Deutsche Weihnachten in der guten alten Zeit

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Autor: Alexander Tille
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Titel: Deutsche Weihnachten in der guten alten Zeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 854–855
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Weihnachten in der guten alten Zeit.

Von Alexander Tille. Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Wir befinden uns am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, in einer kleinen Stadt Mitteldeutschlands. Die Ernte der Flur, welche die meisten Bürger noch selbst bestellen, ist eingebracht, auch der Martinstag, das große Gesamterntefest, ist bereits ins Land gegangen. Schon hat es einmal geschneit, und allenthalben rüstet man sich auf den Winter. Aber wenngleich bereits ein scharfer Wind durch die Gassen fegt, die Jugend macht noch keinerlei Anstalten, sich in die Häuser zurückzuziehen. An der Südseite des Marktes; dicht beim „Goldenen Kalbe“, hat sich ein ganzer Trupp versammelt, den augenscheinlich ein Gegenstand von großer Wichtigkeit beschäftigt. Seine Aufmerksamkeit gilt indessen nicht dem ungeheuren ziegelrothen Kutschwagen, der eben vor dem Gasthause hält und dessen vier Rosse aus den schweren Steinkrippen fressen, er sucht vielmehr mit neugierigen Augen durch die kleinen trüben Scheiben in das Innere des Hinterzimmers zu dringen, zu dem man nur durch die große Gaststube gelangen kann.

Da drinnen geht es sehr laut zu. Fünfzehn junge Männer sind hier versammelt und halteu „Heiligen Christrath“. Draußen hat man wohl aufgepaßt, wer alles dahineingegangen ist; denn wenn man weiß, wer beim Christumzug betheiligt ist, dann sind die einzelnen hinterher leichter zu erkennen. Es sind ernste Zeiten für die, so da drinnen in Berathung sitzen. Seit Menschengedenken hat der Christumzug inmitten der Weihnachtsfestfreude gestanden, seit Menschengedenken hat der Mummenschanz der Christnacht dem „Heiligen Christrath“ erkleckliches Stück Geld eingebracht, und jetzt soll ihm dieses Vorrecht genommen werden! Das Erkenntniß der theologischen Fakultät der Universität Leipzig vom Jahre 1680 lautet ganz unzweideutig: „Halten dannenhero schrifftmäßig davor, daß so beschaffenes Heil. Christ-Spiel in Haupt und Fuß zu verändern, daß sowohl die vornehmste Person, der vermummte Heil. Christ, als die unterste, nehmlich der Knecht Ruprecht, abzuschaffen seynd, damit weder Occasion zur Abgötterey noch zu allerhand Schand und Ueppigkeit in Zusammenkünften gegeben werde. Die mittel Personen können, als Engel, S. Petrus oder von dem Heil. Christ abgeordnete Diener, die Kinder zu examinieren, beten zu lassen, und von Untugenden abzumahnen, in geziemenden Schrancken vol beybehalten, und hierdurch die Kinder bey Christlicher Weynacht-Freude, die Agirenden aber bey den hergebrachten Accidenze (darum es sonsten zu thun zu seyn scheinen will) gelassen werden, welches dann mit Zusammensetzung des Magistrats und Ministerii gar füglich und absque strepitu (ohne Lärm), ohne Eintrag der Schul-Collegen und derer, welche bißher einig solatium daran genossen, auch ungehindert des hierunter von Eltern abgezielten Zweckes, wohl geschehen mag.“

Aber was soll aus dem Christspiel werden, wenn seine Hauptgestalt, der Knecht Ruprecht, fehlt? Und wer soll die Veränderung „in Haupt und Fuß“ besorgen? Der wohlgelahrte Meister der Stadtschule hat sich infolge jenes Erkenntnisses feierlich vom Umzugsspiel losgesagt, und jetzt übt er mit seinen Buben auf Befehl des Stadtraths gar noch ein paar ehrwürdige lateinische Weihnachtsgesänge ein und es geht das Gerücht, daß er mit ihnen am Heiligen Abend von Haus zu Haus ziehen und sich auf diesem Wege seine Taschen füllen wolle!

Das Christspiel.

