Der militairische Stellenmarkt in England

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Titel: Der militairische Stellenmarkt in England
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 498–500
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der militairische Stellenmarkt in England.[1]

Die nachstehenden Enthüllungen eines englischen Cavallerieofficiers, die wir Dickens’ Household Words entnehmen, gewähren einen belehrenden Blick in das Treiben und Wirken der auch nach dieser Seite hin durch und durch faulen Adels- und Geldwirthschaft der stolzen Britannia und sind mehr als vieles Andere geeignet, den Zustand der englischen Armee zu erklären. –

Warum ich eigentlich Dienste nahm, wüßte ich wohl schwerlich zu sagen. Ich fühlte gerade keinen besonderen kriegerischen Eifer in mir. Es war vielleicht, weil mehrere „Männer,“ von sechszehn Jahren oder da herum, die meine Cameraden in einer fashionablen öffentlichen Schule waren, in die Armee zu treten beabsichtigten; oder, wahrscheinlicher, wegen des gloriosen Vorrechtes, eine mit Goldtressen bedeckte Uniform tragen zu dürfen; am allerwahrscheinlichsten aber doch wegen der Alternative, die mir mein Vater stellte: entweder mir ein Officierspatent zu kaufen, mich mit guten Pferden in ein wohlbekanntes Regiment zu bringen und mir zugleich, außer meinem Gehalte, 500 Pfund (3350 Thlr.) jährlich zur freien Verfügung zu stellen, oder aber, mich auf die Universität zu schicken, wo ich mich um einen Grad bewerben sollte, um mir dann bei einem Anwälte im Tempel den Kopf mit der Rechtsgelahrtheit zu zermartern.

Die Wahl war schnell getroffen und mein Name wurde sogleich beim Kriegsamte für eine Charge vorgemerkt.

Officiersstellen waren zu jener Zeit gerade schwer zu erlangen, selbst durch Kauf; und erst nachdem ich anderthalb Jahre gewartet und meinen Vater gepeinigt hatte, fast monatlich an das Parlamentsmitglied für unsere Grafschaft und die verschiedenen Generale zu schreiben, mit denen er bekannt war, erhielt ich endlich vom militairischen Secretair des Oberbefehlshabers die officielle Weisung, daß nach Einzahlung einer Summe von 840 Pfund (5600 Thlr.) an den Armeeagenten, Herrn Soundso, mein Name Ihro Majestät für ein Fähnrichspatent in den leichten Dragonern empfohlen werden würde.

Auf diese Art wurde ich in der Armee angestellt: nicht etwa wegen irgend eines Verdienstes, das ich besessen hätte; nicht, weil ich vielleicht geistig oder physisch mich dazu eignete; nicht, weil ich ein Jota von der ganzen Sache verstand; sondern erstens, weil mein Vater so viel Einfluß hatte, mir eine Charge zu verschaffen, und dann zweitens, weil er Geld genug besaß, 840 Pfund dafür zu bezahlen.

Ungefähr zwei Monate, nachdem ich meinen Namen in der officiellen Zeitung als Fähnrich bei den leichten Dragonern gelesen [499] hatte, traf ich im Hauptquartiere des Regiments ein, das in einer Fabrikstadt im Norden Englands stand. Während der ersten vier Monate blieb ich ziemlich fest an den Kasernenhof gefesselt, um all’ die verschiedenen Uebungen, Exercitien und sonstige Obliegenheiten zu erlernen. Es ist eine außerordentliche Anomalie, daß die jungen Officiere in ihren Dienstpflichten erst dann unterrichtet werden, nachdem sie bereits in ihre Posten eingetreten sind, und nicht schon vorher. Gar oft sah ich so einen neuernannten Fähnrich erst reiten lernen, – ohne Steigbügel in der Reitschule herumtorkelnd, nicht selten von dem Reitlehrer ziemlich unsanft angeschnauzt und schallend verlacht von den Soldaten, – der einige Stunden später einen Trupp beim Stalldienste commandirte, von dessen Einzelheiten er weniger verstand, als die Pferde, die eben gestriegelt wurden. Ich fordere alle Soldaten, über die ein solcher Junge Autorität ausüben soll, heraus, irgend welchen Respect vor einem Gelbschnabel zu haben, der auch nicht das Geringste von seinen Berufspflichten kennt und vor ihren Augen erst erlernen muß, was sie alle vollständig inne haben und viele unter ihnen schon wußten, noch ehe er geboren war.

