Die Börse in Paris (Meyer’s Universum)
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Es ist ein alter Spruch, daß Geld die Welt regiere; aber keine Zeit hat ihn besser begriffen, als die unsrige. Selbst die diplomatische Kunst vermag oft nichts gegen die gewichtige Naturgewalt des Geldes, die sich in den kulturreichsten Völkern täglich mehr entkettet. Schon sieht man da und dort die Geldfürsten ihre Ansprüche zur Einwirkung auf die Beschlüsse der Regierenden durchsetzen, und ist es einmal zu einem einverstandenen Willen unter ihnen gekommen, wird erst eine europäische Millionär-Versammlung den Geist der Concentration in sie bringen, leitende Prinzipien an ihre Spitze stellen und ihnen ein Haupt, einen exekutiven Willen geben, dann wird kein Monarchencongreß ihnen entgegen seyn dürfen. Was dann die Mächtigen des Geldes Förderliches unter sich beschließen, das werden die Könige sanktioniren müssen, oder sie werden inne werden, daß es eine höhere Gewalt gibt, als die ihrige.
Der Friede hat die Macht des Geldes unermeßlich gehoben. Die Wunder, die er geschaffen, die große Industrie, die stupenden Werke des öffentlichen Nutzens, jene Kommunikationsmittel, welche Städte zusammenbauen, entfernte Länder einander nahe rücken und den Völkern Vermählungsfeste bereiten, sind zunächst das Werk des Geldes. Das Geld hat einen Bund mit der Zukunft geschlossen, und im Dienste der Kultur und Gesittung zur Umwandlung unserer socialen Zustände spielt es jetzt die erste Rolle. Sich selbst dessen unbewußt, ist es gleichsam aus dem Kreise des Materiellen in die Ideenwelt hinübergegangen, es ist emporgestiegen auf den Klüften der Unterwelt, um am Lichte des Tages zu wandeln. Es hat die Stufenjahre seines Gnomenlebens durchlaufen; seiner metallnen Fesseln ledig, wird es frei und beweglicher, und in dem Maße, wie es dem bestehenden Materiellen sich entfremdet, wie es bei größerer Ausdehnung seiner Masse größern Raum bedarf, wirkt es auseinanderdrängend und zerstörend auf den Bau, den es ehedem durch seine Schwere zu befestigen trachtete, und lockert mehr und mehr die Banden des alten gesellschaftlichen Organismus.
[6] Diesen Tendenzen entgegen zu arbeiten und ihre Entwickelung zu stören, wäre unter allen Thorheiten die unverzeihlichste, und wer sich dieser unterfinge, hätte niemals auf Sieg zu rechnen. Was die Fürsten vernünftigerweise thun können, ist, den Einfluß des Geldes seine Entwickelungsphasen ruhig durchmachen zu lassen und sie durch ein kluges und rechtzeitiges Entgegenkommen zu begünstigen. Es macht sich dann die Umgestaltung still und ohne Zwist, abstreifend nur, was unhaltbar geworden, erstorben ist oder unnütz der Zeit, die uns gehört. Wenn man aber in plumper Weise stört und irrt, die Leidenschaften herausfordert und die im ruhigen Aufbau thätigen Triebe zur Gewaltthat und zum Gelüste nach Umsturz treibt, dann mag die Folgen hinnehmen, wer sie verschuldet. Es wäre der ärgste Irrthum, wenn man glauben wollte, daß, wenn man im Feldlager der Monarchen der Welt zuriefe: Rückwärts! und das Schwert über Alle erhöbe, die da Widerstand sich unterwinden, – das Geld noch auf ihrer Seite stehen würde. Es ist nicht zu verkennen, daß der Gang der