzung des Zeughauses sei auf die Seite des Volks getreten, die andern Truppen würden nächstens nachfolgen. Gleichzeitig erschien folgende Bekanntmachung:

„Sachsen!“
„Das brave sächsische Militair hat dem Gebote der Pflicht gegen die heiligsten Interessen des Vaterlandes Genüge geleistet. Das Zeughaus ist von Militair und Bürgerwehr gemeinschaftlich als Nationaleigenthum besetzt. Deutschland ist dem sächsischen Militair zum Danke verpflichtet.
Sachsen! stehet auf wie ein Mann! Das Volk, das ganze Volk ist eins! Es gilt nur dem äußern Feinde entgegen zu treten. An Euch ist es, Deutschland einig, frei zu machen. Das Vaterland, die provisorische Regierung rechnet auf Euch!
Dresden, den 4. Mai 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.“

[74] Im und am Zeughause, dessen äußerer Hof in Folge dieser Vereinigung der Kommunalgarde übergeben wurde und wo nun die Verabreichung von officiell und privatim herbeigeschafften Lebensmitteln, einen lehhaften Verkehr zwischen Volk und Militair, ja fast eine völlige Vermischung beider Theile eintreten ließ, wurden alle mögliche Verführungskünste an den Soldaten versucht. Es sollen sich schon einzelne Stimmen haben vernehmen lassen, daß man nicht auf: „seine Brüder schießen“, – „kein Bürgerblut vergießen“ dürfe. Als jedoch, auf diese Stimmung fußend, die Auslieferung von Geschütz und anderm Kriegsmaterial aus dem Zeughause gefordert wurde, trat hier wiederum die eisige Ruhe des Veteranen entgegen, die schon am vorigen Tage diesen wichtigen Punkt erhalten hatte, und die auch jetzt durch die einfache Vorstellung: wie es eine Schande für Soldaten sein würde, anvertrautes Geschütz auszuliefern, das Pflicht- und Ehrgefühl der Mannschaften neu befestigte, wenn auch durch die Waffenruhe, durch die Defensive und durch den Zweifel in die endliche Lösung der Verwirrung, der Geist für den Augenblick ein keineswegs frischer und kampfeslustiger genannt werden konnte.

Als die verabredete Waffenruhe abgelaufen war, rief zwar das Sturmläuten von neuem zum Kampfe, der sich jedoch auf einige an einzelnen Punkten zwischen den Insurgenten und den Truppen gewechselte, Schüsse beschränkte.

Von Mittag an bis zur Nacht trafen allmählig die herbeigerufenen Verstärkungen für die Truppen ein. Zuerst 1½ Bataillon leichter Infanterie aus Leipzig, welche sich jedoch nur mit Gewalt den Ausgang aus jener ebenfalls in halbem Aufstande begriffenen Stadt und den Weg zur Eisenbahn hatten eröffnen können, deren Schienen zwischen Leipzig und Wurzen aufgerissen waren. Sie brachten frische Kampflust mit, die in dieser vom [75] regsten Schützengeiste beseelten leichten Truppe stets, vorgeherrscht hatte, und die insbesondere auch gegen aufrührerische Volkshaufen ungehemmt durch politische Rücksichten auslassen zu dürfen, sie seit den vor wenigen Jahren in Leipzig in dieser Beziehung erlittenen Verunglimpfungen mit Freuden bereit war. Bei einigen Veteranen dieses Korps tauchte sogar die Erinnerung an die Demüthigung auf, welche der Truppe in den Dresdener Vorfällen des Jahres 1830 widerfahren war und für welche eine, wenn auch späte, Revanche zu nehmen, sich jetzt die für ein altes Soldatenherz verzeihlicherweise wohl ganz erwünschte Gelegenheit darbot.

Später am Abend trafen die einzelnen Abtheilungen des Leib-Infanterie-Regiments ein, welche zum Theil nur durch Kombinirung eines forcirten Marsches mit einer Eisenbahn-Fahrt im Stande gewesen waren, die Hauptstadt noch heute zu erreichen. Sie wurden von der Neustädter Kommunalgarde bewillkommnet, und, so wie die leichte Infanterie, theils zur Verstärkung der Besatzung der Brücke und der Reserve am Blockhause verwandt, theils in die Kasernen der Neustadt untergebracht.

Gegen Abend kehrten auch, während der Minister Dr. Zschinsky behufs des unmittelbaren Vortrages und der Kontrasignirung bei dem Könige zurückgeblieben war, die Minister Rabenhorst und v. Beust vom Königstein zurück. Sie waren mit unbedingter Vollmacht versehen, nach den Umständen auf das entschiedenste zu handeln. Sie thaten dies zuvörderst dadurch, daß das Kommando der Truppen und die kräftige Unterdrückung des Aufstandes dem General-Lieutenant v. Schirnding übertragen wurde. Dem zu diesem Zwecke von letzterem, im Einvernehmen mit dem Ministerium, vornemlich mit dem Kriegsminister, angenommenen Operationsplan wird der nächstfolgende Paragraph gewidmet sein.


[76] Wenn in vorstehender Schilderung der Ereignisse des Tages seit der Einsetzung der Provisorischen Regierung, hauptsächlich das militairisch Wichtige im Zusammenhange dargestellt worden ist, so ist aus der rein-politischen Wirksamkeit dieser revolutionären Behörde noch Folgendes nachzuholen:

Bald nach ihrer Proklamirung erfolgte nämlich folgende Bekanntmachung:

„Mitbürger!“
„Der König und die Minister sind entflohen. Das Land ist ohne Regierung sich selbst überlassen worden. Die Reichsverfassung ist verleugnet.
Mitbürger! Das Vaterland ist in Gefahr! Es ist nothwendig geworden, eine provisorische Regierung zu bilden. Der Sicherheitsausschuß zu Dresden und die Abgeordneten des Volks haben nun unterzeichnete Mitbürger zur provisorischen Regierung ernannt.
Die Stadt Dresden ist dem Vaterlande mit dem rühmlichsten Beispiele vorangegangen und hat geschworen, mit der Reichsverfassung zu leben und zu sterben.
Wir stellen Sachsen unter den Schutz der Regierungen Deutschlands, welche die Reichsverfassung anerkannt haben.
Zuzug von allen Ortschaften des Vaterlandes ist angeordnet und wird hiermit angeordnet.
Wir fordern den strengsten Gehorsam für die Befehle der provisorischen Regierung und des Ober-Commandanten Oberstlieutenant Heinze!
Wir werden Parlamentäre an die Truppen senden und sie auffordern, den Befehlen der provisorischen Regierung gleichfalls Gehorsam zu leisten. Auch sie bindet keine andere Pflicht, als die für die bestehende Regierung, für die Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes!

[77] Mitbürger, die große Stunde der Entscheidung ist gekommen! Jetzt oder nie! Freiheit oder Sklaverei! Wählet!

Wir stehen zu Euch, steht Ihr zu uns!
Dresden, den 4. Mai 1849.
Die provisorische Regierung.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.“

Außer der Anheftung an die Straßen-Ecken wurde diese Bekanntmachung auch durch folgendes Rundschreiben an die Ortsbehörden des Landes zur weiteren Verbreitung gegeben:

„Rundschreiben. An den Stadtrath . . . . . . . .Gemeinderath . . . . . . . . .“
„Nach der Flucht des Königs und des Ministeriums hat sich eine provisorische Regierung in Sachsen gebildet. Das beifolgende Proclama werden Sie sofort an dem Orte Ihrer Wirksamkeit bekannt machen. Wir fordern Sie auf, den Verfügungen der provisorischen Regierung Folge zu leisten.
Dresden, am 4. Mai 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.“

Gleichzeitig mit diesen Bemühungen, ihrer Autorität in dem ganzen Königreiche Geltung zu verschaffen, versuchte die provisorische Regierung es auch, durch nachfolgendes Schreiben an die deutsche Nationalversammlung sich einen festen Fuß und Rückhalt im übrigen Deutschland zu sichern.

„An die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt a. M.“
„Die sächsische Nation hat gestern in entschiedener Weise durch Abgeordnete aus allen Theilen des Landes [78] die Anerkennung der Reichsverfassung vom Könige verlangt, derselbe hat alle Bitten des Volkes zurückgewiesen.
Nachdem gestern ernste revolutionäre Auftritte hier in Dresden stattgefunden, ist der König heute Morgen mit seinen Ministern aus Dresden geflüchtet.
Für Abwehr der Anarchie, sowie zur Aufrechthaltung der vom deutschen Volke anerkannten deutschen Reichsverfassung ist eine provisorische Regierung in den Personen der Unterzeichneten eingesetzt worden.
Der deutschen Nationalversammlung zeigen wir dies hiermit an und stellen unser Wirken der provisorischen Regierung unter deren Schutz.
Dresden, am 4. Mai 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner.       Heubner.       Todt.“

Schließlich möge noch die Bemerkung folgen, daß, wenn in der Ueberschrift des vorstehenden Paragraphen der 4te Mai als die Vorbereitung zum Kampfe bezeichnet worden ist, in dieser Beziehung noch zu erwähnen bleibt, daß so wie an diesem Tage die Sächsischen Truppen fast alle ihnen zu Gebote stehenden eigenen Verstärkungen heranzogen, eben so auch diese 24 Stunden den Insurgenten den zahlreichsten Zuzug zuführten. Auch wurde von ihnen die gewährte Frist auf das eifrigste zur Vervollständigung und Vollendung des im §. 4. näher beschriebenen Barrikaden-Systems benutzt.

§. 8. Die beiderseitigen Dispositionen zum Kampfe.

Ehe zu der Schilderung des eigentlichen Kampfes, zu dem die bisherigen Ereignisse nur das Vorspiel und die Einleitung abgegeben hatten, übergegangen wird, ist noch ein Blick auf die beiderseitigen Stellungen beim Beginn [79] desselben und dann auf die beiderseitigen Dispositionen, zum Gefecht (so weit man überhaupt von solchen auf der Seite der Empörer sprechen kann) zu werfen.

Die Insurgenten waren im Besitz der ganzen Altstadt, mit einziger Ausnahme des Schlosses mit seinen nächsten Dependenzien (Prinzen-Palais, Bildergallerie, Klepperställe etc.) und des Zeughauses an und für sich (der äußere Zeughoff war in der bereits angegebenen Weise im Besitz wenn auch nicht der erklärten Aufrührer, aber doch der sich offenbar mehr zu ihnen als zu den Truppen haltenden Kommunalgarde). Fast alle Straßen und Zugänge, welche von diesen in den Händen der Truppen befindlichen Punkten in die Altstadt und deren Vorstädte führten, waren durch Barrikaden abgesperrt, welche, wie der Plan nachweist, meist mehrfache, an jeder neuen Straßen-Ecke hintereinander gelegene Linien bildeten, welche, nach der den Insurgenten zu ihrer Vollendung und Vervollkommnung gewährten Muße, als sturmfrei und selbst als wiederstandsfähig gegen schweres Geschütz zu betrachten waren und deren taktische Stärke noch durch die fast überall sehr zweckmäßig disponirte Besetzung der dominirenden Eckhäuser und der, die betreffenden Straßen-Knoten sowohl von rückwärts, als von der Seite bestreichenden Punkte vermehrt war. Der Altmarkt war, als Haupt-Sammelplatz aller Volkshaufen, als Ziel und Haltpunkt aller eintreffenden Zuzüge und als Mittelpunkt des Stadtviertels, in welchem dieselben, meist nach eigener Willkühr Unterkommen fanden, so wie als Sitz der Provisorischen Regierung und des ostensiblen wie des faktischen Hauptquartiers, gewissermaaßen als Central-Stellung zu betrachten. Eben so waren die Insurgenten, wenn auch nicht durch so bedeutende wirkliche Streitkräfte, wie in der Altstadt, so doch durch die sich dort vorfindenden Sympathien Herren der Friedrichstadt und der Wilsdruffer Vorstadt, während die See-Vorstadt (so weit deren meistentheils [80] wohlhabende Bevölkerung nicht geflüchtet war) das Joch der Aufständischen in banger Erwartung des ausbrechenden Terrorismus ertrug und in der Pirnaischen Vorstadt die Hinneigung zur Regierung sich höchstens durch passive Unthätigkeit darthat. – Was endlich die Umgegend betrifft, so war diese, wie ziemlich das gesammte übrige Königreich, fast ganz in der Gewalt der Insurgenten.

Fragt man nun nach dem Plan, welchen diese letzteren zu befolgen gedachten, so mag, wenn auch nicht schriftlich ausgearbeitet und in dienstmäßig aufgestellten Befehlen erlassen, dieser Plan doch im Allgemeinen folgender gewesen sein.

Zunächst hofften die Führer des Aufstandes, besonders nach den letzten Vorgängen am Zeughause, und nach der von Seiten der Militairbehörde am vorigen Tage dargelegten Unentschiedenheit und Unthätigkeit, wohl darauf, daß die Verführungsversuche bei den Truppen immer mehr Eingang finden, dieselben nur schwachen und unzusammenhängenden Widerstand leisten und so die Streitkräfte der Regierung allmählig sich zerbröckeln würden. Für den Fall, daß dennoch Truppenmassen zum Angriff vorgehen würden, verließ man sich auf die starken, in der That uneinnehmbar scheinenden Stellungen, an denen die letzte Kraft des Militairs sich brechen müsse, so daß die damit verbundenen blutigen Verluste und die daraus folgende Entmuthigung, Erschöpfung und Abspannung, den Abzug, die Auflösung, wo nicht gar den Abfall der Truppen und somit den Sieg der Empörung, die Konsolidirung der Republik, unausbleiblich nach sich ziehen müsse.

Der Erfolg bewies hier von neuem den Satz, daß, so wenig allerdings einerseits ein ängstlicher Mangel an Zuversicht jemals zu großen Resultaten im Kriege führt, eben so verderblich aber andererseits auch eine übermüthige Selbst-Ueberschätzung und eine Geringschätzung [81] des Gegners wird, wenn sie, wie hier von Seiten der Insurgenten, dazu führt, statt wirklich zu handeln und offensiv zu verfahren, nur den Gang der Ereignisse und das von selbst erfolgende Zufallen des Sieges abwarten zu wollen.

Aus rein-militairischem Standpunkt betrachtet, erhebt sich die Frage: was konnten, was mußten die Insurgenten thun, um mit Sicherheit ihr Ziel zu erreichen? Die Antwort zerfällt in drei Theile, und zwar in Bezug auf die Altstadt, auf die Neustadt, und auf die Umgegend oder auf das Land überhaupt.

Was zunächst die Altstadt betrifft, so mußte sich nicht darauf verlassen werden, daß die Besatzung des Zeughauses, welche sich allerdings von den Bürgern hatte traktiren lassen und dabei ganz gemüthlich mit denselben verkehrt hatte, nun auch schon wirklich gewonnen sei. Die Neben-Gebäude des Zeughauses, und die daran stoßenden Gebäude mußten durch einen Haufen von einigen Hunderten der entschlossensten Aufrührer besetzt werden, mit dem Befehl diese das Zeughaus beherrschenden Punkte auf das äußerste zu halten. Statt die zum Barrikadenbau disponiblen Kräfte (die übrigens im Uebermaß vorhanden waren, da dazu jeder Stand, jedes Alter, ja selbst jedes Geschlecht verwandt werden konnte und auch wirklich verwandt wurde) an die oft in zweckloser Vervielfältigung hinter einander angelegten Barrikaden im Innern der Altstadt zu verschwenden, mußte das Zeughaus durch dergleichen Bauten auf das gründlichste von der Verbindung mit dem Schlosse und der Brühlschen Terrasse abgesperrt werden. In die Gebäude auf der Terrasse selbst, nahmentlich in das auf dem höchsten Punkte derselben gelegene, fast uneinnehmbare Kaffehaus zum Belvedere, mußten ebenfalls Abtheilungen, nahmentlich von Büchsenschützen, geworfen werden, wodurch nicht allein dieser wichtige Punkt gehalten, somit auch die Verbindung [82] des Zeughauses nach dem Wasser (die einzige, die ihm während fast voller 24 Stunden offen geblieben war) abgeschnitten, sondern auch die Elbbrücke vollkommen bestrichen und beherrscht werden konnte.

Diese Bestreichung und Beherrschung der einzigen Verbindungslinie der in der Altstadt (im Zeughause und im Schlosse) postirten Truppen mit ihren Reserven, mit ihren Munitions-Vorräthen und mit ihren Verpflegungs-Anstalten, mußte überhaupt eins der Haupt-Augenmerke der Gegner sein, wenn sie die Lage der Dinge nur einigermaßen richtig in’s Auge zu fassen verstanden. Wenn auch das stark besetzte Schloß die Beherrschung der Elbbrücke durch die Insurgenten direkt von vorn nicht möglich machte, so boten, wie von der rechten Seite her die Terrasse und deren Baulichkeiten, so auch von der linken Seite (in der Gefechtsfront der Insurgenten gerechnet), sich mehrere äußerst günstige Punkte zu diesem Behufe dar. Von dem Packhof-Gebäude, das mit den Königlichen Stallgebäuden zusammen, durch Verrammlungen u. dgl., zu einer fast uneinnehmbaren Citadelle umgeschaffen werden konnte, war die Brücke mit dem wirksamsten Büchsenfeuer, aus dem, ebenfalls der hartnäckigsten Vertheidigung fähigen, großen Calberla’schen Hause sogar mit dem wirksamsten Gewehrfeuer zu bestreichen. Selbst wenn die Anlegung von Barrikaden zur Verbindung des Calberla’schen Hauses mit dem Theater, dem Zwinger und dem Stallgebäude von dem Militair hätte verhindert werden können, so war, zumal bei Nacht, die Herstellung einer solchen Barrikaden-Verbindung zwischen den beiden zuletzt genannten Punkten (da die Kommunalgarde im Besitz des Zwinger-Walles sich befand) jedenfalls möglich.

Denkt man sich die Insurgenten in dem Besitz dieser Punkte, so ist nicht abzusehen, wie (nicht allein am Tage, sondern bei dem gerade stattfindenden hellen Mondschein [83] auch in der Nacht) die Truppen die Verbindung von der Neustadt aus mit der Besatzung des Schlosses und des Zeughauses hätten unterhalten wollen, ohne sich den größten Verlusten und einer daraus um so leichter entstehenden Demoralisation auszusetzen, als man sich während der keine Deckung irgend einer Art darbietenden Passirung der 300 Schritte langen Brücke dem wirksamsten Feuer des Gegners ausgesetzt gesehen hätte, ohne letzterem den mindesten Verlust zufügen zu können. Denn wie wenig das allein zur Disposition in der Neustadt vorhandene leichte Geschütz gegen massive Gebäude ausrichtet, zeigte nachher die Erfahrung. Es würde den Truppen also nichts als der Versuch übrig geblieben sein, die Terrasse und den oben beschriebenen, den linken Flügel der Insurgenten-Aufstellung bildenden, durch Barrikaden verbundenen Komplex von Gebäuden mit Sturm-Kolonnen zu nehmen: ein Versuch, der für den Angreifer die Gewißheit des bedeutendsten Verlustes und die Möglichkeit völligen Mißlingens darbot. Selbst wenn ein solcher Angriff gelang, hatten die Insurgenten noch nichts mehr verloren, als was sie bei dem von ihnen wirklich eingeschlagenen Verfahren freiwillig Preis gegeben hatten.

Blieb aber die Besatzung des Schlosses und Zeughauses tagelang von der Verbindung mit der Neustadt abgeschnitten, so würde physische und moralische Abspannung und Erschöpfung unausbleiblich und die Folgen dieses Zustandes leicht zu berechnen gewesen sein!

Gleichzeitig mit diesen der Front der Truppen in der Altstadt entgegen zu stellenden Maaßregeln, hätte von Seiten der Insurgenten nun auch gleichzeitig gegen den Rücken der in der Neustadt stehenden Reserven und gegen die dort befindlichen Militair-Etablissements operirt werden müssen. Ein paar hundert Freischärler (durch das Proletariat der Neustadt und Antonsstadt, durch demokratisirte [84] oder terrorisirte ländliche Arbeiter und durch zusammengelaufenes fremdes Gesindel[13] verstärkt) in die Dresdner Heide geworfen, von dort aus die Straße nach Bautzen und Großen-Hain, ja selbst die Eisenbahnhöfe, bedrohend und beunruhigend, bei Nacht wiederholt die ganz offene Antonstadt allarmirend, hätten hingereicht, ganze Bataillone in Schach und die ganze Besatzung der Neustadt fortwährend in Athem zu halten, denn das Gerücht und die den Gegner in der Regel im Vergrößerungsglase erblickende Optik der Patrouillen hätten jene Hunderte zu Tausenden, einzelne Trupps zu formirten Bataillonen verwandelt. Was wäre dann aber wohl noch disponibel in den Händen der Truppenführer geblieben, um die oben geschilderten Stellungen, welche die Insurgenten gleichzeitig in der Altstadt hartnäckig vertheidigt hätten, zu überwältigen?

Was die Umgegend betrifft, so hätte vor allen Dingen das Bestreben der Insurgenten dahin gerichtet sein müssen, sich der, ihnen gewissermaßen von selbst als leichte Beute darbietenden, Pulver-Magazine vor dem Prießnitzer Schlage zu bemächtigen. Wie leicht dies einem Haufen einiger hundert entschlossener Männer gewesen wäre, wird aus der späterhin folgenden Schilderung der Lage der schwachen Besatzung dieses wichtigen Punktes hervorgehen. Selbst wenn sich im letzten Augenblick, wie es jedenfalls der Fall gewesen wäre, ein zweiter van Speik gefunden hätte, so wären die in die Luft gesprengten Vorräthe doch für die Truppen verloren und [85] letztere sehr bald ohne Munition gewesen. Selbst schon die so ausnehmend leichte, so ganz auf der Hand liegende, völlige Abschneidung der Verbindung zwischen diesen Magazinen und den Truppen in der Neustadt hätte dieselben in die höchste Verlegenheit zu setzen vermocht.

Auch im weiteren Umkreise von der Stadt bis an die Gränzen des Königreichs, hätte von Seiten der Insurgenten der Aufstand mehr organisirt und besser geleitet und hierdurch zu einflußreicheren Resultaten benutzt werden können. Besonders wäre hier die gründliche Zerstörung der Eisenbahnen, auf denen der Sächsischen Regierung fremde Hülfe zukommen konnte, die Hauptsache gewesen. Wenn auch die Leipzig-Dresdener Eisenbahn, besonders auf der Strecke von Leipzig bis in die Höhe von Meissen, und die Sächsisch-Schlesische Bahn bis Bautzen, den Insurgenten selbst behufs schnellerer Beförderung der verschiedenen Zuzüge wichtig war, so wäre in Hinsicht der Leipzig-Dresdener Bahn der durch die Zerstörung derselben erwachsene Nachtheil doch mehrfach durch den Vortheil aufgewogen worden, daß die Heranziehung der Sächsischen Truppen aus Leipzig, Chemnitz u. s. w. ebenfalls verzögert worden wäre, und zwar verhältnißmäßig noch in dem Grade mehr, als geschlossene Truppen-Abtheilungen sich nur langsamer zu bewegen vermögen und schwieriger anderweitige Beförderungsmittel schnelleren Transport finden, als freiwillig zusammenströmende ungeregelte Haufen, die jede sich darbietende Gelegenheit zum rascheren Fortkommen benutzen können.

Auf jeden Fall hätten von Seiten der Insurgenten die Riesa-Jüterbogker Verbindungsbahn und die Sächsisch-Schlesische Bahn jenseits Bautzen, beide bis zur Sächsisch-Preußischen Gränze zerstört werden müssen, um hierdurch die aus der Mark und aus der Lausitz heranrückenden Preußischen Hülfstruppen bis auf einige Tagemärsche [86] von Dresden des Vortheils der Eisenbahn-Beförderung zu berauben und so einige Tage in Dresden zu gewinnen. In solchen Krisen wiegen aber nicht allein Tage, sondern schon Stunden schwer in der schwankenden Wage der Entscheidung, – eine, wenige Tage zu spät eintreffende Hülfe konnte Sachsen schon zu Dem geworden finden, was die Pfalz und Baden wirklich wurden, und würde dann ganz Süd-West-Deutschland vereinigt eine in zweiter Linie liegende und darum den Angriffen Preußens für den Augenblick unzugängliche, revolutionäre Masse gebildet haben.

Allerdings wurden die Schienen an einigen Punkten der bezeichneten Bahnen wirklich aufgerissen, jedoch nur auf kurze Strecken und mit so unbedeutender Beschädigung der Unterlagen, daß die Wiederinstandsetzung selbst durch die unvollkommenen Hülfsmittel der Truppen, und durch Aufbietung nur mäßiger anderweitiger Arbeitskräfte überall in wenigen Stunden bewirkt werden konnte. Hätten die Insurgenten auf jede der beiden wichtigsten Bahnstrecken: von Röderau bis zur Preußischen Gränze und von Bautzen bis Löbau, eine einigermaßen organisirte und entschlossene Freischaar von nur etwa 100 Mann geworfen, so konnten diese theils selbst, theils durch Tausende von ihnen bereitwilligst Hülfe leistenden Händen der dortigen unterwühlten unteren Schichten der Bevölkerung und unter der, geheimen oder offenen, Mitwirkung des Eisenbahn-Personals und der Lokal-Beamten, die Bahnen auf weitere Strecken oder auf verschiedenen Stellen, nahmentlich an Uebergangspunkten, an Aufschüttungen und in Einschnitten, so gründlich zerstören, daß sie vor Verlauf mehrerer Tage nicht wieder fahrbar zu machen waren. Und waren hierdurch die anrückenden Hülfstruppen von der Gränze des Landes an auf den gewöhnlichen Marsch verwiesen, so konnte die dadurch gewonnene Frist zu einer zweiten Zerstörung jeder Bahn [87] auf einem näher nach der Hauptstadt zu gelegenen Punkte geschehen, was um so unbedenklicher war, weil dann wohl wenig oder gar keine Zuzüge für die Insurgenten mehr zu erwarten gewesen wären. Während eine solche zweite Zerstörung auf der Sächsisch-Schlesischen Bahn, etwa in der Gegend von Bischofswerda einen geeigneten Platz gefunden haben würde, bot auf der Leipzig-Dresdener Bahn der Tunnel in der Höhe von Meissen eine Gelegenheit zur völligen Unterbrechung der Bahn dar, wie sie nicht günstiger hätte gedacht werden können.

Um dem Vorwurfe zu begegnen, es werde bei vorstehender Kritik des Verfahrens der Insurgenten auf dem geduldigen Papiere über Kräfte disponirt, welche nicht wirklich vorhanden gewesen wären, mag hier eine ungefähre Recapitulation der zur Ausführung der vorstehend bezeichneten Maßregeln erforderlichen Kräfte erfolgen.

Zur Beherrschung des Zeughauses 200 Mann.
Zur Besetzung der Terrasse 200 Mann.
Zur Besetzung des Calberla’schen Hauses, des Zwingers etc. 300 Mann.
Zur Allarmirung der Neustadt 200 Mann.
Zur Wegnahme oder wenigstens zur Cernirung der Pulvermagazine 400 Mann.
Zur Zerstörung der Eisenbahnen 200 Mann.

Rechnet man hierzu noch zur Beschäftigung der Schloß-Besatzung, zur Festhaltung der Schloßgasse und des Altmarkts, also gewissermaßen zur Haupt-Reserve etwa 500 Mann, so werden im Ganzen nur 2000 einigermaßen organisirte und zuverlässige Leute gefordert, um jenen Haupt-Zwecken zu genügen. Wenn nun die ganze Masse der Streiter auf Seiten der Insurgenten sich mindestens auf 8000 Köpfe belaufen hat (s. §. 2.), so sollte sich doch wohl ein Viertel dieser Massen, denen es doch nicht an Enthusiasmus für die Sache, wie auch theilweise nicht an persönlichem Muthe fehlte, gefunden haben, [88] welche zur Ausführung der genannten speciellen Aufträge hätten verwandt werden können. Drei Viertel der Streiter wären dann immer noch zur Besetzung der minder wichtigen Stadttheile, zur Festhaltung der Barrikaden, zur großen tobenden Masse, welche bei Revolutionen nun einmal nicht fehlen darf, übrig geblieben.

Es ist nicht zu verkennen, daß in plötzlich zusammengetretenen, zusammengelaufenen und zusammengezogenen, aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengesetzten Insurgenten-Haufen es äußerst schwer halten muß, Ordnung und Plan in das Ganze zu bringen. Eine Hauptklippe solcher improvisirter Revolutions-Heere ist zunächst der Mangel an Unterordnung auf allen Stufen. Schon dadurch, daß die Führer gewöhnlich aus der Wahl der Untergebenen hervorgegangen sind oder sich letztere doch aus freier Wahl irgend einem Führer, welcher sich zuerst voran gestellt hatte, untergeordnet haben, glauben auch die untersten Kämpfer ein Recht des Mitsprechens, und der Kritik des Verfahrens ihrer Vorgesetzten erlangt zu haben. Die Befehlshaber selbst sind ferner untereinander nicht nach hierarchischer Stufenfolge geordnet; der Führer jeder aus einer besonderen Genossenschaft, oder aus einem bestimmten Bezirke hervorgegangenen Freischaar erachtet sich höchstens dem anerkannten Oberbefehlshaber untergeordnet; von einer gegliederten Organisation, von Zwischenstufen ist keine Rede. Wenn nun außerdem kein Generalstab, keine Verpflegungs-Behörde, kein geregelter Geschäftsgang eingerichtet sind, so ist jedem einzelnen Korps oder Haufen auch überlassen, sich seinen Platz, wo nicht im Gefecht, so doch jedenfalls zum Unterkommen selbst zu wählen und zu suchen. Sehr häufig weiß also der Oberbefehlshaber und das ganze Hauptquartier nicht, wo eine oder die andere Abtheilung zu finden ist. Endlich ist es auch eine alte Erfahrung aus allen Insurrectionen, daß wenn auch sehr viel tüchtige, [89] entschlossene, selbst heldenmüthige Individualitäten sich darunter befinden, wenn auch der Enthusiasmus für die Sache, für welche die Waffen ergriffen worden sind, ziemlich allgemein verbreitet scheint, doch die Masse sich nicht gerne der offenen und augenscheinlichen Gefahr entgegenstürzt.

Es fehlt hier das Pflichtgefühl und der Korpsgeist, welcher die geordneten Abtheilungen einer Armee, in denen sich doch gewiß auch einzeln genommen manche weniger Tapfere und Todesmuthige befinden, beseelt. Daher auch die hier in Dresden wieder sich herausstellende Erscheinung, daß die Insurgenten, so hartnäckig sie hinter Deckungen sich vertheidigten, so sehr sie auch wohl hier und da auf den Barrikaden und in den Häusern ihre Person mit Unerschrockenheit Preis gaben, sie doch fast nirgends sich in Stellungen festsetzten, aus denen der Rückzug mißlich war oder ganz gefährdet werden konnte, und daß da, wo sie ganz isolirt waren, z. B. außerhalb der Stadt, sie es kaum zum wirklichen Gefecht kommen ließen, sondern meist immer beim Erblicken von Truppen das Weite suchten.

Wenn man aber auch alle diese Umstände und Verhältnisse, welche – glücklicherweise – selbst die scheinbar gefährlichsten Insurrectionen in der Regel keinem wahrhaft ernstlichen und energischen Entgegentreten geordneter Truppen Stand halten lassen, in Rechnung stellt, so bleibt der Ober-Leitung des Dresdner Aufstandes aus dem Standpunkte der militairischen Kritik doch immer der Vorwurf zu machen, daß sie weder mit wahrer Energie, noch mit richtiger Erkennung und Benutzung der sich darbietenden Vortheile, scheinbar sogar ganz planlos, geführt worden ist. Ein wahrhaft tüchtiger, ächt militairischer Karakter, ich will nicht einmal sagen: ein wahrhaftes Feldherrn-Talent, hätte doch Mittel gefunden, wenigstens einige Ordnung in die Massen, einigen Zusammenhang [90] in ihn Operationen und somit in der vorstehend angedeuteten Weise die Truppen mindestens in große Verluste und Verlegenheiten, wo nicht den vollständigen Sieg auf die eigene Seite zu bringen. Es bewährte sich auch hier, daß, so wie in tobendem Geschrei, in theatralischer Schwurleistung auf Sieg oder Tod, und in todesverachtenden Schlachtgesängen keine Bürgschaft für den Muth der Massen liegt, so auch zur energischen Kriegsführung mehr gehört, als das Erlassen von Proclamationen und die Anordnung von Brandstiftungen und ähnlichen Gewalt-Maßregeln. Und wenn einerseits aus einem zu ängstlichen Festhalten an dienstliche und büreaukratische Formen eine den freien Gebrauch militairischer Kräfte in entscheidenden Augenblicken hemmende Reibung entstehen kann, so zeigen andererseits Zustände, wie sie in den Maitagen auf dem Altstädter Rathhause in Dresden eintraten, doch auch, daß die Thätigkeit geordneter Militairbehörden und Generalstäbe nicht durch die unruhige Geschäftigkeit eines Insurgenten-Hauptquartiers ersetzt werden kann, dessen, vielleicht im einzelnen sehr befähigte, meist sehr jugendliche Mitglieder ihre Functionen selbst gewählt haben, und in dessen lärmendem Verkehr oft der unbedeutendste Rapport oder Auftrag mit der geräuschvollsten Nachahmung militairischer Formen behandelt, darüber aber gerade leicht das wahrhaft Wichtige und Nothwendige unbeachtet gelassen wird.


Die Dispositionen der Insurgenten, oder richtiger gesagt: der Mangel an Dispositionen auf dieser Seite, hat vorstehend zuerst besprochen werden müssen, weil man selbstredend erst das vertheidigte Objekt und die Art seiner Vertheidigung kennen muß, ehe man über die Art des Angriffs darauf ein richtiges Urtheil gewinnen kann, – die Insurgenten aber merkwürdigerweise, obgleich sie [91] sowohl politisch als strategisch in der Offensive waren (indem sie eine bestehende Regierung umstürzen und sich dazu vor allem in den Besitz der Hauptstadt setzen wollten), sich dennoch von dem Beginn des eigentlichen Kampfes an, taktisch fast ganz auf der Defensive hielten.


Wäre von Seiten des Kommando’s der Sächsischen Truppen noch ferner in dem nämlichen Geiste wie bis zum 4ten Mai verfahren worden, so hätten auch die Truppen sich rein defensiv verhalten, was über kurz oder lang das Resultat nach sich gezogen haben würde, daß nun die ermuthigten Insurgenten ihrerseits zur Offensive geschritten wären.

Wohl hätte in einem alle Möglichkeiten abwägenden ängstlichen Gemüthe der Gedanke aufsteigen können, es bleibe bei der Schwäche der Truppen nichts anderes übrig, als sich bis zur Ankunft der erwarteten Preußischen Unterstützungen auf der Defensive zu halten, ja! es sei, wenn man Alles, was die Insurgenten gegen die Truppen unternehmen könnten (also ungefähr alles Das, was vorstehend auseinander gesetzt worden ist), überdenke, dies Behaupten in der bisherigen Stellung schon das günstigste, was zu hoffen sei und was bei den geringen zu Gebote stehenden Streitkräften überhaupt verlangt werden könne.

Zum Glück griff diese besorgliche Auffassung der Verhältnisse nicht Platz, sondern wurden – sei es nun aus Berechnung, sei es aus dem natürlichen Gefühl eines entschlosseneren Karakters – die einfachen Grundsätze angenommen und angewendet, welche nach den Lehren der ganzen Kriegsgeschichte jederzeit und überall zum Ziele geführt haben, nämlich:

daß die beste Abwehr gegen drohende Offensiv-Maßregeln des Gegners darin liegt, daß man selbst eine [92] kräftige Offensive ergreift; und: daß, um sich die Geistesfreiheit und Zuversicht zum energischen Handeln zu erhalten, man nicht an alle Möglichkeiten, welche zu unserm Nachtheile eintreten können, denken, sondern sich überzeugt halten muß, daß der Gegner fast niemals alles Das wirklich thut, was er thun kann.

In letzter Beziehung kommt es freilich auf den Gegner an, den man gegen sich über hat und ließe sich die Scala der hierbei anzustellenden Wahrscheinlichkeits-Rechnung vielleicht folgendermaßen ausdrücken:

1) Hat man einen Heerführer erster Größe, einen Napoleon etc., gegen sich, so sei man darauf gefaßt, daß derselbe mehr unternehme, als man voraussieht, d. h. irgend etwas ganz außerhalb jeder Berechnung Liegendes.
2) Steht an der Spitze der feindlichen Kräfte, wenn auch kein Feldherrn-Genie, so doch ein anerkannt tüchtiger Karakter, ein bewährtes Talent, so rechne man schon darauf, daß derselbe doch auch nicht Alles unternimmt, was möglicherweise zu unserm Nachtheil gereichen könnte, weil ihm hierbei jederzeit einzelne Hemmungen und Hindernisse in den Weg treten, welche uns unbekannt sind.
3) Ist die Führung beim Gegner in mittelmäßigen Händen, so sei man überzeugt, daß dort kaum die Hälfte von Dem ausgeführt wird, was ausgeführt werden könnte, und gewiß das Kühnste, das uns am Gefährlichsten, am wenigsten; überhaupt läßt sich bei einem solchen Gegner auch mit ziemlicher Sicherheit erwarten, daß er weniger darauf bedacht sein wird, etwas gegen uns zu unternehmen, als nur sich selbst gegen Das zu schützen, was er von uns befürchtet, und daß dies sich in [93] dem Maaße steigern wird, als wir selbst kräftig und offensiv gegen ihn auftreten.
4) Leiten endlich ganz unerprobte Individualitäten die feindlichen Streitkräfte und befinden sich letztere obenein in schlechter Verfassung oder sind gar noch völlig unorganisirt, so kann man gewiß sein, daß von dorther das Wenigste von Dem geschieht, was geschehen könnte, und dann auch Das, was geschieht, obenein: planlos, unzusammenhängend, ohne nachhaltigen Nachdruck.

Diesen theoretischen, aber gewiß überall von der Erfahrung bestätigten, Betrachtungen möge nur noch die Bemerkung hinzugefügt werden, daß das, was vorstehend der Kürze wegen in Bezug auf größere Verhältnisse von feindlichen Feldherren gesagt ist, eben so bei Operationen in verjüngtem Maaßstabe bis zu den Verhältnissen des sogenannten kleinen Krieges hinab, ebenfalls von feindlichen Führern jeder Abstufung bis zum Vorposten-Kommandeur und Partheigänger hinab gilt.

So wurde denn (um nach dieser Abweichung auf den vorliegenden Gegenstand zurückzukommen) sächsischerseits sehr richtig erkannt, daß auch hier der sicherste Weg zum Ziele, nicht der der ängstlich berechnenden Vorsicht, sondern der der kräftig handelnden Zuversicht, mit einem Worte: die Offensive, sei!

Diese Offensive konnte aber nun wiederum auf sehr verschiedene Weise ausgeführt werden. Da es sich hier um die Einnahme eines Ortes handelte, der, wenn auch nicht durch sogenannte regelmäßige Befestigungen, so doch durch ein, mit der natürlichen Vertheidigungsfähigkeit der massiven Gebäude kombinirtes, Barrikaden-System sehr haltbar gemacht war, so lassen sich die verschiedenen Angriffs-Methoden, welche angewandt werden konnten, am besten in derselben Art klassificiren, wie dies bei der Lehre [94] von dem Angriffe wirklicher fester Plätze zu geschehen pflegt.

Man hatte nämlich die Wahl zwischen:

1) der Einschließung (Cernirung),
2) der Beschießung (dem Bombardement),
3) dem gewaltsamen Angriff (dem Sturm), und
4) dem beim Belagerungskriege sogenannten regelmäßigen Angriffe, d. h. dem successiven Ueberwältigen der einzelnen feindlichen Werke durch dagegen geführte Arbeiten und durch das hierdurch möglich gemachte überlegene Feuer.

Selbstredend passen bei diesem Vergleiche (wie wohl bei jedem Vergleiche überhaupt) nicht alle Einzelnheiten; – das Grund-Princip der verschiedenen analogen Angriffsweisen, einerseits bei wirklichen Festungen, andererseits bei einer durch die revolutionäre Verrammlungs-Kunst befestigten Stadt, leuchtet jedoch deutlich durch. So mögen denn diese verschiedenen Methoden, welche eingeschlagen werden konnten, sowohl im Allgemeinen, als auch in ihren einzelnen Modificationen, selbst in den Kombinationen mehrerer Methoden mit einander, und zwar nicht allein in Bezug auf die nächste Lokalität des Kampfes und auf diesen selbst, sondern auch in Bezug auf die allgemeinen politischen und strategischen Verhältnisse außerhalb des Kampfplatzes, so wie auch in Rücksicht darauf betrachtet werden, wie der zu adoptirende Plan nicht blos die Ueberwältigung des Gegners im Allmeinen, sondern auch die verschiedenen Gradationen dieser Ueberwältigung, d. h. entweder blos die Vertreibung der insurgirten Streitkräfte, oder ihre Unterwerfung, oder endlich ihre Vernichtung ins Auge zu fassen hatte.[14]


[95] 1. Die Cernirung einer insurgirten Stadt ist in neueren Zeiten sehr selten als einziges Mittel ihrer Unterwerfung angewandt worden (in früheren Zeiten öfter, um nur ein Beispiel anzuführen, durch Heinrich IV. gegen Paris); mit der Einschließung Wiens im Herbste 1848 war wenigstens eine Beschießung und ein gewaltsamer Angriff in einer Weise verbunden, daß die Einschließung gewissermaßen nur als sekundäres Mittel gelten konnte.

