Der Krieg II

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Titel: Der Krieg II.
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über den russisch-türkischen Krieg von 1877
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Der Krieg.
II.

Wir theilen heute unseren Lesern die ersten directen Berichte vom Kriegsschauplatze mit. Auch sie können über einleitenden und vorbereitenden Inhalt nicht weit hinausgehen, geben uns jedenfalls aber ein wahres Bild von wirklich Gesehenem und schildern nicht nach Hörensagen. Wenn die laufenden Ereignisse, welche Telegraph und Tagespresse sofort melden, unseren Mittheilungen weit voraus geeilt sind, so darf der Leser eben nicht außer Acht lassen, daß der Weg für die Sendungen von Wort und Bild bis zu uns ein weiter ist und wir selbst der Ausgabe unserer Nummern stets drei Wochen vorausarbeiten müssen, um die außerordentliche Aufgabe für den Drucker ausführbar zu machen. Jedenfalls halten wir es aber für unsere Pflicht, lieber unsere Originalberichte abzuwarten, als uns mit aus Zeitungsnotizen zusammengestellten zu begnügen. Lassen wir nun unsern Berichterstatter sprechen, der uns zunächst den Pruthübergang und den Durchzug der Russen durch Jassy schildert. Er schreibt:

„Westlich und nordöstlich von Jassy senkt sich das moldauische Hügelland plötzlich in jähem Abfalle zur Pruthebene hinab. Wer dort am steilen Hange steht, übersieht mit einem Blicke meilenweit das flache Pruththal mit seinen eingestreuten kleinen Waldungen, seinem von geschlängelten Wasserrinnen durchfurchten, ausgedehnten, mannshohen Schilfdickicht, wo die wilde Ente und das Rohrhuhn ihr stilles Dasein führen, auf feuchten Wiesen die Trappenheerden weiden und hoch oben in den Lüften der Raubvogel seine Kreise zieht.

So manches Mal auf meinen Jagdfahrten stand ich sinnend vor dem plötzlich auftauchenden Bilde, und jedes Mal bot es mir erneuerten Reiz. Wer hätte noch vor wenigen Monaten ahnen können, daß sich bald gerade in diesen stillen abgelegenen Regionen der erste Act eines blutigen weltgeschichtlichen Dramas abspielen würde? Es kam aber auch buchstäblich über Nacht. Memorandum, Protokoll und alle die schönen papierenen Dinge waren beseitigt und der Czar, dessen Abreise aus Petersburg man dem übrigen Europa erst nach vierundzwanzig Stunden zu melden für gut fand, hatte in einem Fluge eine Strecke von mehreren Tausend Werst seines unendlichen Reiches zurückgelegt, um am 23. April auf dem großen Blachfelde bei Ungheni die Revue über jene Truppen zu halten, denen die Ehre zu Theil ward, zuerst officiell den Pruth zu überschreiten.

Wer, wie ich, die hohe imponirende Gestalt des mächtigen Mannes an jenem stürmischen Revuetage gesehen, wie er im strömenden Regen die Reihen seiner Truppen abritt; wer deren eigenthümliches dumpfes Hurrah, aus 20,000 rauhen Kehlen ausgestoßen, gehört, wer die tiefernsten augenscheinlich vom Bewußtsein seines folgenschweren Entschlusses durchdrungenen Züge seines Antlitzes beobachtet hat, als er mit vibrirender Stimme seine kurze Anrede an sein Officiercorps hielt, dem wird dieser Moment noch in späten Tagen in lebhaftem Gedächtniß bleiben. Nach der Revue fuhr der Czar in seiner Kalesche in Begleitung seines Bruders, des Großfürsten und Armee-Commandanten Nicolaus, an das lehmige, jäh abfallende Pruthufer. Von dort aus betrachtete er sich einen Augenblick das moldauische Land und die Brücke, über welche noch in derselben Nacht seine Heersäulen einer ungewissen Zukunft entgegen marschiren sollten.

