Die Gartenlaube (1854)/Heft 50

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 50. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die Blinde.
Weihnachtserzählung von August Schrader
(Fortsetzung.)

„Also ist es dennoch eingetroffen, vor dem ich sie zu schützen bemüht war!“ dachte sie. „Sie liebt mit der Schwärmerei, die diesem armen Wesen eigen zu sein pflegt. Ach, und ihre Liebe ist eine hoffnungslose, denn wer wird eine arme Blinde wieder lieben?“

Ueberwältigt von Schmerz, bedeckte sie die Stirn der Tochter mit Küssen. Sie wollte trösten, aber sie vermochte es nicht, wenn sie den lauten Ausbruch ihrer Gefühle verhindern wollte.

„Mutter,“ flüsterte bebend Cäcilie, „Du weinst – ich fühle es, denn Deine Thränen perlen auf meine Wangen. Sieh’, das ist mein Kummer! Ach, ich wußte es wohl, daß Dir dieses Bekenntniß Schmerz bereiten würde, denn Du liebst mich ja und willst mich glücklich wissen. Darum verbarg ich mein Herz vor Dir, darum solltest Du nie erfahren, daß es außer Dir, die Du mich verstehst, noch ein Wesen giebt, das ich liebe. Mutter, Mutter, zürne mir nicht,“ rief sie schluchzend, „denn ich habe alle Mittel angewendet, die mir der Verstand rieth! Wenn den jungen Prediger nicht schon ein Band der Liebe bindet, fragte ich mich – wird er dich, das blinde Mädchen, lieben können? Und wenn du wirklich das Glück hättest, mit ihm in ein näheres Verhältniß zu treten, ist es nicht möglich, daß er den Eindruck zerstört, den seine Stimme und seine Rede hervorgebracht hat? So kämpfte ich mit mir selbst, aber es war vergebens, die Regung meines Herzens zu besiegen. Zitternd folgte ich Dir zur Kirche, wenn Du mich dazu auffordertest, denn ich fürchtete die Stimme wiederzuhören, die mein Leiden nur noch vergrößern mußte. Mutter,“ rief sie mit flehender Stimme, „weine nicht, hier in der Einsamkeit, nur umgeben von Deiner Liebe und Deiner Sorgfalt, wird es mir gelingen, den Frieden meiner Seele wieder herzustellen, Du wirst mir bald wieder Alles sein, das einzige Licht, das meine Nacht erhellt!“

Cäcilie umschlang von Neuem ihre Mutter, die noch beklagenswerther war, als sie selbst. Denn giebt es wohl einen größern Kummer, einen herbern Schmerz als den, ein junges reizendes Wesen unter den Qualen einer glühenden Leidenschaft dahinwelken zu sehen? Und Cäcilie war ihre Tochter, die einzige Frucht einer glücklichen Ehe, die der Tod des Gatten frühzeitig gebrochen hatte. Da saß das arme Geschöpf, ein Meisterwerk der Natur, aber nur halb vollendet, denn die schönen glänzenden Augen waren dem Lichte verschlossen, sie konnten das Lächeln der Mutterliebe, die herrliche Natur nicht sehen. Die arme Blinde konnte nur das Glück in ihrem eigenen Herzen finden, sie konnte nur in der kleinen, begrenzten Welt selbstgeschaffener Wesen leben, und diese Welt ward ihr durch eine hoffnungslose Liebe verkümmert. Die Mutter begriff ganz den Zustand ihres Kindes, und wie ein tödtlicher Pfeil war die Gewißheit desselben in ihr Herz gedrungen.

„Mein Kind,“ sagte sie, mit übermenschlicher Kraft nach Fassung ringend, „hätte ich Dir einen Vorwurf zu machen, so wäre es der, daß Du so lange allein Deinen Schmerz getragen hast. Jede Mittheilung, einem liebenden, theilnehmenden Wesen gemacht, erleichtert die Brust –“

„Gewiß, Mutter, gewiß!“ rief eifrig die Blinde, indem sie ihr schönes, von den feuchten Locken umwalltes Haupt emporhob. „Auch Du hast die Stimme gehört, die feurige, schöne Rede – nicht wahr, nur ein edler, fühlender und gebildeter Mann, ein aufgeklärter und kühner Geist kann so sprechen? Schon oft hatte ich zuvor über das Thema nachgedacht, das er zu seiner Predigt gewählt, aber nie bin ich auf solche Gedanken gekommen. Wie anders werde ich das nächste Christfest begehen – wie anders würde ich es begehen,“ fügte sie traurig hinzu, „wenn ich Dessen nicht gedenken müßte, der meine Ansichten geläutert hat. Vergieb mir, Mutter,“ flüsterte sie leise und indem sie das himmlische, aber blinde Auge emporschlug, „vergieb mir, denn ich bin noch nicht geheilt!“

Wie zum Gebet legte Cäcilie ihre kleinen Alabasterhände zusammen, und sah still vor sich hin. Ein schmerzlich wehmüthiges Lächeln, die eben so reine als heftige Liebe verrathend, verklärte das Engelsgesicht zu dem einer frommen Dulderin. Dem Auge der Mutter konnte der ganze Umfang dieser Leidenschaft nicht entgehen, denn sie wußte, daß bei dem jungen, des Gesichtes beraubten Mädchen jedes Ereigniß einen starken, unauslöschlichen Eindruck hervorbrachte. Alle Gefühle bei ihr sind reizbarer, das Herz empfänglicher, und der einmal herrschende Gedanke, in der Nacht der Blindheit genährt, enthält durch die leicht entzündbare Phantasie, dieses helle Licht der Blinden, eine verheerende Gewalt.

„Ich bin reich, und Cäcilie ist schön,“ dachte die hoffende Mutter – „ich werde bald erfahren, wer der Gegenstand ihrer Liebe ist. Es wird ja noch ein Mittel geben, mein armes Kind glücklich zu machen.“

Die Schloßuhr schlug zehn. Die Kammerfrau trat ein, und bot den Damen ihre Dienste an. Bald war die Nachttoilette vollendet, die Cäcilien noch reizender machte. Mit einem schmerzlichen Wohlgefallen betrachtete die Mutter ihre Tochter, und was die liebende Hoffnung angeregt, vollendete die mütterliche Eitelkeit.

„Man muß sie lieben, auch wenn sie blind ist?“ dachte sie. „Und wie kann das Herz eines solchen Mädchens der Liebe verschlossen bleiben? Ich war thöricht, dem Triebe der Natur entgegenzutreten [606] – hätte ich ihn in die rechte Bahn geleitet, es wäre heute vielleicht anders. Ich werde meinen Fehler mit Vorsicht verbessern.“

Eine Viertelstunde später hatten sich beide Frauen zur Ruhe begeben. Cäcilie träumte von der Christnacht, während die arme Mutter sich mit der Auffindung der Mittel beschäftigte, die zum Zwecke führen konnten. Nachdem sie den Entschluß gefaßt, die Hülfe des Pastors Braun in Anspruch zu nehmen, entschlief sie.


III.

