Die Chronik des Klausners

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Autor: Ernst Lenbach
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Titel: Die Chronik des Klausners
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 845–854
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[845] Nachdruck verboten.0
Alle Rechte vorbehalten.

Die Chronik des Klausners.
Erzählung von Ernst Lenbach.0 Mit Illustrationen von B. Hohlfeld.

Als das Laub an den Kastanienbäumen ganz vergilbt war und in den Weinbergen die blauen Burgundertrauben reiften, packte Franz Rainer seine Sachen, nahm den Bauer mit seinem Raben sorgfältig in den Arm unb löste sich eine Fahrkarte dritter Klasse nach der großen Stadt am Rhein, um dort Einsiedler zu werden.

Noch selbigen Tages hatte er nach einigem Suchen eine Klause gefunden, die vollkommen seinen Wünschen entsprach: in einer engen, belebten Gasse, zwei Treppen hoch nach der Straße, bei einer dicken Frau, die einen Handel mit Preßhefe trieb und nebenbei auf Pfänder lieh. Das Haus war so schmal, daß es in jedem Stockwerk nur zwei Zimmer faßte. Auf dem zweiten Stock wohnte also außer Franz nur noch eine Partei, und zwar eine Lehrerin, die älteste Mietherin im Hause, wie die Wirthin versicherte.

Nachdem er es sich einigermaßen heimisch gemacht hatte, verwendete er den ersten Abend darauf, sich seine Pläne noch einmal genau klar zu machen, wobei er als philosophisch angelegter Mensch und als Deutscher mit einem Rückblick auf die Vergangenheit anfing.

Vier Jahre hatte er auf der Hochschule verbracht, in den ersten Semestern rechtschaffen Natur und stärkere Sachen genossen, in den folgenden fleißig den philologischen Studien obgelegen. Er hatte sich den Doktorhut erworben durch einen gelehrten Nachweis in lateinischer Sprache, daß der verloren gegangene Kommeiltar eines byzantinischen, schwer auszusprechenden Philosophen zu einer gleichfalls verloren gegangenen Schrift des Aristoteles gar nicht von jenem Philosophen herrühren könne. Auch ein Staatsexamen hatte er abgelegt, aber nicht verwerthet. Dann hatte er in wohlverdienter Erholungszeit allerlei Bücher gelesen, auch solche, auf denen noch nicht der Staub der Jahrhunderte lastete, und schließlich hatte er selber Bücher verfaßt: mehrere fünfaktige Schauspielem, einen starken Band Gedichte und drei oder vier Novellen, die mit einer oder mehreren Verlobungen oder aber mit einem Doppelmord schlossen – alles sauber ins Reine geschrieben und meist noch nicht gedruckt. In dem Kreise seiner gleichstrebenden Freunde genoß er ein gewisses Ansehen als Dichter wie als trinkbarer Mensch. Nach zwei Jahren kam aber einer unter sie, der nicht mehr an Goethe und Schiller glaubte und schreckliche Revolutionsgedanken hegte, besonders nachts von elf Uhr an im Café. Der verlangte, der wahre Dichter müsse die Wahrheit und nur die Wahrheit schildern. Zu diesem Zwecke müsse er sich unter die Menschen begeben, sie beobachten und sozusagen geistig auskultieren, um dann nach gewonnener Diagnose einsam und groß in seine Klause zurückzukehren und dort die Krankheitsgeschichte der Menschheit zu schreiben. Er trug diese Lehren, unter häufigen Hinweisen darauf, daß wir im neunzehnten Jahrhundert lebten, mit großer Ausdauer und so lange vor, bis Franz Rainer schließlich ganz von ihnen durchdrungen war. Zur selben Zeit entdeckte Franz, daß ihm von seinem väterlichen Vermögen gerade noch sechstausend Mark übrig waren. Diese Summe theilte er in drei Theile, wies sich zweitausend Mark als Jahresrente an und beschloß, sich getreu den Lehren des Meisters einzuspinnen, um dann nach vollendetem Studium als glänzender Schmetterling den neuen Dichterlenz zu eröffnen. Drei Jahre dünkte ihm dafür gerade ausreichend. Vorläufig veranschlagte er den Ertrag dieser drei Jahre auf etwa einundzwanzig Novellen – dreimal sieben, denn er hielt etwas auf Zahlenmystik – unter dem Gesamttitel „Die Chronik des Klausners.“ Ein dickes, in schwarzes Leder gebundenes Buch war bestimmt, die Reinschrift dieser Novellen aufzunehmen, und zum Abschluß seines Kriegsplanes setzte Franz Rainer noch am ersten Abend seines neuen Lebens die bewußte Ueberschrift groß und deutlich auf die Titelseite des Buches. Dann bewirthete er seinen Raben, der wie alle Raben Jakob hieß, zur Feier des Tages mit einem Stück Käse, das vom Abendbrot übrig geblieben war, und legte sich „quasi re bene gesta“, als ob nun alles gut wäre, zu Bett. – –

In den ersten Wochen fand Franz Rainer das neue Leben ungemein behaglich. Von seinen beiden Fenstern aus genoß er das bunte Straßenleben aus der Vogelschau. Gewissenhaft wie ein Strandwächter beobachtete er, die Pfeife in der Hand, das wimmelnde Geschäftsgewühl der Leute, den verworrenen Singsang der Straßenverkäufer, die bewegten Scenen, welche sich um ein gestürztes Droschkenpferd oder um einen hoffnungslos betrunkenen Bummler zu bilden pflegen. Alles dieses photographierte er in langen Notizen auf stets bereit liegende Blätter. Dann ging er nachmittags selber unter das Gewühl, suchte und fand besonders ausdrucksvolle Köpfe und Gestalten, welche ihm zu Helden seiner Novellen Modell stehen sollten. Seine Mittagsmahlzeiten nahm er mit Vorliebe in alten verräucherten Weinwirthschaften, wo es vom ältesten Stammgast bis zur Küchenmagd nur Charakterköpfe mit rothen Nasen gab. Auch seine Wirthin und deren Kunden studierte er, mußte aber zu diesem Zwecke in den Laden hinabsteigen, da die geringe Breite der Haustreppen dem Durchmesser seiner Wirthin schon lange nicht mehr gewachsen, auf Besuche von dieser Seite also nicht zu rechnen war.

Bei den ersten Versuchen, das Gewonnene dichterisch auszugestalten, fingen aber ernste Schwierigkeiten an. Da hatte zum Beispiel seine Wirthin ein Milchmädchen, ein ganz herrliches Exemplar von dunkler Poesie in Weiberkleidern, mit schwarzen schweren Haaren, schwarzen tiefgründigen Augen, einer klassisch geschnittenen Nase und vollen Rubinlippen, gewachsen wie die Königin Bathseba. Man brauchte diese Jungfrau nur anzusehen, so stand [846] schon die Novelle, in der sie als Heldin leuchten mußte, im Geiste fertig – sie war der reine Zigeunerroman auf zwei Beinen. Sobald aber die Schöne den Mund weit öffnete und in einer unerträglich breiten ländlichen Mundart, die unwillkürlich an weichen Quarkkäse erinnerte, Betrachtungen über die Marktpreise und über das Kalben der Kühe zum Besten gab oder Scherze von der letzten Kirmeß her erzählte, so war der Eindruck bedeutend anders. Franz Rainer versuchte es gleichwohl, um der ewigen Wahrheit willen, die schöne Trina mit allen guten und bösen Seiten „dichterisch festzulegen“, aber er mußte es sich seufzend gestehen, daß für die Muse manche Dinge selbst dann nicht zu einem Wesen vereinbar sind, wenn dies Wesen fünfeinhalb Fuß hoch leibhaftig durch die Welt geht. Und so hatte ihm sein eifriges Studium nach drei Wochen noch weiter nichts eingebracht als einen kleinen sehr ruppigen und sehr possierlichen Hund.