Nach ungefähr sechs Monaten hatte ich meine Reitschule und das Exercitium absolvirt und in noch dreien konnte ich bei einer Feldübung das Commando einer Abtheilung übernehmen, ohne gerade viel mehr Verstöße zu machen, als meine Nebenmänner. Mit dieser Fertigkeit fing ich an ein gewisses Interesse an meinem Fache zu nehmen und würde vielleicht noch ein ziemlich guter Soldat geworden sein, wenn ich bei den älteren Officieren einige Aufmunterung gefunden hätte. Allein bei den leichten Dragonern, wie beinahe in jeder anderen Waffengattung des Heeres, galt es für höchst pöbelhaft und unleidlich, von irgend etwas zu sprechen, was mit der Dienstpflicht zusammenhing. Der Oberst, der das Corps commandirte, war der jüngere Sprosse eines hochadeligen Hauses und hatte sich durch gewichtigen Einfluß und enorme Geldauslagen in sehr wenig Jahren zu seiner gegenwärtigen Stellung emporgeschwungen. Er schien das Regiment ganz als sein Privateigenthum zu betrachten und war sehr ungehalten, selbst wenn die obersten Behörden des Kriegsamtes sich viel in sein Commando einmengten. Er war verheirathet, und außer auf den Paraden und in den Stallungen sahen wir nur wenig von ihm; da er uns aber so viel Urlaub gab, als wir nur wünschten, und uns nicht mit vielem Exerciren plagte, so war er sehr beliebt bei seinen Officieren und erfreute sich durch die ganze Cavallerie des Rufes eines ganz ausgezeichnet guten Kerls. Die Wahrheit ist, daß er bei all’ seiner wirklichen Liebe für den Beruf sowohl, wie für das Regiment, doch zu viel Verstand besaß, um das Unmögliche zu unternehmen. Gleich so vielen Andern in seiner Stellung erkannte er, daß seine Officiere eben keine Soldaten waren und Nichts sie dazu machen könne, so lange das gegenwärtige System fortbesteht. Die sämmtlichen Geschäfte des Regiments wurden allein nur von dem Oberstlieutenant, seinem Adjutanten – ein tüchtiger Mann von mittleren Jahren, der ganz von unten auf gedient hatte und mit allen Theilen des Dienstes auf’s Genaueste vertraut war, – und sechs Wachtmeistern versehen. Die Rittmeister wußten blutwenig von den Leuten oder Pferden ihrer Schwadronen, und die Lieutenants noch weniger. Wünschte der Oberst oder der Adjutant von einem Rittmeister irgend etwas seine Mannschaft Betreffendes zu erfahren, so mußte er, um eine richtige Antwort zu bekommen, sich jedes Mal direct an den Wachtmeister der Schwadron wenden. Capitaine durch Kauf wissen überhaupt nur selten viel von ihren eigenen Soldaten. So unbedingt waren Berufsgegenstände in der Unterhaltung meiner Cameraden verpönt, daß man unsre Officierstafel wirklich erst jahrelang besucht haben mußte, um zu glauben, mit welchem Spotte und welcher Verachtung jede Frage, die sich auf den „Kram“ bezog, sogleich abgetrumpft wurde. Das Gleiche war bei jeder Officierstafel wahrzunehmen, an der ich gespeist habe, und es sind nur wenige in der ganzen Cavallerie, deren Gastlichkeit ich nicht genossen hätte. Pferde, Hunde, Jagen, Schießen, Wettrennen, das Ballet und die Adelschronik, das sind die immer wiederkehrenden Gegenstände aller Gespräche, der Inhalt aller Kenntnisse; von Kriegskunst und Kriegsgeschichte dagegen, von Einüben der Menschen und Pferde, wissen sie nichts, wollen sie nichts wissen noch hören und ebensowenig dulden, daß ihre Cameraden etwas davon lernen. Eins der ersten Dinge, die ein junger Mensch nach seinem Eintritt in ein Regiment von seinen Cameraden lernt, ist, jede Art von Dienstpflicht als „Plackerei“ zu bezeichnen. Einmal in einer Woche oder zehn Tagen auf Wache sein, ist Plackerei; die Stallungen besuchen und täglich eine Stunde lang thun, als beaufsichtige man das Pferdeputzen, ist Plackerei; zwei oder drei Tage Feldübungen in zehn Wochen, ist Plackerei; als Mitglied bei einem Kriegsgericht sein müssen, ist entsetzliche Plackerei; und auf der Straße die Uniform tragen – wie es in Dublin und einigen andern großen Städten reglementmäßig ist – das ist eine ganz unerträgliche Plackerei. Keinen Urlaub erhalten nach London während der Saison, nach Doncaster oder Newmarket zu den Wettrennen, nach Schottland im August oder im October nach Leamington, sind es überschwengliche Plackereien, daß schon gar mancher patriotische Capitain in Folge dessen ausverkauft hat.