Doch die Burschen fürchten die Nebenbuhlerschaft der singenden Buben nicht, sie gedenken vielmehr, die singende Schar, wenn sie ihr zufällig begegnen sollten, weidlich durchzuprügeln. Und was das Christspiel betrifft, so sieht jeder ein, daß Veränderungen zu den Unmöglichkeiten gehören; darum soll auch alles beim alten bleiben. Nur eins verspricht man sich, beim Umzug nämlich sich nicht zu weit voneinander zu entfernen, damit man den beiden Nachtwächtern und den vier Stadtsoldaten nöthigenfalls geeigneten Widerstand leisten knune. Spät abends geht man auseinander. Nun beginnen die Vorbereitungen, Proben und andere Zusammenkünfte, und bald ist man darüber einig, daß man ohne den alten Schullehrer, der immer recht haben wollte und im Grunde eigentlich gar nichts verstand, weit besser zustande komme.

Indessen ist wieder ein Monat ins Land gegangen. Mit Schrecken berichten die Kinder daheim, daß sie heute in der Dämmerung den Knecht Ruprecht bereits hätten über die Straße huschen und im „Goldenen Kalb“ verschwinden sehen. Die ganz Kleinen machen dabei große Augen; die Schulbuben lächeln schlau; sie denken daran, was ihnen der Herr Lehrer gesagt hat. Die Mutter aber hat ihr vierjähriges Töchterchen auf dem Schoß und läßt sich ernsthaft von ihm das „gemeine Kindersprüchlein“ wiederholen:

„Das Jesulein bin ich genand,
Bey denen frommen Kindernlein wohl bekand,
Die ihren Eltern gehorsam seyn,
Und ihren Catechismum lernen fein:
Die Früh aufstehn und beten gern,
Denen will ich alles guts beschern.
Was aber solche Holtz Böcke seyn,
Die schmeissen Schwester und Brüderlein,
Die schlept der Todt in die Hölle hinein.
Darumb seyd fromm, ihr Kinderlein
Daß ihr nicht kompt in solche Pein.“

Endlich ist es Heiliger Abend. Der Vormittag ist langsam verstrichen, aber sein Verlauf erscheint noch eilig gegen den Schneckengang des Nachmittags. Doch auch er findet einmal ein Ende. Da eine weiße Schneedecke die Fluren, Gärten und Straßen deckt, so tritt die Dämmerung verhältnißmäßig spät ein. Endlich, endlich beginnt es düster zu werden. Hier, dort, in zwei, drei, vier Fenstern flammt ein Licht auf, das nur mühsam das Zimmer erhellt, aber doch durch die kleinen, runden Scheiben hindurchglänzt. Längst ist kein Kind mehr auf der Straße zu erblicken. Die Furcht, „mitgenommen“ zu werden, überwiegt selbst die kindliche Neugier. Auch von Erwachsenen geht nur hinaus, wer muß. Denn auch sie sind vor den „Christlarven“ nicht sicher. Schon huscht da und dort eine vermummte Gestalt über die Straße, die man ebenso gut für einen Bären wie für einen Baum halten kann. Immer düsterer wird’s draußen, immer stiller auf den Straßen. Auch die beiden Nachtwächter bleiben wohlweislich zu Hause, und die vier Stadtsoldaten belustigen sich auf der Wachtstube im Rathhause.

Allenthalben sind die Eltern noch bis gegen Abend beschäftigt gewesen, die „Christbürden“ fein säuberlich zusammenzupacken und mit [855] Christstollen, Zucker, Pfefferkuchen, Aepfeln, Nüssen, Puppen, Kleidern, Bildern, Büchern, Schreibtafeln, Federn und Papier zu füllen. Auch die Christruthe darf nicht fehlen zur heilsamen Mahnung. Der Vater versäumt nicht, die Bündel der Kleinsten noch durch ein paar Knoten möglichst fest zu verschließen; denn das Auspacken ist ja das Hauptvergnügen. Jetzt werden die „Bürden“ der Reihe nach auf ein Tuch in die düstre Ecke gelegt. Auf dem Tisch glänzen seitlich ein paar Kerzen, denn noch ist es nicht üblich, einen Lichterbaum üher die ausgelegte Bescherung strahlen zu lassen. Die Glocke klingt, und die Kinderschar stürmt ins Zimmer. Große und Kleine bemächtigen sich ihres Bündels, und nun geht’s ans Auspacken!

