Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl II/Siebenzehntes Capitel

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Sechszehntes Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band (1875)
von Charles Darwin
Achtzehntes Capitel


[222]
Siebenzehntes Capitel.
Secundäre Sexualcharactere der Säugethiere.
Das Gesetz des Kampfes. — Specielle auf die Männchen beschränkte Waffen. — Ursache des Fehlens der Waffen bei den Weibchen. — Beiden Geschlechtern gemeinsame Waffen, die aber doch ursprünglich zuerst vom Männchen erlangt wurden. — Anderer Nutzen solcher Waffen. — Ihre hohe Bedeutung. — Bedeutendere Grösse der Männchen. — Vertheidigungsmittel. — Ueber die von beiden Geschlechtern gezeigte Vorliebe beim Paaren der Säugethiere.

Bei Säugethieren scheint das Männchen das Weibchen viel mehr nach dem Gesetze des Kampfes zu gewinnen als durch die Entfaltung seiner Reize. Die furchtsamsten Thiere, welche nicht mit irgend welchen speciellen Waffen zum Kampfe ausgerüstet sind, lassen sich während der Zeit der Liebe in verzweifelte Kämpfe ein. Zwei männliche Hasen hat man gesehen, welche so lange mit einander fochten, bis einer getödtet war. Männliche Maulwürfe kämpfen häufig, und zuweilen mit tödtlichem Ausgange; männliche Eichhörnchen „beginnen häufig Kämpfe und verwunden oft einander heftig“; dasselbe thun auch männliche Biber, so dass „kaum ein Fell ohne Narben ist“.[1] Ich beobachtete dieselbe Thatsache an den Häuten der Guanacos in Patagonien; auch waren bei einer Gelegenheit mehrere dieser Thiere so von ihrem Kampfe absorbirt, dass sie ohne Furcht dicht an mir vorübergelaufen kamen. Livingstone erzählt, dass die Männchen vieler Thiere in Südafrica beinahe ohne Ausnahme die in früheren Kämpfen erlangten Narben tragen.

Das Gesetz des Kampfes gilt ebenso für Wasser- wie für Landsäugethiere. Es ist notorisch, wie verzweifelt männliche Robben während [223] der Paarungszeit mit einander kämpfen und zwar sowohl mit ihren Zähnen als mit ihren Klauen; auch sind ihre Felle gleichfalls häufig mit Narben bedeckt. Männliche Spermaceti-Wale sind sehr eifersüchtig zu dieser Jahreszeit, und in ihren Kämpfen „verbeissen sie sich häufig mit ihren Kinnladen, wälzen sich auf die Seite und zerren sich herum“, so dass ihre Unterkinnladen durch diese Kämpfe häufig verbogen werden.[2]

Von allen männlichen Säugethieren, welche mit speciellen Waffen zum Kampfe ausgerüstet sind, weiss man sehr wohl, dass sie heftige Kämpfe beginnen. Der Muth und die verzweifelten Duelle von Hirschen sind oft beschrieben worden. Ihre Skelette sind in verschiedenen Theilen der Welt mit unentwirrbar in einander verschlungenen Geweihen gefunden worden, dadurch zeigend, wie elend sowohl der Sieger als der Besiegte umgekommen sein muss.[3] Kein Thier in der Welt ist so gefährlich wie der Elephant zur Brunstzeit. Lord Tankerville hat mir eine lebendige Beschreibung der Kämpfe zwischen den wilden Bullen in Chillingham-Park, den zwar in der Grösse aber nicht im Muthe degenerirten Nachkommen des gigantischen Bos primigenius gegeben. Im Jahre 1861 kämpften mehrere um die Herrschaft und es wurde beobachtet, dass zwei von den jüngeren Bullen in Uebereinstimmung den alten Anführer der Heerde angriffen, ihn überwanden und kampfunfähig machten, so dass die Wärter glaubten, er läge tödtlich verwundet in einem benachbarten Walde. Aber wenige Tage später näherte sich einer der jungen Bullen allein dem Walde; und hierauf kam „der Herr der Jagd“, welcher sich nur um Rache zu nehmen ruhig gehalten hatte, hervor und tödtete in kurzer Zeit seinen Gegner. Er vereinigte sich dann wieder friedlich mit der Heerde und führte lange und unangefochten das Scepter. Admiral Sir B. J. Sulivan theilt mir mit, dass, als er auf den Falklandsinseln residirter er einen jungen englischen Hengst importirt habe, welcher mit acht [224] Stuten die Berge in der Nähe von Port William frequentirte. Auf diesen Bergen lebten zwei wilde Hengste, jeder mit einer kleinen Zahl von Stuten; „und es ist sicher, dass diese Hengste einander niemals zu nahe gekommen sein würden, ohne mit einander zu kämpfen. Beide hatten einzeln versucht den englischen Hengst zu bekämpfen und seine Stuten fortzutreiben, aber ohne Erfolg. Eines Tages kamen sie zusammen heran und griffen ihn an. Dies sah der Capitän, welchem die Sorge um die Pferde anvertraut war; und als er nach der Stelle hinritt, fand er einen der Hengste mit dem englischen in einen Kampf verwickelt, während der andere die Stuten forttrieb und bereits vier von den übrigen getrennt hatte. Der Capitän machte der Sache dadurch ein Ende, dass er die ganze Gesellschaft in das Corral trieb, denn die wilden Hengste wollten die Stuten nicht verlassen“.

Männliche Thiere, welche bereits mit wirksamen schneidenden oder zerreissenden Zähnen für die gewöhnlichen Zwecke des Lebens versehen sind, wie bei den Carnivoren, Insectivoren und Nagethieren, sind selten mit Waffen versehen, die speciell für Kämpfe mit ihren Nebenbuhlern angepasst sind. Bei den Männchen vieler anderer Thiere liegt aber der Fall sehr verschieden. Wir sehen dies an den Geweihen der Hirsche und an den Hörnern gewisser Arten von Antilopen, von denen die Weibchen hornlos sind. Bei vielen Thieren sind die Eckzähne in der unteren oder oberen Kinnlade oder in beiden bei den Männchen viel grösser als bei den Weibchen oder fehlen auch bei den letzteren, zuweilen mit Ausnahme eines verborgenen Rudiments. Gewisse Antilopen, das Moschusthier, Kameel, Pferd, der Eber, verschiedene Affen, Robben und das Walross bieten Beispiele dieser verschiedenen Fälle dar. Beim Weibchen des Walrosses fehlen die Stosszähne zuweilen vollständig.[4] Beim männlichen indischen Elephanten und beim männlichen Dugong[5] bilden die oberen Schneidezähne starke Angriffswaffen. Beim männlichen Narwal ist allein der eine der oberen Zähne zu dem wohlbekannten spiral gewundenen sogenannten Horn entwickelt, welches zuweilen neun bis zehn Fuss an Länge erreicht. [225] Man glaubt, dass die Männchen diese Hörner dazu benutzen mit einander zu kämpfen, denn „ein ungebrochenes ist selten zu beschaffen und gelegentlich kann man eins finden, an welchem die Spitze eines andern in die gebrochene Stelle eingekeilt ist“.[6] Der Zahn auf der anderen Seite des Kopfes besteht bei dem Männchen aus einem ungefähr zehn Zoll langen Rudimente, welches in der Kinnlade eingebettet liegt; zuweilen aber, wenn auch selten, sind die Zähne auf beiden Seiten wohl entwickelt. Bei den Weibchen sind beide Zähne immer rudimentär. Der männliche Cachelot hat einen grösseren Kopf als das Weibchen und diese Grösse unterstützt ohne Zweifel diese Thiere bei ihren im Wasser zu haltenden Kämpfen. Endlich ist der männliche erwachsene Ornithorhynchus mit einem merkwürdigen Apparate versehen, nämlich mit einem Sporn am Vorderbeine, welcher dem Giftzahne einer Giftschlange ausserordentlich ähnlich ist; nach der Angabe Harting's ist aber die Absonderung dieser Drüse nicht giftig; und am Beine des Weibchens findet sich ein Loch, allem Anscheine nach zur Aufnahme des Sporns.[7]

Wenn die Männchen mit Waffen versehen sind, welche die Weibchen nicht besitzen, so lässt sich kaum zweifeln, dass sie dazu benutzt werden, mit anderen Männchen zu kämpfen und dass sie durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt und allein auf das männliche Geschlecht vererbt worden sind. Es ist mindestens in den meisten Fällen nicht wahrscheinlich, dass die Weibchen deshalb derartige Waffen nicht erlangt haben, weil sie ihnen nutzlos oder überflüssig oder in irgend welcher Art schädlich wären. Da dieselben im Gegentheil häufig von den Männchen zu verschiedenen Zwecken und ganz besonders zur Vertheidigung gegen ihre Feinde benutzt werden, so ist es eine überraschende Thatsache, dass sie bei den Weibchen so vieler Thiere so schwach entwickelt sind oder vollständig fehlen. Ohne Zweifel wäre bei weiblichen Hirschen die in jedem der aufeinander folgenden Jahre wiederkehrende Entwickelung grosser sich verzweigender [226] Geweihe und bei weiblichen Elephanten die Entwickelung ungeheurer Stosszähne eine grosse Verschwendung von Lebenskraft gewesen, wenigstens nach der Annahme, dass sie für die Weibchen von keinem Nutzen sind. In Folge dessen werden diese Organe dazu geneigt haben, bei den Weibchen durch natürliche Zuchtwahl beseitigt zu werden; das heisst, wenn die nach einander auftretenden Abänderungen in ihrer Ueberlieferung auf die weiblichen Nachkommen beschränkt geblieben wären, denn andernfalls würden die Waffen der Männchen schädlich beeinflusst werden, und dies würde ein noch grösserer Nachtheil gewesen sein. Im Ganzen, sowie nach Betrachtung der folgenden Thatsachen, scheint es wahrscheinlich zu sein, dass, wenn die verschiedenen Waffen in den beiden Geschlechtern verschieden sind, dies allgemein von der vorherrschend gewesenen Art der erblichen Ueberlieferung abgehangen hat.