Das kam so. Eines regnerischen Abends wandelte Franz Rainer an einer abgelegenen Stelle des Hafens einher, weil er einmal ganz genau den Lokalton eines „Herbstabends im Hafenviertel bei Regen und Nebel“ festhalten wollte. Unheimlich war die Gegend entschieden, es roch gar nicht schön, die spärlichen Laternen flackerten trübe, und dann und wann verrieth ein wüster Lärm aus einer Schifferkneipe, daß die holde Eintracht hier nicht wohne. Mit einem Male hörte Franz ein leises Winseln, er ging dem Laute nach und entdeckte einen kleinen Köter, der sich mit sklavischer Scheu vor ihm herumdrückte. Nachdem er das arme Vieh an sich gelockt hatte, bemerkte er, daß es von Wasser troff und einen schmierigen Strick mit einem Stein am Halse trug; offenbar hatte der bisherige Besitzer sich des Hundes durch grausamen Mord entledigen wollen. Der gute Franz nahm den Hund mit nach Haus, vermittelte als höhere Instanz ein friedliches Einvernehmen zwischen dem Raben und dem Köter und hatte nach einigen Tagen das Vergnügen, in dem wieder zu Kräften Gekommenen ein eben so treues wie häßliches Thier kennenzulernen. Da der bisherige Vorname des Köters dunkel war wie seine Vorgeschichte, so behielt er nur seinen Familiennamen – Pintsch. Jakob und Pintsch vertrugen sich alsbald ausgezeichnet. Mit großem Vergnügen beobachtete Franz an den langen Abenden, bequem vor dem Ofenfeuer sitzend und rauchend, ihre Spiele. Natürlich zeichnete er auch diese auf. Hier ergab sich nirgends ein Widerspruch; je wahrheitsgemäßer die Schilderung wurde, um so anmuthiger wurde sie auch. Als Franz sie der Redaktion einer großen Zeitung unterbreitete – für die „Chronik des Klausners“ war der Gegenstand doch zu gering! fand sie sogleich freundliche Annahme, und die ganze Leserwelt erfreute sich an der Plauderei „Jakob und Pintsch“. –

Von seiner Nachbarin, der ältesten Mietherin des Hauses, wußte Franz Rainer weiter nichts, als daß sie Klara Meinhold hieß und zuweilen Klavier spielte und dazu sang, meist einfache schöne Lieder, mit einer ziemlich kleinen Altstimme. Der Gesang störte ihn nicht, und der Name, den er auf der zierlichen Visitenkarte an der Thür des Fräuleins gelesen, hatte auch nichts Aufregendes für ihn. Eher schon vermochten einige junge Mädchen seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, welche ihm hin und wieder auf der schmalen Treppe begegneten, offenbar Schülerinnen des Fräuleins. Eine darunter schien besonders häufig Bestellungen an ihre Lehrerin zu haben, ein schlankes, voll erwachsenes Mädchen mit braunen Haarflechten, braunen großen Augen und hübschen Zügen. Wenn sie Franz Rainers höflichen Gruß mit freundlichem Nicken beantwortete, so ertappte sich der junge Einsiedler wohl auf dem stillen Wunsche, daß doch der Besuch eines so artigen Wesens lieber ihm als der alten Privatlehrerin gelten möchte, und schließlich träumte er sogar von dem Braunköpfchen, besondere am Nachmittag, wenn er sein Dichterschläfchen hielt.

Aus einem solchen angenehmen Traume schreckten ihn am Nachmittag des Allerseelenfestes die vereinten Bemühungen seiner Weckuhr und des Raben Jakob auf. Sobald Jakob die Weckuhr rasseln hörte, pflegte er flügelschlagend neben dem Kopfe seines Herrn Posto zu fassen und mit heiserer Stimme zu schreien: „Frranss muß aafstehn!“ Das war eine von seinen höchsten Künsten, mit der er besonders Pintsch dem Hunde gewaltig imponierte.

Ziemlich verdrossen und müde machte sich Franz Rainer auf den Weg, nachdem er seinen zwei Genossen die üblichen Abschiedsermahnungen gehalten hatte. Pintsch hatte sich schon daran gewöhnt, zu Hause bleiben zu müssen. In den ersten Tagen war es ihm nach Art der Hunde sehr schwer gefallen, wenn der Herr ohne ihn ausging; seitdem aber trug er es mit Gelassenheit, ja er schien sich ordentlich zu freuen, wenn er mit Jakob allein sein durfte, eine Thatsache, die in dem Aufsatze des Dichters umfassende Würdigung gefunden und eine Reihe zustimmender Beobachtungen von seiten anderer einsamer Thierfreunde hervorgerufen hatte. Die Zeitung hatte sie in einem Nachtrag unter der Rubrik „Beiträge zur Kenntniß der Thierseele“ zusammengefaßt.

Den heutigen Nachmittag hatte Franz zu einer realistischen Anschauungsreise über den Friedhof bestimmt. Es war ein richtiges Allerseelen-Wetter, der Himmel war grau und schwerlastend, die Luft weich und feucht, und als Franz die große Stadt hinter sich hatte, rauschte ein warmer stoßweise einsetzender Südwest in dem dürren Laube der Promenaden. Auf der breiten Landstraße, die zum Friedhof führte, wälzte sich langsam eine dichtgedrängte Menschenmasse dahin, weniger gehend als geschoben und schiebend. Auf beiden Seiten längs der Straße zogen sich Reihen von trüb erleuchteten Verkaufsständen hin. Da gab es Kränze zu kaufen, solche aus wirklichen Blumen und solche aus Blech, letztere meist dicken gelben Immortellenkränzen nachgebildet, so daß sie aussahen wie die Rettungsringe auf Flußdampfern; ferner Kerzenbündel, Lampions und Stearintöpfchen zur Beleuchtung der Gräber, Rosenkränze, dann auch Pfefferkuchen und Printengebäck für die mitgenommenen Kinder. Das eilige Rufen der Verkäufer, die bedachtsamen Fragen ihrer Kunden, die Gespräche der dahinwallenden Gruppen und vom Rücken her der ferne Lärm der Großstadt mischten sich zu einem dumpfen Gebrause. Und vor ihnen in der dicken nebligen Luft lag es wie eine breite niedrige Wolke in warmer rauchgelber Farbe. Das war der aufsteigende Dunst der Tausende von Kerzen und Lämpchen, die schon auf dem Friedhofe brannten; er hing wie ein Herbstschwaden um das dürre Geäst der Trauerweiden.

