Die Achatindustrie in Oberstein

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Titel: Die Achatindustrie in Oberstein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 216–217
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Oberstein an der Nahe. Von R. Püttner.
Aus dem illustrirten Prachtwerke „Rheinfahrt. Von den Quellen des Rheins bis zum Meere. Schilderungen von Karl Stieler, H. Wachenhusen, F. W. Hackländer.“

[216]

Die Achatindustrie in Oberstein.

Mit Illustrationen von R. Püttner und F. Kallmorgen.

Das Städtchen Oberstein an der Nahe ist recht malerisch gelegen. Das beweist jedem, der es nicht gesehen, die nachfolgende Schilderung einer alten Handschrift: „Oberstein liegt auf der Nah’; auf Oberstein liegt die Kirch’, auf der Kirch’ das Schloß, auf dem Schlosse der Weiher; auf dem Weiher liegt der Wald; auf dem Walde liegt eine Heid’, wo der Schäfer seine Lämmer weidt.“

Diese malerische Lage, welche der alte Chronist so anschaulich schildert, dürfte die Stadt mit vielen anderen Schwestern im Deutschen Reiche theilen, und ihretwegen wollen wir auch keineswegs mit den Lesern der „Gartenlaube“ Oberstein aufsuchen, sondern wegen eines anderen Vorzuges, den die Stadt dem regen Fleiß ihrer Bürger verdankt.

Schleifmühle im Idarthale.

Oberstein zählt nur 5000 Einwohner; trotzdem ist es ein weltberühmter Ort, ein Handels- und Fabrikationscentrum, von dem einzelne Fäden weit über die Marken Deutschlands reichen und beinahe die ganze civilisirte Welt umspinnen. Obersteiner Waare findet man fast überall: in allen europäischen Hauptstädten ist sie vertreten, in allen fashionablen und nicht fashionablen Kur- und Badeorten wird sie verkauft, Obersteiner Händler besuchen die Messe von Nishnei-Nowgorod, nach Oberstein kommen Kaufleute aus Amerika, Oberstein exportirt nach dem Kaukasus, nach Alexandria und Kairo, ja selbst Dakar – es liegt am Senegal – ist ein wichtiger Absatzort für Oberstein. Doch wir wollen uns kurz fassen und sagen: Oberstein und die noch kleinere Schwesterstadt Idar in dem oldenburgischen Fürstenthum Birkenfeld beherrschen den Weltmarkt in einem Industrieartikel, in allen den schönen und nützlichen Gegenständen, die aus Achat hergestellt werden.

Was Achat ist, weiß jeder unserer Leser, und er hat auch gehört, was aus diesem Halbedelsteine gemacht werden kann. Vor allem wird er an die kostbaren Gemmen und Kameen früherer Zeiten denken.

Heutzutage ist diese Art geschnittener Steine nicht sehr in Mode, wenigstens nicht so beliebt wie im alten Rom und Griechenland, und nicht so gesucht wie im 18. Jahrhundert, wo eine wahre Sammelwuth für Gemmen und Kameen herrschte und einzelne Sammlungen für Hunderttausende von Mark verkauft wurden. Aber ein Geschäft kann man auch heute noch mit den geschnittenen Steinen machen, und außerdem liefert der Achat zahlreiche Schmuck- und Gebrauchsgegenstände: Ringe, Broschen, Haarnadeln, Dosen, Vasen, Messer- und Gabelgriffe, Leuchter, Aschenbecher und Feuerzeuge, Rosenkränze und Schachspiele, Reibschalen für Chemiker, Falzbeine für Buchbinder und – Amulette für die Neger Innerafrikas.

