Der Ring (Scherr)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
Autor: Johannes Scherr
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Ring
Untertitel:
aus: Sagen aus Schwabenland, S. 115–119
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1836
Verlag: Johann Conrad Mäcken jun.
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Reutlingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: An die Ringsage von Schwäbisch Gmünd angelehnte Erzählung
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
[115]
Der Ring.

Was ich nur je in Büchern las und was ich
Erzählen hört’ in Mährchen und Geschichten,
Bestätigt mir, daß treuer Liebe Weg
Nie führt die Liebenden auf ebner Bahn.

Shakspeare.[1]


Als ich eines Abends, mit allerlei Gedanken beschäftigt, in der alten St. Johanneskirche in der alten Reichsstadt Gmünd umherwandelte, traf ich einen Bekannten, einen ältlichen Mann. Ich vergleiche diesen Greis dem alten Manne, welchen Irving in seinen Erzählungen eines Reisenden die erste Geistergeschichte bei der Jagdmahlzeit erzählen läßt. Wie jener alte Herr, hatte mein Bekannter ein Gesicht von zwei ungleichen Hälften. Aus einer Hälfte leuchtete aber bei meinem alten Herrn Witz und Humor, während in der andern Hälfte eine Menge Mährchen und Sagen versteckt war.

Wir begrüßten uns; und ich nahm mir die Freiheit, meinen alten Freund zu erinnern, daß er mir vor einigen Tagen versprochen habe, eine Sage von der Gründung der Stadt zu erzählen. Er war sogleich bereit dazu. Wir setzten uns abseits in einen Betstuhl und er begann:

„Der ganze Raum, den jetzt die Stadt Gmünd [116] einnimmt, so wie das südliche und nördliche Thal, in welchem sich die Stadt erhebt, war in alten Zeiten mit wilder Waldung bedeckt. Nur eine kleine Lichtung tauchte aus diesem Forstlabyrinthe auf, und auf dieser Lichtung stand ein Jägerhaus, bewohnt von dem alten Waidmann Ekart, seinem Weibe Irmengard und seinem einzigen Sohne Horsa. Der alte Ekart hatte seine Jugend und sein reiferes Mannesalter im Kriege zugebracht; zog sich aber dann mit seiner Gattin und dem zwölfjährigen Sohne aus dem wüsten Getümmel zurück, und siedelte sich in dem einsamen Waldhause an. Die mit Wild aller Art gefüllten Forste versahen seine Familie in jener einfachen Zeit sattsam mit Speise, und die übrigen zum Lebensunterhalte nöthigen Dinge wußte sich Ekart dadurch zu verschaffen, daß er hie und da die Felle der erlegten Thiere in eine ferne Handelsstadt brachte, und sie dort gegen seine und seiner Familie Bedürfnisse austauschte. Der Knabe Horsa blühte in den Umgebungen der freien Natur frisch und kräftig heran, und als er das achtzehnte Jahr erreicht hatte, sandte ihn sein Vater zum Herzog von Schwaben, damit er diesen seinen Lehensherrn auf dem bevorstehenden Kriegszug begleite. Der Jüngling zeichnete sich ehrenvoll aus und gewann die Liebe seines Fürsten.

Als Friede geworden, kehrte er in seine einsame Heimath zurück, jugendlich stark und schön; aber mit einer tiefen Wunde im Herzen. Es hatte nämlich der Jüngling in den Umgebungen des Herzogs die [117] holde Hermengild, des fürstlichen Kanzlers Tochter, kennen und lieben gelernt.

Wohl fand er Gegenliebe, aber konnte er, der arme Krieger und Waidmann, der nichts besaß, als seine mühsam errungene Ehre, und ein einsames Forsthaus zu Lehen trug, hoffen, die Tochter des edeln, angesehenen Kanzlers heimzuführen. Ungewohnt, vor seinen Eltern ein Geheimniß zu hegen, machte sie Horsa mit seiner hoffnungslosen Liebe bekannt und sein Vater, der gerade, schlichte Greis rieth ihm nun, zum Kanzler hinzugehen, um die Hand seiner Tochter zu freien, und wenn er abgewiesen würde, sich die Liebesgrille aus dem Kopf zu schlagen.

Der Jüngling beschloß dem Rathe seines Vaters zu folgen, besonders da eine Mähre umherlief, welche sagte, der stolze Kanzler sey bei seinem Herrn, dem Herzog, in Ungnade gefallen und lebe jetzt, sehr beschränkt, auf einem einsamen Waldschlosse. Dahin begab sich also Horsa. Als aber der stolze Edelmann die Bitte des Jünglings vernahm, da würdigte er ihn keiner Antwort, und bedeutete ihm höhnend, das Schloß zu verlassen, und sich nimmer blicken zu lassen.