Wer aber in grauer Frühe des 24. April auf jenen westlichen Abhängen des Pruththales gestanden hätte, dessen Aufmerksamkeit würde sich schwerlich nur der prachtvollen Fernsicht zugewendet haben. Von Süden her, dort, wo der Bahndamm wie der Leib einer großen Wasserschlange das tiefliegende Morastland durchschneidet, hätte ein unaufhörliches dumpfes Rollen an sein Ohr geschlagen und erstaunt hätte er aufgehorcht. Ein Zug folgte dort dem andern. Wohl waren es nur Güterwagen, die die Locomotive in endloser Reihe nicht zu schnell hinter sich her schleppte, diesmal bargen sie aber ungewöhnliche Fracht, und aus der schmalen Spalte, die ihnen Luft und Licht gewährte, lugten grauröckige Soldaten in den kühlen Morgen hinein. Innen aber lagen und lauerten sie, so gut es eben ging, denn der Raum war schmal, und Rußland hatte alle Eile, seine Soldaten an die Donau zu schaffen, bevor der Türke etwa auf den Einfall käme, die einzige Eisenbahnverbindung in der Mitte durchzuschneiden und die von seinen Donau-Monitors erreichbare Brücke über den Sereth bei Barbodschi zu zerstören. Man hatte wohl schon früher, so unter der Hand, unter Leitung von russischen Genie-Officieren dort Verschanzungen und Erdwerke durch rumänisches Militär angelegt, und dieses hielt sie auch besetzt. Aber auf Rumäniens Kriegsmacht war doch kein rechter Verlaß, und so zog man es vor, möglichst schnell selbst bei der Hand zu sein, und deshalb rollte es im Morgengrauen des 24. April so ungewöhnlich im Pruththale bei Ungheni.

Aber auch beiläufig anderthalb Meilen weiter nordwärts, auf der alten Straße von Jassy nach Skuliani, ging es auffallend zu. Dort, wo sonst höchstens indolente rumänische Bauern mit ihren langen Zügen von Ochsenkarren den Staub der Straße träge aufwirbelten oder, je nachdem, den breiartigen Koth durchfurchten, dort erblickte man dunkle, sich fortbewegende Massen; Piken erglänzten in der Morgensonne; Pferdegetrappel und Gewieher wurde vernehmbar; Helme leuchteten, und ein jäher Windstoß brachte wohl auch unarticulirte Laute, die, in Massen ausgestoßen, von den Russen Gesang genannt werden, aber mit der üblichen Tambourinbegleitung doch eine eigenthümliche wilde Wirkung auf den Zuhörer ausüben.

So zogen sie ihres Weges, Kosaken, Fußvolk, Ulanen, wieder Fußvolk, Train, Sanitätswagen etc.

Um halb fünf Uhr früh, am 24. April, kam der erste Militärtrain in Jassy an. Dort befanden sich Behörden und Eisenbahnleitung in nicht geringer Verlegenheit. Von der Regierung lagen keine Instructionen vor, weder für den Empfang, noch für die Weiterbeförderung. Was die letztere anbelangt, so wäre es sonst vielleicht am einfachsten gewesen, die Russen mit den angekommenen Zügen weiter durchpassiren zu lassen, aber von Ungheni nach Jassy sind die Eisenbahnen mit russischer (bekanntlich um vier Zoll größerer) Spurweite gebaut, und Alles muß hier umwaggonirt werden. Was war da zu thun? Die Stellung des Betriebsleiters [353] der Bahn in Jassy war in diesem Augenblicke eine sehr kritische. Es wurde schleunigst nach Bukarest und Wien, an die Regierung und die Generaldirection telegraphirt. Die Antwort der ersteren ließ lange auf sich warten. Die Russen wurden ungeduldig und drängten. Natürlich! Jede Minute war ihnen kostbar. Sie verlangten Weiterbeförderung zum rumänischen Militärtarif, eine Concession, welche die Betriebsleitung ohne Ermächtigung von Bukarest nicht gewähren wollte.

