Der Staar von Segringen

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Der Staar von Segringen
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 230-232
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Staar von Segringen.

Selbst einem Staaren kann es nützlich seyn, wenn er etwas gelernt hat, wie viel mehr einem Menschen. – In einem respectabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Staar, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Staar, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Staar lernte nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst noch allerley Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel: So, so, la, la; oder: par Compagnie, (das heißt so viel als: in Gesellschaft mit andern); oder: wie Gott will; oder: du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch strich, anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Scheermesser am Rücken abzog, anstatt an der Schneide, oder wenn er ein Arzneiglas zerbrach. Alle diese Redensarten [231] lernte nach und nach der Staar auch. Da nun täglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gabs manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste mit einander ein Gespräch führten, und der Staar warf auch eins von seinen Wörtern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte, und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: Hansel, was machst du? antwortete er: du Dolpatsch! und alle Leute in der Nachbarschaft wußten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen, und das Wetter schön, da dachte der Staar: Ich hab jetzt schon so viel gelernt, daß ich in der Welt kann fortkommen, und husch zum Fenster hin aus. Weg war er. Sein erster Flug gieng ins Feld, wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: Sie wissen die Gelegenheit hier zu Land besser als ich. Aber sie flogen unglücklicher Weise alle miteinander in ein Garn. Der Staar sagte: Wie Gott will. Als der Vogelsteller kommt, und sieht, was er für einen großen Fang gethan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um, und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: „Ich bin der Barbier von Segringen.“ Als wenn er wüßte, was ihn retten muß. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zugienge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum [232] vor Lachen zu Athem kommen; und als er sagte: Ey Hansel, hier hätt ich dich nicht gesucht, wie kommst du in meine Schlinge? da antwortete der Hansel: „par Compagnie.“ Also brachte der Vogelsteller den Staar seinem Herrn wieder, und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Barbier von Segringen.

Merke: So etwas passirt einem Staaren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankiren, als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par Compagnie in die Schlinge gerathen, und nimmer heraus kommen.