Nicht als ob es solche Krieger an der Art hätten, sich dergleichen, aus der Dienstpflicht entspringende Plackereien lange gefallen zu lassen. In dieser Beziehung sind sie nur consequent. Sie treten in die Armee, weil es ihnen gerade Spaß macht, und aus demselben Grunde treten sie auch wieder aus. Es sind mir selbst Rittmeister bei den Dragonern bekannt, welche die Wirthschaft, wie sie es nennen, stehenden Fußes aufgaben, und was die geringeren Officiere anlangt, „so kann man“ – nach dem Ausdrucke eines alten Wachtmeisters, – „zu keiner Zeit wissen, welche Fähnriche und Lieutenants in den nächsten zehn Minuten noch zum Regimente gehören.“ Ich erinnere mich eines Rittmeisters, der erst kürzlich aus Indien zurückgekehrt war und dem sein Oberst einen dreitägigen Urlaub nach London abschlug. Fünf Minuten nach der Weigerung stand er im Zimmer des ersten, zum Kaufe vorgemerkten Lieutenants und frug ihn, wie viel er ihm geben wolle, wenn er ausverkaufe. „Wenn Sie Ihre Papiere diesen Nachmittag einsenden, will ich so und soviel (eine große Summe nennend) zahlen.“ Die Papiere wurden eingesendet, eine Anweisung auf die verabredete Summe wurde ausgestellt, und innerhalb vierundzwanzig Stunden war der Rittmeister ein freier Mann und der Lieutenant ein Rittmeister. Ich wüßte wenigstens zwanzig Officiere und mehr, die während meiner Dienstzeit wegen irgend einer kleinen Empfindlichkeit augenblicklich die Armee verließen. Das ist natürlich: die Officiere betrachten ihre Stellen einfach als Privateigenthum, – was sie bei dem gegenwärtigen Systeme auch wirklich sind, – und glauben sie mit demselben Rechte nach ihrem Belieben wieder verkaufen zu können, wie sie sie gekauft haben.