Dort scheint man einen Moment rathlos gewesen zu sein. Man hatte den Einmarsch der Russen erst am 28. April erwartet, um inzwischen die vom Ministerium mit Rußland abgeschlossene Durchzugsconvention von der Kammer formell votiren zu lassen. Endlich kam telegraphische Ordre nach Jassy, den Russen Concessionen zu gewähren. Hier wollte das russische Commando den früh um sieben Uhr regelmäßig nach Bukarest abgehenden Personentrain für sich in Beschlag nehmen. Die Eisenbahnleitung protestirte. Endlich fuhren dreihundertfünfzig Russen mit, aber gegen volle Bezahlung, als gewöhnliche Passagiere. Die Ordnung wurde bald wieder hergestellt, und die Militärtransporte nahmen ungehindert ihren Verlauf.

In Jassy fing es inzwischen an, immer bunter auszusehen. Dem günstigen Wetter der ersten zwei Tage folgten stark regnerische. Die Bäche und Flüsse der Moldau wurden nach alter Gewohnheit ihres Bettes überdrüssig und traten über. Das Pruththal und das Bachluithal, an dem Jassy liegt, glichen großen Seen, und wo sich dem anströmenden Wasser Chaussee- und Eisenbahndämme in den Weg stellten, wurden sie arg mitgenommen. Bald waren letztere auf der russischen sowie auf der rumänischen Linie auf drei bis vier Stellen durchbrochen oder so arg beschädigt, daß Lastzüge nicht passiren konnten. Diese plötzliche Verkehrsstörung bewirkte manche Unordnung, aber auch in Folge dessen manches komische Intermezzo, von denen ich Ihnen hier eines erzähle.


Braila, vom türkischen Ufer aus gesehen.
Nach einer Photographie.


Ein russischer General, ein kleiner runder Herr mit höchst jovialem Gesicht, saß bei einer Flasche Bordeaux im Bahnhofe zu Jassy, während seine Division einwaggonirt wurde. Sei es die amüsante Gesellschaft, in der er sich befand, seien es andere Ursachen, kurz, als sich nach einiger Zeit der alte Herr seiner Soldaten erinnerte und einmal nachsehen wollte, was sie machten, fand er zu seinem Erstaunen den ersten Zug, mit dem er ebenfalls fahren sollte, schon abgegangen. Darüber Zetermordio, welches der russische Militär-Stationschef nur mit der Versicherung beschwichtigen konnte, daß der nächste Zug seiner Division in einer Stunde abgehen und sich Alles in Pasdschani, der Zweigstation, zusammenfinden würde. Inzwischen langte eine Depesche an mit der Nachricht: der abgegangene Zug sei nur mit Mühe und Noth über die vom Wasser bedrohte Stelle der Bahn gelangt, ein weiterer Verkehr sei aber unmöglich. Neuer Verzweiflungsausbruch des alten Herrn, aber da doch weiter nichts zu machen war, tröstete er sich mit dem Gedanken, daß eine schleunige Reparatur des Dammes bald Alles wieder in’s Geleise bringen würde. Doch hatte ihn die Erfahrung klug gemacht und sein Mißtrauen erweckt. Er quartierte sich sofort mit Pferden und Bagage in seinen zur Abfahrt stehenden Zug ein, um sie ja nicht wieder zu versäumen. In seinem Waggon dritter Classe, andere waren nicht vorhanden, schlief, aß und rauchte er, und wenn er einen Bekannten auf dem Perron erblickte, winkte er ihn herbei und lud ihn in schlechtem Deutsch oder ebenso schlechtem Französisch ein, mit ihm eine Flasche Bordeaux in der Restauration zu trinken. Aber auch da setzte er sich so, daß er seinen Zug stets im Auge behalten konnte; die Furcht, daß er ihm wieder durchginge, war ihm aus den Augen zu lesen. Es verging aber ein Tag; es vergingen deren zwei – der Regen goß unaufhaltsam herab. Das Gesicht des alten Herrn wurde immer trübseliger, und die Bekümmerniß um seine ‚Jungens‘, und was sie wohl bei diesem Hundewetter ohne ihn machten, und ob auch für sie genügend gesorgt wäre, fand immer lauteren Ausdruck.