Dinge seit den letzten zehn Jahren die Geldleute allmählig eher zur andern Seite hinzieht. Die Politik der Börsen dient nicht mehr, wie ehedem, vorzugsweise dem Absolutismus. Die Geldmächte sind schon seit geraumer Zeit zu einer bessern Würdigung seines Wesens gekommen, und der Cours seiner Garantien ist nicht der alte. Nachdem in so vielen Ländern, wo der Wille eines Einzigen herrscht, Liebe und Vertrauen hingeschwunden sind und das Ganze des Staatslebens einzig und allein noch auf dem Instinkte des Gehorsams ruht, nachdem man so vielfällig Regierungshandlungen sieht, die zum Kampfe gegen sie herausfordern, und wie ein treuloses, verwegenes Spiel mit den Völkern schon so lange Zeit gedauert! so kann sich auch die oberflächlichste Betrachtung nicht mehr verhehlen, wie es Noth thue, einen andern und bessern Weg einzuschlagen. Selbst die Rothschilde, der Könige treueste Bundesgenossen, rüsten auf den Abfall; sie flüchten ihre Millionen in die Schatzkammern der Industrie und befreunden ihre Interessen im Stillen mit denen der Bewegung. Diese scheuen sie nicht; nur Revolutionen wollen sie nimmer. Revolutionen tragen für die Geldinteressen stets den Schrecken bei sich, und für die Werke des Friedens sind sie von so furchtbaren Folgen, daß auch nur Verzweifelte sie jetzt herbeiwünschen mögen. Allezeit haben die Geldleute die Revolutionsmacher am meisten gehaßt. Aber sie unterscheiden jetzt, was sie früher nicht thaten, zwei Klassen von Revolutionären, und sie fürchten gerade die am meisten, welche die Völker durch ihre Regierungshandlungen zum legalen Widerstände aufstacheln und den Gräueln der Selbsthülfe den Weg anbahnen. –
Unter diesen Betrachtungen bin ich zum Börsenplatz gekommen. Der Fiaker hält, ich steige ab, und mit Entzücken betrachte ich den herrlichen Tempel, den die Pariser dem Gotte der Unterwelt, des Geldes und des [7] Reichthums hier erbaut. Wenn nicht mit goldenen Buchstaben über dem Eingang zur Börse stände: „Bourse et Tribunal du commerce,“ so könnte man diese Börse eher für einen, von Dämonen aus Griechenland hergetragenen Jupiterstempel, oder für eine französische Walhalla halten. – Nun, wenn für Frankreich die Zeit herbei gekommen ist, wo man den Menschenwerth vorzugsweise nach Millionen schätzt – und diese Zeit scheint nicht fern zu seyn! – so mag es eine Walhalla in der That werden, und die Franzosen werden dann die Rothschilde eher darin finden, als die Deutschen in der ihrigen – den Luther.
Die Börse ist ein Bauwerk aus der Kaiserzeit. Sie hat zwei Fronten und ist rings mit einer prächtigen, corinthischen Säulenhalle umgeben, zu welcher Freitreppen hinanführen. Der große Börsensaal bildet ein Tonnengewölbe, das ein eisernes Dachgesparre trägt. Er faßt über 2100 Personen. Eine geräumige Vestibule empfängt den Besucher, der durch hohe Flügelpforten, an welchen Schweizer Wache halten, in das heiligthum des Geldgottes eintritt.
Im oberen Stocke sind die Säle und Zimmer des Handelstribunals. Eine Treppe von Marmor führt hinan, geziert mit einem Geländer von vergoldeter Bronze. In den Corridors deuten Malereien von Meisterhänden auf die Geschäfte des Gerichtshofs. Brogniard und Labarre waren die Baumeister der Börse.