Da das Renthier die einzige Species in der ganzen Familie der hirschartigen Thiere ist, bei welcher das Weibchen mit Geweihen versehen ist, wenn sie auch etwas kleiner, dünner und weniger verzweigt sind als beim Männchen, so könnte man natürlich glauben, dass dieselben wenigstens in diesem Falle von irgend einem speciellen Nutzen für dasselbe sind. Das Weibchen behält seine Geweihe von der Zeit, wo es völlig entwickelt ist, nämlich vom September, durch den ganzen Winter bis zum April oder Mai, wo es seine Jungen zur Welt bringt. Mr. Crotch hat um meinetwillen specielle Erkundigungen in Norwegen eingezogen; es scheint, als ob sich das Weibchen zu dieser Zeit für ungefähr vierzehn Tage verberge, um ihre Jungen abzusetzen; dann erscheint es wieder: und zwar meist hornlos. Wie ich indessen von Mr. H. Reeks höre, behält in Neu-Schottland das Weibchen zuweilen seine Hörner länger. Das Männchen wirft andererseits sein Geweihe viel zeitiger ab, nämlich gegen das Ende des November. Da beide Geschlechter dieselben Bedürfnisse haben und denselben Lebensgewohnheiten folgen, und da das Männchen kein Geweihe während des Winters besitzt, so ist es unwahrscheinlich, dass das Geweihe von irgend einem speciellen Nutzen für das Weibchen in dieser Zeit des Jahres sein kann, welche den grösseren Theil der Zeit umfasst, während welcher dasselbe überhaupt Geweihe trägt. Auch ist es nicht wahrscheinlich, dass es sein Geweihe von irgend einem alten Urerzeuger der ganzen Familie der hirschartigen Thiere ererbt haben kann; denn aus der Thatsache, dass die Weibchen so vieler Species in allen Theilen [227] der Erde kein Geweihe besitzen, können wir schliessen, dass dies der ursprüngliche Character der Gruppe war.[8]

Das Geweihe wird beim Renthier in einem äusserst ungewöhnlich frühen Alter entwickelt; was aber die Ursache hiervon sein mag, ist unbekannt. Das Resultat hiervon ist indessen allem Anscheine nach die Uebertragung der Geweihe auf beide Geschlechter gewesen. Wir müssen im Sinne behalten, dass die Geweihe immer durch das Weibchen überliefert werden und dass dieses eine latente Fähigkeit zur Entwickelung von Geweihen besitzt, wie wir bei alten oder erkrankten Weibchen sehen.[9] Ueberdies bieten die Weibchen einiger anderen Species hirschartiger Thiere entweder normal oder gelegentlich Rudimente von Geweihen dar; so hat das Weibchen von Cervulus moschatus „in einem Knopfe endende borstige Büschel statt eines Hornes“: und „bei den meisten Exemplaren des weiblichen Wapiti (Cervus canadensis) findet sich an der Stelle des Geweihes eine scharfe knöcherne „Protuberanz“.[10] Aus diesen verschiedenen Betrachtungen können wir schliessen, dass der Besitz ziemlich gut entwickelter Geweihe beim weiblichen Renthier eine Folge davon ist, dass die Männchen sie zuerst als Waffen für die Kämpfe mit anderen Männchen erhielten, und an zweiter Stelle eine Folge ihrer aus irgend einer unbekannten Ursache in einem ungewöhnlich frühen Alter beim Männchen eintretenden Entwickelung und ihrer hiervon abhängenden Ueberlieferung auf beide Geschlechter.

Wenden wir uns nun zu den scheidenhörnigen Wiederkäuern. Unter den Antilopen kann man eine sich abstufende Reihe aufstellen, welche mit Species beginnt, deren Weibchen vollständig ohne Hörner [228] sind, welche dann zu solchen fortschreitet, die so kleine Hörner haben, dass sie beinahe rudimentär sind, wie bei der Antilocapra americana (bei welcher Species sie sich nur bei einem unter je vier oder fünf Weibchen finden),[11] ferner zu denen, welche ziemlich gut entwickelte Hörner, aber offenbar kleiner und dünner als die Männchen und zuweilen auch von einer verschiedenen Form[12] haben, und endlich zu solchen, bei denen beide Geschlechter gleich grosse Hörner besitzen. Wie beim Renthier so besteht auch bei den Antilopen eine Beziehung zwischen der Periode der Entwickelung der Hörner und ihrer Ueberlieferung auf ein Geschlecht oder auf beide. Es ist daher wahrscheinlich, dass ihr Vorhandensein oder Fehlen bei den Weibchen irgend einer Species und ihr mehr oder weniger vollkommener Zustand bei den Weibchen anderer Species nicht davon abhängt, dass sie von irgend einem speciellen Nutzen sind, sondern einfach von der Form der Vererbung. Es stimmt mit dieser Ansicht überein, dass, selbst in einer und der nämlichen begrenzten Gattung beide Geschlechter einiger Species und allein die Männchen anderer Species in dieser Weise ausgerüstet sind. Es ist auch eine merkwürdige Thatsache, dass, obgleich die Weibchen von Antilope bezoartica der Regel nach Hörner entbehren, Mr. Blyth doch nicht weniger als drei Weibchen gesehen hat, welche solche besassen, und es lag kein Grund zu der Annahme vor, dass diese alt oder erkrankt gewesen wären.

Bei allen wilden Species von Ziegen und Schafen sind die Hörner beim Männchen grösser als beim Weibchen und fehlen zuweilen beim letzteren vollständig.[13] Bei mehreren domesticirten Rassen des Schafes und der Ziege sind allein die Männchen mit Hörnern versehen; und in einigen Rassen, wie in der von Nord-Wales, in welcher beide Geschlechter eigentlich Hörner tragen, bleiben die Mutterschafe sehr gern hornlos. Bei diesen selben Schafen sind, wie mir ein zuverlässiger Beobachter bezeugt hat, der absichtlich eine Heerde während der Lammzeit inspicirte, die Hörner bei der Geburt im Allgemeinen beim Männchen vollständiger entwickelt als beim Weibchen. Mr. J. Peel kreuzte seine Lonk-Schafe, bei welchen stets beide Geschlechter [229] Hörner tragen, mit hornlosen Leiceisters und hornlosen Shropshire-Downs. Das Resultat war, dass die männlichen Nachkommen Hörner besassen, deren Grösse beträchtlich reducirt war, während die weiblichen der Hörner gänzlich entbehrten. Diese verschiedenen Thatsachen weisen darauf hin, dass bei Schafen die Hörner ein bei den Weibchen viel weniger fest fixirter Character sind als bei den Männchen; und dies führt uns zu der Ansicht, dass die Hörner eigentlich männlichen Ursprungs sind.

Beim erwachsenen Bisamochsen (Ovibos moschatus) sind die Hörner des Männchens grösser als die des Weibchens und beim letzteren berühren sich die Basen der Hörner nicht.[14] In Bezug auf das gewöhnliche Rind bemerkt Mr. Blyth: „bei den meisten der wilden rinderartigen Thiere sind die Hörner des Bullen sowohl länger als dicker als die der Kuh und bei dem weiblichen Banteng (Bos sondaicus) sind die Hörner merkwürdig klein und bedeutend nach rückwärts geneigt. Bei den domesticirten Rassen des Rindes, sowohl der Formen mit Buckel als der buckellosen, sind die Hörner beim Bullen kurz und dick, bei der Kuh und dem Ochsen länger und schlanker, und ebenso sind sie beim indischen Büffel beim Bullen kürzer und dicker und bei der Kuh länger und schlanker. Beim wilden Gaour (Bos gaurus) sind die Hörner beim Bullen meist sowohl länger als dicker als bei der Kuh“.[15] Ferner theilt mir Dr. Forsyth Major mit, dass im Val d'Arno ein fossiler Schädel gefunden worden ist, den man als dem weiblichen Bos etruscus angehörig betrachtet; derselbe ist gänzlich ohne Hörner. Ich will hier gleich hinzufügen; dass bei dem Rhinoceros simus die Hörner des Weibchens allgemein länger aber weniger kraftvoll sind als beim Männchen, und bei einigen anderen Species von Rhinoceros sollen sie beim Weibchen kürzer sein.[16] Nach diesen verschiedenen Thatsachen können wir als wahrscheinlich annehmen, dass Hörner aller Arten, selbst wenn sie in beiden Geschlechtern gleichmässig entwickelt werden, zuerst von den Männchen erlangt wurden, um andere Männchen zu bekämpfen und dass sie dann mehr oder weniger vollständig auf die Weibchen übertragen worden sind.

[230] Die Wirkungen der Castration verdienen Beachtung, da sie auf den vorliegenden Gegenstand Licht werfen. Hirsche erneuern nach dieser Operation ihr Geweihe niemals wieder. Doch muss hier das männliche Renthier ausgenommen werden, da es nach der Castration das Geweihe erneuert. Diese Thatsache scheint ebenso wie das Vorkommen von Hörnern in beiden Geschlechtern auf den ersten Blick zu beweisen, dass die Hörner keinen sexuellen Character darstellen;[17] da sie aber in einer sehr frühen Periode entwickelt werden, ehe die Geschlechter der Constitution nach von einander verschieden sind, so ist es nicht überraschend zu finden, dass sie von der Castration nicht beeinflusst werden, selbst wenn sie ursprünglich von den Männchen erlangt worden wären. Bei Schafen tragen eigentlich beide Geschlechter Hörner; man hat mir mitgetheilt, dass bei Schafen aus Wales die Hörner der Männchen durch die Castration bedeutend reducirt werden; der Grad dieser Reduction hängt aber in hohem Maasse von dem Alter ab, in welchem die Operation ausgeführt wird, ganz ebenso wie dies auch bei andern Thieren der Fall ist. Merino-Widder haben grosse Hörner, während die Mutterschafe „allgemein genommen hornlos sind“; und in dieser Rasse scheint die Castration eine etwas grössere Wirkung hervorzubringen, so dass die Hörner, wenn die Operation in einem frühen Alter vorgenommen wird, „beinahe unentwickelt bleiben“.[18] An der Küste von Guinea lebt eine Schafrasse, bei welcher die Weibchen niemals Hörner tragen, und wie mir Mr. Winwood Reade mittheilt, fehlen dieselben den Widdern nach der Castration vollständig. Bei Rindern werden die Hörner der Männchen durch die Castration sehr verändert; denn anstatt kurz und dick zu sein, werden sie länger als die der Kuh, sind aber im Uebrigen diesen ähnlich. Die Antilope bezoartica bietet einen ziemlich analogen Fall dar: die Männchen haben lange, gerade, spiral gedrehte Hörner, welche einander fast parallel nach hinten gerichtet sind; die Weibchen tragen gelegentlich Hörner; wenn sie aber vorhanden sind, bieten sie eine sehr verschiedene Form dar, sie sind nicht spiral, gehen weit [231] auseinander und biegen sich rund um mit den Spitzen nach vorn. Nun ist es eine merkwürdige Thatsache, dass bei den castrirten Männchen, wie mir Mr. Blyth mittheilt, die Hörner dieselbe eigenthümliche Form wie beim Weibchen haben, aber länger und dicker sind. Wenn wir nach Analogie schliessen dürfen, so zeigt uns wahrscheinlich in diesen beiden Fällen das Weibchen des Rindes und der Antilope den frühern Zustand der Hörner bei irgend einem frühen Urerzeuger jeder Species. Warum aber die Castration das Wiedererscheinen einer früheren Form der Hörner herbeiführen sollte, kann nicht mit irgend welcher Sicherheit erklärt werden. Nichtsdestoweniger scheint es wahrscheinlich zu sein, dass in nahezu derselben Weise, wie die durch eine Kreuzung zwischen zwei verschiedenen Species oder Rassen verursachte constitutionelle Störung der Nachkommen häufig zum Wiedererscheinen lange verloren gegangener Charactere führt,[19] so hier die als Resultat der Castration auftretende Störung in der Constitution des Individuums dieselbe Wirkung hervorbringt.