Der Stadtcommandant, Oberst P., lud ihn ein, sein Zimmer auf dem Bahnhofe zu benutzen, wo er sich ihm ein Feldbett aufzuschlagen erbot, aber dazu war General R. um nichts in der Welt zu bewegen.

Endlich am vierten Tage kam die Nachricht von der Wiederherstellung der Bahnstrecke. Zur Feier dieses glücklichen Ereignisses wurde ein halbes Dutzend Bordeauxflaschen geleert, und ich erinnere mich nicht, ein freudiger erregtes Gesicht gesehen zu haben, als jenes unseres alten Freundes, des Generals R., als er uns beim Abgange des Zuges aus seinem Coupéfenster den Abschied zuwinkte. Die Sorge um das Schicksal ‚seiner Jungens‘ sollte ja nun bald gehoben werden.

Die Bevölkerung sah dem Einmarsch der Russen anfangs mit Besorgniß entgegen. Man sprach von Kosaken, Tscherkessen, Tataren, Turkmanen und anderen fragwürdigen Völkerschaften, denen der Ruf voranging, in Bezug auf Eigenthumsrecht stark communistischen Anschauungen zu huldigen. Nun, wir haben sie gesehen und von Kosaken namentlich sehr viele gesehen, und sie haben sich bereits den Ruf von gutmüthigen Burschen errungen, die genügsam alles dankbar annehmen, was man ihnen bietet, und ein Glas Schnaps dem Galgen vorziehen, mit dem man ihnen gedroht hat, für den Fall, daß sie die rumänischen Hühnerställe und Viehheerden nicht gehörig respectirten. Die donischen Kosaken haben bekanntlich für verschiedene Begünstigungen, die ihnen schon seit

[354] Menschenaltern eingeräumt worden, die Verpflichtung, im Kriegsfalle sich selbst auszurüsten, und so ist alles, Pferde, Uniform und Waffen, ihr persönliches Eigenthum, mit Ausnahme des Hinterladers, der ihnen vom Czar geliefert wird und den sie in getheertem Futteral auf dem Rücken tragen. Bewunderungswerth ist das Geschick, mit dem sie die lederüberzogenen Tschakos tief seitwärts gedrückt auf dem Hinterkopfe balanciren; dazu das lange am Halse glatt rasirte Haupthaar, der eigenthümliche Säbel in der Lederscheide, mit dem dolchartigen Griff ohne Korb, die beinahe knopflose Uniform, der penetrante Theer- und Juchtengeruch – das Alles giebt ein originelles Gepräge. Uebertroffen werden sie darin aber noch von den Uralkosaken, welche schwarze Fellmützen mit oben sichtbarem rothem Tuchlappen tragen. Das Fell hängt ihnen über Gesicht und Nase, und man erblickt nichts als dieses und den Bart.

Die übrige Cavallerie hat mehr europäischen Anstrich. Die Pferde sind gut und die Equipirung ist zweckmäßig.

Die Infanterie ist etwas stark beladen. Sie trägt Zelte und Zeltstangen auf dem Rücken und sechs Rationen Zwieback im Tornister, lange graue Ueberröcke mit vorn auf der Brust gekreuztem graugelbem Baschlik und französische Käppis. Die Hinterlader nach dem französischen Tabatière-System mit Metallpatronen sind nicht allzugroßen Kalibers. Die Mannschaft ist voll von Siegesbewußtsein, die Officiere verhehlen sich aber keineswegs die Schwierigkeiten des Feldzuges. Viele von ihnen kennen die Türken schon aus dem serbischen Kriege und sprechen mit Achtung von ihrer Tapferkeit.