Die Börsengeschäfte dauern täglich von zwei bis fünf Uhr Nachmittags. – Schon gegen ein Uhr fängt der Börsenplatz an sich zu beleben. Elegante Kabriolets halten vor dem Gitter der Freitreppe; man sieht Leute, Zeitungsblätter lesend, in den Säulengängen auf und ab wandeln; es bilden sich Gruppen, Polizeicommissäre mit untergeschlagenen Armen stehen umher und beobachten die Menge. Eilige Gestalten kommen, suchen mit scharfem Blick, wechseln bald da, bald dort einige Worte und verschwinden. Jede Minute macht die Szene belebter, zahlreicher. Die Gruppen schmelzen zu größeren Massen zusammen; die anfange leise und geheimnisvoll geführte Unterhaltung wird laut, die Fama schüttelt ihr Füllhorn aus, eine lügnerische, trügerische Schwätzerin, welche dem jungen Börsentage mit geläufiger, gewissenloser Doppelzüngigkeit die Nativität zu stellen trachtet. Jetzt schlägt die Börsenuhr Zwei: das Parquet wird geöffnet und hinein strömen die Schaaren zu der privilegirten Spielbank Frankreichs. Was man Parquet nennt, ist ein mit Schranken umgebener, breiter Gang im Börsensaale, welcher auf einen gleichfalls umschrankten runden Platz stößt, in dessen Mitte eine erhöhete Estrade sich befindet: – gleichsam der Altar im Tempel. Die Mäkler der Börse füllen die umschrankten Räume, Wechsel, Staatseffekten und Aktien aller Art ausbietend oder suchend, bald zuschlagend, bald verweigernd. Auf der Estrade stehen die Ausrufer, athletische Gestalten, welche mit Stentorstimme die Kurse verkündigen, zu welchen die Geschäfte geschlossen werden; – es ist ein unaufhörliches Zahlen- und Namenrufen, welches [8] das Ohr betäubt und den Sinn verwirrt. Den Schranken zunächst haben die Bankiers mit ihren Kommis Posto gefaßt, oder die großen Spekulanten, die Koryphäen der hausse und baisse, umkreist von geschäftigen Dienern, welche, ihres Winks gewärtig, bald da, bald dorthin schlüpfen, um Fonds und Aktien auszubieten, oder zu kaufen, je nachdem es die Operationen ihrer Prinzipale erheischen. Gallonnirte Lakayen überbringen den großen Männern des Börsenspiels versiegelte Depeschen; sie werden mit gleichgültiger Miene entgegengenommen, gelesen und eingesteckt, oder weiter mitgetheilt. Wird aber ein kleines Zettelchen mit einer Chiffre dargereicht – dann verfolgen es die Blicke der Menge mit Habichtsaugen, in hundert Gesichtern malt sich der Neid gegen den Glücklichen, der sich eine Taubenpost halten kann, um die Neuigkeiten früher als alle andere zu empfangen, und lange ruhen die Blicke auf den Zügen des Empfängers des räthselhaften Zettelchens, um den Gang seiner nächsten Operationen darin zu lesen und daraus Nutzen zu ziehen. Während dieses Treibens geht die eigentliche Börsenzeit schnell vorüber; schon gegen drei Uhr wird die Stockbörse geschlossen. Aber das Spiel hört darum nicht auf. An der linken Seite der Säulenhalle sammeln sich zahlreiche Gruppen und die Geschäfte beginnen von Neuem. Erst gegen fünf Uhr verlassen die Habituels des grünen Tisches in Masse den Kampfplatz, und gerade diese Zeit ist’s, welche der Beobachtung den reichsten Stoff reicht. So lange noch die Karten liegen, so lange ist auch der unglücklichste Spieler nicht ohne Hoffnung; wenn aber die allgemeine Abspannung die Geschäftslust getödtet hat, wenn der letzte Verkäufer kein Gebot mehr findet, dann äußert sich das Resultat des Tags auf den meisten Gesichtern unverholen und sehr oft auf recht malerische Weise. Die Gewinnsucht, das gemeinschaftliche Motiv, wirft nun die beschwerliche Larve, als nutzlos, ab. Jeder überschlägt seine Tagesrechnung. Es lagert sich ein widerliches, unbefriedigtes Grinsen auf dem Antlitz des Gewinnenden; Angst, Furcht, Gewissensbisse, oder schlecht verhüllter Aerger und Neid staffiren die Gesichter der Andern. Vollendete Spielerkälte sieht man bei den Wenigsten. Die heitersten Züge haben noch die Mäkler. Sie, die Priester am Altare der niedrigsten Leidenschaft, sind die Immergewinnenden, sie sind die glücklichsten Leute der Börse.