Da pocht der Klopfer an die Hausthür. Ein jäher Schreck fährt allen durch die Glieder. Das sind die Christlarven! Im Nu wird wieder eingepackt, so rasch die Bestürzung es erlaubt. Wie konnte man auch über der Festfreude die drohende Gefahr vergessen! Jetzt donnert’s schon förmlich gegen die Thür. Der Hausherr öffnet und, ihn fast umrennend, stürzt eine wilde Schar nach dem Zimmer der Bescherung. Der Knecht Ruprecht voran. Er ist ganz in Pelze gehüllt und trägt über dem Arme einen Sack, in den er die unartigen Kleinen stecken will. Die Kinder flüchten sich scheu hinter den Tisch oder suchen Schutz bei der Mutter.

Dann beginnt auf der anderen Seite des Tisches das Christspiel. Rupertus fragt und Petrus erzählt. Dazwischen sprechen die Engel einige Worte, und Joseph giebt den Spaßmacher ab, indem er seine Rede mit allerlei Anspielungen würzt, die meist in keinerlei Zusammeuhang mit dem Stücke stehen, aber ihre Wirkung nicht verfehlen.

Das Spiel, dem die Kinder andächtig lauschen, ist bald zu Ende und nun wollen die einzelnen Personen des Stückes kleine Geschenke austheilen, für die sie nachher vom Hausherrn eine Geldsumme bekommen, die in keinem Verhältniß zu ihren geringen Gaben steht. Christus beginnt; indessen die Empfänger haben keine Lust, hervorzukommen und ihre Geschenke in Empfang zu nehmen: sie fürchten zu sehr die Späße, denen sie sich dabei aussetzen. Aber der heilige Christrath weiß dafür Abhilfe. Mit einem Schlage springen sämtliche vermummte Gestalten auf, und es beginnt in dem Zimmer, auf dem Hausflur, trepp auf, trepp ab, durch Kammern und über die Böden eine tolle Jagd. Wehe dem, der sich erwischen läßt! Die erwachsene Tochter des Hauses steht furchtsam in einer Fensternische, halb hinter einem Schranke verborgen. Zweimal, dreimal ist die Gefahr bereits glücklich an ihr vorübergegangen – endlich ist sie gefunden. Ein kräftiger Kuß auf ihre rothen Lippen besiegelt trotz alles ihres Sträubens die Freude des Finders und noch mehr als einmal wird sie unversehens umarmt. Das ist nun eben das verbriefte Recht der Christlarven.

Die Christlarven vor der Kirche.

Um sich der nnruhigen Gäste möglichst bald zu entledigen, läßt der Hausherr Bier in großen Mengen auftischen und giebt dem Christus das übliche Geldgeschenk. Aber noch machen die Larven nicht Miene, weiter zu ziehen. Sie bemerken plötzlich, daß bei der Beschenkung jemand vergessen worden ist, der sich bis jetzt verborgen hat, und so beginnt die Jagd denn aufs neue. Abermals wird das Unterste zu oberst gekehrt. Endlich ist auch das letzte Opfer aufgetrieben, und allerlei Schabernack bleibt ihm nicht erspart.

Jetzt denken die Larven an Aufbruch. Die Abzeichen ihrer Würde, der Sack, der Bischofsstab und der Heiligenschein, die bei dem tollen Treiben beiseite gelegt worden waren, werden wieder aufgenommen und unter Johlen und Schreien geht’s aus dem Hause – zur nicht geringen Freude der Familie.

Bald ist überall wieder Ordnung geschafft, und schon wendet sich jedes wieder seinen Geschenken zu. Da tönt vom Nachbarhause ein Lärm herüber, daß die Scheiben klirren. Alles stürzt an die Fenster und einige Muthige blicken sogar durch die geöffnete Hausthür hinaus. Drüben läßt ein vorsichtiger Hausvater die Christlarven nicht herein, sie aber suchen durch einen höllischen Lärm den Eingang zu erzwingen. Die Thür birst fast unter den Stößen, es ist ein Heulen, Johlen, Pfeifen, Brummen, daß einem Hören und Sehen vergeht. Leitern werden angelegt; und ein Mädchen, das eben zum Fenster herausschaut, wird zur Strafe seiner Unklugheit solange abgeküßt, bis ein gewaltiger Besen von drinnen den kecken Angreifer verscheucht. Endlich läßt das Toben nach – und gleich darauf herrscht Totenstille. Da auf einmal ruft eine Grabesstimme, der Heiland selbst sei dagewesen und habe dem Hause seine Gaben und seinen Segen bringen wollen. Nun nehme er beides wieder mit fort.