Das Benehmen der Truppen ist ein ganz ausgezeichnetes, und nirgends werden Klagen darüber laut. Alles wird baar bezahlt. Daß aber die Mäßigkeit in der Aufnahme geistiger Getränke den russischen gemeinen Soldaten auszeichnet, läßt sich nicht behaupten. In Würdigung dieses Umstandes wurde auch vom Armeecommandanten befohlen, um neun Uhr Abends sämmtliche Schenken zu schließen. – Auf dem Bahnhofe von Jassy geht es sehr lebhaft zu. Tag und Nacht pfeifen die Locomotiven; das Restaurationslocal ist meistens mit russischen Officieren gefüllt, die ihren Tschin oder ihr Glas Bier trinken oder speisen. Dazwischen gehen die Personenzüge so regelmäßig, wie früher, ab. Auf den Geleisen stehen schwer beladene Züge mit Munitionskarren, Sanitätswagen, Kanonen und Mörsern schwersten Kalibers. Pferde und Mannschaft werden meistens nachts einwaggonirt.

In den asphaltirten Straßen der Stadt rollt es in einem fort. Wir haben Tage gehabt, wo tausend bis tausendzweihundert Wagen Train ankamen, vor jedem zwei- oder vierrädrigen Wagen drei oder vier Pferde. Die auffallende Anzahl der letzteren soll in Bulgarien als Vorspann verwendet werden; vorläufig führen sie Säcke mit Zwieback für den Armeebedarf. Außer per Bahn gehen noch auf der Chaussee. nach Waslui lange Züge ab. Die Infanterie hat Ordre, täglich vierzig, die Cavallerie achtzig Werst (5 5/7 und 11 3/7 deutsche Meile) zurückzulegen. Man sieht es an Allem: Rußland bietet alle seine Kräfte auf. Die Uebermacht soll die Türkei erdrücken. Soviel ist aber sicher: der Krieg wird ein fürchterlicher, erbarmungsloser werden. Die Grausamkeit wird die Rache und der Fanatismus den Fanatismus aufstacheln, und der Völkerhaß mehr als eines Jahrhunderts wird in einer Brandfackel, sich selbst verzehrend, zum Himmel emporlodern.“

Soweit dieser Bericht. Einem zweiten, aus Braila, entnehmen wir das Folgernde: Da, wo die Donau von der einzigen reinnördlichen Richtung ihres Laufes, etwa fünfzehn deutsche Meilen vor ihrer Mündung, wieder in die östliche übergeht, liegen drei in diesem Kriege vielgenannte Orte, Braila, Galatz und Reni. Heute betrachten wir zunächst Braila. Diese Stadt, auch „Brailow“ oder „Ibraila“ geschrieben, war unter der dreihundertjährigen Türkenherrschaft eine starke Festung, wurde aber nach der Uebergabe derselben im Jahre 1829 an die Walachei von den Russen unter dem Commando des Großfürsten Michael zerstört und ist seitdem eine freundliche Handelsstadt. Gegenwärtig ist sie von den Russen militärisch befestigt und bereits der Schauplatz des ersten Zusammenstoßes der beiden kriegführenden Mächte gewesen. Alle neutralen Schiffe haben seinen Hafen verlassen; schon am 29. April sind dort die ersten Schüsse gewechselt worden.

Ein russischer Erlaß stellte es den Einwohnern frei, sich und ihre fahrende Habe vor den Kriegsgefahren nach Belieben zu retten und die Stadt oder eigentlich die Schußlinie der Donauufer zu verlassen und gewährte ihnen drei Tage Frist und Unterstützung dazu. Viele der Reichen haben sich in das Ausland begeben; in Wien ist ein Eisenbahn-Separat-Zug mit den Tresors und dafür verantwortlichen Beamten der größern rumänischen Banken eingetroffen; die minder wohlhabenden Bürger mit ihrem beweglichen Hab und Gut, Weib und Kind, der Landmann mit seinem Viehstande und Feldfrüchten haben sich landeinwärts geflüchtet. Viele Häuser wurden in Casernen und Lazarethe umgewandelt; russische und rumänische Soldateska füllt lärmend Gassen und Plätze, während die armen Einwohner Braila’s und des ganzen untern Donauufers neben ihren hochbeladenen Karren einhergehen, in Wäldern oder auf Weilern Abends ihre schlechtgeschützte Ruhestätte suchen und das erste ergreifende Bild der Kriegsnoth uns vor Augen führen.