Auf dem Wege sah und hörte Franz Rainer manches, was wohl geeignet war, ihn in seiner nüchternen Weltanschauung zu bestärken. Auch der Anblick der langen Reihe von Wirthshäusern, die sich gegenüber den Friedhofsthoren hinzogen und gedrängt voll waren von zechenden Leidtragenden, schien einen ausgezeichneten Hintergrund für einen „realistischen Roman“ abzugeben, nicht minder innerhalb der Friedhofsmauern selbst die pomphafte Beleuchtung einzelner Familiengräber von vornehmen Leuten und die davor sich drängende Menge mit ihrem Gaffen und Kritisieren: „Voriges Jahr hatten sie in der Mitte ein Kreuz und einen Stern in Gold und Blau, das machte sich viel imposanter!“

Es gab aber noch anderes zu sehen und zu hören. Ein großes Kriegerdenkmal war ganz mit bunten Lämpchen umstellt und mit Kränzen umgeben. Graubärtige Männer, gebeugte Matronen umstanden es, mit ihnen Jünglinge und Jungfrauen, die in der Wiege gelegen, als ihre Väter draußen Im Felde standen, und dann auch schon Kinder des jüngeren Geschlechtes. Sie zogen langsam und leise vor den Tafeln vorbei, die in goldenen Buchstaben die Namen der Gefallenen trugen, und lasen die Namen. Eine junge schöne Frau hob ihren Knaben auf den Arm und ließ ihn zwei Worte buchstabieren: „Das war Dein Großvater!“ sagte sie, und der Knabe rief: „Nach dem bin ich genannt!“. Und die Mutter küßte ihn und sagte; „Werde wie er!“ Dann ertönte in gedämpften Klängen Choralmusik um das Kriegergrab her, ein alter Herr in langem schwarzen Gewand trat vor und hielt eine kurze Ansprache, wie er einst zu den Kriegern selbst als Feldgeistlicher gesprochen. Da hörte man [847] ringsum viel Schluchzen und Weinen, aber in den hohen Cypressen um das Denkmal her rauschte der Südwind mächtig und voll, und die Lichter schienen heller aufzustrahlen.

Abseits in einer schmalen Gräberstraße, wo zumeist nur ärmliche Hügel lagen, mit wenig oder gar keinem Schmuck, stand eine rüstige Bürgersfrau mit ihren Kindern vor dem Grabe des Vaters. Sie hatten das schmale Viereck mit brennenden Kerzen besteckt und beteten nun halblaut im Chore. Franz Rainer, der in anderen Ländern und anderem Bekenntniß erzogen war, fühlte sich fremd angemuthet von diesem Beten; es kam ihm ein wenig mechanisch vor. Aber nach einigen Minuten zog die Frau ein neues Päckchen Kerzen aus dem Mantel und fing mit ihren Kindern an, die ungepflegten Gräber zu schmücken, die rechts und links lagen. „Die armem Leute, die sollen änch ihr Licht und ihr Vaterunser haben, es denkt wohl keiner in der Welt mehr an die,“ sagte sie.

Vor einer anderen breiten und schön gepflegten Grabstätte standen zwei Männer, der ältere eine rüstige Gestalt in Reisekleidern, der jüngere mit blassem Gesicht und in gebeugter Haltung. Der erste brach sich von einem Lebensbaum ein Zweiglein ab und legte es, ins Taschenbuch. „Das nehm’ ich meiner Frau mit,“ sagte er. Dann umarmte er den Begleiter und fuhr fort: „Wir wollen auch aus der Ferne immer treu zusammenhalten, Bruder, wir sind ja die letzten vom Geschlecht!“

„Gewiß,“ antwortete der Jüngere mit heiserer Stimme. „Und wenn ich erst diesen lästigen Husten los bin, im Frühling, dann besuch’ ich Euch. Du kannst es Deiner Frau sagen.“

„Das versteht sich,“ erwiderte der ältere Bruder und wandte sich ab, „so ein Katarrh, was macht denn das!“ Indessen fing der Jüngere gleichsam verstohlen an zu husten, und als er das Tuch vom Munde zurückzog, sah der lauschende Franz, wie es roth auf dem Tuche schimmerte. Der Bruder machte sich an dem Grabe zu schaffen und that, als sehe er nichts.

Da überkam es den jungen Schriftsteller wie eine heiße Scham und ein Widerwillen gegen seine ganze Notizenjagd, und eilig schritt er dem Ausgang des Friedhofs zu.

Draußen war es schon ganz dunkel geworden und der Wind wehte kühler und schärfer. Franz Rainer mied die Landstraße. Auf ziemlich verlassenen Seitenwegen schritt er der Stadt zu, um auch hier durch minder belebte Straßen seine Wohnung aufzusuchen.

Ihm war wunderlich zu Muthe, wie er so einsam dahinging durch den grauen feuchten Novemberabend. Er versuchte, geistig neben sich selbst zu treten und seine Stimmung zu beobachten, eine seltsam aufgeregte Stimmung, ein inneres Beben und Frösteln, als ob lange zurückgedämmte Empfindungen aus der Seele heraustreten wollten, um von draußen zu den Sinnen zu sprechen mit der Stimme der Elemente, mit dem Pfeifen des Windes und dem leisen Aechzen der aneinander vorbeistreifenden entlaubten Aeste.

Es lief etwas neben ihm her, knisternd und raschelnd, ein dürres Blatt, zusammengeschrumpft und braunroth gefärbt. Der Wind mochte es hinter ihm hergesandt haben, mit in die Stadt hinein. Bald hüpfte es auf dem Bürgersteig ein klein wenig vor den Fuß des Wandernden, bald wieder zurück, immer treu ihm zur Seite, immer raschelnd und plaudernd, und Franz Rainer glaubte seine eigene Seele zu hören. „Einsam, einsam und unstet wie ein dürres Blatt, das von seinem Baume verweht ist; ohne etwas Liebes, und wäre es auch nur ein liebes Grab. Ein dürres Blatt, das raschelt und weht ... bis es vergeht ...“

„Um Gottes willen,“ sagte er endlich vor sich hin und freute sich, seine eigene Stimme zu hören, „Symbole sehe ich, und wenn ich mich nicht zusammennehme, so sehe ich auch noch Gespenster! Was hast Du mir hier nachzulaufen, dummes Ding?“

Die Frage war sehr begründet, denn der sonderbare Begleiter lief jetzt sogar gegen den Wind mit. Mit einem entschlossenen Ruck machte Franz unter einer flackernden Gaslaterne Halt und bückte sich nach dem Blatte, das gleichfalls mit einem letzten Rascheln stillhielt. Es erwies sich, daß es nicht eigentlich ein dürres Laub war, sondern eine verschrumpfte Rose, offenbar aus einem Grabkranz. Sie stak an einem langen dünnen Drahte, dergleichen die Kranzwinder gebrauchen, und dieser Draht hatte sich in Franz Rainers langem Ueberzieher festgehakt. Franz nahm die Rose an sich und entfernte den Draht. Dabei entdeckte er, daß der Ueberzieher außerdem noch einen großen dreieckigen Riß aufwies, und diese ärgerliche Entdeckung, vereint mit dem erlösenden Gebimmel eines herannahenden Pferdebahnwagens, befreite ihn einstweilen von der Gespensterstimmung. Er machte noch einige Einkäufe zum Abendbrot und ging nach Hause.