Nachdem ich ungefähr zwei Jahre im Regiment war, wurde ich ältester Fähnrich für den Kauf und hatte auch bald Gelegenheit, meine Beförderung zum Lieutenant zu erlangen. Was war mein Anrecht auf dieses Avancement? Geld, weiter gar nichts. Vor mir stand ein Officier, der von unten auf gedient und viel Kriegsdienst gesehen hatte, als das Regiment in Indien stand. Dieser Herr war seit beinahe zwanzig Jahren Soldat und nur durch sein Verdienst vom Gemeinen durch alle Grade bis zum Fähnrich und Regimentsadjutanten aufgestiegen. Weil er aber kein Geld besaß sich das Lieutenantspatent zu kaufen, so sprang ich, nach zweijährigem Dienste, über ihn hinweg. Mit Einschluß dessen, was mein Vater für meinen ersten Posten gezahlt hatte, kostete mein jetziger Rang 1760 Pfund (11,800 Thlr.). Der gesetzliche Preis für eine Lieutenantstelle ist 1160 Pfund (7800 Thlr.) und die Parlamentsacte so wie das Armeereglement erklärt jede Mehrzahlung für ein gerichtlich zu bestrafendes Vergehen; nichts destoweniger wird kaum je eine Stelle in der Armee um den gesetzlichen Preis verkauft, ja das Doppelte wird oft den älteren Officieren geboten, um sie zum Ausverkauf zu bewegen. Für die 1760 Pfund, die mein Vater für meine Patente ausgelegt hatte, erhielt ich ein jährliches Einkommen von 162 Pfund (1100 Thlr.), was bei weitem nicht meine monatliche Tischrechnung deckte. Ich war keineswegs verschwenderisch, sondern hielt im Gegentheil mein Geld sehr zusammen, und doch kamen meine Kasernenkosten – d. h. Alles, was ich ausgab, wenn ich wirklich beim Regimente anwesend war – niemals unter 50 Pfund (340 Thlr.) des Monats, und nur wenige meiner Cameraden gaben so wenig aus, wie ich. Hieraus ist ersichtlich, daß es reine Verrücktheit wäre, ohne ein ziemliches Privateinkommen in ein Cavallerieregiment treten zu wollen. Auch unterrichtet sich das Kriegsamt immer über die Mittel der Candidaten für solche Regimenter, ehe eine Ernennung stattfindet. In den Infanterieregimentern ist, wie ich glaube, die Lebensweise nicht so kostspielig, obwohl in dieser Waffengattung selbst junge Officiere immer 2 bis 300 Pfund (1400–2000 Thlr.) außer ihrem Gehalte jährlich haben müssen, um wie [500] ihre Cameraden leben und sich von Schulden freihalten zu können. In meinem Regimente befanden sich nur zwei Officiere, die keine Privatmittel besaßen: das waren der Quartiermeister und der Adjutant. Beide waren von Unten auf avancirt, und da sie in Folge ihrer Stellungen höhere Gehalte bezogen, als ihre Ranggenossen, der Oberst sie der Auslagen wegen von der Officierstafel dispensirte, und es von ihnen nicht verlangt noch erwartet wurde, daß sie sich bei den Subscriptionen für Bälle, Jagden, Wettrennen, Festessen und ähnlichen Extravaganzen betheiligten, so machten sie es möglich, auszukommen.