Der Hauptgrund, welcher in neueren Zeiten von der Cernirung insurgirter Haupt- oder anderer großer Städte, abgehalten haben mag, ist wohl die Befürchtung, daß [96] die in einer solchen Stadt in der Regel installirte revolutionäre Behörde, nenne sie sich nun Provisorische Regierung oder sonst wie, dadurch Muße zur größeren Konsolidirung und besonders zum nachtheiligen Einfluß auf das ganze übrige Land, oder wenigstens auf die betreffende Provinz gewinnen könne. Diese Befürchtung ist freilich in neueren Zeiten begründeter, als früher, weil damals die Städte, namentlich die Hauptstädte, noch nicht das moralische Uebergewicht über das flache Land, wie jetzt erlangt hatten, wo sie für politische Barometer, ja selbst für Vorkämpfer auf der Bahn des sogenannten Fortschritts gelten. – Allerdings konnte auch im vorliegenden Falle die Besorgniß Raum gewinnen, daß es der Provisorischen Regierung in Dresden, vermöge der sich im Lande zeigenden Sympathien und vermöge der theils ebenfalls der revolutionären Richtung zugethanen, theils schwachen Behörden, gelingen könne, sich die beabsichtigte Anerkennung und Autorität im ganzen Königreiche zu verschaffen, sobald man sich damit begnüge, Dresden blos zu cerniren, und man dadurch die aufrührerische Behörde ganz ungestört in ihrem Treiben lasse.

Wenn zwar noch keine neuere Erfahrung vorliegt, wie sich die Verhältnisse in einem solchen Falle gestalten würden, so glaube ich doch, daß sobald nur die Cernirung Dresdens vollständig, kräftig und konsequent aus- und durchgeführt und sofort jeder die Provisorische Regierung anerkennende oder ihr Vorschub leistende Beamte als Hochverräther angesehen und bestraft worden wäre, das Land ruhig geblieben sein und auch die aufrührerische Stadt selbst bald sich unterworfen haben würde. Es war dies freilich ein etwas langsamerer, als der in der Wirklichkeit eingeschlagene, zum Ziele führende Weg und mag darum auch nicht unbedingt als ein besserer angesehen werden.

[97] Uebrigens lag es allerdings in dem Plan des Sächsischen Ober-Kommando’s, gleichzeitig mit der allmähligen direkten Ueberwältigung der in den Händen der Empörer befindlichen Altstadt dieselbe auch durch Reiterei von außen einschließen zu lassen. Da jedoch die ganze der Regierung zu Gebote stehende Reiterei aus noch nicht vollen 1000 Pferden bestand (s. §. 2.), von denen ein großer Theil zur Sicherung der Zugänge der Neustadt, zur Ueberwachung der Bahnhöfe, zu Ordonnanzdiensten und zu mannigfachen kleinen Detachements verwandt wurde, so mag in der That nicht genug disponibel geblieben sein, um die Cernirung vollständig herzustellen, indem sowohl während des Kampfes die Communication der Empörer mit dem übrigen Lande niemals vollständig unterbrochen war, als auch am 9ten Mai der Abzug der Insurgenten fast gar nicht gehindert wurde. – Es ist dies übrigens ein Umstand, über den sich der Verfasser eines bestimmten Urtheils enthalten muß, da er diese außerhalb der Stadt obwaltenden Verhältnisse weder als Augenzeuge kennen gelernt hat, noch ihm darüber amtliche Quellen zugänglich gewesen sind.


2. Das zweite Mittel der Ueberwältigung Dresdens wäre das von Windischgrätz mit so gutem Erfolg angewendete, das Bombardement, gewesen.

An Material fehlte es dazu nicht, vermöge des wohlversehenen Zeughauses und der Pulver-Vorräthe, zu deren Sicherung hinreichende Kräfte disponibel gewesen wären, sobald man keine anderweitige Angriffsweise mit dieser Beschießung hätte kombiniren wollen.

Als am 6ten und 7ten Mai die in Anwendung gebrachte Art des Kampfes, bei ziemlich langsamem Vorrücken, doch den Truppen in merklicher Steigerung zunehmende Verluste verursachte, brachte der Führer der [98] Preußischen Hülfstruppen es bei dem Sächsischen Kriegsministerium zur Sprache, ob, um die Sache schneller und mit geringeren Opfern zu Ende zu bringen, nicht zu diesem Mittel zu greifen sei. Das Ministerium nahm Anstand, die Verantwortung auf sich zu nehmen, die Stadt, eine der schönsten Deutschlands, die darin befindlichen Kunstschätze und das Eigenthum vieler Wohlgesinnten der Zerstörung Preis zu geben. Damit dieses, für konstitutionelle Minister und für Landesgenossen allerdings schwere Bedenken nicht hindernd auf nothwendig scheinende militairische Maßregeln einwirke, erbot sich der fremde Befehlshaber, sobald ihm unter irgend einem Titel freie Hand gelassen würde, die Verantwortlichkeit und die Gehässigkeit der Maßregel auf sich zu nehmen. Aber auch dieses Auskunftsmittel (das allerdings nur dem Nahmen, nicht der That nach, das Ministerium entlastet hätte) wurde nicht angenommen, und so unterblieb jedes Bombardement.

Ohne hier mit Vorliebe für diese Angriffsweise sprechen und ohne verkennen zu wollen, daß bei der (in §. 4. geschilderten) Bauart Dresdens der durch ein Bombardement wirklich angerichtete materielle Schaden nicht sehr bedeutend gewesen sein möchte, so ist doch die Frage, ob die moralische Einwirkung dieses Mittels nicht eine Entzweiung unter den Empörern selbst hervorgebracht, die eigentlichen Einheimischen zur Rettung ihres Eigenthums gegen die Eingedrungenen bewaffnet, dadurch eine schnelle Uebergabe bewirkt und endlich auch die Dresdner Bürgerschaft auf längere Zeit hin von allen Oppositions- und Revolutions-Gelüsten geheilt haben würde, als dies vielleicht bei dem eingeschlagenen weniger zerstörenden Wege der Fall gewesen ist?


[99] 3. Das dritte Mittel, sich in den Besitz eines mehr oder weniger haltbaren und hartnäckig vertheidigten Ortes zu setzen: der gewaltsame Angriff, war im vorliegenden Falle von da ab, nicht mehr rathsam, nachdem den Empörern die Zeit gelassen worden war, ihr Barrikaden-System in Verbindung mit der Häuser-Vertheidigung zu vervollständigen. Ob es früher, d. h. am 2ten oder 3ten Mai, noch möglich gewesen wäre, die Straßen, ehe sie ungangbar für geschlossene Abtheilungen gemacht waren, anfangs durch Kavallerie-Chargen allein, dann durch wechselweises Eingreifen von Infanterie und Kavallerie, zuletzt durch kombinirte Wirkung aller drei Waffen, zu säubern und rein zu erhalten, hätte von zu viel Zufälligkeiten abgehangen, als daß sich mit Bestimmtheit etwas darüber behaupten ließe. Jedenfalls wäre der Regierung in diesem Falle der Vorwurf gemacht worden, zu früh und ohne genügenden Grund mit Gewalt eingeschritten zu sein, dadurch die ernste Aufregung und die wirkliche Widersetzlichkeit erst hervorgerufen zu haben, und somit die moralische Verantwortlichkeit für das vergossene Bürgerblut zu tragen. – Bei der von der Regierung bis zum letzten Augenblick geübten Langmuth lassen diese Vorwürfe sich nun zwar selbst von dem Böswilligsten nicht mit dem mindesten Schein von Begründung vorbringen, dafür war es aber auch jetzt (d. h. am 4ten und 5ten Mai) zu spät, den Aufstand noch wie einen Straßen-Auflauf oder gewöhnlichen Volks-Tumult zu unterdrücken. Es galt wirklichen Kampf gegen einen, nicht allein, wie man sonst zu sagen pflegt: bis an die Zähne, sondern sogar bis an die ersten Stockwerke der Häuser, verschanzten und verbarrikadirten Feind.

Wohl stand das Beispiel Cavaignac’s in frischem Andenken, welcher den großartigsten und hartnäckigsten Straßenkampf nicht allein der neueren Zeit, sondern vielleicht der ganzen Weltgeschichte, vermittelst direkter [100] Angriffe auf die Barrikaden siegreich durchgefochten hatte. Aber dennoch wäre dies Verfahren hier in Dresden durchaus nicht rathsam gewesen. Unabgesehen von den jedenfalls höchst blutigen Verlusten, welche es gekostet hätte, würde jeder einzelne, von den so überaus schwachen und theilweise schon physisch erschöpften, Truppen erlittene Echec in einem solchem Grade die Haltung derselben erschüttert, die Zuversicht der Empörer gesteigert, im ganzen Lande die offenste Insurrection hervorgerufen haben, daß keine Wiederholung des Angriffs irgend einer Art, ja kaum ein längerer Widerstand seitens der Truppen möglich gewesen wäre.

Jedenfalls erwarteten die Aufrührer, daß die Truppen auch diesesmal auf diese Weise, welche, als die dem militairischen Geiste am meisten zusagende, in manchen Ländern früherhin so oft zum Verderben derselben angewendet worden war, verfahren würden, und hierauf waren denn auch alle Veranstaltungen zur blutigen Abweisung der Angriffe berechnet. Schon der alten Regel nach, daß man niemals das thun müsse, was der Gegner wünsche und erwarte, durfte also nicht mit offenem Sturme gegen die Stellungen der Empörer vorgegangen werden.


4. So hätte sich denn die Betrachtung zu der Angriffsmethode zu wenden, welche wirklich eingeschlagen wurde: zur allmähligen Ueberwältigung der einzelnen Lokalitäten, oder, wie man es wohl mit Recht nennen könnte: zum regelrechten Angriffe, d. h. in eben dem Sinne regelmäßig gegen Barrikaden und vertheidigungsfähige Häuser, wie man eine systematisch vorschreitende Belagerung in Bezug auf die zu überwältigenden Festungswerke regelmäßig nennt.

[101] Wenn bei der Belagerung einer nach einem bestimmten System angelegten Festung ein solcher Angriff etwas sehr Einfaches, sehr bestimmt Vorgeschriebenes, etwas vollkommen Methodisches ist, weil die nach sich gleichbleibenden Principien angelegten Werke fast überall denselben Grundriß und dasselbe Profil haben, so scheint allerdings der Nahme eines regelmäßigen Angriffs nicht auf die Art der Ueberwältigung eines durch die Zufälligkeiten und Verhältnisse von Jahrhunderten regellos gestalteten Gewirres von Baulichkeiten einer großen Stadt zu passen. Das Regelmäßige besteht jedoch hier weniger in den mathematischen Linien der Angriffs-Arbeiten, sondern vielmehr darin, daß Schritt vor Schritt vorgerückt, jede einzelne sich entgegenstellende Lokalität überwältigt und, ehe man weiter vordringt, sich derselben versichert, sich in ihr festgesetzt wird. Die im §. 4. enthaltene Schilderung der von den Insurgenten ausgeführten Verstärkungsmittel der Straßen- und Häuser-Vertheidigung zeigt, daß insofern man weder sich mit der Cernirung begnügen, noch zum Bombardement schreiten, noch sich den Wechselfällen des gewaltsamen Angriffes (des Straßen-Kampfes) aussetzen wollte, man nur zu dieser Methode: zum Häuser-Kampfe schreiten konnte. War auch, wie schon oben bemerkt ist, bei der Pariser Straßenschlacht im Juni 1848 theilweise mit zu dieser Art des Kampfes geschritten worden, so hatte diese doch hier nur eine secundäre Rolle gespielt; in Dresden trat sie als Grundform in die erste Reihe, und möchte hiernach für die Mai-Kämpfe sich in der neueren Kriegsgeschichte kein anderes analoges Beispiel finden, als die Belagerung von Saragossa oder vielmehr der Häuserkampf im Innern dieser Stadt. Mochte hier, vermöge des stolzen, zähen, rachsüchtigen Karakters des durch Nationalhaß und Fanatismus doppelt aufgestachelten Spaniers, die Vertheidigung auch hartnäckiger, nachhaltiger und blutiger als [102] der Widerstand der aus fremden Abentheurern, freiheitsschwärmenden Jünglingen und plünderungslustigen Proletariern zusammengesetzten Aufrührer in Dresden gewesen sein, so war in beiden Fällen die Art des Kampfes doch die nämliche.

Die Schilderung dieses Kampfes in seinen Eigenthümlichkeiten, wie in seinen Einzelheiten, dem weiteren Verfolge dieser Schrift vorbehaltend, ist hier in Bezug auf die Dispositionen zu demselben zuvörderst noch die zu wählende Richtung des Angriffes, und das planmäßige Vorschreiten gegen bestimmte Punkte, zu besprechen und zu beleuchten.

Es lagen hier sehr verschiedene Wege vor, die sich wiederum in zwei Haupt-Kathegorien theilen lassen, nämlich:

1) Vordringen auf einem Punkte, und zwar entweder:
a) von dem Centrum aus; oder:
b) auf dem rechten Flügel allein; oder:
c) auf dem linken Flügel allein;
2) Vordringen auf mehreren Punkten, und zwar entweder:
d) in allen Richtungen gleichmäßig vorschreitend; oder:
e) vom Centrum aus, in Verbindung mit dem gleichzeitigen Vordringen auf dem rechten Flügel; oder:
f) vom Centrum und linken Flügel aus; oder endlich:
g) von beiden Flügeln zugleich.

Da es zu weit führen würde, alle diese möglicherweise einzuschlagenden Wege, nahmentlich die ad b., c., e. und f. angedeuteten, mit einem weitläuftigen Für und Wider (was sich wohl bei jedem derselben auffinden und mit Gründen belegen ließe) abzuwägen, so möge zuvörderst in Bezug auf das ad d. erwähnte Verfahren: des gleichzeitigen Vordringens auf allen Punkten, nur im Allgemeinen gesagt werden, daß dieser Weg jedenfalls [103] eine zu große Zersplitterung der schon an sich geringen Kräfte mit sich geführt haben würde, dann aber ein Vergleich zwischen den beiden, einander ganz entgegengesetzten, Verfahrungsweisen ad a. und g. angestellt werden.

Das letztgenannte Verfahren, nämlich ein Vordringen auf beiden Flügeln und ein allmähliges Umfassen des Kerns der feindlichen Macht und Stellung in der Altstadt, war der von dem Sächsischen Kommando angenommene und seinen Grundzügen nach durchgeführte Plan; diese Durchführung erfolgte in verhältnißmäßig kurzer Zeit und mit verhältnißmäßig sehr geringen Opfern (in wenig mehr als 100 Stunden und mit dem Verlust von wenig mehr als 100 Mann), und so könnte man also leicht geneigt sein, diesen Plan für den erwiesenermaßen zweckmäßigsten, wo nicht gar für den einzig richtigen, sein Gelingen (wie dies von sachkundiger und gewandter Hand geschehen ist[15]) für einen Triumph kriegswissenschaftlicher Grundsätze und Theorien, und sonach jede weitere Beleuchtung dieses Planes, so wie jedes Geltenlassen irgend eines andern Verfahrens, von vornherein für gänzlich überflüssig zu erklären!

Im Interesse der Wahrheit oder der wahren Wissenschaft (wenn überhaupt bei der Kriegführung von einer wirklichen Wissenschaft die Rede sein kann), ist aber das Gottes-Urtheil des Erfolges denn doch nicht so ohne weiteres als das unfehlbare Urtheil der Kritik anzunehmen. Bewies der günstige Ausgang auch jedenfalls, daß der befolgte Plan gut angelegt und tüchtig ausgeführt war und wird sich hiermit ausdrücklich dagegen verwahrt, als solle dies nicht vollkommen anerkannt werden, so ist deshalb noch nicht jedes andere Verfahren das eingeschlagen [104] hätte werden können, als unbedingt falsch zu verwerfen.

In rein-formeller Hinsicht unterscheiden sich die beiden Pläne (d. h. der wirklich ausgeführte: von beiden Flügeln aus vorzugehen, und der hier nicht gerade unbedingt vorgeschlagene, aber doch als möglicherweise auch zum Ziele führende, d. h. der des Vordringens im Centrum), dadurch, daß jener concentrisch, letzterer excentrisch wirkte, jener den Feind von beiden Seiten zu umfassen, dieser direkt auf den Kern seiner Stellung zu wirken suchte. Bekanntlich spricht Theorie, wie Erfahrung, gleich sehr für beide Verfahrungsweisen; eher noch möchte die Autorität der kräftigsten Heerführer sich auf die Seite der letzteren neigen.

In vorliegendem Falle trat nun allerdings noch die Rücksicht auf den Grad des zu erlangenden Sieges hinzu und da hoffte man durch den Umfassungs- und Einschließungs-Plan die Rebellen nicht blos zu überwältigen, sondern sie entweder, wenn sie bis zuletzt Widerstand leisteten, zu vernichten, oder, wenigstens, wenn sie sich dann erst unterwarfen, sich ihrer und besonders der Personen der Rädelsführer und Aufwiegeler zu bemächtigen. Diese Hoffnung schlug fehl, da es die Insurgenten nicht bis zur völligen Einschließung kommen ließen; es soll deshalb der Plan selbst nicht angefochten werden, aber es ist doch zu erwähnen, daß ein, von Hause aus mehr auf ein Verdrängen und Vertreiben der Empörer gerichtetes Vordringen vom Centrum aus, eben so weit geführt hätte.

Diesem letzten Plane standen sogar die Vortheile der Einfachheit, des Concentrirens aller Kräfte auf einem Punkte und der des Operirens auf dem kürzesten Wege zur Seite, im Gegensatz zu dem komplicirteren Verfahren, zu der Theilung der Kräfte und zu dem zu beschreibenden [105] größeren Bogen bei dem wirklich eingeschlagenen Wege.

Der Haupt-Einwand, welcher von den Urhebern und unbedingten Lobrednern der ausgeführten Disposition, gegen ein Operiren von dem Centrum aus erhoben wird, ist von der Beschaffenheit der hierbei zu überwältigenden Stadtgegend und der hier durch die Insurgenten getroffenen Vorkehrungen hergenommen. Allein auch dieser Einwand ist nicht ganz stichhaltig. Gehören die Gassen zwischen dem Schlosse und dem Altmarkt auch mit zu den engsten der ganzen Stadt, befanden sich hier auch die stärksten Barrikaden und die am weitesten gediehenen Vorkehrungen zur Behauptung der Häuser, so war dies doch nur einem offenen Vordringen auf den Straßen, nahmentlich auf der gegen einen solchen Angriff als fast uneinnehmbar zu betrachtenden Schloßgasse, hinderlich und gefährlich. Nahm man aber für dies Vordringen von der Mitte aus dieselbe Verfahrungsweise in Bezug auf die Wegnahme der einzelnen Häuser an, wie bei dem umfassenden Angriffe, so lassen sich für das Vorgehen in jenem inneren Stadttheile sogar einige Vorzüge anführen. Zunächst, daß vermöge des Vorschreitens auf einem Wege, und zwar auf dem kürzesten Wege, der Natur der Sache nach weniger einzelne Gebäude und sonstige Lokalitäten zu überwältigen waren, als bei dem Vorgehen auf beiden Flügeln und im Bogen. – Dann kam es besonders auch auf die Zahl der zu überschreitenden Straßen und sonstigen offenen Stellen (als der den meisten Verlust in Aussicht stellenden Punkte) an, und auch diese Zahl war bei dem Vordringen aus dem Centrum geringer, als bei dem auf den Flügeln: zwischen dem Schlosse und dem Altmarkte befinden sich nur drei Quergäßchen. – Was aber die Enge dieser Gäßchen betrifft, so ist dieser Umstand bei einem gehörig vorbereiteten Ueberschreiten derselben eher ein Vortheil, als ein [106] Nachtheil. Der zu überschreitende Raum ist kürzer, und derselbe dem Seitenfeuer weniger ausgesetzt, als auf breiteren Straßen oder gar auf Plätzen, wo man nicht blos einem enfilirenden, sondern selbst einem umfassenden Feuer und den Schüssen von entfernteren Punkten her ausgesetzt ist. Hätte man, wie man es beim Ueberschreiten enger Gäßchen nachher in der Wirklichkeit that, auch in dieser Richtung hin, ehe man über eine Straße vorbrach, aus der diesseitigen Häuser-Reihe, sowohl das Feuer der Insurgenten in den gegenüberstehenden Häusern zum Schweigen gebracht, als auch die zum Herabstürzen von Steinen u. dgl. bestimmten Vertheidiger von den Fenstern entfernt gehalten, so konnte man dann (besonders wenn das jedesmalige Vorschreiten in der Nacht oder gegen Tages-Anbruch erfolgt wäre) mit ziemlich geringem Verlust in die Thür, den Thorweg, den Laden, oder eines der unteren Fenster des zum Angriffspunkte ausgewählten Hauses gewaltsam einbrechen. Sobald man aber erst im Besitz eines Hauses in einem Quarree war, so brach man (wie man nachher auch wirklich that) von Haus zu Haus durch die Brandmauern durch, bis man Herr des ganzen Quarree’s war. Nach dreimal auf diese Weise bewirkten Uebergange über neue Straßen, zu welchem es vielleicht nur eine Zeit von zweimal 24 Stunden bedurft hätte, würde man vom Schloß bis an den Altmarkt gelangt sein, wo dann wahrscheinlich eben so, wie am 9ten, der Widerstand aufgehört haben würde.

Schließlich ist noch das, gegen ein Vordringen von der Mitte aus erhobene, Bedenken zu beseitigen, als sei ein solches Vordringen zu gefährlich gewesen, weil man hier direkt auf die noch ungebrochenen Hauptkräfte der Insurgenten gestoßen und hier also eher ein Echec zu befürchten gewesen wäre.[16] Auch dies Bedenken würde nur dann anzuerkennen [107] sein, wenn von einem Angriffe auf offener Straße die Rede gewesen wäre. Ging man aber auf die beschriebene Weise von Haus zu Haus vor, so konnte man in jedem einzelnen Hause doch immer nur eine durch die Lokalität begränzte Zahl von Vertheidigern finden, deren man mit der moralischen Ueberlegenheit geordneter Truppen-Abtheilungen gewiß Herr geworden wäre. Will man ja von möglicher Gefahr beim allmähligen Vordringen von Haus zu Haus sprechen, so wäre eine solche eher bei dem angenommenen Angriffs-Plan möglich gewesen, indem hier den in der Mitte ihrer Stellung unangefochten gelassenen Insurgenten die Möglichkeit blieb, nach einem der beiden Flügel hin (die nur wenige hundert Schritte von dem Mittelpunkt entfernt waren), überlegene Kräfte zur Ueberwältigung der von beiden Flügeln der Truppen vorgeschobenen Spitzen (die sich unter einander nicht unterstützen konnten) zu werfen. Dies Verfahren wurde (wie die weiter unten folgende speciellere Relation nachweisen wird) einigemal von den Insurgenten wirklich versucht, und brachte auch, obgleich nur mit wenig nachhaltigem Nachdrucke durchgeführt, auf dem rechten Flügel einen momentanen Stillstand im Vorschreiten der Truppen, auf dem linken Flügel sogar ein vorübergehendes Verlassen einiger bereits von denselben gewonnenen Punkte zu Wege. Die Gefahr bei den von beiden Flügeln, keilförmig zwischen die Altstadt und die Vorstädte [108] vorgeschobenen Spitzen war um so größer, als dieselben nach zwei Seiten, eben nach der Altstadt und der zur Seite oder vielmehr im Rücken gelassenen Vorstadt, Front machen mußten. – Es soll jedoch hiermit keinesweges die Meinung ausgesprochen werden, als müsse man bei kriegerischen Dispositionen jede möglicherweise gefährlich werdende Operation vermeiden, denn wo wäre im Kriege irgend etwas ohne Gefahr zu unternehmen und wie würde im Gegentheil das Bestreben: jedes Risiko zu vermeiden, zuletzt jedes kräftige Handeln untergraben? – es soll eben nur den Einwand gegen das Vorschreiten vom Centrum aus: „als sei dasselbe zu gewagt gewesen“ mit der Hinweisung auf das Gefährliche entkräften, was ebenfalls unvermeidlich in dem Vorschreiten von beiden Flügeln aus lag.

Wenn somit in vorstehenden vergleichenden Erörterungen die Möglichkeit dargethan hat werden sollen, daß auch durch eine vollständige Cernirung, oder durch ein rücksichtsloses Bombardement, oder durch ein allmähliges direktes Vordringen gegen den Altmarkt (insofern nur jede dieser Angriffsweisen in ihrer Art kräftig und konsequent durchgeführt wurde), eine Ueberwältigung der Insurgenten bewirkt werden konnte, so ist der Verfasser weit davon entfernt, nicht auch die Vorzüge des wirklich eingeschlagenen Verfahrens, besonders aber eben die Kraft und Konsequenz vollkommen anzuerkennen, mit welcher die Ausführung und Durchführung erfolgte. Es mag nun aber nach dieser Abschweifung auf das Feld wissenschaftlicher Beleuchtung möglicher Gefechtspläne, sich wieder zu der Darstellung des wirklich eingeschlagenen Verfahrens und der wirklich eingetretenen Ereignisse gewendet werden.

Die Disposition, welche in der Nacht vom 4ten zum 5ten Mai festgestellt und an der von da ab auch festgehalten wurde, war nachstehende:

Von außen sollte die Altstadt, mit Einschluß der sie umgebenden Vorstädte, durch die disponiblen 8 Schwadronen [109] (das 2te leichte Reiter-Regiment und 2 Schwadronen des 1sten) cernirt werden, eine Cernirung, welche, wie bereits weiter oben erwähnt, wegen der geringen Stärke der Schwadronen und vermöge einiger Umstände, deren klare Durchschauung dem Verfasser bisher noch nicht möglich gewesen ist, jedoch stets unvollständig blieb.

Die Neustadt blieb der Haupt-Ausgangspunkt der Operationen, obgleich sie anfangs nur durch einige Pikets, durch einzelne in den Kasernen zurückgebliebene Mannschaften und durch den disponiblen Rest der Reiterei, im Innern und gegen außen geschützt werden konnte. Den letztgenannten Waffen fiel auch die Sicherung der Bahnhöfe anheim.

In der Altstadt sollte das Königliche Schloß, nebst Dependenzien, nicht allein den Mittelpunkt der festzuhaltenden Stellung, sondern auch den Haupt-Verbindungs-Punkt des von beiden Flügeln aus beschlossenen weiteren Vordringens abgeben. Gleichzeitig sollten durch das Schloß auch die dahinter auf dem Schloßplatz (zwischen der Katholischen Kirche und der Brühlschen Terrasse) aufgestellten Reserven und die Verbindung mit der Neustadt, über die Elb-Brücke hinweg gesichert werden.[17]

[110] Die eigentliche Offensive sollte nun, wie bereits in den vorstehenden Erörterungen der möglichen Angriffspläne wiederholt erwähnt ist, von den beiden Flügeln aus erfolgen, und zwar in einem die eigentliche Altstadt umfassenden, sich allmählig zangenartig schließenden Bogen. Die auf der Stelle der ehemaligen Festungswerke angelegten, die eigentliche Altstadt fast ringsherum von den Vorstädten trennenden, Promenaden mit den an denselben liegenden größeren Gebäuden sollten im Allgemeinen die Richtung bezeichnen, in welcher dies allmählige Vorrücken geschehen sollte. Jeder neue, weiter vorwärts gelegene Punkt, dessen sich auf diesen Linien bemächtigt würde, sollte als neuer Stützpunkt zum ferneren Vorgehen und als Verbindungspunkt mit den bereits weiter rückwärts gewonnenen Punkten und mit den Reserven festgehalten werden.

Wie fast bei allen militairischen Dispositionen selten die einfache Grund-Idee ganz buchstäblich für alle einzelne Theile des Gefechts-Schauplatzes beibehalten werden kann, weil (unabgesehen von den Störungen durch eintretende Umstände und durch feindliche Gegen-Maaßregeln) die mannichfache Beschaffenheit des Kampfplatzes Modificirungen unabweislich macht, so auch hier.

Wenn auf dem linken Flügel das stets in den Händen der Truppen gebliebene Zeughaus den Ausgangs- und Stütz-Punkt des weiteren Vorgehens auf dieser Seite bilden mußte, zur Verbindung dieses Punkts mit dem Schlosse aber der Besitz nicht allein der Brühlschen Terrasse, sondern auch der an den Neumarkt anstoßenden Bildergallerie nothwendig war, so ergab sich hier die Veranlassung in etwas breiterer Front, als der allgemeine Plan eigentlich mit sich brachte, vorzugehen. Während daher auf dem äußersten linken Flügel das Landhaus, das Gewandhaus und das Caffé français die Linie des Vordringens bezeichnete, welches [111] sich zuletzt an der südlichen Ausmündung der Seegasse mit dem Angriffe des rechten Flügels die Hand reichen sollte, – mußte anfänglich der Neumarkt mit der Frauenkirche und mit den an seiner Südseite gelegenen großen Gasthöfen mit in den Bezirk der Operationslinie gezogen werden.

Auf dem rechten Flügel war die Grund-Idee des Gefechts-Planes leichter festzuhalten. Die Richtung des Vorschreitens war hier durch die Lokalität einfach vorgezeichnet. Von der Reserve-Stellung hinter der Katholischen Kirche ausgehend und den linken Flügel anfänglich an das von den Truppen besetzte Schloß und das damit zusammenhängende Prinzen-Palais gestützt, mußte hier der Angriff successive gegen den Zwinger, dann gegen die Sophien-Kirche, gegen die rechts davon gelegene Spiegelfabrik, gegen die Gebäude der Ostra-Allee und gegen das Thurmhaus, dann gegen die Post und zuletzt gegen das Polytechnische Institut sich richten, um von hier aus in Verbindung mit dem Angriffe des linken Flügels zu treten und somit die Einschließung der Altstadt zu vollenden.

Es mag an dieser Stelle genügen, die nach dem adoptirten Operationsplan vorgeschriebene Richtung der Angriffe bezeichnet zu haben. Die Methode, nach welcher die specielle Ausführung dieser Angriffe erfolgen sollte, wurde allerdings auch schon in allgemeinen Grundzügen vorgeschrieben; es dürfte jedoch hier zu weit führen, diese, nach den einzelnen Lokalitäten sehr modificirte Gefechts-Methode, schon hier auseinander zu setzen und soll dies daher einer späteren Stelle gegenwärtiger Schrift vorbehalten bleiben.

§. 9. Der erste Gefechts-Tag. Sonnabend den 5ten Mai.

Die am Abend zuvor von dem Königstein zurückgekehrten Minister v. Beust und Rabenhorst hatten von [112] dort nachstehende Proclamation des Königs mitgebracht, welche am Morgen dieses Tages vertheilt und bekannt gemacht wurde:

„Die meinem Herzen wahrhaft schmerzlichen Ereignisse des gestrigen und heutigen Tages, welche zuletzt in gewaltsame Angriffe auf das Zeughaus und selbst auf mein Schloß ausarteten, während ein großer Theil der Communalgarde seiner Pflicht, für Erhaltung und Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung mitzuwirken nicht nachkam, nöthigen mich, Dresden einstweilen zu verlassen und mich auf die Festung Königstein zu begeben. –
Wenn ich den von vielen Seiten an mich gestellten Anträgen, die von der Nationalversammlung zu Frankfurt verkündete deutsche Reichsverfassung sofort anzuerkennen, zu willfahren Bedenken trug, so bin ich dabei nur der innersten Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer einstweiligen Beanstandung dieser Maßregel gefolgt, und habe dabei nur das wahre Wohl des gemeinsamen Vaterlandes im Auge gehabt, sowie ich auch durch diesen meinen Entschluß die Grenzen des mir unzweifelhaft zustehenden Rechts auf keine Weise überschritten habe.
Ich hoffe von dem früher so oft bewährten Sinne meiner geliebten Sachsen für Recht und Gesetzlichkeit, daß es weitern ernsten Einschreitens nicht bedürfen soll, und daß ich deshalb auch in kürzester Zeit in meine theure Residenzstadt wieder zurückzukehren im Stande sein werde.
Uebrigens ist Fürsorge getroffen worden, daß durch meine Abwesenheit von hier, die Regierungsgeschäfte nicht unterbrochen werden.
Dresden, den 4. Mai 1849.
Friedrich August.       Dr. Ferdinand Zschinsky.“

[113] Die in Dresden anwesenden Minister begleiteten diese Proclamation noch mit nachstehendem, ebenfalls veröffentlichtem Proteste:

„Die unterzeichneten Staatsminister erfüllen ihre Pflicht, die obige Proklamation Sr. Majestät des Königs zu veröffentlichen.
Die unterzeichneten Minister haben weder Se. Majestät den König, noch die Regierung des Vaterlands verlassen. Sie sind sofort auf ihre Posten zurückgekehrt, nachdem sie Sr. Majestät des Königs persönliche Sicherheit geschützt sahen.
Sie halten es für ihre Pflicht, im Namen Sr. Majestät des Königs, gegen die Einsetzung einer provisorischen Regierung Verwahrung einzulegen.
Sie hoffen, daß das Sächsische Volk dem Rufe des Gesetzes, den Pflichten der Treue und den Mahnungen der Besonnenheit folgen werde.
Dresden, den 5. Mai 1849.
Die Staatsminister 
von Beust.       Rabenhorst.“

So wenig bei dem von Seiten der Provisorischen Regierung und der ganzen entschieden revolutionären Parthei bereits offen ausgesprochenem Bruche mit der Regierung, durch diese Bekanntmachungen noch eine Unterwerfung der Empörer und eine friedliche Lösung der entstandenen Wirren zu erwarten war, so durfte selbstredend doch eine solche Darlegung nicht unterlassen werden. Die Regierung mußte offen aussprechen, daß sie die ganze Bewegung für ungesetzlich, verbrecherisch und hochverrätherisch erkläre, damit jeder Einzelne im Volke, wie in der Verwaltung, darüber im Klaren sei, und damit den Unentschiedenen, Schwankenden und Schwachen späterhin nicht der Vorwand übrig bleibe, daß sie, nach der Abreise des Königs aus seiner Hauptstadt, die Provisorische Regierung [114] für ein durch den Drang der Umstände nothwendig gewordenes Rettungsmittel hätten betrachten müssen. Die Zuversicht der Treugebliebenen dagegen, besonders der Truppen, mußte durch dieses bestimmte Aussprechen des Entschlusses der Regierung: der Revolution kräftig entgegen zu treten, neu bestärkt und gehoben werden. Endlich sicherte sich die Regierung durch diese letzte Aufforderung an die Abgefallenen zur Gesetzlichkeit zurückzukehren, – ihrem eigenen Gewissen, der öffentlichen Stimme und der Presse, wie auch etwaigen späteren parlamentarischen Interpellationen gegenüber vor dem Vorwurfe: nicht Alles, nahmentlich nicht noch einmal den Weg der Milde und der Verständigung versucht zu haben, ehe zur blutigen Entscheidung geschritten wurde.

Die einzige, die militairische Lage der Dinge einigermaßen tangirende Folge dieser Proclamation war höchstens die, daß ein großer Theil der Kommunalgarde sich dadurch noch mehr in dem Vorsatz bestärkt fand, sich von der extremen Richtung loszusagen, welche die Bewegung in den letzten Tagen genommen hatte, wenngleich diese Richtung durch den Augenschein schon mehr, als es die Königliche Proclamation zu thun vermochte, dargelegt worden war.

Auch wurde von Seiten der Regierung und des Truppen-Kommandos nicht auf eine Wirkung jener Proclamation gerechnet, sondern alles zum Kampfe vorbereitet.

Ein Tagesbefehl machte den Truppen die Uebertragung des Ober-Befehls an den General-Lieutenant von Schirnding bekannt und wurde von ihnen mit Freuden begrüßt. Auch wurden den einzelnen Abtheilungen nochmals die Kriegs-Artikel vorgelesen und sie dabei zu dem Festhalten an die dem Könige geschworene Treue und an ihre Pflicht ermahnt. Ein Lebehoch auf den König beantwortete dies überall, wie denn von jetzt ab jede zum erstenmal über die Brücke in das Gefecht vorgehende Abtheilung [115] dies unter lautem Jubelruf that, und in der Regel von den bereits jenseits fechtenden Truppen mit freudigem Willkommen begrüßt wurde. Die Gewißheit, daß die Regierung mit Kraft gegen die Empörer aufzutreten entschlossen sei, und daß es nun zum Angriffe gegen diese gehe, erhob die durch die abwartende Ungewißheit und die Unthätigkeit bis dahin etwas gedrückte und abgespannte Stimmung auf das augenscheinlichste.

Wie sich der Geist der Truppen gegen den vergangenen Tag gehoben habe, davon machten schon in den ersten Stunden des Tages die Aufrührer die Erfahrung. Der Adjutant des Ober-Befehlshabers der Kommunalgarde trat, eine weiße Fahne in der Hand, auf den Altan der dem Zeughause gegenüber liegenden Klinik und forderte die Auslieferung der im Zeughause befindlichen Waffen und Geschütze. Statt daß jedoch dieser Aufforderung genügt worden wäre, besetzten die im Zeughause aufgestellten Truppen wiederum den Zeughof, den die Kommunalgarde, wenn zwar mit Widerstreben, jedoch ohne eigentlichen Widerstand räumte und sich von da ab als geschlossene Abtheilung nicht wieder im Kampf blicken ließ, sondern höchstens in einzelnen Enragirten ihr Kontingent zur Insurgenten-Armee stellte.

Noch war die Verbindung des Zeughauses mit der Brücke durch die Empörer unterbrochen. Als die Aufforderung sie zu eröffnen unbeachtet blieb, stellte sie Morgens 2 Uhr eine über die Terrasse vordringende Abtheilung leichter Infanterie durch die Wegnahme einiger hemmenden Barrikaden wieder her.

Auch hiermit wurde sich nicht begnügt, sondern um das Zeughaus vor jeder unmittelbaren Bedrohung zu schützen, allmählig die ganze Umgebung desselben von den Truppen, insbesondere von der mit frischer Kriegslust auftretenden leichten Infanterie, besetzt, und zwar: die Ausgänge der Kleinen Schießgasse und der Innern [116] Rampischen Gasse, die Salz-Gasse, so wie das Coselsche Palais.

Das Leib-Infanterie-Regiment besetzte das die gleichnamige Terrasse beherrschende Brühlsche Palais; das Regiment Prinz Albert benutzte die aus dem Schlosse durch die Gewehr-Gallerie nach der Bilder-Gallerie führende Verbindung (die freilich zur Vermeidung jedes Zeitverlustes durch das Einschlagen einer seit Jahren verschlossen gehaltenen Thür eröffnet werden mußte), um das die Nordseite des Neumarkts wie ein vorspringendes Bastion beherrschende Viereck zu gewinnen und zu behaupten, und von dort aus die an den drei andern Seiten des Platzes von den Insurgenten stark besetzten hohen Gebäude zu beschießen.[18]

Vom Leib-Regiment ward außerdem die auf dem Schloßplatz aufgestellte nächste Gefechts-Reserve, wozu auch der größte Theil des disponiblen Geschützes gehörte, gebildet, während der Rest jenes Regiments und der Artillerie, so wie die nicht außerhalb der Stadt verwendete Reiterei als letzte Reserve in der Neustadt, größtentheils auf dem Platz am Blockhause, zum kleinern Theil in den Kasernen, aufgestellt blieb. Als die Artillerie am Vormittage aus dieser Kaserne ausrückte, entstand einige Aufregung und eine Art von Zusammenlauf in der Neustadt, [117] die jedoch, da sich keine Leitung und keine Uebereinstimmung zeigte, und da die Haltung des Militairs wohl auch zu sehr imponirte, sich zu keinem förmlichen Auflaufe, geschweige denn zu einem ernstlichen Widerstande steigerte, und ohne eigentliches Einschreiten von Seiten der Truppen beseitigt wurde.

Da das bereits am Morgen begonnene Sturmläuten von Seiten der Insurgenten fortdauerte, die Zuzüge von außen her nicht aufhörten, auf den Barrikaden in der Schloßgasse die Banden auf dem Dolche ihrer Führer den Schwur auf Sieg oder Tod leisteten, kurz die Haltung der Empörer entschieden feindselig blieb, also die letzte Aussicht auf die Einwirkung der Proclamationen und auf friedliche Unterwerfung aufgegeben werden mußte, so begann ohngefähr um 2 Uhr Nachmittags das eigentliche Gefecht von Seiten der Truppen, zu welchem die Bewegungen am Vormittage mehr die Einleitung und Vorbereitung gebildet hatten.

Während auf dem äußersten linken Flügel sich mehr damit begnügt wurde, sich in den bereits gewonnenen Stellungen festzusetzen, wurde das Feuer am Neumarkt, sowohl aus der Augustus-Straße und von der Ecke der Töpfer-Straße her, als auch aus der Bildergallerie, besonders gegen die in allen 5 Stockwerken bis auf das Dach hinauf mit Schützen besetzten großen Gasthöfe an den beiden Ecken der Moritz-Gasse: das Hotel de Saxe und die Stadt Rom, eröffnet. Auch die Frauenkirche war noch von den Insurgenten besetzt.