Zwei Tage später fiel ein Sonntag. Der Nachmittagsgottesdienst war vorbei, und der Pfarrer Braun, der seinem Amte nach Gewohnheit und Pflicht obgelegen hatte, saß mit Arnold in der großen Lindenlaube des Pfarrgartens, wartend des Kaffee’s, den Concordia, seine Tochter, in der Küche zubereitete. Der Greis blies aus einer langen Pfeife dichte Tabackswolken in die laue Luft, ein Genuß, der ihm zur Leidenschaft geworden war.

„Arnold,“ sagte er, „ich habe die gegenwärtige Unterredung bis heute verschoben, damit Du erst ein wenig heimisch in meinem Hause werden solltest. Du bist zwar als Student einmal einige Tage hier gewesen, ich hege aber die Meinung, daß der gesetzte junge Mann die Dinge anders ansieht als der Jüngling, und damals war mein Cordchen nicht zu Hause, die sich bei Amtmanns Hannchen in Z. zum Besuche befand. So höre denn meinen Plan, den ich ersonnen habe, und mit Deiner Hülfe auszuführen gedenke.“

„Mit meiner Hülfe?“ fragte verwundert der Kandidat.

„Ich stand in Deinem Alter,“ begann ruhig der Pastor, „als mich die Gemeinde zu ihrem Pfarrer wählte, und der selige Graf von Krayen, der Patron der Stelle, als solchen bestätigte. Drei Jahre später verheirathete ich mich, und der Himmel segnete meine Ehe, die anfangs unfruchtbar zu bleiben schien, mit einer hoffnungsvollen Tochter. Ich bin nun dreißig Jahre im Amte, und wenn ich mich auch gerade nicht zu schwach fühle dasselbe ferner zu versehen, so veranlassen mich doch zwei Gründe, jetzt meinen Ruhestand vorzubereiten. Erstens gehöre ich noch der alten Welt an, und ein junger kräftiger Mann, der den Anforderungen unserer Zeit wirksamer entspricht, würde besser am Platze sein, als ich; und zweitens will ich bei Zeiten die Zukunft derer gesichert sehen, für die zu sorgen mir die Verpflichtung obliegt, zumal da sich jetzt eine günstige Gelegenheit dazu bietet. Aus diesen Gründen mache ich Dir nun kurz und bündig den Vorschlag: Du wirst sobald als thunlich mein Nachfolger im Amte, heirathest mein Cordchen, und giebst mir und meiner alten Ehehälfte ein Asyl für unser Alter. So, meine ich, ist uns Allen geholfen. Ich habe Dich zu mir eingeladen, damit in der Familie die ersten Schritte unternommen werden konnten. Die Besorgung des Uebrigen ist meine Sache. Nun, Vetter, was meinst Du dazu?“

Arnold sah den Greis verwundert an. Kannte er auch die Herzensgüte desselben, so hatte er doch auf seine Fürsorge in dieser Ausdehnung nie zu hoffen gewagt. Und jetzt, nachdem er den Engel in der Kapelle gesehen, dessen Bild sein ganzes Herz ausfüllte, dessen er mit einer poetischen Begeisterung gedachte – jetzt sollte er sich um die Gunst eines andern Mädchens bewerben, das zwar hübsch, gesund und leidlich gebildet war, aber wenig den Anforderungen entsprach, die sein für ein Ideal schwärmendes Herz an die künftige Lebensgefährtin stellte. Ein Augenblick genügte, um ihm das Peinliche seiner Lage erkennen zu lassen. Durfte er sich dem wackern Greise gegenüber, der so väterlich für ihn gesorgt hatte und jetzt mit der Feststellung seiner ganzen Zukunft beschäftigt war, offen aussprechen? Durfte er dem so vernünftigen und ihn selbst betreffenden Beglückungsplane entgegentreten? Und wenn er es wagte, und den Grund dafür angäbe, was mußte der Greis von seiner seltsamen Schwärmerei denken? Wie mußte er seinem Wohlthäter erscheinen? Arnold war einer der wenigen Männer, in denen Leidenschaften von ungeheurer Tiefe schlummerten, aber zu gewaltig, um bei kleinen Veranlassungen hervorzutreten.

„Bester Onkel,“ antwortete er ruhig, „mit dankbarem Herzen erkenne ich Ihre Güte an; aber wird Concordia, die mich kaum kennt, ohne Opfer zu den Wohlthaten beitragen können, die Sie mir so großmüthig zugedacht? Sie ist ein gutes, lebhaftes Mädchen, und mein Wesen ist so wenig geeignet, rasche Eindrücke zu erzeugen –“

„Daß sie Dich näher kennen lernen muß, um zu entscheiden,“ fiel eifrig der Pastor ein, das erfordert die Billigkeit. Aber ich müßte ein schlechter Menschenkenner sein, wenn ich das Resultat Euerer nähern Bekanntschaft nicht voraussehen sollte. Concordia’s Herz ist noch frei und da sie weiß, daß der Vater nur in ihrem Sinne wählen kann, so wird sie sich bald zu fügen wissen. Schon vor einiger Zeit hat es die Mutter übernommen, sie vorzubereiten.“

„Wie, Condordia weiß bereits darum?“

„Und ich glaube zu bemerken, daß Du einen günstigen Eindruck auf sie ausgeübt hast, denn andernfalls würde ich Dich in das Geheimniß noch nicht eingeweiht haben. Doch still, sie kommt – wir wollen der natürlichen Entwickelung der Dinge nicht vorgreifen.“

Concordia, einen großen Präsentirteller tragend, erschien zwischen den Spalieren der Zwergobstbäume, die an dem Wege standen, und näherte sich rasch der Laube. Sie war einfach sonntäglich geschmückt. Ein rothes Thibetkleid schloß eng die runden, kräftigen Formen ihres kerngesunden Körpers ein. Ihr hellblondes Haar bildete einen starken Flechtenkranz auf dem Haupte. Hochrothe Wangen, helle Augen und kirschrothe Lippen gaben ihrem interessanten Gesichtchen einen Ausdruck großer Lebendigkeit. Alle ihre Bewegungen waren rasch und entschieden. Für einen gewöhnlichen Landgeistlichen würde Concordia eine passende, wünschenswerthe Frau gewesen sein, zumal da sie als Mitgift ein kleines Vermögen und eine einträgliche Pfarre brachte; aber wie wenig konnte sie unserm Arnold genügen, der sein Ideal im Herzen trug! Unwillkürlich stellte er Vergleiche zwischen den beiden Mädchen an, und das Resultat derselben war das Bedauern, daß der Engel aus der Kapelle nicht die Tochter des Pfarrers sei.

Der alte Pfarrer beobachtete schweigend und mit großem Interesse die beiden jungen Leute. Er verschanzte sich hinter einer dichten Rauchwolke, um sein Lächeln zu verbergen. In dem Augenblicke, als Concordia dem Gaste die gefüllte Tasse bot, trafen sich Beider Blicke. Das Roth ihrer Wangen schien sich plötzlich dem ganzen Gesichte mitgetheilt zu haben, und ihre Blicke senkten sich schnell wieder auf den mit einem weißen Tuche bedeckten Tisch. Dem armen Arnold entging diese urplötzliche Veränderung, die offenbar der Anblick seiner Person hervorgebracht, nicht, und wenn er auch nicht so eitel war, seinem von Pockengruben zerrissenen Gesichte auch nur die geringste Anziehungskraft beizulegen, so glaubte er doch schließen zu müssen, daß des Vaters Heirathsplan von der Tochter genehmigt würde.

