Der Schäfer und die Sirene

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Textdaten
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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Der Schäfer und die Sirene
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Drittes Buch. S. 255-257
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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[255]
Der Schäfer und die Sirene[1].


Ein Schäfer aus der goldnen Zeit,
In seinem stillen Hirtenstande
Ganz Ruhe, ganz Zufriedenheit,
Trieb öfters an des Meeres Strande,

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Und was er sang, war Frölichkeit.
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Ihn rührten keine Schäferinnen.

Gefiel ihm Daphne ja zuweilen bey dem Spiel:
So konnte sie doch nichts gewinnen,
Als daß sie flüchtig ihm gefiel.

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Ein seltner Fall, daß ohne Schöne

Ein junger Schäfer glücklich war!
Doch seinem Herzen droht Gefahr.
Welch eine reizende Sirene
Schwimmt dort! Kaum wird er sie gewahr:

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So fühlt sein Herz Lieb und Gefahr.

Er steht, und will nicht stehen bleiben,
Erstaunt, blickt auf die Sängerinn,
Will abwärts mit der Heerde treiben
Und treibt nur mehr ans Ufer hin.

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     Nun irrt allein, ihr guten Heerden!

Der Schäfer hat für euch itzt keine Zeit.
Er klagt durch Lieder und Geberden
Der Schönen seine Zärtlichkeit;
Verspricht ihr alle seine Heerden

25
Und alles Glück der goldnen Zeit.

Sie, wohl in ihrer Kunst erfahren,
Hört nichts von dem, was er verspricht,
Scherzt mit der See, putzt an den Haaren,
Als sähe sie den Schäfer nicht,

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Und nöthigt ihn durch schlaue Blicke,

Den Antrag ihr noch oft zu thun.
Ich, singt sie, bin nicht mein. Neptun bestimmt mein Glücke;
Und wenn ich dich nicht flüchtig nur entzücke:
So geh und bitte den Neptun.

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Er bat. Nein, sprach der Gott der Meere,

Wenn ich die Bitte dir gewähre,
Gewähr ich dir dein Unglück nur.
Der Schäfer schleicht betrübt nach seiner Hütte;
Nun lacht ihm weiter keine Flur.

40
So oft Neptun am Strande fuhr,

So wiederholt er seine Bitte.
„Neptun! So soll das Meer die trefflichste Gestalt,
Die mich entzückt, in seinen Schoos begraben?“
Nein, rief der Gott, du sollst sie haben;

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Denn du verlangst sie mit Gewalt.


     Wie hurtig schwamm nunmehr die Schöne
Dem Ufer zu! Wie schön sang sie, wie zauberisch!
Er reicht ihr seine Hand. „Komm, göttliche Sirene!“ – – –
Doch welch Entsetzen! Seine Schöne,

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Sein Liebling, war halb Mensch, halb Fisch.

Mit Zittern floh Damöt vom Meere
Und gab nachher der Flur sehr oft die Lehre,
Daß unser liebster Wunsch oft große Thorheit wäre.



  1. Ich habe mich über diese und die folgenden Fabeln und Erzählungen in der Vorrede, die ich ehedem der Sammlung meiner vermischten Schriften vorgesetzt, also erkläret: „Ich erfülle hiermit das Versprechen, das ich unlängst öffentlich, (in dem 123sten Stücke des Hamburgischen Correspondenten vom Jahre 1756.) obgleich gezwungen, gethan habe, und liefere meinen Lesern den größten Theil der Fabeln und Erzählungen aus den Belustigungen, verbessert, und an vielen Orten geändert. Vielleicht ist diese Arbeit eine der undankbarsten, die ich jemals unternommen habe; so wie sie mir eine der unangenehmsten gewesen ist. Gesetzt, es wäre mir geglückt, diese meine ersten Versuche von den meisten Fehlern zu reinigen: so ist doch die Abwesenheit der Fehler in den Werken des Geschmacks mehr eine Nothwendigkeit, als Verdienst. Man kann einer Poesie durch Verbesserungen kleine Schönheiten geben; das ist gewiß. Aber die Hauptschönheit, die in der ganzen Anlage, in der ungezwungenen Einrichtung, in der Farbe der Schreibart selbst besteht; wie kann diese einem Werke ertheilet werden, wenn sie nicht in seiner Geburt mit ihm erzeugt wird, wenn sie nicht, wie die Seele, mit ihrem Körper zugleich da ist? Dadurch, daß man dem Gesichte die Flecken entzieht, wird die Miene noch nicht einnehmend.“