Das allgemein gebräuchliche Feilschen um Avancement würde in der Handelswelt bei einem häßlichen Namen genannt werden. Ungefähr vier Jahre, nachdem ich meine Lieutenantsstelle gekauft hatte, bot sich mir die Gelegenheit, eine Rittmeisterstelle zu erlangen. Ich war nicht der älteste Lieutenant, sondern hatte noch zwei vor mir auf der Liste. Der eine von diesen war der Reitlehrer, der zwar eine Jahresrente bezog, die ihn befähigte, bequem zu leben, aber nicht genug Vermögen besaß, eine Schwadron zu kaufen. Der andere ältere Officier hatte eben sein Geld beim Wettrennen verloren, und mußte daher seinen Namen von der Käuferliste zurückziehen. Es galt für einen besondern Glücksfall, daß ich, dritter Lieutenant und erst sechs Jahre in der Armee, schon eine Schwadron haben konnte, und der Rittmeister, welcher sich zurückzuziehen gedachte, beschloß daher auch, mich tüchtig zahlen zu lassen, um ihn dazu zu bewegen. Ich hatte gehört, daß er 5500 Pfund (37,000 Thlr.) für die Schwadron gegeben hatte, – während der Reglementspreis nur 3328 Pfund (22,000 Thlr.) war, – und bot ihm dieselbe Summe. Er aber verlangte 6000 Guineen (42,000 Thlr.). Das schien mir denn doch zu viel; aber nach langem Handeln und Feilschen willigte ich, 6000 Pfund (40,000 Thlr.) zu zahlen, und ihm ein altes Pferd für 100 Pfund (670 Thlr.) abzunehmen. Der Handel wurde abgeschlossen, und in wenig Tagen erschien mein Name in der officiellen Zeitung als Rittmeister durch Kauf. Noch einmal hatte ich vermöge der langen Börse meines Vaters zwei weit ältere Officiere übersprungen. Wohl zwanzig Mal war ich bei ähnlichen Käufen und Verkäufen zwischen meinen Cameraden gegenwärtig, und weit öfter noch wurde ich dabei zu Rathe gezogen. Auch habe ich noch nicht das Ganze erzählt. Wenn nämlich so eine Beförderung stattfinden soll, ist nicht nur der Handel zwischen dem Officiere, der jetzt ausverkauft, und dem andern, der seine Stelle kaufen will, in’s Reine zu bringen, sondern auch die niedern Grade, die dadurch eine Stufe vorrücken, haben ihren Theil an der Summe beizutragen. So auch bei mir: ich war zwar dem austretenden Rittmeister allein für die ganzen 6000 Pfund verantwortlich, mußte aber erst noch mit dem Fähnrich unterhandeln, der mir als Lieutenant folgen sollte, um von ihm den Preis seines eignen Avancements zu bekommen, das durch mein erkauftes Aufrücken möglich wurde.

Eine recht praktische Erläuterung dessen, wohin unser System des militärischen Avancements führt, ergab sich in meinem eigenen Falle, kurz nachdem ich in Besitz meiner Schwadron getreten war. Das Hauptquartier unseres Regimeuts lag jetzt in einer Garnisonsstadt im Süden von Irland; und da es gerade die Jahreszeit war, in der keine Feldübungen stattfinden, so befanden sich mehre unsrer Officiere auf Urlaub. Damals hatten wir nur sechs Schwadronen bei jedem Cavallerieregimente, und vier von den Unsern waren auf verschiedene Außenposten detachirt. Der Oberst reiste auf dem Festlande und der Major, der in seiner Abwesenheit das Regiment commandirte, wurde plötzlich unwohl und begab sich ohne Weiteres auf das Gut seines Vaters in der Nähe. Da ich der einzige Rittmeister im Hauptquartiere war, und es nicht thunlich schien, einen der andern von den Außenposten abzurufen, so führte ich länger als einen Monat den Befehl über das ganze Regiment. Während dieser Zeit standen natürlich alle eben anwesenden Officiere unter mir, darunter auch der Reitlehrer und der Adjutant. Der letztere war Dragoner gewesen und zum Wachtmeister avancirt, schon sechs Jahre vor meiner Geburt; selbst das Officierspatent, das er sich durch seine langen, ausgezeichneten Dienste erworben hatte, war ihm vier Jahre vor meinem Eintritt in die Armee verliehen worden. Dennoch aber, und lediglich kraft des Kaufgeldes, commandirte ich diesen Mann, der, wie ich nicht umhin konnte, zu fühlen, als Soldat in jeder Beziehung über mir stand. Er hatte in Indien drei oder vier Wunden empfangen, trug mehrere Ehrenmedaillen, und war in Armeebefehlen öffentlich mit Auszeichnung genannt worden. Weil er aber kein Geld besaß, um auf den Stellenmarkt zu gehen, so konnte er niemals eine höhere Stufe erklimmen, sondern blieb mit allen seinen Verdiensten bis an’s Ende simpler Fähnrich.