„Cordchen,“ sagte der Vater, sein Wohlgefallen über diese Bemerkung verbergend, „geh’, und bitte die Mutter zu uns. Dann magst auch Du wiederkommen, mein Kind!“

Mit purpurrothem Gesichte flog das Mädchen davon, ohne ein Wort zu entgegnen. Der Pastor blies ein Paar so gewaltige Rauchwolken aus seiner Sonntagspfeife, daß die ganze Laube davon angefüllt war.

„Nun,“ rief er seelenvergnügt, „wer hat Recht? Sie erröthete bis an die Ohren, als sie den ihr bestimmten Mann ansah. Das ist ein gutes Zeichen! Arnold, ich zweifle nicht mehr, daß Alles völlig geordnet ist, ehe Du Deine Rückreise antrittst. Ja, ich kenne meine Concordia, sie ist ein kluges, gutes Mädchen. Und wie wird sie Dir die Wirthschaft zusammenhalten, wenn sie als Frau Pastorin schalten und walten kann. Die Bauern lieben sie – es ist keine Kindtaufe und keine Hochzeit im Dorfe, zu der sie nicht geladen wird. Glaube mir, Arnold. Du bekommst eine wackere, tüchtige Hausfrau, und Cordchen – ich hege die feste Ueberzeugung – bekommt einen wackern, tüchtigen Mann.“

Während der Vater seinem Neffen die Glückseligkeit einer Landpfarrerehe pries und in freudiger Erinnerung mit beredter Zunge seine eigene Heirathsgeschichte erzählte, war die Tochter zu der Mutter in das Zimmer getreten.

„Mütterchen,“ sagte sie mit erkünstelter Traurigkeit, „es geht wahrhaftig nicht!“

„Was?“ fragte verwundert die Frau Pastorin, eine herzensgute alte Dame, die an Concordia mit jener übergroßen Zärtlichkeit hing, welche die Mütter dem einzigen Kinde zu zollen pflegen, vorzüglich wenn dieses Kind eine Tochter ist. „Was geht denn nicht, liebes Cordchen?“

„Daß ich den Vetter aus der Residenz heirathe.“

„Mißfällt er Dir denn?“

[607] „Er mag ein guter und gelehrter Mensch, ein ausgezeichneter Prediger und alles sein, was Vater an ihm mit so großer Vorliebe rühmt – aber er ist doch ein wenig zu häßlich!“

„Concordia!“ rief mahnend die Mutter.

„Ich weiß es, Mütterchen, der arme Vetter hat sich sein Gesicht nicht gemacht, er ist unschuldig daran, und ich beklage ihn, daß ihn ein solches Mißgeschick betroffen hat – aber kann ich dafür, daß mir dieses bleiche, zerrissene Gesicht nicht gefallen will? Als ich ihm vorhin den Kaffee präsentirte, kam ich ihm natürlich nahe, da empfand ich einen Widerwillen, daß ich selbst in die größte Bestürzung gerieth. Der Vetter dauert mich, aber heirathen kann ich ihn nicht. Gebt nur die Hoffnung auf,“ fügte sie entschieden hinzu, „seine moralischen Vorzüge werden mich nie so begeistern, daß ich sein Gesicht darüber vergesse.“

„Aber bedenke, mein Kind, es ist der Lieblingsplan des Vaters – –“

„Der Vater wird mich nicht zwingen wollen, einen Mann zu heirathen, den ich nicht leiden kann,“ fuhr Cordchen eifrig fort. „Lieber will ich gar nicht heirathen!“

„Der arme Vetter!“ seufzte die gutmüthige Mutter. „Wie muß ihn das kränken.“

„Liebes Mütterchen, was würde der Vetter sagen, wenn er ein schönes, glattes Gesicht, und ich ein häßliches, verunstaltetes hätte, das ihm denselben Widerwillen einflößt, den ich vor ihm empfinde? Er würde für eine solche Frau schönstens danken, und sich nach einer andern umsehen, die ihm gefiele. Das würde ihm kein Mensch verargen. Es gehört nur ein wenig Gerechtigkeitsgefühl dazu, um dies einzusehen. Bekenne offen: gefällt Dir der Vetter?“

Die Frau Pastorin befand sich zwischen zwei Feuern. Der Tochter konnte, und dem Gatten durfte sie nicht Unrecht geben. Sie hatte sich zwar noch nicht darüber ausgesprochen, aber im Grunde der Seele wünschte sie der einzigen, zärtlich geliebten Tochter einen hübschern Mann. Die Achtung vor den Ansichten des würdigen Ehegemahls hatte bisher die mütterliche Eitelkeit unterdrückt. Die Frau Pastorin hielt ihr Kind für das schönste Mädchen in der ganzen Umgegend.

„Mein Gott,“ flüsterte sie, „was soll denn nun geschehen?“

Concordia trat zu ihr an das Fenster, und flüsterte:

„Das will ich Dir sagen. Ich weiß zwar, daß der Vater die Vereitelung seines Plans ungern sieht, aber daraus, daß er das Zustandekommen der Heirath von meinem Gefallen an den Vetter abhängig gemacht hat, läßt sich schließen, daß er zu meinem Nachtheile nicht hartnäckig darauf beharren wird. So lange der Vetter hier ist, darf er meine Meinung nicht erfahren, aber auch dem Vater muß sie verschwiegen bleiben, damit er dem Vetter keine Eröffnungen macht, der nur dann erst das ihm zugedachte Glück erfahren soll, wenn ich einwillige. Später bereiten wir den Vater nach und nach vor, und Herr Arnold Vließ hat von dem ganzen Handel nichts erfahren.“

Der Mutter leuchtete zwar der Plan Concordia’s ein, aber sie konnte sich der Bemerkung nicht enthalten: „Es ist traurig, daß er Dir nicht gefällt. Ich hätte ihm wohl gewünscht, daß er unsere Pfarre bekäme.“

„Mein Gott,“ rief Concordia, „was hindert ihn, der Nachfolger des Vaters zu werden? Muß denn gerade mein Mann hier Prediger sein.“

„Und Du?“

„Ich werde schon einen Mann finden!“ sagte das junge Mädchen, indem es sich zu einer am Fenster stehenden Rose neigte, um die flammende Röthe des Gesichts zu verbergen. „Oder glaubst Du, Mutter, daß es dazu der Pfarre bedarf?“

„Nein, nein!“

„Fast sollte ich mich darüber ärgern!“ fuhr Cordchen muthig fort. „Ich wollte, Herr Arnold wäre schon unser Prediger, damit die Leute sähen, daß der Vater ohne Rücksicht auf mich ihn versorgt. Und damit der Vater sieht, daß ich seinem Schützling dennoch geneigt bin, ohne ihn gerade zu heirathen, werde ich ihn zu bestimmen suchen, keinen andern zu seinem Nachfolger vorzuschlagen. Hat Herr Arnold diese einträgliche Pfarre, so findet er auch eine Frau, trotz seines häßlichen Gesichts. Mehr kann ich nicht für ihn thun!“

Die Frau Pastorin, gerührt von dieser Großmuth, küßte ihre Tochter, und erklärte sich mit dem Vorschlage einverstanden. Hätten sie das Gespräch der beiden Männer in der Laube gehört, sie würden den Entschluß nicht gefaßt haben, dem Kandidaten zur Erlangung der Pfarre behülflich zu sein, trotzdem aber den Heirathsplan des Vaters zu vereiteln.

