Des Freiherren von Trenck letzte Stunden

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Textdaten
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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Des Freiherren von Trenck letzte Stunden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Autorenseite Friedrich von der Trenck
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[8]
Des Freiherrn von Trenck letzte Stunden.
Nach den Acten des „Droit public“ und archivarischen Mittheilungen.


Die Trommeln der Nationalgarde rasselten vor dem Gefängnisse St. Lazare zu Paris. Eine große Menge Volks harrte vor den Pforten der unheimlichen Wohnung, um die Angeklagten zum Verhöre abführen zu sehen; ja, obgleich die Blutmenschen der Schreckenszeit bereits so an Hinrichtungen gewöhnt waren, daß ein Wagen voll Schlachtopfer der Guillotine kaum noch die Aufmerksamkeit erregte, so herrschte doch heute eine ungewöhnliche Bewegung unter den Massen. Die scheußlichen Weiber, die Pikenmänner, die Patrioten in der phrygischen Mütze und schmutzigen Carmagnole mit den Labots an den Füßen, die entarteten Kinder, deren Jugend unter Anschauung der Blutscenen verfloß, diese Alle wogten und kreischten, heulten und zeterten durcheinander am 7. Thermidor des Jahres II. der französischen Republik (9. Juli 1794). Vor den Thoren von St. Lazare, dessen verfluchte Mauern so viel Elend und Seufzer, so viel Verwünschungen und Angst bargen, als ehedem die der zerstörten Bastille, war ein von Pikenmännern gebildetes Spalier errichtet. Durch dasselbe schritt der öffentliche Ausrufer. Eine braune Carmagnole hängt um seine Schultern, die rothe Mütze bedeckt sein struppiges Haar, ein starrer Bart umgiebt das Kinn, seine Beine stecken in roth und weiß gestreiften Schifferhosen, seine Füße in plumpen, mit dicken Nägeln beschlagenen Schuhen. Er trägt einen Gürtel mit kurzen Stacheln besetzt; – die Schlachtopfer könnten ja Hand an ihn legen! In diesem Gürtel stecken zwei Pistolen, deren Hähne gespannt sind; – die Verurtheilten könnten in der Verzweiflung den Ausrufer, das Werkzeug der Peiniger, für den Ausspruch des Convents züchtigen wollen. In der Hand hält der Mann ein Papier; auf demselben sind die Namen der Gefangenen verzeichnet, die heute verhört werden sollen, was 1794 im Juli noch so viel hieß: „Ihr sollt die Stunde erfahren, in der ihr den Kopf unter die Guillotine legen müßt.“ Hinter dem Ausrufer schreiten zwei Pikenmänner von der Section der Lombarden. Ueber einen Hof, dann durch einen von bewaffneten, spielenden, rauchenden und trinkenden Wachen besetzten Corridor schreitend, gelangen die drei Männer zu einer großen Thür. Verworrene Stimmen tönen hinter derselben. Endlich wird sie geöffnet, ein halbfinsterer Raum von großer Ausdehnung zeigt sich.