Im Centrum der Stellung wurde aus dem Georgenthore (dem durch das Schloß von dem Schloßplatze nach der Schloßgasse führenden, zur öffentlichen Passage dienenden, Portale) Geschütz-, nahmentlich Kartätsch-Feuer gegen die Barrikaden der Schloßgasse und gegen die von den Insurgenten besetzten Gebäude, nahmentlich gegen [118] den zu einer Art von Reduit umgewandelten Gasthof zur Stadt Gotha gerichtet, allein weder dies, noch das Gewehrfeuer aus dem Schlosse selbst gegen die Erker der Schloßgasse, konnten hier bedeutende Wirkung äußern, viel weniger die Gegner zur Räumung ihrer Stellung nöthigen. Im Gegentheil versuchten letztere hier die Offensive zu ergreifen, weniger freilich durch direkten Angriff mit gewaffneter Hand, als durch Brandstiftungs- und Unterminirungs-Versuche. Das Schloß wurde mit Terpentinöl bespritzt, Pechkränze und Fackeln wurden herbeigeschafft und bereits heute einige (am folgenden Morgen wirklich ausgeführte) Versuche gemacht, die dicht an das Schloß herantretenden und mit dem Prinzen-Palais sogar unmittelbar zusammenhängenden Häuser zwischen der Kleinen Brüderstraße und dem Taschenberge in Brand zu stecken. Bergleute versuchten mit Benutzung der sich unter der ganzen Stadt fortziehenden Abzugs-Kanäle sich bis unter das Schloß zu arbeiten, um dies dann in die Luft zu sprengen. Da diese Absicht lautbar geworden war, so wurden die unter dem Schlosse befindlichen Keller-Räume und Abzugs-Kanäle durch die Sächsischen Pioniere nicht allein untersucht und bewacht, sondern auch die hinzuführenden Kanäle und der bereits von den Bergleuten begonnene Stollen durch Abdämmung der aus jenen in die Elbe ausmündenden Haupt-Schleuse unter Wasser gesetzt. Nach einer aufgefundenen Meldung der Bergleute an die Provisorische Regierung war (nach dem Kunstausdrucke ihres Gewerbes), der eingetriebene Stollen hierdurch „verschroten.“

Auf dem rechten Flügel der Gefechts-Linie wurde Nachmittags durch eine Abtheilung des Regiments Prinz Albert der Zwinger besetzt. Der Zwingerwall blieb anfangs noch in der Gewalt von Turnern, welche von dort auf die Truppen feuerten, bis diese gegen Abend den Wall mit dem Bajonett nahmen. So wichtig dieser [119] Wall als nothwendiger Stützpunkt zum weitern Vorgehen auf diesen Flügel war, eine eben so gefahrvolle und gefährliche Stellung bot derselbe aber auch dar, so lange seine Besetzung eine isolirte blieb. Er wurde von drei Seiten her beschossen und zwar überall von dominirenden Punkten aus. Rechts hatten die Insurgenten allerdings versäumt (wie dies in der Kritik §. 8. bereits hervorgehoben ist), den Packhof und die Stall-Gebäude zu besetzen, wodurch der ganz im Rücken genommene Zwingerwall keinen Augenblick zu halten gewesen wäre; dagegen hatten sich doch einzelne Schützen der Insurgenten in dem großen Eckhause an der Ostra-Allee postirt, welche die Besatzung des Zwingerwalls, die dagegen nur Deckung hinter den darauf stehenden einzelnen Bäumen fand, in der rechten Flanke beschossen. Gerade gegenüber boten die Gebäude an der Ostra-Allee überall eine günstige Aufstellung zur Beschießung des Zwingerwalls dar.[19] Am ungünstigsten lag dieser aber in Bezug auf seinen linken Flügel, wo er von dem Thurmhause an der Ecke der Zwingerstraße, von der diesseit des Wilsdruffer Platzes gelegenen Spiegelfabrik und von der Sophienkirche aus Vollkommen eingesehen und überhöht war. Alle diese drei Gebäude bildeten hier höchst vortheilhafte Punkte für die Insurgenten, sowohl anfangs zur Bestreichung des Zwingerwalls und des Theaterplatzes, allenfalls selbst noch der Elbbrücke, als auch späterhin zur hartnäckigen Vertheidigung und zu dem dadurch bewirkten Aufhalten des weiteren Vordringens der Truppen. Das Thurmhaus [120] (eine in den Gefechtstagen der Kürze wegen angenommene Bezeichnung) bildete die an der Ostra-Allee spitz vorspringende Ecke zweier Häuserreihen an der Zwinger-Straße und am Wilsdruffer Platz. Auf dem mehrstöckigen Privatgebäude ist ein (dem Vernehmen nach früher zu einer Sternwarte bestimmter), ebenfalls noch mehrstöckiger Thurm aufgesetzt, aus dessen oberen Fenstern man die Aussicht über die ganze Stadt besonders auch über die Elbbrücke hinweg hat. Gerade dem Zwinger gegenüber befindet sich die in allen Stockwerken mit Fensteröffnungen versehene Front dieses Thurmes, welche die Anstellung einer nahmhaften Anzahl von Schützen erlaubte, während deren Ablösungen und Reserven in dem mit dem Thurm zusammenhängenden Gebäude und in der rückwärts daran stoßenden, dem diesseitigen Feuer ganz entzogenen, Häuserreihe eine völlig gedeckte Aufstellung fanden. – Die Spiegelfabrik, ein hohes, schmales Gebäude, bildet mit einigen daran stoßenden kleineren Häusern eine abgesonderte Häusergruppe zwischen der Ostra-Allee und der Sophien-Straße, und gab gewissermaßen, wenn man das Thurmhaus und die Sophienkirche als Bastionen betrachtet, die mit denselben durch starke Barrikaden verbundene Kurtine ab. – Die Sophienkirche selbst endlich, ganz isolirt gelegen, bot sowohl an sich eine sehr starke Stellung, als auch, besonders von ihrem hohen Dache aus, einen sehr günstigen Standpunkt zur dominirenden Beschießung des Zwingers und des Zwingerwalls dar.

Erst gegen Abend wurde diese mißliche Stellung durch Besetzung der Königlichen Stallgebäude wenigstens in ihrem Rücken und großentheils in ihrer rechten Flanke gesichert, da sich nun die Insurgenten auch nicht mehr in dem diesseitigen Eckhause der Ostra-Allee mit der Stallstraße für sicher hielten. [121] Während dies im Innern der Stadt, auf dem eigentlichen Kampfplatze, vorging, wurde in Bezug auf die Umgebungen noch folgende Maßregel genommen:

Die Reiterei, so weit sie nicht im Innern der Neustadt verwendet blieb, besetzte in Gemeinschaft mit etwas Infanterie die beiden Bahnhöfe und gab Feldwachen am Linkschen Bade und an den übrigen Hauptzugängen zur Neustadt.

Nachmittags ging die Pontonnier-Abtheilung nach Pillnitz ab, um die dortige fliegende Fähre nach Dresden zu schaffen.

Im Laufe des Tages hatten die Insurgenten die Pulvermühle an der Weisseritz, in welcher sich nur einige Artilleristen befanden, besetzt, und aus derselben ohngefähr 20 Centner Pulver nach dem Rathhaus gebracht. Dies und die gerade von dieser Richtung her aus Chemnitz, Freiberg und dem Plauenschen Grunde an diesem Tage besonders stark eintreffenden Zuzüge, hießen nun auch auf eine gegen alle Eventualitäten hinreichende Sicherung der bei den sogenannten Schusterhäusern vor dem Prießnitzer Schlage gelegenen Pulver-Magazine bedacht zu sein. Es wurden daher mit Einbruch der Nacht 1½ Kompagnien Infanterie unterhalb Uebigau (also auf einem Umwege von einer guten Stunde) über die Elbe gesetzt und zur Vervollständigung der Besatzung jener Magazine bestimmt, bei welcher Gelegenheit zugleich für die fechtenden Truppen eine bedeutende Quantität Munition auf dem nämlichen Wege zurückgeschafft wurde.

Es ist bis zu gegenwärtiger, geeignet erscheinender Stelle verspart worden, der Situation und der Erlebnisse der Besatzung der gedachten Pulver-Magazine zu erwähnen, damit diese Darstellung, welche manches Interessante und Lehrreiche darbietet, im Zusammenhange gegeben werden könne. [122] Wie bereits in §. 6 im Allgemeinen erwähnt worden ist, wurde am 3. Mai ein Theil des Depots des Garde-Reiter-Regiments, nachdem dasselbe seine (späterhin vom Volke ausgeplünderte) Kaserne in der See-Vorstadt zum zweitenmal verlassen hatte und auf einigen Plätzen der Stadt aufgestellt gewesen war, zur Sicherung der Pulver-Magazine bestimmt. Das zuerst dahin abgerückte Detachement bestand nur aus 2 Zügen, zusammen etwa 40 Pferden, unter dem Rittmeister von Uckermann. An den Pulver-Magazinen fand derselbe nur die gewöhnliche Infanteriewache von 1 Unteroffizier und 14 Mann.

Mit diesen Kräften sollte nun das so überaus wichtige Etablissement gehalten werden, das aus verschiedenen, auf mehrere 100 Schritt von einander entfernten Gebäuden bestand, das ringsum von freiem Felde umgeben war, das durch die vollkommen insurgirte Friedrichsstadt sich von den in der Altstadt postirten Truppen gänzlich abgeschnitten sah und das nur auf einem 1½stündigen Umwege, und zwar über die Elbe und über eine durch Freischärler und eine demokratisirte Bevölkerung unsicher gemachte Strecke hinweg, die Verbindung mit der Neustadt erhalten konnte. Die Mannschaft bestand aus neu ausgehobenen Rekruten, welche weder bereits als Reiter ausgebildet waren, noch auch nur einen Pistolenschuß abgefeuert hatten. Die Pferde waren theils undressirte Remonten, theils die aus den nach Schleswig gerückten mobilen Schwadronen ausrangirten, theilweise sogar lahmen Pferde. Das Ausrücken aus der Kaserne war, zufolge früherer, so ernstliche Vorgänge in der Garnison nicht voraussehender, Befehle in der Exercir-Ausrüstung erfolgt, so daß Halfter und Futterbeutel fehlten.

Zu dieser numerischen Schwäche und diesem dem Anschein nach geringen innern Halt des Detachements gesellte sich die Schwierigkeit der Verpflegung für Mannschaft und Pferde. Anfangs lieferte das am Ausgange [123] der Friedrichstadt belegene Ostra-Vorwerk noch das Nöthige; bei den ernstlichsten Drohungen der Insurgenten, daß im Wiederholungsfalle das Vorwerk in Brand gesteckt und der Verwalter desselben persönlich dafür verantwortlich gemacht werden würde, unterblieb dies. Nur ein einzelner wohlgesinnter Hofbesitzer aus der Umgegend wagte es, sein Leben und sein Eigenthum der Rache der Empörer preisgebend, dem Detachement in der Nacht Lebensmittel und Fourage zukommen zu lassen. Mehrere Tage hindurch mußten die Mannschaften sich jedoch mit kalter Kost begnügen, da selbstredend in der Nähe der Pulver-Magazine nicht gekocht werden durfte; auch blieben sie und die Pferde in dieser Zeit der Witterung schutzlos preisgegeben. Die Pferde wurden aus Tischkasten und anderen sich gerade vorfindenden Geräthen gefüttert, und da sie, bei der Gefahr jeden Augenblick angegriffen werden zu können, mehrere Tage lang unausgesetzt aufgezäumt bleiben mußten, so hatten die meisten zuletzt wundgescheuerte Kinnladen.

Nur durch einzelne vertraute Diener, so wie durch Angehörige des Magazin-Personals wurden, unter Gefahr der Mißhandlung, wo nicht des Lebens, Nachrichten über den Stand der Dinge in der Stadt eingezogen. Daß es, selbst bei dem besten Willen der Ueberbringer, hierbei nicht an Uebertreibungen und den beunruhigendsten Gerüchten fehlen konnte, war in einer solchen Zeit der Aufregung unvermeidlich. Die Vernichtung der Truppen oder ihr Uebertritt zu dem Volke, so wie die allgemeine Anerkennung der Provisorischen Regierung wurden als unbestreitbare Thatsachen überbracht. Auch unterließen die revolutionären Behörden und Befehlshaber nicht, Parlamentaire mit diesen Nachrichten und der Aufforderung zur Uebergabe nach diesem wichtigen Punkte zu schicken. Daß diese keinen Eingang fanden, versteht sich; im Gegentheil wurde von dem schwachen und in so überaus [124] mißlicher Lage sich befindenden Detachement Alles zur Abweisung des aller Wahrscheinlichkeit nach zu erwartenden Angriffs vorbereitet.

Als am 4. Mai der Feind sich ziemlich ruhig verhielt, wurde die kleine Schaar, die noch niemals im geschlossenen Trupp exercirt hatte, in diesem Verhältniß, nahmentlich im Choc geübt, mit dem man einen über die Ebene anrückenden Gegner zuerst zu empfangen beabsichtigte. Diese Aussicht elektrisirte die jungen Soldaten dermaßen, daß sie unaufgefordert ihre Säbel schliffen und trotz der mancherlei Entbehrungen lustig und guter Dinge waren.

Für die Vertheidigung der Pulver-Magazine selbst, sobald so starke Massen vordrängen, daß ein dagegen unternommener Choc des schwachen Trupps nichts mehr zu effektuiren vermöchte, war jedem Einzelnen sein Posten und sein Verhalten genau vorgeschrieben. Der jüngste Offizier, Lieutenant von Stranzki, erhielt ganz einfach den Auftrag, sich im Pulver-Magazine selbst zu postiren, um dasselbe durch einen Pistolenschuß in ein offenes Pulverfaß in die Luft zu sprengen, sobald der Feind die schwache Besatzung überwältige, – ein Auftrag, der als etwas sich von selbst Verstehendes, eben so ruhig übernommen, als ertheilt wurde.

Am 5. Mai sammelte sich an dem Prießnitzer Schlage wirklich eine Masse von 600 bis 800 Insurgenten, darunter mehrere hundert der exaltirtesten und verwegensten Gattung. Noch einmal schickten sie einen Parlamentair mit der Aufforderung zur freiwilligen Auslieferung der Vorräthe ab; diesem wurden aber ganz einfach von dem kommandirenden Offizier die getroffenen Vertheidigungsmaßregeln und auch der Entschluß: im äußersten Nothfalle Angreifer wie Vertheidiger unter den Trümmern des auffliegenden Magazins zu begraben, mitgetheilt. Die ruhige Haltung der Vertheidiger zeigte dem Unterhändler, [125] daß diese Antwort keine leere Phrase, sondern im vollen Ernste gemeint sei. Er sprach bei der Rückkunft diese Ueberzeugung aus und die Aussicht auf die selbst beim Gelingen des Angriffs zu erwartende unfreiwillige Luftreise war doch für die Mehrzahl so wenig lockend, daß der vorher sich sehr todesverachtend gebehrdende Haufe mit jedem Augenblick mehr schmolz, bis zuletzt selbst die Wortführer und scheinbar Entschlossensten den, gewiß auch nicht unerwünschten, Vorwand aussprechen konnten: da die große Masse so wenig Muth zeige, ließe sich mit zu geringen Kräften der Angriff nicht unternehmen.

So blieb denn, bis auf einiges von Weitem gegen die Besatzung der Pulver-Magazine versuchtes Schützengeplänkel, dieselbe unangefochten. In der Nacht vom 5. zum 6. Mai trafen die bereits oben erwähnten 1½ Kompagnien unter dem Hauptmann von Carlowitz daselbst ein, welcher nun als Aeltester das Kommando übernahm. Tags darauf wurde die Verbindung mit dem aus der Gegend von Freiberg heranrückenden 2ten leichten Reiter-Regiment hergestellt, doch blieb das ursprüngliche Detachement bis zum 10. früh ohne Ablösung auf dem, durch seine entschlossene Haltung erhaltenen, wichtigen Posten.


Zwischen 5 und 6 Uhr Abends traf das schon seit Mittag sehnlich erwartete Füsilier-Bataillon des Preußischen Kaiser Alexander Grenadier-Regiments in Dresden ein. Die Veranlassungen, welche die schon früher beabsichtigte Ankunft desselben verzögert hatten, so wie die Ursachen, welche das Eintreffen des 1sten Bataillons desselben Regiments fast noch um weitere zwei Tage hinausschoben, bilden zu sehr ein zu mancherlei Darlegungen und Bemerkungen Anlaß gebendes Ganzes, als daß ihnen nicht ein besonderer Abschnitt (§. 10) zu widmen wäre.

[126] Hier werde jedoch, um den Faden der Schilderung der in Dresden selbst vorgefallenen Ereignisse nicht zu unterbrechen, in dieser Beziehung dasjenige angeführt, was noch im Laufe des Tages nach der Ankunft der ersten Preußischen Hilfstruppen sich ereignete. War das bevorstehende Eintreffen dieser Truppen von den Führern der Volksparthei in den vorhergehenden Tagen bald, behufs Ermuthigung der Massen, als etwas, wegen der zerstörten Eisenbahnen und des angeblich erfolgten Protestes der französischen Gesandtschaft, ganz Unwahrscheinliches, – bald behufs größerer Aufregung der Stammes- und Gesinnungs-Antipathien, als ein Einbruch fremder „verthierter Horden“ dargestellt worden, so erfolgte, sobald deren wirkliche Ankunft sich nun auch wie ein Lauffeuer in der Altstadt verbreitete, sofort folgender Aufruf von Seiten der Provisorischen Regierung:

„An unsere Mitbürger!“
Der König von Sachsen hat Preußisches Militair herbeikommen lassen, um seinen Eigenwillen dem Willen des Volks gegenüber durchzusetzen. Das Sächsische Volk, welches seine besten Söhne auf die Barrikaden gesandt hat, um für die Einheit und Freiheit Deutschlands zu kämpfen und Sachsen insbesondere vor den unwürdigen Fesseln eines verrätherischen Sonderbündnisses zu bewahren, wird diese Kunde mit einem Schrei der Entrüstung aufnehmen. Es ist heute mit seltenem Muthe gekämpft worden. Gegen die von außen herbeigeführten Streitkräfte wird der Kampf mit verdoppeltem Muthe fortgesetzt werden. Dank Euch, Ihr Helden der Freiheit! Der Tod für die Freiheit ist schön und der Sieg ist Euer im Leben und Sterben.
Kämpft fort wie Ihr gekämpft habt. Du aber, Sächsisches Volk, stehe wie bisher fest zur Sache die wir führen. Wir wollen die Reichsverfassung und durch die Reichsverfassung [127] die Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes, das Heil Sachsens, und für das, was wir wollen, kämpfen wir bis zum Tode.
Dresden, den 5. Mai 1849 Abends 8 Uhr.
Die provisorische Regierung.
Tschirner. Todt. Heubner.“

Wie wenig Ernst es jedoch den Partheihäuptern mit den erhaben klingenden Phrasen vorstehender Proklamation war, bewies die ohngefähr um 7 Uhr Abends durch eine Deputation des Stadtraths und der Stadtverordneten bei dem Ministerium vorgebrachte Bitte: das Feuer einzustellen. Das Ministerium wies jedoch jede Unterhandlung mit Empörern zurück und forderte vollständige Unterwerfung, insbesondere:

1) Gestellung der Anstifter des Aufruhrs, namentlich der Mitglieder der sogenannten Provisorischen Regierung;
2) Auslieferung der Waffen;
3) Wegräumung der Barrikaden;
4) Wiederherstellung der Straßen; und
5) Schadenersatz durch die Stadt.

Zur Erwägung, ob diese unabänderlich feststehenden Bedingungen angenommen würden, sollte eine Frist bis zum folgenden Mittag 2 Uhr gewährt werden. – Da keine Antwort auf diesen Bescheid, vielmehr die Fortsetzung des feindseligen Benehmens der Insurgenten erfolgte, so wurde selbstredend auch von Seiten der Regierung keine weitere Rücksicht auf die (vielleicht nur in der Absicht Zeit zu gewinnen) versuchte Unterhandlung genommen.


Da die vorstehende Geschichtserzählung der eigentlichen kriegerischen Ereignisse nicht zu sehr durch fremdartige Einschiebsel hat zerstückelt werden sollen, so ist in Bezug auf [128] die innern Zustände der im Aufstande begriffenen Stadt während des verflossenen Tages (5. Mai) hier schließlich noch Einiges nachzuholen.

Als die Kommunalgarde sich immer mehr zerstreute, und nachdem am Morgen von Seiten der Provisorischen Regierung auf den Barrikaden bekannt gemacht worden war, daß Jeder, der von einer Uebergabe oder Kapitulation mit dem Militair spreche, sofort standrechtlich erschossen werden würde, erschien im Laufe des Tages folgende Mahnung an die sämmtliche Bürgerwehr:

„Aufforderung.“
„Der gerechte Unwille des Volkes und der gutwilligen Bürgerwehr über die Teilnahmlosigkeit und Pflichtvergessenheit des größten Theiles der hiesigen Communalgarde wächst von Stunde zu Stunde. Alle Communalgardisten werden daher auf das Ernstlichste aufgefordert sich sofort auf ihre Sammelplätze zu verfügen. Ein jeder Communalgardist, welcher binnen einer Stunde nicht auf dem Sammelplatze seines Bataillons erscheint, wird durch die gesetzlichen Zwangsmaßregeln mit entschiedner Strenge dazu angehalten werden.
Das Wohl des Vaterlandes, die Ehre der Stadt stehen auf dem Spiele. Mitbürger! Erfüllt Eure Bürgerpflichten aus Liebe zum Vaterlande freiwillig. Bewahret Eure eigne Ehre, bewahret die Ehre der Stadt vor dem Schimpfe, daß Dresdens Bürger mit Zwang unter die Waffen getrieben werden mußten.
Dresden, den 5. Mai 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner. Heubner. Todt.“

In Folge der am Schluß dieser Aufforderung enthaltenen Drohung wurde dann auch durch Turner, Freischärler, Mitglieder der untersten Volksklasse und andere Enragirte versucht, einzelne Kommunalgardisten, selbst andere [129] angesehene Einwohner und deren Dienstleute, mit Gewalt aus den Häusern zu holen und zum Kampfe auf die Barrikaden zu führen: ein eigenthümlicher Widerspruch mit der proklamirten Freiheit, mit der Abwerfung jedes Zwanges, mit der Herabwürdigung des angeblich durch knechtische Furcht in den Kampf getriebenen Militairs.

Hand in Hand mit diesem Pressen von Freiheits-Kämpfern ging die Verhaftung vieler der Provisorischen Regierung oder den übrigen Häuptern des Aufstandes, oft auch nur einzelnen Barrikadenkämpfern, mißliebiger oder verdächtiger Personen. Unter der Bezeichnung von Spionen traf dies Schicksal 70 bis 80 Individuen verschiedener Stände: unter Andern auch einen seit Jahren unter dem Namen eines Grafen v. Stolzenberg ruhig als Privatmann in Dresden lebenden Prinzen von Anhalt-Dessau.

Nachdem überhaupt eins der Haupt-Organe der demokratischen Parthei, die Dresdner Zeitung (in ihrem Bülletin No. 107.) es gerühmt hatte, daß man endlich den abgeschmackten gesetzlichen Boden verlasse und den revolutionären, als den allein gesetzlichen, anerkenne, nahm der Terrorismus nicht allein gegen Personen, sondern auch gegen das Eigenthum, immer mehr überhand. Nicht allein entnahmen die oft zerlumpten Barrikaden-Kämpfer auf die von der Provisorischen Regierung ausgestellten Lieferscheine, Lebensmittel und Kleidungsstücke, wo sie dieselben irgend fanden; sondern sie erbrachen unter diesem Vorwande auch mehrere Wohnungen und Läden, eigneten sich zu, was ihnen anstand und verschleuderten den Raub zu Spottpreisen[20].

[130] Auch auf das platte Land umher erstreckte sich diese Schreckens-Herrschaft. Den Ortschaften wurde mit Sengen und Brennen gedroht, wenn ihre männlichen Bewohner nicht mit in den Kampf für das Volk zögen. Die heranziehenden oder sich in der Umgegend herumtreibenden Freischaaren requirirten nicht allein Lebensmittel, sondern auch Fuhrwerke und Pferde, und wiesen jede Unwillfährigkeit, jede Zögerung, ja selbst jede wohlgemeinte Warnung, durch Mißhandlungen zurück.

Die Seele dieser terroristischen Richtung war, wie bereits weiter oben erwähnt, der Russe Bakunin, von dem auch nachstehende, in diesen Tagen in Dresden veröffentlichte, weder mit Unterschrift, noch mit Datum versehene Proklamation herrühren sollte:

„Mitbürger!“
„Die absolute Fürstengewalt, williger Diener des russischen Czaren, hat die freiheitsmörderische Hand an den letzten Rest Eurer im vorigen Frühjahre blutig errungenen Freiheit gelegt, um Euch auf’s Neue zu knechten und zu Werkzeugen ihrer nur zum Vortheil der eigenen Familien führenden diplomatischen Kunststücke zu benutzen.
Die Nationalversammlung in Frankfurt hat Deutschland eine Verfassung gegeben, welcher entgegen zu treten von Seiten der deutschen Fürsten Rebellion gegen den Volkswillen ist.
Kann auch diese Verfassung mit ihrem beabsichtigten preußischen Erbkaiserthume den Bedürfnissen und Anforderungen des deutschen Volkes nicht genügen, den Fürsten steht keinenfalls ein Widerspruch gegen dieselbe zu.
Darum auf, Bürger Thüringens und Sachsens! schützt mit bewaffneter Hand Eure Freiheit gegen die rohe Fürstengewalt; der Preis, eine des deutschen Volkes würdige Verfassung, wird Euch nicht entgehen. [131]
Schon erhebt sich der Sturm, schon donnern die Kanonen in der Hauptstadt Sachsens. Eilet, eilet, erhebt Euch in Masse mit dem Rufe:
Es lebe ein einiges, freies, demokratisches Deutschland!
Das Centralcomité 
zum bewaffneten Schutze deutscher Volksfreiheit.

Hatten schon bei dem ersten drohenden Anzeichen des ausbrechenden Kampfes viele der ängstlichen Gemüther aus den höheren und bemittelteren Ständen, so wie manche der in Dresden sich stets zahlreich aufhaltenden Fremden, sich oder wenigstens ihre Familien durch Verlassen der gährenden Hauptstadt in Sicherheit zu setzen beeilt, so hatte diese Auswanderung selbstredend mit der immer mehr überhand nehmenden Schreckensregierung, mit der sich bestimmt herausstellenden Gewißheit, daß es im Innern der Stadt zum hartnäckigsten Kampfe kommen werde und mit der Befürchtung vor einem Bombardement, mit jeder Stunde zugenommen. Alle umliegenden Ortschaften und die ganze Neustadt waren mit solchen Flüchtlingen angefüllt. Späterhin verbot freilich der von allen Seiten sich immer enger um die Altstadt herumziehende Kampf und die Drohung der Insurgenten, jeden Flüchtenden als Spion niederzuschießen, dieses Rettungsmittel, und viele der in der Altstadt wohnenden Familien mußten mehrere Tage hintereinander in Hinterstuben oder Kellern in qualvoller Angst und häufig unter wirklichen Entbehrungen zubringen.

§. 10. Die Eisenbahnfahrt der Preußischen Hülfstruppen.

Dem ersten Anschein nach möchte es auffallend erscheinen, daß einem so alltäglichen, jährlich von Millionen [132] von Reisenden benutzten, neuerdings auch fast bei allen Truppen-Bewegungen in Anwendung gebrachten, Beförderungsmittel, wie es die Eisenbahnfahrten sind, hier ein besonderer Abschnitt gewidmet wird. Die weitere Erzählung wird jedoch ergeben, daß in vorliegendem Falle sich ungewöhnlichere Umstände dabei herausstellten und daß diese zu einigen nicht ganz unbeachtenswerthen Fingerzeigen für die Eisenbahn-Beförderung von Truppen in insurgirten Ländern Anlaß geben, so daß die etwas ausführlichere Schilderung und Besprechung dieses nicht ohne Einfluß auf den Ausgang des Dresdener Kampfes gebliebenen Truppen-Transportes wohl gerechtfertigt erscheinen wird, besonders auch in der Hinsicht, daß gegenwärtige Schrift die in Rede stehenden Ereignisse auch mit besonderer Rücksicht auf die Mitwirkung der Preußischen Truppen zu beleuchten bestimmt ist.


Der von dem Sächsischen Kriegsministerium zur Herbeirufung der Preußischen Unterstützung abgeschickte Lieutenant Funke des Artillerie-Regiments war, nachdem er verschiedene ihm von Seiten des Eisenbahn-Personals in den Weg gelegte Verzögerungen erfahren hatte, am 4ten Mai spät Abends in Berlin eingetroffen.

Als in Folge dieser dringenden Aufforderung höheren Orts beschlossen war, die gewünschte Hülfe vorläufig mit zwei Bataillonen zu gewähren, ging am 5ten Mai Nachts gegen 1 Uhr dem Oberstlieutenant Grafen Waldersee, Kommandeur des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, die Benachrichtigung zu, daß unter seinem Kommando das 1ste und Füsilier-Bataillon des Regiments am andern Morgen abmarschiren solle. Mit der persönlichen Einholung der näheren Instruktionen über diesen Auftrag (dessen Bestimmungsort im ersten Befehle nicht angegeben war), beim Ober-Kommando der [133] Marken und im Kriegsministerio, vergingen fast zwei Stunden, so daß erst gegen 3 Uhr Morgens die näheren definitiven Befehle ausgegeben werden konnten.

Die erhaltene mündliche Instruction hatte dahin gelautet, daß das eine Bataillon am Morgen, das andere Mittags mit der Eisenbahn nach Dresden fahren solle und daß der Oberstlieutenant Graf Waldersee dort an die Befehle des Sächsischen Kriegsministeriums gewiesen sei.

Da die Grenadier-Bataillone des Regiments noch die gewöhnlichen Perkussionsgewehre führten, das Füsilier-Bataillon aber seit dem Januar des Jahres bereits mit den neuen leichten Perkussions- (Zündnadel-) Gewehren bewaffnet war, so erschien es rathsam, die neue Waffe, welche ihre Vorzüge bereits in dem kurzen Friedensgebrauche unwiderleglich dargethan hatte, sobald als möglich in einem Kampfe zur Geltung zu bringen, dessen mißlicher Stand dem Detachementsführer nicht verhehlt worden war und in welchem also der geringste Umstand, der zum glücklichen Ausgange beizutragen vermochte, berücksichtigt werden mußte.

Das Füsilier-Bataillon wurde daher bestimmt, mit der ersten Fahrt abzugehen, während das 1ste Bataillon erst am Mittage folgen sollte; (zu einer gleichzeitigen Beförderung beider Bataillone fehlte es der Eisenbahn-Direction, welche nicht im Voraus hatte benachrichtigt werden können, an Transportmitteln).

Der Morgenzug sollte um halb 7 Uhr abgehen; auf das ordnungsmäßige Vertheilen und Einsteigen der Mannschaften in die Waggons wird eine Stunde gerechnet; fast eben so viel Zeit nahm der Marsch des fast am andern Ende Berlins in Alarmhäusern untergebrachten Bataillons weg. Letzteres mußte daher gegen 5 Uhr aus seinem Quartiere abmarschiren und hatte also kaum 2 Stunden nach Empfang der definitiven Befehle, um alle Vorbereitungen [134] zu dem ganz unerwarteten Abmarsch zu treffen. Wenn die in Berlin während des Belagerungszustandes stehenden Truppentheile auch fortwährend das vollständige feldmäßige Gepäck, die volle Kriegs-Chargirung, und einigen eisernen Bestand an Brot und Reis bei sich hatten, so war die im gewöhnlichen Gebrauche befindliche Bekleidung doch durch den vorjährigen Feldzug in Schleswig so abgenutzt, daß ein Mitnehmen derselben zu einer Abwesenheit, deren Dauer nicht abzusehen war, unzulässig erschien. Es mußten also in diesen wenigen Stunden der Nacht, völlig unvorbereitet, noch die ganze bessere Bekleidung von provisorischen, mangelhaft eingerichteten Montirungskammern aus, an die Mannschaften ausgegeben werden[21].

Von den bei der Fahne befindlichen Mannschaften mußten, außer den Kranken, auch die erst seit kurzem eingestellten, noch nicht ausgebildeten Rekruten, ferner einige Unteroffiziere und ältere Leute zu deren weiterer Ausbildung, so wie zur Beaufsichtigung der zurückbleibenden Vorräthe, endlich auch die Handwerker zurückgelassen werden, welche mit der Vervollständigung der seit dem vorigen Jahre noch nicht für die ganze Kriegsstärke wieder [135] hergestellten Bekleidung und Ausrüstung beschäftigt waren. Bei einem Etat von 800 Köpfen rückte jedes der beiden Bataillone daher nur mit ungefähr 700 Kombattanten nach Dresden ab.

Die Abfahrt des Füsilier-Bataillons unter Führung des Detachements-Führers, Oberstlieutenant Graf Waldersee, und demnächst des Bataillons-Kommandeurs, Major Graf Rödern, erfolgte nach Abgang des gewöhnlichen Morgenzuges gegen 7 Uhr.

Schon auf dem Bahnhofe in Berlin wurden theils durch das Eisenbahn-Personal, theils durch andere Individuen die beunruhigendsten Nachrichten über den Stand der Dinge in Dresden verbreitet. Glaubwürdige Männer theilten, als wohlgemeinte Mahnung zur Vorsicht, befreundeten Offizieren mit, wie sie durch Augenzeugen erfahren hätten, daß am vergangenen Tage 12000 wohl bewaffnete und völlig organisirte Bergleute aus dem Erzgebirge in Dresden eingerückt wären, – anderer völlig fabelhafter Gerüchte nicht zu erwähnen.

Während eines kurzen Halts bei Jüterbogk sprach der Detachementsführer einen aus Dresden zurückkehrenden Königlichen Flügel-Adjutanten, welcher ihm die Nachricht mittheilte, daß die Sächsischen Truppen sich am Abend zuvor noch im Besitz des Schlosses und des Zeughauses behauptet hätten, daß jedoch die höchste Eile nothwendig sei, wenn die herbeigeführte Unterstützung nicht zu spät eintreffen sollte.

Bei der Ankunft auf der, bereits auf Sächsischem Gebiet liegenden, Station Röderau, eine halbe Stunde von Riesa und nahe vor dem Einmündungspunkt der Jüterbogk-Riesaer Verbindungsbahn in die Leipzig-Dresdner Bahn, erklärte der dortige Bahnhofs-Inspector, daß er den Zug nicht weiter befördern könne, theils weil die Bahn an mehreren Stellen zerstört sei, theils weil die auf der neuen Bahn erforderlichen Transportmittel nicht [136] vorhanden wären und deren Gestellung von Seiten des Riesaer Bahnhofes verweigert worden sei.

Was den erstgenannten Umstand betrifft, so erblickte man in der That in der Ferne Leute an der Bahn mit Aufreißen der Schienen beschäftigt. Da von Seiten des Eisenbahn-Personals nicht das mindeste geschah, diesem Frevel Einhalt zu thun, viel weniger die Bahn wieder fahrbar zu machen, so wurde eine Abtheilung Füsiliere und die Pionier-Section des Bataillons vorgeschickt, welche jene Zerstörer vertrieben, die großentheils in einiger Entfernung von der Bahn vergrabenen Schienen aufsuchten und sie, so gut es mit mangelhaften Werkzeugen und unvollkommener Sachkenntniß gehen mochte, wieder einfügten.

Als auf Verlangen des Detachements-Führers noch einmal nach dem Bahnhofe von Riesa das Signal zur Verabfolgung der erforderlichen Transportmittel gegeben wurde, kam auf dem nämlichen Wege die abermalige bestimmte Weigerung zurück, dieser Aufforderung Folge zu leisten.

Dem Verlangen des Detachements-Führers: mit derselben Lokomotive und den Waggons, mit welchen der Zug von Berlin aus bis hierher gelangt war, weiter zu fahren, wurde Seitens der Eisenbahn-Beamten die bestimmte Versicherung entgegengesetzt: dies sei wegen der verschiedenartigen Konstruction der Schienen auf den beiden Bahnen geradezu unmöglich; auch hatten sich der Zugführer und der Lokomotivführer entfernt, so daß auf dem Wege der in gewöhnlichen Zeiten ausreichenden Aufforderungen und Requisitionen nichts mehr auszurichten war, sondern der Detachements-Führer sich genöthigt sah, mit der Erklärung, daß er den Bahnhof als im Belagerungszustand befindlich ansehen müsse, sich des Nachdrucks der militairischen Autorität zu bedienen, um das zum großen Theil offenbar übelgesinnte Eisenbahn-Personal [137] zu der behufs der Weiterbeförderung des Zuges erforderlichen dienstlichen Thätigkeit zu veranlassen.

Während so die, unter immer erneuerten Vorwänden möglichst verzögerten, Vorbereitungen zur Weiterfahrt endlich getroffen wurden, kam die Nachricht, daß ein Extrazug, auf welchem sich Freischaaren von Leipzig befinden sollten, über Riesa ankäme. Eine in der Nähe des Verbindungspunktes der beiden Bahnen mit Wiederherstellung der zerstörten Strecke beschäftigte Abtheilung des Füsilier-Bataillons wollte dieser Fahrt Hindernisse in den Weg legen; der Bahnwärter bat dringend, dies zu unterlassen, damit kein Unglück herbeigeführt würde und versicherte, er werde das Signal zum Anhalten geben. Als ihm hierin willfahrtet wurde, begann der ankommende Zug in der That langsamer zu fahren, als er sich aber dem Punkte, wo die Abtheilung stand, näherte, ging er plötzlich in die äußerste Schnelligkeit über und fuhr so, da leider ein paar auf den Lokomotivführer abgefeuerte Schüsse fehlten, unaufhaltsam weiter.

Mittlerweile war denn endlich der Zug für das Füsilier-Bataillon zur Abfahrt bereit gemacht, fuhr aber, auf der ersten Strecke, trotz dem, daß ein Offizier und einige Unteroffiziere mit geladenen Gewehren zur Beaufsichtigung und Ueberwachung des Lokomotivführers kommandirt wurden, unter der immer wiederholten Versicherung des letzteren: die verschiedene Konstruction der Bahnen erlaube dies nicht anders, auf das langsamste weiter.

Hierdurch hatte denn auch der Zug, auf dem sich die Freischaaren befanden, so viel Vorsprung gewinnen können, daß als der diesseitige Zug vor Pristewitz, der in der Höhe von Großen-Hain gelegenen Station, ankam, auch dort wieder die Bahn zerstört war, und zwar, nach Angabe des Eisenbahn-Personals und der Einwohner, indem die Freischaaren die in der Nähe befindlichen Arbeiter mit vorgehaltenen schußfertigen Gewehren [138] und Pistolen zu dieser Zerstörung gezwungen hätten.

Die Wiederherstellung dieser Strecke erforderte wiederum längere Zeit. Den erhaltenen Nachrichten zufolge sollten die Freischärler hier den vorangegangenen Zug verlassen und sich gegen Meissen gewendet haben. So wurde denn auch die gefährlichste Stelle der ganzen Bahn: der Tunnel in der Höhe von Meißen, in welchem eine Zerstörung der Bahn sehr leicht und doppelt gefährlich gewesen wäre, glücklich passirt, und nun erst ließ der Zugführer sich dahin bringen, in gewöhnlicher Schnelligkeit zu fahren, wobei sich denn herausstellte, daß dies gar keine Schwierigkeit habe und die Angabe: die verschiedene Konstruction der Bahnen mache die Weiterfahrt mit den Transportmitteln der Anhaltischen Bahn unthunlich, ein nur behufs des Aufenthalts der Truppen vorgeschützter Vorwand gewesen war.

Bei der, durch alle die oben geschilderten Hindernisse um fast 5 Stunden verzögerten, Ankunft auf dem Bahnhofe in Dresden wurde das Bataillon durch einen Offizier des Stabes des Generallieutenants v. Schirnding empfangen, in die Neustadt eingeführt (auf welchem Wege ein paar aus der Altstadt herüber schallende Kanonenschüsse den ächt militairischen Gruß abgaben), am Blockhause vom Generallieutenant v. Schirnding empfangen und von den dort auf Stroh gelagerten Sächsischen Truppen mit lautem Lebehoch begrüßt.[22]

Jene Kanonenschüsse hatten jedoch gerade die letzten wirklichen Feindseligkeiten dieses Tages bezeichnet und so [139] wurde denn, nachdem den Mannschaften auf dem Palais-Platz einige Erfrischungen gereicht worden waren, und nachdem schon in diesen ersten Stunden, zu dem nachher Monate lang bestandenen freundlichen Verhältniß zwischen denselben und dem größten Theil der Dresdner Einwohnerschaft der erste Grund gelegt worden war, das Bataillon mit einbrechender Nacht in der Neustadt einquartiert. Der Detachements-Führer fand hierin weniger Bedenken, als in einer zwecklosen Bereithaltung unter freiem Himmel, deren, wenn auch nicht gerade entmuthigender, doch aber die frische Stimmung etwas herabstimmender Einfluß sich bei den Sächsischen Truppen zeigte.

Wenn die Schilderung der ferneren Thätigkeit des hiermit auf dem Kampfplatz eingetroffenen Truppentheils den folgenden Abschnitten vorbehalten bleiben muß, so ist hier erst noch wieder nach Berlin zurückzukehren, um auch das 1ste Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments auf seinem Zuge nach Dresden zu begleiten.

Die Abfahrt dieses Bataillons, dem ein Detachement von 1 Offizier und 20 Pionieren, so wie 4 Artilleristen mit einer Quantität Handgranaten beigegeben waren, war ursprünglich um 2 Uhr Mittags festgesetzt gewesen, sie verzögerte sich aber, durch mancherlei von Seiten der Eisenbahn-Verwaltung erhobene Verzögerungen, bis gegen 4 Uhr Nachmittags. Wie das am Morgen abgegangene Bataillon wurde es von Station zu Station mit immer vergrößerten Gerüchten über den nachtheiligen Stand der Angelegenheiten in Dresden begleitet: das Volk sollte gänzlich gesiegt haben, das Militair entweder vernichtet oder übergetreten, die Königliche Regierung gestürzt sein u. dgl., – der vielen Details und Zahlen-Angaben, welche diese Gerüchte belegen sollten, nicht zu gedenken. Einige höhere Eisenbahn-Beamten, welche: „um das Fortkommen des Militairzuges [140] desto sicherer zu befördern“, mitgefahren waren, versicherten, dergleichen Nachrichten vermittelst ihres Personals aus den sichersten Quellen zu haben. Angeblich um die Truppen keiner Gefahr auszusetzen, wurde der Zug auch nur verhältnißmäßig langsam befördert. An der bei Herzberg gelegenen Station gingen Nachrichten ein, über die Zerstörung der weiter vorwärts gelegenen Eisenbahnstrecken; über die Unmöglichkeit des weiteren Fortkommens, in die das Füsilier-Bataillon sich versetzt gesehen haben sollte; über die gänzliche Insurgirung der Bevölkerung und ähnliche mehr.

Auf der Station von Bergedorf endlich, wo das Bataillon erst gegen Mitternacht eintraf, erklärte der Bahnhofs-Inspector, daß die Weiterbeförderung wegen der stattgefundenen Zerstörungen der Bahn völlig unmöglich sei.

Das Bataillon brachte hierauf einige Stunden in der Nähe des Bahnhofes unter freiem Himmel zu, requirirte Vorspann für die ihm beigegebenen Fahrzeuge beider Bataillone und marschirte am 6ten Mai nach Großen-Hain.