„Man weiß,“ dachte die Mutter, „daß Concordia, unser einziges Kind, nicht ohne Mitgift aus dem Hause geht – ein munteres, hübsches Mädchen und wohl erzogen ist sie auch – ich wette, daß sie schon gewählt hat. Ein Theologe ist es auf keinen Fall, denn sonst würde sie ihm die Pfarre aufbewahren – nun, es braucht ja auch nicht gerade ein Prediger zu sein.“

„Ich habe die Mutter auf meiner Seite,“ dachte Concordia, „nun darf ich hoffen, den Mann zu heirathen, den ich liebe. Je eher Herr Arnold die Pfarre bekommt, je eher bekomme ich meinen Mann, denn der Vater muß bei mir und meinem Karl wohnen, das ist nöthig und abgemacht. Ist der Vater in der vorliegenden unglückseligen Heirathsgeschichte aufgeklärt, so soll Karl um meine Hand bei ihm anhalten. Hu, was wird der gute Vater für Augen machen!“

Die Ankunft eines Landmanns, der den Seelsorger zu einem Sterbenden auf das benachbarte Filialdorf rief, lenkte die Aufmerksamkeit der Bewohner des Pfarrhauses von der Familienangelegenheit ab. Man kannte den Kranken; und war bestürzt über den plötzlichen Unfall. Pastor Braun rüstete sich zur Erfüllung seiner Amtspflicht, und bald fuhr er in der Kalesche davon, die der Bote mitgebracht hatte. Arnold beurlaubte sich von den beiden Frauen, um einen Spaziergang durch das Thal zu machen, und später dem Onkel entgegenzugehen. Concordia ermahnte ihn freundlich, das Abendessen nicht zu versäumen, im Falle er den Vater verfehlen sollte. Gedankenvoll hatte Arnold das Dorf durchschritten, und nur mechanisch hatte er auf die ehrerbietigen Grüße der Landleute gedankt, die in festlicher Ruhe vor ihren Häusern saßen. Ehe er sich dessen versah, befand er sich an dem Gitter des Parks. Erschreckt blieb er stehen.

„Das habe ich nicht gewollt!“ flüsterte er vor sich hin. „Ich darf, ich will sie nicht wiedersehen, um so leichter zerstöre ich den ersten Eindruck. Wäre es nicht thöricht, eine Neigung zu hegen, die offenbar zu keinem Resultate führt? Wie kann ich, ein armer Kandidat, mit einem durch Krankheit entstellten Gesichte, daran denken, selbst nur die Aufmerksamkeit dieser reizend schönen Dame zu erregen? Das sind die gewöhnlichen Launen des Schicksals,“ fügte er mit einer Art Bitterkeit hinzu: „es zündet in mir die Liebe nach einem unerreichbaren Gegenstande. Liebt der Maler nicht sein Werk, das ihm gelungen? Liebt der Dichter nicht seine Verse, die er in der Begeisterung geschrieben? Liebt der gefühlvolle, denkende Mensch nicht die unerreichbaren Sterne an dem herrlichen Abendhimmel? So will ich jene Jungfrau lieben. Sie sei mein Gemälde, mein Gedicht, mein Stern!“

Arnold schlug einen Fußweg in das Thal ein, und das verhängnißvolle Schloß verschwand hinter den Bäumen des Parks. Wie ein Träumender erreichte er einen Steg, der über einen Bach führte. Hohe Ulmen beschatteten das Bett des rieselnden Wassers, das ihn an Vorsicht mahnte. Schon hatte er den Fuß auf das schwankende Brett gesetzt, als er jenseits zwei Damen erblickte, die im Begriffe standen, denselben Pfad zu überschreiten. Wer beschreibt seine Bestürzung, als er die Bewohnerinnen des Schlosses erkannte! Rasch trat er zurück, und zog ehrerbietig den Hut.

„Deine Hand, Cäcilie!“ sagte die Mutter, als sie sah, daß der Fremde Platz machte.

„Ist das der Steg wieder, den wir vorhin überschritten?“ fragte Cäcilien’s Engelsstimme.

„Ja, mein Kind! Vorsicht, er schwankt!“

Der verwirrte Arnold, der seiner Sinne kaum mächtig am Ufer stand, hielt es für Aengstlichkeit, daß die Tochter sich von der Mutter führen ließ. Langsam kamen die Damen heran, und ihm blieb Zeit, sein Ideal in der Nähe zu betrachten. Cäcilie trug heute ein blaues Florkleid mit weißen Spitzen. Wie reizend stand diese Farbe dem wunderbar geformten Körper! Aber noch tausendmal reizender erschien ihm das zarte, matt geröthete Gesicht unter dem großen weißen Strohhute mit dem Kranze himmelblauer Kornblumen! Die Blicke auf den schwankenden Steg gerichtet, ging sie langsam an ihm vorüber. Wie eine Bildsäule stand er da; er vergaß zu grüßen, und als er wieder zur Besinnung kam, sah er Mutter und Tochter Arm in Arm hinter einem Wiesenbusche verschwinden. Um seinen Vorsatz war es geschehen; [608] die Liebe zu der schönen Sterblichen erwachte mit doppelter Gluth, und sie anzubeten wie eine Heilige, wie einen unerreichbaren Stern, erschien ihm eben so unmöglich, als eine Erwiederung seiner heftigen Neigung. Es war dies ein Augenblick, in dem Arnold an sich selbst verzweifelte. Der Name Cäcilie erklang ihm wie eine Sphärenmusik, und so auch konnte sie nur genannt werden, die eine Meisterin der Töne war. Welch ein Contrast lag zwischen der poetischen Erscheinung Cäcilien’s, und jener der prosaischen Concordia’s, die man ihm zur Gattin bestimmt hatte. Der arme Kandidat lehnte sich auf das Geländer des Stegs und starrte in die murmelnden Wellen hinab. Tausend Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, der wie im Fieber brannte. So mußte er lange zugebracht haben, denn plötzlich redete ihn die Stimme des Onkels an, der zu Fuß auf einem Nebenwege von dem Nachbardorfe zurückkehrte.

„Ich erwartete Sie!“ sagte er verwirrt.

Der Pfarrer sah ihn lächelnd an.

„Woran dachtest Du, Arnold?“ fragte er.

„An meine Zukunft, an mein Schicksal, an die Schicksale der Menschen überhaupt, die von dem blinden Glücke nicht begünstigt sind.“

„Und was fehlt Dir, Arnold? Ist Deine Zukunft nicht gesichert?“

„Es giebt Dinge, mein bester Onkel, über die weder Reichthum, fester Wille, Herzensgüte, noch sonst eine menschliche Macht verfügen kann.“

„Zweifelst Du an einer Gegenneigung Concordia’s?“

Arnold konnte sich eines schmerzlichen Lächelns nicht erwehren.