In dem Halbdunkel dieses Raumes gewahrt man eine Menge Gestalten. Es sind die Gefangenen des Convents; jedes Alter und Geschlecht, jeder Stand, jede Vermögensstufe ist vertreten; die Guillotine verschmähte keine Kost – sie fraß ohne besondere Auswahl. Als die Thür geöffnet wurde, ertönte ein ängstlicher Schrei aus vielen Kehlen kommend, dazwischen einzelne Rufe: „Nun ist’s aus!“ – „Jetzt!“ – „Adieu!“ etc. Aus allen Winkeln liefen die Gefangenen zusammen; ihre Augen hafteten auf dem öffentlichen Ausrufer und seinem verhängnißvollen Papiere. Wer wird hinausgeschleppt zum Fallbeil? Wem bringt der breite Mund des Schergen die endliche Gewißheit des Schicksals? Angstvolles Zucken in den Gesichtszügen der Einen – stumpfe Gleichgültigkeit bei den Andern. Der Ausrufer räuspert sich, überblickt die Menge und liest dann mit lauter Stimme. „André Chenier, Literat.“ Ein junger Mann von 22 Jahren trat aus der Menge. „Hier bin ich!“ rief er mit fester Stimme. „Hinter die Barre!“ rief der Ausrufer. Chenier trat hinter einen gitterartigen Verschlag, in welchem die Bezeichneten stehen mußten, bis der Zug sich in Bewegung setzte, der sie ihren Richtern überlieferte. „Alexander Boucher. Excapitain der exköniglichen Marine,“ fuhr der Rufer fort. „Ich bin es!“ antwortete eine sonore Stimme, die einem Manne von 36–37 Jahren angehörte, der mit festem Schritte in die Barre trat. „Charles de Bart, Exofficier der Dragoner,“ tönte es wieder. „Ha! ha! habt Ihr mich endlich?“ lachte es aus dem Haufen, und mit den Worten „Platz da!“ stellte sich ein wunderschöner Mann, dessen aristokratisches Aeußere selbst der Schmutz und das Grauen des Kerkers nicht hatten verwischen können, vor den Ausrufer hin. „Hinter die Barre!“ donnerte die Stimme des Ausrufers. „Wie können Sie es wagen, einem Patrioten in’s Gesicht zu sehen?“ De Bart summte einen Chanson und tänzelte hinter die Barre. „Friedrich, Exbaron von Trenck, früher Officier.“

Von dem Schemel, auf dem sie bisher gesessen, erhob sich die gewaltige, hagere Gestalt des Geforderten. Gleichgültig hatte er bis zur Nennung seines Namens das Schauspiel betrachtet, mit wehmüthigem Lächeln die Gestalten der schönen Frauen und Mädchen, der kräftigen jungen Männer angeblickt, die hier neben dem Greise und der Matrone in dem scheußlichen Kerker zusammengepfercht zitternd oder ergeben ihren Namen erwarteten. Ein verächtliches Zucken spielte um seine Lippen, wenn er zuweilen vor und hinter sich ein zaghaftes Schluchzen, einen leisen Schrei der Angst vernahm. Die Beine lang von sich gestreckt, die Hände in den Taschen seiner kurzen Hosen, so hatte der Baron von Trenck die Nacht vom 6. zum 7. Thermidor in dem Gefängnisse St. Lazare zugebracht. – Trenck hatte schlechtere Lagerstellen kennen gelernt. – Er war es, der Maulwurf von Magdeburg, der Abenteurer, der Liebling der Damen, der muthige Soldat, der Spötter seiner Wächter, dem keine Mauer undurchdringlich, keine Fessel zu dicht, kein Graben zu tief gewesen. Sein ganzes Verlangen war von Jugend auf nach ungebundener, zügelloser Freiheit gegangen; dieser Drang führte ihn in die Kerker, dieses Verachten aller Ketten und Mauern machte ihn fähig, sie zu durchbrechen, mit beispielloser Ausdauer rüstete ihn jenes Verlangen nach Luft und Licht, wenn er sich durch die Erde wühlte mit den erbärmlichsten Werkzeugen, und als er endlich eine ruhige Stätte finden sollte, ließ seine unzähmbare Natur ihm dennoch keine Ruhe, sie führte ihn nach Frankreich – in den Kerker von St. Lazare. Der Jüngling, der Mann hatte gezeigt, daß es für seine Kraft keine Bande gebe – der Greis mußte sich beugen unter der Wucht des Geschickes. Furchtbares Verhängniß! Trenck scheint von der Vorsehung bestimmt gewesen zu sein, die düstere Laufbahn des Kerkerlebens [9] zu durchwandeln bis das Beil ihn befreite. Schrecklicher Contrast! Die glanzvollen Säle der Hofhaltungen Berlins, Petersburgs, Wiens! – im Besitze der zärtlichen Zuneigung einer hohen, edlen Dame, gesucht von vielen anderen Schönen, strahlend in der glanzvollen Uniform der fürstlichen Krieger, frei nach tausend überstandenen Gefahren, und nun – – die zähneklappernde oder verzweifelte, resignirte oder freche Gesellschaft der Todescandidaten des Nationalconvents, das dumpfe, unheimliche Gewölbe als Wohnung, die fadenscheinige, besudelte Kleidung und der wurmstichige Schemel – im Gefängnisse von St. Lazare! –