Die Stosszähne des Elephanten weichen in den verschiedenen Species oder Rassen je nach dem Geschlechte in nahezu derselben Art und Weise ab wie die Hörner der Wiederkäuer. In Indien und Malacca sind allein die Männchen mit wohlentwickelten Stosszähnen versehen. Der Elephant von Ceylon wird von den meisten Naturforschern als eine verschiedene Rasse betrachtet, von einigen sogar als eine verschiedene Species, und hier „findet man nicht einen unter einem Hundert, welcher mit Stosszähnen versehen wäre, und die wenigen, welche sie besitzen, sind ausschliesslich Männchen“.[20] Der africanische Elephant ist zweifellos verschieden; und hier hat das Weibchen grosse wohlentwickelte Stosszähne, wenn auch nicht so grosse wie die des Männchens.

Diese Verschiedenheiten in den Stosszähnen der verschiedenen Rassen und Species von Elephanten — die grosse Variabilität des Geweihes bei hirschartigen Thieren, wie besonders beim wilden Renthier — das gelegentliche Vorhandensein von Hörnern bei der weiblichen Antilope bezoartica und ihr gelegentliches Fehlen bei der weiblichen [232] Antilocapra americana — das Vorhandensein zweier Stosszähne bei einigen wenigen männlichen Narwallen — das vollständige Fehlen von Stosszähnen bei einigen weiblichen Walrossen —, Alles dies sind Beispiele für die ausserordentliche Variabilität secundärer Sexualcharactere und ihrer ausserordentlichen Geneigtheit in nahe verwandten Formen verschieden zu werden.

Obgleich Stosszähne und Hörner in allen Fällen ursprünglich als Waffen zu geschlechtlichen Zwecken entwickelt worden zu sein scheinen, so dienen sie doch häufig auch zu anderen Zwecken. Der Elephant gebraucht seine Stosszähne, wenn er den Tiger angreift. Der Angabe Bruce's zufolge schneidet er die Stämme von Bäumen damit ein, bis sie leicht umgeworfen werden können und er holt sich damit auch das mehlige Mark von Palmen heraus. In Africa benutzt er oft den einen Stosszahn, und dieser ist immer einer und derselbe, dazu, den Boden zu untersuchen und sich zu vergewissern, ob er seine Last zu tragen im Stande ist. Der gemeine Bulle vertheidigt die Heerde mit seinen Hörnern; und nach Lloyd hat man in Schweden die Erfahrung gemacht, dass der Elk einen Wolf mit einem einzigen Schlage seines grossen Geweihes todt niederstreckte. Viele ähnliche Thatsachen liessen sich noch anführen. Eine der merkwürdigsten secundären Anwendungsweisen, zu welchen die Hörner irgend eines Thieres gelegentlich benutzt werden, ist die, welche Capitain Hutton, und zwar bei der wilden Ziege (Capra aegagrus) des Himalayas, beobachtet hat.[21] Dieselbe kommt, wie man sagt, auch beim Steinbock vor; stürzt nämlich das Männchen zufällig von einer Höhe herab, so biegt es seinen Kopf nach vorn ein und bricht durch das Fallen auf seine massiven Hörner die Wirkung des Stosses. Das Weibchen kann seine Hörner nicht in dieser Weise brauchen, da sie kleiner sind, aber wegen seiner ruhigeren Disposition bedarf es dieser merkwürdigen Art von Schutz nicht so nöthig.

Jedes männliche Thier benutzt seine Waffen in seiner eigenen eigenthümlichen Weise. Der gewöhnliche Widder macht einen Angriff und stösst dabei mit solcher Kraft mit den Basen seiner Hörner, dass ich gesehen habe, wie ein kräftiger Mann so leicht wie ein Kind über den Haufen gerannt wurde. Ziegen und gewisse Species von Schafen wie z. B. Ovis cycloceros von Afghanistan,[22] erheben sich auf ihren [233] Hinterbeinen und stossen dann nicht bloss, sondern „machen einen Hieb nach abwärts und einen Stoss mit der gerippten Vorderseite ihrer säbelförmigen Hörner, wie mit einem Säbel nach oben. Als ein Ovis cycloceros einen grossen domesticirten Widder, welcher ein anerkannter Boxer war, angriff, besiegte es ihn lediglich durch die Neuheit seiner Weise zu kämpfen, indem es immer sofort dicht an seinen Widersacher herantrat und ihn quer übers Gesicht und die Nase mit einem scharfen ziehenden Hiebe seines Kopfes fasste und ihm dann durch eine kurze Wendung aus dem Wege gieng, ehe der Stoss zurückgegeben werden konnte“. In Pembrokeshire hat man einen Ziegenbock gekannt, den Herrn einer seit mehreren Jahren verwilderten Heerde, welcher mehrere andere Männchen im Einzelkampfe getödtet hat. Dieser Bock besass enorme Hörner, welche in einer geraden Linie von Spitze zu Spitze neununddreissig Zoll maassen. Wie Jedermann weiss, stösst der gemeine Bulle seinen Gegner und schleudert ihn hin und her. Aber der italienische Büffel soll niemals seine Hörner brauchen. Er gibt mit seiner convexen Stirn einen fürchterlichen Stoss und trampelt dann auf seinem gestürzten Gegner mit seinen Knien, ein Instinct, welchen der gemeine Bulle nicht besitzt.[23] Ein Hund, welcher einen Büffel an der Nase zum Stellen bringen will, wird daher sofort zermalmt. Wir müssen uns indessen erinnern, dass der italienische Büffel schon seit langer Zeit domesticirt worden ist, und es ist durchaus nicht gewiss, ob die wilde elterliche Form ähnlich geformte Hörner besessen hat. Mr. Bartlett theilt mir mit, dass, als eine Cap-Büffelkuh (Bubalus caffer) mit einem Bullen derselben Species in eine Umzäunung gebracht wurde, sie ihn angriff und er sie wiederum mit grosser Heftigkeit herumtrieb. Mr. Bartlett sah aber offenbar, dass wenn der Bulle nicht eine würdige Nachsicht gezeigt hätte, er sie durch einen einzigen Stoss mit seinen ungeheuren Hörnern leicht hätte tödten können. Die Giraffe braucht ihre kurzen mit Haaren überzogenen Hörner, welche beim Männchen im Ganzen etwas länger sind, als beim Weibchen, in einer merkwürdigen Weise; sie schwingt mit ihrem langen Halse den Kopf nach beiden Seiten, beinahe umgekehrt, mit der Oberseite nach abwärts, und zwar mit [234] solcher Kraft, dass ich selbst eine harte Planke gesehen habe, die durch einen einzigen Schlag tiefe Eindrücke erhalten hatte.

In Bezug auf die Antilopen ist es zuweilen schwierig sich vorzustellen, wie sie ihre merkwürdig geformten Hörner möglicherweise benutzen können. So hat der Springbock (Antilope euchore) ziemlich kurze aufrechte Hörner, deren scharfe Spitzen beinahe rechtwinkelig nach innen gebogen sind, so dass sie einander gegenüberstehen. Mr. Bartlett weiss nicht wie sie benutzt werden, vermuthet aber, dass sie eine fürchterliche Wunde auf jeder Seite des Gesichts eines etwaigen Gegners herbeiführen könnten. Die leicht gebogenen Hörner des Oryx leucoryx (Fig. 63) sind nach hinten gerichtet und sind von solcher

Fig. 63. Oryx leucoryx, Männchen. (Nach der Knowsley-Menagerie.)

Länge, dass ihre Spitzen über die Mitte des Rückens nach hinten reichen, über welchem sie in fast parallelen Linien stehen. Hiernach scheinen sie für einen Kampf eigenthümlich schlecht angepasst zu sein. Aber Mr. Bartlett theilt mir mit, dass wenn zwei dieser Thiere sich zum Kampfe vorbereiten, sie niederknien und ihren Kopf zwischen die Vorderfüsse nehmen; bei dieser Haltung stehen dann die Hörner beinahe parallel und dicht am Boden, mit den Spitzen nach vorn und ein wenig nach aufwärts gerichtet. Die Kämpfer nähern sich nun allmählich und versuchen die umgewendeten Spitzen ihrer Hörner unter den Körper des Gegners zu bringen. Gelingt dies einem, so springt er plötzlich auf und wirft zu derselben Zeit seinen Kopf in die Höhe, wodurch er seinen Gegner verwunden oder selbst durchbohren kann. Beide Thiere knien immer nieder, um sich so weit als möglich gegen dieses Manöver zu schützen. Man hat selbst berichtet, [235] dass eine dieser Antilopen ihrer Hörner mit Erfolg sogar gegen einen Löwen benutzt hat. Weil sie aber gezwungen ist, den Kopf zwischen die Vorderbeine zu bringen, um die Spitzen ihrer Hörner nach vorwärts gerichtet zu halten, so wird sie sich meist in grossem Nachtheile finden, wenn sie von irgend einem anderen Thiere angegriffen wird. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass die Hörner zu ihrer jetzigen grossen Länge und eigenthümlichen Stellung zum Zwecke des Schutzes gegen Raubthiere gebracht worden sind. Wir können indessen sehen, dass, sobald irgend ein alter männlicher Urerzeuger des Oryx mässig lange und ein wenig nach rückwärts geneigte Hörner erlangt hatte, er in seinen Kämpfen mit Nebenbuhlern gezwungen gewesen sein wird, seinen Kopf etwas nach innen und abwärts zu beugen, wie es jetzt gewisse Hirsche thun, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er dabei auch die Gewohnheit, zuerst gelegentlich und später regelmässig niederzuknien, erlangt haben kann. In diesem Falle ist es beinahe sicher, dass diejenigen Männchen, welche die längsten Hörner besassen, einen grossen Vortheil vor den anderen, mit kürzeren Hörnern voraus gehabt haben werden, und dann werden die Hörner durch geschlechtliche Zuchtwahl allmählich immer länger und länger geworden sein, bis sie ihre jetzige ausserordentliche Länge und Stellung erreichten.