Als das Bataillon bis zum Morgen des 6ten Mai noch nicht in Dresden eingetroffen war, schickte der Oberstlieutenant Graf Waldersee zunächst eine vom Sächsischen Ober-Kommando erbetene starke Kavallerie-Patrouille unter Führung eines Offiziers ab, um dies Bataillon aufzusuchen und ihm Befehle zuzubringen, welche Patrouille jedoch nur bis Pristewitz gelangte. Als hiernächst die Ankunft des Bataillons sich immer länger verzögerte, wurde demselben, ebenfalls auf Veranlassung des Preußischen Detachements-Führers, unter Leitung eines Sächsischen Offiziers ein Extra-Eisenbahn-Zug entgegengeschickt, der bis zur Sächsischen Gränze fuhr, ohne etwas vom Bataillon erfahren zu können. Daß dieser Extrazug aber so weit gelangen konnte, bewies, daß die [141] Nachrichten über die Zerstörung der Eisenbahn, welche das Bataillon bewogen hatten, den Fußmarsch anzutreten, jedenfalls sehr übertrieben gewesen waren.

Gegen Abend des 6ten Mai erhielt durch eine vom Kommandeur des 1sten Bataillons abgefertigte Staffette der Oberstlieutenant Graf Waldersee die erste Nachricht über die Richtung, welche das Bataillon eingeschlagen hatte. Er besorgte nun zum 7ten früh wiederum einen Extrazug, gab diesem der größeren Sicherheit wegen einen Zug Füsiliere zur Bedeckung mit und ließ so das, im Laufe der Nacht hiervon benachrichtigte, Bataillon von Pristewitz nach Dresden heranholen, wo es nun endlich gegen Mittag eintraf. Nachdem es hier wiederum vom Generallieutenant v. Schirnding empfangen worden war und es einige ihm dargereichte Erfrischungen auf dem Platze am Blockhause zu sich genommen hatte, wurde es theilweise gleich mit ins Gefecht gezogen, worüber an der betreffenden Stelle der Gefechts-Beschreibung das Weitere gesagt werden wird.


Wenn gewiß eingeräumt werden muß, daß einerseits von dem rechtzeitigen Eintreffen der ersten Preußischen Hülfstruppen in Dresden sehr viel, wo nicht die glückliche Durchführung des Kampfes überhaupt abhing, daß andererseits aber es den augenscheinlich im Interesse der Empörung gemachten aktiven und passiven Bemühungen eines Theils des Eisenbahn-Personals fast gelungen wäre, dies rechtzeitige Eintreffen zu verhindern, so ist es wohl erlaubt, aus den bei dieser Gelegenheit gemachten Erfahrungen einige Nutz-Anwendungen zu ziehen.

Die allgemeinste und wichtigste dieser Nutz-Anwendungen möchte die sein: daß es, wie gewiß schon in staatswirthschaftlicher, so auch in militairischer und – bei den neuerdings eine so große Rolle in der Geschichte [142] spielenden Bürgerkriegen, – ganz besonders in militairich-politischer Hinsicht, von der höchsten Wichtigkeit wäre, wenn sämmtliche Eisenbahnen: Staats-Eigenthum, und die dabei Angestellten: Staats-Beamte und zwar der strengsten fast militairischen Disciplin unterworfene Staats-Beamte, sein könnten. Es hat sich bei dem Aufstande in Sachsen, durch die geschilderten, so wie noch durch einige andere Umstände[23], und eben so auch fast gleichzeitig bei dem Aufstande in Baden gezeigt, daß das Eisenbahn-Personal zum großen Theil nicht blos theoretisch der demokratischen Richtung huldigte, sondern ihr auch thatsächlich in seinem Berufe Vorschub zu leisten bemüht war. Nun sind aber die Directionen der Privat-Eisenbahnen, besonders da, wo letztere mehrere Staatsgebiete berühren, gewissermaaßen kleine souveräne Mächte, welche das Geld-Interesse eines unabhängigen Aktien-Vereins vertretend und sich auf die Scheu der jetzigen Regierungen vor dem Antasten von Privatrechten und vor Eingriffen in die freie Benutzung des Eigenthums stützend, den Gebrauch oder den Mißbrauch jenes Kommunikations-Mittels ganz in Händen haben, und sich der Verantwortlichkeit in dieser Beziehung hinter der juristischen Aegide der Unantastbarkeit des Privat-Vortheils leicht zu entziehen vermögen. Will also der Staat in Zeiten politischer Aufregung oder gar schon wirklich ausgebrochenen [143] Bürgerkrieges sich nicht der Gefahr aussetzen, die Benutzung der militairisch immer wichtiger werdenden Eisenbahnen sich selbst aus den Händen und dagegen seinem gefährlichsten Gegner in die Hände escamotirt zu sehen, so ist von Seiten der Regierungen kein Opfer zu scheuen, um sich wo möglich in den Besitz der bereits vorhandenen Eisenbahnen zu setzen, auf keinen Fall aber irgend eine neu zu erbauende einer Privat-Gesellschaft zu überlassen.

Ob? – wie? – und: wann? beides möglich sein wird? sind indessen Fragen der Staatswirthschaft, welche über die Gränzen einer rein-militairischen Schrift, besonders einer Monographie, wie der gegenwärtigen, hinaus gehen. Da hinein gehören höchstens einige dem einzelnen Befehlshaber für ähnliche Fälle praktisch nützliche Fingerzeige.

So lange die Eisenbahnen noch Privat-Eigenthum sind und so lange sich noch demokratische Bestrebungen regen, nehme in dieser Beziehung der Befehlshaber einer während bürgerlicher Unruhen auf Eisenbahnen zu befördernden Truppe als leitenden Grundsatz: ein unüberwindliches Mißtrauen gegen alle Eisenbahn-Beamte an.

In diesem Mißtrauen lasse man sich durch jeden auch noch so plausibelen Einwand, durch welchen eine Fahrt verzögert zu werden droht, bestärken und sei überzeugt, daß dies in der Regel eben nur ein Vorwand ist, um der schnellen Beförderung der Truppen etwas in den Weg zu legen. Lasse man sich da nicht erst darauf ein, sich auf die Wichtigkeit des Auftrages, auf das Wohl des Staates zu berufen; man kann darauf rechnen, daß dieser Berufung, vielleicht unter den Versicherungen der äußersten Bereitwilligkeit, die Bestimmungen des Reglements, der nicht zu störende Privat-Verkehr, die möglichen Gefahren und anderes mehr entgegen gestellt werden. Das einzige Mittel, seinen militairischen Zweck zu [144] erreichen, bleibt ganz analog auch ein rein-militairischer: die Anwendung der Gewalt. Es braucht darum keine: „rohe“ Gewalt zu sein; aber die ruhige bestimmte Erklärung: jedem Widerstreben erforderlichenfalls mit den äußersten Mitteln entgegen zu treten, und – im Nothfall – die wirkliche Ergreifung dieser äußersten Mittel werden gewiß zum Ziele führen. Um einen erhaltenen Auftrag auszuführen, scheue man keine Verantwortung! und lasse, wenn sonst nichts übrig bleibt, es nur ja auch nicht etwa bei leeren Drohungen bewenden!

Wenn dies die Grundzüge des Verhaltens im Allgemeinen sind, so mögen hier noch einige aus der Erfahrung abstrahirte specielle Verhaltungsregeln folgen.

Ist mit einer Eisenbahn ein elektrischer Telegraph verbunden, so setze man, insofern derselbe nicht von Staatsbeamten geleitet wird, die Benutzung desselben unter militärische Aufsicht.

Bei der Beförderung eines Truppenzuges von dringlicher Wichtigkeit nach einer insurgirten Gegend lasse man einen zu ungefähr derselben Zeit abgehenden gewöhnlichen Personen-Zug nicht vor, sondern erst nach dem Truppen-Zuge abgehen. Man bestehe darauf, daß eine Quantität Reserve-Schienen und einige mit der Herstellung derselben vertraute Arbeiter mitgenommen werden; auf Zwischenstationen wird das Vorhandensein von Schienen leicht abgeläugnet!

Bei dem Lokomotivführer werde ein entschlossener Offizier mit einigen Unteroffizieren mit geladenen Gewehren postirt und jener auf jeder Station erinnert, daß er für gehörigen Vorrath an Wasser und Heizmaterial zu sorgen, so wie sich von dem brauchbaren Zustande der Maschine zu überzeugen habe, indem er für jeden aus Verabsäumung eines dieser Erfordernisse entstehenden Aufenthalt persönlich verantwortlich gemacht werde.

[145] Während des Aufenthalts auf den Stationen bleibe der Lokomotivführer, so wie der Führer des Zuges, in derselben Weise bewacht.

Kömmt es umgekehrt darauf an, einen zur Beförderung von feindlichen Schaaren dienenden Zug aufzuhalten, so verlasse man sich nicht auf die Versicherung des Bahn-Personals: dies durch Signale veranlassen zu wollen, sondern treffe selbst Veranstaltungen dazu. Will man die Bahn, um sich die eigene Benutzung offen zu erhalten, nicht förmlich zerstören, so ist das Verlegen der Bahn durch einen Balken, Baumstamm u. dergl. das geeignetste Mittel. Ist zu befürchten, daß die in dem aufzuhaltenden Zuge sich etwa befindlichen Bewaffneten es versuchen möchten, ein solches Hinderniß aus dem Wege zu schaffen, so bringe man dies Hinderniß an einer Stelle an, welche sich taktisch gut beherrschen läßt, z. B. in einem Bahnhof selbst, während man die Gebäude militairisch besetzt; oder in einem Einschnitte, während man auf den Rändern und hinter den Aufwürfen und neben denselben Schützen postirt u. dergl.

Endlich glaube man in Zeiten innerer Zwietracht von den durch die Eisenbahn-Beamten, selbst unter der Maske wohlmeinender Warnung, mitgetheilten ungünstigen Nachrichten immer nur den geringsten Theil. Man spreche dies auch, die Lächerlichkeit solcher Gerüchte heraushebend, offen vor den Mannschaften aus. Sind auch dergleichen auf Einschüchterung berechnete Uebertreibungen ohne Einfluß auf den Geist solcher Truppen, wie sie der Verfasser nach Dresden zu führen die Ehre hatte, so könnten bedenkliche Physiognomien der Vorgesetzten und heimliches Zuflüstern derselben zu einander, doch einmal mit solchen Nachrichten verbunden, Eindruck auf eine minder taktfeste Abtheilung machen!


[146] Sollten von den vielen ehrenwerthen Männern, welche sich zweifelsohne in den verschiedenen Eisenbahn-Verwaltungen befinden, sich einzelne durch die den Truppen-Befehlshabern vorstehend angerathenen Vorsichtsmaßregeln verletzt fühlen, so möge darauf hingewiesen werden, daß sie dies allein denjenigen ihrer Kollegen verdanken, welche dringende Veranlassung zu diesen Rathschlägen gegeben haben.

§. 11. Der zweite Gefechtstag, Sonntag den 6. Mai.

Nicht allein dadurch, daß auf die den Aufrührern Tags zuvor von Seiten des Ministeriums gestellten Bedingungen (s. §. 9) gar keine Antwort erfolgte, sondern auch durch das mit Tagesanbruch von neuem beginnende Sturmläuten und durch die ganze feindselige Haltung der Barrikaden-Besatzungen, ergab sich, daß es den eigentlichen Führern der Empörung mit den am vergangenen Tage angeknüpften Unterhandlungen kein wahrer Ernst gewesen war. Der Kampf wurde daher von den Truppen auf allen Punkten der Gefechtslinie aufgenommen und auf beiden Flügeln, nach dem im §. 8 dargelegten Plan in die kräftigste Offensive übergegangen, zu der die Ankunft der ersten Preußischen Hilfstruppen nicht allein vermehrte numerische Kräfte, sondern auch mehr noch erhöhten moralischen Impuls hinzubrachte.

Aus der Beschreibung des Kampfschauplatzes und der Darlegung des Gefechtsplans ergiebt sich die Eintheilung der Gefechtsbeschreibung nach drei Hauptabschnitten: dem rechten Flügel, dem Centrum und dem linken Flügel, dem zuletzt das aus der Neustadt und aus den Umgebungen der Stadt militairisch Bemerkenswerthe hinzuzufügen ist.

Auf dem rechten Flügel setzte sich mit Tagesanbruch das am Abend vorher abgebrochene Feuergefecht an [147] und um den Zwinger fort. Wie bereits beschrieben, ward die Besatzung des Zwingerwalls ferner von den überhöhenden Gebäuden aus beschossen, namentlich aus dem Thurmhause, in welchem sich die sehr geübten Chemnitzer Schützen postirt hatten. Schon um 6½ Uhr Morgens hatte sich eine der hier stehenden Sächsischen Kompagnien verschossen und mußte durch eine Kompagnie des Leib-Infanterie-Regiments abgelöst und durch Schützen der leichten Infanterie verstärkt werden, doch ohne daß letztere des Feuers aus dem Thurmhause Herr zu werden vermocht hätten.

Bald darauf steckten auf Bakunins Anordnung die Insurgenten das alte Opernhaus in Brand.[24] Die vielen feuerfangenden Gegenstände in demselben, nahmentlich auch die Dekoration und die Garderobe, verbreiteten das Feuer so schnell, daß nicht allein an keine Rettung des Gebäudes zu denken war, sondern auch der daran anstoßende Theil des Zwingers in Flammen gerieth und mit dem darin befindlichen Naturalien-Kabinet niederbrannte. Offenbar sollte durch diese Brandstiftung nicht allein das Vorrücken der Truppen aufgehalten und überhaupt Verwirrung verbreitet, sondern auch wo möglich das nahe gelegene Schloß (mit den Schätzen des Grünen Gewölbes) dem Verderben geopfert werden, was, wenn der Wind ungünstig gestanden hätte, auch kaum zu verhindern gewesen wäre.

Von 8 Uhr an eröffneten zwei, auf dem Zwingerwall aufgestellte, Geschütze ihr Feuer gegen das Thurmhaus, [148] ohne jedoch fürs erste weder das von dort aus unterhaltene Büchsenfeuer zum Schweigen, noch eine nahmhafte Beschädigung des Gebäudes zu Wege bringen zu können.

Gegen 9 Uhr wurde hierauf von dem schon früher aus seinen Quartieren auf dem Platz am Blockhause zusammengezogenen Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments eine Kompagnie, die 9te, unter dem Hauptmann von Bentheim, in den Kampf gezogen. Von Seiten des Sächsischen Kommandos wurde von dem wirklichen Erscheinen der Preußischen Uniformen in der Gefechtslinie eben so ein bedeutender moralischer Eindruck auf die Gegner, wie von den sicher und weithin treffenden Zündnadelgewehren erhebliche Wirkung erwartet. Da die Kompagnie sich schon im vorjährigen Feldzuge in Schleswig rühmlich bewährt hatte, so sprach bei ihrem Abmarsche in das Gefecht der Regiments-Kommandeur neben der festen Zuversicht, daß sie diesem alten Rufe im gemeinschaftlichen Kampfe mit verbündeten Truppen von neuem vollkommen entsprechen werde, nur noch die Ermahnung aus, ja sparsam mit der Munition umzugehen und wo möglich keinen Schuß abzugeben, ohne der Wirkung desselben gewiß zu sein.

Während auf höhere Anordnung ein Zug[25] der Kompagnie unter dem Lieutenant von Liebeherr II. nach der Brühlschen Terrasse detachirt wurde, von dessen Thätigkeit an seinem Orte die Rede sein soll, wurden die beiden andern Züge unter Führung des Kompagnie-Chefs nach dem Zwingerwall dirigirt. Rechts wurde anfangs eine, später noch eine zweite, Section zur Besetzung des [149] wichtigen Eckhauses an der Stallstraße und der Ostra-Allee detachirt, welche von dort die gegenüberliegende Häuserreihe der Allee[26] und letztere entlang die Barrikade am Thurmhause beschoß. Auf dem Zwingerwall selbst wurde der Lieutenant von Reibnitz mit zwei andern Sectionen postirt, dem umfassenden Feuer von den bereits im §. 9 genannten Punkten ausgesetzt und dasselbe kräftig und wirksam erwiedernd, wobei dieser Offizier als ein vorzüglicher Schütze an den gefährlichsten Punkten oft selbst ein Gewehr ergriff, um durch einen sicher treffenden Schuß die Zuversicht seiner Untergebenen zu erhöhen. Mehrere Schützen wurden im Innern des Zwingers angestellt, welche von dort aus die Barrikaden zu beiden Seiten des Thurmhauses beschossen. Indem der Hauptmann von Bentheim hier ebenfalls selbst einige Kugeln abfeuerte, um die Wirkung eines gut gezielten Schusses zu zeigen, fiel der eigentliche Inhaber des ergriffenen Gewehrs an seiner Seite.

Als gegen Mittag die Feuersbrunst im Zwinger immer mehr überhand nahm, und auch denjenigen Theil, worin sich die kostbare Kupferstich-Sammlung befindet, zu ergreifen drohte, wurden mehrere der besten Schützen der 9ten Kompagnie zum Schutz der Lösch-Mannschaften, welche von den Insurgenten beschossen wurden, aufgestellt. Ihr gut gezieltes Feuer, zum Theil durch den Rauch und die Flammen hindurch, brachte das feindliche Feuer großentheils zum Schweigen, wodurch es möglich wurde, mit Löschen fortzufahren und diesen Theil des Zwingers zu retten.[27]

[150] Etwas später als die 9te Kompagnie war mittlerweile die 11te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments aus der Neustadt vorgezogen und von dieser ein halber Zug unter dem Lieutenant von Eberstein nach dem rechten Flügel der Gefechtslinie, jedoch etwas links von dem Zwinger in der Richtung gegen die Sophien-Kirche, dirigirt worden. Diese Abtheilung setzte sich in dem Hause des Hofrath Reichenbach fest und beschoß von dort die vom Feinde stark besetzte Sophien-Kirche und die Spiegelfabrik, so wie eine zwischen letzterer und dem Engelschen Hause errichtete Barrikade. Von der Hauptwache und dem Schulhause aus wurde dieses Feuer durch das einer, unter dem Unteroffizier Otto derselben Kompagnie, dahin detachirten Section unterstützt.

Auf diese Weise währte das Schützenfeuer, nach einer am Nachmittage erfolgten theilweisen Ablösung der Feuerlinie fort, bis die Dunkelheit ihm (bis auf einzelne von Zeit zu Zeit fallende Schüsse) Einhalt that und der 9ten Kompagnie in einer, durch einige vorgeschobene Posten gesicherten, Stellung am Zwinger-Teiche einige Stunden Ruhe gegönnt werden konnte.

Im Centrum, von wo aus bekanntlich von Seiten der Sächsischen Truppen kein Vorgehen beabsichtigt wurde, versuchten umgekehrt die Insurgenten, außer durch Ansteckung des Opernhauses, dem Schlosse auch noch aus einer andern Richtung her durch Brandstiftung beizukommen. Es gelang ihnen schon am Morgen, wozu sie am vorigen Tage bereits die Anstalten getroffen, in drei Häuser der Kleinen Brüder-Gasse, die unmittelbar an [151] das Prinzen-Palais anstoßen, Feuer anzulegen. Der weiteren Verbreitung dieses Feuers konnte in diesem verbauten Winkel nur mit vieler Anstrengung vorgebeugt werden, da die Insurgenten auch hier das Löschen durch Beschießung der Arbeiter zu hindern suchten. Außerdem dauerte das gegenseitige Feuer aus dem von Sächsischen Truppen besetzten Schlosse einerseits und aus allen demselben zugekehrten Fenstern andererseits fast unausgesetzt fort. Unter dem Georgenthore war ein Theil des oben erwähnten Zuges des Lieutenants von Liebeherr II. postirt, dessen Feuer aber freilich in ungünstigem Verhältnisse zu dem aus den Erkern der Schloßstraße ihm entgegengestellten stand. Auch wurde heute noch einmal versucht, aus dieser ungünstigen Stellung mit Geschütz gegen die Barrikaden zu wirken. Allein schon ehe von demselben der erste Schuß fallen konnte, waren schon zwei Artilleristen verwundet, so daß ein Offizier das Geschütz abfeuerte und letzteres überhaupt nur wenige Schuß that.

Umgekehrt feuerten die Insurgenten die Schloßgasse entlang nicht allein mit gewöhnlichen Geschossen, sondern auch mit den im §. 2 beschriebenen, aus Böllern geschossenen, eisernen Cylindern. Da das Georgenthor einen stumpfen Winkel mit der Schloßgasse bildet, so schlugen sehr viele dieser von den Seitenwänden jenes Durchgangs abprallenden Geschosse durch das Thor hindurch auf den Schloßplatz und selbst bis auf die Elbbrücke, und so wollte es Nachmittags ein unglücklicher Zufall, daß ein solches Geschoß den dort im Gespräch mit dem General-Lieutenant Schirnding begriffenen General-Major Homilius, Kommandant des Artillerie-Korps, den Oberschenkel dermaßen zerschmetterte, daß er nach wenigen Stunden verschied. Dasselbe Geschoß hatte den Oberbefehlshaber, ohne ihn jedoch zu beschädigen, zur Erde geworfen und einen Stabsoffizier der Artillerie leicht verwundet. – Auf den Vorschlag des Befehlshabers der Preußischen Truppen [152] wurde hierauf dieser zum Standpunkt der Gefechts-Reserven und zur Verbindung mit der Neustadt dienende Platz, durch einige am Georgenthore angebrachte Blendungen gegen ein ähnliches Durchschlagen feindlicher Kugeln gesichert; auch die dort postirte Schützen-Abtheilung durch ähnliche Blendungen am jenseitigen Ausgange des Portals gedeckt.

Auf dem linken Flügel der Gefechtslinie sind für den heutigen Tag zwei Unter-Abschnitte zu bemerken: der Bereich des Neumarkts, und die links von demselben auf dem äußersten Flügel vorgehenden Ereignisse.

Am Neumarkt hatten die Truppen am Abend zuvor erst zwei Punkte: die Bildergallerie und das Coselsche Palais in Besitz gehabt. Durch die am Vormittage erfolgende Besetzung der Frauen-Kirche und des zwischen dieser und der Augustusstraße gelegenen Häuser-Quarrees, in welchem der Gasthof zur Stadt Berlin die vordere Ecke bildet, kam die diesseitige (nördliche) Seite des Platzes vollständig in die Gewalt der Truppen. Hierdurch war die Möglichkeit erlangt, die gegenüberliegenden hohen und stark besetzten Gebäude, und zwar insbesondere die Gasthöfe Hotel de Saxe und Stadt Rom, außer mit dem Schützenfeuer aus der Bildergallerie (in welcher jetzt auch einige Sectionen des unter den Lieutenant von Liebeherr detachirten Zuges der 9ten Kompagnie des Regiments Alexander postirt waren), auch mit Geschütz zu beschießen. Zu diesem Behufe wurden 2 Geschütze aus dem Zeughause nach der Frauenkirche, 1 Geschütz von der Reserve auf dem Schloßplatze nach der vordern Ecke der Augustusstraße und ein viertes von eben daher, unter lautem Jubel der gegenwärtigen Truppen, durch Menschenhände auf die Brühlsche Terrasse nach dem Punkte in der Verlängerung der zwar engen, aber doch einen Durchblick, folglich das Schießen, nach dem Neumarkt gewährenden Großen Fischerstraße gebracht. Aus [153] allen vier Geschützen wurde nun auf die genannten Gasthöfe ein dermaßen wirksames Feuer eröffnet,[28] daß besonders die an der vorspringenden Ecke der Stadt Rom in allen Stockwerken angebrachten steinernen Erker vollständig in Trümmer geschossen wurden.

Auf Anordnung des Sächsischen Oberst von Sichart, Kommandanten des Leib-Infanterie-Regiments, wurden nun gegen 2 Uhr Mittags zwei Sturm-Kolonnen zur Wegnahme der beiden genannten, den Neumarkt beherrschenden, Gasthöfe gebildet.

Die erste gegen die Stadt Rom gerichtete Sturm-Kolonne wurde von dem Hauptmann von Budritzky des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments geführt, bestand außer einem Halbzuge seiner eigenen (der 11ten) Kompagnie, aus der 3ten und 4ten Kompagnie des Sächsischen Leib-Infanterie-Regiments. Die Kolonne wurde folgendermaßen formirt: voran die Pioniere der 11ten Kompagnie (siehe Anmerkung zu § 4), und die Sächsischen Zimmerleute, zur Seite durch einige Füsiliere als Tirailleurs gedeckt, hinter den Zimmerleuten ein halber Zug der 3ten Kompagnie, dann auf 30 Schritt Abstand das Gros der Kolonne. Sie brach, unmittelbar nach einem abgefeuerten Kartätschschusse, aus der Augustusstraße vor, und überschritt den Platz unter einem lebhaften feindlichen Feuer, das sowohl von vorn: aus der Stadt Rom selbst und der Moritzgasse, als besonders auch von der rechten Seite her: anfangs aus der Sporer-Gasse, aus dem Jüdenhof und aus dem die rechts gelegene Seite [154] des Neumarkts fast ganz einnehmenden langen (Tornimanntischen) Hause, weiterhin von den Barrikaden und aus den Häusern der Mittleren Frauen- und der Schustergasse, gegen die Angreifer gerichtet wurde. Die Kolonne erreichte jedoch mit Hinterlassung nur eines Todten und sechs Verwundeter die Stadt Rom. Obgleich mehrere Kanonenkugeln durch die Flügel des Thorwegs durchgeschlagen waren, so konnte dieses doch nicht sofort geöffnet werden, sondern gelang es den Zimmerleuten noch früher die Laden der anstoßenden Fenster einzuschlagen. Der Hauptmann von Budritzky war der erste, welcher in ein solches hineinsprang, worauf das ganze Gebäude von den großentheils nach der Schustergasse flüchtenden Vertheidigern gereinigt wurde. Die Preußischen Füsiliere wurden an den Fenstern zur Erwiederung des aus den umstehenden Häusern auf den Gasthof gerichteten Feuers der Insurgenten angestellt, während die Sächsischen Kompagnien sich in Besitz des Innern des Gasthofs setzten.

Bei dieser Gelegenheit ereignete sich folgender bedauerlicher Vorfall. Ein Prinz von Schwarzburg-Rudolstadt, Oberst in Oesterreichischen Diensten, hatte sich in Dresden behufs einer Augenoperation aufgehalten und in diesem Gasthofe gewohnt. Als der Kampf in den Straßen sich immer mehr dem Neumarkt näherte, hatte ihn der Gastwirth dringend aufgefordert, entweder den bedrohten Gasthof zu verlassen, oder, wie andere Bewohner desselben, Sicherheit im Keller zu suchen. Der Prinz hatte dies für unwürdig seines Ranges, wie seines Standes, als Soldat, erklärt und sich mit seinem, gleich ihm bewaffneten, Kammerdiener in sein Zimmer eingeschlossen. Als nun die Sächsischen Mannschaften sich in vollständigem Besitz des hartnäckig vertheidigten Gebäudes setzten, schlugen sie selbstredend auch diese Thüre ein und mußten, als ihnen hier zwei bewaffnete Männer, von denen der eine eine Binde über das Gesicht trug, entgegentraten, [155] in diesen ein paar zum äußersten Widerstande entschlossene Insurgenten zu erkennen glauben. In dieser Ueberzeugung wurden denn beide, ehe es noch zu einer Aufklärung hatte kommen können, von den eindringenden Sachsen niedergeschossen.[29]

Gleichzeitig mit der Einnahme der Stadt Rom hatte auch die links von der ersten Kolonne über den Neumarkt vorgehende zweite Sturmkolonne, unter dem Sächsischen Major von Hausen vom Regiment Prinz Albert, zum größten Theil aus Sächsischen Abtheilungen, demnächst aber auch aus einem Halbzuge der 11ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments unter dem Premier-Lieutenant von Keyserling bestehend, das gleichfalls stark besetzte und hartnäckig vertheidigte Hotel de Saxe in kühnem Anlaufe genommen.

Nachdem man sich im vollständigen Besitz beider Gasthöfe gesetzt hatte, wurde auch allmählig weiter aus denselben vorgedrungen. Indem die Fenster der gewonnenen Gebäude vorzugsweise mit Zündnadel-Schützen besetzt wurden, und dadurch das Feuer der Insurgenten aus [156] den umliegenden Häusern und von den Barrikaden gedämpft oder zum Schweigen gebracht wurde, brach man aus den Gasthöfen in die anstoßenden Gebäude durch, überschritt hier und da auch die nächsten schmalen Gassen unter dem Schutze jenes Feuers und öffnete sich mit Gewalt den Eingang in die Häuser.

Auf diese Weise gelangte man bis zum Einbruch der Nacht in den Besitz der an der rechten (westlichen) Seite des Neumarkts gelegenen Häuserreihe, (wodurch zugleich die Insurgenten[30] zur Räumung der Barrikaden an den hier auf den Neumarkt ausmündenden Straßen, der Sporergasse, der Großen und Mittlern Frauengasse gezwungen wurden), so wie ferner in den Besitz der nächsten Häuser in der Schustergasse, der Moritzstraße und der Innern Pirnaischen Gasse. In der Moritzstraße wurde das Vordringen besonders durch das wirksame Feuer der durch den Premier-Lieutenant von Keyserling auf einem Balkon postirten Füsiliere unterstützt. Auch die an dem Ausgange der zuletzt genannten Straße gelegenen starken Barrikaden wurden hierdurch den Insurgenten entrissen, wobei der Füsilier Raabe von der 11ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem feindlichen Feuer eine rothe Fahne von den Barrikaden der Moritzstraße, und später eine andere von der in der Frauengasse gelegenen Barrikade herunter holte.

Durch die Gewinnung der Einmündung der Innern Pirnaischen Gasse und der Moritzstraße auf den Neumarkt, reichten nun auch die Truppen, welche sich in den Besitz dieses Platzes gesetzt hatten, dem äußersten linken Flügel die Hand.

[157] Dieser wurde aus der leichten Infanterie gebildet, welche während der Nacht das Zeughaus besetzt gehalten hatte und nun im Laufe des Tages über die Innere Rampische Gasse hinweg, in der Kleinen und Großen Schießgasse, und zuletzt bis zur Moritzstraße vordrangen, wo sie sich erst in den Besitz der beiden Amthäuser und gegen 9 Uhr Abends in den Besitz des Landhauses setzten.

Als Sicherung für den linken Flügel war schon gegen Mittag ein Zug der 10ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments in das Kaffeehaus zum Belvedere, auf der äußersten links (östlich) gelegenen Spitze der Brühlschen Terrasse, postirt worden.

Der Rest der genannten Kompagnie wurde anfangs zur Besetzung eines Dampfschiffes, auf dem man Munitions-Vorräthe für die Insurgenten vermuthet hatte, später zur Besetzung der Bahnhöfe gegen angekündigte Zuzüge von Freischaaren verwandt. Letztere kamen indessen eben so wenig an, als die dem Gerüchte nach durch die Dresdner Haide im Anzuge begriffenen Lausitzer Freischaaren, von denen die Vorläufer sich schon am Rande des Waldes der Antonstadt gegenüber gezeigt haben sollten.

In den Mittagsstunden wurde vermittelst eines mit zwei Sächsischen Kompagnien besetzten Dampfschiffes eine Quantität von 200 Centnern fertiger Munition aus den Pulver-Magazinen nach der Neustadt herübergeschafft.

Die ersten Schwadronen des 2ten leichten Reiter-Regiments trafen im Laufe des Tages in der Gegend von Corbitz ein und schickten einzelne Patrouillen bis zu dem Löbdauer, Freiberger und Falken-Schlage vor.

Von Seiten des Sächsischen Kriegs-Ministeriums wurde nach Beendigung des Kampfes folgende Ansprache an die Königlich Preußischen Truppen in Dresden erlassen:

[158]
„Soldaten!“
„Während der größere Theil der Königlich Sächsischen Truppen in Schleswig vor dem Feinde steht, hat hier die Anarchie ihr Haupt erhoben und bringt den Staat an den Rand des Verderbens!
Schnell seid Ihr gekommen zu unserem Beistande und habt gekämpft, würdig des Ruhmes, der die Preußische Armee in den ernstesten Tagen geziert.
Waffenbrüder! Kämpfen wir jetzt vereint! Es gilt nicht Sachsen allein, es gilt Deutschland!
Dresden, den 6. Mai 1849.
Königlich Sächsisches Kriegsministerium.
Rabenhorst.“

Von Seiten des kommandirenden Generals der vereinigten Truppen erging folgender Tagesbefehl:

„Die vereinigten Truppen, welche gegenwärtig die Besatzung Dresdens ausmachen, haben bei den heute stattgefundenen Kämpfen sich durch ihre Tapferkeit, ihre Hingebung und Ausdauer die rühmlichste Anerkennung erworben; um Diejenigen aber zu kennen, welche sich vorzüglich ausgezeichnet, haben die Kommmandanten der Königlich Preußischen wie Sächsischen Truppen namentliche Verzeichnisse von Denjenigen einzureichen, welche durch Muth, Tapferkeit und Entschlossenheit eine besondere Anerkennung verdienen.
Der Kommandant der vereinigten Truppen in der Residenz Dresden.
von Schirnding.“

Im Laufe des Tages war auch nachstehende Bekanntmachung von Seiten des Ministeriums erschienen, welche jedoch nach dem einmal begonnenen Kampfe eben so wenig, wie alle ähnliche frühere, fruchtete: [159]

„Die Regierung des Königs besteht. Lasset Euch Sachsen! nicht irre leiten durch die, welche nach Art. 81 u. folg. des Criminalgesetzbuches sich eines Hochverrathes schuldig machten.
Nochmals ermahnt Euch die Regierung Seiner Majestät des Königs. Lasset ab von Euerem ungesetzlichen Beginnen! Kehret zurück zu Euerer Pflicht. Es handelt sich jetzt um Abwendung des fürchterlichsten Unglückes. Bedenkt Euer und Euerer Kinder Wohl! Bedenkt die Ehre des Vaterlandes.
Fest entschlossen ist des Königs Regierung, sich gegen das Beginnen der ihm feindlichen Kräfte zu behaupten, und alle Mittel anzuwenden, die Gesetz und Umstände erheischen zur Sicherung des Thrones, der Personen und des Eigenthums.
Dresden, den 6. Mai 1849.
Gesammt-Ministerium.
v. Beust.       Rabenhorst.

Das Gouvernement erließ noch folgende Aufforderung:

„An den Stadtrath zu Dresden.“
„Unter den jetzigen Verhältnissen, wo fremde Truppen in die Stadt eingerückt sind, welche den Befehl haben, Jeden, der mit Waffen betroffen wird, niederzuschießen, wird es nothwendig, daß sich Niemand bewaffnet sehen lasse. Es sind zugleich Fenster und Thüren zu verschließen.
Dresden, den 6. Mai 1849.
Königliches Militair-Gouvernement der Residenz.
von Schulz, General-Major.“

Diese Bekanntmachung, welche einerseits der Deutung unterliegen konnte, als solle das Gehässige des rücksichtslosen Einschreitens den Preußischen Hilfstruppen zugeschoben werden, andererseits aber zu der Meinung hätte [160] verleiten können, als wären die Sächsischen Truppen angewiesen, milder zu verfahren, wurde jedoch am folgenden Tage durch eine Erklärung von Seiten des Ober-Kommandos erläutert, daß die Sächsischen Truppen gegen bewaffneten Widerstand eben so kräftig, wie die fremden Truppen, einzuschreiten angewiesen wären.

Endlich wurde auch nichts versäumt, um auf die Ruhe des übrigen Landes einzuwirken, und nahmentlich neue Zuzüge für die Insurgenten zu verhindern. Von Seiten des General-Kommandos der Bürgerwehr erging ein Befehl an die sämmtlichen Kommunalgarden des Königreichs, daß keine Abtheilung derselben, ohne ungesetzlich zu handeln, bewaffnet das Gebiet ihres Wohnorts überschreiten dürfe.

§. 12. Der dritte Gefechts-Tag, Montag den 7. Mai.

Das am vorigen Tage thatsächlich und kräftig erfolgte Eingreifen der Preußischen Hülfstruppen in das Gefecht, das von da ab eingetretene, wenn auch langsame und allmählige, aber doch unaufgehaltene Vordringen der vereinigten Truppen und das ohngefähr gleichzeitig beginnende Versiegen neuer Zuzüge für die Insurgenten, hatte den letzteren wohl gezeigt, daß sie den Kulminationspunkt ihrer Stärke jedenfalls schon hinter sich hatten. Einem an der Spitze stehenden, wahrhaft kriegerischen und sich seiner Aufgabe bewußten Führer würde dies gerade zum Ansporn verdoppelter Thätigkeit und Energie gedient haben, und es ihm bei dieser Ueberzeugung auch leicht geworden sein, den untergebenen Massen einen gleichen Impuls mitzutheilen. Dies war jedoch hier nicht der Fall, sondern gaben die Insurgenten von jetzt an, bis auf einige vereinzelte und wenig kräftig durchgeführte Ausnahmen, jeden Versuch zur Offensive auf, und beschränkten sich lediglich auf die Vertheidigung, diese jedoch, durch die [161] günstige Lokalität unterstützt, im Laufe des ganzen Tages noch auf allen Punkten hartnäckig durchführend.

Das eigentliche Gefecht zerfiel wiederum in die bekannten drei Haupt-Abschnitte.

Auf dem rechten Flügel der Stellung kommandirte der bereits früher erwähnte Sächsische Oberst von Friderici, Kommandant des 1sten Infanterie-Regiments, Prinz Albert, ein Befehlshaber, vermöge seiner ächt-kriegerischen Haltung, vermöge seiner kaltblütigen Ruhe im stärksten Feuer, vermöge seiner bestimmten Kürze und seines gleichzeitig populären und imponirenden Wesens, an einen Obersten der Napoleonschen Kaisergarde erinnernd. Preußischerseits war ihm seit dem gestrigen Tage der Hauptmann v. Bentheim untergeben, dessen rastloser Unternehmungsgeist die Nacht nicht ungenutzt verstreichen ließ. Mit Genehmigung des Obersten v. Friderici wurde bereits um Mitternacht ein dem Zwinger gegenüber liegendes Haus in der Ostra-Allee durch eine Abtheilung der 9ten Kompagnie, unter dem Lieutenant v. Reibnitz besetzt. Von hier aus machte der Hauptmann selbst und der zuletzt genannte Offizier mit wenigen Leuten, noch in der Nacht eine Patrouille bis zu den von den Insurgenten ziemlich gut bewachten Barrikaden rechts und links des Thurmhauses. Dann wurde das (ebenfalls an der Ostra-Allee gelegene) Königliche Waschhaus durch die Pioniere der 9ten Kompagnie erbrochen, durch den Lieutenant v. Reibnitz besetzt, und zuletzt aus dem Giebel dieses Hauses nach der Königl. Münze (dem sogenannten Silberhammer) durchgebrochen. Um 3 Uhr Morgens war dies geschehen und da hierdurch und durch den Besitz des Zwingers jetzt die Ostra-Allee eine gesicherte Aufstellung für Geschütz darbot, so wurden mit der gegen 4 Uhr eintretenden Morgen-Dämmerung daselbst unter dem Schutze einiger Sächsischen [162] Kompagnien 2 Zwölfpfünder aufgestellt und gleichzeitig mit den auf dem Zwinger-Walle postirten 2 Sechspfündern die Barrikade in der Ostra-Allee am Thurmhause und letzteres selbst lebhaft beschossen. Obgleich dasselbe trotz einer klaffenden Oeffnung in einem der oberen, der Höhe des Zwinger-Walles entsprechenden, Stockwerke nicht zum Einstürzen zu bringen war, so wurde durch das Geschützfeuer, so wie durch das Feuer der Zündnadelgewehre vom Zwinger-Walle und aus der Münze her, doch das Feuer der Insurgenten aus dem Thurmhause und von der Barrikade sehr gedämpft, während es freilich aus den weiter rückwärts nach dem Wilsdruffer Platze zu liegenden Gebäuden noch sehr lebhaft blieb.

Eine Kompagnie des Regiments Prinz Albert nahm die Barrikade mit großer Entschlossenheit und nicht ohne Verlust; die Pioniere der 9ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments erbrachen das Thurmhaus, eine Abtheilung Preußischer Füsiliere und Sächsischer Infanterie drang in dasselbe ein und setzte sich in Besitz desselben. Von hier aus wurde dann das lebhafte feindliche Feuer aus der Post, der Spiegelfabrik und aus dem Engel’schen Hause erwidert.

Zur Sicherung der rechten Flanke und des Rückens während dieses weiteren Vordringens, hatte sich mittlerweile eine Abtheilung der 9ten Kompagnie unter dem Sergeanten Braun in den Besitz des Orangerie-Gebäudes, so wie einzelner Häuser in der Feigen- und Gerber-Gasse gesetzt.

In dieser Stellung wurden ungefähr um 9 Uhr Morgens die beiden auf diesem Flügel beschäftigten Züge der 9ten Kompagnie (der 2te und 3te Zug, während der 1ste Zug, unter Lieut. v. Liebeherr II., auf dem linken Flügel der Gefechtslinie stand), durch die 12te Kompagnie[31] [163] des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem Hauptmann v. Alvensleben, abgelöst.

Die Insurgenten hatten um diese Zeit noch eine Barrikade in der Kleinen Packhofs-Straße zunächst der Ostra-Allee und dem Garten des Prinz Max Palais besetzt und bestrichen von dort durch ihr Feuer noch die, über die Ostra-Allee hinüber führende, Verbindung der jenseits derselben stehenden Truppen mit den Reserven. Der Lieutenant v. Brandenstein bemächtigte sich mit einer Abtheilung der 12ten Kompagnie dieser Barrikade durch eine Umgehung, worauf die Insurgenten sich über die Weisseritz nach der Friedrichstadt zurückzogen. Während dieselben ein großes Haus zunächst jenseits der Brücke und eine Barrikade auf letzterer selbst besetzt behielten, setzten sich Füsiliere und Sächsische Infanteristen in dem Palais des Prinzen Max und in den zunächst diesseit der Weisseritz gelegenen Häusern fest. Ferner ward von der Orangerie aus, das Schießhaus durch Füsiliere besetzt und von hier aus die Schützengasse bestrichen.