Mit diesem sein Lebensglück zerstörenden Bescheid kehrte der Jüngling traurig heim. Die Eltern trösteten ihn, so gut sie konnten, und der Vater meinte, Horsa solle sich seinen Gram durch die Jagd in den umliegenden Forsten vertreiben.

Um diese Zeit erschallten diese sonst so stillen Wälder von lautem Gedränge und Getriebe; denn [2]: [118]


Es hielt auf Hohenstauffen
Der Schwaben Herzog Haus;
Der zog mit hellen Hauffen
Einsmahls zu jagen aus.

Bei dieser Jagd hatte Ekart und sein Sohn viel zu thun. Sie mußten dem Herzog, seiner Gemahlin und dem Jagdgesinde zu Wegweisern dienen, die wildreichsten Stellen zeigen und in dem einsamen Waldhause den hohen Gästen vor ihrer Heimkehr eine Jagdmahlzeit bereiten. Während des Jagens aber ereignete sich ein Zufall, welcher Horsas Glück begründete und die Erbauung unserer Stadt veranlaßte. Die Herzogin nämlich verlor in fröhlicher Hast und Jagdlust ihren Ehering. In jenen Zeiten ward ein solcher Ring gleichsam für einen Talisman gehalten, von dem Glück und Unglück des Ehepaars abhänge; und so darf man sich nicht verwundern, wenn die Herzogin des verlornen Kleinods wegen sehr in Aengsten war.

Die Bewohner des Waldhauses gingen am folgenden Morgen ihren Geschäften nach. Horsa nahm seine Jagdwaffen, um im Forste zu streifen und den Gedanken an seine Hermengild nachzuhängen. Er war kaum hundert Schritte von der Wohnung entfernt, als er da, wo jetzt die St. Johanneskirche steht, einen stattlichen Hirsch gewahr wurde. Er legte auf denselben an, der Pfeil schwirrte, und das Thier stürzte nieder. Als nun aber der Jäger seine Beute genauer untersuchte, erblickte er an der äußersten Spitze des Hirschgeweihes den köstlichen Ehering der Herzogin. Sogleich eilte er nach [119] Hohenstauffen, seinen Fund anzuzeigen. Die Herzogin, sehr erfreut, wollte dem glücklichen Finder eine Gnade gewähren. Der Jüngling entdeckte ihr seine hoffnungslose Liebe; und sieh, durch ihre Fürsprache begnadigte der Herzog den Kanzler wieder, und brachte es dahin, daß er seine Tochter dem jungen Waidmann zum Weibe gab. Auf der Stelle, wo Horsa den Ring gefunden, ließ die fromme Herzogin die noch jetzt stehende St. Johanneskirche erbauen. Allmählig lichtete sich der dunkle Wald, mehrere Häuser entstanden und Horsa und Hermengild sahen, glücklich vereint, eine zahlreiche Nachkommenschaft fröhlich heranblühen.

Also legte die Vereinigung eines treuliebenden Paares den Grund zur Erbauung einer blühenden Stadt.


Anmerkungen (Wikisource)

Scherrs Sagen (sein literarischer Erstling) sind Fakelore (Dorson), also gefälschte Volksüberlieferung, die sich als echte tarnt, in der Sagenproduktion des Vormärz freilich ein verbreitetes Verfahren (man könnte analog zum Kunstmärchen auch von Kunstsage sprechen). Scherrs Erzählung wurde allerdings später in Schwäbisch Gmünd als echte Sagenüberlieferung rezipiert.

Bereits Johann Burkhardt Rothacker: Süddeutschlands Sagen. Reutlingen 1837, S. 104-108 Google gab Scherrs Text wörtlich wieder, wobei er nur die ersten einleitenden Zeilen mit der Nennung des angeblichen Erzählers wegließ. Wiederabdruck in der zweiten Auflage von Rothackers Buch Stuttgart 1859, S. 160-164 Google.

Ottmar Schönhuths Bearbeitung der Version Scherrs: Die Sage vom Ringe (1860).

Die Entstehung der Stadt Gmünd. In: Sagen und Mythen. Hrsg. von Josepha Schrakamp. New York 1893, S. 63-65 Internet Archive = Google-USA* gibt ebenfalls die Version Scherrs wieder.

  1. Aus William Shakespeares A Midsummer Night's Dream [I, 1]: Lysander: Ay me! for aught that I could ever read, / Could ever hear by tale or history, / The course of true love never did run smooth: / But either it was different in blood,—.
  2. Die Verse stammen abgewandelt aus Ludwig Uhlands Gedicht "Der Schenk von Limburg" (Erstdruck 1819, ab 1820 in den Gedicht-Ausgaben):

    Nun hielt auf Hohenstaufen
    Der deutsche Kaiser Haus.
    Der zog mit hellen Haufen
    Einsmals zu jagen aus

    Zitiert nach Gedichte 4. Aufl. 1829, S. 397 Google. Scherrs Buch ist Uhland gewidmet.