Die Wirthin war ausgegangen, im Hause alles dunkel und öde; nur von oben erscholl vergnügtes, ungeduldiges Gebell des Pintschers. Diesmal schien dem Vierfüßler die Klausur doch furchtbar hart geworden zu sein. Mit einem wahren Freudentanze empfing er den heimgekehrten Herrn, während der Rabe, würdevoll auf einem Bücherschrank sitzend, mehrmals versicherte: „Jakob warr brrav, brraverr Jakob!“

Nachdem Franz das Feuer in dem eisernen Zimmerofen angeschürt, mit einem Fidibus die Lampe und den Spiritusdocht unter der Theemaschine angezündet hatte, schickte er sich an, den Riß im Ueherzieher zu flicken; es schien ihm ein ziemlich schwerer Fall, der seine ganze Schneiderkunst herausforderte.

Indessen wurde der Hund unruhig. Draußen hörte man die Treppe leise krachen, ein Rascheln und Tasten auf dem schmalen Gang, ein Hin- und Hergehen, dann pochte es leise an die Thür. „Herein!“ rief Franz aufblickend, und da stand in dem dunklen Thürrahmen jenes schlanke braunäugige und braunlockige Mädchen. Franz starrte sie an, als ob jetzt wirklich ein Gespenst gekommen wäre.

„Verzeihen Sie, Herr Nachbar,“ sagte die anmuthige Erscheinung mit überaus lieblicher Stimme, „möchten Sie mir vielleicht ein Zündholz leihen? Frau Schütz ist nicht zu Hause, und ich kam eben von der Reise.“ Dabei hatte sie Mühe, den Hund abzuwehren, der mit stürmischer Freude an ihr emporsprang.

„Ob Du herkommst, Pintsch!“ wetterte Franz. „Fürchten Sie sich nicht, er ist nicht bösartig.“

„O, mir thut Pintsch nichts,“ versicherte die Braune, „wir verstehen uns schon, nicht wahr, Pintsch?“

„Ja, aber sind Sie denn – ?“ stotterte Franz Rainer.

„Klara Meinhold ist mein Name,“ erwiderte sie lächelnd.

„Die älteste Mietherin im Hause!!“ murmelte Franz ganz geistesabwesend.

„Ich glaube, ja,“ antwortete das Fräulein etwas verwundert. „Ich wohne hier schon seit fünf Jahren. Seit ich in der Stadt bin.“

„Ja so,“ machte Franz. „Leider, Fräulein – Meinhold, sind auch mir die Zündhölzer ausgegangen. Wenn ich Ihnen vielleicht mit der Lampe behilflich sein darf?“

Sie dankte unbefangen und schritt mit ihm nach ihrem Zimmer. Pintsch folgte wedelnd.

In dem Zimmer war es kalt, das Fenster stand offen. Eine [850] große weiße Katze war ihnen entgegengesprungen und hatte Pintsch sehr freundlich begrüßt.

„Die beiden vertragen sich schon,“ beruhigte Fräulein Klara den Nachbar. „Wenn Pintsch hier ist –“

„Hier?“

„Ach ja, Herr Doktor,“ erklärte sie, „hoffentlich nehmen Sie mir’s nicht übel. Der arme Pintsch heulte immer so, wenn Sie abends nicht da waren, und da habe ich ihn meist zu mir geholt, bis Sie wieder kamen.“

„Also deshalb!“

„Ja,“ meinte sie unter leisem Lachen, „der Jakob war’s wohl nicht, wie Sie in Ihrer reizenden Erzählung gesagt haben.“

Die hatte sie also auch gelesen!

Ihre Lampe war unterdessen angezündet. In zwiefacher Helle lag das Zimmer vor Franz Rainers Augen, einfach aber anheimelnd eingerichtet, wie es nur Frauenhand und Frauensinn versteht.

„Ach Gott,“ klagte das Fräulein „nun ist mein Ofen nicht eingelegt, und Frau Schütz hat den Kellerschlüssel mit und ist ausgegangen, und das alte Paar unten im ersten Stock ist auch nicht daheim!“

Franz segnete die ausgeflogenen Herrschaften von ganzem Herzen. „Hier können Sie aber nicht bleiben,“ sagte er mit Würde; „bedenken Sie doch Ihre Gesundheit, und dann die arme Katze! Wenn ich mir vielleicht gestatten dürfte, Ihnen mein bescheidenes Zimmer –“

Sie erröthete ein wenig und sah ihn prüfend an, dann nickte sie und nahm dankend an.

„Dann müssen Sie mir aber auch erlauben, Fräulein, daß ich Ihnen eine Tasse Thee bereite,“ sagte Franz, während die viecköpfige Karawane über den Gang schritt, und war überaus glücklich, als sie auch das annahm, ohne irgend einen Zweifel an seiner Kochkunst zu äußern.

„Nun will ich mir aber mein Gastrecht verdienen,“ meinte Klara, als sie auf dem Sofa Platz genommen hatte. „Ich sah Sie vorhin mit einer Arbeit beschäftigt, die ich Ihnen wohl abnehmen darf, Herr Doktor!“

Franz Rainer erhielt nun Unterricht im Rockflicken. Die Lehrerin verstand es jedenfalls aus dem Grunde. Ob aber der Schüler etwas behielt, ist zweifelhaft, denn er guckte nur immer auf die flinken weißen Hände und dann verstohlen auf den braunen Scheitel und den schönen Nacken und gar nicht auf das Lehrobjekt. Darüber ließ er die Theemaschine überkochen, worauf ihm auch dieses Ressort entzogen wurde.

Aus der angebotenen Tasse Thee wurde übrigens unter vielem Lachen und einigem Erröthen ein regelrechtes Picknick, denn Klara ließ es sich nicht nehmen, auch aus ihren Vorräthen beizusteuern. Nach dem Abendbrot mußte Franz sich seine Cigarre anzündest, und während Pintsch, Jakob und Monnes – so hieß der weiße Kater – von zarten Händen einige Leckerbissen erhielten, plauderten die beiden Nachbarsleute miteinander.

Klara Meinhold erzählte aus ihrem bescheidenen Leben. Sie war geprüfte Lehrerin, gab Privatstunden und war auch an einem Pensionat thätig, dessen Leiterin eine ziemlich strenge Dame zu sein schien: nach Franz Rainers Empfinden mußte der ein schrecklicher Drache sein, der gegen seine schöne Nachbarin streng sein konnte. Die Eltern Klaras waren tot, der Vater war früher ein kleiner Kaufmann in einer Nachbarstadt gewesen. Dorthin hatte Karra heute wie alljährlich ihre Allerseelen-Reise gemacht.

Franz erwähnte, daß auch er heute auf dem Friedhofe gewesen sei. „Gewiß an theueren Gräbern,“ meinte sie schüchtern.

„Ach nein,“ antwortete Franz traurig. „Meine Mutter habe ich ganz früh verloren, sie liegt weit, weit von hier, in New-York, und mein Vater hat ein gar großes Grab gefunden – er ging mit seinem Schiffe vor zwölf Jahren unter, in einem Taifun, an der chinesischen Küste.“

„Und Sie haben gar keine Verwandten mehr?“ fragte Klara mit einem Blick voll Mitleid aus ihren Rehaugen.