Während auf diese Weise der Rücken der im Thurmhause und auf dem Zwingerwalle postirten diesseitigen [164] Abtheilungen bis zur Weisseritz hin gesichert wurde, drang auch der Lieutenant v. Eberstein, welcher mit einem halben Zuge der 11ten Kompagnie seit dem vorigen Tage der Sophienkirche und deren Umgebungen gegenüber stand (s. §. 11.), auf diesem Theil des Gefechts-Schauplatzes weiter vor. Gegen Morgen durch den 2ten Zug der 11ten Kompagnie unter dem Lieutenant v. Stwolinski verstärkt (welcher bis dahin zu der unter dem Befehle des Sächsischen Obersten v. Sichart stehenden Reserve hinter der Katholischen Kirche gehört hatte), gewann der Lieut. v. Eberstein aus dem Thorwege des Reichenbach’schen Hauses das Prinzen-Palais, ließ von hier durch drei Sectionen ein lebhaftes Feuer gegen die Barrikade an der Sophienkirche und gegen die umliegenden Häuser eröffnen und dann, um 10½ Uhr Vormittags, unter einem kreuzenden Feuer aus wirksamster Nähe die Kirchenthüren erbrechen. Sobald die Kirche geöffnet war, folgte die ganze Abtheilung und eröffnete aus der Kirche ein lebhaftes Feuer gegen die Spiegelfabrik, das Engel’sche Haus und die dazwischen liegende Barrikade.

Um Mittag wurde diese Abtheilung durch einen Zug der 10ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem Lieutenant v. Bork, abgelöst, der am Morgen zur Bedeckung des Eisenbahnzuges benutzt worden war, durch welchen das 1ste Bataillon des gedachten Regiments von Pristewitz herangeholt wurde (s. §. 10.). Die Stellung in der von drei Seiten her dem nächsten Feuer dermaßen ausgesetzten Sophienkirche, daß fast nirgends in derselben ein vollkommen gesicherter Standpunkt zu finden war, blieb eine sehr gefährdete, die mehrfachen Verlust herbeiführte.

Die Spiegelfabrik, deren isolirte Lage in der Sophien-Straße bereits weiter oben (§. 9.) beschrieben worden ist, war ein Punkt, welcher nicht allein die Verbindung zwischen den beiden, von Seiten der Truppen [165] am Vormittage eingenommenen Punkten: dem Thurmhause und der Sophienkirche, unterbrach, sondern aus dem auch gegen diese beiden Punkte, wie gegen die Ostra-Allee, gegen den Zwinger, ja selbst gegen die Umgegend der Hauptwache und der Katholischen Kirche ein lebhaftes Feuer von Seiten der Insurgenten unterhalten wurde. Ungefähr um 4½ Uhr Nachmittags wurde dieses wichtige Gebäude, nachdem es durch Geschütz- und Gewehr-Feuer längere Zeit beschossen worden war, durch eine Abtheilung der 12ten Kompagnie unter dem bereits genannten Lieutenant v. Brandenstein in Verbindung mit einer Sächsischen Abtheilung, nahmentlich auch Sächsischer Pioniere, genommen und besetzt. Die zahlreichen Fenster des schmalen Gebäudes ließen nur wenig Deckung in demselben finden, bis Blendungen durch die Sächsischen Pioniere hergerichtet wurden, welche letztere sich dieser Arbeit im wirksamsten Feuer aus den dicht gegenüberstehenden Häusern mit der größten Kaltblütigkeit unterzogen.

Unmittelbar rechts vom Thurmhause in der Zwingerstraße und der Gerbergasse hielten die Insurgenten noch mehrere Häuser und Barrikaden besetzt. Der Lieutenant v. Stückradt I. stand ihnen mit einer kleinen Abtheilung der 12ten Kompagnie 26 Stunden lang ohne Ablösung und hiervon 20 Stunden im heftigsten und nächsten Feuer gegenüber. Durch das Beispiel der ruhigsten Unerschrockenheit und der unermüdlichsten Ausdauer, so wie indem er an den gefährlichsten Stellen selbst das Gewehr zu wohlgezielten Schüssen ergriff, gelang es ihm auch seine Untergebenen während dieser ganzen Zeit in Spannung und frischen Muths zu erhalten.

Die Besetzung des Thurmhauses, der Spiegelfabrik und der Sophienkirche von Seiten der Truppen, hatte die Insurgenten genöthigt, den Wilsdruffer Platz, bis dahin der Sammelpunkt für ihren linken Flügel, zu verlassen und sich auf die Besetzung der südlich und östlich [166] daran stoßenden Gebäude, nahmentlich der Post und des Engel’schen Hauses (an der Ausmündung der Wilsdruffer Gasse) zu beschränken. Dagegen blieben sie noch im Besitz der, mit letztgenanntem Hause ein zusammenhängendes Quarree bildenden südlichen Häuser-Reihe der Großen Brüderstraße, von wo sie die Sophien-Kirche und alle Zugänge zu derselben in der größten Nähe beschossen. In der Nacht wurden daher nicht allein die Fenster dieser Kirche mit Blendungen versehen, sondern auch eine barrikadenartige Traverse zur gedeckten Kommunikation aus dem Prinzen-Palais über die Kleine Brüdergasse hinweg nach der Kirche erbaut.

Noch ist für den rechten Flügel zu erwähnen, daß die 3te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments um Mittag als Reserve an den Zwinger gerückt war.

Im Centrum versuchten die Insurgenten wiederum eine Brandstiftung, indem die dem Schlosse nahe gelegene Hof-Conditorei angezündet, jedoch durch die Truppen, in Ermangelung von Wasser, selbst mit zur Hand befindlichem Bier, gelöscht wurde. Um ähnlichen, das Schloß gefährdenden, Versuchen vorzubeugen, wurde daher auch heute von dem Principe: im Centrum nicht offensiv zu verfahren, in so weit abgegangen, daß die beiden zunächst vorwärts des Schlosses gelegenen kleinen Querstraßen: der sogenannte Taschenberg und die Sporer-Gasse, so wie die bis in gleicher Höhe mit diesen Gäßchen liegenden Häuser der Schloßgasse von der Besatzung des Schlosses genommen wurden und besetzt blieben.

Gegen die, dem umlaufenden Gerüchte nach, noch immer beabsichtigten Unterminirungs-Versuche wurde das Schloß durch die fortgesetzte Anstauung der Abzugsschleusen und durch wiederholte Durchforschung seiner unterirdischen Räume geschützt.

[167] Auf dem linken Flügel ward zunächst von dem am vergangenen Tage in den Besitz der Truppen gekommenen Neumarkt nach allen Seiten weiter vorgedrungen. Dies Vordringen bietet, nahmentlich für die Preußischen Truppen, mehrere, wenn auch theilweise von bedauerlichen Verlusten begleitete, jedenfalls aber militairisch interessante Episoden dar, welche hier einzeln zu erwähnen sind.

Der 1ste Zug der 9ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem Lieutenant v. Liebeherr II., war am vergangenen Tage, getrennt von der übrigen auf dem rechten Flügel fechtenden Kompagnie, im und am Schlosse beschäftigt gewesen. Am 7ten Morgens 4 Uhr ward er durch die Augustus-Straße nach dem Neumarkt geschickt, um hier rechts von demselben, in der Richtung nach der Schloßgasse zu, in das Gefecht einzugreifen. Wenngleich der ganze Neumarkt und alle an denselben unmittelbar anstoßenden Häuser, bereits seit dem vorigen Tage in dem Besitz der Truppen waren, so wurde von der rechten Seite her der Platz doch noch in der Verlängerung der Sporer-Gasse und der Mittleren Frauen-Gasse durch das Feuer der Insurgenten bestrichen. Der Zug passirte die erstgenannte Schußlinie und gelangte an die Ecke des Neumarkts mit der Mittleren Frauen-Gasse, wo eine Sächsische Infanterie-Abtheilung von der hier befindlichen, am vergangenen Tage genommenen, Barrikade aus, gegen eine von den Insurgenten noch besetzte Barrikade an der Ecke der Schösser- und Rosmarien-Gasse[32] feuerte, ein Feuer, welches weder große Wirkungen hervorzubringen, oder das feindliche Feuer zum Schweigen zu bringen, [168] noch ein weiteres Vorschreiten wirksam zu unterstützen im Stande war. Der Lieutenant v. Liebeherr II., ein energischer, entschlossener und umsichtiger, kurz in jeder Beziehung ausgezeichneter Offizier, erkannte sogleich, daß es hier darauf ankomme, dem Feinde kräftiger und überdachter zuzusetzen, als durch jene Frontal-Beschießung. Er führte daher seinen Zug in eins der nächsten rechts der oben bezeichneten Ecke gelegenen Häuser und ließ von da längs der Mittleren Frauen-Gasse aus einem Hause in das andere durchbrechen, bis er die Ecke an der nächsten Querstraße: der Großen Frauen-Gasse erreicht hatte. Diese Ecke trat vermöge des stumpfen Winkels, den die Mittlere Frauen-Gasse mit der Rosmarien-Gasse bildet, etwas gegen die letztere Straße zurück, so daß aus dem genommenen Eckhause sich nicht gut auf die Barrikade an der Ecke der Rosmarien-Gasse und der Schösser-Gasse feuern ließ, wozu sich umgekehrt das andere, jenseits der Mittleren Frauen-Gasse gelegene, Eckhaus desto besser eignete. Um hierhin zu gelangen, mußte aber die Straße passirt werden, welche nicht allein unter dem Feuer der Insurgenten, sondern auch in der Schußlinie der auf der weiter zurückgelegenen Barrikade postirten Sächsischen Infanterie lag. Um letztere von der beabsichtigten Ueberschreitung der Straße in Kenntniß zu setzen und dadurch die erforderliche momentane Einstellung ihres Feuers zu bewirken, trat der Lieutenant von Liebeherr II. aus dem Laden des gewonnenen Eckhauses auf die Straße hinaus und winkte den Sachsen mit einem weißen Tuche zu. Nachdem in Folge hiervon das Feuer derselben schwieg, ließ er einige seiner Leute aus dem Laden heraustreten, etwa 20 Schritte längs den Häusern zurückgehen (auf welcher Strecke, wegen der bereits erwähnten, in einem Winkel gebrochenen Straßen-Verlängerung, sie gegen das Feuer der feindlichen Barrikade gesichert waren), dann im Trabe die [169] Straße passiren und in das zunächst jenseits gelegene Haus eindringen. Von hier aus wurde nun wieder vorwärts durchgebrochen und kam hierdurch auch das andere Eckhaus, von dem aus die feindliche Barrikade wirksam beschossen werden konnte, in die Gewalt der Füsiliere. Um 6 Uhr wurde aus diesem Hause das Feuer auf die Barrikade eröffnet und gleich der erste Schuß streckte einen Gegner zu Boden. Der Lieutenant v. Liebeherr II. aus der Ladenthür das Vordringen jener detachirten Mannschaften leitend und beobachtend, rief dem Schützen ein: „Bravo!“ zu, fiel jedoch in demselben Augenblick von einer feindlichen Kugel durch den Kopf getroffen todt nieder. Der Schuß war aus dem dritten Stockwerk des schräg gegenüber liegenden Eckhauses der Großen Frauen-Gasse und der Rosmarien-Gasse gekommen, nachdem seit geraumer Zeit von dorther nicht mehr geschossen worden war und auch nach dem Falle des Offiziers von dem feindlichen Schützen nichts weiter gesehen wurde.

Etwa gegen 10 Uhr Vormittags ward der eben genannte, seines Führers beraubte, Zug der 9ten Kompagnie durch eine Abtheilung der 10ten Kompagnie abgelöst, welche den gewonnenen Abschnitt unter fortwährendem Feuer mit dem noch gegenüberstehenden Gegner fest hielt. Weiter rechts drang eine Abtheilung der gegen Mittag in die Gefechtslinie rückenden und die bisher dort postirten Sächsischen Abtheilungen ablösenden, 1sten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem Lieutenant v. Salpius I., in der Richtung vom Jüdenhof, in den Häusern der Sporer-Gasse bis zur Schösser-Gasse vor.

Zur Ablösung des in der Stadt Rom und deren nächsten Umgebungen stehenden Theiles der 11ten Kompagnie diente der größere Theil der 10ten Kompagnie, unter dem Hauptmann Graf Goltz, während der nicht [170] in der Feuerlinie verwendete Theil der 1sten Kompagnie sich auf dem Neumarkte als Reserve aufstellte.

Bald nach der durch die 10te Kompagnie erfolgten Ablösung überschritten Sächsische Abtheilungen, welche von dem Hôtel de Saxe aus in die nächsten Häuser der linken Seite der Moritz-Straße eingedrungen waren, diese Straße, um sich auch der rechts liegenden Häuser-Reihe zu bemächtigen. Als sie die Thüre des angegriffenen Hauses zu stark verrammelt fanden, um eindringen zu können, riefen sie nach Pionieren, worauf der Hauptmann Graf Goltz sogleich die Pioniere seiner Kompagnie (s. Bemerkung zu §. 4.) ihnen zur Unterstützung sandte, mit deren Hülfe das Haus dann auch wirklich genommen wurde. Da sich die Gegner in diesem Häuser-Quarree jedoch noch in der Ueberlegenheit befanden, so verlangte die Sächsische Abtheilung noch weitere Hülfe, worauf eine Section der 10ten Kompagnie, unter dem Lieutenant v. Kuylenstjerna, dorthin detachirt wurde. Da höheren Orts der Befehl gegeben war, auf dieser Stelle keine Offensive zu ergreifen, so erhielt der genannte Offizier ebenfalls die Instruction, nur das bereits genommene Haus halten zu helfen, ohne weiter vorzudringen. Nach Verlauf einer halben Stunde kam er jedoch ausdrücklich zu dem Behufe zu seinem Kompagnie-Chef zurück, um die Erlaubniß nachzusuchen, noch durch ein Haus weiter durchschlagen zu dürfen, um von dort aus der noch immer in den Händen der Insurgenten befindlichen Barrikade in dem engen Schustergäßchen in den Rücken kommen zu können. Der Hauptmann gab hierzu die Genehmigung. So wurde denn durch die Hintergebäude der Moritzgasse nach dem Schustergäßchen durchgeschlagen und sich hier festgesetzt. Die Mannschaften waren durch die angestrengte Arbeit sehr ermüdet, und da sich kein Feind mehr in den gegenüberliegenden Häusern blicken ließ, so überließen sie sich in [171] einem Zimmer des besetzten Hauses einer augenblicklichen Ruhe, hierbei selbst die Gewehre aus der Hand setzend und das Gepäck ablegend. Nach kurzer Zeit wurde plötzlich aus einem oberen Stockwerk des in dem ganz engen Gäßchen nur auf wenige Schritte gegenüberliegenden Hauses, dieses Zimmer dermaßen mit Kugeln überschüttet, daß in der ersten Ueberraschung die Mannschaften sich mit Hinterlassung einiger Gewehre und Tornister in das Nebenzimmer retteten. Der Lieutenant v. Kuylenstjerna forderte hierauf die betreffenden Leute auf, jene Gegenstände zu holen, so wie sie aber das verlassene Zimmer betraten, wurde das feindliche Feuer wiederum so heftig, daß sie einen Augenblick stutzten. Da rief der Lieutenant v. Kuylenstjerna ihnen zu: „Schämt Euch, Ihr werdet dem Preußischen Namen doch keine Schande machen wollen, folgt mir!“ So schritt er ihnen voran, erhielt aber auch sogleich einen tödtlichen Schuß durch die Brust. Er rief noch: „Kinder! laßt mich hier nicht liegen!“ worauf der Feldwebel Wlocka (des noch immer fortdauernden heftigen Feuers wegen, auf der Erde kriechend), mit Unterstützung eines Herrn v. Bock aus Marbach bei Nossen, welcher sich seit dem vorigen Tage den hier fechtenden Truppen als Freiwilliger angeschlossen hatte, so wie einiger anderer Soldaten, den bereits im Sterben begriffenen Offizier aus dem Zimmer herausschafften. Hier sagte er noch zu den ihn umgebenden Soldaten: „Kinder, haltet Euch brav! ich wünsche Euch Allen solchen Tod!“ und verschied kurz darauf. – Während dies im oberen Stockwerk geschah, waren die Insurgenten in das Erdgeschoß desselben Hauses eingedrungen, wodurch die schwache Preußische Abtheilung eigentlich augenblicklich abgeschnitten war und in höchst kritischer Lage sich befand. Sie wurde nur dadurch gerettet, daß einestheils die Pioniere der Kompagnie im heftigen feindlichen Feuer einen Durchbruch in jenes Haus bewerkstelligten, [172] andererseits eine Abtheilung der 4ten Kompagnie des 1sten Sächsischen leichten Infanterie-Bataillons, unter dem Lieutenant Almer und dem Sergeant Encke, den Preußischen Füsilieren mit der aufopferndsten Unerschrockenheit zu Hülfe kam.

Auf dem äußersten linken Flügel wurde schon von Morgens an der Angriff auf das an der Ecke der Frohngasse liegende Gewandhaus durch das Feuer eines in der Großen Schießgasse aufgefahrenen Sächsischen Geschützes vorbereitet. Da dies Feuer im heftigsten feindlichen Kugelregen stattfand, so verlor die Bedienungsmannschaft dabei 1 Offizier und 5 Mann an Todten und Verwundeten. Um halb 11 Uhr erfolgte dann die Erstürmung des Gewandhauses durch die Sächsische leichte Infanterie.

Die halbe 1ste Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments war von dem Sächsischen Major v. Reitzenstein von dem Zeughause aus (wohin die Kompagnie zuerst aus der Neustadt dirigirt worden war) nach dem Gewandhause geschickt worden. Der diese halbe Kompagnie befehligende Lieutenant v. Schlabrendorf drang mit derselben um 12 Uhr von dem Gewandhause aus, unter fortwährendem Gefechte, in den Häusern der Frohngasse vor, brach dann durch zwei Höfe nach der Kreuzgasse durch und gelangte auf diese Weise bis in das der Kreuz-Kirche und der davor errichteten Barrikade gegenüber liegende Eckhaus. Nach einem mehrstündigen lebhaften Feuergefecht gegen überlegene feindliche Abtheilungen, welches der diesseitigen schwachen Abtheilung 6 Verwundete kostete, sah sich letztere genöthigt, den gewonnenen, für jetzt noch zu isolirten Punkt wieder zu räumen und sich nach dem Gewandhause zurückzuziehen. Auf die Meldung hiervon beorderte der Sächsische Major v. Reitzenstein zuerst einen Zug der im Zeughause in Reserve stehenden 2ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, später den Rest [173] dieser Kompagnie, nach dem Gewandhause. Von hier aus und dem Eckhause an der Frohn- und Moritz-Gasse wurde ein ununterbrochenes Feuer gegen die feindliche Barrikade in der Frohngasse, gegen mehrere Häuser in der Kreuzgasse, gegen die Kreuzkirche und gegen das jenseits der Promenade (der Friedrichs-Allee) gelegene Café français unterhalten. Aus der Kreuzkirche wurde von den Insurgenten besonders mit Windbüchsen geschossen; diesseits wurde sich durch Matratzen und andere Deckungen dagegen geschützt. Dem Antrage des Chefs der 2ten Kompagnie, Hauptmann v. Gontard, weiter vordringen zu dürfen, setzte der Major v. Reitzenstein, welcher den linken Flügel der Gefechtslinie kommandirte, den höheren Orts erlassenen Befehl entgegen, daß heute keine weitere Offensive unternommen werden sollte, – eine Entscheidung, welche der Ungeduld der Mannschaften sehr ungelegen kam.

Die Neustadt blieb ferner die Reserve-Stellung für die Truppen. Nachdem bald nach Tages-Anbruch in derselben Generalmarsch geschlagen worden war, wurden einige Stunden später die 10te und 12te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments zur Ablösung der 9ten und 11ten nach der Altstadt vorgeschickt, wo deren Antheil an dem Gefecht bereits vorstehend geschildert worden ist. – Wie ferner bereits im §. 10. erwähnt, traf gegen Mittag das 1ste Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, auf einem ihm unter Bedeckung eines Zuges der 10ten Kompagnie des Regiments entgegengesandten Eisenbahnzuge ein. Nachdem es Erfrischungen erhalten hatte, wurden die drei ersten Kompagnien zur Verstärkung der Gefechtslinie ebenfalls nach der Altstadt vorgeschickt, und ist deren theilweises Eingreifen gleichfalls vorstehend aufgeführt.

Um 8 Uhr wurde ein Dampfschiff nach dem Königstein mit Depeschen für den König von Sachsen, so wie [174] mit dem Auftrage: Munition von dort zurückzubringen, abgesandt. Es wurde bei der Rückfahrt von mehreren Stellen des Ufers und von Dampfschiffen, namentlich bei Pirna, beschossen und vergrößerte das Gerücht diese unschädlich gebliebenen Angriffe zu der Nachricht: daß es durch eine Verpfählung in der Elbe gänzlich aufgehalten werde. Es wurde sofort ein Detachement von 2 Kompagnien, 1 Escadron und 2 reitenden Geschützen aus der Reserve zusammengezogen, um seine Ankunft zu sichern. Mittlerweile traf es jedoch 3 Uhr Nachmittags ein und wurde jenes Detachement dann zu einer Recognoscirung auf den Straßen nach Osten, auf welchen den Insurgenten Unterstützungen zugehen sollten, verwendet, ohne jedoch auf dergleichen zu stoßen.

Im Laufe des Tages waren Nachrichten aus Leipzig eingetroffen, daß auch dort, bei der Abwesenheit alles Militärs, ein Aufstand ausgebrochen und daß der größere Theil der dortigen Kommunalgarde demselben zwar kräftig entgegengetreten sei, jedoch der militairischen Unterstützung dringend bedürfe. Es wurden daher Nachmittags 5 Uhr 2 Kompagnien leichter Infanterie auf der Eisenbahn dahin zurückgesandt: ein Zeichen der Zuversicht von Seiten der Regierung und des Truppen-Kommando’s in die nicht mehr zu bezweifelnde Unterdrückung des Aufstandes in Dresden, welches nicht verfehlen konnte, die beste Wirkung auf die Stimmung des ganzen Landes auszuüben.

Selbst die Empörer und ihre Führer schienen mehr und mehr zu erkennen, daß sie sich auf die Länge nicht zu halten im Stande sein würden. Schon wurde Befehl gegeben, einige Barrikaden in den Vorstädten wegzuräumen, um einem etwa nothwendig werdenden Abzuge nicht hinderlich zu werden. Auch verließen einzelne Trupps die Stadt, allerdings in der ausgesprochenen Absicht, die heranziehende Sächsische Reiterei aufzuhalten, wo nicht: [175] zu vernichten; doch mochte es diesen Auszügen wahrscheinlich behaglicher im freien Felde, als in dem immer enger umschlossenen Ringe der aufrührerischen Stadt vorkommen. Auch beschränkte sich die ganze Wirksamkeit dieser aus Büchsenschützen und Sensenmännern gemischten Streifkorps auf einige Plänkeleien gegen die Reiterei in der Gegend von Räknitz und Plauen, und auf 9 in der Gegend von Wilsdruff überfallene und gefangene Garde-Reiter. Unter diesen Umständen blieben sowohl die in der Stadt ausgestreuten Gerüchte von einer großartigen Schild-Erhebung der Bevölkerung des ganzen Gebirges gegen die Regierung, als auch die im Lande verbreiteten Aufrufe zur Aufbietung eines Landsturms behufs der Befreiung Dresdens, ohne sichtlichen Erfolg.

Hatte einerseits hiernach die Zeit der höchsten Aufregung schon einer Art von Abspannung Raum gegeben, so war andererseits doch der Rückschlag noch nicht stark genug, um der vollen Besinnung Gehör zu geben, und so blieb auch nachfolgende, an die ruhige Ueberlegung und den gesunden Sinn der Einwohnerschaft appellirende, Bekanntmachung des neu ernannten Ministers des Innern vor der Hand auch noch unwirksam.

„Von Sr. Majestät dem Könige in diesem Augenblick an die Spitze des Ministerii des Innern berufen, halte ich es für meine heilige Pflicht, allen Behörden und dem gesammten sächsischen Volke gegenüber die Gründe öffentlich auszusprechen, die mich veranlaßt haben, diesem Rufe mich nicht zu entziehen.
Sachsen! der Kampf, der in diesem Augenblicke in den Straßen der Hauptstadt wüthet, ist ein Kampf der Monarchie mit der Republik, der Freiheit und Ordnung mit der Anarchie! [176]
Laßt Euch nicht täuschen, Mitbürger, dadurch, daß die Empörer unter der Fahne der Reichsverfassung kämpfen. Dieselben Männer, die bis vor Kurzem Alles thaten, um das Zustandekommen der Verfassung zu verhindern, dieselben Männer, die bis vor Kurzem einen integrirenden Theil dieser Verfassung, das erbliche Kaiserthum, nicht nur bekämpft, nein! mit allen Waffen des Spottes und des Hohnes herabgezogen, dieselben Männer sollten heute das Panier der blutigsten Empörung für diese Verfassung, für dieses Kaiserthum erheben? Das kann keine Wahrheit sein!
Ich weiß wohl, daß die große Mehrheit von Euch begeistert ist für die Idee der Einheit unseres großen Vaterlandes, ich weiß wohl, daß Euere Herzen warm schlagen für deutsche Ehre, Freiheit und Größe!
Aber Ihr wollt diese Güter in Wahrheit, und Ihr wißt, daß sie nicht erobert werden im Kampfe der wildesten Leidenschaft, Ihr wißt, daß sie nur von Bestand sein können, wenn sie erlangt werden durch das freie Einverständniß der deutschen Fürsten und Völker.
Se. Majestät der König theilt Eure Liebe für unser großes Vaterland, Eure Hingebung für deutsche Ehre, Größe und Freiheit. Wenn der König in Seinem Gewissen Sich für verpflichtet erachtet hat, der Reichsverfassung, wie sie nun als Ganzes vorliegt, für jetzt noch Seine Genehmigung zu verweigern, so hat Er einen Schritt gethan, zu welchem Er nach der bestehenden sächsischen Verfassung und den wiederholt gefaßten Beschlüssen der Volksvertretung, die mit der Regierung darüber einig war, daß die Reichsverfassung nur im Wege der freien Vereinbarung ins Leben treten könne, unzweifelhaft berechtigt war. Er konnte, nachdem Preußen die Verfassung, wie sie aus den Berathungen der Nationalversammlung hervorgegangen war, nicht anerkannt hatte, nachdem also feststand, daß diese Verfassung in Deutschland [177] nicht ins Leben treten konnte, nicht anders handeln, weil unter diesen Umständen jede Anerkennung Seiten Sachsens ein leeres, der Erhabenheit der Sache unwürdiges Spiel gewesen wäre.
Se. Majestät der König und die Männer, die heute Seine Regierung bilden, werden darum nicht aufhören in ihren Bemühungen für die Einheit, Freiheit und Größe des deutschen Volks.
Fürchtet keine Reaction, keine Verletzung der Verfassung, keine Beschränkung der Freiheit, wir gehen zu demselben Ziele der festen Begründung einer deutschen Verfassung. Wir werden sie nur erreichen, wenn wir den Weg des unerschütterlichen unbeugsamen Rechts nicht verlassen.
Ihr alle, Mitbürger, die Ihr in einer deutschen Verfassung etwas anders sehet, als ein Compromiß der Partheien, das jede nur so lange anerkennt, bis sie Kräfte gesammelt hat, es zu brechen, Ihr alle, die Ihr nicht Herrschaft einer Parthei, sondern gleiche Freiheit Aller wollt, scharet Euch muthig um Eueren König, den Ihr seit 18 Jahren aus Seinem Wirken, Seiner Liebe zu Euch kennt, scharet Euch um die Männer, die Seinen Rath bilden, verlaßt Euch auf sie, sie werden festhalten, unerschütterlich festhalten an dem heiligen Eide, den sie dem Könige, den sie der Verfassung geschworen haben.
Dresden, den 7. Mai 1849.
Der Minister des Innern.
Richard von Friesen.“

Im Laufe des Tages erschienen an die Truppen folgende zwei Tagesbefehle des Sächsischen Kriegs-Ministeriums:

„Die braven Königlich Preußischen und Königlich Sächsischen Truppen fahren fort sich auf allen Punkten mit der größten Tapferkeit und Hingebung zu schlagen. [178]
Sie erringen mit jeder Stunde neue Erfolge. Bald wird das Ziel erreicht, der Aufstand gedämpft, Gesetz und die Ordnung hergestellt sein. Soldaten! Die Mehrzahl der Bewohner Sachsens, ja nicht nur Sachsens, des gesammten Deutschlands – blicken mit Stolz und Vertrauen auf Euch! Noch eine kurze Zeit der Ausdauer und Anstrengung, und Ihr werdet den schönsten Preis errungen, Ihr werdet unser Vaterland, seine Verfassung und den Thron gerettet, ganz Deutschland einen wesentlichen Dienst erzeigt haben.
Dresden, den 7. Mai 1849.
Der Kriegsminister.
Rabenhorst.“

„Das andauernde heftige Gefecht, nahmentlich aber der hartnäckige Widerstand der Aufrührer, hat bei den Truppen eine wohl erklärliche Erbitterung im Kampfe hervorgerufen und droht dieselbe in einer Weise zu steigern, welche fürchten läßt, daß die Gränzen der nöthigen Strenge überschritten werden könnten.
Um Dem vorzubeugen, hält sich das Kriegsministerium verpflichtet, daran zu erinnern, daß Unbewaffnete und Solche, welche die Waffen niederlegen und sich als Gefangene ergeben, unter dem Schutze des Gesetzes und der bewaffneten Macht stehen.
Die Wohnungen fremder Gesandten sind thunlichst zu schützen. Sind jedoch dieselben von Rebellen besetzt, so ist jedenfalls wenigstens Veranstaltung zu treffen, daß die Gesandten, Geschäftsträger, deren Angehörige und Personal, so wie die bei dem Kampfe unbetheiligten Ausländer geschützt werden.
Dresden, den 7. Mai 1849.
Kriegsministerium.
Rabenhorst.“

[179] Was die in dem Eingange des zweiten Tagesbefehls enthaltene Abmahnung vor einer Ueberschreitung der Gränzen der nöthigen Strenge betrifft, so hatte es hiermit folgende Bewandniß:

Wie alle Truppen, welche zum erstenmal einen wirklichen Kampf gegen aufrührerische Bevölkerungen zu bestehen haben, nahmen anfangs auch die meisten Sächsischen Truppen in dies Verhältniß die Gewohnheiten der im vieljährigen Frieden ausgeübten polizeilichen Funktionen bei einzelnen Ausschreitungen, Widersetzungen und unbedeutenden Zusammenläufen mit hinüber, das heißt: die mit den Waffen in der Hand gefangenen Aufrührer wurden als Arrestanten behandelt und zurückgeführt. Als die Preußischen Soldaten in das Gefecht kamen, glaubten sie unter den auf den Barrikaden ihnen gegenüber stehenden Kämpfern Manche wieder zu erkennen, welche sich ihnen vor wenig über einem Jahre (im März 1848) in Berlin in eben der Art entgegengestellt hatten. Auch sie hatten damals die Ueberwundenen als Arrestanten zurückgebracht, um sie der gesetzlichen Strafe zu überliefern, aber oft gingen diese wenige Stunden nachher frei bei ihnen vorüber, weil sie: „wegen mangelnden Beweises“ wieder entlassen worden waren, (als ob es im bereits völlig entbrannten Gefechte möglich wäre, gleich auf der Stelle alle juristischen Beweismittel und nothwendigen Zeugen der Strafbarkeit jedes einzelnen Aufrührers aufstellen, konstatiren und bei der richterlichen Behörde nahmhaft machen zu können!) So waren denn die Preußischen Soldaten (ohne alle Aufforderung von Seiten ihrer Vorgesetzten) gewissermaßen stillschweigend überein gekommen, sich bei dem hier wieder bevorstehenden Kampfe nicht auf das in seinen Resultaten so durchaus unsichere, jedenfalls langwierige gerichtliche Verfahren zu verlassen, sondern, nach altem Soldaten-Ausdrucke, selbst „kurzen Prozeß“ zu machen.

[180] Diese Ansicht theilten sie nun ihren Sächsischen Kameraden mit, als diese anfangs viele Arrestanten aus dem Kampfe zurückbrachten: „Was gebt Ihr Euch diese unnöthige Mühe; Die werden doch bald wieder freigelassen werden, und dann stehen sie Euch bei der nächsten Gelegenheit von neuem gegenüber!“ so oder ähnlich soll mancher kameradschaftliche Rath gelautet haben. Und wie es gewöhnlich zu gehen pflegt, daß Proselyten einer neuen Lehre diese eifriger und mehr mit allen Auswüchsen aufnehmen und ausüben, als die Lehrer selbst, so auch hier. Während kein Beispiel bekannt geworden ist, daß Preußischerseits Andere, als wirklich bewaffnet Betroffene niedergemacht worden wären, so dehnten im ersten Eifer einzelne Sächsische Soldaten den Grundsatz: „keine Gefangene zurückzubringen“, in einigen Fällen auch auf die bereits wehrlos auf dem Transport Begriffenen aus, von denen Einige unterwegs von der Brücke in die Elbe gestürzt wurden.[33] Freilich soll dies vorzugsweise ehemalige Mitglieder der einige Zeit vorher aufgelösten Garde-Division betroffen haben, gegen welche als Hochverräther und als Ueberläufer eine doppelte Entrüstung bei den treugebliebenen Soldaten der übrigen Truppentheile erklärlich war. So wenig dies Verfahren zu rechtfertigen und so wohl begründet deshalb auch die Erinnerung des Kriegsministers an die Unverletzlichkeit Wehrloser und bereits Gefangener war, so fällt die erste Schuld solcher bedauerlichen Vorfälle doch immer auf die ersten Urheber eines Bürgerkrieges zurück, in welchem die Erbitterung, den Erfahrungen der Geschichte und der Natur der Sache nach, [181] immer größer, als in jedem Kampfe gegen auswärtige Feinde ist.

§. 13. Schilderung der Eigenthümlichkeiten des Kampfes und Beleuchtung der Gefechtsmethode.

Der Schluß des vorigen Paragraphen hat einen Blick auf den Karakter des Kampfes in menschlicher, oder wenn man will in unmenschlicher, Beziehung geworfen. Theils hieran anknüpfend, theils aber auch aus andern Gründen, möchte zu einer Darlegung des Karakters des in Dresden geführten Kampfes in rein-militairischer Beziehung hier die geeignetste Stelle sein. Nachdem am 5. Mai mehr die Einleitung des Gefechts stattgefunden hatte, waren die zwei darauf folgenden, in den beiden vorhergegangenen Paragraphen besprochenen, Tage des 6ten und 7ten Mai diejenigen, an welchen der Kampf von Seiten der Insurgenten am hartnäckigsten, und von Seiten der Truppen am methodischsten geführt wurde, und so schließt sich die Schilderung dieser Methode auch am besten hier an. Am 8ten und 9ten Mai trat (wie später erzählt werden wird), erst eine Art von Stillstand und dann eine plötzliche Entscheidung ein, welche beide Erscheinungen schon wieder etwas von dem Geiste des allmähligen, vollständig regelrechten Vorschreitens und Ueberwältigens der einzelnen Lokalitäten abwichen, wenn gleich der endliche Erfolg durch die befolgte Methode vorbereitet war.

Im Allgemeinen ist allerdings in der im §. 8 dargelegten, von Seiten des Sächsischen Ober-Kommandos getroffenen Gefechtsdisposition schon die Gefechtsmethode mit enthalten, doch hat dort nur die strategische Anlage und Richtung des Angriffs angegeben werden können, während die Schilderung der taktischen Ausführung bis zu der Stelle der Schrift vorbehalten werden mußte, wo bereits eine Anzahl angegebener Details diese Schilderung verständlicher machen konnte.

[182] Wie ebenfalls bereits im §. 8 gesagt, kann man die befolgte Methode am besten mit dem Ausdrucke: „Häuserkrieg“ bezeichnen, wogegen die häufig angewandten Bezeichnungen: „Straßen- oder Barrikadenkämpfe“ eine ganz irrige Meinung davon zu geben im Stande sind.

Es dürfte hier an der Stelle sein, einige allgemeine Betrachtungen vorauszuschicken.

So lange Truppen andern wirklichen Truppen gegenüber gestanden haben, ist es fast nie vorgekommen, daß bei dem Gefecht in einer Stadt der Vertheidiger sich ganz in die Häuser geworfen, sich darin festgesetzt und sich daraus vertheidigt hat, sondern ist in der Regel der Kampf nur auf den Straßen geführt worden. In dieser Gewohnheit befangen, und anfangs häufig auch aus der im langen Frieden eingewurzelten Respektirung des Privateigenthums und des Hausrechts, verhielten sich, als die ersten Kämpfe gegen wirkliche Empörungen, z. B. im Jahre 1830, dann besonders im Jahre 1848, nothwendig wurden, fast in allen Ländern die Truppen so, als hätten sie eben nur andere, sich auf die Straßen beschränkende Truppen gegen sich. So erhielten die Barrikaden, oft schon die allerunvollkommensten, welche nur der Kavallerie, höchstens dem ersten Anlaufe der Infanterie, ein Hinderniß in den Weg zu legen vermochten, eine unverdiente Wichtigkeit. Ja! selbst als die Empörer sich nicht mit den Barrikaden allein begnügten, sondern ihnen durch systematische Besetzung und Benutzung der zunächst liegenden, besonders der Eckhäuser, vermehrte Stärke gaben, blieben die Truppen, man möchte sagen: in ihrer militairischen Unschuld, auf den Straßen, sich auf diese Weise in die ungünstigste Lage versetzend, in welcher nur eine große innere Tüchtigkeit sie vor den traurigsten Erfahrungen bewahrte. Gewiegte Befehlshaber – gelehrte Generalstabs-Offiziere, welche im freien Felde auch die geringste überhöhende Terrainfalte erkannt und militairisch benutzt [183] haben würden, sahen hier, im Innern der, bis dahin nur mit bürgerlichen Augen betrachteten, Städte den Wald vor den Bäumen nicht – übersahen mit anderen Worten, daß die Gebäude, besonders eines massiv gebauten Ortes, als dominirende und flankirende Punkte das Wichtigere (gewissermaßen: die Bastionen), die Barrikaden nur die ergänzende Zuthat (gewissermaßen: die Courtinen) sind.

Hier, in Dresden, schien zum erstenmal dies Verhältniß fast durchgängig richtig erkannt worden zu sein, (Ausnahmen fanden selbstredend auch statt, und wird auf einige derselben weiterhin hingewiesen werden). Vorzugsweise suchte man also von Beginn des Kampfes an, die Hauptgebäude festzuhalten und eben so im weiteren Fortgange desselben, sich der militairisch wichtigsten Gebäude zu bemächtigen. War dies ein isolirtes Haus, oder lag es jenseit einer, noch nicht an einem anderen Punkte überschrittenen, Straße, oder gar jenseit eines Platzes, so war freilich die Ueberschreitung des dazwischen liegenden Raumes nicht zu vermeiden; doch wurde diese Ueberschreitung dann dadurch vorbereitet und mit geringem Verlust möglich gemacht, daß man das einzunehmende Gebäude vorher mit wohlgezieltem Gewehr-, und wo es die Lokalität gestattete: auch mit Geschützfeuer überschüttete, und die Vertheidiger dadurch größtentheils von den Fenstern vertrieb. Schwieriger war das aus allen Stockwerken bis in die Dachluken hinauf erfolgende Seitenfeuer zum Schweigen zu bringen.

Daß man den Angriff vorzugsweise gegen Eckhäuser richtete (z.B. auf das Eckhaus der Ostra-Allee und Stallgasse, auf das Thurmhaus, auf die beiden großen Gasthöfe am Neumarkt, auf das Gewandhaus u. a. m.), lag in der Natur der Sache. Eckhäuser vertreten im Häuserkriege eben vorzugsweise die Bastionen, indem sie nach zwei Seiten hin Feuer geben, häufig auch (sobald sie von einer Seite etwas vorspringen oder die von ihnen abführende [184] Straße eine Biegung macht) eine oder die andere Straße enfiliren; ferner dominirten sie die fast durchgängig unmittelbar an den Straßenknoten oder an der Ausmündung der Straßen auf die Plätze angelegten Barrikaden, so daß letztere sogleich von den Insurgenten verlassen werden mußten, sobald die Truppen eines der anstoßenden Eckhäuser genommen hatten.

War man erst einmal im Besitz eines Hauses in einem Quarree, so fing der reine Häuserkrieg an, d. h. die Mauern von einem Hause zum andern wurden durch die Pioniere, oder vermittelst der etwa in den Häusern vorgefundenen Werkzeuge durchgebrochen und auf diese Weise ganze Häuserreihen bis zur nächsten Ecke oder Querstraße genommen, wo es dann von neuem auf Ueberwältigung des entgegenstehenden Feuers ankam, um eine Straße überschreiten zu können.