Bei Hirschen vieler Arten bietet das Verzweigen des Geweihes einen merkwürdigen Fall von Schwierigkeit dar, denn sicher würde eine einfache gerade Spitze eine viel ernstlichere Wunde beibringen, als mehrere auseinandergehende Spitzen. In Sir Philipp Egerton’s Museum findet sich ein Geweih des Edelhirsches (Cervus elaphus) dreissig Zoll lang mit „nicht weniger als fünfzehn Enden oder Zweigen“; und zu Moritzburg ist noch jetzt das Geweihepaar eines Edelhirsches aufgehoben, welchen im Jahre 1699 Friedrich I. schoss, von denen die linke Stange die erstaunliche Zahl von dreiunddreissig Enden, die rechte siebenundzwanzig, das ganze Geweihe also sechzig Enden trug. Richardson bildet ein Geweihe des wilden Renthiers mit neunundzwanzig Enden ab.[24] Nach der Art und Weise, in welcher das Geweihe verzweigt ist, und noch besonders weil man weiss, dass [236] Hirsche gelegentlich so mit einander kämpfen, dass sie mit ihren Vorderfüssen stossen,[25] kam Mr. Bailly geradezu zu dem Schlusse, dass ihre Geweihe mehr von Nachtheil als von Nutzen für sie seien. Aber dieser Schriftsteller übersieht die ausgemachten Kämpfe zwischen rivalisirenden Männchen. Da ich mich in Bezug auf den Gebrauch oder den Vortheil der Enden in ziemlicher Verlegenheit befand, wendete ich mich an Mr. M’Neill von Colonsay, welcher das Leben des Edelhirsches lange und sorgfältig beobachtet hat, und er theilte mir mit, dass er niemals eines der Enden in Thätigkeit gebracht gesehen habe, dass aber die Augensprossen, weil sie sich nach abwärts neigen, für die Stirn ein bedeutender Schutz sind und dass ihre Spitzen gleichfalls beim Angriff gebraucht werden. Auch Sir Philipp Egerton theilt mir sowohl in Bezug auf Edelhirsche als auf den Damhirsch mit, dass wenn sie kämpfen, sie plötzlich an einander fahren und, ihr Geweihe gegen den Körper des andern gedrückt, einen verzweifelten Kampf beginnen. Wenn einer der Hirsche zuletzt gezwungen wird nachzugeben und sich umzuwenden, so versucht der Sieger seine Augensprossen in den besiegten Feind einzustossen. Es erscheint hiernach als ob die oberen Enden hauptsächlich oder ausschliesslich zum Stossen und Pariren benutzt würden. Nichtsdestoweniger werden bei einigen Species auch die oberen Enden als Angriffswaffen benutzt. Als in Judge Caton’s Park in Ottawa ein Mann von einem Wapiti-Hirsche (Cervus canadensis) angegriffen wurde und mehrere Leute ihn zu befreien versuchten, „erhob der Hirsch seinen Kopf nicht von dem Boden; in der That, er hielt sein Gesicht beinahe platt auf der Erde, mit seiner Nase fast zwischen seinen Vorderfüssen, ausgenommen, wenn er seinen Kopf nach einer Seite drehte, um eine neue Beobachtung als Vorbereitung zu einem Angriffe zu machen“. In dieser Stellung waren die Endspitzen des Geweihes gegen seine Gegner gerichtet. „Beim Drehen des Kopfes erhob er ihn nothwendiger Weise etwas, weil sein Geweihe so lang war, dass er den Kopf nicht drehen konnte, ohne dasselbe auf der einen Seite etwas zu erheben, während es auf der andern Seite den Boden berührte“. Der Hirsch [237] trieb auf diese Weise allmählich die Gesellschaft, die ihm zu Hülfe kam, auf eine Entfernung von hundertfünfzig bis zweihundert Fuss zurück; und der angegriffene Mann wurde getödtet.[26]

Obgleich die Geweihe der Hirsche wirksame Waffen sind, so kann, wie ich glaube, darüber kein Zweifel sein, dass eine einzige Spitze viel gefährlicher gewesen wäre, als ein verzweigtes Geweihe; und Judge Caton, welcher grosse Erfahrungen über Hirsche gemacht hat, stimmt vollständig mit diesem Schlusse überein. Es scheinen auch die verzweigten Geweihe, obgleich sie als Vertheidigungsmittel gegen Nebenbuhlerhirsche von hoher Bedeutung sind, zu diesem Zwecke nicht vollkommen angepasst zu sein, da sie leicht in einander verfangen werden. Mir ist daher die Vermuthung durch den Sinn gegangen, dass sie zum Theil als Zierathen von Nutzen sein könnten. Dass das verzweigte Geweihe von Hirschen, ebenso wie die eleganten leierförmigen Hörner gewisser Antilopen mit ihrer doppelten Krümmung (Fig. 64) für unsere Augen ornamental sind, wird Niemand bestreiten können. Wenn daher die Geweihe, wie die glänzenden Rüstungen der Ritter älterer Zeiten die edle Erscheinung von Hirschen und Antilopen erhöhen, so können sie wohl zum Theil für diesen Zweck modificirt worden sein, wenn sie auch hauptsächlich zum factischen Dienste im Kampfe bestimmt sind. Ich habe aber zu Gunsten dieser Annahme keine Belege.

Neuerdings ist ein interessanter Fall veröffentlicht worden, nach welchem es scheinen möchte, als würden die Geweihe eines Hirsches in einem Districte der Vereinigten Staaten noch jetzt durch geschlechtliche und natürliche Zuchtwahl modificirt. Ein Schriftsteller erzählt in einem ausgezeichneten americanischen Journale,[27] dass er in den letzten einundzwanzig Jahren in den Adirondacks gejagt habe, wo der Cervus virginianus häufig ist. Ungefähr vor vierzehn Jahren hörte er zuerst von Spitzhornböcken (spike-horn-bucks). Diese wurden von Jahr zu Jahr häufiger, ungefähr vor fünf Jahren schoss er einen, später dann noch einen andern, und jetzt werden sie häufig getödtet. „Das Spitzhorn weicht bedeutend von dem gewöhnlichen Geweihe des C. virginianus ab. Es besteht aus einer einzigen Spitze, welche schlanker als die Stange und kaum halb so lang ist, von der Stirn nach vorn vorspringt und in eine sehr scharfe Spitze endigt. Es [238] gibt dem Männchen, welches es besitzt, einen beträchtlichen Vortheil vor dem gewöhnlichen Hirsche. Ausser dem Umstande, dass es in den Stand gesetzt wird schneller durch die dichten Wälder und das Untergehölz zu laufen (und jeder Jäger weiss, dass Hirschkühe und einjährige Hirsche viel schneller als die grossen Hirsche laufen, wenn

Fig. 64. Strepsiceros Kudu (nach Sir Andrew Smith’s Zoology of South Africa).

diese mit ihren umfänglichen Geweihen beschwert sind), ist auch das Spitzhorn eine wirksamere Waffe als das gewöhnliche Geweih. Mit diesem Vortheile ausgerüstet gewinnen die Spitzhornböcke über die gemeinen Hirsche einen Vortheil und können im Laufe der Zeit, dieselben in den Adirondacks vollständig verdrängen. Zweifellos war der erste Spitzhornbock bloss ein zufälliges Naturspiel; aber seine Spitzhörner gaben ihm einen Vortheil und befähigten ihn, seine Eigenthümlichkeit fortzupflanzen. Seine Nachkommen haben einen [239] gleichen Vortheil und haben die Eigenthümlichkeit in einem beständig zunehmenden Verhältniss fortgepflanzt, bis sie langsam die mit Geweihen versehenen Hirsche aus den von ihnen bewohnten Gegenden vertreiben.“ Treffend hat ein Kritiker diesem Berichte die Frage entgegengehalten, warum dann, wenn die einfachen Hörner jetzt so vortheilhaft sind, verzweigte Geweihe sich überhaupt jemals entwickelt haben. Hierauf kann ich nur mit der Bemerkung antworten, dass eine neue Art des Angriffs mit neuen Waffen von grossem Vortheil sein kann, wie es sich in dem Falle des Ovis cycloceros zeigte, der einen seines Kampfvermögens wegen berühmten domesticirten Widder besiegte. Wenn auch das verzweigte Geweihe eines Hirsches dem Kampfe mit Rivalen gut angepasst ist und wenn es auch ein Vortheil für die gabelhörnige Varietät sein dürfte, langsam langes und verzweigtes Gehörn zu erhalten, so lange sie nur mit andern Individuen derselben Art zu kämpfen hat, so folgt doch daraus durchaus noch nicht, dass ein verzweigtes Geweihe für das Besiegen eines verschieden bewaffneten Feindes am besten angepasst ist. In dem oben erwähnten Fall des Oryx leucoryx ist es beinahe sicher, dass der Sieg auf Seite derjenigen Antilope sein wird, welche kurze Hörner hat, welche daher nicht nöthig hat, niederzuknien, obschon ein Oryx durch den Besitz noch längerer Hörner einen Vortheil erlangen würde, wenn er nur mit seinen eigenen Nebenbuhlern kämpfte.

Männliche Säugethiere, welche mit Stosszähnen versehen sind, gebrauchen dieselben auf verschiedene Weise, wie es auch mit den Hörnern der Fall ist. Der Eber stösst seitwärts und aufwärts, das Moschusthier mit bedenklicher Wirkung abwärts;[28] trotzdem das Walross einen so kurzen Hals und einen so ungelenken Körper hat, kann es doch mit gleicher Geschicklichkeit entweder „nach oben oder nach unten oder nach den Seiten hin stossen“.[29] Wie mir der verstorbene Dr. Falconer mitgetheilt hat, kämpft der indische Elephant je nach der Stellung und Krümmung seiner Stosszähne auf verschiedene Weise. Wenn sie nach vorn und nach oben gerichtet sind, so ist er im Stande, einen Tiger eine grosse Strecke weit fortzuschleudern; man sagt selbst bis dreissig Fuss; wenn sie kurz und nach abwärts gewendet sind, sucht er den Tiger plötzlich auf den Boden zu bohren und ist desshalb in [240] diesem Falle dem Reiter gefährlich, welcher leicht aus seinem Hudah herabgeschleudert wird.[30]

Sehr wenige männliche Säugethiere besitzen Waffen zweier verschiedener Arten, welche zum Kampfe mit rivalisirenden Männchen speciell angepasst sind. Der männliche Muntjac (Cervulus) bietet indessen eine Ausnahme dar, da er sowohl mit Hörnern als hervorragenden Eckzähnen versehen ist. Es ist aber die eine Form von Waffen häufig im Laufe der Zeiten durch eine andere ersetzt worden, wie wir aus dem was folgt schliessen können. Bei Wiederkäuern steht die Entwickelung von Hörnern allgemein im umgekehrten Verhältnisse zu den selbst nur mässig entwickelten Eckzähnen. So sind Kameele, Guanacos, Zwerghirsche und Moschusthiere hornlos, dagegen haben sie wirksame Eckzähne. Es sind diese Zähne „immer bei den Weibchen von geringerer Grösse als bei den Männchen.“ Die Cameliden haben in ihrem Oberkiefer ausser den ächten Eckzähnen noch ein Paar eckzahnformiger Schneidezähne.[31] Andrerseits besitzen männliche Hirsche und Antilopen Hörner, wogegen sie selten Eckzähne haben, und wenn solche vorhanden sind, sind sie immer von geringer Grösse, so dass es zweifelhaft ist, ob sie den Thieren in ihren Kämpfen von irgend welchem Nutzen sind. Bei Antilope montana sind sie nur als Rudimente beim jungen Männchen vorhanden und verschwinden, wenn dasselbe alt wird; und beim Weibchen fehlen sie auf allen Altersstufen. Man hat aber in Erfahrung gebracht, dass die Weibchen gewisser anderer Antilopen und Hirsche gelegentlich Rudimente dieser Zähne darbieten.[32] Hengste haben kleine Eckzähne, welche bei der Stute entweder vollständig fehlen oder rudimentär sind. Sie scheinen aber nicht bei den Kämpfen benutzt zu werden, denn Hengste beissen mit ihren Schneidezähnen und öffnen das Maul nicht weit, wie die Kameele [241] und Guanacos. Wo nur immer das erwachsene Männchen gegenwärtig nicht wirksame Eckzähne besitzt, während das Weibchen entweder keine oder bloss Rudimente davon hat, da können wir schliessen, dass der frühere männliche Urerzeuger der Species mit wirksamen Eckzähnen versehen war, welche zum Theil auf die Weibchen übertragen worden sind. Die Verkümmerung dieser Zähne bei den Männchen scheint die Folge irgend einer Veränderung in ihrer Art zu kämpfen gewesen zu sein, häufig durch die Entwickelung neuer Waffen verursacht, was indessen beim Pferde nicht der Fall ist.

