Der Tabak ein Schädiger des Rückenmarks

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Autor: Emil Richard Pfaff
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Titel: Der Tabak ein Schädiger des Rückenmarks
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 730–732
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Tabak ein Schädiger des Rückenmarks.

Die vielen Freunde, welche sich der Tabak in kurzer Zeit erworben hat, haben es denn endlich dahin gebracht, daß man von diesem Kraute nur noch Gutes denkt und seine schlechten Eigenschaften fast ganz der Vergessenheit übergeben hat. Und doch sind diese letzteren, wenigstens bei manchen Tabakssorten, so schlimme und heimtückisch wirkende, daß man als Menschenfreund zum Tabaksfeinde werden muß. Sehen wir vorläufig von den Sünden des Tabaks gegen den Verdauungs- und Athmungsapparat, die auch keine geringen sind, ganz ab und zeigen wir, wie er das Rückenmark schädigt.

Die Tabakpflanze (Nicotiana Tabacum) wurde im Jahre 1496 von einem spanischen Missionär, Romano Pane, welchen Columbus auf seiner zweiten Reise nach Amerika dort zurückließ, auf St. Domingo auf folgende Weise entdeckt. Die Eingeborenen hielten zu Ehren des Gottes Kiwasa eine große Feierlichkeit, bei welcher ein Priester durch die Einathmung des Rauches von Tabakblättern in einen Zustand von Exaltation versetzt wurde und weissagte. Der in der Nähe befindliche Missionär roch das eigenthümliche Aroma des brennenden Krautes und verschaffte sich Kenntniß von der Pflanze. Später wurde eine geringe Quantität des Tabaksamens an Kaiser Karl den Fünften gesendet; allein wegen ungenügender Kenntniß der Behandlungsweise der Pflanze gedieh dieselbe in Europa nicht. Erst als man im Jahre 1618 die Insel Cuba zum Pflanzorte des geheimnißvollen Krautes ausersah, da gedieh dasselbe in ausgezeichneter Weise. Jedoch war auch schon früher der Tabak als Rauchartikel allgemein verbreitet. Im Jahre 1559 brachte Hernandez de Toledo den Tabak in der Verarbeitung als Schnupfmittel nach Spanien und Portugal, und aus letzterem Lande schickte (etwa 1559-60) Jean Nicot, französischer Gesandter in Lissabon, eine Probe des gepulverten Tabaks als Mttel gegen Migräne an die Königin Katharina von Medicis und deren Sohn Franz den Zweiten. Mit der Rückkehr des Francis Drake aus [731] Virginien (im Jahre 1586) wurde das Tabakrauchen in England eingeführt und hier trug besonders Sir Walther Raleigh, der ein leidenschaftlicher Raucher war und noch kurz vor seiner Hinrichtung (1618) in seltener Gemüthsruhe seine Pfeife rauchte, viel zur Verbreitung des Rauchens bei. In unglaublich kurzer Zeit wußte sich die Mode zu rauchen und zu schnupfen, obgleich derselben in Europa von vielen Seiten Hindernisse in den Weg gelegt wurden, in allen Kreisen der Gesellschaft zur Geltung zu bringen, so daß sie, wie bekannt, unter der Regierung Ludwig des Vierzehnten zur Etiquette gehörte. Es sollen mehr als einhundert Schriften gegen das Tabakrauchen geschrieben worden sein; selbst König Jacob der Erste, welcher die schädlichen Folgen des Rauchens bei dem ersten Versuche an sich selbst empfunden hatte, war über das überhandnehmende Tabakrauchen dermaßen entrüstet, daß er im Jahre 1603 ein lateinisches Buch gegen den Tabak unter dem Titel „Misocapnus“ schrieb und veröffentlichte. Ja, Papst Urban der Achte bedrohte alle Tabakraucher und -Schnupfer mit dem Bannfluche, während Benedict der Dreizehnte, der selbst in aller Stille ein leidenschaftlicher Raucher war, im Jahre 1724 diesen Fluch wieder aufhob und sogar die Anpflanzung des Tabaks in Italien veranlaßte.

Der Name Nicotiana ist von Jean Nicot abgeleitet, die Quelle des ursprünglichen Namens Tabak jedoch ist nicht genügend bekannt. Nach Alexander von Humboldt gehört das Wort Tabak der alten Sprache von St. Domingo an und bedeutet nicht das Kraut, sondern die Röhre, durch welchen man den Rauch einzog. Einige leiten das Wort auch von Tabago, Andere von der Stadt Tabasco ab. Humboldt berichtet ferner, daß der Tabak, welcher den Europäern vor der Entdeckung von Amerika nicht bekannt gewesen zu sein scheint, von den Anwohnern des Orinoco seit undenklichen Zeiten cultivirt wurde. Sie bedienen sich zum Rauchen eines langen Vogelknochens (Fußknochens eines großen Strandläufers).