Trenck’s Schicksale, in Deutschland so populär geworden, waren auch in Frankreich bekannt. Zu jener Zeit, die ebenso reich an großen und bedeutenden, als scheußlichen und entwürdigenden Ereignissen war, fanden Männer wie Trenck in allen Kreisen der Gesellschaft Theilnahme. Man fragte nicht, ob sein Leben frei von jedem Vorwurfe sei, ob er sein Schicksal verdient oder verschuldet habe (und Letzteres war großentheils der Fall); es genügte, daß es schrecklich genug gewesen, um den Greis, dessen Silberhaare man mit Achtung betrachtete, in Frankreich freundlich aufzunehmen. Aber er war Robespierre entgegengetreten, und das erforderte, ihn unter Anklage „der versuchten Wiederherstellung des Königthums und der Aufwieglung der Gefangenen von St. Lazare“, im Verein mit noch 29 Unglücksgefährten, zu stellen. Robespierre ging mit furchtbarer Entschiedenheit vorwärts. Ihm genügte die Anzahl der Opfer nicht mehr. Es mußten unter denselben auch Leute von Ruf sein. Was nur irgend von Bedeutung in Paris aufzufinden war, das suchte man unter die Guillotine zu bringen. Trenck erfreute sich, wie gesagt, einer großen Beliebtheit in den Stadttheilen, welche er gewöhnlich besuchte. Die Männer von Ruf fingen an, selten in Paris zu werden. Er mußte fallen.

Friedrich von Trenck.

Noch 29 Namen rief der Ausrufer. Dann steckte er seine Liste in die Brusttasche, nahm eine ungeheuere Prise, zog eine Glocke, deren Strang an der Seite des Gefängnißeinganges herabhing, und verließ die Halle.

Wenige Minuten später öffnete sich wieder die Thüre; auf dem Corridor gewahrte man eine doppelte Reihe von Nationalgardisten aufgestellt. Die bezeichneten Gefangenen traten aus der Barre und zwischen die Soldaten, das Commando „Marsch“ ertönte, und die Gefängnißthür schloß sich vor den Zurückbleibenden. Sie sollten ihre Unglücksgefährten nicht wiedersehen. –

Trenck hatte durch keine Miene irgend eine Bewegung geäußert. Als aber der Ausrufer die Halle verlassen hatte, als die Geforderten Abschied von ihren Freunden, Verwandten nahmen, die unter dem Haufen der Zurückbleibenden sich befanden, als Thränen und Seufzer auf’s Neue sich zeigten und hundert zitternde Hände sich nach der Barre ausstreckten, die zwischen dem Gitter hervorkommenden Hände noch einmal zu drücken, da winkte Trenck einem feinen jungen Manne, der gedankenvoll an einem Pfeiler der Halle lehnte.

„Mein lieber Graf Baylus,“ flüsterte er, „nehmen Sie dieses hier, als ein Zeichen meiner Freundschaft. Es ist das letzte Geschenk der Prinzessin Amalie, meiner Wohlthäterin, meiner Freundin. Ich bewahrte es lange. Bewahren Sie es ebenso lange zum Zeichen eines ehrenvollen Andenkens für mich und für Sie.“ Mit diesen Worten überreichte er dem Grafen eine schöne, mit dickem Goldrande verzierte Dose von Schildpatt.