Stosszähne und Hörner sind offenbar für ihre Besitzer von grosser Bedeutung, denn ihre Entwickelung consumirt viel organische Substanz. Ein einziger Stosszahn des asiatischen Elephanten – eines der ausgestorbenen wollhaarigen Species – und des africanischen Elephanten hat, wie man in einzelnen Fällen erfahren hat, bis hundertfünfzig, hundertsechzig und hundertachtzig Pfund beziehentlich gewogen und einige Schriftsteller haben selbst noch grössere Gewichte angeführt.[33] Bei Hirschen, bei welchen die Geweihe periodisch erneuert werden, muss der Einfluss auf die Constitution noch bedeutender sein. So wiegt das Geweih z. B. des Orignal oder Musthiers von fünfzig zu sechzig Pfund und das des ausgestorbenen irischen Riesenhirsches von sechzig bis zu siebenzig Pfund, während der Schädel des Letzteren im Mittel nur fünf und ein Viertelpfund wiegt. Obgleich die Hörner bei Schafen nicht periodisch erneuert werden, so führt nach der Meinung vieler Landwirthe ihre Entwickelung doch einen wesentlichen Verlust für den Züchter herbei. Ueberdies sind Hirsche bei ihrer Flucht vor Raubthieren mit einem den Wettlauf noch erschwerenden Extragewicht beladen und werden beim Durchlaufen waldiger Gegenden bedeutend aufgehalten. Das Orignal z. B., dessen Geweihe von Spitze zu Spitze fünf und einen halben Fuss misst, und welches in seinem Gebrauche so geschickt ist, dass es nicht einen einzigen Zweig berühren oder abbrechen wird, wenn es ruhig geht, kann nicht so geschickt sich benehmen, wenn es vor einem Rudel Wölfe flieht. „Während des Laufes hält es seine Nase empor, so dass es das Geweih horizontal zurücklegt, und in dieser Stellung kann es den Boden nicht deutlich sehen“.[34] Die Spitzen des Geweihes des grossen irischen [242] Riesenhirsches standen factisch acht Fuss aus einander! So lange das Geweih mit Bast überzogen ist, was bei dem Edelhirsche ungefähr zwölf Wochen lang dauert, ist dasselbe äusserst empfindlich für Stösse, so dass in Deutschland die Hirsche um diese Zeit ihre Lebensart in einem gewissen Maasse ändern und dichtere Wälder vermeiden, dagegen junges Gehölz und niedrige Dickichte aufsuchen.[35] Diese Thatsachen erinnern uns daran, dass männliche Vögel ornamentale Federn auf Kosten einer Verlangsamung des Flugvermögens und andere Zierathen auf Kosten eines Verlustes ihrer Kraft beim Kämpfen mit rivalisirenden Männchen erlangt haben.

Wenn bei Säugethieren, wie es häufig der Fall ist, die Geschlechter in der Grösse verschieden sind, so sind die Männchen beinahe immer grösser und kräftiger. Dies gilt, wie mir Mr. Gould mitgetheilt hat, in einer sehr ausgesprochenen Weise für die Beutelthiere von Australien, deren Männchen bis in ein ungewöhnlich hohes Alter fortwährend zu wachsen scheinen. Aber der ausserordentlichste Fall ist der von einer Robbe (Callorhinus ursinus), bei welcher ein ausgewachsenes Weibchen weniger als ein Sechstel des Gewichts eines ausgewachsenen Männchens wiegt.[36] Dr. Gill bemerkt, dass es die polygamen Robbenarten sind, deren Männchen bekanntlich wüthend mit einander kämpfen, bei welchen die Geschlechter bedeutend der Grösse nach von einander abweichen; die monogamen Arten weichen in dieser Hinsicht nur wenig ab. Auch Walfische bieten Belege dar für die Beziehung, welche zwischen der Kampfsucht der Männchen und deren, mit der Grösse der Weibchen verglichen, bedeutenden Grösse besteht; die Männchen der Bartenwale kämpfen nicht mit einander; sie sind auch nicht grösser, sondern eher kleiner, als ihre Weibchen. Andrerseits kämpfen männliche Spermacetiwale heftig mit einander, „ihre Körper tragen häufig narbige Eindrücke von den Zähnen ihrer Rivalen“, und sie sind doppelt so gross als die Weibchen. Die bedeutendere Kraft des [243] Männchens wird, wie schon vor längerer Zeit Hunter bemerkte,[37] ausnahmslos in denjenigen Theilen des Körpers entfaltet, welche bei den Kämpfen mit rivalisirenden Männchen in Thätigkeit treten, z. B. in dem massiven Nacken des Bullen. Auch sind männliche Säugethiere muthiger und kampfsüchtiger als die Weibchen. Es lässt sich wenig zweifeln, dass diese Charactere theilweise durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind, in Folge einer Reihe von Siegen auf Seiten der kräftigeren und muthigeren Männchen über die schwächeren, zum Theil auch durch die vererbten Wirkungen des Gebrauches. Wahrscheinlich sind die aufeinanderfolgenden Abänderungen in dem Maasse der Kraft, Grösse und des Muthes, durch deren Anhäufung männliche Säugethiere diese characteristischen Eigenschaften erlangt haben, im Ganzen spät im Leben erschienen und sind in Folge hiervon in einem beträchtlichen Grade rücksichtlich ihrer Ueberlieferung auf dasselbe Geschlecht beschränkt gewesen.

Von diesem Gesichtspunkte aus war ich bemüht, mir Mittheilungen in Bezug auf den schottischen Hirschhund zu verschaffen, dessen Geschlechter mehr in der Grösse von einander verschieden sind, als die irgend einer andern Rasse (obgleich Bluthunde beträchtlich verschieden sind) und auch mehr als die Geschlechter irgend einer wilden mir bekannten Species von Caniden. Ich wandte mich daher an Mr. Cupples, einen wohlbekannten Züchter dieser Rasse, welcher viele seiner eigenen Hunde gewogen, und gemessen und welcher die folgenden Thatsachen aus verschiedenen Quellen mit grosser Freundlichkeit für mich zusammengetragen hat. Vorzügliche männliche Hunde sind, an der Schulter gemessen, von achtundzwanzig Zollen, was für niedrig gilt, bis drei- oder selbst vierunddreissig Zoll hoch und wiegen von achtzig Pfund, was für leicht gilt, bis hundertundzwanzig oder selbst noch mehr Pfund. Die Weibchen sind von dreiundzwanzig bis siebenundzwanzig oder selbst achtundzwanzig Zoll hoch und wiegen von fünfzig bis siebenzig oder selbst achtzig Pfund.[38] Mr. Cupples schliesst, dass von fünfundneunzig bis hundert Pfund für’s Männchen [244] und siebenzig Pfund für das Weibchen ein richtiges Mittel ist. Aber es ist Grund zur Vermuthung vorhanden, dass früher beide Geschlechter ein beträchtlicheres Gewicht erreichten. Mr. Cupples hat junge Hunde gewogen, als sie vierzehn Tage alt waren. Unter einem Wurfe betrug das mittlere Gewicht von vier Männchen sechs und eine halbe Unze mehr als das zweier Weibchen. In einem anderen Wurfe übertraf das mittlere Gewicht von vier Männchen das von einem Weibchen um weniger als eine Unze. Als dieselben Männchen drei Wochen alt waren, übertrafen sie das Weibchen um sieben und eine halbe Unze und im Alter von sechs Wochen um nahezu vierzehn Unzen. Mr. Wright von Yeldersleyhouse sagt in einem Briefe an Mr. Cupples: „ich habe mir über die Grösse und das Gewicht junger Hunde aus vielen Würfen Notizen gemacht und soweit meine Erfahrung reicht, sind männliche junge Hunde der Regel nach sehr wenig von weiblichen verschieden, bis sie ungefähr fünf oder sechs Monate alt sind; dann fangen die männlichen an zuzunehmen, wobei sie die weiblichen sowohl an Gewicht als Grösse übertreffen. Bei der Geburt und mehrere Wochen nachher kann ein weiblicher junger Hund gelegentlich grösser sein als irgend einer der männlichen, aber sie werden ausnahmslos später von letzteren geschlagen“. Mr. M’Neill von Colonsay kommt zu dem Schlusse, „dass die Männchen ihre volle Grösse nicht eher erhalten, als bis sie über zwei Jahre alt sind, dass aber die Weibchen sie früher erreichen“. Nach Mr. Cupples’ Erfahrung fahren männliche Hunde an Grösse zuzunehmen fort, bis sie von zwölf bis achtzehn Monate, und an Gewicht, bis sie von achtzehn zu vierundzwanzig Monate alt sind, während die Weibchen in Bezug auf die Grösse im Alter von neun bis vierzehn oder fünfzehn Monaten und in Bezug auf das Gewicht im Alter von zwölf bis fünfzehn Monaten zuzunehmen aufhören. Nach diesen verschiedenen Angaben ist es klar, dass die definitive Verschiedenheit in der Grösse zwischen dem weiblichen und männlichen schottischen Hirschhund nicht eher erreicht wird als spät im Leben. Die Männchen werden fast ausschliesslich zum Jagen benutzt; denn wie mir Mr. M’Neill mittheilt, haben die Weibchen nicht hinreichende Kraft und nicht hinreichendes Gewicht, einen ausgewachsenen Hirsch niederzuziehen. Nach den in alten Legenden angeführten Namen scheint es, wie ich von Mr. Cupples höre, als wären in einer sehr alten Zeit die Männchen die gefeiertsten gewesen, da die Weibchen nur als die Mütter berühmter [245] Hunde erwähnt werden. Seit vielen Generationen ist es daher das Männchen gewesen, welches hauptsächlich auf seine Kraft, Grösse, Flüchtigkeit und seinen Muth geprüft worden ist, und von den besten derselben ist dann weitergezüchtet worden. Da indessen die Männchen ihre gehörigen Dimensionen nicht eher als in einer im Ganzen späteren Lebensperiode erreichen, so werden sie in Uebereinstimmung mit dem oft angedeuteten Gesetze dazu geneigt haben, ihre Charactere allein ihren männlichen Nachkommen zu überliefern, und hierdurch lässt sich wahrscheinlich die bedeutende Ungleichheit in der Grösse zwischen den Geschlechtern des schottischen Hirschhundes erklären.