Man muß sich nun wundern, wie eine Pflanze, die in ihren Eigenschaften so viele Ähnlichkeit mit dem giftigen Schierling und Sturmhut hat, zu so allgemeinem Gebrauche und Mißbrauche, ja zum Namen eines Genußmittels, hat gelangen können, und daß noch jedes Jahr, wie die Tabaksteuer beweist, der Verbrauch des Tabaks sich steigert. Sicherlich ist nur die Macht des Beispiels und der Gewohnheit schuld daran. – Das Giftige im Tabak ist ein Stoff, welcher „Nicotin“ benannt und von Vauquelin entdeckt worden ist. Den neuesten chemischen Analysen zufolge enthalten nun aber die verschiedenen Tabakssorten dieses Gift in verschiedener Menge, ja mancher Tabak, wie der aus der Levante, aus Griechenland und aus Ungarn ist völlig nicotinfrei, und daher kommt es denn auch, daß die Bewohner jener Gegenden ungestraft so stark rauchen können. – Der Tabak aus Arabien, Brasilien, Havanna und Paraguay enthält blos zwei Procent Nicotin; der Tabak aus Nord-Frankreich, der Pfalz und dem Elsaß schon drei bis vier Procent, dagegen der Tabak aus Kentucky, Virginien, Süd-Frankreich und vielen Gegenden von Deutschland sogar fünf bis sieben Procent Nicotin.

Je stärker nun der Nicotin-Gehalt der gerauchten Tabaksorte ist, desto intensiver treten die Einwirkungen auf das Gehirn, vorzugsweise aber auf das Rückenmark (nach Jolly) hervor. Man hat nämlich die Beobachtung gemacht, daß in den Gegenden, wo die stärksten Tabakssorten geraucht werden, die vom Rückenmarke ausgehenden Lähmungen der Beine am häufigsten, dagegen da, wo man nicotinfreien Tabak raucht, nie vorkommen, es müßte denn diesem Tabak Opium zugesetzt werden, wie dies viele Türken und Griechen zu thun pflegen. Wir verdanken diese Kenntniß den glaubhaften Berichten des französischen Arztes Moreau, der jene Gegenden bereist hat, um die Entstehungsursachen der Geisteskrankheiten aufzuklären.

Auch die Art, wie man raucht, hat Einfluß auf das Hervortreten der schädlichen Wirkungen des Tabaks auf Gehirn und Rückenmark. Das Rauchen durch lange Pfeifen ist am wenigsten nachtheilig, während das Cigarrenrauchen die Schädlichkeit bedeutend steigert, zumal wenn die Cigarre am Mundende gekaut wird. Am allernachtheiligsten wirkt aber das Tabakkauen; der Kautabak enthält nämlich selten weniger als sechs Procent Nicotin. Daher mag es denn auch kommen, daß in dem großen Seemannshospital zu Greenwich eine so große Anzahl der an Lähmung der Beine Leidenden zu finden sind, und Verfasser hat daselbst viele noch immer von früh bis Abends Tabak kauende gelähmte Matrosen gesehen, die in dem großen Hofe dieser Anstalt auf dreirädrigen Wägelchen umhergefahren wurden. – Natürlich können Lähmungen der Beine in Folge eines Rückenmarksleidens auch aus anderen Ursachen entstehen, aber stets muß dabei an eine chronische Nicotinvergiftung gedacht werden.

Um die Wirkungen des Nicotins genau zu erforschen, haben Orfila, Posselt, Reimann, Fr. Tiedemann und viele Andere Versuche damit an Thieren gemacht und seit dem im Jahre 1850 in Belgien verhandelten Processe Bocarmé’s sind die Wirkungen des Nicotins auch im großen Publicum bekannt. Ein Tropfen Nicotin tödtet Vögel augenblicklich, bei uns vorkommende Lurche nach wenigen Secunden und kleine Säugethiere, wie Hunde, Katzen und Kaninchen, nach wenigen Minuten. Bei den letzteren trat als constantes Symptom Lähmung der Beine und, wie Tiedemann sagt, Aufhören der Thätigkeit des Rückenmarks ein. Ganz ähnlich wirkt (nach Marshall Hall, Marigues, Orfila, Westrumb, Traube u. A.) das Nicotin auf den Menschen.