„Gar keine. Ich stehe ganz allein.“

„Wie traurig! Ich, ich habe doch noch Tante Martha – sie ist zwar nie sehr gut zu uns gewesen, meines Vaters Ehe hat sie mit ihm entzweit – sie war seine einzige Schwester. Aber ich habe doch noch ein Lebendes, für das ich beten kann.“

Franz nahm sich fest vor, von heute an auch so reich zu sein.

Sie plauderten aber auch über minder traurige Dinge: über Jakob, Pintsch und Mones, welche aufmerksam zuhörten, sehr geschmeichelt, daß die beiden Menschenkinder ihre werthen Namen so oft erwähnten, dann über Musik und Litteratur, wobei sich herausstellte, daß Klara die jüngste Veröffentlichung ihres Nachbars sehr genau kannte. Zuletzt tranken sie sogar feierlich auf gute Nachbarschaft, er mit einem Glase Grog und sie mit einem Glase heißen Zuckerwassers, in welchem drei Tropfen Rum verlorengegangen waren, und als dann Fräulein Klara die Sitzung aufhob und sich die Thür auf der andern Seite des Ganges hinter ihr und Mones schloß, faßte Franz den nichtsahnenden Pintsch in die Arme und gab ihm einen Kuß mitten zwischen seine zottigen Ohren.

*  *  *

Ja! – In China, wo so vieles anders ist als bei uns, soll man auch die Kunst verstehen, mit ein und demselben Wort, je nach der Betonung, die verschiedenartigsten Gegenstände zu bezeichnen. Es ist gewiß etwas Wunderbares um eine Sprache, in der sich zum Beispiel Stiefelwichse und Rahmbutter nur durch die Betonung unterscheiden. Aber das ist noch gar nichts gegen die Unmenge von Bedeutungen, welche wir Deutschen in jenes eine, kleinste und mächtigste Wörtchen unserer Sprache legen können – und die Krone von alledem war das „Ja!“, welches Fräulein Klara Meinhold als eigenes Patent besaß und anwandte, wenn sie irgend eine Behauptung oder Lehre hörte, die sie nicht gleich widerlegen konnte, aber um nichts in der Welt annehmen wollte. „Ja!“ Sie sprach es milde und heiter aus, genau wie andere Menschen ein vergnügt erstauntes „Ei!“ hören lassen, und lächelte freundlich dazu. Es sah gar nicht gefährlich aus und doch konnte sie mit diesem Lächeln und dieser Silbe den stärksten männlichen Geist in seinem Glauben an die eigenen Ansichten wankend machen.

Franz Rainer bekam diesem „Ja!“ in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft recht oft zu hören, und die Zuversicht, mit welcher er Klara anfangs von seinem realistischen Menschenstudium und seinen Einsiedlerplänen erzählt hatte, litt merklich darunter. Uebrigens nahm ihre nachbarliche Freundschaft trotzdem die schönste Entwicklung, sie sahen sich täglich, er las ihr vor, lauschte ihrem Gesang, plauderte mit ihr, und auch das Picknick fand seine häufige Wiederholung.

Eines Abends saßen sie nach dem Thee auf Klaras Zimmer. Sie beschäftigte sich mit einer Handarbeit, Franz saß ihr gegenüber und las ihr eine Novelle von Tieck vor. Sie hatte ihn gebeten, ihr einmal etwas von diesem Dichter mitzutheilen, von dem sie in der höheren Mädchenschule nur Geburts- und Sterbejahr und einige andere Notizen gelernt hatte. Vor dem kleinen Ofen lagen Pintsch und Mones nebeneinander, während Jakob auf der Schulter seines Herrn saß und ernsthaft mit ins Buch guckte. Dazu summte der Wasserkessel leise, und draußen pfiff zuweilen ein Windstoß durch die Dachluken und Schornsteine.

[851] Die Vorlesung hatte Klara sehr bewegt. Sie stand auf und trat ans Fenster. Franz folgte ihr.

„Sehen Sie,“ sagte Klara nach einer kleinen Weile, indem sie mit der Hand hinauswies, „wie all die schiefen niedrigen Dächer an den Hinterhäusern im Regen feucht glitzern; und dann hier und dort die winzigen Fensterchen mit dem blaßrothen Lichtschein von drinnen!“

„Es ist eine traurige Aussicht,“ meinte Franz bekümmert. „Wenn Sie doch lieber nach vorn wohnten. Ich wollte, wir könnten tauschen. Da sehen Sie mehr Leben und Licht. Es ist so viel lustiger.“

„Ja,“ sagte sie. „Aber ich stehe doch oft gerne hier. Gerade wenn es so ist. Und da muß ich immer denken: wenn jetzt der Adventsengel hier herüber fliegen würde mit den weißen großen Schwingen, wie es uns Kindern erzählt wurde, der sähe durch den feuchten Schiefer hindurch in all die kleinen Stuben, die da draußen so ärmlich leuchten. Er würde gewiß viel Elend sehen, viel Sünde und Zorn. Aber auch wieviel Liebes und Gutes! Wieviel Mutterliebe, wieviel kleine Sorgen, die doch bis zum Himmel fliegen, Sorgen um Weib und Kind! Eine ganze Welt des Herzens würde sich dem Engel enthüllen, wo wir nur graue Dächer sehen. Und so meine ich, so muß es wohl mit dem Dichter sein. Das Alltagsleben das Treiben und Hasten ringsum, das ist ja nur die graue Hülle, der Regen auf dem Schiefer. Das sehen wir, und der Dichter geht mit uns und muß es auch sehen. Aber ich meine, zuweilen – wenn es über ihn kommt – da sieht er auf einmal mit Geistesaugen, die dringen durch die Hülle, und da schaut er das innere Leben, das wahre Leben in den Herzen, und hört die Stimmen, die aus dem Herzen bis in den Himmel gehen.“

„Er sieht aber auch das Böse und hört auch die Dissonanzen, die gar nicht nach dem Himmel klingen,“ sagte Franz.

„Ja,“ antwortete Klara. „Allein er hört sie wie ein Geist. Die Geister verstehen so viel, darum vergeben sie auch. Ich glaube, sie hören und sehen auch im Menschenherzen immer mehr Gutes als Böses.“

„Hm,“ meinte Franz, indem er seine Nachbarin ansah, „ich hätte mir’s sagen können, daß Sie mehr von den Engeln wissen als ich.“

Darauf erröthete sie und trat ins Helle zurück. „Es ist mir nur so gekommen,“ sagte sie etwas verwirrt. „Bitte, lesen Sie weiter, Herr Doktor!“ –

In dieser Zeit fing Franz an, außerordentlich fleißig zu werden. Früher hatte er in zwei, drei Tagen nicht soviel gethan als jetzt in einem, obwohl er doch abends oft seiner Nachbarin Gesellschaft leistete und außerdem seine Gedanken alltäglich stundenlang zu ihr hinüberspazierten. Mit großer Schaffensfreude begann er eine längst geplante Erzählung auszuarbeiten. Es war auch ein gutes Theil Trotz dabei; er wollte seiner ungläubigen Freundin einmal so recht zeigen. daß Grau in Grau doch das Wahre sei. Ueber dem Schreiben aber erging es ihm ganz wunderlich. Anstatt Grau in Grau schob ihm seine Stimmung eine ganze Palette lebensfroher Farben unter, und das Schönste dabei war, daß es dem Künstler immer mehr vorkam, daß er sich das von jeher so gedacht habe, je weiter sich sein Werk von dem ursprünglichen Plane entfernte.