„Ueberlassen wir es der Zeit,“ sagte er, um den guten Pastor nicht zu kränken. „Das Glück der Tochter meines Wohlthäters darf nicht von Entschlüssen abhängig gemacht werden, die der Augenblick geboren hat.“

„Er hat Recht,“ dachte der Greis. „Aber mein Kind wird ihn schon lieben und achten, wenn sie ihn kennen gelernt hat.“

Man trat den Rückweg nach dem Dorfe an. Die Nachricht von dem raschen Tode des wackern Landmanns, dem der Pfarrer die letzten Tröstungen der Religion ertheilt hatte, erregte in dem Pfarrhause eine trübe Stimmung. Mutter und Tochter weinten, während der Pfarrer seinem einsilbigen Neffen die Vorzüge des Gestorbenen schilderte und ihn als einen Mann bezeichnete, der seinem Herzen nahe stehe. Dieser Umstand lenkte die Aufmerksamkeit von der Familienangelegenheit ab, und während der Onkel die Grabrede studirte, bereitete der Neffe seine Abreise vor. Concordia bewies dem Gaste die schuldige Aufmerksamkeit, sie war selbst heiter und suchte ihn nach Kräften zu unterhalten. So verflossen zwei Tage. Weder von dem Schlosse noch von der Heirathsangelegenheit war ferner die Rede.

Am Morgen des Begräbnißtages trat Arnold in das Zimmer des Pfarrers.

„In einer Stunde reise ich,“ sagte er.

„Und was ist das Resultat Deines Besuchs?“

„Concordia hat mir einen Brief versprochen.“

„Und Du?“

„Ich werde nicht verfehlen, die Antwort zu senden.“

„So reise mit Gott, Arnold, und vergiß nicht, daß Dein Onkel auf Dich zählt! Aber auch Du magst auf mich zählen, was immerhin kommen möge.“

Der Greis küßte die Stirn des jungen Mannes.

Beim Abschiede zeigte sich Concordia gerührt. Der Vater hielt diese Rührung für ein Zeichen der aufkeimenden Neigung; die Mutter aber wußte, daß sie nur dem Schicksale des Vetters galt, denn Concordia – obgleich eine Pfarrerstochter, so war sie doch eitel – Concordia glaubte sich von dem Kandidaten geliebt und deutete in diesem Sinne sein stilles, verschlossenes Wesen.

„Er bekommt die Pfarre!“ rief sie der Mutter zu, als Arnold den Wagen bestieg, der ihn zu der nächsten Posthalterei bringen sollte.

Der Kandidat grüßte noch einmal, und der Wagen fuhr davon. Arnold hielt es für ein Glück, daß der Weg nicht an dem Schlosse vorbeiführte, aber trotzdem sah er unverwandten Blicks nach der Gegend, in der es lag. Eine magnetische Kraft hielt sein Auge an diesen Punkt gefesselt. Plötzlich fuhr der Wagen über eine Anhöhe, und der Kandidat übersah das ganze Thal. Da lag das romantische Schloß mit seinen Thürmchen, da ragte das in der Morgensonne schimmernde Schieferdach über die Baumwipfel empor, dasselbe Dach, das den Gegenstand seiner Anbetung barg. Wie arm, wie verlassen dünkte er sich, als der kahle Hügel ihm plötzlich die Aussicht versperrte. Ihm war, als ob er zu einem freudenlosen, elenden Leben verdammt sei, als ob sein ganzes Glück in dem Thale zurückbleibe. Wohl schalt er sich einen Thoren, lächelte er über seine Schwachheit; aber weder die Zerstreuungen der Reise noch der Verstand konnten eine Aenderung seiner Gemüthsstimmung herbeiführen. Nach zwei Tagen erreichte er die Residenz. Eifrig gab er sich der mühseligen Beschäftigung des Unterrichtertheilens bin, er suchte, aber er fand keine Heilung von den geheimen Qualen seines Herzens. So überließ er sich mit ganzer Seele dem Entzücken der rührendsten, tiefsten Leidenschaft, einer rein bewundernden Liebe. Die Erinnerung an Cäcilie hatte für ihn etwas unaussprechlich Heiliges, Geweihtes, er sah mehr als das Weib in ihr, sie war ein ideales Wesen, zu dem er betete.

(Fortsetzung folgt.)




Die deutsche Weihnachtsfeier.
Weihnachten, ein heidnisches Fest. – Heidnische Festgebräuche. – Knecht Ruprecht, der Pelzmärte, der Wauwau, Nicolaus und der Schimmelreiter. – Die Mirakel der Weihnachtstage. – Die Jerichorose und anderer Aberglaube. – Was man Weihnachten essen und thun muß, um reich und glücklich zu werden. – Der heilige Dreikönigstag.

 „O Tonabaum! o Tonabaum!
 Du bist a edles Reis!
 Du grunest in dem Winter
 Os wie zu Summerzeit.“
  Volkslied des Kuhländchens.

Zu den Dingen, die der Reisende, welcher Deutschlands Grenzen verläßt, und der Verbannte, der sie fliehen muß, am Schmerzlichsten zu vermissen pflegt, gehört vor Allem die Feier des Weihnachtsfestes. Sie ist eines der anmuthigsten Zeugnisse für das Kleinod unsrer Nation, das sie an ihrer Gemüthlichkeit hat, und mit Wehmuth und Heimweh blickt der Deutsche in der Fremde auf die dunkelbleibenden oder nur matterleuchteten Fenster, die ihn umgeben. Fragen wir uns, wie es kommt, daß das Fest nur von uns in dieser Weise begangen wird, daß Engländer und Amerikaner, Russen und Italiener, und selbst die lebensfrohen Franzosen nichts von den Freuden wissen, die es uns bringt, so giebt die Wissenschaft darauf eine Antwort, die Manchen Wunder nehmen wird. Diese Antwort nämlich lautet: Die deutsche Weihnacht mit ihren weithinstrahlenden Lichterbäumen, ihrem Flittergold, ihren Gaben und ihren seltsamen Gebäcken entstammt derselben Quelle, aus welcher die Osterfeuer und die Johanniskronen, die Maikönige und die Kirmsen und die eigenthümlichsten von den Gebräuchen hervorgegangen sind, mit denen unser Landvolk sich in der Fasten- und Adventszeit vergnügt, d. h. sie ist ein Rest des Heidenthums unsrer Urväter, und der Jubel, der in ihr durch alle Schichten der Nation geht, ist ein Nachhall des erhabensten und heiligsten ihrer Feste. Darauf deutet zunächst schon der Umstand, daß die deutsche Weihnacht, d. h. die Aufstellung der grünen Tanne und die Bescheerung, wie ihr Name schon sagt, des Nachts gefeiert wird; denn alle Feste der alten Germanen scheinen nächtliche gewesen zu sein.

Mit Bestimmtheit wissen wir, daß unsre Vorväter in der Zeit des Mittwinters, gerade so wie im Mittsommer ein großes Fest feierten, welches – vielleicht nach der Zahl ihrer Götter – zwölf Nächte dauerte und seinen Ursprung in der Periode hatte, wo die Naturmächte als segnende Gewalten und namentlich die

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Belagerungsplan von Sebastopol
1. Fort Alexander. 2. Batterie Sebastopol. 3. Quarantaine-Fort. 4. Wabasoff-Thurm. 5. Fort Constantin. 6. Südliches Fort. 7. Südlicher Thurm. 8. Oestlicher Thurm. 9. Redouten. 10. Leuchtthürme. 11. Batterien. 12. Fort Katharina. 13. Citadelle. 14. Telegraph. 15. Fort Paul. 16. Fort Nicolaus. 17. Russische Flotte. 18. Versenkte russische Schiffe. A. Franzöische Batterien. B. Türkische Batterien. C. Französische Truppen und Lager. D. Türkische Batterien und Lager. E. Englische Batterien. F. Englische Truppen und Lager. G. Englische und französische Schiffe. H. Balaklava. J. Hauptquartier. a. Alliierte Flotte.