Aus alledem ergiebt sich, daß das Rauchen unverfälschter türkischer, griechischer und ungarischer Tabake unschädlich ist, daß ferner mäßiges Rauchen (das tägliche Rauchen von zwei bis drei schwach nicotinhaltigen Cigarren) bei den meisten Rauchern ohne besondere Nachtheile vorübergehen kann, daß jedoch das anhaltende Rauchen starker Cigarren und Tabake durchaus nicht als ein so unschuldiger und indifferenter Genuß zu betrachten ist, wie man gewöhnlich glaubt, sondern daß dadurch nach und nach sehr bedenkliche Erscheinungen chronischer Nicotin-Vergiftung bedingt werden können, welche gewöhnlich nicht erkannt und auf andere Ursachen geschoben werden. Daß das neuerdings immer läufigere Vorkommen von Geisteszerrüttung eine Folge des überhandnehmenden Rauchens starker Tabake sei, wie Jolly und Andere behaupten, läßt sich zur Zeit noch nicht mit Bestimmtheit nachweisen, aber unwahrscheinlich ist es nicht. – Die Schädlichkeit des Nicotins scheint durch Kaffee und Bier gemildert zu werden, Coffein und Lupulin scheinen sonach die Wirkungen des Nicotins zum Theil zu neutralisiren.

Um die schädlichen, mit Opium vergifteten und die nicotinhaltigen Tabake unschädlich zu machen, empfiehlt Verfasser das folgende Verfahren. Die nicotinfreien, aber mit Opium versetzten türkischen, griechischen und ungarischen Tabake, die um so dunkler sind, je stärker die Verfälschung, lassen sich sehr leicht durch ein mehrstündiges Maceriren in kaltem Wasser unschädlich machen. Man legt den verdächtigen, beim Rauchen leicht Eingenommenheit des Kopfes und Brennen auf der Zunge verursachenden Tabak in ein Gefäß, übergießt denselben mit kaltem Wasser und rührt den dadurch erhaltenen Brei fleißig um. Schon nach Verlauf von einer Viertelstunde ist das Wasser braunroth gefärbt und enthält Opium. Diese Flüssigkeit wird abgegossen und das Verfahren so lange wiederholt, bis das Wasser ganz farblos bleibt. Hierauf wird der Tabak ausgedrückt, auseinandergezupft und möglichst schnell getrocknet. Alles Berauschende ist auf diese Weise aus dem türkischen Tabak verschwunden, aber das feine Aroma desselben unverändert zurückgeblieben und man kann stundenlang davon rauchen, ohne Eingenommenheit des Kopfes befürchten zu müssen, denn der Tabak ist leicht und ganz unschädlich. Dies ist das Verfahren zur Entfernung des Opiums und scharfer Saucen, die diesen Tabaksorten meistens beigemischt sind, auch wenn die Händler natürlich Nichts davon wissen wollen.

Eines ganz ähnlichen Verfahrens bedient sich Verf. zur Entfernung des übermäßigen Nicotin-Gehalts aus den übrigen Tabaksorten. Allein die Procedur nimmt um so längere Zeit in Anspruch, je nicotinreicher der Tabak ist. Außerdem bedarf man hierzu nicht nur des Wassers, sondern noch eines Zusatzes von Alkohol und Aether, wodurch der Nicotingehalt zum größten Theile ausgezogen wird und zwar um so durchgreifender, je länger man diese Reagentien wirken läßt. Jeder schwere, beim Rauchen leicht Brennen auf der Zunge, Uebelkeit, Eingenommenheit des Kopfes etc. bedingende Tabak bedarf, um unschädlich zu werden, einer derartigen Maceration. Bei den nur zwei Procent Nicotin enthaltenden Tabaken aus Brasilien, Arabien, Paraguay, Havanna und Maryland reicht eine drei- bis vierstündige Maceration in Wasser, dem man auf jedes Pfund eine halbe Unze Weingeist und zwei Drachmen Schwefeläther zusetzt, hin, dagegen bedürfen die stark nicotinhaltigen Tabake aus der Pfalz und dem Elsaß, insbesondere aber aus Kentucky [732] und Virginien einer weit längeren Einwirkung dieser Stoffe, um ohne Nachtheil rauchbar zu werden, ja eine Probe aus Kentucky mußte mehrere Tage lang diesem Macerationsprocesse ausgesetzt werden, bis sie den größten Theil des Nicotingehalts verloren hatte und ohne Beschwerde geraucht werden konnte, während sie vorher einen so bissigen und giftigen Geschmack gehabt hatte, daß schon wenige Züge aus einer damit gestopften Pfeife hinreichten, um Uebelkeit und Ekel zu erregen. – Auf dieselbe Weise ist der Tabak vor der Verarbeitung zu Cigarren zu behandeln, welche, je nach der längern oder kürzeren Maceration des dazu gebrauchten Tabaks, einen um so mildern Geschmack, dabei aber ein sonst ungeschmälertes Aroma haben und ohne allen Nachtheil auch in größeren Mengen geraucht werden können.

Dr. E. R. Pfaff.