Besonders die Heldin der Erzählung, die zufällig auch Klara hieß, gefiel dem Dichter über die Maßen. Sie schien ihm immer besser zu gerathen, und oft, wenn er über sein Werk nachsinnend im Lehnstuhl saß und rauchte, hörte Jakob ihn plötzlich rufen: „Süße Klara!“ „Liebe Klara!“ oder „Cara Clara!“ Letzteres gefiel Jakob besonders, weil es so rabenartig klang.

Auch in gesellschaftlicher Hinsicht wurde Franz plötzlich sehr rege und praktisch. Er knüpfte mit dem Herausgeber der Zeitung, die seine Thiergeschichten veröffentlicht hatte, nähere Bekanntschaft an, erneuerte einige werthvolle Verbindungen von der Universität her und übernahm für die Zeitung mehrere kritische Aufgaben die er mit Fleiß und großem Geschick löste, immer voll gespannter Vorfreude auf das Gesicht, mit welchem seine Nachbarin seine Kritiken zu lesen pflegte.

Noch lieber wäre es ihm gewesen, wenn er ihr Gemälde und Schauspiele persönlich hätte zeigen dürfen, anstatt ihr nur gedruckte Berichte darüber vorzulegen. Aber von solchen gemeinsamen Kunstgängen wollte sie nichts wissen. Auch lehnte sie es freundlich ab, wenn er ihr seine Begleitung auf ihren Nachmittagswegen, besonders zu einer weit entfernt wohnenden Schülerin anbot – morgens war sie in der Schule thätig. Glücklicherweise brachten die Zeitungen, als gerade der erste dichte Schnee die Stadt winterlich färbte, einige Nachrichten über bösartige Ausschreitungen Betrunkeuer gegen Damen in irgend einem entlegenen Stadtviertel. Angesichts dieser Schreckensmär konnte Klara wicklich nichts dagegen sagen, daß ihr am nächsten Abend unweit der Wohnung ihrer Schülerin der Nachbar zufällig begegnete und sogleich seine schützende Begleitung nach Hause anbot; und so spielte der Zufall auch fernerhin. Klara kam dadurch etwas später heim als sonst, denn sie pflegte für gewöhnlich die Pferdebahn zu benutzen. Aber bekanntlich ist das Reisen zu Fuß immer schöner und gesünder als das mit all dem modernen Fahrzeug.

*  *  *

„Es freut mich wirklich, daß Ihre neue Erzählung angenommen ist,“. sagte Doktor Müller, der Herausgeber der Zeitung, zu Franz Rainer. Sie saßen rauchend beisammen, nach einem recht gediegenen Mittagsmahl, zu welchem Müller seinen neuen Mitarbeiter eingeladen hatte. „Oder richtiger gesagt, es freut mich, daß Ihre Erzählung so geworden ist, wie sie ist. Ich wußte es ja, daß Sie bei der grauen Manier nicht bleiben würden. Es ist das überhaupt nur eine vorübergehende Mode. Alle Achtung vor scharfer Beobachtung und gelegentlicher Kleinmalerei, aber daß man einen Mann kennt, wenn man weiß, wieviel Zähne in seinem Munde plombiert sind, das glaubt doch auf die Dauer kein Mensch. Na, das Beispiel ist wohl übertrieben. Aber dann überhaupt dieses ganze naturalistische graue Elend – das ist, als wenn einem immer nur graue Erbsen vorgesetzt würden. Ich bin selbst Ostpreüße und schätze die grauen Erbsen sehr, aber man will doch auch ’mal ’was anderes, etwa –“ Und der gastronomisch gebildete Mann zählte eine große Menge von guten Sachen auf, für die er eine besondere Vorliebe hatte.

„Wissen Sie,“ fuhr er dann fort, „Ihre neue Erzählung macht schon ganz den Eindruck, als ob Sie einen Beruf hätten. Ja, sehen Sie mich nicht so verwundert an, es ist so. Diese ganze verregnete Weltanschauung, diese Sucht, alles im Elend zu sehen – das ist nur eine Folge der Berufslosigkeit. Wenn einer freilich immerfort nach des Dienstes ewig gleich gestellter Uhr nur im Geleise läuft und sich keine einzige Stunde mehr freihält, um sie schaffend oder verstehend der Kunst zu weihen, der wird zum Philister. Wer aber gar nicht in dieses Geleis kommt, der wird erst recht einer. Pessimismus und Blasiertheit und all diese Uebel unserer jungen Talente sind nur die Kinder der Langweile, die einer schließlich sich selber einflößt, wenn er nicht sein tägliches Maß irdischer Pflichten abzutragen hat. Wer weiß, ob nicht selbst der Herr von Goethe am Ende den heiteren Sinn in der Kunst verloren hätte, wenn er nicht nebenbei auch als Minister für Polizei und Bergbau und einiges andere zu thun gehabt hätte! Darum wünsche ich Ihnen Glück, denn Ihre neue Erzählung klingt frisch und hell – sie klingt nach Beruf.“

„Indessen wissen Sie wohl,“ antwortete Franz auf diese lange Rede, „daß ich den Beruf, wie Sie es nennen, vorläufig erst suchen muß.“

„Ich weiß, was Sie meinen,“ erwiderte der Gewaltige der Presse, „aber ich denke, auch dafür wird Rath werden, lieber Freund. Nur noch ein paar Wochen Geduld müssen Sie haben. Aber ich denke, wir reden noch vieles miteinander.“

In fröhlichster Stimmung, eine verwegene Melodie trällernd, langte Franz einige Stunden nach dieser Unterhaltung vor seiner Wohnung an. Vor der Thür stand eine Droschke, eine überaus seltene Erscheinung vor diesem Hause. Als Franz die Treppe hinaufstieg, sah er Klara reisefertig aus der Thür ihres Zimmers treten. Sie sah blaß und verweint aus.

„Ich muß gleich fort,“ antwortete sie hastig auf seine besorgte Frage; „meine Tante ist plötzlich schwer erkrankt und verlangt nach mir.“

„Ach, der Brief!“ rief Franz. Er hatte beim Weggehen mittags gehört, wie der Briefträger unten nach seiner Nachbarin fragte.

Klara wurde plötzlich sehr verlegen. „Ja – nein,“ stammelte sie, „der Brief – ich habe eben ein Telegramm erhalten.“

„Also so schlimm ist es!“ sagte Franz mit herzlichem Bedauern. „Kann ich Ihnen nicht mit irgend etwas behilflich sein?“

Sie schüttelte dankend den Kopf. In diesem Augenblicke stolzierte Jakob der Rabe, welcher sich auf dem Vorplatz herumtrieb, herbei, sah sich die beiden mit auf die Seite gelegtem [852] Köpfchen ernsthaft an und deklamierte: „Süße Klara! Cara Clara! Cara Clara!