„Theuerster Baron,“ rief Baylus, „warum wollen Sie sich von dem werthvollen Gegenstande trennen?“

„Nehmen Sie es. Ich vermache es Ihnen. Ich bin ein Sterbender; ehren Sie meinen letzten Willen. Wir sehen uns nie wieder. Mein Kopf wird fallen.“

„Aber, theurer Baron, in dieselbe Anklage wie Sie verwickelt, steht mein Kopf nicht fester als der Ihrige.“

„Ich weiß es. Aber mir ahnt es, Sie werden gerettet. Ich, Baron – ich werde sterben.“[1]

Vor dem Gefängnisse, zwischen den lauernden Volkshaufen angelangt, ward Trenck vor allen Andern erkannt. Man rief ihm zu. Man applaudirte ihm. „Singt das Ça ira, langer Preuße!“ „Er ist ein Spion!“ „Es muß sich erst zeigen, ob er kein Patriot ist!“ So rief der Pöbel durcheinander.

Im Sitzungssaale angelangt, warf Trenck seine Augen umher. Dieselbe Begleitung wie auf der Straße. Männer, Weiber, Kinder. Auf den Gallerien Zuschauer, in den vordersten Reihen Mütter, welche ihre Kinder säugten und dabei gespannt auf die Richter blickten. Man gewahrte, vom einfachen schwarzen Kleide an bis herunter zum Hemdärmel des Sections-Mannes, alle ungeheuerlichen Trachten jener Zeit. Die Schreiber trugen rothe Mützen; rothe Mützen tauchten überall aus dem Haufen der Zuschauer auf, eine rothe Mütze trug die Büste Marat’s, welche hinter dem Gerichtstische auf einer Konsole prangte und das blutgierige Auditorium angrinste, und an der Spitze der über Marat angebrachten dreifarbigen Fahne hing eine rothe Mütze. Widerliche Gerüche, heisere Stimmen, eine erstickende Temperatur, die furchtbaren Gesichter – dies Alles vereinigte sich, um den Sitzungssaal zu einem noch schrecklicheren Aufenthalte als das Gefängniß selbst zu machen. Die Glocke tönte. Tiefe Stille trat ein. –

Der Syndicus Hermann erhob sich. Er verlas die Anklage. Dann wandte er sich an den ihm zunächst stehenden Gefangenen, dessen hoher Wuchs das greise Haupt weit über die Bajonnete der Wachen emporragen ließ. Dieser Kopf, dieses Antlitz, schon dem Messer verfallen, erregten allgemeine Aufmerksamkeit. – Keine Furchen hatte das Schicksal hineingegraben. Es war wie versteinert. Diese Mundwinkel konnten nicht mehr zucken, diese Stirn runzelte sich nicht mehr, nur das Auge und die Zunge vermochten es auszudrücken, was der Mann getragen, was er jetzt empfand.

„Ihr Name, Alter und Stand?“ fragte Hermann.

„Baron Friedrich von Trenck, geboren zu Königsberg im Jahre 1726; früher Officier in preußischen und österreichischen Diensten; jetzt Literat.“

„Angeklagter, Sie stehen in Verdacht, mit den Königen Europas einen verbrecherischen Briefwechsel zu unterhalten. Eines Ihrer Schreiben ist aufgefangen worden; es wird Ihnen durch den öffentlichen Ankläger vorgelegt werden. Sie sprechen sich in diesem Schreiben sehr zweifelhaft über die Ereignisse der letzten Tage aus.“

„Der öffentliche Ankläger ist getäuscht worden. Kein Schreiben von mir hat die deutsche Grenze passirt. Ich bin seit langen Jahren schon kein Gast mehr in den Palästen der Fürsten. Wollen die Herrscher Europas den Zustand Frankreichs kennen lernen, so werden sie nicht bei mir, dem Freunde des Volkes, sich Auskunft erbitten. Hier seht, Bürger, die Wundmale, welche die Kerker meinen Gliedern aufgedrückt haben, und gegen die Befreier aus Kerkern sollte ich diese Hände erheben? Das könnt, das dürft Ihr nicht glauben.“

Trenck streifte den Aermel zurück. Er erhob seine immer noch muskulösen Arme hoch in die Luft. Die Zuschauer erhoben sich von den Sitzen. Sie gewahrten an den Knöcheln der Arme braune Ringe. Es waren die Spuren, welche die Handschellen aus der Magdeburger Sternschanze hinterlassen hatten. Diese Vorgänge erschütterten die Richter; Trenck’s Worte, mit sonorer Stimme gesprochen, brachten unter den Zuschauern ein Gemurmel des Beifalls hervor.