Alle diese Gegenstände werden in Oberstein aus Achat hergestellt und zwar seit alten Zeiten; denn die ältesten Urkunden über die Obersteiner Achatindustrie reichen bis in das 15. Jahrhundert zurück, und in alten Meßberichten aus Leipzig und Frankfurt werden die Obersteiner Achathändler genannt. Ein Graf von Nassau-Saarbrücken, welcher in Bologna studirte, sah dort, so erzählt man, die Bearbeitung edler Steinarten, wie sie Italien vielfach besitzt. Da erinnerte er sich der Achatkugeln, welche die Nahe mit sich führte, unbeachtet und unverwerthet. Nach Hause zurückgekehrt, beeilte er sich, das, was er in der Ferne gesehen und gelernt, seinen Unterthanen mitzutheilen, und wurde so der Begründer eines blühenden Gewerbes. Früher verarbeitete man ausschließlich den einheimischen Stein, der in der Form von sogenannten Achatmandeln in dem Fürstenthum Birkenfeld sich vorfindet; im Jahre 1834 entdeckten jedoch Idarer Auswanderer in Uruguay große Lager von feinerem Achat, und jetzt wird derselbe in großen Massen nach Deutschland eingeführt und in Oberstein und Idar zu Fabrikationszwecken verwendet. – Um dieselbe Zeit wurde auch die schon den Römern bekannte Kunst des Steinfärbens durch Brennen und Beizen wesentlich vervollkommnet und die Achatindustrie nahm einen besondern Aufschwung. Augenblicklich giebt es im Fürstenthum Birkenfeld allein etwa 90 einfache und 25 doppelte Achatwerke mit 560 Schleifsteinen, und in allen den Werken herrscht ein lebendiges Treiben, welches selbst den Laien durch seine Eigenart fesselt.

Die Wasserkräfte des Idarbaches, der Nahe, des Fischbaches, des Schwollbaches, Siesbaches und anderer Wasserläufe der Gegend sind zum Betriebe der vielen Schleifmühlen benutzt.

Unsere nebenstehende Abbildung giebt eine Anschauung von einer solchen Mühle. Danach besteht die Schleiferei in einem kleinen einstöckigen Gebäude. Ein unterschlächtiges Wasserrad setzt die Schleifsteine aus festem, feinkörnigem Sandsteine, deren 4 bis 5 in scheitelrechter Lage auf einer Achse sitzen, in drehende Bewegung. Zwischen dem Wasserrade und der Achse befinden sich zwei Kammräder, welche die Umdrehungen vervielfältigen. Die Schleifsteine haben einen Durchmesser von 155 bis 170 Centimeter und eine Dicke von 36 Centimetern als Schleiffläche.

Die Geschwindigkeit der Umdrehung des Schleifsteines ist durchschnittlich dreimal in der Sekunde, also 180 Mal in der Minute, [217] somit 10 800 Mal in der Stunde. Die Schleifbahn legt daher an dem gegen dieselbe gehaltenen Schleifobjekte in der Stunde eine Strecke von 52 bis 58 Kilometer zurück. – Auf den Schleifflächen werden Hohl- und Rundkehlen mittels harter Stahlmeißel eingeschliffen, je nachdem dies die Form des zu schleifenden Achatsteines bedingt.

An den Schleifsteinen.

Die Schleifsteine dürfen keine Sprünge haben, weil die außerordentliche Schwungkraft dieselben leicht in Stücke zersprengt und dadurch das Leben der Arbeiter gefährdet. Die mit furchtbarer Gewalt herausgeschleuderten Stücke haben schon Arbeiter getödtet und verwundet und Wände und Fachwerk der Hütte zertrümmert. Sinnverwirrendes Geräusch macht sich beim Eintritt in eine in voller Arbeit befindliche Schleifstube bemerkbar. Sausend drehen sich die viele Centner schweren Schleifsteine an der Welle.