„Ach bitte, sperren Sie den Vogel hinein!“ bat Klara in größter Verwirrung. „Ich muß fort. Leben Sie wohl, Herr Doktor!“

Und ehe Franz noch zu Ende gefragt hatte, ob er sie nicht wenigstens zur Bahn begleiten dürfe, war sie die Treppe hinuntergeeilt.

Das war ein trauriger Zwischenfall für Franz. Er war so betrübt, daß er sogar den Raben recht unwirsch anfuhr. Dieser flüchtete sich unter das Sofa, wohin sich Pintsch angesichts der schlechten Laune seines Herrn bereits verkrochen hatte, und tröstete sich dort mit einigen leisen: „Jakob warr brrav! Brraverr Jakob!“ Das rührte den Herrn so, daß er die beiden Thiere hervorlockte und beruhigte. Dabei fiel ihm ein, daß er sich nun aber auch der Katze annehmen müsse. Er wagte es, in Klaras leeres Zimmer hinüberzugehen,

Da fand er eine neue Ueberraschung. Die Katze war nicht da, aber auf dem Arbeitstischchen lag der verhängnißvolle Brief, und daneben ein feuchtgeweintes Taschentuch. Der Brief aber trug eine Fünfpfennigmarke und zeigte den Stadtpoststempel.

In den nächsten Tagen hatte Franz viel zu arbeiten. Gar schwer entbehrte er dabei den Anblick seiner Nachbarin, ihren Gesang, ihr ernsthaftes Plaudern und ihr helles leises Lachen. Um so mehr dachte er an sie, und in den Pausen der Arbeit malte er sich allerlei Zukunftsbilder aus, wobei Jakob noch ganz neue Ausrufe belauschte, die er aber vorläufig verschwiegen in seiner schwarzen Brust verschloß, nachdem ihm seine Indiskretion neulich so übel gerathen war.

Immer wenn ein Schritt auf der Treppe klang, lauschte Franz auf, ob nicht die schlanke Gestalt im dunklen Mantel und dem kleinen Hütchen wieder auf der Schwelle erscheinen werde. Klara blieb aber länger aus, als er dachte, und als sie endlich wiederkam, trafen sie sich auf der Treppe, just als er dringend weg mußte. Sie sah zum Erbarmen angegriffen aus und trug ein schwarzes Kleid; die Tante war einige Tage nach ihrer Ankunft gestorben, Franz empfand das tiefste Mitgefühl. Er suchte krampfhaft nach irgend einer zerstreuenden Bemerkung, die er der Versicherung seines Beileids anfügen könnte. Schließlich meinte er in der Noth seines Herzens: „Denken Sie, der Mones war alle die Zeit über weg und ist erst heute morgen wiedergekommen, ganz mager und wüst sieht er aus.“

Draußen auf der Straße hätte er sich am liebsten selber geprügelt für diese Bemerkung, er konnte sich nichts Dümmeres denken.

Klaras Wesen war viel stiller und zurückhaltender als bisher, was Franz mit Betrübniß empfand. Nur auf Pintsch strömte ihre Gnade in überreicher Fülle aus. Abends war der Doktor jetzt vielfach durch neue Pflichten in Anspruch genommen. Mit dem nachmittäglichen Abholen des Fräuleind war es auch nichts mehr; wie Klara erzählte, hatte ihre Schülerin wegen dringender Weihnachtsarbeiten die Stunden vorläufig ausgesetzt. Sie sagte das mit einiger Verwirrung, die dem guten Franz freilich entging. Wohl aber wunderte er sich sehr, als er Klara mehrmals des Vormittags auf der Straße begegnete oder sie zu Hause fand, zu einer Zeit, wo sie doch in der Schule sein mußte. Als er sie darüber harmlos befragte, meinte sie ausweichend, sie hätten ja jetzt Weihnachtsferien. Damit hätte er sich auch zufrieden gegeben, wenn er nicht gerade zwei Tage darauf im Vorübergehen gesehen hätte, wie sämtliche Schülerinnen aus der Anstalt kamen, mit Büchern und Mappen und in so alltäglicher Stimmung, als ob die Ferien noch in nebelhafter Ferne lägen.

All dies bekümmerte Franz Rainer sehr. Als ein hoffnungsvoller Lichtpunkt schimmerte aber vor ihm das nahe Weihnachtsfest. Frau Schütz, seine wohlbeleibte Wirthin, hatte ihn schon längst zum Heiligen Abend eingeladen mit dem Vermerk, daß auch ihre älteste Mietherin, seit sie bei ihr wohne, das Fest stets bei ihr feiere, Seit seinen frühen Knabenjahren hatte sich Franz nicht so auf Weihnachten gefreut. „An diesem Abend soll sich alles finden, Pintsch,“ sagte er zu seinem Getreuen, „und du und Jakob, ihr sollt dann auch etwas Leckeres bekommen.“

Am Nachmittag vor dem Feste faßte er sich ein Herz und bat seine Nachbarin, mit ihm zusammen „In die Buden“, wie man dort den Weihnachtsmarkt nennt, zu gehen, um auch einige Geschenke für die Wirthin einzukaufen. Klara wollte erst nicht, dann aber, als sie ihn darüber so betrübt sah, stimmte sie mit einem Male muthig zu und machte sich schnell bereit. Auf sein Bitten setzte sie sogar lächelnd das dunkelrothe Pelzmützchen auf, das er so gern auf ihren braunen Flechten sah.

Draußen war es furchtbar kalt, der Schnee knisterte ihnen unter den Sohlen, und der Wind blies so scharf, daß Franz seine Begleiterin ängstlich bat, die Boa dichter umzulegen. Aber Frost und Wind vermochten gar nichts gegen die Herzenswärme, welche das wunderliche Menschenvolk an diesem Tage durchströmte. Ueberall auf dem Markte drängte und aummte es von geschäftigen Menschen. Es war ja Geschäft wie sonst, Kauf und Verkauf, Nachfrage und Angebot. Aber in den Augen der Käufer leuchtete ein anderer Glanz, als den die bloße Besitzlust entfacht, sie wollten [853] nur kaufen, um anderen Freude zu machen, und sie wollten billig kaufen, um noch mehr schenken zu können. Und die Verkäufer lächelten heute von Herzen, sie waren so flink und gefällig, als ob sie dem Gelde, das sie heute einnahmen, eine besondere Zauberkraft zuschrieben. Ueberall duftete es nach Tannen, nach immergrünen Weihnachtsbäumen, und wer die rechten Augen hatte, der schaute auch schon himmlische Kerzen leuchten, die Weihnachtslichter in den Blicken der Menschen.

Franz Rainer jedenfalls schaute sie – in den braunen Augen seiner Begleiterin. Er freute sich so, ihre Wangen wieder rosig zu sehen und ihr leises, frohes Lachen wieder zu hören; ja er glaubte, sie noch nie so herzlich und heiter gesehen zu haben. Wie die Kinder wiesen sie einander die vielen schönen Sachen, ermunterten sich, dies und jenes zu kaufen, berathschlagten, was der alten Frau wohl besondere Freude machen würde, und hatten bei dem allem die größte Freude aneinander.