„Können Sie leugnen, daß Sie der Korrespondent Joseph’s II. gewesen sind?“

„Das war ich, ich bin es aber nicht mehr. Vergönnen Sie mir das Wort, Bürger Procurator, und ich werde die Ankläger zum Schweigen bringen.“

Jetzt erhob sich, links vom Gerichtstische, schnell wie eine Natter in die Höhe fahrend, ein Individuum, dessen scheußliches Antlitz das Blut in den Adern erstarren machte. Das waren Züge, wie sie sich eigneten für die Henker jener Zeit, die man so bezeichnend „die Schreckenszeit“ getauft hat. Es war, als schwebe [10] vor dem Gesichte des Mannes nur eine aus Dunst gewobene Maske, welche in ungewissen Umrissen die Züge eines Menschenantlitzes trug, während hinter derselben Augen, Rachen und Zähne einer Hyäne zu lauern schienen. Die widernatürlich in die Höhe gezerrten, buschigen Brauen, die hervorquellenden Augäpfel gaben dem Gesichte vollends den Ausdruck des Entsetzlichen. Die kreischende, bis in die fernsten Winkel verständliche Stimme begleitete ein schmatzender Ton, wie er jenen düsteren Phantasiegebilden zugeschrieben wird, welche die Volkssage mit dem Namen „Vampyre“ bezeichnet. Der Mann, den die Rachegötter zu seinem fürchterlichen Handwerke gleichsam gestempelt zu haben schienen, war Fouquier Tinville, der öffentliche Ankläger, der Bauerssohn von Herouelle, der Spürhund der Guillotine.[2]

„Ich thue Einspruch,“ kreischte das Ungeheuer, „der Angeklagte darf sich nicht in unnützen Ausschweifungen ergehen. Kostbar ist die Zeit. Bis 4 Uhr muß das Urtheil über 14 Gefangene gesprochen sein. Jetzt ist es zwölf. Keine Zeit ist zu verlieren.“

„Sie haben keine Zeit zu verlieren?“ donnerte Trenck. „Die paar Augenblicke, in denen es sich um die Vertheidigung eines Menschenlebens handelt, die halten Sie für verloren?“

„Sprechen Sie, Angeklagter,“ rief der Syndicus Hermann.

„Bürger Procurator,“ heulte Tinville, „dann kann ich nicht mehr – –“

„Bürger Ankläger,“ fiel Hermann ein, „mir liegt die Sorge ob, das Gericht zu leiten. Lassen Sie mich die Ansprüche auf Vertheidigung ermitteln. Angeklagter, ich wiederhole, Sie können sprechen.“

Jetzt erhob sich Trenck und sprach: „Bürger! zehn Jahre lang schmachtete ich in Fesseln. Endlich befreit, benutzte ich die Freiheit, wie sie der Philosoph benutzen soll, der ihre heilige Nothwendigkeit tief empfindet. Ich war ein nützlicher Bürger. Nachdem ich in Aachen die Tochter des Bürgermeisters geheirathet hatte, betrieb ich den Handel, Literatur und militärische Studien. Ich war der Gründer einer Zeitung, in welcher ich die Lehren eines neuen reinen Christenthums predigte. Aus Achtung für eine Fürstin, der ich meine Freiheit verdanke, gab ich die Zeitung auf, nicht aber meine Grundsätze. Von 1774–77 bereiste ich Frankreich und England. Hier machte ich die Bekanntschaft des großen Patrioten Franklin. Ich bin es, der den auf ihn gedichteten Vers verfaßt hat:

„Eripuit fulmen coelo, sceptrumque tyrannis!“[3]
(Dem Himmel entriß er den Blitz, den Tyrannen das Scepter.)