Fig. 65. Kopf des gemeinen wilden Ebers in der Blüthe seines Lebens (nach Brehm, Thierleben).
Die Männchen einiger weniger Vierfüsser besitzen Organe oder Theile, welche allein als Mittel der Vertheidigung gegen die Angriffe anderer Männchen entwickelt werden. Einige Arten von Hirschen brauchen, wie wir gesehen haben, die oberen Enden ihres Geweihes hauptsächlich oder ausschliesslich um sich zu vertheidigen; und die Oryx-Antilope vertheidigt sich, wie mir Mr. Bartlett mitgetheilt hat, äusserst geschickt mit ihren langen leicht gebogenen Hörnern; doch werden diese gleichfalls als Angriffsorgane gebraucht. Rhinocerosse pariren im Kampfe, wie mir derselbe Beobachter mittheilt, ihre gegenseitigen, von der Seite beigebrachten Hiebe mit ihren Hörnern, welche dabei laut zusammenschlagen, wie es die Stosszähne der Eber thun. Obgleich wilde Eber verzweifelt mit einander kämpfen, erhalten sie der Angabe Brehm’s zufolge selten tödtliche Streiche, da diese meist auf die Stosszähne des Gegners oder auf die Schicht von derber speckiger Haut fallen, welche die Schulter bedeckt und welche die deutschen Jäger das Schild nennen; und hier haben wir einen Theil, der speciell zur Vertheidigung modificirt ist. Bei Ebern in der Blüthe ihrer Jahre (s. Fig. 65) werden die Stosszähne in der Unterkinnlade zum Kämpfen benutzt; sie werden aber im hohen Alter, wie Brehm anführt, so bedeutend nach innen und oben über die Schnauze gekrümmt, dass sie nicht länger hierzu benutzt werden können.

Sie können indess noch immer und [246] selbst in einer noch wirksameren Weise als Vertheidigungsmittel von Nutzen sein. Zur Compensation für den Verlust der untern Stosszähne als Waffen zum Angriff nehmen während des höheren Alters

Fig. 66. Schädel des Babyrussa-Schweins (nach Wallace, Malay Archipelago).

diejenigen des Oberkiefers, welche immer ein wenig seitwärts vorspringen, so bedeutend an Länge zu und krümmen sich so bedeutend aufwärts, dass sie als Angriffsmittel gebraucht werden können. Nichtsdestoweniger ist ein alter Eber nicht so gefährlich für den Menschen, als einer im Alter von sechs oder sieben Jahren.[39]

Beim ausgewachsenen männlichen Babyrussa-Schwein von Celebes (Fig. 66) sind die unteren Stosszähne fürchterliche Waffen, gleich denen des europäischen Ebers in der Blüthe seines Lebens, während die oberen Stosszähne so lang sind und so bedeutend nach innen gekrümmte Spitzen haben, damit zuweilen selbst die Stirne berührend, dass sie als Angriffswaffen völlig nutzlos sind. Sie sind Hörnern viel ähnlicher als Zähnen und sind offenbar als Zähne so nutzlos, dass man früher geradezu annahm, das Thier ruhe seinen Kopf in der Weise aus, dass es denselben mit den Zähnen an einen Zweig hänge. Ihre convexen Oberflächen dürften indessen, wenn der Kopf ein wenig seitwärts gehalten [247] wird, als ein ausgezeichnetes Vertheidigungsmittel dienen, und daher kommt es vielleicht, dass sie bei älteren Thieren „meist abgebrochen sind, wie in Folge eines Kampfes“.[40] Wir haben daher den merkwürdigen Fall hier vor uns, dass die oberen Stosszähne des Babyrussa regelmässig während der Blüthe des Lebens eine Bildung annehmen, welche sie dem Anscheine nach nur zur Vertheidigung geschickt macht, während beim europäischen Eber die unteren Stosszähne in einem minderen Grade und nur während des hohen Alters nahezu dieselbe Form annehmen und dann in einer gleichen Art nur zur Vertheidigung dienen.

Beim Warzenschweine (Phacochoerus aethiopicus, Fig. 67) krümmen sich die Stosszähne im Überkiefer des Männchens während der

Fig. 67. Kopf des weiblichen äthiopischen Warzenschweins nach den Proceed. Zoolog. Soc. 1869, dieselben Charactere wie das Männchen, nur in verkleinertem Maassstabe, darbietend.
NB. Als der Holzschnitt angefertigt wurde, war ich der Meinung, er stelle das Männchen dar.

Blüthe des Lebens nach oben und dienen, da sie zugespitzt sind, als fürchterliche Waffen. Die Stosszähne in der unteren Kinnlade sind schärfer als die in der oberen, aber wegen ihrer Kürze scheint es kaum möglich zu sein, dass sie als Angriffswaffen benutzt werden. Sie müssen indessen die des Oberkiefers bedeutend kräftigen, da sie so abgeschliffen sind, dass sie dicht gegen die Basis derselben einpassen. Weder die oberen noch die unteren Stosszähne scheinen speziell dazu modificirt worden zu sein, zur Abwehr zu dienen, obschon sie ohne Zweifel in einer gewissen Ausdehnung hierzu benutzt werden. Aber das Warzenschwein entbehrt anderer specieller Mittel zum Schutze [248] nicht; denn es findet sich auf jeder Seite des Gesichts unterhalb der Augen ein im Ganzen steifes, indessen biegsames knorpeliges oblonges Kissen (Fig. 67), welches zwei oder drei Zoll nach aussen vorspringt; und als wir das lebende Thier beobachteten, schien es Mr. Bartlett und mir selbst, als würden diese Kissen, wenn sie von einem Feinde mit seinen Stosszähnen von unten getroffen würden, nach aufwärts gewendet werden, wodurch sie in einer wunderbaren Weise die etwas vorspringenden Augen beschützten. Wie ich noch nach der Autorität des Mr. Bartlett hinzufügen will, stehen sich diese Eber, wenn sie mit einander kämpfen, direct Gesicht zu Gesicht gegenüber.

Endlich besitzt das africanische Flussschwein (Potamochoerus penicillatus) einen harten knorpeligen Höcker an jeder Seite des Gesichtes unterhalb der Augen, welcher dem biegsamen Kissen des Warzenschweins entspricht. Auch hat es zwei knöcherne Vorsprünge am Oberkiefer oberhalb der Nasenlöcher. Ein Eber dieser Art brach kürzlich im zoologischen Garten in den Käfig eines Warzenschweins ein. Sie kämpften die ganze Nacht durch und wurden am Morgen sehr erschöpft, aber nicht bedenklich verwundet, gefunden. Es ist eine bezeichnende Thatsache, da es auf die Bedeutung der eben beschriebenen Vorsprünge und Auswüchse hinweist, dass dieselben mit Blut bedeckt und in einer ausserordentlichen Weise zerschrammt und abgerieben waren.

Obgleich die Männchen so vieler Thiere aus der Familie der Schweine mit Waffen und, wie wir eben gesehen haben, mit Vertheidigungsmitteln versehen sind, so scheinen doch diese Waffen in einer im Ganzen spätern geologischen Periode erlangt worden zu sein. Dr. Forsyth Major führt[41] mehrere miocene Species an; bei keiner derselben scheinen die Stosszähne bei den Männchen bedeutend entwickelt gewesen zu sein. Auch Prof. Rütimeyer war früher über diese Thatsache überrascht.

Die Mähne des Löwen bietet ein gutes Vertheidigungsmittel gegen die einzige Gefahr dar, welcher er ausgesetzt ist, nämlich gegen den Angriff von rivalisirenden Löwen. Denn, wie mir Sir A. Smith mittheilt, gehen die Männchen die fürchterlichsten Kämpfe ein und ein junger Löwe wagt sich einem alten nicht zu nähern. Im Jahre 1857 brach ein Tiger in Bromwich in den Käfig eines Löwen ein und nun folgte eine fürchterliche Scene: „Die Mähne des Löwen wahrte seinen Hals und Kopf vor bedeutenden Verletzungen, dem Tiger gelang es [249] aber zuletzt, seinen Leib aufzureissen, und in wenigen Minuten war er todt.[42] Der breite Kragen rund um den Hals und das Kinn des canadischen Luchses (Felis canadensis) ist beim Männchen viel länger als beim Weibchen; ob er aber als Vertheidigungsmittel dient, weiss ich nicht. Man weiss sehr wohl, dass männliche Robben verzweifelt mit einander kämpfen, und die Männchen gewisser Arten (Otaria jubata)[43] haben grosse Mähnen, während die Weibchen kleine oder gar keine haben. Der männliche Pavian vom Cap der guten Hoffnung (Cynocephalus porcarius) hat eine viel längere Mähne und grössere Eckzähne als das Weibchen, und die Mähne dient wahrscheinlich zum Schutze; denn als ich die Wärter im zoologischen Garten, ohne ihnen eine Andeutung des Zweckes meiner Frage zu geben, frug, ob irgend einer der Affen speciell den andern beim Nacken angriffe, wurde mir geantwortet, dass dies nicht der Fall sei, mit Ausnahme des eben erwähnten Pavians. Bei dem Hamadryas-Pavian vergleicht Ehrenberg die Mähne des erwachsenen Männchens mit der eines jungen Löwen, während bei den Jungen beiderlei Geschlechtes und bei den Weibchen die Mähne fast vollständig fehlt.

Es schien mir wahrscheinlich zu sein, als diene die ungeheure wollige Mähne des männlichen americanischen Bison, welche fast bis auf die Erde reicht und bei den Männchen viel mehr entwickelt ist als bei den Weibchen, denselben in ihren furchtbaren Kämpfen zum Schutze; aber ein erfahrener Jäger erzählte dem Judge Caton, dass er niemals etwas beobachtet habe, was diese Annahme begünstige. Der Hengst hat eine dickere und vollere Mähne als die Stute; ich habe nun besondere Erkundigungen bei zwei bedeutenden Trainers und Züchtern, welche viele Hengste in Verpflegung gehabt haben, eingezogen, und mir ist versichert worden, dass sie „ausnahmslos versuchen, einander beim Nacken zu ergreifen“. Es folgt indessen aus den vorstehenden Angaben nicht, dass, wenn das Haar am Nacken als Vertheidigungsmittel dient, es ursprünglich zu diesem Zwecke entwickelt worden ist, obschon das in einigen Fällen, wie z. B. beim Löwen, wohl wahrscheinlich ist. Mr. M’Neill hat mir mitgetheilt, dass die [250] langen Haare an der Kehle des Hirsches (Cervus elaphus) als ein bedeutendes Schutzmittel für ihn von Nutzen sind, wenn er gejagt wird; denn die Hunde versuchen meist ihn bei der Kehle zu fassen. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass die Haare speciell für diesen Zweck entwickelt worden sind, denn andernfalls würden die Jungen und die Weibchen, wie wir wohl versichert sein können, in gleicher Weise geschützt worden sein.