An einer ziemlich dunklen und einsamen Stelle des Marktes, als sie schon heimkehren wollten, rief sie ein altes Männlein an, das von seinem Kleinkram wohl noch wenig verkauft haben mochte. Es waren allerlei Figürchen aus Steingut, ihr Kunstwerth war gewiß sehr gering. „Schöne Figuren, echte Nippes!“ krähte der Alte. „Wollen Sie nicht kaufen, schöne Frau?“

Lachend trat Klara näher: „So ’was liebt sie gerade,“ flüsterte sie Franz zu und wählte einige sehr bunt bemalte Heiligenbilder. „Und das kriegt der Herr Einsiedler hier,“ meinte sie und schob Franz einen Eremiten zu, der mit fürchterlich ernstem Gesicht und langer brauner Kapuze auf einem äußerst spitzen Felsblock lehnte und in die Unendlichkeit hinausstarrte.

„Danke,“ sagte Franz, „dann ist dies hier aber für Sie“ und wies auf eine schlanke Fee in Rokokogewand mit unvermeidlichem Zauberstab. Der Alte schmunzelte und packte die Sachen ein, während die beiden plauderten. „So,“ sagte er und schob ihnen die Päckchen hin, „das sind die Heiligen und das ist für die gnädige Frau und das ist für den Herrn Gemahl.“

Franz lachte und sah seine Begleiterin an. Da bemerkte er, daß eine ältere hagere Dame, gleich streng in Aussehen und Tracht, an ihnen vorüberging und ihre kalten Augen mit einem bösen Ausdruck auf Klara richtete. Auch diese mochte die Begegnende wahrgenommen haben, sie bezahlte hastig, steckte ihr Päckchen ein, und auf dem Heimweg war sie viel stiller als vorher.

Kaum hatte Franz daheim Licht gemacht, so schickte er sich an, seinen Einsiedler auszupacken. Nun war es aber gar nicht der Eremit, sondern die Fee. Die Päckchen waren verwechselt worden. Nachdenklich lächelte Franz auf das Figurchen. Da sah er einen großen Brief vor sich liegen, der von der Hand Doktor Müllers überschrieben und an ihn gerichtet war. Und kaum hatte er den Brief aufgerissen und überflogen, so packte er ihn mitsamt der Fee und eilte hinüber zu Klara. Ihr „Herein!“ war kaum zu hören.

„Denken Sie,“ rief Franz – „aber Sie haben ja kein Licht!“

„Einen Augenblick,“ sagte sie und zündete die Lampe an. Nun sah er, daß sie geweint hatte, und blickte sie fragend an.

„Sie wollten mir etwas sagen,“ bemerkte sie ausweichend.

„Ja,“ antwortete er. „denken Sie, hier ist mein Lehensbrief –ich bin Feuilletonredakteur an unserer Zeitung geworden!“

Sie wünschte ihm herzlich Glück.

„Das ist aber noch das Wenigste,“ fuhr er fort, „sehen Sie her. was ich habe!“ Und er zeigte ihr die Fee.

„O,“ meinte sie, „da ist eine Verwechslung vorgekommen. Wahrhaftig, hier ist der Eremit! Wie komisch!“

„Ich finde das gar nicht komisch,“ rief Franz und faßte ihre Hände, „ich finde das ganz in Ordnung, und menn Dz mich ein wenig lieb hast, Klara, so nimm Deinen Klausner hin und laß mir meine süße braune Fee, die ich so unendlich lieb habe – willst Du, Klara?“

„Ja,“ flüsterte sie leise. Es war ein ganz anderes Ja, als sie sonst zu sprechen pflegte. – –

„Nun muß ich Dir beichten, Liebster,“ sagte Klara nach einer Weile. „Ach, ich habe Dich so schändlich belogen, kannst Du mir verzeihen? Ich bin gar nicht mehr Lehrerin. Seit dem Tage nicht mehr, an dem ich abreiste.“

„Ah,“ rief Franz, „der Brief!“

„Der Brief – hast Du ihn gelesen?“ fragte Klara erschreckt.

„Wo denkst Du hin!“ beruhigte er sie.

„Ach, es war so häßlich, so bodenlos häßlich,“ seufzte sie erröthend, „ich mag es Dir nicht sagen, was mir diese Frau schrieb von Dir und mir!“

„Laß es gut sein, Lieb,“ sagte Franz zärtlich. „Uebermorgen geb’ ich unsere Antwort auf ihren Brief in Druck, drei süße Zeilen! Bitte, sei nicht böse wegen der Frage – war das Deine frühere Prinzipalin, die uns vorhin auf dem Markte begegnete? – So? Na, der trau’ ich beinahe jeden Brief zu. Was mußt Du ausgestanden haben unter ihr -“

„O nein, Franz! Sie ist nur eigen und streng, und weil sie uns öfters zusammen gesehen hatte –“

„Aber warum verschwiegst Du mir denn das alles, Du Böse?“

„Ach,“ flüsterte sie erröthend, „ich dachte, dann hättest Du mir gleich Deine Hand geboten.“

„Ei, sieh’ ’mal! Und wäre Dir das so peinlich gewesen?“

„Ja, Franz – aus einem solchen Grunde! Nun darf ich Dir aber auch das andere beichten, Liebster: ich bin reich! Meine Tante hat mir alles hinterlassen. Ach, ich hätte es Dir so gern anvertraut. Aber siehst Du, ich dachte – –“ Sie verstummte ein Weilchen und flüsterte dann an seiner Brust: „Ich dachte, Du würdest es unzart finden. Ach Du, ich bin wohl schrecklich dumm?“

„Jedenfalls denkst Du schrecklich viel,“ meinte der glückliche Franz lächelnd und küßte seine Liebste. „Denkst Du auch noch daran, was Du alles vom Adventsengel dachtest? Was der wohl sagen mag, wenn er jetzt durchs Dach schaut!“

„Süße Braut! Cara Clara!“ krächzte es da plötzlich. Jakob und Pintsch hatten sich hinter ihrem Herrn hergemacht. Der Hund spielte zärtlich mit dem Kater Mones, in verständnißvoller Anlehnung an das Vorbild ihrer Herrschaften, Jakob aber saß in erhabener Einsamkeit auf Klaras Arbeitstischchen und trug seine neueste Weisheit vor: „Klara, süße Braut!“

„Dein erster Gratulant, Klara!“ –

„Woher er das nur wieder hat?“ fragte sie schelmisch lächelnd.

„Ach, so ein Klausnerrabe schnappt allerlei vor der Zeit auf!“

„Ja, Du,“ fragte sie, „was wird nun aber aus der ‚Chronik des Klausners‘?“

„Die wollen wir gleich fertig machen,“ rief Franz. „Komm!“ Und nun schritten sie in zärtlicher Umschlingung hinüber in sein Zimmer. Da holte Franz das Buch aus dem Schreibtisch, Klara reichte ihm die Feder, und unter die Ueberschrift „Die Chronik des Klausners“ schrieb er: „blieb ungeschrieben, weil der Klausner noch rechtzeitig eine Klausnerin fand.“