[610] Sonne göttlich verehrt wurden. Man scheint dabei die Vorstellung gehegt zu haben, daß die Sonne, welche gegen das Ende des Decembers am Tiefsten steht, sich alsdann verjünge, daß sie gleichsam neugeboren werde. Man hieß das Fest deshalb die „Mutternacht“ (Modrenath) oder, weil man sich die Sonne unter dem Bilde eines Rades vorstellte, das „Radfest“ (Jul, ein Wort, das noch jetzt im friesischen Dialekte ein Rad bedeutet). Bei diesem Feste zogen die Götter, anfänglich hocherhaben in den Lüften, später wahrscheinlich, durch verkleidete Menschen dargestellt, durch das Land, um die Wintersaat zu segnen und die Opfer ihrer Verehrer entgegenzunehmen. Die ganze Welt war mit ihrer wunderbaren Kraft erfüllt. Das Wasser sowohl wie das Feuer hatte in dieser Zeit eine besondere Weihe. Nirgends gelang Zauber und Erforschung der Zukunft so gut als in den heiligen zwölf Nächten des Jul. Von der Art und Reihenfolge der ursprünglichen Festgebräuche ist wenig bekannt. Als ausgemacht dürfte nur anzunehmen sein, daß Tannenbäume mit Lichtern besteckt, ein Symbol einerseits des auch im Winter grünenden Naturlebens, andrerseits des auch in der Nacht nicht erstorbenen Lichtes schon damals eine bedeutende Rolle spielten, daß Opferschmäuse stattfanden, bei denen vorzüglich Pferde und Eber geschlachtet und zu Ehren der obersten Gottheiten Becher geleert wurden, daß während des Jul keine Arbeit gethan werden durfte, und daß im Verlaufe desselben Aufzüge zu Pferde mit Reigentänzen, Wettkämpfen, die den Sieg der Sonne über die als Riesen vorgestellten Mächte des Winters versinnbildeten, und andern religiösen Ceremonien, wie sie auch beim Frühlings- und Mittsommerfeste üblich waren, abwechselten.

Von allen diesen Gebräuchen des Naturdienstes der Urzeit haben sich zahlreiche Spuren erhalten, ja sie eben sind es, in denen die Eigenthümlichkeit der deutschen Weihnachtsfeier besteht.

Das Christenthum vermochte das Heidenthum nur zu besiegen, nicht zu vertilgen. Es hat seine Götter in Gespenster, seine frommen Bräuche in Possen verwandelt. Immer aber brach der altheidnische Jubel, als ob er dem Volke im Blute läge, durch die Freude über das Geburtsfest des Weltheilands wieder hindurch, und so erklingt er noch heutigen Tages in seltsam geheimnißvollen Accorden, wenn man sich im Allgemeinen auch über seine eigentliche Natur nicht Rechenschaft geben kann, und wenn es auch vorzugsweise die Kinderwelt ist, welcher die Weihnachtstanne strahlt.

Ganz wie einst, als das Christenthum noch nicht in die Wälder des Nordens eingedrungen war, wird die festliche Zeit vom 25. December bis zum 6. Januar ausgedehnt; ganz wie einst nennt sie der Volksmund die „heiligen zwölf Nächte“, und ganz wie einst der Glaube läßt jetzt der Aberglaube in dieser Periode übermenschliche Wesen durch das Land wandeln. Wie einst Wodan, der Himmelsgott mit dem Sonnenauge, auf seinem weißen Rosse seine Verehrer heimsuchte, ihre Gebete und Opfer entgegennahm und ihren Saaten Gedeihen schenkte, so zieht jetzt in Sachsen der Ruprecht (dieser Name bedeutet „der Ruhmstrahlende“), in Schwaben der Pelzmärte oder Schanteklas, in Oesterreich der Wauwau, in Thüringen der Nikolaus, in der Mark der Schimmelreiter von Haus zu Haus, um mit den Kindern zu verfahren, wie einst mit den Erwachsenen. Ueberall hört er Gebete an, überall verleiht er Gaben. Hin und wieder kommt er selbst auf dem weißen Pferde (so in schwäbischen und schlesischen Strichen), ja bisweilen müssen ihm die Kleinen sogar in ihren Schuhen ein Haferopfer für seinen Schimmel vor die Kammerthür stellen (so am Niederrhein, wo die Kirche den Gott in einen heiligen Martin verwandelt hat). Seine Erscheinung beschränkt sich aber nicht blos auf die Kinderwelt. Auch Erwachsenen ist er noch sichtbar in dem wüthenden Heere, welches unzweifelhaft eine Erinnerung an den Umzug des Gottes mit den nach Walhalla aufgenommenen Helden ist, in Schwaben sogar Wuotas Heer genannt wird, wenn es recht braust, ein fruchtbares Jahr bedeutet und allenthalben vorzüglich in den Nächten der Weihnachtszeit sich vernehmen läßt. Aber auch andere Gottheiten erschienen in dieser festlichen Periode des Jahres: der Gewittergott Donar, der mit einem Gespann von Ziegenböcken fuhr, der Erntespender Froho, den ein weißer Eber begleitete, und die Gemahlin Wodan’s, welche den Flachsbau und die Spinnstuben beaufsichtigte und die verstorbenen Kinder zu sich nahm. Und siehe da, auch von diesen haben sich Erinnerungen, wenn auch dunkel und halbverwischt, im Gedächtnisse des Volks an die Weihnachtszeit geknüpft erhalten.

In verschiedenen Gegenden Deutschlands endlich geht die Sage, daß in der letzten der zwölf Nächte Frau Holle oder Perchta durch die Gefilde zieht. In der einen Landschaft sieht sie nach, ob die Rocken abgesponnen sind, in der andern beschenkt oder schreckt sie die Kinder wie Ruprecht und Nikolaus, wieder in andern schreitet sie einer Schaar von Kinderseelen voran, welche einen Pflug ziehen und – eine ungemein schöne Mythe – in Krügen die Thränen tragen, welche um sie vergossen worden sind.