Der andere Officier, dessen ich erwähnte – der Reitlehrer – war der älteste Lieutenant im Regimente. Er war nie Gemeiner gewesen, sondern trat in das Regiment, als es noch in Indien stand, wo er viel schweren Dienst sah, so ein vierzehn Jahre, ehe ich mein erstes Patent erhielt. Dieser Officier hatte sowohl seine Fähnrichs- als Lieutenantscharge erkauft; nachdem aber sein Vater durch das Falliment einer Bank in Calcutta sein Vermögen verloren hatte, konnte er ihn, außer mit einer bescheidenen Jahresrente, nicht weiter mit Geld unterstützen. Die Folge war, daß er Lieutenant blieb, obwohl sämmtliche Rittmeister und auch der Major erst lange Jahre nach ihm als Anfänger in das Regiment getreten waren, und Keiner von ihnen wußte, was ein Schuß im Ernste sei, während er in Indien drei Feldzüge mitgemacht hatte.

Ich blieb noch ungefähr sechs Jahre in der Armee und lebte während dieser Zeit nach Art der meisten meiner Cameraden. Die wechsellose Monotonie des englischen Militairlebens bietet keinen Spielraum für jene energische Thatkraft, die dem Angelsachsen[WS 1] unter allen Himmelsstrichen und in jedem Fache eigen zu sein scheint. Das wird jedem Officier nach einer gewissen Zeit fühlbar. So lange des Daseins Zweck und Ziel in Jagen, Schießen, Wettrennen, Tafelfreuden und lustigen Gesellschaften besteht, hat eine Charge in einem Prachtregimente einen gewissen Reiz, der für die meisten diesseits der dreißiger Jahre höchst verführerisch ist. Aber nach diesem Alter fängt das Gemüth an, nach den Realitäten des Lebens zu verlangen; man wünscht ein Vorschreiten in der gesellschaftlichen Stellung, im Vermögen, oder selbst eine Vergrößerung der Verantwortlichkeit, ja sogar der Sorgen. Daher kommt es, daß so viele Officiere den Dienst verlassen, nachdem sie vielleicht zehn bis zwölf Jahre in der Armee gestanden haben, also gerade in einer Zeit, wo sie endlich ihre Pflichten erlernt haben und am meisten geeignet wären, ihrem Lande die wirksamsten Dienste zu leisten.

Nach zehn Jahren eines angenehmen, aber unnützen, wenn auch vielleicht nicht geradezu schlechten Lebens verkaufte ich aus, erhielt von meinem Nachfolger dieselbe Summe, die ich für meine Stelle gegeben hatte, und war wieder Privatmann.

Wie ist es möglich, daß bei einem derartigen militairischen Systeme die englische Armee in Kriegszeiten sich je dem Lande nützlich erweise? Ich gebe zu, daß unsre Lehrzeit in der Krim unsern Truppen Einiges von der Kriegskunst beigebracht habe; aber sollte ihnen dies Alles nicht schon längst vorher bekannt gewesen sein? Was würde man zu einem Arzte sagen, der, zu einem Kranken gerufen, erst anfangen wollte, Medicin zu studiren?

  1. Während des Krim-Feldzuges hat sich bekanntlich das System des Officierstellenkaufs in der englischen Armee als nachtheilig und gefährlich so deutlich herausgestellt, daß man endlich ernstlich mit einer Reform desselben umgeht. Das Unglück in Indien mit seinem blutigen Gefolge hat wiederum großentheils in jenem Stellenkaufe eine, wenn auch entferntere Veranlassung, und so wird man obigen Artikel mit Interesse lesen.
    D. R.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Angelsachen