Ueber die Wahl beim Paaren, wie sie sich bei beiden Geschlechtern der Säugethiere zeigt. – Ehe ich im nächsten Capitel die Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern in der Stimme, dem von sich gegebenen Geruche und der Verzierung beschreibe, wird es zweckmässig sein, hier noch zu betrachten, ob die Geschlechter bei ihren Verbindungen irgend eine Wahl ausüben. Zieht das Weibchen irgend ein besonderes Männchen, ehe oder nachdem die Männchen mit einander um die Oberherrschaft gekämpft haben, vor, oder wählt sich das Männchen, wenn es nicht polygam lebt, irgend ein besonderes Weibchen aus? Der allgemeine Eindruck unter den Züchtern scheint der zu sein, dass das Männchen jedes Weibchen annimmt, und dies ist wegen der Begierde des Männchens in den meisten Fällen wahrscheinlich richtig. Ob dagegen der allgemeinen Regel nach das Weibchen ganz indifferent jedes Männchen annimmt, ist viel zweifelhafter. Im vierzehnten Capitel, über die Vögel, wurde eine ziemliche Menge directer und indirecter Belege dafür beigebracht, zu zeigen, dass das Weibchen sich seinen Genossen wählt; und es würde eine befremdende Anomalie sein, wenn weibliche Säugethiere, welche in der Stufenreihe der Organisation noch höher stehen und höhere geistige Kräfte haben, nicht allgemein, oder mindestens häufig, eine gewisse Wahl ausüben sollten. Das Weibchen kann in den meisten Fällen entfliehen, wenn es von einem Männchen umworben wird, welches ihm nicht gefällt oder welches dasselbe nicht reizt; und wenn es, wie es so beständig vorkommt, von mehreren Männchen verfolgt wird, so wird es häufig die Gelegenheit haben, während jene mit einander kämpfen, mit irgend einem Männchen sich zu entfernen oder sich mindestens zeitweise zu paaren. Dieser letztere Umstand ist in Schottland häufig bei weiblichen Hirschen beobachtet worden, wie mir Sir Philipp Egerton und Andere mitgetheilt haben.[44]

[251] Es ist kaum möglich, viel darüber zu wissen, ob weibliche Säugethiere im Naturzustande irgend welche Wahl bei ihren ehelichen Verbindungen ausüben. Die folgenden sehr merkwürdigen Einzelheiten über die Werbungen einer der Ohrenrobben, Callorhinus ursinus, werden hier nach der Autorität des Capt. Bryant mitgetheilt,[45] welcher reichliche Gelegenheit zur Beobachtung hatte. Er sagt: „viele von den Weibchen scheinen bei ihrer Ankunft auf der Insel, wo sie sich paaren, den Wunsch zu haben, zu irgend einem besonderen Männchen zurückzukehren; sie klimmen häufig auf vorliegende Felsen, um die ganze Versammlung zu übersehen, rufen laut und horchen, ob sie nicht eine ihnen bekannte Stimme hören. Dann wechseln sie den Platz und wiederholen dasselbe...... Sobald ein Weibchen das Ufer erreicht, begibt sich das nächste Männchen hinab zu ihm und stösst während der Zeit einen Laut aus, wie das Glucken einer Henne zu ihrem Küchlein. Es macht ihm Diener und neckt es, bis es zwischen dasselbe und das Wasser gelangt, so dass es nicht mehr entfliehen kann. Dann ändert sich sein Benehmen und mit einem barschen Brummen treibt es dasselbe nach einer Stelle in seinem Harem hin. Dies wird fortgesetzt, bis die untere Reihe des Harems nahezu voll ist. Dann suchen die höher hinauf befindlichen Männchen die Zeit aus, wenn ihre glücklicheren Nachbarn sich von der Wache entfernt haben, um sich ihre Weiber zu stehlen. Dies thun sie so, dass sie dieselben in ihre Mäuler nehmen, über die Köpfe der anderen Weibchen hinwegheben und sorgfältig in ihrem eigenen Harem niederlegen, ebenso wie Katzen ihre Kätzchen tragen. Die Männchen noch weiter hinauf befolgen dieselbe Methode, bis der ganze Raum eingenommen ist. Häufig erfolgt ein Kampf zwischen zwei Männchen um den Besitz eines und des nämlichen Weibchens und beide ergreifen dasselbe zusammen und zerren es entzwei oder verletzen es mit ihren Zähnen schauerlich. Ist der Raum ganz erfüllt, dann geht das alte Männchen wohlgefällig umher, überblickt seine Familie, schilt diejenigen aus, welche die anderen drängen oder stören [252] und treibt wüthend alle Eindringlinge fort. Dieses Ueberwachen hält es beständig in lebhafter Thätigkeit“.

Da so wenig über die Werbungen der Thiere im Naturzustande bekannt ist, habe ich zu ermitteln versucht, in wieweit unsere domesticirten Säugethiere eine Wahl bei ihrer Verbindung treffen. Hunde bieten die beste Gelegenheit zur Beobachtung dar, da sie sorgfältig beobachtet und gut verstanden werden. Viele Züchter haben ihre Meinung über diesen Punkt sehr entschieden ausgedrückt. So bemerkt Mr. Mayhew: „die Weibchen sind im Stande, durch Zeichen ihre Zuneigung kund zu geben, und zarte Aufmerksamkeiten haben eben so viel Gewalt über sie, wie man es in anderen Fällen erfahren hat, wo noch höhere Thiere in Betracht kommen. Hündinnen sind nicht immer klug in ihren Liebschaften, sondern sind geneigt, sich an Köter sehr niedrigen Grades wegzuwerfen. Werden sie mit einem Gefährten gemeinen Ansehens aufgezogen, dann entsteht häufig zwischen dem Paare eine Hingebung, welche keine Zeit später wieder beseitigen kann. Die Leidenschaft, denn das ist es wirklich, erhält eine mehr als romantische Dauerhaftigkeit“. Mr. Mayhew, welcher seine Aufmerksamkeit hauptsächlich den kleineren Rassen zuwendete, ist überzeugt, dass die Weibchen von Männchen bedeutender Grösse sehr stark angezogen werden.[46] Der bekannte Veterinärarzt Blaine führt an,[47] dass sein eigener weiblicher Mops einem Jagdhund so attachirt wurde, und ein weiblicher Jagdhund einem Köter, dass sie in beiden Fällen nicht mit einem Hunde ihrer eigenen Rasse sich paaren wollten, bis mehrere Wochen verstrichen waren. Mir sind zwei ähnliche und zuverlässige Berichte in Bezug auf einen weiblichen Wasserhund und einen Jagdhund gegeben worden, welche beide in Pinscher verliebt wurden.

Mr. Cupples theilt mir mit, dass er persönlich für die Genauigkeit des folgenden noch merkwürdigeren Falles haften kann, in welchem ein werthvoller und wunderbar intelligenter Pinscher einen Wasserhund liebte, welcher einem Nachbar gehörte, und zwar in einem solchen Grade, dass er oft von ihm weggezogen werden musste. Nachdem sie dauernd getrennt waren, wollte der Pinscher, obwohl sich [253] wiederholt Milch in seinen Zitzen zeigte, doch nie die Werbung irgend eines anderen Hundes annehmen und trug zum Bedauern seines Besitzers niemals Junge. Mr. Cupples führt auch an, dass ein weiblicher Hirschhund, der sich jetzt (1868) unter seiner Meute findet, dreimal Junge producirte, und bei jeder Gelegenheit zeigte er eine ausgesprochene Vorliebe für einen der grössten und schönsten, aber nicht den gierigsten unter vier Hirschhunden, welche, sämmtlich in der Blüthe des Lebens, mit ihm lebten. Mr. Cupples hat beobachtet, dass das Weibchen allgemein einen Hund begünstigt, mit dem es in Gesellschaft gelebt hat und welchen es kennt; seine Scheuheit und Furchtsamkeit lässt es anfangs gegen fremde Hunde eingenommen sein. Das Männchen scheint im Gegentheile eher fremden Weibchen geneigt zu sein. Es scheint selten zu sein, dass das Männchen irgend ein besonderes Weibchen zurückweist; doch theilt mir Mr. Wright von Yeldersleyhouse, ein grosser Hundezüchter, mit, dass er einige Beispiele hiervon erfahren hat; er führt den Fall eines seiner eigenen Hirschhunde an, welcher von einer besonderen weiblichen Dogge keine Notiz nehmen wollte, so dass ein anderer Hirschhund herzugeholt werden musste. Es würde überflüssig sein, wie ich es wohl könnte, noch andere Fälle anzuführen, und ich will nur hinzufügen, dass Mr. Barr, welcher viele Bluthunde gezüchtet hat, angibt, dass in beinahe jedem einzelnen Falle besondere Individuen der beiden Geschlechter eine ausgesprochene Vorliebe für einander zeigen. Nachdem endlich Mr. Cupples noch ein weiteres Jahr diesem Gegenstande seine Aufmerksamkeit zugewendet hatte, hat er an mich geschrieben: „Ich habe die volle Bestätigung meiner früheren Angaben erhalten, dass Hunde beim Paaren entschiedene Vorliebe für einander entwickeln, wobei sie häufig durch Grösse, helle Farbe und individuelle Charactere ebenso wie durch den Grad ihrer früheren Vertraulichkeit beeinflusst werden“.

In Bezug auf Pferde theilt mir Mr. Blenkiron, der grösste Züchter von Rennpferden in der ganzen Welt, mit, dass Hengste in ihrer Wahl so häufig launisch sind, dabei die eine Stute zurückweisen und ohne nachweisbare Ursache eine andere annehmen, dass beständig die verschiedensten Kunstgriffe angewendet werden müssen. So wollte z. B. der berühmte Monarque niemals mit Bewusstsein die Stute Gladiateur eines Blickes würdigen, und es musste ihm ein Streich gespielt werden. Wir können zum Theil den Grund sehen, warum werthvolle Rennpferdhengste, welche in solcher Nachfrage stehen, in ihrer Wahl so [254] eigen sind. Mr. Blenkiron hat niemals einen Fall erlebt, wo eine Stute einen Hengst zurückgewiesen hätte; doch ist dies in Mr. Wright’s Stalle vorgekommen, so dass die Stute hier betrogen werden musste. Prosper Lucas citirt[48] verschiedene Angaben von französischen Autoritäten und bemerkt: „On voit des étalons, qui s’éprennent d’une jument et négligent toutes les autres“. Nach der Autorität von Baelen führt er ähnliche Thatsachen in Bezug auf Bullen an; Mr. Reeks versichert mir, dass ein berühmter, seinem Vater gehörender Shorthorn-Bulle „sich beständig weigerte, sich mit einer schwarzen Kuh zu paaren“. Bei der Beschreibung des domesticirten Renthiers von Lappland sagt Hoffberg: „Feminae majores et fortiores mares prae ceteris admittunt, ad eos confugiunt, a junioribus agitatae, qui hos in fugam conjiciunt“.[49] Ein Geistlicher welcher viele Schweine gezüchtet hat, versichert mir, dass Sauen häufig den einen Eber zurückweisen und unmittelbar darauf einen andern annehmen.

Nach diesen Thatsachen kann kein Zweifel sein, dass bei den meisten unserer domesticirten Säugethiere starke individuelle Antipathien und Vorlieben häufig gezeigt werden, und zwar sehr viel häufiger vom Weibchen als vom Männchen. Da dies der Fall ist, so ist es unwahrscheinlich, dass die Verbindungen von Säugethieren im Naturzustande dem blossen Zufalle überlassen sein sollten. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die Weibchen von besonderen Männchen, welche gewisse Charactere in einem höheren Grade besitzen als andere Männchen, angelockt oder gereizt werden; was dies aber für Charactere sind, können wir selten oder niemals mit Sicherheit nachweisen.


