Der Streit zwischen Krimhild und Brunhild vor dem Münster zu Worms

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Titel: Der Streit zwischen Krimhild und Brunhild vor dem Münster zu Worms
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 4–5, 19
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[4–5]

Der Streit zwischen Kriemhild und Brunhild vor dem Münster in Worms.
Nach einem Gemälde von F. Kirchbach.

[19] Der Streit zwischen Kriemhild und Brunhild vor dem Münster zu Worms. (Zu dem Bilde S. 4 und 5.) Urkräftig, voll elementarer Wucht sind die Leidenschaften, welche das „Nibelungenlied“ seinen Helden verleiht, und es ist verständlich, daß moderne Forschung in dem mittelhochdeutschen Epos die Spuren der grausam harten Merovingerzeit hat entdecken wollen. Wenn wir vom Untergange der Nibelungen am Hunnenhofe Attilas absehen, so finden wir wohl keine Scene im ganzen Liede, die an dramatisch bewegter Wildheit diejenige überträfe, in der die „Küniginne ein ander schulten“, jene Scene, da Siegfrieds Weib, Kriemhild, unter der Pforte des Münsters zu Worms dem Weibe des Königs Gunther, Brunhild, den Vortritt streitig macht.

Schon am Abende vor dem Kirchgang hat Kriemhild die Nebenbuhlerin gereizt durch überschwängliches Lob ihres Gatten; sie hat von ihm das schöne Wort gesprochen:

 „Siehst Du, wie er steht,
Wie er da so herrlich vor allen Recken geht,
Wie der lichte Vollmond vor den Sternen thut!“

Sie hat bestritten, daß Siegfried Gunthers Dienstmann sei, und zur öffentlichen Probe dessen verkündet, daß sie morgen vor des Königs Weib zur Kirchenthüre gehen werde. Und sie thut es! Mit königlicher Pracht tritt sie auf beim Zuge zum Münster; und als die eifersüchtige Königin ihr vor versammeltem Geleitsvolk verbietet, daß sie, die Eigene, vor des Königs Weibe gehe, da bricht sie los und hält Brunhild den Gürtel und Ring vor Augen, welche ihr Siegfried unter dem Schutze der unsichtbar machenden Tarnkappe abgenommen hat.

Aber Brunhild ist nicht die Frau, die sich ungestraft vor allem Volke so aufs tiefste demüthigen läßt. Ein heißer Durst nach Rache läßt sie mit dem grimmen Hagen jenen heimtückischen Mordplan ersinnen, dem Siegfried im Wasgenwalde zum Opfer fällt; Hagens Speer durchbohrt den Leib des Helden an der einzigen Stelle, da er verwundbar ist, an der Stelle, die Kriemhild selbst durch das ins Gewand gestickte Kreuz gezeichnet hat, so ahnungslos dem Mörder die Wege ebnend. Und nun ist wiederum Kriemhilds Leben ein einziges Rachesinnen, bis endlich alle, Schuldige und Unschuldige, Freunde und Feinde, in jenem schauerlichen Völkermorden am Hunnenhofe König Etzels zu Grunde gehen, bis Kriemhilds ungestilltes Rachesehnen im Blute des verhaßten Hagen sich gesättigt und sie selbst von dem entsetzten Meister Hildebrand, dem Recken Dietrichs von Bern, den Todesstreich empfangen hat.

Und Brunhild? Was ist aus ihr, der eigentlichen Urheberin all dieses Unheils, geworden? Wir erfahren es nicht, der Sänger des Nibelungenliedes hat sie über dem fürchterlichen Drama im fernen Osten, das er zu schildern hatte, vergessen – ein Zug jener künstlerischen Naivetät, mit der vorwiegend schöpferisch veranlagte Zeitalter den rechnenden, messenden, klügelnden Sohn einer ärmeren Zeit so oft überraschen.