Dann geht’s weiter vor eine andere Thür.

Je mehr Häuser bereits heimgesucht sind, desto eiliger haben es die Christlarven und desto kürzer bemessen sie ihre Besuche. Denn noch ehe es vom Thurme der Stadtkirche neun Uhr schlägt, müssen sie die Runde gemacht haben. Um Neun rufen die Glocken zur Christmette, die bis Schlag zwölf Uhr dauert, und auf der Straße die Kirchgänger zu necken, das tst ein noch weit größeres Vergnügen, als in den Häusern Muthwillen zu verüben.

Schon sieht man ganze Scharen nach der Kirche pilgern, da erschallt plötzlich der Ruf: „Die Christlarven sind da!“ und sofort beginnt an den Kirchthüren ein heftiges Gedränge, jedes will sich in Sicherheit bringen. Aber schon fliegen die Schneebälle der Larven über die Köpfe hin, und ein Widerspenstiger wird auf dem Markte im Schnee gerollt. Da tönt Geschrei aus einer kleinen Nebengasse. Die Stadtsoldaten haben zwei Christlarven festgenommen, weil sie die Wachtstubenthür eingestoßen haben. Die beiden Opfer werden fortgeschleppt, aber die Genossen eilen zu ihrer Hilfe herbei und es giebt eine tüchtige Rauferei. Für diesmal gelingt es noch, die Gefangenen zu befreien, aber am nächsten Morgen erfährt man zur allgemeinen Trauer, daß zwei andere Larven, darunter der Heilige Christ selbst, in sicherem Gewahrsam hinter Schloß und Riegel sitzen.

Vergebens haben sich die Christlarven nach den Schulknaben umgesehen, von denen sie glaubten, daß sie ihnen Konkurrenz machen würden. Jetzt löst sich das Räthsel: unter Leitung ihres fürsichtigen Lehrers und Kantors der Stadtkirche naht in feierlichem Zuge die Schar der Schüler, jeder in der Hand eine Kerze als Christfackel. Beim Eintritt in die Kirche erklingt aus ihrem Munde der alte Weihnachtsgesang, mit ernstem Schritt durchziehen sie das Schiff. Jetzt sind sie zu Ende, sie steigen zum Chor auf, und die eigentliche Mette beginnt, die erst um Mitternacht schließt.

Aher nur ein Theil der Stadtbewohner weilt in der Kirche. Andere feiern den Weihnachtsabend in althergebrachter Weise daheim unter allerlei ernsten und losen Bräuchen. Ernst sitzt die Runde um den großen Tisch, da tritt eines mit einem Licht ein, geht um den Tisch und verläßt schweigend wieder die Stube. Alle aber schauen erwartungsvoll nach der Wand: denn wessen Kopf beim Scheine dieses Lichtes keinen Schatten wirft, der muß dieses Jahr sterben. Dort kehrt die Magd, ehe sie zum Abendessen in das Haus geht, flugs noch einmal den Schnee weg vor den Schweineställen und horcht an der Thür. Da raschelt es drinnen wie Hobelspäne und nun ist es ihr gewiß, daß sie einst das Weib eines Schreiners werden wird. Da sucht man in den Stubenwinkeln rückwärts Haare und schließt daraus, ob man einen blonden oder einen schwarzen Ehegatten bekommen wird. Die künftige Verehelichung steht dabei immer im Mittelpunkte des Interesses. Wenn dann in der ersten Stunde des neuen Tages die Kirchgänger nach Hause zurückkehren, dann wacht die Festfreude noch einmal auf. Ein fröhliches Mahl vereint das ganze Haus am Tische, und erst lange nach Mitternacht endet die deutsche Weihnachtsfeier der guten alten Zeit.