Nach Deutschland zurückgekehrt, wollte man mir öffentliche Aemter übertragen, aber der Tod meiner Wohlthäterin, der großen Kaiserin Marie Theresia – – –“

„Sie dürfen die Ihnen gegebene Erlaubniß nicht zur Verherrlichung der Tyrannen mißbrauchen,“ schrie Tinville.

„Sie werden mich nicht hindern zu sprechen, wie ich muß. Es ist doch sehr sonderbar, daß ein republikanischer Beamter die Freiheit der Vertheidigung mit dem Kreise des Popilius umgeben will. Also, als die große Kaiserin – – –“

„Wir sind hier, um Recht zu sprechen,“ fiel Herman ein, „nicht aber um Lobreden auf die Feinde der Republik zu hören.“

„Sagen Sie lieber: um zu verurtheilen. Aber Sie haben mir das Wort gegeben, ich werde es benutzen. Die große Kaiserin Marie Theresia – – –“

„Entziehen Sie ihm das Wort, wenn er Tyrannen lobt,“ rief Tinville.

„Sie war meine Wohlthäterin,“ rief Trenck, „und ich muß es sagen, gerade hier, an dieser Stelle, daß sie eine große Kaiserin war. Als diese große Fürstin gestorben war, ging ich nach Ungarn und ward Landmann. Ja, Bürger, der, den Ihr als Angeklagten vor die Schranken fordert, war der Freund Franklin’s und hat in den Ebenen von Zwabach die Pflugschaar geführt! 1787 ward es mir verstattet, mein Vaterland wiederzusehen. Ich ging nach Preußen, blieb aber dort nur so lange, als ich brauchte, um eine heilige Schuld der Dankbarkeit zu bezahlen. Der Gegenstand derselben verließ diese Welt, und ich entfloh von der Stätte, auf der ich so viel geduldet hatte. –

Jetzt erschienen meine Denkwürdigkeiten, welche die Aufmerksamkeit Europas auf mich lenkten. Man machte mir glänzende Anerbietungen. Ich schlug sie aus. Ich wollte meiner freien Gesinnung nicht untreu werden und trotzte neuen Verfolgungen. Meine Begeisterung für den Sturm der Bastille trug mir in Wien eine siebenzehntägige Gefangenschaft ein. Bürger, ist das eine Führung, die den Patrioten Frankreichs anstößig sein kann? Seit 1791 lebe ich Frankreich, ich veröffentliche Broschüren, die nicht ohne Einfluß auf die politische Erziehung des französischen Volkes gewesen sind. Wenn ich die Volksversammlungen nicht besucht habe, so geschah dies, weil ich glaubte, man werde mir, einem Fremden, das Wort entziehen. Befragen Sie, Bürger, außerdem meine Cameraden in der Section der Lombarden, der ich lange angehörte, sie werden mir das Zeugniß eines ehrlichen Mannes nicht versagen. Ich habe gesprochen und glaube bewiesen zu haben, daß ich niemals etwas gegen die Freiheit der französischen Nation unternahm.“

Trenck setzte sich mit stolzer Gebehrde nieder. Neuer Beifall flog durch die Reihen. Da erhob sich der öffentliche Ankläger wieder. „Ich werde,“ heulte er, „dem Angeklagten nicht in seinen Windungen folgen. Die Gerechtigkeit muß die Schnelle des Blitzes haben. Ich lasse sogar einen Theil der Ankage fallen, soweit dieselbe die feindlichen Beziehungen außerhalb Frankreichs betrifft. Aber der Angeklagte erwidere mir etwas auf die Beschuldigung, zu der ich jetzt übergehe: Bürger! Man hat in St. Lazare eine Verschwörung angesponnen, welche die Wiederherstellung des Königthums und den Sturz der Republik zum Zwecke hatte. Trenck, Chenier, Boucher, de Bart und Andere sind die Rädelsführer. Bürger, Sie sind berufen, die eine Hälfte derselben zu richten, morgen steht die andere vor den Schranken. Der Abend des 6. Thermidor war zur Ausführung bestimmt, der Genius der Freiheit hat den blutigen Plan vereitelt, die Hauptschuldigen stehen vor Ihnen. Sie müssen Sie verurtheilen, denn das Vaterland ist in Gefahr.“

