Der Tunnel unter dem Canal von Dover nach Calais

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Autor: Arn. Ruge
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Titel: Der Tunnel unter dem Canal von Dover nach Calais
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 775–776
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[775] Der Tunnel unter dem Canal von Dover nach Calais. Das Gelingen des Mont-Cenis-Tunnels hat den verwegensten Ingenieuren Muth gemacht und es sind die verschiedensten Pläne aufgetaucht, wie man die Schwierigkeiten eines Tunnels unter dem Kanal von Dover nach Calais überwinden könne. Ein englischer Ingenieur, den ich befragte, schreibt darüber: „Zuerst sind sogar die Geologen getheilter Meinung. Die Einen sagen, das Bett des Kanals bestehe aus hartem solidem Kalk und Kreide. Nichts könne bequemer für Anlegung von unterirdischen Gängen gedacht werden; das Material schneide sich so bequem wie ein Käse und biete auch in keiner andern Hinsicht das geringste Hinderniß; die einzige Frage sei die Auslage und ob sich’s verzinsen werde. Auf der andern Seite behaupten völlig competente Geologen, das Bett, unter dem der Tunnel hinlaufen solle, sei poröser Art und in weite Spalten und Risse zerklüftet, die so weit in die Erde hinunterreichten, daß sie die Arbeit absolut unmöglich machten. Man erinnere sich der Wassereinbrüche in den Themsetunnel, die man auch nicht vorhergesehen hatte. Ich nehme weder die eine, noch die andere Theorie unbedingt an. Darüber kann nur ein wirklicher Versuch entscheiden, und ich will nur gerade heraus meine Meinung sagen, daß nämlich dieser Versuch nie so weit fortgeführt werden wird, um die Streitfrage praktisch zu entscheiden.

Ich weiß sehr wohl, daß viele leitende Organe in England und auf dem Continent die öffentliche Meinung für den Plan einzunehmen gesucht haben und daß sie ihn nicht nur für thunlich halten, sondern auch eifrig zur Ausführung rathen. Aber ich bin so entschieden der entgegengesetzten Ansicht, daß ich keinen Zweifel hege, die 20,000,000 Pfd. Sterling, die veranschlagt sind, um das Unternehmen auszuführen, würden rein weggeworfen sein; und während wir so einem Schatten nachjagten, würden wir einen wirklichen Ersatz, den wir sicher in unserer Macht haben, aufopfern.

Zuerst angenommen, ein Tunnel unter der See fünfundzwanzig Meilen (über fünf deutsche Meilen) lang ließe sich bauen und lüften; wer ist so kühn, daß er behauptet, er würde rentiren? Wo wollte man die Reisenden finden, die sich einem solchen verlängerten Rattengange anzuvertrauen den Muth hätten, die drei Viertelstunden lang der Beängstigung trotzen wollten und jeden Augenblick Gefahr laufen möchten, daß durch irgend einen Zufall die Ventilirung gestört und der ganze Zug erstickt würde? Wer nur durch einen Tunnel von drei englischen (drei Viertel deutschen) Meilen gefahren [776] ist, weiß, wie ihm dabei zu Muthe ist. Wenn nun auch die Mehrzahl kühn und vertrauend wäre, wenn auch der glückliche Versuch die Leute beruhigte: eine nicht geringe Minderzahl würde die Seefahrt vorziehen und sicherlich Alle, die seefest sind.

Dies ist gegen die Rentabilität zu sagen. Eine Gefahr für das ganze Werk bleibt ferner unter allen Umständen die Möglichkeit eines ausbrechenden Krieges. Man soll für den Tunnel die europäische Neutralität verbürgen! Und wenn nun der Feind den Tunnel in der Hand hätte? ‚Dann müßte man ihn freilich unter Wasser setzen!‘ Und was würde dann aus der ‚Canal-Tunnel-Compagnie‘ und ihren zwanzig Millionen? Freilich können unsere Nachbarn, die Franzosen, so friedlich werden, wie wir nur wünschen, aber wer will behaupten, daß sie es schon sind, und was würde aus ‚unserm besten Bollwerk, dem Silberstreifen der See‘, das wir jetzt gegen sie haben?

Alle diese Schwierigkeiten, die möglichen geologischen, die gewissen finanziellen und die immer drohenden politischen, haben denn auch die Ingenieure in’s Feld gerufen, die ihren Glauben auf Ueberbrückung setzen. Die Verwegenheit ist groß; aber mit der größten Ruhe tragen sie dem Publicum ihre Pläne vor. Nur ein Beispiel aus der ‚Times‘ vom 10. October. Die Brücke soll gerade hoch genug sein, um über die höchsten Springfluthen wegzugehen, und etwa von Meile zu Meile sich öffnen können und selbst die größten Schiffe durchzulassen im Stande sein etc. Aber der ingeniöse Urheber dieses Riesenplanes giebt uns nicht einmal sein Verfahren zur Errichtung der Brückenpfeiler an, und von den Kosten schweigt er ebenfalls. Auch wie die Brücke gegen das Anprallen von Schiffen im Sturme und in dunkeln Nächten zu sichern sei, sagt er nicht.

Von diesen beiden Arten der Verbindung zwischen Dover und Grisnez, den gegenüberstehenden Kalkfelsen, die man von beiden Küsten mit bloßem Auge sieht, ist offenbar der Tunnel noch am wenigsten chimärisch.

Ich komme aber jetzt auf den praktischen Ausweg, der auch schon im Vorschlage gewesen ist.

Die Uebelstände der Ueberfahrt von Dover nach Calais sind groß und ernsthafter Art; aber für den zwanzigsten Theil des Geldes, das der Tunnel kosten soll, lassen sie sich auch für den empfindlichsten Reisenden heben. Eine halbe Million, verwendet auf die Anlegung eines Hafens und Hafendammes zwischen Dünkirchen und Boulogne oder auf den Vorstoß der Landungsdämme von Calais und Boulogne unter dem Schutze von Hafendämmen im Halbcirkel, würde es möglich machen, bei jedem Wetter in hinlänglich tiefem Wasser anzufahren. Es wäre dann nur nöthig, große schnellfahrende Boote zu bauen, um ohne merkliches Schwanken und in achtzig Minuten die Fahrt selbst beim rauhesten Wetter zurückzulegen.

Ich empfehle diese Auskunft, die großartig genug, aber weder abenteuerlich noch unmöglich ist und sich daher mehr an den Verstand als an die Phantasie wendet.“

Arn. Ruge.