An jedem Schleifsteine können, wie unser Bild zeigt, zwei Schleifer gleichzeitig arbeiten, was unter Benutzung eines der Brustwölbung eines Mannes entsprechend ausgekehlten und an beiden Seiten für die Arme ausgeschnittenen Schemels in liegender Stellung geschieht. Die Arbeiter drücken in dieser Lage den zu schleifenden Achat entweder mit der Hand oder mittels eines an den Stein gekitteten Stäbchens fest an die durch einen stetig fließenden Wasserstrahl abgekühlte Schleifbahn, sich mit den Füßen gegen Querleisten stemmend, welche am Fußboden befestigt sind; nur in dieser Lage kann die ganze Körperkraft wirken. Die Arbeit hat aber in Verbindung mit den in die Lungen eindringenden, mit den feinen Abgängen des Schleifsteins und der Achate vermengten abgeschleuderten Wassertheilchen vielfach ein frühes Siechthum der Schleifer im Gefolge. Auch die unvermeidlichen Erkältungen in dem feuchten Schleifraume wirken ungünstig auf den Gesundheitsstand der Arbeiter.

Maschine zum Schneiden des Steines.

Sind die Achate geschliffen, so werden sie auf der Polirmaschine geglättet; dieselbe besteht aus einem Cylinder von hartem Holze, welcher mittels Treibriemen mit der Welle der Schleifsteine in Verbindung gebracht ist. Der zu polirende Stein wird einfach gegen den sich drehenden, mit Tripel bestrichenen Cylinder gedrückt.

Das Zerkleinern der Steine, welches früher höchst unzweckmäßig durch Zerschlagen mittels eines Hammers bewirkt wurde, wodurch eine Menge Rohmaterial unverwerthet in Abgang gebracht werden mußte, wird jetzt, wie dies unsere letzte Abbildung veranschaulicht, unter Verwendung einer sich drehenden Blechscheibe ausgeführt, deren äußere Kante, die Schneidefläche, sich beim Umdrehen mit einem Gemisch von Petroleum und Diamantstaub selbst bestreicht. Der zu schneidende Stein wird in einen klammerartig eingerichteten Hebel mittels Schrauben eingespannt und gegen die Schneidefläche gehalten.

Das Bohren der geschliffenen Achate geschieht unter Benutzung einer Stahlspitze mit eingesetzten Diamanten, oder von Messingröhrchen, die an dem bohrenden Ende mit durch Oel befeuchtetem Diamantstaube bestrichen werden. Die Stahlspitze, oder das Bohrrohr, wird mit einem Querholz nach Belieben stark angedrückt und durch die Schnur eines Fiedelbogens mit der Hand in kreisende Bewegung gesetzt.

Das Herstellen von Hohlgefäßen ist eine mühsame und langwierige Arbeit und bedarf großer Geschicklichkeit und Geduld.

Das Graviren der Steine wird auf einer Drehbank mit Fußbetrieb in der Weise vorgenommen, daß der zu schneidende Stein mit kunstgeübter Hand und sicherem Blick gegen eine an einer Achse kreisende Stahlspitze oder ein ganz dünnes Stahlrädchen gedrückt wird. Der Graveur bedient sich in der Regel geeigneter Vorbilder, aus Zeichnungen, Gipsabgüssen und sonstigen Abdrücken bestehend.

An die Achatschleiferei haben sich in Oberstein noch andere verwandte Industriezweige angeschlossen. So werden z. B. verschiedene optische Instrumente aus Bergkrystall geschnitten. Vor allem aber entwickelte sich in der Umgegend eine beachtenswerthe Metallschmuckfabrikation, die sogenannte Bijouterie fausse. Halbedelsteine braucht man nicht in gediegenes Gold zu fassen; Talmigold genügt in diesem Falle vollständig. Aber man darf auf die Herstellung des unechten Schmuckes nicht mit Geringschätzung herabblicken; sie beschäftigt mehr Hände und ernährt mehr Leute als die echte Goldschmiedekunst. Zählt doch der Bezirk Oberstein-Idar allein gegen 750 „Goldschmiede“ und verbraucht jährlich Edelmetalle für etwa 500 000 Mark.