Da selbstredend weder die numerischen, noch die physischen und moralischen Kräfte der geringen Truppenzahl ausreichten, um überall und fortwährend im Vordringen zu bleiben, so trat an Punkten, wo entweder die Lokalität zu ungünstig zum Weitervorschreiten war, oder wo die feindliche Ueberlegenheit sich als zu bedeutend erwies, oder wo endlich ein höherer Befehl entgegenstand, häufig ein Stillstand von Stunden, selbst von halben und ganzen Tagen ein. Hier gestalteten sich ganz eigenthümliche Gefechtsverhältnisse, wie sie selbst kaum bei Belagerungen (weil hier jeder Theil regelrechter gedeckt zu stehen pflegt), vorkommen werden. In engen, 15, 10, ja selbst nur 5 Schritt breiten Gäßchen, war die eine Häuserreihe von den Truppen, die andere von den Insurgenten besetzt. Beide Theile standen hier im Anschlage einander gegenüber, – gewissermaßen wie auf dem Anstande, nur mit dem Unterschiede von dem friedlichen Anstande auf der Jagd, daß es hier nicht bloß galt das menschliche Wild zu erlegen, sondern sich auch selbst gegen dessen Schüsse [185] zu decken. Wer sich zu unvorsichtig oder zu weit aus der Deckung vorbog, dem pfiffen gewiß augenblicklich mehrere Kugeln um den Kopf; ein großer Theil der tödtlichen, wie der leichten Wunden befanden sich daher auch an der rechten Seite des Kopfes, in der rechten Brust oder Schulter, an dem rechten Arm oder der rechten Hand. Die Preußen legten meist ihre Helme ab; eben so wurden die Bajonette abgenommen, weil das Erscheinen eines solchen am Fenster sofort die Aufmerksamkeit des Gegners erregte und feindliches Feuer herbeilockte. Die neuen Zündnadelgewehre der Füsiliere (sowohl des Kaiser Alexander Grenadier-, als des 24ten Infanterie-Regiments) zeigten außer ihrer größeren Tragweite und ihres sicherern Schusses hier auch den Vortheil, daß, vermöge der von hinten erfolgenden Einbringung der Patronen, das Gewehr beim Laden ruhig in der Lage wie zum Abschießen, z. B. auf einer Fensterbrüstung, in einer ausgesparten Schießluke u. dergl. liegen bleiben konnte. Während es einzelne Abtheilungen gegeben hat, welche fast 30 Stunden hinter einander dem Gegner unmittelbar gegenüber und eigentlich mit geringen Pausen fortwährend im Feuer geblieben sind, lagen einzelne Schützen solcher Abtheilungen stundenlang auf den Knien an einem Fenster etc., um jeden Augenblick zu einem wohlangebrachten Schusse benutzen zu können. – Bei den nicht mit Zündnadelgewehren bewaffneten Truppen war dies oft ein besonders guter Schütze, dem ein Paar Kameraden ihre Gewehre luden und abwechselnd zureichten.[34] Beim Zündnadelgewehr war dies, wegen des schnellen Ladens, nicht nöthig. Dies schnelle Laden schien anfangs übrigens in einiger Beziehung [186] eher ein Nachtheil, als ein Vorzug zu sein, da an einigen Punkten einzelne Schützen nicht bloß ihre eigenen 60 Patronen, sondern noch bis 20 fremde, verschossen und also ein möglicher Munitionsmangel zu besorgen war.[35] Doch gingen die Mannschaften mit jeder Stunde, daß das Gefecht, anhielt, immer sparsamer mit ihrer Munition um und gaben keinen Schuß fort, ohne einen Feind auf dem Korn zu haben. Mit welcher Kaltblütigkeit und Ueberlegung geschossen wurde, zeigte der öfters vorgekommene Fall, daß auf den weiteren Entfernungen erst förmliche Probeschüsse gegen eine besonders in die Augen fallende Stelle eines Hauses gemacht wurden, um das Einschlagen der Kugel zu beobachten und danach das richtige Visiren für die hernach wirklich auf den Feind gerichteten Schüsse zu regeln. Ueberhaupt zeigte sich schon bei dem Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments die außerordentliche Trefffähigkeit des neuen Gewehres, obgleich dies Bataillon erst seit Ende Januar damit versehen war, und daher auch erst eine unvollständige Schießperiode (noch dazu in sehr ungünstiger Witterung) absolvirt hatte. Die Vortheile der neuen Waffe ergaben sich sogar so augenscheinlich in diesem ersten ausgedehntern Ernstgebrauch, daß einzelne Grenadiere des 1sten Bataillons, welche mit den Füsilieren gemischt fochten, ihre Gewehre mit Zündnadelgewehren verwundeter Füsiliere [187] umtauschten und mit denselben feuerten, obgleich sie sich die Handhabung des Gewehrs erst im Gefecht selbst von Kameraden des Füsilier-Bataillons begreiflich machen lassen mußten. – Auch die zuweilen über das neue Gewehr ausgesprochene Besorgniß, daß es im fortgesetzten Ernstgebrauche nicht haltbar sein dürfte, erwies sich als ungegründet, da sich nur eine im Verhältniß zur Menge der abgefeuerten Schüsse ganz unbedeutende Zahl von schadhaft gewordenen Theilen ergab, welche zum größten Theil auf der Stelle, noch im Gefecht selbst, durch eingesetzte Reservetheile ersetzt werden konnten.[36]

Nächst der vorstehend geschilderten, sich so schnell zu eigen gemachten Fertigkeit in Benutzung der neuen Waffe von Seiten der Füsiliere, entwickelten die Verhältnisse in überraschender Weise das Verständniß und die richtige Auffassung der neuen Kampfart bei allen Truppentheilen, bei allen Chargen. Ohne daß diese Art zu fechten jemals vorher Gegenstand einer Uebung hatte werden können, ohne daß darüber andere als allgemeine Andeutungen in der theoretischen Unterweisung der Mannschaften hatten aufgenommen werden können, bildete sich, unter dem Drange der Umstände und durch die sich einleuchtend aufdrängende Ueberzeugung, wie von jeder fehlerhaften Benutzung der Lokalität nicht allein der Erfolg des Vorschreitens, sondern auch das eigene Leben abhängig sei, [188] fast jeder einzelne Soldat schnell zu einem umsichtigen Schützen für diese Gefechtsform aus. Es war oft überraschend, wie selbst bis dahin scheinbar ungewandte Rekruten sich schnell in eine ganz unbekannte Lokalität zuerst zu finden, sie schnell in Bezug auf ihre Benutzung, sowohl behufs der eigenen Deckung, wie behufs des daraus dem Feinde zuzufügenden Abbruchs und behufs des weiteren Vordringens, richtig zu beurtheilen verstanden. In noch höherem Maße zeigte sich dies bei den Unteroffizieren, welche, oft stunden- und halbe Tage lang in isolirten Gebäuden detachirt oder in einzelnen Häuserreihen vordringend, in das ungewohnte Verhältniß von momentan selbstständigen Befehlshabern traten. Es würde die Gränzen dieser Schrift überschreiten heißen und oft selbst nur durch hinzugefügte Grundrisse verständlich werden, wenn alle vorgekommenen Fälle der überdachtesten Benutzung einzelner Oertlichkeiten näher auseinandergesetzt werden sollten, und muß sich der Verfasser diese Genugthuung daher versagen.

Was jedoch nicht unterlassen werden darf, ist: auf einige Punkte hinzuweisen, in deren Beziehung die Anordnung und das Ineinandergreifen der einzelnen Vorschritte noch Einiges zu wünschen übrig ließ, oder welche unbeachtet blieben, oder wo von dem Geiste der angenommenen Methode abgewichen wurde. Da gegenwärtige Schrift kein systematisches Lehrbuch des Häuserkriegs werden soll, so mögen diese Punkte aphoristisch aneinandergereiht und zur Rechtfertigung dieser Beleuchtung vorangeschickt werden: erstens, daß der Verfasser nicht aus dem Bedürfniß zu mäkeln und zu tadeln, sondern in dem Bestreben: aus den gesammelten Erfahrungen einige lehrreiche Resultate zu gewinnen, das dankbare Geschäft eines mit Recht alles Rühmenswerthe heraushebenden Referenten mit der undankbaren Rolle eines Kritikers vertauscht; – dann, daß er keineswegs die Richtigkeit des [189] alten Spruchs: „la critique est aisée, mais l’art est difficile“ verkennt; – daß er ferner nicht verkennt, wie gerade die frische Kampflust und der Thatendurst der Truppen wie der Führer sich oft nicht Zeit zu wohlkombinirten Bewegungen und Dispositionen ließ; – daß endlich es nicht mißdeutet werden möge, wenn er vorstehend das Verhalten der Mannschaften eines unbedingten Lobes würdig gehalten hat, und nun an den Anordnungen der Führer Einiges auszusetzen findet. Ist die Kriegführung ja doch, in je höhere Sphären sie hinaufsteigt, eine um desto schwierigere Kunst, in der es wohl noch keinen ausübenden Künstler gegeben hat, der im Drange des Augenblicks mit dem Degen in der Hand Alles vollkommen richtig angeordnet, nichts Zweckmäßiges versäumt hätte, und an dessen Verfahren daher die ruhig beurtheilende und abwägende Feder gar nichts zu bemerken fände.

Der Eifer einzelner Unterführer und ihr Wunsch selbstständig zu handeln (wohl auch sich persönlich hervorzuthun), ließ die Unternehmungen zum weiteren Vorschreiten hier und da zu vereinzelt, zu schwach und nicht gehörig kombinirt unternehmen. Es werde hier das bereits im vorstehenden Paragraphen geschilderte Vordringen des Lieutenants von Liebeherr II. als Beispiel genommen, dessen ehrenvolles Andenken nicht durch den rühmlichen Tadel eines zu kühnen Vordringens beeinträchtigt zu werden vermag. Wäre nämlich hier gleichzeitig mit dem Vordringen in die vom Neumarkt aus rechts gelegene Häuserreihe der Mittleren Frauengasse eine zweite Abtheilung in die Häuserreihe linker Hand vorgedrungen, so wäre das nachherige Ueberschreiten der Straße, durch welches der Tod des Offiziers herbeigeführt wurde, nicht nöthig gewesen.

Auch das (ebenfalls bereits im vorigen Paragraphen erwähnte) kühne Vordringen des Lieutenants von Schlabrendorf gegen die Kreuzkirche würde mehr Erfolg gehabt [190] haben, wenn es weniger isolirt, sondern mit dem gleichzeitigen Vordringen anderer und stärkerer Abtheilungen in einer korrespondirenden Häuserreihe kombinirt gewesen wäre.

So ließe sich denn wohl allenfalls (so vorsichtig man in der Kriegskunst sonst in der Aufstellung von sogenannten Grundsätzen sein muß) als ziemlich allgemein gültige Regel aussprechen: „daß man im Häuserkriege wo möglich immer in den beiden Häuserreihen einer Straße gleichzeitig vorzudringen suchen müsse.“

Wie nothwendig es ist, für solche Kämpfe bei allen Truppen eigene Pioniere, Sappeurs, Zimmerleute, oder wie man sie sonst nennen will, zu haben, ist schon im §. 4 angedeutet, wird aber nun nach Schilderung der Art des Vordringens im Häuserkriege noch um so mehr einleuchten. Eines sehr wirksamen und schnellen Mittels: Mauern zu durchbrechen, ist sich dagegen in Dresden gar nicht bedient worden: der Pulversäcke, worauf in ähnlichen Kämpfen künftig mehr Bedacht zu nehmen sein wird.

Für den innern Dienstbetrieb oder gewissermaßen den Sicherheitsdienst während des Häuserkrieges, nahmentlich in einer insurgirten Stadt, bietet der Tod des zweiten gefallenen Preußischen Offiziers: des Lieutenants von Kuylenstjerna (siehe §. 12), ein bedauernswerthes, aber ebenfalls warnendes und lehrreiches Beispiel dar. Ist es einmal nicht möglich gewesen (wie es in dem vorliegenden Fall allerdings wenigstens sehr schwierig war), in beiden Häuserreihen einer Straße gleichzeitig vorzudringen und ist man genöthigt, wegen Erschöpfung der Mannschaften oder wegen des Ganges des Gefechts im Allgemeinen, in einer Häuserreihe, deren gegenüberstehende Gebäude noch nicht in unserer Gewalt sind, zu verweilen und sich darin sogar einiger Ruhe zu überlassen, so betrachte man sich, der Natur der Sache nach, als auf den äußersten Vorposten in unmittelbarer Nähe des [191] Feindes stehend. Die ruhenden Mannschaften müssen völlig gedeckt, also vorzugsweise in den Hinterzimmern sich aufhalten, währenddem einige als förmliche Posten, jedoch ebenfalls möglichst gedeckt, aufgestellte Leute die gegenüberliegende Häuserreihe beobachten, aus welcher ja unerwartet jeden Augenblick das Feuer der noch dazu durch ihre bürgerliche Kleidung nicht vorher zu erkennenden Insurgenten eröffnet werden kann. Es wird gut sein, sich hierbei den Leuten gegenüber auch der herkömmlichen Bezeichnungen: als Feldwache, als Vedette etc. zu bedienen, weil dies ihnen gleich das dabei zu Beobachtende ins Gedächtniß ruft, und weil unser junge, man möchte sagen: mit kindlicher Unbefangenheit in den Kampf gehende Soldat, sonst sehr geneigt ist, sich unmittelbar nach überstandener Gefahr der völligsten Sicherheit zu überlassen, wozu der Häuserkrieg noch mehr Veranlassung bietet, indem ein in Besitz genommenes, nicht mehr streitig gemachtes Haus gar zu leicht in den Augen des Soldaten als eine Art von Quartier erscheint, in welchem er es sich bequem machen könne.

Andererseits ist von Seiten selbst der höheren Anordnung nicht überall genug auf die Unterbringung auch der Reserven in Gebäuden Bedacht genommen worden. Unter Verhältnissen, wie die vorliegenden, wo die Kräfte der geringen Truppenzahl sehr bedeutend in Anspruch genommen wurden, und wo es sehr darauf ankam, durch die Frischerhaltung der physischen Kräfte auch die moralische Frische zu erhalten,[37] mußte eigentlich in der Nacht, mit Ausnahme einiger Wachen und Posten, keine geschlossene Abtheilung auf den Straßen zubringen. Jede Unterbringung in einem einigermaßen hierzu geeigneten [192] Gebäude ist bei einigermaßen rauher Witterung immer besser und erhält die Kräfte der Soldaten mehr, als das Verweilen unter freiem Himmel. Erst als in der Nacht vom 7ten zum 8ten Mai ein strömender Regen die bivouacquirenden Abtheilungen bis auf die Haut durchnäßt hatte, wurde gegen Morgen die Reserve am Zwinger in die Königlichen Stallgebäude, die auf dem Neumarkt in die dortigen großen Gasthöfe gezogen. Die Reserve auf dem Schloßplatze blieb jedoch im Freien, obgleich die dicht dabei befindliche Katholische Kirche eine vortreffliche Gelegenheit zur Unterbringung darbot. Um allen etwanigen Einwänden gegen die hier empfohlene Unterbringung der Truppen zu begegnen, sei gesagt, daß selbstredend eine solche Unterbringung in möglichst großen Räumen und immer zu ebener Erde stattfinden muß; daß, wo sich ja in einzelnen Zimmern vertheilt werden muß, dies stets ganz ordnungsmäßig nach Zügen oder Sektionen geschehe; daß auf die Innehaltung dieser Eintheilung strenge gehalten werde, damit sich Niemand vereinzele und jede Abtheilung sogleich disponibel sei; daß endlich in der Nacht für nicht allein nothdürftige, sondern sogar reichliche Erleuchtung aller belegten Räume gesorgt werden muß.[38] Bei solchen Veranstaltungen ist dann nicht zu besorgen, daß man sich dadurch die schnelle Disposition über die Truppen entziehen werde. Ist überhaupt, weder in Dresden, [193] noch in irgend einem anderm Stadtkampfe je von den Aufrührern ein ernstlicher nächtlicher Angriff auf die Truppen versucht worden? Und selbst, wenn man sich, der äußersten Vorsicht wegen, auf einen solchen gefaßt halten will, ist ja eben die Straße nicht der Kampfplatz, sondern würde man bei wirklich drohender Gefahr sich gerade in die Gebäude zu hartnäckiger Vertheidigung werfen! – Warum also sich nicht gleich darin ein Unterkommen suchen? – Nicht genug kann man sich auf jedem Standpunkt der militairischen Hierarchie dafür in Acht nehmen: die Regeln der Kriegführung im offenen Felde auch auf den Häuserkampf anwenden zu wollen: eben die Häuser sind hier das geeignete Terrain, so zum Gefecht, wie zur Ruhe und Bereitschaft! – Befürchte man aus einer solchen Fürsorge für die Truppen übrigens auch keine Verweichlichung derselben. Gerade wenn man, so lange es angeht, für sie sorgt und sie schont, kann man, wo es gilt und wo Anstrengungen, Entbehrungen und Mühseligkeiten nicht zu vermeiden sind, desto mehr von ihnen verlangen! Im Kampfe gegen empörte Städte steht der Soldat, wenn er bivouacquiren soll, auf die Länge gar zu sehr im Nachtheil gegen den Insurgenten, der sich in dem verbarrikadirten Stadttheil der bequemsten Nachtruhe hinzugeben pflegt[39].

[194] Die letztere Bemerkung leitet darauf hin, wie sich bisher in den Kämpfen gegen insurgirte Städte überhaupt und so auch hier in Dresden, zu wenig der nächtlichen Angriffe bedient worden ist. Bei dem in aufrührerischen Rotten unvermeidlichen Mangel an Disciplin und gegliederter innerer Ordnung, wird man höchstens in den der ersten Schild-Erhebung zunächst folgenden 24 Stunden die aufgeregten Massen die ganze Nacht hindurch munter und aufmerksam finden. Je mehr aber in dieser ersten Zeit gewiß Alles bei den Empörern auf den Beinen sein und wahrscheinlich die erste Nacht mit Singen und Trinken zubringen wird, um desto eher ist mit jeder folgenden Nacht die Einschläferung der Wachsamkeit zu erwarten, da eben kein geregelter Dienstgang hier eine Reihenfolge eintreten läßt, welche die Wachsamkeit der zur Sicherung bestimmten Abtheilungen durch vorangegangene Ruhe verbürgt. – Jeder bedeutendere Vorschritt hätte daher am besten in der zweiten Hälfte der Nacht bewirkt werden müssen, zu welcher Zeit der Schlaf am festesten zu sein pflegt und wo dann bei dem bald darauf anbrechenden Morgen sich in dem gewonnenen Abschnitt orientirt und festgesetzt werden konnte. Das Sächsische Ober-Kommando ist hierauf aufmerksam gemacht worden; doch ist häufig die Ausführung statt, wie befohlen: „gegen Tages-Anbruch“ erst nach angebrochener Morgen-Dämmerung erfolgt, zu welcher Zeit die Vortheile der Ueberraschung und des geringeren Verlustes schon wieder wegzufallen beginnen. In kürzeren Nächten, wie sie in dieser Jahreszeit stattfinden, kann man dreist den Beginn solcher Angriffs-Bewegungen in den höheren Anordnungen auf 2, wo nicht gar 1 Uhr [195] nach Mitternacht ansetzen. Die unvermeidlichen Verzögerungen und Vorbereitungen schieben dann doch die wirkliche Ausführung immer so weit hinaus, daß man eben noch kurz vor der Helligkeit sich im Besitz des angegriffenen Punktes sehen wird.

Was die durch förmliche Kolonnen im offenen Sturm genommenen Gebäude und Barrikaden betrifft, z. B. die Einnahme der beiden großen Gasthöfe auf dem Neumarkt, der Barrikade beim Thurmhause u. a. m., so waren dies eigentlich Abweichungen von der angenommenen Gefechts-Methode und hätten, strenge genommen, auch vermieden werden können, wenn sich mehr Zeit zum allmäligen systematischen Fortschreiten von Haus zu Haus genommen worden wäre, wodurch namentlich zuletzt auch jede Barrikade von selbst durch den Gegner hätte geräumt werden müssen. Doch soll dies nicht getadelt werden: es waren dies Intermezzo’s in dem einförmigen Gange des Angriffes, welche einerseits eben so dazu beitrugen, dem Gegner zu imponiren, als andererseits auch für die Truppen eine Art angenehmer und anregender Abwechselung bildeten, und ihnen die Ueberzeugung gewährten, daß, wo sie erst einmal mit stürmender Hand einschritten, ihnen auch nichts zu widerstehen vermöge. Hätten allein die Wünsche der Mannschaften berücksichtigt werden sollen, so wäre noch weit häufiger, und fast allein auf diese Weise vorgeschritten worden, was jedoch von Seiten des Ober-Kommando’s in Rücksicht des zu vermeidenden übermäßigen Verlustes und besonders in Rücksicht des doch immer möglichen Scheiterns eines solchen Angriffs, das die Zuversicht der Truppen ebenso niedergedrückt, wie den Muth der Insurgenten gehoben haben würde, mit Recht nicht zugelassen werden konnte.

Daß die wirklich erfolgenden Angriffe nicht allein durch Gewehrfeuer aus den bereits besetzten Häusern, [196] sondern auch durch Geschützfeuer vorbereitet[40] wurden, war eben so den Regeln gemäß, als von günstigem Erfolge. Dagegen wäre jedes offenbar zwecklose Kanonieren besser unterblieben, z. B. das in den ersten Tagen einigemal aus dem Georgenthore erfolgende. Es sollte hier doch nicht ernstlich vorgedrungen werden, der dadurch den in Häusern und hinter Barrikaden stehenden Insurgenten beigebrachte Verlust konnte immer nur unbedeutend bleiben, und so konnte dieses Feuer vielleicht gerade dazu beitragen, den natürlichen Respect der großen Massen vor dem Kanonendonner zu schmälern und ihn am Ende verachten zu lernen.

Als eines eigenthümlichen bei den Kämpfen in Dresden vorgekommenen Verhältnisses ist noch die (aus der vorstehenden Gefechts-Relation im §. 11. und 12. hervorgehende) fast auf allen Punkten stattfindende Vermischung der Preußischen mit den Sächsischen Truppen zu erwähnen. Veranlaßt war dieselbe ursprünglich durch den Wunsch des Sächsischen Ober-Kommando’s sowohl die Zündnadelgewehre auf allen Theilen der Gefechtslinie in Wirksamkeit zu bringen, als auch die angekommene fremde Unterstützung überall den eigenen Truppen zur Erweckung der Zuversicht, den gegenüberstehenden Insurgenten zur Niederschlagung des Muthes vor Augen zu führen. Späterhin ließ der Fortgang des Gefechts, das bald hier, bald dort eine Verstärkung wünschenswerth machte, diese Art der Verwendung der Preußischen Truppen um so mehr beibehalten, als die [197] Vermischung den davon gehegten Erwartungen nicht allein vollkommen entsprochen hatte, sondern sich dadurch auch schnell der regste Wetteifer zwischen den beiderseitigen Truppen, eine hohe gegenseitige Anerkennung und die erfreulichste Kameradschaftlichkeit erzeugt hatte. Wie tief diese Kameradschaftlichkeit Wurzel gefaßt hatte, bewährte sich während dem nachher noch über zwei Monate dauernden Aufenthalt des Füsilier-Bataillons des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments in Dresden, während welchem auch nicht eine Reibung oder Streitigkeit mit den Sächsischen Truppen vorkam: ein Beispiel der Verträglichkeit zwischen Abtheilungen zweier verschiedenen Armeen, das bisher selten vorgekommen sein mag!

Den Schluß der Schilderung und Beleuchtung der Eigenthümlichkeiten des Dresdner Kampfes mögen hier noch einige Bemerkungen über die Verpflegung der Truppen machen, eines Gegenstandes, der oft in der Kriegführung sehr wichtig ist, hier aber, wegen der kurzen Dauer des Kampfes und wegen der im Verhältniß zu den Hülfsquellen der Hauptstadt geringen Zahl der kämpfenden Truppen nur eine untergeordnete Bedeutung hatte. Für die Sächsischen Truppen wurde theils in den besetzten Hauptgebäuden der Altstadt selbst, theils in den Kasernen der Neustadt das Essen, meist selbst ein warmes Frühstück, zubereitet und nach den einzelnen Punkten nachgesandt, wobei es freilich vorkam, daß die Kessel und Töpfe im Trabe über eine vom feindlichen Feuer bestrichene Stelle hinübergeschafft werden mußten. Den Preußischen Truppen wurden (wie bereits §. 10. angeführt) beim Eintreffen Erfrischungen gereicht und wo es anging, wenigstens auf Stunden, Quartiere angewiesen, in denen sie reichliche Verpflegung erhielten. Da ihre Ablösung in der Regel nach 24 Stunden stattfand (wobei wegen der Zersplitterung auf einzelnen Punkten die wirkliche Rückkehr in die Quartiere freilich oft erst nach [198] 30stündiger Abwesenheit erfolgte), so bedürfte es bei ihnen nur der Nachsendung von Frühstück, welche, so weit es die Umstände gestatteten, bewirkt wurde. Als das Königliche sogenannte Kufenhaus in den Besitz der Truppen gelangt war, empfingen aus den dortigen Vorräthen die Abtheilungen beider Armeen per Kopf ein Maaß Wein. Für die Pikets und Wachen in der Neustadt, welche oft länger als 24 Stunden hinter einander im Dienste blieben, waren die Wirthe angewiesen, das Essen für die bei ihnen einquartierten Mannschaften dorthin zu schaffen. Auf einigen Punkten, z. B. im Gewandhause, wurden auch Vorräthe an Lebensmitteln und Getränken vorgefunden, welche die Insurgenten dort hatten zusammenbringen lassen.

Bei der Zersplitterung mancher Kompagnien in lauter kleine Abtheilungen leuchtet es ein, daß trotz aller dieser (unter der Ober-Leitung des Sächsischen Obersten v. Wurmb mit der unermüdlichsten Thätigkeit betriebenen), Veranstaltungen hier und da einzelnen Leuten nichts von den regelmäßigen Vertheilungen zukommen konnte und daß diese daher auf Dasjenige angewiesen waren, was ihnen entweder die Bewohner der besetzten Häuser darreichten, oder was sie (sobald die Häuser verlassen waren) in denselben noch an Eßwaaren vorfanden. Daß dies jedoch, wie von feindlich gesinnten Blättern später wohl verbreitet worden ist, zu förmlichen Plünderungen ausgeartet sein solle, kann mit voller Ueberzeugung in Abrede gestellt werden.

§. 14. Der vierte Gefechtstag, Dienstag den 8. Mai.

Wenn am vergangenen Tage sich die Insurgenten fast ganz auf die Defensive beschränkt hatten, so schien es, als ob nun schon, wenigstens bei einem Theile derselben, [199] ernstlich an den Rückzug, oder vielmehr an das Auseinanderstäuben (was das Ende der meisten Insurrectionen ist) gedacht wurde.

Gegen 5 Uhr früh ließ sich (höchst wahrscheinlich absichtlich) der Ober-Kommandant der Dresdener Bürgerwehr, Oberstlieutenant Heinze, in der bereits seit dem vergangenen Tage in den Händen der Truppen befindlichen Inneren Pirnaischen Gasse blicken und von diesen gefangen nehmen. Dem Schicksale, von den Soldaten, denen er sich zu erkennen gab, erschossen zu werden, entging er durch die Versicherung, daß er wichtige Geständnisse zu machen habe, – eine Versicherung, welcher er in den späteren gerichtlichen Untersuchungen indessen keineswegs nachgekommen sein soll. An seine Stelle als Ober-Kommandant der Kommunalgarde trat dem Namen nach, der Schriftsetzer Born, von dessen Thätigkeit indessen nichts verlautet hat, wie ja die Kommunalgarde selbst zu dieser Zeit fast schon ganz vom Schau- und Kampfplatz abgetreten war.

Auch das eine Mitglied der Provisorischen Regierung, Todt, hatte sich unter dem Vorwande entfernt, von der Frankfurter National-Versammlung Reichstruppen zur Unterstützung des Dresdener Aufstandes zu erbitten. Wenn trotzdem die beiden auf ihren selbstgeschaffenen Posten ausharrenden Mitglieder der Provisorischen Regierung in der nachstehenden Bekanntmachung noch die größte Zuversicht in den Erfolg ihrer Sache aussprachen, so war dies wohl mehr ein letzter Versuch, den erlöschenden Enthusiasmus anzuregen, als wahrhafte Ueberzeugung.

„An unsere Mitbürger!“
„Nach sechstägigem Barrikadenkampfe gegen ein doppeltes, mit allen Mitteln wohl ausgerüstetes Kriegsheer stehen unsere tapferen Freiheitsscharen noch ebenso unerschüttert, [200] frisch und freudig auf ihren Positionen, wie am ersten Tage. Wir sind durch Zuzüge aus vielen Theilen des Landes stark geworden, und der glücklichste Erfolg hat unser Werk gekrönt. Der Feind wird bald vernichtet und wäre es schon lange, wenn nicht viele herbeigekommene Hülfsscharen den lügenhaften Verläumdungen unserer Gegner Glauben gebend und persönlichen Muthes bar, anstatt mit uns in die Mitte des Kampfes zu eilen, schmachvoll zurückgezogen wären.
Wir erwarten, daß Dies von diesem Augenblicke an anders werde.
Es ergeht hiermit an alle Communalgarden des Landes kraft dieses öffentlichen Ausschreibens, das als förmliche Verordnung zu betrachten ist, der Befehl, sofort anderweit zum Kampfe für die Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes herbeizueilen.
Diese heiligen Güter müssen jetzt errungen werden, sei es im städtischen Barrikadenkampfe, sei es in offener Feldschlacht, oder sie werden nie erobert werden.
In diesem Kampfe darf kein deutscher Mann, der noch irgend zum Dienste tauglich ist, fehlen.
Viele Behörden im Lande haben uns bereits anerkannt. Diejenigen, welche uns binnen 24 Stunden, vom Abdrucke gegenwärtiger Bekanntmachung in der Leipziger Zeitung oder in dem am Orte gelesenen Localblatte an noch nicht anerkannt haben werden, muß das Volk dazu zwingen.
Mitbürger, handelt, wie es sich für Männer gebührt, und die gerechte Sache wird siegen.
Dresden, den 8. Mai. 1849.
Die provisorische Regierung von Sachsen.
Tzschirner.       Heubner.“

[201] Am Abend vorher war eigentlich für die Truppen ein allgemeines Vorgehen vor Tages-Anbruch angeordnet gewesen. In der Nacht wurde dieser Befehl, aus bisher unbekannt gebliebenen Gründen, zurückgenommen. Sollte es die Hoffnung gewesen sein, daß die Empörer durch die ihnen gegönnte Ruhe zur Besinnung kommen sollten und dadurch vielleicht ein ferneres Blutvergießen vermieden werden könne, so wäre dies eine falsche Berechnung gewesen. Eben so wenig konnte der eingetretene strömende Regen eine Verzögerung in einem Kampfe motiviren, welcher meistens unter Dach und Fach geführt wurde. – Jedenfalls trat im Laufe des Tages eine Art von Stillstand in den Operationen ein.

Zum erstenmale seit dem Beginn des Kampfes läßt sich bei dieser Gelegenheit auch eine allgemeine Uebersicht der Stellung der Truppen geben, da bis dahin dieselbe fast in jeder Stunde gewechselt hatte und häufig einzelne Kompagnien, selbst einzelne Züge, je nachdem es die Umstände erforderten, von einer Stelle der Gefechtslinie nach der andern geschickt worden waren. Auch ist die an diesem Tage von den Truppen inne gehaltene Position darum bemerkenswerth, weil sie als die vorbereitende Aufstellung zu betrachten ist, aus der zur letzten, Tags darauf erfolgenden Entscheidung vorgegangen wurde.

Sämmtliche Truppen in der Altstadt wurden von dem General-Major Graf v. Holtzendorf kommandirt.

Der rechte Flügel stand unter dem Befehl des Oberst v. Friderici. In der ersten Linie stand hier eine Sächsische Kompagnie und der größere Theil der 12ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments im und am Thurmhause; eine Sächsische Kompagnie in den Häusern der Post gegenüber, das Feuer gegen letztere und die Eckhäuser der Wilsdruffer Gasse unterhaltend; eine Sächsische Kompagnie und ein Zug der 12ten Kompagnie Kaiser Alexander in der [202] Spiegelfabrik, das Engelsche Haus und die Barrikade der großen Brüdergasse beschießend; endlich ein Zug der 10ten Kompagnie Kaiser Alexander in der Sophien-Kirche.

Als Reserve des rechten Flügels und gleichzeitig zur Deckung seines Rückens gegen die Friedrichstadt, dienten zwei Sächsische Kompagnien und die 3te Kompagnie von Kaiser Alexander, welche auf dem Zwingerwalle, in der Orangerie, in dem Palais des Prinzen Max und in den Stallgebäuden vertheilt waren, so wie 4 in der Ostra-Allee stehende Geschütze.

Im Centrum war die Besatzung des Schlosses und der nächsten dazu gehörigen Baulichkeiten ziemlich unverändert seit dem Beginn des Kampfes geblieben (s. §. 6.).

Auf dem linken Flügel der Gefechtslinie kommandirte der Sächsische Major v. Reitzenstein, Kommandant des 1sten leichten Infanterie-Bataillons. Die erste Linie bildeten hier eine Sächsische Kompagnie und die halbe 1ste Kompagnie von Kaiser Alexander in der rechts des Neumarkts gelegenen am vorigen Tage genommenen Gassen; eine Sächsische Schützen-Kompagnie und zwei Züge der 10ten Kompagnie von Kaiser Alexander in der Stadt Rom und den daran stoßenden Gassen; endlich die halbe 1ste und ganze 2te Kompagnie von Kaiser Alexander im Gewandhause und den zunächst daranstoßenden Häusern.

Als Reserve für den linken Flügel standen drei Schützen-Kompagnien im Kufenhause in der Kleinen Schießgasse und dessen nächster Umgebung, so wie eine Infanterie-Kompagnie im Zeughause.

Der Rest der Truppen stand theils als Haupt-Reserve auf dem Schloßplatz, theils am Blockhause, oder überließ sich einer kurzen Ruhe in den Kasernen und Quartieren der Neustadt.

[203] Hier war um 5 Uhr Morgens das Füsilier-Bataillon des 24sten Infanterie-Regiments, unter dem Major v. Schrötter, eingetroffen. In Kantonnirungen in der Nähe von Berlin stehend, hatte es am Abend zuvor plötzlich den Befehl erhalten, unverzüglich aufzubrechen und war die Nacht hindurch auf der Eisenbahn nach Dresden gefahren, wo es an die Befehle des Oberstlieutenants Graf Waldersee gewiesen war. Da seine Ankunft nicht vorher angekündigt war, so wurde es des heftigen Regens wegen vorläufig in der Reitbahn der Militair-Bildungs-Anstalt untergebracht, dann aber auf einige Stunden in der Neustadt einquartiert. Um Mittag wurde es, nebst der bisher noch nicht in das Gefecht gezogenen 4ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, zur Ablösung der von letzterem in der Altstadt verwendeten 5 Kompagnien (der 1sten, 2ten, 3ten, 10ten und 12ten) bestimmt. Die 4te Kompagnie von Kaiser Alexander löste die in den Stallgebäuden als Reserve des rechten Flügels stehende 3te Kompagnie, die 9te Kompagnie des 24sten Infanterie-Regiments die 12te Kompagnie von Kaiser Alexander im Thurmhause und in der Spiegelfabrik ab. Der 10ten Kompagnie des 24sten Infanterie-Regiments fiel der Posten des Gewandhauses, der 11ten und 12ten Kompagnie die Besetzung des Neumarkts und dessen Umgebungen zu, von wo aus auch die Sophien-Kirche mit einem Zuge besetzt wurde. (Zufälligerweise war bei der zugweisen Vertheilung der ersten beiden in das Gefecht gekommenen Preußischen Kompagnien, der Angriff auf diesen zum rechten Flügel gehörigen Punkt einem Zuge einer im übrigen auf dem linken Flügel verwendeten Kompagnie zugefallen, und setzte sich nun diese Zerreißung einer Kompagnie auch bei den ferneren Ablösungen fort.)

Hatte auch das Feuergefecht während des ganzen Tages nirgends gänzlich geschwiegen, so bekam durch die [204] neu in’s Gefecht kommenden Abtheilungen dasselbe doch neue Nahrung. Auch wurden Nachmittags auf einigen Punkten der Gefechtslinie einzelne Vorschritte unternommen. Auf dem rechten Flügel wurden die Barrikaden der Wall-Straße mit Geschütz beschossen. Im Centrum, wo das Haus neben der Hof-Conditorei seit dem Morgen von den Insurgenten in Brand gesteckt war, wurde aus dem Prinzen-Palais in das gegenüberliegende Haus der Kleinen Brüdergasse eingedrungen und die Passage dahin später durch eine Gegen-Barrikade gedeckt. Auf dem linken Flügel säuberten Abtheilungen des 24sten Infanterie-Regiments die Schustergasse vollständig, wobei in einem Hause 18 Insurgenten niedergemacht wurden, ein Verfahren, das ganz der Stelle des am heutigen Tage von Seiten des Sächsischen Ober-Kommando’s erlassenen Tagesbefehls entsprach: „Die Staats-Regierung ist nicht mit vielen Gefangenen zu belästigen.“ – Von der Moritz-Straße aus drang eine Abtheilung Sächsischer leichter Infanterie in die Bader-Gasse ein und beschoß unvermuthet einige Barrikaden-Besatzungen, deren Feuer bis dahin zuweilen lästig geworden war.

Von der Neustadt aus wurden 4 Uhr Nachmittags 1½ Kompagnien Sächsischer Infanterie und 2 reitende Geschütze nach dem linken Elb-Ufer detachirt, um mit den bereits dort befindlichen 8 Schwadronen unter die Befehle des General-Majors v. Mangold zu treten. Die Ueberschiffung auf Pontons und späterhin auch auf einem Dampfschiffe erfolgte 500 Schritt unterhalb Uebigau und war erst 9 Uhr Abends beendigt.

Diese Verstärkung der zur Einschließung der Altstadt bestimmten Truppen war einestheils um so unbedenklicher, anderntheils behufs der dadurch bezweckten Einfangung der sich abziehenden Insurgenten um so gebotener, als die baldige Ueberwältigung des Aufstandes keinem [205] Zweifel mehr unterlag und als auch neue Preußische Hülfstruppen im Anmarsch waren. Der Oberst-Lieutenant Graf Waldersee hatte sich, meist durch verkleidete Vertraute (weil die Eisenbahn-Beförderung unsicher, wo nicht unterbrochen und das Land noch immer sehr aufgeregt gegen die Regierung war) mit dem General-Lieutenant Fürst Radziwill in Torgau und dem General-Lieutenant v. Holleben in Görlitz in Verbindung gesetzt und hierdurch Folgendes in Erfahrung gebracht: Von Seiten des erstgenannten Generals war das 3te Husaren-Regiment und eine halbe reitende Batterie am 8ten Mai gegen Dresden in Marsch gesetzt worden, wo sie jedoch erst am 11ten ankommen konnten. Der General-Lieutenant v. Holleben hatte am 8ten Abends ungefähr 3 Bataillone bei Reichenbach, Weissenberg und Löbau versammelt, mit welchen er am folgenden Tage auf der Sächsisch-Schlesischen Eisenbahn Dresden zu erreichen hoffte, hierzu aber die Mitwirkung des Oberstlieutenants Grafen Waldersee, behufs Entgegensendung von Transportmitteln, so wie behufs Sicherung und erforderlichenfalls Wiederherstellung der Bahn, in Anspruch nahm.

§. 15. Beendigung des Kampfes. Mittwoch den 9ten Mai.

Vermittelst der vielfachen Verbindungen und Anhänger, welche die demokratische Parthei im ganzen Lande zählte, hatten ihre Häupter in Dresden Kenntniß von dem zu Ende des vorigen Paragraphen angeführten Anrücken vermehrter Preußischer Streitkräfte, wie von der baldig in Aussicht stehenden völligen Einschließung der Stadt auf dem linken Elb-Ufer erhalten und dadurch die Ueberzeugung gewinnen müssen, daß die Ueberwältigung des Aufstandes durch die Truppen unvermeidlich sei. Die [206] erste Maßregel, zu welcher diese Führer, welche so oft in begeisterten Ansprachen zum Kampf auf Sieg oder Tod für die Freiheit aufgerufen hatten, war die: auf die eigene Rettung bedacht zu sein. Schon gegen 3 Uhr Morgens flüchteten sich sowohl die beiden noch in Dresden befindlichen Mitglieder der Provisorischen Regierung, Tzschirner und Heubner, als auch Bakunin und die hauptsächlichsten militärischen Führer. Zur Bedeckung nahmen sie die wohlgeordnetsten Schaaren mit sich, denen viele Andere, theils in Haufen, theils einzeln, folgten, welche entweder von diesem beginnenden Abzuge Kenntniß erhalten hatten oder aus eigener Ueberzeugung ihre Sache, wenigstens hier in Dresden, als verloren ansahen. Daß ein anderer nicht unbeträchtlicher Theil der Insurgenten von dem beschlossenen und beginnenden Abzuge keine Kenntniß erhielt und in hartnäckiger Vertheidigung des noch behaupteten Stadttheiles beharrte, mag vielleicht Folge des Mangels an einer geordneten Gliederung der Streitkräfte und der befehligenden Behörden, wahrscheinlicher jedoch von Seiten der Leiter und Anstifter des Aufruhres wohlberechnet gewesen sein, um durch die Aufopferung jener Preisgegebenen (nach altem Kunst-Ausdrucke der: „enfants perdus“) die eigene Rettung zu sichern.

Fast um die nämliche Zeit, in welcher die Flucht jener Volksführer und Volksverführer eintrat, um halb 3 Uhr Morgens, gingen die Truppen zu den letzten entscheidenden Angriffs-Bewegungen von beiden Flügeln her vor, welche dem angenommenen Plan nach (s. §. 8.) an der südlichen Ausmündung der Seegasse auf die Promenade zusammentreffen und hier den Ring um die Altstadt schließen sollten.

Auf dem rechten Flügel traf der hier wie in den vorigen Tagen kommandirende Oberst v. Friderici folgende Anordnungen: Die 9te Kompagnie des 24sten [207] Infanterie-Regiments sollte von dem Thurmhause aus sich in den Besitz des Postgebäudes und der daran anstoßenden Barrikade setzen; eine Sächsische Kompagnie rechts davon in den Gebäuden der Zwingerstraße, eine andere links davon aus der Spiegelfabrik gegen das Engelsche Haus und die Wilsdruffer Straße vorgehen; die 4te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments mit 4 Geschützen in der Ostra-Allee diese Angriffe unterstützen und dem Ganzen eine Reserve von einigen Sächsischen Kompagnien folgen.

Die specielle Disposition des die 9te Kompagnie des 24sten Infanterie-Regiments führenden Hauptmanns v. Malotki zur Ausführung des ihm gewordenen Auftrages war nachstehende: Ein Zug unter dem Lieutenant v. Glasenapp bricht mit einem Zuge gegen das Engelsche Haus vor, dringt in das Haus und nimmt die dortige Barrikade in den Rücken. Ein zweiter Zug unter dem Lieutenant v. Horn geht um das Postgebäude gegen die Barrikade an der Scheffel- und Wall-Straße. Mit dem dritten Zuge beschloß der Kompagnie-Chef das Postgebäude selbst zu nehmen. Schlug der Angriff eines der beiden zuerst genannten Züge fehl, so sollte sich derselbe nach dem Postgebäude werfen.