Die russischen Manifeste fordern Jedermann auf, an seine gewohnten Geschäfte zu gehen, versprechen pünktliche Baarbezahlung der Requisitionen und die Ausbauung der Eisenbahnlinie Maracesti-Fokschani-Buseo, eine Strecke von einhundertzwanzig Kilometern, die außerdem den Bau von sechs großen Brücken erfordert. Anhaltende Regengüsse und die dadurch bedingten Anschwellungen der Flüsse hatten die Straßen aufgeweicht und Bahndämme zerstört, so daß das russische Eisenbahn-Bataillon vollauf zu thun hatte, die schon vorhandenen geschädigten Communicationswege wieder herzustellen.

Braila, die Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes, liegt in einem der Kimpeni oder Flachländer der „großen Walachei“, an dem Punkte, wo sich der Sereth in die Donau ergießt, die sich da in sechs Arme spaltet, deren einer den durch starken Getreidehandel berühmten Hafen der Stadt bildet. Diese hat ungefähr 20,000 Einwohner, ist der Sitz des Kreisvorstandes und einer Quarantaine-Anstalt, und besitzt mehrere schöne Straßen und Bauwerke. So die St. Michaelskirche, von den Russen zum Andenken an den Sieg des Großfürsten Michael im Jahre 1829 erbaut. Die großen Getreidemagazine entstanden aus den Steinen der damals demolirten Festungswerke. Außerhalb der Stadt befindet sich noch ein Denkmal russischen Ursprungs, eine Erinnerung an die glückliche Rettung des Großfürsten Michael, der bei der damaligen Belagerung wie durch ein Wunder einer türkischen Granate entging. Der Sommer ist dort tropisch heiß, der Winter streng, das Klima ziemlich ungesund, fiebererzeugend.

Bereits vielgenannt ist die Eisenbahnbrücke über den Sereth bei Barbodschi, deren Nichtzerstören den Türken zum schweren Vorwurf gemacht wird, weil dadurch den Russen der Vormarsch nach Braila, Bukarest etc. wenigstens sehr erleichtert worden ist. Nunmehr haben die Russen bei Braila starke Batterien schweren Geschützes errichtet und dadurch die Türken gezwungen, ihre Geschütze vom Ufer (wie unsere uns von Braila zugegangene Illustration sie noch zeigt) auf die rückwärts liegenden Anhöhen zu postiren. Die russischen Batterien sind schon wegen der hier nicht unbedeutenden Erhebung des walachischen Ufers über den Donauspiegel den türkischen Monitors, die lange Zeit die Herren der Donauufer waren, höchst gefährlich geworden. Eine Dampfcorvette von neun Kanonen und mit hundertfünfzig Mann Besatzung ist am 11. Mai das erste größere Opfer jener türkischen Nachlässigkeit geworden, indem das Schiff, in den Dampfkessel getroffen, durch Entzündung der Pulverkammer in die Luft flog. Braila gegenüber liegt, am Ende des Matschincanals, die türkische Festung Matschin. Aus dortiger Nähe, aus Getschit, sollen am 13. Mai drei russische Dampfbarkassen allda für die türkische Donauflottille deponirte Kohlenvorräthe weggeholt haben. Der Uebergang russischer Truppen nach der Dobrudscha und die vollendete Aufstellung der Türken daselbst sind wenige Tage später ebenso eilig berichtet wie wiederrufen worden, werden aber in den nächsten Tagen doch noch eintreffen.