„Jeder Sclave hat das Recht, seine Fesseln zu sprengen,“ brauste Chenier auf.

„Der Strafe wollten wir entgehen, weiter nichts,“ rief Boucher. „Nicht Jeder paßt zum Mörder. Die Hand, die eine Feder oder ein Schwert mit Ehren führte, verschmäht den Dolch.“

„Als ich aus dem Gefängnisse entflohen war,“ rief Trenck, „legte man mir schwerere Fesseln an, aber man strafte nicht mit dem Tode. Dem Gerichte der Republik war es vorbehalten, Alles an Grausamkeit zu übertreffen.“

„Warum greifen Sie dem Urtheile der Geschworenen vor?“ sagte Hermann.

„Wir kennen unser Schicksal,“ eiferte Boucher; „bergt nicht den Tiger in der Fuchshaut! unser Tod ist unwiderruflich, und wir verlassen diesen Raum nur, um das Schaffot zu beschreiten. Nichtswürdige Richter! es thront ein Richter über uns, der auch Euch richten wird. Wehe Euch! Eure Bluturtheile werden Euch überleben und Eure Namen bis in die entferntesten Zeiten am Schandpfahle prangen.“

„Im eigenen Vortheile der Angeklagten entziehe ich ihnen das Wort,“ sagte Hermann.

„Entzieht es uns oder nicht,“ rief Chenier, „wir wollen uns nicht vertheidigen. Es wäre Hohn, einem solchen Gerichte gegenüber sich vertheidigen zu wollen. Die Richter der Revolution schänden die Freiheit.“

„Bürger Präsident,“ rief Tinville, „machen Sie diesem Gewäsche ein Ende. Fordern Sie die Geschworenen auf, sich in das Berathungszimmer zu begeben.“

„Angeklagter Trenck,“ sagte jetzt Hermann, „man schätzt an Ihrer Vertheidigung den Charakter der Mäßigung. Bleiben Sie dabei, daß Sie an der Verschwörung nicht Theil genommen haben?“

Trenck konnte sich mit einem Worte retten; er konnte wieder frei ausgehen. Aller Augen hafteten auf ihm. Mit einem Ruck erhob er sich. „Bürger!“ rief er, „Ich erkläre, daß ich die Verantwortlichkeit der von meinen Genossen gesprochenen Worte übernehme. Ihr Schicksal soll das meinige sein. Ich will mit ihnen leben und sterben.“

Trenck war verloren; aber der große Augenblick hatte ihn groß gefunden. Alle seine Verirrungen, seine Fehler waren gesühnt durch diesen Entschluß – er war ein Märtyrer seiner Ehre. Eine schreckliche Pause entstand. Endlich treten die Geschworenen wieder ein. Sämmtliche Angeklagten, 30 an der Zahl, sind zum [11] Tode verurtheilt, beschuldigt: „eine Verschwörung im Gefängnisse angezettelt zu haben, um durch Ermordung der Volks-Repräsentanten die Republik zu stürzen und das Königthum wiederherzustellen.“ Mit Gleichgültigkeit hörten die Angeklagten das Urtheil an. Man war zu jener Zeit abgestumpft gegen den Tod und seine Schrecken, denen man täglich in’s Auge sah; man verabschiedete sich von einander mit den Worten: „Auf Wiedersehen, vielleicht unter der Guillotine.“ Um zwei Uhr war das Urtheil gesprochen, um vier Uhr brachten die Karren die Verurtheilten zum Revolutionsplatz. Fest umschlungen hatten sich die Freunde. Ein Gesang schwirrt durch die Luft, ein Gesang von festen, ergreifenden Männerstimmen. Es ist der „Chant du départ“, den die Verurtheilten singen.