Nachdem die Aufmerksamkeit des Feindes durch die von den beiden Sächsischen Kompagnien unternommenen Flanken-Bewegungen etwas abgelenkt war, brachen die drei Abtheilungen der Preußischen Kompagnie in kurzen Pausen aus einer auf den Wilsdruffer Platz führenden Thüre des zweiten der am Thurmhause anstoßenden Häuser vor. Trotzdem der Feind von allen Seiten, aus allen Stockwerken auf den zu überschreitenden Platz feuerte, erreichte der Lieutenant v. Glasenapp, seinen Leuten mit kühnem Muthe voraneilend, das Engelsche Haus und setzte sich in Besitz desselben. Während der Lieutenant v. Horn unerschrocken seinem schwierigen Auftrage [208] nachkam, erreichte der Hauptmann v. Malotki mit seiner Abtheilung, trotz des Kreuzfeuers von allen Seiten, das Postgebäude. Nach großen Anstrengungen gelang es, eine Thür desselben zu sprengen und einzudringen, als der Lieutenant v. Horn ebenfalls dort anlangte, weil das sich zuletzt auf ihn konzentrirende feindliche Feuer, selbst aus den Kellerluken, zu heftig war.

Die beiden Preußischen Züge, so wie zwei Sächsische Kompagnien, welche jenen dahin gefolgt waren, setzten sich nun in dem weitläuftigen Postgebäude fest und zwangen durch ihr Feuer den Feind zum Verlassen der gegenüber liegenden Barrikade, welche auch durch die bis an die Barrikade an der Ausmündung der Ostra-Allee auf dem Wilsdruffer Platz vorgerückte 4te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments und durch die eben da postirten 12 Pfünder beschossen wurde.

Mittlerweile wurden gegen 4 Uhr Morgens von den Insurgenten in Folge eines von Bakunin zurückgelassenen Befehls drei Häuser in der Zwingerstraße mittelst Pechkränze in Brand gesteckt und brannten gänzlich aus. Da diese Gebäude gar keine militairische Wichtigkeit hatten, so konnte dieser fast ganz zwecklose Vandalismus höchstens beabsichtigen, die Aufmerksamkeit der Angreifer zu theilen oder überhaupt die allgemeine Verwirrung zu vermehren. Denselben, jedoch ebenfalls nicht erreichten, Zweck hatte wohl ein gegen 7 Uhr von den Insurgenten gegen die Orangerie und die Gerbergasse unternommener, aber bald abgeschlagener Angriff; die letzte Offensiv-Bewegung von ihrer Seite.

Aus dem Postgebäude wurde zunächst der Lieutenant v. Horn mit einer Abtheilung des 24sten Infanterie-Regiments gegen das dem Engelschen Hause gegenüber gelegene Eckhaus der Wilsdruffer Gasse geschickt, drang in dasselbe ein und arbeitete sich dann in den Häusern in der Richtung gegen den Altmarkt durch, während dies [209] gleichzeitig von dem Lieutenant von Glasenapp auf der andern Seite der Straße geschah. Die Abtheilung des letztern setzte sich in Besitz eines 3pfündigen Geschützes, welches sogleich mit Hülfe eines Sächsischen Artilleristen gegen die feindlichen Barrikaden gebraucht wurde. Der Füsilierzug des 24ten Infanterie-Regiments, welcher, unter dem Lieutenant von Bornstädt, in der Sophienkirche gestanden hatte, drang gegen die Große Brüdergasse vor.

Außerdem setzte sich der Hauptmann von Malotki vom Postgebäude aus in den Besitz des Polytechnischen Instituts, wozu ein Zug der 4ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, unter dem Lieutenant von Hanstein, mitwirkte, welcher längs der Zwinger- und Marienstraße vorgegangen war. Durch die Besetzung des Polytechnischen Instituts wurde der Feind genöthigt die hierdurch in den Rücken genommenen starken Barrikaden in der Wallstraße zu räumen.

Gegen 9 Uhr wurde aus dem Polytechnischen Institut, unter immer schwächer werdender feindlicher Gegenwehr, gegen den Dippoldiswalder Platz vorgegangen, und da ziemlich gleichzeitig die in der Großen Brüder- und der Wilsdruffergasse vordringenden Abtheilungen sich dem Altmarkt näherten und hier statt Widerstand zu finden, aus allen Häusern weiße Fahnen ausgesteckt erblickten, so fand hiermit auf diesem Flügel das Gefecht seine Beendigung.

Im Centrum wurde vom Schlosse aus in der bisherigen Defensive verblieben, während von beiden Flügeln her sich die Vorschritte der Truppen zuletzt vor demselben vereinigten, wie aus dem vorstehend Angeführten und aus der nachstehenden Schilderung des Kampfes auf dem linken Flügel sich ergiebt.

Auf dem linken Flügel der Gefechtslinie führte, wie an den vorigen Tagen, der Sächsische Major von [210] Reitzenstein den Befehl; der Kommandeur des Füsilier-Bataillons 24ten Infanterie-Regiments, Major von Schrötter, hatte jedoch, ohne Rücksicht auf Dienstalter, die specielle Leitung der in der Gegend des Neumarkts postirten 11ten und 12ten Kompagnie seines Bataillons übernommen, und als er von den auf dem rechten Flügel für die 9te Kompagnie angeordneten Angriffsbewegungen Kenntniß erhalten hatte, beschlossen, diese Bewegungen durch ein gleichzeitiges Vorgehen von dieser Seite aus gegen die Schloßgasse und den Altmarkt zu unterstützen. Um 3 Uhr Morgens drang demzufolge eine Abtheilung der 11ten Kompagnie des 24ten Infanterie-Regiments unter dem Lieutenant von Arnim II. in das jenseitige Eckhaus der Sporer- und Schössergasse ein. Die erschreckten Bewohner verriethen, daß eine von den Insurgenten durchgebrochene Kommunikation durch die jenseitige (westliche) Häuserreihe der Schössergasse bis zur Rosmariengasse führe. Diese Verbindung war zwar theilweise wieder verbarrikadirt und von den Insurgenten vertheidigt, doch wurden dieselben aus einem Hause nach dem andern verdrängt, unter Mitwirkung eines anderen Theils der 11ten Kompagnie unter dem Hauptmann von Poser, welcher in der diesseitigen (östlichen) Häuserreihe der Schössergasse vorgedrungen war und von hier aus ein lebhaftes Feuer auf die dasselbe eben so erwiedernden Insurgenten in der gegenüberliegenden Häuserreihe unterhielt. – Eine dritte Abtheilung unter dem Lieutenant von Stosch drang in ähnlicher Art in der Sporergasse bis zur Schloßgasse vor.

Hierauf wurde ein Zug der 12ten Kompagnie unter dem Lieutenant von Lundblad vom Neumarkt bis zu der Ecke der Schösser- und Rosmariengasse vorgeschickt, ihm folgte der Hauptmann von Plessen mit einem zweiten Zuge der nämlichen Kompagnie, welcher sich, unter immer schwächer werdendem feindlichen Feuer, in den Besitz [211] der Barrikade an der Ausmündung der Schössergasse auf den Altmarkt setzte. Mit dem Rest der auf dem Neumarkt in Reserve gestandenen Abtheilungen seines Bataillons drang der Major v. Schrötter durch die Große Frauengasse und Badergasse ebenfalls bis zum Altmarkt vor.

Gleichzeitig hatte auch die 10te Kompagnie des 24ten Infanterie-Regiments vom Gewandhaus aus das an der Promenade gelegene Café français eingenommen und drang nun, so wie eine Sächsische Abtheilung, durch die Frohn- und Kreuzgasse nach der Kreuzkirche vor. Der Feind, welcher etwa um 8 Uhr Morgens von dem Thurm dieser Kirche dreimal drei Glockenschläge, als Signal zum allgemeinen Rückzüge, gegeben hatte, überließ auch diesen den Altmarkt beherrschenden Punkt ohne erheblichen Widerstand, und eben so fanden die auf den Thurm hinaufgeschickten Schützen keinen Gegner mehr zu bekämpfen, indem nun, gleichfalls etwa um 9 Uhr Morgens, aus allen Häusern, ja fast aus allen Fenstern, weiße Fahnen die Unterwerfung der Bewohner und ihre Bitte um Schonung aussprachen. Eine Abtheilung Sächsischer leichter Infanterie, welche den letzten, den Insurgenten noch offen gebliebenen Ausgang: das südliche Ende der Seegasse, hatten versperren sollen, kamen, auf einigen Umwegen durch Gärten aufgehalten, hier auch erst an, als keine Gegner, sondern überall nur noch Zeichen des Feindes sich zeigten.

So wie die Meldung von dem auf allen Punkten unaufhaltsam stattfindenden Vordringen der Truppen, so wie von dem beginnenden Abzuge der Insurgenten und ihrem immer mehr nachlassenden Widerstande nach der Neustadt gelangte, ließ, trotzdem einige unbefugte Unterhändler eine Art von Kapitulation versuchen wollten, der General-Lieutenant von Schirnding nicht allein die am Blockhause stehenden Pikets, sondern auch alle durch [212] den Generalmarsch aus ihren Quartieren zusammenberufene Abtheilungen des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments nach der Altstadt vorrücken.

Die Wegräumung der Blendung unter dem Georgenthore und der, wenn schon nicht mehr vertheidigten, Barrikaden[41] in der Schloßgasse hielten dies Vordringen so auf, daß diese Abtheilungen nur eben den Altmarkt erreichten, als die letzten Schüsse fielen und die Mannschaften des 24ten Infanterie-Regiments aus allen Straßen, ja fast aus allen Häusern sich auf dem Altmarkt zusammenfanden und sammelten. – Bei diesem Vorrücken gelang es einigen Offizieren nur mit großer Mühe einen ziemlich starken Trupp gefangener Insurgenten vor dem Niedermachen durch die erbitterten Soldaten, welche den Kampf zu Ende geführt hatten, zu schützen.

Auf dem Rathhause fanden sich, wenn auch nicht die Hauptführer des wirklichen Aufstandes, aber doch noch mehrere der ersten Aufreger des Volks vor, von denen der Advokat Blöde und der Dr. Minkwitz sofort verhaftet wurden. Der Oberst von Sichart wurde zum [213] Kommandanten der Altstadt ernannt und letztere durch 7 Kompagnien des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments militairisch besetzt. Das Rathhaus und die Post wurden je mit einer Kompagnie, die Frauenkirche, in welcher vorläufig alle Gefangenen untergebracht wurden, mit einem Zuge besetzt; die übrigen 5 Kompagnien standen auf folgenden Punkten: in der Nähe der Brücke über die Weisseritz nach der Friedrichstadt; an der Annenkirche; in der Gegend des Dippoldiswalder Platzes; am Judenteich; und in der Augustus-Allee; – jede die nächst gelegenen Schläge mit kleinen Detachements besetzend. Die Aufrechthaltung der Ordnung und die möglichste Verhinderung der Flucht der noch in der Stadt befindlichen Insurgenten, so wie die Wiederherstellung der freien Kommunikation im Innern der Stadt war die nächste Aufgabe dieser Abtheilungen, welche theilweise in sich darbietenden größern Räumen untergebracht wurden und für deren reichliche Verpflegung sowohl die Behörden, als die Bewohner der umliegenden Stadtbezirke sorgten. Ueberhaupt war schon in den ersten Stunden nach erkämpftem Siege keine Spur von Feindseligkeit, fast kaum noch eine Widerwilligkeit von Seiten der Bewohner Dresdens zu spüren.

Zur Verfolgung der flüchtigen Insurgenten wurden zwei Schwadronen und eine halbe reitende Batterie nachgesandt, doch wurden von diesen, wie von den bereits früher herangerückten Cernirungstruppen nur eine verhältnißmäßig geringe Anzahl von Gefangenen eingebracht, theils weil die größeren Abtheilungen der Insurgenten die Stadt schon vor Tagesanbruch verlassen hatten, theils wohl auch, weil es den noch zurückgebliebenen einzelnen Insurgenten häufig gelingen mochte, sich unter Verkleidungen, unter fremden Namen oder allerhand Vorwänden versteckt zu halten oder durchzuschleichen.

In den ersten Nachmittagsstunden, also mehrere Stunden nach Beendigung des Kampfes, trafen die ersten Truppen [214] der Division des Gen.-Lts. v. Holleben auf der Eisenbahn in Dresden ein. Schon Abends zuvor hatte auf die Aufforderung dieses Generals der Oberst-Lt. Graf Waldersee einen aus allen disponibeln Transportmitteln der Sächsisch-Schlesischen wie der Leipzig-Dresdner Bahn zusammengestellten Zug unter Bedeckung der 9ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, der die Pionier-Sektion des Bataillons beigegeben war, abgehen lassen. Um die Bahn gegen Zerstörung zu sichern, mußten auf den Hauptstationen bis Bauzen Detachements zurückgelassen werden, welche die ganze Nacht hindurch längs der Bahn patrouillirten; in Bauzen ward bei der Nachricht von der Ankunft der Kompagnie der gefangen gehaltene Major von Zeschau des Sächsischen Kriegsministeriums frei gelassen; jenseits Bauzen mußte die Kompagnie die Wiederherstellung der bereits wirklich zerstörten Bahn bewirken.

Bei Ankunft des General-Lieutenants von Holleben wurde von Seiten des Sächsischen Kriegsministeriums das Abkommen getroffen, daß alle im Königreiche außerhalb Dresden stehenden Sächsischen Truppen dem Befehle dieses Preußischen Generals untergeben sein sollten, während dem in Dresden den Oberbefehl führenden General-Lieutenant von Schirnding in Beziehung auf die Sicherheit der Residenz die fernere Disposition über die in der Stadt untergebrachten Preußischen Truppen verblieb.

Ein Theil der angekommenen Truppen (drei, jedoch nicht ganz vollständige, Bataillone) wurde, nachdem denselben einige Erfrischungen gereicht worden waren, unter dem Befehl des Oberst von Rommel den fliehenden Insurgenten nachgeschickt, konnte jedoch dieselben selbstredend nicht erreichen, da dies nicht einmal der bereits auf dem linken Elbufer stehenden Sächsischen Reiterei gelungen war.

Es war anfangs der Plan der Insurgenten gewesen, sich in Freiberg von neuem zu sammeln und es in dieser [215] Stadt auf einen abermaligen Kampf ankommen zu lassen. Die Bewohner der Stadt, die Einäscherung derselben befürchtend, hatten sich hiergegen jedoch so kräftig ausgesprochen, daß dieser Plan aufgegeben wurde und die noch in der Stärke von ohngefähr 1800 Bewaffneten beisammen befindlichen Insurgenten die Stadt verließen. Von hier an zerstreuten sie sich entweder gänzlich oder suchten in kleineren Haufen das insurgirte Südwest-Deutschland zu gewinnen.

Auch die Provisorische Regierung, nebst Bakunin, begab sich von Freiberg weiter nach Chemnitz, wo sie zwar bei der Ankunft sich noch als regierende Behörde geltend machen wollte, wo jedoch in der Nacht ein paar entschlossene Männer hinreichten, sich der Personen Heubner’s und Bakunin’s zu bemächtigen und sie nach Dresden abzuliefern. Dem radikalsten Mitgliede der gesprengten revolutionären Regierung, Tzschirner, gelang es sich zu retten.

In Dresden war mittlerweile zunächst folgende Bekanntmachung erschienen:

„Dresden am 9. Mai 1849.“
„Seit halb zehn Uhr Morgens schweigt das Feuer. Die ganze Altstadt ist in der Gewalt der Truppen. Die Rebellen fliehen nach allen Seiten.
Ministerium des Innern.
Richard von Friesen.“

Hierauf folgte nachstehende Königliche Proklamation:

„An das Sächsische Volk.“
„Sachsen! schwere Gefahr droht unserm schönen Vaterlande! Eine Anzahl theils Uebelgesinnter, theils Verführter, in Verbindung mit fremden Bösewichtern, sind bemüht, das Band zu lockern, welches seit Jahrhunderten Sachsens Volk mit seinen Fürsten verbunden hat. Sie [216] drohen Thron und Verfassung umzustoßen, Recht und Ordnung aufzuheben, Glück und Wohlstand nach allen Seiten hin zu vernichten; sie verschmähen es nicht, die verwerflichsten Mittel anzuwenden zu Erreichung ihrer verbrecherischen Zwecke. Wir nähern uns dem Abgrunde des Verderbens, wenn nicht die bewährte sächsische Treue, der gesunde Sinn einer an moralischer und geistiger Bildung so hoch stehenden Bevölkerung die Oberhand gewinnt.
Sachsen! blickt zurück auf die Zeiten des Friedens und der Eintracht, wo Glück und Segen über unsern blühenden Gefilden schwebten. Vergleicht damit die gegenwärtigen Zustände und fragt Euch, die Hand auf’s Herz, ob sie besser sind, als die frühern, ob Ihr glücklicher seid, als damals, ob Euer Wohlstand im Zunehmen oder Abnehmen begriffen ist. Fragt Euch mit Ernst und Gewissenhaftigkeit, was sicherer zum Heile des Ganzen und Einzelnen führt, wenn Fürst und Volk, mit gegenseitigem Vertrauen, Hand in Hand gehen, oder wenn Ihr feindlich Euerm König gegenübertretet, der, ich rufe Gott zum Zeugen an, kein anderes Streben kennt, keinen innigern Wunsch hegt, als das Glück, das Wohl seines Volkes?
Sachsen! könnt Ihr zweifelhaft sein? – Denkt an Euere Väter und Mütter, an Euere Frauen und Kinder, an Alle, die Euch theuer sind, an die folgenden Geschlechter, die Eurer fluchen oder Euch segnen werden! Denkt an die Verantwortung, die auf Euch ruht, an die Pflichten, die Euch mahnen! Kehrt zurück, die Ihr verführt oder verirrt seid, verschließt Euer Ohr den Einflüssen Fremder, welche Euch mißbrauchen, einzelner Ehrgeizigen und Habsüchtigen, die nur ihren eigenen Vortheil wollen. Vereinigt Euch Alle auf dem Wege der Pflicht, schart Euch um Euern König, unterstützt ihn und die rechtmäßigen Landesbehörden mit Kraft und Muth, damit Gesetz und Ordnung erhalten, die Verfassung geschützt, das theuere Vaterland gerettet werde! [217]
Vereinigt Euch mit mir zum innigen Danke gegen die tapfern Soldaten der vaterländischen Armee und die, auf gesetzlichem Wege herbeigerufenen, braven Königlich Preußischen Krieger, welche sieben Tage lang gekämpft, gekämpft haben für die gerechte Sache, mit einer Hingebung und Ausdauer, die über alles Lob erhaben ist.
Fürchtet Nichts für die gemeinsame deutsche Sache. Auch in meiner Brust schlägt ein deutsches Herz, auch ich will Deutschlands Größe und Glanz. Ich will aber, daß so erhabenes Ziel auf gesetzmäßigem Wege erreicht werde. Ich gab Euch mein Wort, mitzuwirken für Deutschlands Einheit. Ich habe es bis jetzt redlich gehalten und werde stets ihm treu bleiben. Die Annahme der von der Nationalversammlung in Frankfurt a. M. berathenen deutschen Verfassung habe ich nie unbedingt versagt; ich habe nur auf verfassungsmäßigem Wege und in Uebereinstimmung mit den größern Nachbarstaaten in dieser hochwichtigen Angelegenheit vorschreiten wollen. Daß in dieser Hinsicht etwas Anderes nicht geschehen konnte, wird jeder Unbefangene bei ruhiger Prüfung selbst ermessen.
Was bis jetzt hat angeordnet werden müssen, um durch außerordentliche Maßregeln Ruhe und Ordnung herzustellen, die Verfassung aufrecht zu erhalten, dem Gesetze Geltung zu verschaffen, war unvermeidlich, war hervorgerufen durch offenen Aufruhr, durch Gewaltthätigkeiten, ausgeführt mit den Waffen in der Hand. Ich mache mir darüber keinen Vorwurf; ich war in meinem Rechte, ich folgte dem Gebote der Pflicht und wahrlich nicht der leichtesten. Es wird auch ferner mit aller Kraft und Energie den Feinden des Vaterlandes entgegengetreten werden, aber unendlich wohl wird es meinem Herzen thun, wenn Ruhe und Ordnung wiederkehren, ohne daß Strenge angewendet zu werden braucht.
Festung Königstein, den 9. Mai 1849.
Friedrich August. Dr. Ferdinand Zschinsky.

[218] Dann ward auch, in Folge einer schon Tags zuvor gefaßten Entschließung des Staats-Ministeriums, die Stadt Dresden und deren Umgebung im Umkreis von 3 Meilen, von 6 Uhr Abends dieses Tages an, in Kriegsstand erklärt und dem General-Lieutenant von Schirnding der Oberbefehl in diesem Bezirke übertragen. In Folge dieses Kriegsstandes wurden alle politischen Vereine, so wie die Kommunalgarde bis auf Weiteres aufgelöst; die Ablieferung aller Waffen sollte binnen 24 Stunden erfolgen. Bei Tage wurde auf den Straßen keine Versammlung von mehr als 20 Personen, bei Nacht von mehr als 10 Personen gestattet. Auch die Presse unterlag einigen Beschränkungen, dagegen wurden dem Handel und Gewerbe keine Hemmnisse in den Weg gelegt. Die gesetzlich bestehenden Behörden blieben in ihren Funktionen, auch wurden die Gefangenen nicht dem Kriegsgerichte, sondern den Civilgerichten überwiesen.

Die Ablieferung der Waffen erfolgte ziemlich vollständig, wie denn schon gleich in den ersten Stunden nach Beendigung des Kampfes sich bedeutende Quantitäten derselben in und vor dem Rathhause auf dem Altmarkt aufhäuften. Auf dem nämlichen Platze hatten die Insurgenten vier der von ihnen gebrauchten kleinen Geschütze stehen lassen, und disponirte ein Befehl des General-Lieutenants von Schirnding über zwei derselben in nachstehender Weise:

„Divisions-Befehl.“
„Für die ausgezeichnete Tapferkeit und Hülfsleistungen der Königlich Preußischen Truppen werden die im Kampfe genommenen beiden Böller, der eine dem Korps-Kommandanten, Graf Waldersee, der andere dem Führer des muthigen Füsilier-Bataillons vom 24ten Infanterie-Regiments als Zeichen der Dankbarkeit und Anerkennung vom Divisions-Kommando verehrt.
Dresden, den 9. Mai 1849.   von Schirnding.“

[219] Von Seiten des Sächsischen Ministeriums erfolgte nachstehender Erlaß an die Truppen, welche an dem Kampfe Theil genommen hatten:

„Der Aufruhr in Dresden ist unterdrückt. Er ist es durch die unerschütterliche Pflichttreue, Tapferkeit und Ausdauer der Königlich Preußischen und Königlich Sächsischen Truppen.
Im Namen des Königlichen Gesammt-Ministeriums spreche ich den Truppen hierfür öffentlich den Dank aus.
Der Kriegsminister.
Rabenhorst.“
Auch von Seiten des Königs von Sachsen ward noch am nämlichen Tage nachstehender Dank erlassen:
„Preußische und Sächsische Soldaten!“
„Ich danke Euch für den Muth und die Ausdauer, die Ihr im Kampfe gegen die Anarchie bewiesen habt!
Festung Königstein, den 9. Mai 1849.
Friedrich August.
Bernhard Rabenhorst.“     

§. 16. Folgen des Kampfes, im Allgemeinen, wie insbesondere in Bezug auf die dabei betheiligten Preußischen Truppen.

So wie die nächste Folge des siegreich beendigten Kampfes die völlige Unterwerfung der empörten Hauptstadt war, so folgte diesem Resultate auch bald die Beruhigung des übrigen Landes. Freilich zeigten sich hier und da noch einzelne Nachwehen der gewaltigen Erschütterung aller Verhältnisse, doch kamen dieselben nirgends wiederum zum eigentlichen Ausbruche, wenn schon an manchen Orten des Landes ein solcher nur durch die Anwesenheit militairischer Streitkräfte verhütet wurde. Nicht nur ein Theil der Sächsischen Truppen, welche in Dresden gefochten hatten, sondern auch ein Theil der Preußischen [220] Division des General-Lieutenant von Holleben wurde hierzu verwandt. Letztgedachter General blieb mit einem Theile seiner überhaupt aus 11 Bataillonen, 2 Kavallerie-Regimentern etc. bestehenden Division bis zum 25sten Mai in Dresden, an welchem Tage er mit seinen Truppen in der Richtung nach Erfurt aufbrach, und von dort aus weiter nach Baden rückte.

Nach seinem Abmarsche blieb der Oberst Graf Waldersee, (der während der Anwesenheit des vorhergenannten Generals selbstredend unter dessen Befehl getreten war) mit dem Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments und einem Landwehr-Bataillon der Division Holleben in Dresden zurück, bis vom 4ten Juni ab die Brigade des General-Majors von Hobe, aus 4 Landwehr-Bataillonen bestehend, in Dresden eintraf und hier bis zum 15ten August verblieb. Die um diese Zeit nach Abschluß des Waffenstillstandes mit Dänemark aus Schleswig zurückkehrenden Sächsischen Truppen und die gleichzeitig eintretende Vermehrung der Sächsischen Armee schien von da ab die Anwesenheit Preußischer Truppen im Lande nicht mehr zu erfordern.


Auf die Wichtigkeit der siegreichen Entscheidung des Kampfes in Dresden hinzuweisen, dürfte kaum erforderlich sein. Er gab ein Vorspiel zu der Unterdrückung des Aufstandes in Baden und der Pfalz ab, welche Unterdrückung jedenfalls erst viel später hätte erfolgen können, wenn die Empörung in Dresden sich länger behauptet hätte, und sich dann auch höchst wahrscheinlich über einen großen Theil von Sachsen verbreitet haben würde.

Auch über die Tapferkeit, Ausdauer und Umsicht der kämpfenden Truppen und ihrer Führer sich noch weiter auszulassen, möchte überflüssig sein. Theils geht dies rühmliche Benehmen aus den Schilderungen hervor, welche [221] der Gegenstand dieser Blätter gewesen sind, theils wird es durch die mannigfachen Anerkennungen bezeugt, welche diesem Benehmen zu Theil wurden, – Anerkennungen, welche, in so weit sie nicht bereits angeführt sind, weiter unten nahmhaft gemacht werden sollen.

Außerdem sind noch allerhand Nachrichten und Notizen nachzuholen, welche sich auf den stattgehabten Kampf oder auf die in demselben thätig gewesenen, nahmentlich Preußischen, Truppentheile beziehen. Es sind dies:

die stattgehabten beiderseitigen Verluste;
die für die Verwundeten getroffene Fürsorge, so wie auch die für die Familien der Gefallenen;
die den Gefallenen zu Theil gewordenen Ehrenbezeugungen;
einige Notizen über den Verbleib der beim Kampfe betheiligt gewesenen Preußischen Truppentheile; :endlich die Anerkennungen für die ganzen Truppentheile, wie für Einzelne.

Der Verlust betrug:

1. Bei den Preußischen Truppen.
a) Beim Kaiser Alexander Grenadier-Regt.:
Todt: 2 Offiziere (Lieutenants v. Liebeherr II. und v. Kuylenstjerna);
2 Mann.
Verwundet: 26 Mann.
b) Beim Füsilier-Bataillon des 24ten Infanterie-Regiments:
Todt: 4 Mann.
Verwundet: 12 Mann (von denen später ein Sergeant an seiner Wunde starb),
zusammen Preußen: Todt 2 Offiziere
6 Mann.
Verwundet 38 Mann, wovon 4 später gestorben.

[222]

2. Bei den Sächsischen Truppen:
Todt: 2 Offiziere (General-Major und Kommandant
des Artillerie-Korps Homilius und
Lieutenant Krug- von Nidda vom
1sten Linien-Infanterie-Regiment),
20 Mann und zwar:
vom Leib-Infanterie-Regiment 4
vom 1sten Infanterie-Regiment 7
vom 1sten leichten Infant.-Bataillon 3
vom 2ten leichten Infant.-Bataillon 3
vom Fuß-Artillerie-Regiment 3
Verwundet: 7 Offiziere,
57 Mann (von denen später 3 an ihren Wunden gestorben).
Zusammen bei allen Truppen also:
Todt: 4 Offiziere,
26 Mann;
Verwundet: 7 Offiziere,
95 Mann (wovon 4 später gestorben).

Der Verlust der Insurgenten läßt sich nur annäherungsweise schätzen, weil viel Gefallene ohne Angabe der Todesart beerdigt, in die Elbe geworfen oder sonst bei Seite gebracht worden sein mögen, von den Verwundeten aber ein großer Theil sich hat fortschaffen oder in Privat-Wohnungen behandeln lassen, ohne daß sie zur Kenntniß der Behörden gekommen sind.

Nach amtlichen Nachrichten sind von den Insurgenten auf den Kirchhöfen 191 Gefallene und an ihren Wunden Gestorbene beerdigt worden. Rechnet man nur etwa ein Viertel dieser Zahl, deren Ueberreste eine andere Grabstätte gefunden haben, so läßt sich die Zahl der Todten auf ohngefähr 250 annehmen.

In öffentlichen Krankenhäusern waren in den ersten Tagen nach Beendigung des Kampfes 117 Verwundete untergebracht. Nimmt man die Zahl der in Privatwohnungen [223] Behandelten oder aus Dresden Fortgeschafften auf wenigstens eben so viel an, so ergiebt sich für die Zahl der Verwundeten auch ohngefähr die Ziffer von 250.

Bei einem Vergleiche mit dem Verlust der Truppen, der kaum das Drittel des der Insurgenten beträgt, stellt sich die schon bei dem Berliner Straßenkampfe im März 1848 gemachte Erfahrung von neuem heraus, daß geordnete Truppen stets weniger als ungeregelte Haufen verlieren, obgleich der Theorie nach gerade umgekehrt jene als Angreifer und als solche sich auf Straßen und Plätzen mehr dem feindlichen Feuer aussetzend, eigentlich mehr verlieren müßten. Die Ursache dieser, dem ersten Anschein nach unerklärlichen Erscheinung, (welche auch so oft Anlaß zu der Behauptung gegeben hat: daß die Truppen ihren Verlust verheimlichten), liegt darin, daß die Empörer in der Regel ihre Schüsse blindlings zu verknallen, und daher wenig mit ihnen zu treffen pflegen. Hier in Dresden erlitten die Insurgenten die meisten Verluste, außer durch das Geschütz und die Zündnadelgewehre, bei der Erstürmung einzelner Häuser durch die Truppen, so daß der Hauptverlust in dieser Beziehung wohl auch am letzten Tage eingetreten sein mag. Diesem Verluste in den von den Truppen mit Sturm genommenen Häusern ist auch wohl das große Mißverhältniß zwischen den Todten und den Verwundeten bei den Insurgenten zuzuschreiben. Während bei den Truppen die Todten nur etwa ein Viertel des ganzen Verlustes betragen, stellt sich bei den Insurgenten die Zahl der Todten wenigstens mit der der Verwundeten gleich.

Um einigermaßen das Verhältniß der einheimischen und fremden Elemente bei den Insurgenten beurtheilen zu können, ist eine Statistik ihrer Todten und Verwundeten in dieser Beziehung nicht uninteressant, indem wohl anzunehmen sein dürfte, daß der Verlust bei den verschiedenen [224] Kathegorien von Streitern, ziemlich in gleichem Verhältnisse zu deren Stärke gestanden hat.

Von den Todten ist über die Hälfte notorisch unbekannt, (also höchst wahrscheinlich Nicht-Deutsche oder dem untersten Proletariat angehörend) – ferner nicht ganz ein Viertel aus Dresden selbst, ein Achtel aus dem übrigen Königreiche Sachsen, ein anderes reichliches Achtel aus dem übrigen Deutschland.

Unter den in den öffentlichen Krankenhäusern behandelten Verwundeten stellt sich das Verhältniß anders. Völlig namenlos ist hier selbstredend Niemand geblieben, wenn auch mancher Ausländer sich einen falschen Namen und eine falsche Heimath beizulegen versucht haben mag. Nur 2 Individuen haben als ihre Heimath: Ungarn, dabei jedoch reindeutsche Namen angegeben. Aus Dresden selbst ist hier nur etwa ein Drittel, aus dem übrigen Königreiche Sachsen über die Hälfte, aus dem nicht-sächsischen Deutschland ohngefähr ein Achtel des Ganzen. Wenn sich schon aus dem Mißverhältniß der bekannt gewordenen Todten zu den bekannt gewordenen Verwundeten ergiebt, daß von letzteren mehr verheimlicht worden sein müssen, als von den ersten, so wird dies auch durch das ungleiche Verhältniß bei den verschiedenen Heimaths-Kathegorien erwiesen. Denn wenn unter den bekannt gewordenen Todten sich aus Dresden fast die doppelte Zahl als aus dem übrigen Theile des Königreichs vorfindet, so ist es bei den Verwundeten gerade umgekehrt; ein Beweis, daß von den einheimischen Verwundeten, (wie es auch in der Natur der Sache liegt), eine verhältnißmäßig größere Zahl in Privat-Wohnungen behandelt worden ist, als von den nicht aus Dresden selbst stammenden Deutschen. Die verwundeten Nicht-Deutschen, haben wahrscheinlich Alles aufgeboten, bei mitleidigen oder gleichgesinnten Familien ein schützendes Asyl zu erhalten oder, wo sie es noch irgend im Stande gewesen sind, sich fortschaffen zu lassen.

[225] Eine andere statistische Uebersicht der Todten und Verwundeten, nämlich nach den verschiedenen Ständen läßt einige Blicke in die Zusammensetzung der Insurgenten in dieser Beziehung thun, wenigstens den Antheil am wirklich durchgeführten Gefechte von Seiten der verschiedenen Standes-Kathegorien durchschauen.

Von den bekannt gewordenen Todten gehören nur 7, von den Verwundeten eben so viel den gebildeten Ständen in reiferem Alter an: wozu Advokaten, Notare, Literaten, Lehrer, Architekten und andere Künstler gerechnet werden; aus der jüngeren Generation dieser Kathegorie: Studenten, Expedienten, Handlungs-Commis, Turnern etc., sind 4 Todte und 3 Verwundete bekannt geworden. Alle Uebrigen gehören dem Handwerkerstande, vom Meister bis zum Lehrling, den Gewerben, den Hand-Arbeitern und Dienstboten an (letztere wohl meist zu den gezwungenen Kämpfern zu rechnen). Auch ein Kriegs-Reservist findet sich unter den Verwundeten, einige andere dieser doppelt Eidbrüchigen fanden, wie schon erwähnt, durch die Entrüstung ihrer ehemaligen Kameraden den Tod in den Wellen der Elbe.

Von den eigentlichen Führern der Insurgenten haben nur zwei nahmhafte das Leben eingebüßt: der Advokat Böttcher aus Chemnitz, welcher auf einer Barrikade am Neumarkt tödtlich verwundet wurde, und der Dr. Haussner aus Pirna, dessen Leiche sich in der Elbe fand.

Zu den Resultaten des Kampfes gehören noch die Gefangenen. Während des Kampfes und unmittelbar nach Beendigung desselben sind deren zwischen 300 bis 400 gemacht worden, sie wurden anfangs in der Frauenkirche, dann im Gewandhause untergebracht. Bei der fortschreitenden Untersuchung wurden viele derselben gegen Handgelöbniß entlassen (allerdings auch solche, welche überwiesenermaßen auf den Barrikaden gefochten, die Brandstiftungen veranlaßt oder sonst sich thätig bei der [226] Empörung erwiesen hatten); einige der am meisten Kompromittirten, namentlich auch Bakunin, wurden jedoch auf Anordnung des Militair-Kommando’s in engeren Gewahrsam nach den Kasernen der Neustadt gebracht.


Während die Verwundeten der Insurgenten, mit Ausnahme Derjenigen, welche häusliche Pflege fanden, in den öffentlichen Kranken-Anstalten untergebracht wurden, fanden die Preußischen und Sächsischen Verwundeten Aufnahme in dem Garnison-Hospital und in einem in der Militair-Bildungs-Anstalt eingerichteten Hülfs-Lazarethe. Wie die Truppen beider Armeen gemeinschaftlich und gemischt gekämpft hatten, so fanden sie auch hier gemeinsame ärztliche Hülfe und sorgsame Pflege von Seiten der Sächsischen Militair-Aerzte und der Sächsischen Hospital-Verwaltung. Es verdienen hier insbesondere der dankbarsten Erwähnung: die Hospital-Kommandanten Major v. Zeschau und Ober-Lieutenant Schön, der Regiments-Arzt Dr. Wessneck, die Bataillons-Aerzte Dietrich und Wilhelmy, die Schwadrons-und Kompagnie-Aerzte Schneider, Hocker, Riedel und Schephahn. – Die Sächsischen Administrativ-Behörden erklärten, daß die Verpflegung der Preußischen Verwundeten lediglich auf Sächsische Rechnung erfolgen werde, ohne daß dafür die Verwundeten, den sonst üblichen Gehalts-Abzug zu erleiden hätten. Die Verpflegung war nicht allein vollkommen ausreichend, sondern fanden auch noch zuweilen außergewöhnliche Spenden an Wein und anderen besonderen Stärkungen und Erquickungen statt.

Sowohl für die Verwundeten selbst, als für die hülfsbedürftigen Familien derselben und für die Hinterbliebenen der Gefallenen kamen reichliche Gaben ein, zu deren Verwaltung und Vertheilung sich ein Comité aus [227] einigen Offizieren des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments und dem Regiments-Arzte desselben bildete. Nächst bedeutenden Gnaden-Geschenken von Seiten des Königs und der Königin von Preußen zur besseren Pflege der Verwundeten, brachten auch zu diesem Zwecke veranstaltete Konzerte der Musikchöre beider Truppen reichliche Beiträge ein. Von einem in Dresden zusammengetretenen Vereine zur Unterstützung aller Derjenigen, ohne Ausnahme, welche durch den Aufstand hülfsbedürftig geworden waren, zweigte sich ein besonderer Verein, unter Vorsitz des Sächsischen Generals außer Dienst v. Aster ab, welcher sich insbesondere der Fürsorge für die verwundeten Militairs beider Armeen, wie für die Hinterlassenen der Gebliebenen, widmete.

Den hülfsbedürftigen Familien der Preußischen Verwundeten, so wie insbesondere den Hinterbliebenen der Gefallenen, wurden durch die Königin von Preußen je nach dem Bedürfnisse augenblickliche Beihülfe, oder lebenslängliche Unterstützungen ausgesetzt.


Auch dem Andenken der Gefallenen oder an ihren Wunden Gestorbenen wurde eine anerkennende Fürsorge gewidmet. Als am 10. Mai die Beerdigung der beiden gefallenen Preußischen Offiziere statt fand, wurde die übliche Trauer-Parade durch Sächsische Abtheilungen gestellt; fast alle Sächsische Generale und Offiziere folgten; am Grabe sprach, außer dem eigenen Regiments-Kommandeur der Gefallenen auch der Sächsische General Graf Holtzendorf einen ehrenden Nachruf. Aehnliches fand statt, als eine Anzahl gefallener Sächsischer und Preußischer Soldaten gemeinschaftlich zur Erde bestattet wurden, durch den Sächsischen Obersten v. Friderici.

Weiterhin bildete sich unter Vorsitz des Sächsischen Obersten v. Wurmb (dessen unermüdlicher Fürsorge für [228] die Verpflegung der Truppen, insbesondere auch der Preußischen, bereits weiter oben rühmend Erwähnung geschehen ist), und des Oberforstmeister v. Leipziger, ein Verein, um aus freiwilligen Beiträgen ein würdiges Denkmal für die im Kampfe gefallenen Militairs beider Armeen zu errichten.


Wenn im Eingange des gegenwärtigen Paragraphen eine Uebersicht der allgemeinen Folgen des Kampfes in Dresden gegeben worden ist, und jetzt hier einige sehr in’s Specielle gehende Nachrichten über den Verbleib und die ferneren Erlebnisse (namentlich in Dresden und Sachsen) der einzelnen Preußischen Bataillone, welche an den Mai-Kämpfen Antheil genommen hatten, folgen sollen, so befürwortet der Verfasser dies einestheils damit, daß diese Nachrichten doch gewissermaßen zur Abrundung der ganzen Schilderung dienen, andererseits mit dem Interesse, welches dieselben für die Erinnerung der Mithandelnden haben.

Am 11ten Mai Mittags rückte auf Anordnung des Preußischen Kriegsministeriums das Füsilier-Bataillon des 24. Infanterie-Regiments aus Dresden ab und fuhr auf der Eisenbahn nach Halle, um zu der sich hier sammelnden Division des General-Lieutenants Fürst Radziwill zu stoßen. Kaum hier angekommen, machten unruhige Bewegungen in der Provinz Westphalen seine Absendung dorthin nothwendig. Hier war es, wo beim Einrücken in Iserlohn der wegen seines rühmlichen Benehmens in Dresden mittlerweile zum Oberst-Lieutenant ernannte Kommandeur dieses Bataillons, Schrötter, von der meuchelmörderischen Kugel eines Insurgenten fiel[42]. – Auch hier aber war für das Bataillon [229] keines Bleibens: es rückte eiligst nach Baden und nahm dort wiederum rühmlichen Antheil an der Unterdrückung der Empörung und der Anarchie.

Ebenfalls am 11ten Mai Mittags wurde auf Befehl des General-Lieutenants v. Holleben die 2te und 3te Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments nach Riesa und Röderau zur Sicherung der dortigen Bahnhöfe geschickt. Am folgenden Tage rückte, während der 2ten Kompagnie jener erste Auftrag allein anheim fiel, die 3te Kompagnie nach Waldheim, wo unruhige Bewegungen zur Befreiung der dortigen Zuchthaus-Gefangenen befürchtet wurden, welche bei Ankunft der Kompagnie jedoch nicht auszubrechen wagten.

Am 16ten Mai kehrte auf Anordnung des Preußischen Kriegsministeriums das 1ste Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments auf der Eisenbahn nach Berlin zurück, indem die aus Dresden zurückkehrenden beiden Kompagnien in Röderau die beiden detachirten Kompagnien, auch die aus Waldheim dahin zurückgekehrte, aufnahmen. Das Bataillon wurde in Berlin von dem größten Theile der Bevölkerung mit Jubel und Ehrenbezeugungen empfangen, denen nur einige vereinzelte Insulten durch Mitglieder der untersten Volksklassen beigemischt waren.