  1. s. Waterton's Schilderung des Kampfes zweier Hasen im: Zoologist, Vol. I. 1843, p. 211. Ueber Maulwürfe s. Bell, History of British Quadrupeds, I. edit. p. 100. Ueber Eichhörnchen s. Audubon und Bachmann, Viviparous Quadrupeds of North America, 1846, p. 269. Ueber Biber s. A. H. Green, in Journal of the Linnean Society. Zool. Vol. X. 1869, p. 362.
  2. Ueber die Kämpfe der Robben s. Capt. C. Abbott in: Proceed. Zoolog, Soc. 1868, p. 191; auch Mr. R. Brown, ebenda 1868, p. 436; auch L. Lloyd, Game Birds of Sweden, 1867, p. 412, Ferner: Pennant. Ueber den Spermaceti-Wal s. J. H. Thompson, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1867, p. 246.
  3. s. Scrope (Art of Deerstalking, p. 17) über das Ineinanderschlingen der Geweihe bei Cervus elaphus. Richardson sagt in der Fauna Boreal. Americana, 1829, p. 252, dass auch der Wapiti, das Orignal und Renthier so verschlungen gefanden worden sind. Sir A. Smith fand am Cap der guten Hoffnung die Skelette zweier Gnus in demselben Zustande.
  4. Mr. Lamont (Seasons with the Sea-Horses, 1861, p. 143) sagt, dass ein guter Stosszahn des männlichen Walrosses 4 Pfund wiegt und grösser ist als der des Weibchens, welcher nur ungefähr 3 Pfund wiegt. Die Männchen kämpfen den Schilderungen zufolge wüthend. Ueber das gelegentliche Fehlen der Stosszähne beim Weibchen s. Mr. R. Brown, Proceed. Zoolog. Soc. 1868, p. 429.
  5. Owen, Anatomy of Vertebrates, Vol. III, p. 283.
  6. Mr. R. Brown, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 553. s. Prof. Turner, in: Journ. of Anat. and Phys. 1872, p. 76, über die Homologien dieser Stosszähne; s. auch J. W. Clarke, über die Entwickelung zweier Stosszähne bei Männchen, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1871, p. 42.
  7. Owen, über den Cachelot und Ornithorhynchus a. a. O. Vol. III, p. 638 und 641. Harting wird von Dr. Zouteveen in der holländischen Uebersetzung des vorliegendes Werkes citirt.
  8. Ueber die Structur und das Abwerfen des Geweihes beim Renthier s. Hoffberg, in: Amoenitates academicae, Vol. IV. 1788, p. 149. In Bezug auf die Americanische Varietät oder Species s. Richardson, Fauna Boreal. Americana, p. 241; auch Major W. Ross King, The Sportsman in Canada. 1866, p. 80.
  9. Isidore Geoffroy St.-Hilaire, Essais de Zoologie générale, 1841, p. 513. Ausser dem Gehörne werden auch andere männliche Charactere zuweilen in ähnlicher Weise auf das Weibchen übertragen; so sagt Mr. Boner bei der Schilderung einer alten weiblichen Gemse (Chamois Hunting in the Mountains of Bavaria, 1860, 2. edit. p. 363): „der Kopf sah nicht bloss ganz männlich aus, sondern es war dem Rücken entlang ein Kamm langer Haare vorhanden, wie er sich gewöhnlich nur bei Böcken findet“.
  10. Ueber den Cervulus s. Dr. Gray, Catalogue of the Mammalia in British Museum, Part. III, p. 220. Ueber den Cervus canadensis oder das Wapiti s. Hon. J. D. Caton. in: Ottawa Acad. of Natur. Sciences, May. 1868, p. 9.
  11. Ich bin Dr. Canfield für diese Mittheilung verbunden; s. auch seinen Aufsatz in: Proceed. Zoolog. Soc. 1866, p. 105.
  12. So gleichen beispielsweise die Hörner der weiblichen Antilope Euchore denen einer verschiedenen Species, nämlich der Antilope Dorcas, var. Corine, s. Desmarest, Mammalogie, p. 105.
  13. Gray, Catalogue Mammalia Brit. Museum, Part. III. 1852, p. 160.
  14. Richardson, Fauna Boreal. Americana, p. 278.
  15. Land and Water, 1867, p. 346.
  16. Sir Andrew Smith, Zoology of South Africa, pl. XIX. Owen, Anatomy of Vertebrates, Vol. III, p. 624.
  17. Dies ist die Folgerung, zu der Seidlitz gelangt: Die Darwinsche Theorie, 1871, p. 47.
  18. Ich bin Prof. Victor Carus sehr verbunden, dass er über diesen Punkt in Sachsen Erkundigungen eingezogen hat. H. v. Nathusius sagt (Viehzucht, 1872, p. 64), dass die Hörner von zeitig castrirten Schafen entweder vollständig verschwinden oder als blosse Rudimente bestehen bleiben; ich weiss aber nicht, ob er sich dabei auf Merinoschafe oder auf gewöhnliche Rassen bezieht.
  19. Verschiedene Versuche und andere Belege, welche beweisen, dass dies der Fall ist, habe ich in meinem „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication“, 2. Aufl. Bd. 2, S. 45—53 mitgetheilt.
  20. Sir J. Emerson Tennent, Ceylon, 1859. Vol. II, p. 274. Wegen Malacca s. Journal of Indian Archipelago, Vol. IV, p. 357.
  21. Calcutta Journal of Natural History. Vol. II. 1843, p. 526.
  22. Mr. Blyth, in: Land and Water, March, 1867, p. 134, nach der Autorität des Capt. Hutton und Anderer. Wegen der wilden Ziegen von Pembrokeshire s. The Field, 1869, p. 150.
  23. Mr. E. M. Bailly, sur l'usage des cornes etc., in: Annal. des Sciences natur. Tom. II. 1824, p. 369.
  24. Owen, über das Geweihe des Edelhirsches, in seinen British Fossil Mammals, 1846, p. 478. Richardson, über das Geweihe des Renthiers in seiner Fauna Bor. Americana, 1829, p. 240. Ich verdanke Prof. Victor Carus die Angaben über den Moritzburger Hirsch.
  25. Hon. J. D. Caton (Ottawa Acad. of Natur. Science, May, 1868, p. 9) sagt, dass der americanische Hirsch mit seinen Vorderbeinen kämpft, nachdem „die Frage der Superiorität einmal ausgemacht und in der Heerde anerkannt worden ist“. Bailly, sur l’usage des cornes, in: Annales des scienc. natur. Tom. II. 1824, p. 371.
  26. s. eine äusserst interessante Schilderung in dem Appendix zu dem oben citirten Aufsatze des Hon. J. D. Caton.
  27. The American Naturalist: Dec. 1869, p. 552.
  28. Pallas, Spicilegia zoologica. Fasc. XIII. 1779, p. 18.
  29. Lamont, Seasons with the Sea-Horses. 1861, p. 141.
  30. s. auch Corse (Philosoph. Transact. 1799, p. 212) über die Art und Weise, in welcher die Mooknah-Varietät des Elephanten mit kurzen Stosszähnen andere Elephanten angreift.
  31. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 349.
  32. s. Rüppell in: Proceed. Zoolog. Soc., Jan. 12, 1836, p. 3, über die Eckzähne bei Hirschen und Antilopen mit einer Anmerkung von Mr. Martin über einen weiblichen americanischen Hirsch, s. auch Falconer, Palaeontol. Memoirs and Notes, Vol. I, 1868, p. 576 über Eckzähne bei einem weiblichen erwachsenen Hirsch. Bei alten Männchen des Moschusthieres wachsen die Eckzähne zuweilen (s. Pallas, Spicileg. Zoolog. Fasc. XIII. 1779, p. 18) zu einer Länge von drei Zollen aus, während bei alten Weibchen ein Rudiment davon kaum einen halben Zoll über das Zahnfleisch vorspringt.
  33. Emerson Tennent, Ceylon, 1859. Vol. II, p. 275. Owen, British Fossil Mammals, 1846, p. 245.
  34. Richardson, Fauna Boreali-Americana, über das Orignal, Alces palmata, p. 236, 237; über die Ausbreitung der Hörner s. auch Land and Water, 1869, p. 143. s. über den irischen Riesenhirsch auch Owen, British Fossil Mammals, p. 447, 455.
  35. Forest Creatures, by C. Boner, 1861, p. 60.
  36. s. den sehr interessanten Aufsatz von Mr. J. A. Allen in: Bullet. Museum Compar. Zoology of Cambridge, Mass. United States. Vol. II. No. 1, p. 82. Die Gewichte wurden von einem sorgfältigen Beobachter, Capt. Bryant, ermittelt. Gill in: The American Naturalist, Jan. 1871; Prof. Shaler über die relative Grösse der Geschlechter bei Walfischen, in: American Naturalist, Jan. 1873.
  37. Animal Economy, p. 45.
  38. s. auch Richardson, Manual on the Dog, p. 59. Viele werthvolle Mittheilungen über den schottischen Hirschhund hat Mr. M’Neill, welcher zuerst die Aufmerksamkeit auf die Ungleichheit der Geschlechter lenkte, in Scrope’s Art of Deer Stalking gegeben. Ich hoffe, Mr. Cupples führt sein Vorhaben aus, eine ausführliche Schilderung und Geschichte dieser berühmten Rasse zu veröffentlichen.
  39. Brehm, Illustrirtes Thierleben. 2. Bd. S. 729-732.
  40. s. Mr. Wallace’s interessante Schilderung dieses Thieres in: The Malay Archipelago, 1869. Vol. I; p. 435.
  41. Atti della Soc. Italiana di Sc. Nat. 1873, Vol. XV. Fase. IV.
  42. The Times, Nov. 10. 1857. In Bezug auf den canadischen Luchs s. Audubon und Bachman, Quadrupeds of North America. 1846, p. 139.
  43. Dr. Murie, über Otaria in: Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 109. In dem oben citirten Aufsatze drückt Mr. J. A. Allen Zweifel aus (p. 75), ob das Haar, welches am Halse des Männchens länger ist als an dem des Weibchens, eine Mähne genannt zu werden verdient.
  44. Mr. Boner sagt in seiner ausgezeichneten Beschreibung der Lebensweise des Edelhirsches in Deutschland (Forest Creatures, 1861, p. 81): „während der Hirsch seine Rechte gegen den einen Eindringling vertheidigt, bricht ein anderer in das Heiligthum seines Harems ein und führt Trophäe nach Trophäe fort“. Genau dasselbe kommt bei Robben vor, s. Mr. J. A. Allen, a. a. O. p. 100.
  45. Mr. J. A. Allen in: Bullet. Museum Compar. Zoology of Cambridge, Mass. Vol. II. No. 1, p. 99.
  46. Dogs: their Management, by E. Mayhew, M. R. C. V. S., 2. edit. 1864, p. 187–192.
  47. citirt von Alex. Walker, on Intermarriage, 1838, p. 276. s. auch p. 244.
  48. Traité de l’Héréd. Natur. Tom. II. 1850, p. 296.
  49. Amoenitates academicae, Vol. IV. 1788, p. 160.
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