Man sang zu jener Zeit, auch wenn man zum Tode ging; man sang, wenn man in den Krieg zog; man sang während der Blutarbeit. Boucher und Chenier unterhielten sich von ihren Schwärmereien, ihrer einst so rosig lächelnden Zukunft.

„Warum so frühe schon zum Tode?“ rief Chenier. „Hier war Etwas.“ Er schlug sich vor die Stirne.

„André,“ entgegnete Boucher. „Es sind Ideen, die Du verlässest – ich aber meine Kinder – mein holdes Weib. Jenseits finden wir uns; und nun enden wir edel, geben wir den Henkern nicht das Schauspiel des Zagens oder der Schwäche.“

„Ich zittre nicht,“ sagte Chenier, „aber ich bedaure, daß ich der Welt nicht noch nützen konnte.“

Mit entschiedenen Zeichen des Mitgefühls betrachtete das Volk die vorüberfahrenden Karren.

„Was wollt Ihr, was staunt Ihr?“ rief Trenck mit fester Stimme. „Dies ist nur eine Komödie à la Robespierre!“

Man war am Fuße der Guillotine angelangt. Hier erst zeigte Trenck die ganze Kraft seiner Seele, den ungebeugten, mächtigen Willen. Er verschmähte es, der Erste zu sein. Einen Kopf nach dem andern sah er fallen; ohne eine Bewegung der Unruhe stand er ruhig da, die Arme über der Brust gekreuzt, seine Augen fest auf das blutige Schauspiel gerichtet, das sich 29 Mal vor ihm wiederholte. Hoch über alle Häupter hinweg ragte seine riesige Gestalt; sein greises Haar flatterte um das energische Antlitz. Welche Gedanken wogten durch sein Gehirn? – „Bleib Er bei mir, ich will etwas Großes aus Ihm machen,“ hatte Friedrich der Einzige 1749 zu ihm gesagt.

Da fiel Boucher’s Haupt. Er war der Vorletzte.

Die Reihe kam an Trenck. Festen Schrittes ging er auf das Schaffot zu; die Stufen der Treppe knirschten unter seinen gewichtigen Schritten. Oben angelangt übersah er ruhig die Menge. „Franzosen!“ rief er, „wir sterben unschuldig. Unser Tod wird gerächt werden durch Euch – stellt die Freiheit her, indem Ihr die Ungeheuer opfert, die sie schänden.“

Schnell warf er sich in die Maschine. Blitzend fuhr das Beil herab, und in den Sack des Henkers rollte das Haupt des unglücklichen Abenteurers. – Dreißig Köpfe waren in fünfzehn Minuten gefallen. – Auseinander stob die Zuschauermenge. – Wie ein Oceanbrausen schallte donnernd durch die Lüfte der Ruf:

„Vive la Nation!“
George Hiltl.[WS 1]



  1. Die Aussage ging in Erfüllung. Baylus kam nach drei Tagen frei, da Robespierre’s Einfluß bereits sank. Der Graf bewahrte die Dose heilig. Er hatte nur die goldene Einfassung abgetrennt und solche seinen Wächtern gegeben, um ihre Habsucht nicht zu reizen, welche sonst die ganze Dose an sich gerissen hätten.
  2. Fouquier Tinville ward 1795 guillotinirt, weil er so viele Franzosen unschuldig geschlachtet habe (!). Auf dem Wege zur Richtstätte fiel er mehrere Male in Ohnmacht. Er schrie: das Blut erstickt mich! Er hatte die fixe Idee, er müsse durch ein Blutmeer waten.
  3. Mit diesen Worten soll d’Alembert Franklin bei dessen Aufnahme in die Akademie begrüßt haben. Wer der Erfinder war, bleibe dahingestellt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: George Hiltt.