Das Füsilier-Bataillon, so wie der mittlerweile zum Obersten beförderte Regiments-Kommandeur, blieben in Dresden zurück. Das Bataillon versah gemeinschaftlich mit den successive durch und nach Dresden rückenden Truppen der Division Holleben und der Brigade Hobe, so wie gemeinschaftlich mit den die Besatzung Dresdens bildenden Sächsischen Truppen, den Sicherheitsdienst, der in einzelnen Perioden die Kräfte der Mannschaften ziemlich bedeutend in Anspruch nahm. Auch nahm das Bataillon Antheil an der Ueberwachung der Umgegend, welche, besonders behufs der Durchführung der angeordneten [230] Waffen-Abnahme im Belagerungs-Bereiche und der Sicherung der eingeleiteten Untersuchungen, durch einzelne Detachements bewerkstelligt wurde.

Während des ganzen Aufenthalts in Dresden fand das Bataillon (wie alle übrigen Preußischen Truppen überhaupt) die gastfreundlichste Aufnahme von Seiten der Dresdner Einwohnerschaft, und zwar sowohl in der Neustadt als in der Altstadt, in welchen beiden Stadttheilen von Zeit zu Zeit abwechselnd das Bataillon seine Quartiere erhielt. Von Seiten der Behörden wurde diese freundliche Aufnahme nicht allein bereitwilligst unterstützt, sondern auch den Preußischen Militairs, manche rücksichtsvolle Aufmerksamkeit erwiesen, ihnen z. B. die Sammlungen und Museen gezeigt, täglich eine Anzahl Theater-Billets verabreicht und dgl. – Ohne Ausnahme bestrebten die Mannschaften des Bataillons sich, diesen ihnen erwiesenen Rücksichten durch anständiges und bescheidenes Benehmen zu entsprechen.

Daß es auch an vereinzelten Verdächtigungen und Schmähungen gegen die Preußischen Truppen, besonders in der, trotz der Erklärung des Kriegszustandes sich in ungehinderter Freiheit bewegenden, Tages-Presse nicht fehlte, lag in der Natur der Sache und war nicht anders zu erwarten. Das Gefühl, zu dergleichen Angriffen keinerlei Veranlassung gegeben zu haben, ließ dieselben leicht verschmerzen.

Wie bereits weiter oben erwähnt, herrschte in der ganzen Zeit der Anwesenheit des Bataillons das kameradschaftlichste Einverständniß zwischen den Sächsischen und Preußischen Militairs aller Grade und ist dies Einverständniß auch nicht ein einziges mal gestört worden. Einige militairische Festlichkeiten, bei welchen die Mannschaften beider Armeen bewirthet und durch allerhand Wettspiele u. dgl. ergötzt wurden, brachten die erfreuliche Einigkeit, welche herrschte, besonders zur Anschauung.

[231] Nachdem bei der sich immer mehr befestigenden Ordnung und Ruhe im Lande, der König von Sachsen und die gesammte Königliche Familie am 5. Juli den Königstein verlassen und den gewöhnlichen Sommer-Aufenthalt in dem Lustschlosse Pillnitz bezogen hatten, fand daselbst am 10ten eine Musterung der noch in Dresden anwesenden Preußischen und Sächsischen Truppen, welche bei den Kämpfen betheiligt gewesen waren, statt. Das Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments nahm Preußischerseits hieran Theil. Nachdem der König unter Erweisung der militairischen Ehrenbezeugungen und unter kriegerischem Zurufe die Front der aufgestellten Abtheilungen heruntergeritten war, sprach derselbe den Truppen seinen Dank für ihre erwiesene Pflichttreue, Tapferkeit und Ausdauer aus, und überreichte dem General-Lieutenant v. Schirnding unter einigen anerkennenden Worten die Insignien des ihm verliehenen Sternes des Heinrichs-Ordens. – Nach dem Vorbeimarsch vor dem Könige wurden die Truppen im Schloßgarten von Pillnitz in Gegenwart der ganzen Königlichen Familie an bereit stehenden Tafeln bewirthet. Der König brachte das Wohl der Truppen aus, was mit mehrfachen Lebehochs auf ihn und das Königliche Haus erwiedert wurde. Ein anständiger Frohsinn der Mannschaften und die wiederum sich zeigende Kameradschaftlichkeit zwischen den Preußischen und Sächsischen Truppen zeichnete dies wahrhaft militairische Fest aus.

Als officieller Ausdruck des wiederholt erwähnten vorzüglichen Einverständnisses zwischen den beiderseitigen Truppen mögen hier einige darauf sich beziehende Ansprachen Platz finden, welche bei geeigneten Veranlassungen einander schriftlich überreicht wurden. Zunächst Sächsischerseits nachstehende:

„Die bei dem Straßenkampf in Dresden betheiligt gewesenen Sächsischen Krieger, an ihre Waffenbrüder der Königlich Preußischen Armee.“ [232]
„Kameraden! Als in jüngster Zeit schwere Gefahr über unserm theuren Vaterlande schwebte, und unsere Kräfte nicht ausreichten zu dessen Schutz und Rettung, da eiltet Ihr herbei zu unserer Unterstützung!
Ihr theiltet freudig mit uns den blutigen Kampf gegen hochverrätherische Rotten, welche meineidig und gewissenlos dahin trachteten, Gesetz und Ordnung umzustürzen, die sich nicht scheuten, zur Erreichung ihrer verbrecherischen Zwecke, Unglück und Verderben zu verbreiten über unsere schönen Gefilde!
Ihr gabt uns ein erhebendes Beispiel von glänzender Tapferkeit und treuer Hingebung für eine gerechte Sache!
Ihr bewährtet auf das Vollständigste den Ruf, der Euch vorangegangen war!
Wir zollen Euch die innigste Anerkennung, den aufrichtigsten Dank!
Ewig unvergeßlich werden uns die Tage bleiben, wo wir als Kampfgenossen neben einander standen, und ein enges, unauflösliches Band hoher Achtung und wahrer Kameradschaft wird fortan Preußens und Sachsens Krieger umschlungen halten!
Unser gemeinschaftlicher Wahlspruch sei:
Treu unserem Eide und unserer Soldatenpflicht, Mit Gott für König und Vaterland!
Dresden, den 25. Mai 1849.
v. Schirnding, General-Lieut.“

Als Antwort hierauf dienten folgende Worte:

„Die bei dem Kampfe in Dresden betheiligt gewesenen Preußischen Krieger an ihre Waffenbrüder des Königlich Sächsischen Heeres!“
„Kameraden! Mit Freuden eilten wir herbei, mit Euch gemeinschaftlich den Kampf gegen Aufruhr und Hochverrath zu bestehen. [233]
Wir fanden in Euch, wie wir es mit voller Zuversicht erwartet, ein Vorbild aller Soldaten-Tugenden: der unerschütterlichsten Pflichttreue, der kaltblütigsten Unerschrockenheit, der beharrlichsten Ausdauer!
Wie uns dies mit Bewunderung erfüllte, so erfreute uns die waffenbrüderliche Aufnahme, die wir bei Euch fanden. Die Tage in Dresden werden uns unvergeßlich bleiben, – zunächst die des gemeinschaftlich mit Euch siegreich durchgeführten, hartnäckigen Kampfes; dann auch die Tage des friedlichen Genusses der wieder beruhigten schönen Hauptstadt, der uns durch Euer kameradschaftliches Entgegenkommen erhöht wurde.
Das Band der ächten Einheit, das der uralten Deutschen Treue gegen angestammte Fürstenhäuser, das zwischen uns auf blutigem Felde neu geknüpft wurde, wird nie gelöst werden!
So sprechen wir denn Euch unsere hohe Anerkennung, wie unsern herzlichen Dank aus und stimmen aus voller Seele ein, in den von Euch, als Panier der gemeinsamen Waffen-Ehre uns dargebrachten Wahlspruch:
Treu unserem Eide und unserer Soldaten-Pflicht!
Mit Gott für König und Vaterland!
Dresden, den 21. Juni 1849.
Im Namen des 1sten und Füsilier-Bataillons des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments und des Füsilier-Bataillons 24sten Infanterie-Regiments.
Graf v. Waldersee, Oberst.“

Dem Füsilier-Bataillon des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments ward vor seinem Abmarsche von Dresden noch folgender Scheidegruß übergeben:

„An das Königlich Preußische Füsilier-Bataillon vom Garde-Regiment Kaiser Alexander!“
„Ihr waret die ersten Waffenbrüder der tapferen Preußischen Armee, die uns im blutigen Kampfe die Hand [234] gereicht; ein Kampf für König, Ordnung und Gesetz. Mit Jubel sahen wir Euch kommen, mit Wehmuth sehen wir Euch scheiden. Als Soldaten, wie wir Euch erkannt, gehört Euch unsere ganze Liebe. Geschlossen ist der Bund der Waffenbrüderschaft, im Feuer empfing er seine Weihe. Vereint mit Euch floß unser Blut für eine große heilige Sache, vereint in einem Grabe ruhen sie, die Opfer jener heißen Tage. Vereint stehen wir für König und für Vaterland. Gott war mit uns, und wird mit uns auch ferner bleiben. Der Zukunft blicken wir getrost entgegen, weil unsere Fürsten uns zusammengestellt, an Eurer Seite giebt es ja nur den Weg der Pflicht und Ehre, und wie zu fechten und zu siegen Ihr versteht, das haben wir mit Lust erkannt.
Lebt wohl, geliebte Waffenbrüder!
Ein Hoch dem Fürsten, der Euch zu uns gesandt!
Ein Hoch dem Fürsten, der Euch zu uns gerufen!
Ein Hoch dem tapferen Regiment Alexander!
Die im Mai 1849 in Dresden vereinigt gewesenen Sächsischen Truppen.“

Am 15ten Juli kehrte das mehrgedachte Füsilier-Bataillon auf der Eisenbahn nach Berlin zurück und wurde hier mit vielen Ehren-Bezeugungen empfangen.


Den Schluß der gegenwärtigen Schrift möge eine Erwähnung der Anerkennungen bilden, welche den an dem Kampfe in Dresden betheiligten Preußischen Truppentheilen und einzelnen Individuen derselben in Folge ihres Wohlverhaltens zu Theil geworden sind.

In einem eigenhändigen Schreiben Sr. Majestät des Königs an den Oberstlieut. Graf Waldersee vom 8ten Mai kommt nachstehende die Truppen hochehrende Stelle vor: [235]

„Die Berichte über das herrliche Benehmen der Offiziere und Grenadiere entzücken mich und erfüllen meine Augen mit Thränen. Sie kommandiren wahrlich ein prächtiges Regiment und ich möchte alle Ihre Leute küssen. O! könnt’ ich dabei sein! Sagen Sie den Offizieren und Soldaten meinen allerherzlichsten Gruß und daß der harte Kampf, den sie, würdig des Preußen-Namens, beständen, die Wendung des Unglücks von Deutschland in sich faßte. Ich wünschte ihnen Glück zu der Ehre und dem Ruhme.“

Ein zweites Allerhöchstes Handschreiben, am 10ten Mai, nach Eingang der durch den Lieutenant und Regiments-Adjutanten v. Hülsen, überbrachten Nachricht von der siegreichen Beendigung des Kampfes erlassen, enthielt die Worte:

„Ich wünsche dem Obersten[43] Grafen Waldersee und seinen herrlichen Offizieren und Soldaten Glück zum glorreich beendigten Kampf in Dresden.“

Späterhin nachdem die Vorschlagslisten zu Auszeichnungen für diejenigen Individuen, welche sich besonders hervorgethan hatten, eingegangen waren, verlieh Se. Majestät der König, mittelst Kabinets-Ordre vom 9ten Juni, indem Allerhöchstderselbe im Allgemeinen dem rühmlichen Verhalten der Offiziere und Soldaten der betreffenden Truppentheile die vollste Anerkennung widerfahren ließ, für vorzugsweises Hervorthun folgende Ehrenzeichen:

Den Rothen Adler-Orden 4. Klasse mit den Schwertern: den Hauptleuten v. Alvensleben und v. Budritzky, den Seconde-Lieutenants v. Eberstein, v. Brandenstein, v. Stückradt I. und [236] v. Reibnitz des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, dem Hauptmann Malotki- v. Trzebiatowski, den Seconde-Lieuts. v. Horn und v. Glasenapp des 24. Infanterie-Regiments;
das Militair-Ehrenzeichen 2. Klasse: an 25 Individuen vom Feldwebel abwärts des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments und an 8 Individuen des 24sten Inf.-Regts.

Von Seiten Sr. Majestät des Königs von Sachsen wurde allen vorstehend genannten Offizieren das Ritterkreuz des Militair-St. Heinrichs-Ordens, außerdem dem Oberst Graf Waldersee und dem Major Graf Rödern das Komthur-Kreuz des Verdienst-Ordens 1ster, resp. 2ter Klasse, ferner die silberne Medaille des Militair-St. Heinrichs-Ordens an 65 Individuen des Kaiser Alexander Grenad.-Rgts. und an 23 Individuen des 24. Inf.-Regts. verliehen.

Auch durch Se. Majestät den Kaiser von Oesterreich erfolgte die Verleihung des Leopold-Ordens 3ter Klasse an die Hauptleute v. Alvensleben, v. Budritzky und Malotki- v. Trzebiatowski, des Ordens der eisernen Krone 3. Klasse an den Seconde-Lieutenant v. Glasenapp, so wie einer goldenen und zweier silbernen Tapferkeits-Medaillen an jedes der 3 beim Kampf betheiligten Bataillone.

Von Preußischer Seite wurden an Sächsische Militair-Personen verliehen:

der Rothe Adler-Orden 1. Klasse mit Schwertern, dem General-Lieutenant und Divisions-Kommandeur v. Schirnding;
der Rothe Adler-Orden 2. Klasse mit Schwertern: den Obersten v. Sichart und v. Friderici, Kommandanten resp. des Leib- und des 1sten Inf.-Regts.;

[237]

der Rothe Adler-Orden 2. Klasse: dem Obersten und Kasernen-Kommandaten v. Wurmb;
der Rothe Adler-Orden 3. Klasse mit Schwertern: dem Major v. Hausen vom 1. Inf.-Regt. und dem Rittmeister v. Uckerman vom Garde-Reiter-Regiment;
der Rothe Adler-Orden 3ter Klasse: dem Major und Hospital-Kommandanten v. Zeschau und dem Regiments-Arzte Wessneck;
der Rothe Adler-Orden 4ter Klasse mit Schwertern: dem Lieut. Almer vom 1. Schützen-Bataillon und dem Lieut. v. Stranzki vom Garde-Reiter-Regt.;
das Militair-Ehrenzeichen 2. Klasse: dem Sergeant Enke vom 1. Schützen-Bataillon, dem Kommissariats-Unteroffizier Franz und dem Ober-Kanonier Moch.

Durch welche besondere Thaten und Leistungen die vorstehend genannten Individuen sich der ihnen zu Theil gewordenen Auszeichnungen würdig erwiesen haben, geht zwar in Bezug auf einzelne derselben aus der in den betreffenden Paragraphen enthaltenen Gefechts-Relation hervor, – dies bei allen nachzuweisen, würde jedoch die Schranken dieser Blätter überschreiten heißen. Es sei nur erwähnt, daß wenn einerseits die Zahl der mit Ehrenzeichen Bedachten verhältnißmäßig ziemlich groß erscheint, dies Verhältniß durch die Eigenthümlichkeit der stattgehabten Gefechte, welche eben vielen Einzelnen Gelegenheit zur Auszeichnung darbot, vollkommen gerechtfertigt ist, – daß andererseits aber auch bei dieser Eigenthümlichkeit, namentlich bei der Vertheilung der Truppen in lauter kleine, in einzelnen Häusern getrennt von einander kämpfende, Abtheilungen, es vielleicht schwerer als irgend je war, die Würdigsten zu ermitteln. Noch manche [238] heldenmüthige That mag unbekannt und unbelohnt geblieben sein, – das innere Gefühl der im vollsten Maße ehrenvoll erfüllten Pflicht muß hier den äußeren Lohn ersetzen!

Als dauerndes ehrenvolles Erinnerungs-Zeichen an die Kämpfe in Dresden dient endlich, nächst Demjenigen, was Tradition und Kriegsgeschichte aufbewahren wird, für die gesammten Truppentheile das Fahnen-Band, welches durch Se. Majestät den König von Sachsen jedem der 3 Bataillone, welche in Dresden gefochten, verliehen worden ist. Es mag den späteren Mitgliedern dieser Bataillone in das Gedächtniß rufen, daß ihre Vorgänger dem Preußischen Namen, wie theilweise schon im vorangegangenen Jahre in Schleswig, so auch hier in Dresden von neuem Ehre gemacht und den Erwartungen des Königs und des Vaterlandes rühmlichst entsprochen haben.

Gefechts-Plan von Dresden

  1. Unter diesen Künstlern befand sich auch ein vom Hofe stets mit Gnade überhäufter Kapellmeister. Selbst eine Jeanne d’Arc der Revolution (als Gegensatz des für die Legitimität kämpfenden Urbildes) fand sich in einer Künstlerin, welche selbst auf den Barrikaden als begeisterte Freiheits-Predigerin, jedoch mit geringeren Erfolge, als früher auf der Bühne, aufgetreten sein soll. Auch andere Kämpferinnen sollen den Kampf an der Seite oder auf den Leichen geliebter Barrikadenhelden mitgefochten haben.
  2. Nach der, behufs der Erhöhung der Zuversicht der eigenen Parthei, und behufs der Einschüchterung der Gegenparthei, offenbar übertriebenen eigenen Angabe der Führer der Empörung standen ihnen 12000 bis 20000 Bewaffnete zu Gebote.
  3. Der Verfasser hebt dies hier besonders heraus, in der auf die Lehren der Kriegsgeschichte begründeten Ueberzeugung, [16] daß es nur verderblich wirkt, wenn der Generalstabs-Offizier seinen Wirkungskreis überschätzt, und statt des Postens eines unentbehrlichen, unschätzbaren Gehülfen des Befehligenden selbst die Rolle des hinter den Kulissen Leitenden, des: „Faiseurs“, übernehmen will.
  4. Noch vor wenigen Jahren war der Minister Rabenhorst Hauptmann 2ter Klasse im Artillerie-Regiment. Noch als solcher, jedoch mit dem Karakter eines aggregirten Majors, wurde er als Militair-Bevollmächtigter beim Bundestage nach Frankfurt gesendet, in welcher Stellung er dann die Befähigung zu seinem darauf folgenden hohen Wirkungskreis in letzter Instanz bewährte und darthat. Am 18ten Mai 1849, am Geburtstage des Königs, ward er, in Anerkennung seiner Verdienste während des Aufstandes, zum General-Major ernannt.
  5. Der General-Lieutenant v. Schirnding hielt sich fast Tag und Nacht entweder auf dem Platze am Blockhause, oder auf der Elbbrücke, oder am Platze am Schlosse auf, auf welchen [17] Punkten alle Meldungen zusammenliefen und von welchen aus alle Befehle nach vorn wie nach rückwärts, nach der Gefechtslinie, wie nach den Reserven und den außerhalb der Stadt befindlichen Abtheilungen, auf dem kürzesten Wege sich befördern ließen.
  6. Da mit Herausgabe gegenwärtiger Schrift nicht bloß eine Befriedigung der Neugier des militairischen Publikums, sondern auch die Entwickelung lehrreicher Nutzanwendungen der gemachten Erfahrungen bezweckt wird, so möchten hier einige Bemerkungen an ihrer Stelle sein. Zunächst erscheint es dringend erforderlich, sowohl das Schanzzeug der Truppen, als auch die Werkzeuge der Pioniere in besserer Qualität als bisher herzustellen; so wie auch auf den Fahrzeugen einige Brecheisen mitzuführen. Demnächst ist die Errichtung eigener Pioniere bei den Truppentheilen, nach Art der Französischen Sappeurs, oder der bei vielen andern Armeen, nahmentlich auch der Sächsischen, bestehenden Zimmerleute, höchst wünschenswerth. – Als das dem Verfasser untergebene Kaiser Alexander Grenadier-Regiment die erste Preußische Truppe war, welche am 5ten April 1848 in Rendsburg einrückte, war es bei Erkennung des Kniggen-Terrains der schleswigschen Halbinsel eine der ersten Maaßregeln, bei jedem Bataillon des Regiments eine Pionier-Section zu errichten, aus Zimmerleuten und anderen ähnlichen Handwerkern und Handarbeitern bestehend, welchen das sogenannte große Schanzzeug (Aexte, Hacken, Picken und Spaten) permanent übergeben wurde und welche unter der Führung eines geeigneten Unteroffiziers eine eigene, in der Regel an der Tete des Bataillons marschirende, zu keinem andern Dienste heranzuziehende, Abtheilung bildeten. Diese Einrichtung, welche späterhin auf höheren Befehl bei allen auf dem dortigen Kriegsschauplatz befindlichen Preußischen Fuß-Truppen nachgeahmt wurde, bewährte ihren Nutzen in dem hierauf folgenden Feldzug auf die mannigfachste Weise. – Beim Abrücken nach Dresden wurde für die beiden Bataillone des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments diese Einrichtung sofort wieder ins Leben gerufen und erwies hier nicht allein ihren Nutzen, sondern geradezu ihre Unentbehrlichkeit. – Die anderweitig in Vorschlag gebrachte Einübung aller Mannschaften der Infanterie im Pionier-Dienst kann jene Einrichtung nicht ersetzen, da sie immer nur eine sehr mäßige Fertigkeit des Einzelnen hervorzubringen vermöchte. – Der Einwand: die bei den Truppen befindlichen Pioniere würden in gewöhnlichen Zeiten [23] nur eine Last für die Truppen, eine Quelle des Müßiggangs für die Pioniere sein, ist nicht stichhaltig. Auch im Frieden läßt sich die technische Fertigkeit solcher Arbeiter: an den Schießständen, in den Kasernen etc. auf das vielfachste verwerthen, und daß sie nicht zu unmilitärischen: „Ouvriers“ herabsinken, dafür sorge die ihnen beizulegende und aufrecht zu erhaltende Eigenschaft als Elite-Soldaten; (in der Preußischen Armee freilich etwas kärglich durch den Gefreiten-Titel und die Gefreiten-Zulage ausgedrückt). Der Napoleonsche Sappeur war sich dieser Eigenschaft, die ihn bei Stürmen etc. auf den gefährlichsten Posten berief, sehr wohl bewußt, zeigte dies Bewußtsein auch in seiner martialischen Haltung. – Je kultivirter und folglich durchschnittener die Kriegsschauplätze werden, je mehr der Kampf in Städten eine Hauptrolle in den Feldzügen zu spielen bestimmt scheint, desto unabweislicher wird die vorgeschlagene Einrichtung.
  7. Auch in dem, gegenwärtiger Schrift beigefügten, Plane sind sie eingetragen.
  8. Als Beweis hierfür dient auch ein vorgefundenes Siegel der Provisorischen Regierung, an dem nach dem Gutachten von Sachverständigen wenigstens 14 Tage hat gearbeitet werden müssen.
  9. Diese, auch in andern insurgirten Städten beim Ausbruche ernstlicher Unruhen nothwendig gewordene, Maßregel, zeigt, wie fehlerhaft es ist, viele kleine Wachen zu geben. Nachdem neuerdings fast überall dem Militair die Polizei-Gewalt in friedlichen Zuständen abgenommen ist, haben solche Wachen unter gewöhnlichen Verhältnissen gar keinen Zweck und so wie mißliche Umstände eintreten, müssen sie eingezogen werden; warum also überhaupt dergleichen geben und dadurch den Dienst in den Garnisonen nutzlos erschweren?
  10. Auch hier wiederholte sich die in fast allen Revolutionen vorkommende Erscheinung, daß Aufrührer, wenn auch ihr letzter Zweck auf die Vernichtung des Königthums hinausgeht, doch anfangs aus allen Kräften zu verhindern suchen, daß der Monarch die empörte Hauptstadt verlasse. Es liegt darin das Gefühl, daß mit der zu frühzeitigen offenen Erklärung der Republik, der Aufruhr bei der Mehrzahl des Volkes keinen Anklang finden würde und daß es zur Erlangung dieses [59] Endzieles anfangs noch des Namens und Schattens des Königthums, der scheinbar freiwilligen, faktisch jedoch erzwungenen Einwilligung des Monarchen in alle sich steigernde Forderungen der Revolutionsparthei, und der allmähligen Herabwürdigung des Königlichen Ansehens und der Königlichen Person bedarf.
  11. Als am 10ten Juli 1849 der König von Sachsen den Sächsischen und Preußischen Truppen, welche am Kampfe in Dresden Theil genommen, nach abgenommener Musterung und nach anerkennenden Worten, im Garten zu Pillnitz ein Fest bereitete, trat der für seine That mit dem Ehrenzeichen geschmückte Zimmermann Richter aus den Reihen seiner Kameraden vor und brachte das Wohl des Monarchen aus, für den sie gefochten. Ihm, der den ersten Schuß zum Schutz des Throns im entscheidenden Augenblicke abgefeuert, kam es wohl zu, auch hier beim friedlichen Feste seinen Kameraden voranzugehen!
  12. Ein anderer Offizier machte in einem Anfall von Aufregung über die stattfindenden Zustände seinem Leben freiwillig ein Ende.
  13. Es werde nicht übersehen, daß hier das Verfahren der Insurgenten aus dem Standpunkte der wissenschaftlichen Kritik beurtheilt wird, die jedes, auch das moralisch verwerflichste, Mittel anführen muß, das zur Erreichung des militärischen Zweckes der Empörer: Besiegung der Regierungs-Truppen, dienen konnte, ohne damit diese Mittel in politischer Beziehung gut heißen zu wollen.
  14. Sollte in den nachfolgenden Betrachtungen ein Widerspruch mit sich selbst, oder doch eine Unbestimmtheit in den ausgesprochenen [95] Urtheilen gefunden werden, so möge hier darauf hingewiesen werden, daß es in der Kriegskunst für jeden bestimmten Fall keineswegs auch ein bestimmtes Verfahren giebt, das unbedingt als das zweckmäßigste, oder gar als das allein richtige, anzuerkennen wäre. Im Gegentheil tritt selten eine militairische Lage ein, in der man nicht durch verschiedene Verfahrungsweise zum Ziele gelangen könnte, insofern nur das eingeschlagene Verfahren (vorausgesetzt, daß es nicht ganz widersinnig ist) an und für sich energisch und konsequent durchgeführt wird. Wohl mag diese Ansicht Vielen als eine Ketzerei gegen die allein zum Erfolg führenden sogenannten Lehrsätze der Taktik erscheinen. Es soll auch diese Ketzerei keinesweges so weit getrieben werden, daß behauptet wird: im Kriege führten alle Wege zum Ziele. Betrachtet man die Kriegsgeschichte jedoch mit unbefangenem Auge, so wird man die Ueberzeugung gewinnen, daß es im Kriege viel weniger darauf ankommt, was man thut, als wie, wie man es thut, oder anders ausgedrückt: daß nicht die strategische oder taktische Richtung, die eingeschlagen wird, entscheidet, sondern die Kraft, mit der die eingeschlagene Richtung verfolgt wird. Diesen rothen Faden verfolgend, läßt zwar die nachfolgende Betrachtung dem hier in Dresden eingeschlagenen Wege alle Gerechtigkeit widerfahren, gesteht jedoch auch andern (wenn auch nicht allen) Operationsweisen, welche erwählt werden konnten, die Möglichkeit des Gelingens zu.
  15. In der Schrift: „Der Aufstand in Dresden. Politisch und militairisch betrachtet, von einem sächsischen Offizier und Augenzeugen. Leipzig, J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung. 1849.“
  16. Man würde gegen dieses Verfahren vielleicht den beliebten Tadel ausgesprochen haben: man hätte auf diese Weise den [107] Stier bei den Hörnern angefaßt. Wie trügerisch solche sprichwörtliche Redensarten an sich sind, bedarf wohl keiner Ausführung; es bedarf in dieser Beziehung nur der Hinweisung auf einen der fehlerhaftesten Sprüche dieser Art: „man müsse dem geschlagenen Feinde goldene Brücken bauen“. – Aber auch lediglich als Vergleich genommen, ist der zuerst angeführte Spruch nicht einmal richtig: der wirkliche Stierkämpfer erfaßt gerade zuweilen die Hörner des vierbeinichten Gegners, um ihren Stoß unschädlich zu machen!
  17. Diese Sicherung blieb in den ersten Kampftagen jedoch nur eine unvollkommene. Durch das (erst später mit Blendungen versehene) Georgen-Thor schlugen die darin abprallenden Böller-Geschosse über die Mitte des Schloßplatzes hinweg bis auf die Brücke, und letztere war auch von einigen Punkten her dem, wenn auch nicht mehr sehr wirksamen, Büchsenfeuer der Insurgenten ausgesetzt. Einzelne Schüsse dahin, sind trotz der Besatzung des Schlosses durch die Truppen, selbst aus Dachluken dieses weitläuftigen, von einer Unzahl von Familien bewohnten Gebäudes gefallen. Wenn der schreiendste Undank, wie die beschränkteste Verblendung, die sich hierdurch als mit dem Hochverrath Hand in Hand gehend darthaten, kaum für möglich gehalten werden sollte, so sind solche Beispiele (gottlob immer nur vereinzelt) doch nicht so unerhört, um das Factum abläugnen zu können.
  18. Bei dem hierbei entstehenden Feuergefecht wurden auch manche der nach dieser Front hinaus hängenden Gemälde von Kugeln durchlöchert. Zum Glück befanden sich hier keine Meisterwerke ersten Ranges, und selbst die Beschädigung einiger Werke berühmter Meister, als eines Rubens, eines Murillo und einiger anderen, waren nicht so bedeutend, um nicht restaurirt werden zu können. Die Besatzung des der Kunst gewidmeten Raumes hatte sich zwar wie überall durch Decken und Matratzen zu sichern versucht, welche bei der Nähe des Gegners jedoch von den Kugeln desselben durchdrungen wurden, so daß auch einige Todte und mehrere Verwundete auf diesem Punkte fielen.
  19. Wer diese Lokalität etwa im Sommer besichtigt, möchte vielleicht meinen, daß das dichte Laub der schönen Ostra-Allee die Besatzung des Zwingerwalls den Augen der in den Gebäuden jenseits dieser Allee postirten Schützen entzogen, und ihr hierdurch zum Schutz gegen dies Feuer gedient habe; – allein Anfangs Mai waren diese Bäume noch fast ganz unbelaubt!
  20. In öffentlichen Blättern, wie in Privat-Beschwerden ist späterhin versucht worden, den kämpfenden Truppen, besonders auch den Preußischen, die Schuld dieser Verluste aufzubürden.
  21. Sollten diese Einzelheiten des inneren Dienstbetriebes, als zu kleinlich, nicht in eine dem größeren militairischen Publikum bestimmte Schrift hinein zu gehören scheinen, so hofft der Verfasser darin seine Entschuldigung zu finden, daß er es sich nicht versagen konnte, hier einem untergebenen Truppentheile eine öffentliche Anerkennung, wie später für das Verhalten im Gefecht, so auch hier schon für die ausgezeichnete innere Ordnung auszusprechen, vermöge welcher (trotz der Schwierigkeiten, die in den oben geschilderten Umständen lagen und die von jedem mit dem Mechanismus des inneren Dienstes bekannten Befehlshaber gewürdigt werden können) es allein möglich wurde, daß aus den in fliegender Eile angeordneten und ausgeführten Vorbereitungen zum plötzlichen Abmarsche später sich auch nicht der mindeste wesentliche Uebelstand herausstellte.
  22. Als ein Witz des Schicksals ist es betrachtet worden, daß die letzte Theater-Ankündigung in Dresden vor dem ausbrechenden Aufstand gelautet hatte:
    „Nehmt ein Exempel daran!“
    „Lustspiel in Alexandrinern etc. “
  23. Als der Oberstlt. Gr. Waldersee in Dresden eintraf, war die Post in den Händen der Insurgenten und (wenn nicht zu jedem einzelnen Berichte Expressen geschickt werden sollten) die Eisenbahn der einzige Weg der Briefbeförderung. Nun ist aber (während Privat-Korrespondenzen ohne Aufenthalt befördert worden sind) die dienstliche Korrespondenz jenes Offiziers mit Berlin fast drei Tage lang zurückgehalten worden. – Die Untersuchung darüber stellte nichts heraus, wie das vorauszusehen war: ein schadhaftes Schloß am Briefkasten war der Sündenbock, der die Schuld tragen mußte.
  24. Wie nachsichtig die spätern Untersuchungen gegen die Theilnehmer des Aufstandes geführt wurden, ergiebt sich aus dem einzigen Umstande, daß der überwiesene Brandstifter gegen Caution und Handgelöbniß frei gelassen wurde, seine Eigenschaft als Hochverräther also, statt die Strafbarkeit für das begangene gemeine Verbrechen der Brandstiftung zu verschärfen, umgekehrt zur milderen Beurtheilung desselben beitrug.
  25. Da die Kompagnien hier, wie stets in Gefechts-Verhältnissen, zu drei Zügen formirt waren, so ist hier, wie im weitern Verlaufe der Gefechts-Erzählung, unter einem Zuge stets ein solcher, d. h. ein Drittel der Kompagnie, etwa 50 bis 60 Feuergewehre stark, zu verstehen.
  26. Hier war es, wo eine Dame höhern Standes, welche, trotz der Abmahnung ihres Mannes, an das Fenster trat, um die Preußischen Truppen zu sehen, wahrscheinlich von einer fehlgegangenen Kugel derselben, tödtlich verwundet wurde.
  27. Ein günstiger Zufall waltete hier, wie in der Bildergallerie, über die werthvollsten Kunstschätze. Blieb die Einäscherung [150] des Naturalien-Kabinets immer ein Vandalismus und ein bedeutender pekuniärer Verlust, so lassen sich Gegenstände der Natur doch durch Geldmittel wieder herbeischaffen. In der Kupferstich-Sammlung dagegen wären völlig unersetzliche Kunstsachen verloren gegangen.
  28. Bei diesem Feuer richtete der Adjudant der reitenden Artillerie, Ober-Lieutenant Bernhard, wiederholt ein Geschütz selbst und erhielt dabei zwei leichte Wunden, die ihn jedoch nicht hinderten, ferner im Gefecht thätig zu sein. Es ist derselbe, dessen Antheil an der Erstürmung von Constantine auf dem bekannten Bilde Vernets geschichtsgetreu der Nachwelt überliefert ist.
  29. Nur ein Preuße, der Füsilier Sonnenglanz der 11ten Kompagnie des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments, war bei diesem Vorfall, nicht als Mithandelnder, sondern nur als Augenzeuge zugegen. – Wenn hiermit übrigens das anfängliche Gerücht, das dies bedauerliche Mißverständniß den Preußen zuschrieb, widerlegt wird, so geschieht dies nur der Wahrheit zur Ehre, keineswegs aber um ein etwa begangenes Unrecht von den eigenen Mannschaften abzuwälzen und verbündeten Truppen zuzuschieben. Die Schuld an dem unglücklichen Ausgange lag dermaßen lediglich an dem unbedachten Benehmen des Gefallenen, daß den Thätern nicht das Mindeste zur Last zu legen ist, und also die Verantwortung dafür ohne Anstand auch für Preußische Soldaten übernommen werden könnte, wenn der Zufall gewollt hätte, daß diese zuerst in jenes Zimmer eingedrungen wären und dann gewiß eben so, wie die Sachsen, gehandelt haben würden.
  30. Den Befehl über die Barrikaden am Neumarkt hatte der Advokat Böttcher aus Chemnitz geführt, welcher bei der Vertheidigung derselben tödtlich verwundet wurde.
  31. [163] Als Tags zuvor diese Kompagnie die einzige in Reserve auf dem Platz am Blockhause stehen bleibende Kompagnie war, während die drei andern Kompagnien theils zum Gefecht, theils zu andern Aufträgen vorgezogen waren, schickten die Mannschaften eine Deputation an ihren Kompagnie-Chef mit der dringenden Bitte: daß sie doch nicht müßig gelassen werden möchten, da sie doch ja im vorigen Jahre bei Schleswig die Ersten gewesen wären. Mit Recht war die Kompagnie auf diese Erinnerung stolz, da sie unter ihrem damaligen Kompagnie-Chef, Hptm. v. Cosel, den Vortrupp der Avantgarde der rechten Flügel-Kolonne gebildet hatte und als solche die erste ins Feuer gekommene Truppe und diejenige gewesen war, die sich zuerst eines Theils der Danewerke bemächtigte.
  32. Wie der Plan von Dresden nachweist, bildet die Rosmarien-Gasse die in etwas stumpfem Winkel abgehende Verlängerung der Mittleren Frauen-Gasse.
  33. Die in jenen Tagen häufig wiederholte Erzählung, daß ein zum Transport Gefangener bestimmter Soldat bei der Ankunft in der Neustadt ganz dienstlich gemeldet habe: „Die Gefangenen wären in die Elbe entsprungen“, mag hier angeführt werden, ohne sie verbürgen zu können.
  34. Kam ein Vorgesetzter in die Nähe eines solchen Schützen, so fragte dieser wohl, sei es um jenem eine Probe seiner Geschicklichkeit zu geben, oder um die Gegenwart des Vorgesetzten gewissermaßen zu honoriren: „ob er einmal hinhalten solle?“
  35. Das Eintreten dieses Umstandes würde hier im Auslande doppelt mißlich gewesen sein, wo auch nicht eine zum Zündnadelgewehr passende Patrone zu erhalten gewesen wäre, selbst wenn die reichsten Pulvervorräthe zu Gebote gestanden hätten. Auf eine desfalsige Meldung des Preußischen Detachementsführers schickte das Kriegsministerium demselben mit dem am 8ten Mai eintreffenden Füsilier-Bataillon des 24ten Infanterie-Regiments 100,000 Zündnadel-Patronen zur Reserve, womit jede weitere Besorgniß, daß Mangel an Munition eintreten könnte, gehoben war.
  36. Bei Gelegenheit der hier besprochenen Waffenwirkung ist zu erwähnen, daß sich mehremals der Gewehrraketen zu dem Versuche bedient worden ist, um die von den Insurgenten vertheidigten Räume in Brand zu stecken. Es ist dies jedoch nirgends gelungen, indem jene meistentheils die schützenden Matratzen, Decken u. dergl. angefeuchtet hatten. Von den, dem Detachement des Oberstlieutenant Graf Waldersee, beigegebenen Handgranaten hat gar kein Gebrauch gemacht werden können, weil Volkshaufen, gegen welche dergleichen hauptsächlich anwendbar sind, nicht zum Vorschein kamen, sondern sich eben alles um das einzelne Schützengefecht drehte.
  37. Bekanntlich wurde der unglückliche Ausgang der Pariser Julikämpfe 1830 für die Truppen hauptsächlich durch deren physische Erschöpfung herbeigeführt.
  38. Auch den Einwand: „das Alles ist leichter gesagt, als in der Wirklichkeit ausgeführt!“ will ich, in Bezug auf die Beleuchtung, zu beseitigen suchen. In der Katholischen Kirche, (bei der die Entheiligung doch nicht mehr, als bei der späterhin zur Aufbewahrung der Gefangenen benutzten Frauenkirche gescheut zu werden brauchte) bedurfte es nur der Anzündung der vorhandenen Wachskerzen u. s. w. In den großen Gasthöfen konnte es an vorräthigem Erleuchtungsmaterial, so wie an Lampen, Leuchtern etc. ebenfalls nicht fehlen. Aus dem Theater wären ebenfalls Lampen in Ueberfluß herbeizuschaffen gewesen u. dergl. mehr. „Suchet, so werdet Ihr finden!“
  39. In den ersten Tagen des Kampfes zeigten sich Abends und Morgens sogar in den Gasthöfen der Neustadt Polnische und andere Physiognomien, welche unzweifelhaft vor wenigen Stunden auf den Barrikaden gestanden hatten und nach genossener Ruhe und Stärkung und nebenbei gewonnener Einsicht über den Stand der Sachen bei den Truppen, auf einem höchstens eine Stunde betragenden Umwege, sich in einem kleinen Fahrzeuge über die Elbe setzen lassend, in den Kampf zurückkehrten. Die noch von keinem Belagerungszustand unterstützte Polizei konnte oder wollte dies nicht hindern. Dem Antrage des Preußischen Detachements-Führers [194] auf Erklärung des Belagerungszustandes und daraus folgenden strengeren Maaßregeln in dieser Beziehung, wurde erst später Folge gegeben.
  40. Daß bei solchen Angriffen den Kolonnen stets einige Schützen vorangehen und zur Seite folgen, und nach allen Punkten, woher feindliche Schüsse fallen, feuern müssen, so wie, daß dann aber auf das strengste darauf zu halten ist, daß aus den geschlossenen Abtheilungen auch nicht ein Schuß falle, sind zu bekannte Regeln, als daß sie hier verabsäumt worden wären.
  41. Um diese wichtige Verbindungslinie möglichst schnell wieder gangbar zu machen, wurden hier alle sich an den Fenstern oder auf der Straße zeigenden männlichen Bewohner der anstoßenden Häuser oder sonstige Neugierige zur Aufräumung der Barrikaden aufgefordert. Ein Diplomat, dessen Vollmachten von einer auf Barrikaden entstandenen Regierung herstammte, soll hier fleißig an der Aufräumung einer dieser revolutionären Bollwerke mit gearbeitet haben: allenfalls ein scherzhaftes Nachspiel zu der Schicksalstragödie in Alexandrinern! Ob übrigens diese nur aus „Gefälligkeit“ übernommene Mühwaltung sich auf das Herabnehmen einiger Steinchen beschränkt, oder (nach andern Versionen) unter freundlichen Ermahnungen zum Fleiße von Seiten der mit dem diplomatischen Korps Dresdens unbekannten Truppen sich auch auf einige Quadern ausgedehnt hat, darüber möge ein diplomatischer Schleier geworfen bleiben.
  42. Seine Ernennung zum Kommandeur eines Regiments fand ihn nicht mehr lebend.
  43. Der Empfänger erhielt hierdurch zugleich die erste Nachricht von seiner stattgefundenen Beförderung.

Anmerkungen (Wikisource)

[14] a) Vorlage: der
[50] b) Vorlage: Erkärung c) Vorlage: Natioalversammlung