Während der letzten Börsestunde kommen die Abendblätter, und ihre Neuigkeiten geben dann und wann den Geschäften frisches Leben. Gerüchte machen übrigens zu jeder Börsenstunde die Runde; oft ohne sie an den Kursen zu spüren. Dahingegen merkt man wichtige Neuigkeiten fast immer an den Preisen der Fonds, ehe sie das Ohr vernimmt. In Paris interessirt sich bei den Staatspapierkursen Jeder, der durch seine amtliche Stellung, oder auf Schleichwegen, zu den Staatsgeheimnissen gelangt. Der König und die Prinzen, die Minister, die Kammerdiener und Maitressen – sie Alle spielen an der Börse, oder lassen für ihre Rechnung durch Andere spielen. Viele über Nacht aufgeschossene glänzende Vermögen datiren von der halbstündigen Verheimlichung einer Depesche, oder der raschen Ausbeutung einer telegraphischen Nachricht.
[9] Bei weitem der größte Theil der Pariser Börsengeschäfte in Fonds und Aktien besteht aus Lieferungsgeschäften, wobei es nicht auf wirklichen Besitz der Papiere, sondern blos auf die Preisdifferenz am Ablieferungstermine abgesehen ist. An einem Borfentage werden oft keine 10,000 Franken Renten wirklich cedirt, während die geschlossenen Lieferungsgeschäfte sich auf Millionen belaufen. Die eigentlichen Renteninhaber sind dem Börsenspiel in der Regel fremd, und die gewöhnlichen Fluktuationen in den Kursen werden von ihnen gar nicht beachtet. Wenn aber Ereignisse eintreten, welche die Politik des Landes bedrohlich berühren, dann bringt sie die Furcht schnell in Bewegung. Sie tragen ihre Renten zur Börse – „Les fonds arrivent“ ist der Kunstausdruck, – es gibt Fallen und Sturm und die Baissiers feiern einen leichten Sieg. Ueberhaupt ist die Pariser Börse für äußere Eindrücke sehr empfänglich, leicht erregbar und viel schwankender, als die Börsen von Amsterdam und London.
Die Damen der Hauptstadt sind dem Spiel auf der Börse nicht fremd. Früher sah man sie sogar an den Schranken des Parquets im dichten Gedränge der Männer; indessen ist diese Unschicklichkeit jetzt beseitigt. Die Damen sind an das hintere Gitter der Börse verwiesen, wo ihnen eine Schaar von Maklern dient, um ihre Aufträge zu Kauf und Verkauf in den Börsensaal zu bringen und sie über die Wandlungen der Kurse zu unterrichten. Den weiblichen Spielerhaufen zu beobachten, ist pikant genug. Die meisten gehören den vornehmen Kreisen an. Man sieht jugendliche, schöne Gestalten, mit allen äußern Zeichen des Rangs und des Reichthums, den Affekten der niedrigsten Leidenschaft hingegeben, und nach unglücklichen Operationen endigte schon Manche in Verzweiflung.
Es ist allgemein bekannt, daß sowohl Glieder der königlichen Familie, als auch Minister, im Fondspiel oftmals ungeheure Summen gewonnen haben. Als endlich die öffentliche Meinung die Einstellung des argen Mißbrauchs einer ausschließlichen Benutzung der telegraphischen Depeschen von Seiten der Eingeweiheten durchsetzte, befahl das Gouvernement, jene Nachrichten sogleich nach Empfang derselben an der Börse anzuschlagen. Solches geschieht nun auch der Form nach; demungeachtet sind die wichtigsten immer schon abgenutzt, ehe sie dem Publikum bekannt werden.
Ich habe viele Börsen gesehen und kenne die Börsenwelt und ihr Treiben aus langer, eigner Erfahrung. Ich habe gefunden, daß in keinen Menschenkreisen weniger Zufriedenheit ist und die Ruhe seltner wohnt, als dort. Auch die glücklichsten Börsenspieler, Leute, die ohne Mühe schnell zu kolossalem Vermögen gelangt waren, fand ich nie befriedigt; denn das Gelüste ihrer Habsucht war stets größer, als ihr Gewinn. Das Geld macht die Menschen nicht glücklich. Wer diese Wahrheit in Frage stellen könnte, der möge nur einige Male eine Fondsbörse besuchen, und sein Zweifel wird verstummen.