Außerdem aber ist die Periode von Weihnachten bis zum großen Neujahr dem Aberglauben aller Orten die rechte Zeit für die Gespenster, die feurigen Drachen und Hunde, die weißen Frauen und den gesammten Zauber- und Teufelsspuk, mit welchem das Heidenthum in die christliche Welt hereinragt, und wer Glauben hat, kann in ihr Wunderdinge sehen und erleben. Namentlich die Mitternacht vor dem Christtage gebiert Mirakel in Menge. In ihr werden auch auf eine Minute alle Wasser zu Wein. In ihr thut die Sonne zwei Freudensprünge. In ihr unterhalten sich die Pferde in den Ställen über die Zukunft, weshalb altgläubige Bauern noch hin und wieder in der Krippe schlafen. In ihr weissagen sogar die Thiere, denen wir sonst nur für den Speck und die Schinken, die sie uns liefern, dankbar sind. In ihr kann man sich in Schwaben den Farnsamen verschaffen, der allerlei wundersame Tugenden hat, unsichtbar, bei allen Menschen beliebt und über die Maßen stark macht. Wer ihn haben will, darf vier Wochen vor Weihnachten kein Gebet verrichten und keine Kirche besuchen. Dann muß er in der Christnacht auf einen Kreuzweg treten, über den schon Leichen zum Gottesacker geführt worden sind. Hier gehen zunächst eine Menge Gespenster, verstorbene Verwandte, Kobolde, Hunde mit feurigen Augen, Hähne, die ein ganzes Fuder Heu ziehen und anderer Spuk an ihm vorbei, und suchen ihn zum Reden oder Lachen zu verlocken. Gelingt ihnen dies, so wird der Betreffende sofort von ihnen zerrissen. Besteht derselbe aber diese Proben, so erscheint zuletzt der Teufel in der Kleidung eines Jägers und schenkt ihm eine Düte, gefüllt mit dem köstlichen Samen, der einst einen Tagelöhner in Rotenburg befähigte, im Walde 500 Büschel Holz täglich zu machen, und mit dessen Besitz ein Webergesell ebendaselbst wöchentlich 100 Ellen Leinwand fertigte, obwohl er nur Sonnabends arbeitete.

Andrer Aberglaube wird mit der sogenannten Jerichorose getrieben, die aus den Fußtritten Maria’s hervorgesproßt sein soll, als sie während ihrer Schwangerschaft auf’s Gebirge ging, um Elisabeth zu besuchen – eine Legende, die ohne Zweifel aus einer Mythe von der altgermanischen Erden- und Göttermutter entstanden ist. Die abgestorbene Pflanze, woran die Stengel mit den Aesten ganz zusammendorren, bewahrt noch die Schötchen und kleinen Blumen. Eine solche vertrocknete Jerichorose hat nun nach schwäbischem Aberglauben die Eigenschaft, daß sie nur an zwei Tagen im Jahre wieder zum Blühen gebracht werden kann, in der Christ- und in der Neujahrsnacht. Man stellt sie dann in geweihtes Wasser, worauf die versammelten Freunde so lange beten, bis die Pflanze sich ausdehnt und die Rose blüht. Sie sieht dann, vor’s Licht gehalten, roth wie Granaten aus, und man weissagt aus der Gestalt, welche die Blume angenommen hat, welche Art von den Feldfrüchten im nächsten Jahre besonders gerathen wird. Dehnen sich alle zusammengeschlungenen Aestchen wieder aus, so steht ein besonders fruchtbares Jahr zu erwarten. Soll es ein gutes Weinjahr werden, so hört man in Tübingen in der Christnacht ein Klopfen in der Kelter. Spinnt in Derendingen eine Frau ihren Flachs vor Weihnachten nicht rein vom Rocken, so fault ihr der kleine Finger ab. Will Jemand im schwäbischen Dorfe Grantschen wissen, welche von den Weibern in der Gemeinde Hexen sind, so nimmt er einen durchlöcherten Pfahl und schnitzt aus demselben einen Rührlöffel. An demselben muß in den drei dem Weihnachtsfeste zunächst vorhergehenden Donnerstagsnächten geschnitzt werden, welche „Knöpflinsnächte“ heißen. Zugleich muß man an jedem dieser drei Abende mit jenem Löffel den Mehlbrei zu „Knöpflen“, d. h. einer Art kleinen Klößen anrühren, darf den Löffel aber nicht abspülen, so daß von allen drei Malen etwas Teig hängen bleibt. Mit einem solchen Löffel geht man schließlich am Christtage in die Kirche und blickt durch das Loch in demselben, so sieht man die Hexen. Sie kehren dem Prediger den Rücken zu und haben jede einen Melkkübel auf dem Kopfe. Wer sie aber erkannt hat, muß, ehe der Geistliche Amen gesagt hat, aus der Kirche und wieder zu Hause sein, sonst zerreißen ihn die Unholdinnen.

[611] Wenden wir uns nun zu der Art, in welcher das Fest gefeiert wurde, so ist der Umzug in Götter verkleideter Menschen, dessen Reste wir in dem Ruprecht, dem Märten und Nicolaus, dem Klapperbock und der Habergais erblickten, schon erwähnt. Ein noch bedeutsamerer Zug aber war die grüne Tanne, die man mit Lichtern besteckte und mit den Köpfen der geschlachteten Opfer behing. Sie mag ein Symbol des ewig grünenden Baumes gewesen sein, als den unsre Vater sich die Welt vorstellten, dessen Zweige sie in der Milchstraße sahen, und dessen Früchte ihnen die Sterne gewesen sein mögen. Dieser heilige Weltbaum kommt auch in den Trümmern anderer deutsch-heidnischer Festlichkeiten vor.

In den Gegenden, wo man wie in Steiermark keine Weihnachtstanne im Zimmer anzündet, stellt man sie wenigstens vor das Haus, und die Maien, die man am ersten Tage des Maimonats oder zu Pfingsten vor die Bauernhäuser pflanzt, versinnlichen dieselbe Idee der nie ganz ersterbenden, immer treibenden, im Winter nur in sich zurückgezogenen, im Frühling lustig aufgrünenden Lebenskraft der Natur, ja in Geldern besteckt man diese Maibäume ganz wie bei uns die Weihnachtstanne mit Kerzen.

In gleicher Weise haben sich von den einst üblichen Opferschmäusen des Julfestes Spuren erhalten. Eine Hauptrolle spielten dabei die Schweine. Der Juleber wurde geschlachtet, Pferdeopfer fanden statt, und man buk Kuchen in Form von Ebern, Rossen und Rädern. Das Opferschwein wurde noch vor zweihundert Jahren am Rheine von manchen Dorfschaften gemeinschaftlich aufgefüttert, und das Thier für unverletzlich gehalten. In alter Zeit dem Froho geweiht, wurden sie später von der Kirche dem heiligen Antonius als Attribut beigegeben, und in verschiedenen alten Dörfern, z. B. in Herkenrath bei Bensberg. (welches seinen Namen von der Erdgöttin Herke hat) besteht noch heute der Gebrauch, daß am Antoninstage Schweinefleisch auf dem Altare geopfert wird. Gewöhnlich sind es geräucherte Rückenstücke und noch häufiger Köpfe, die dann nach dem Gottesdienste vom Pfarrer an die Armen vertheilt werden. Daß man vorzugsweise Schweinsköpfe als Opfer darbringt, mag jetzt allerdings der Sparsamkeit des Schenkenden zusagen, im Heidenthume aber war es Sitte, den Kopf als den edelsten Theil des Thierleibes der Gottheit zu widmen. Andere Erinnerungen an den Juleber sind der Gebrauch, nach welchem man in der Ukermark zu Weihnachten grünen Kohl mit Schweinskopf zu essen pflegt, nach welchem man ferner in England beim Weihnachtsschmause einen mit Lorbeer und Rosmarin angeputzten Eberkopf als Hauptgericht auf die Tafel stellt, und nach welchem man endlich in Oxford zum Christfeste einen solchen Kopf feierlich umherträgt und dazu singt:

„Caput apri defero
Reddens laudes domino,“

d. h.: „Ein Ebernhaupt trag’ ich umher und lobe Gott den Herrn,“ einen deutlichen Hinweis auf einen alten Opfergesang zu Ehren des Gottes, dem der Eber heilig war. Als Nachklang der Pferdeopfer sind die Rößchen und Reiter anzusehen, welche in verschiedenen deutschen Landschaften in der Weihnachtszeit als Honigkuchenteig gebacken werden, wobei nachzuholen ist, daß man in Schweden den Weihnachtsgebäcken gern die Gestalt eines Ebers giebt. Der Genuß der Roßfleisches wurde von der Kirche als heidnische Sitte streng untersagt. Das Volk gehorchte, behielt aber wenigstens die Form des einst heiligen Thieres bei. An die Kuchen in der Gestalt des Sonnenrades endlich erinnern unsre Bretzeln, deren Zeit zu Weihnachten beginnt, die ostfriesischen Nüjarskaukches, die rheinischen Neujährchen und die Neujahrringe, die man sich im badischen Unterlande zum Sylvesterabend schenkt. Außerdem aber hat fast jede Gegend in den zwölf Nächten ihre gewissen Speisen, an die sich die abergläubische Erwartung knüpft, daß ihr Genuß Segen bringe oder daß die Unterlassung dieses Genusses von den Gespenstern, in welche die Götter sich allmälig verwandelt haben, gestraft werde. In Leipzig muß am Christabend Häringssalat gegessen werden, weil das Glück bringt, in Dresden am Neujahrstage Hirse, weil dann das Jahr über das Geld nicht ausgeht. In Schwaben müssen am genannten Tage gelbe Rüben, in Steiermark Karpfen und Honigstrudel, bei Liegnitz und Hirschberg „schlesisches Himmelreich“, in der Lausitz Karpfen mit Hefenklößen, in Mähren Mohnknödel auf den Tisch kommen, und wehe dem saalfeldischen Bauer, der am Sylvesterabend nicht Klöße mit Häring gegessen hat; denn dann erscheint in der Nacht die Perchta, schneidet ihm den Leib auf, füllt Häckerling hinein und näht die Wunde mit Pflugschaar und Wagenkette wieder zu. Es sind dies alles Opferspeisen, und ein Theil davon mußte den Göttern hingestellt werden. Dies geschieht an manchen Orten noch jetzt. Ein Beispiel davon ist die oberkärnthnerische Sitte, am Dreikönigsabende (der einst der Perchta, Wodan’s Gemahlin, heilig war) Brot und gefüllte Nudeln auf dem Küchentische stehen zu lassen, damit die „Perchtel“, wenn sie durch’s Haus geht, davon koste. Dasselbe war früher in Steiermark Gebrauch, und in Schlesien bleibt während der Christnacht der Tisch gedeckt, damit die Engel (einst die Götter) sich von den Speisen nehmen können.

Auch von den Tänzen, die beim Jubelfeste zu Ehren der Götter aufgeführt wurden, haben wir noch ein Ueberbleibsel, das sogenannte Perchtenspringen, eine Sitte, die durch alle Thäler der Alpen geht, wo Deutsche wohnen. Sie besteht darin, daß in den zwölf Nächten die jungen Bursche der dortigen Dörfer, häufig mehrere Hundert stark, unter Kuhglockenschall und Peitschenknall in eigenthümlicher Vermummung von Haus zu Haus, von Ort zu Ort ziehen, jauchzen und kreischen und sich an allerhand grotesken Sprüngen und Verrenkungen belustigen. In einigen Strichen Schwabens kommt der Gebrauch gleichfalls vor, wiewohl ohne jenen Namen. So viel die Dorfbuben sich Kuhschellen verschaffen können, reihen sie auf eine Schnur und hängen sie über die Brust. Hiermit klingelnd und rasselnd hüpfen sie den ganzen Tag im Orte umher. In manchen Gegenden mischt sich der Nikolaus unter sie und theilt Aepfel und Nüsse aus. Die Erklärung, das Läuten mit Kuhglocken solle an den Viehstall erinnern, in welchem Christus geboren worden, ist nur ein Versuch der Geistlichkeit, diesen Rest heidnischen Brauchs dem Christenthume einzuverleiben, und schon durch den Namen wird es mehr als wahrscheinlich, daß wir in diesem Perchtenspringen den in eine Posse verwandelten Reigen vor uns haben, welcher in der letzten Nacht des Julfestes der Gemahlin des Himmelsgottes zu Ehren aufgeführt wurde.

Zum Schlusse unserer Herausbeschwörung des halbversunkenen Mittwinterfestes unserer Väter mag noch eine kleine Sammlung bunt durch einander stehender Züge des Aberglaubens der zwölf Nächte einen Platz finden. Am zweiten Weihnachtsfeiertage reitet man in Schwaben die Pferde aus, indem dies vor Hexerei schützen soll. Der dritte Tag erinnert mit der Sitte rheinischer und schwäbischer Katholiken, sich in der Kirche vom Pfarrer ein Maß Wein weihen zu lassen (die sogenannte Johanniswiene oder der Johannissegen), das hernach zu Hause getrunken wird, an den einstigen Trunk zu Ehren Wodan’s. In Schwaben darf in den zwölf Nächten nicht gesponnen werden. Ist in Obersteiermark die Stube des Bauern am Christabend nicht gebührlich gefegt und gesäubert, so kommt die Perchtel, schneidet den trägen Mägden den Bauch auf und stopft den Kehricht hinein, weshalb sie einen Besen und, damit der Schnitt wieder zugenäht werden kann, Nadel und Scheere bei sich hat. Im Saterlande (einer oldenburgischen Landschaft) wird zu Neujahr guten Freunden oder geliebten Mädchen die Wepelrot (d. h. das Weifenrad) durch’s Fenster in die Stube geworfen. Dieselbe ist ein Rad aus Weidenruthen, dessen Nabe ein Goldblech schmückt, und dessen Speichen über die Felgen hinausragen und an den Enden mit Aepfeln besteckt sind. Der Werfende entflieht sofort nach dieser eigenthümlichen Huldigung. Wer sich in Schwaben in der Sylvesternacht auf einen Kreuzweg stellt, der sieht den Himmel offen und erfährt, was sich das Jahr über zutragen wird. Was man in derselben träumt, das trifft ein. Bäckt man in derselben Nacht so viele Kuchen als Leute im Hause sind, giebt jeden Kuchen den Namen eines Hausbewohners und drückt in alle ein Loch mit dem Finger, so wird das Loch dessen, der im Laufe des Jahres sterben soll, beim Backen zugehen. Sonnenschein am Neujahrstage bedeutet, daß das beginnende Jahr hindurch Ueberfluß an Fischen sein wird. Am Niederrhein herrschte noch vor einigen Jahrzehnten die Sitte, daß die Weiber sich am 1. Januar unter den zwölf Aposteln (in der Urzeit unter den zwölf obersten Göttern) einen Patron wählten, dem sie das Jahr über ihre besondere Andacht zuwendeten. Zwölf Birkenstäbchen (einst Runen) wurden mit den Namen der Apostel bezeichnet und darnach die Loose gezogen. Als einst eine Frau den Judas bekommen, warf sie das Loos weg. Da erschien ihr der Verschmähte in der nächsten Nacht und schlug sie, daß sie des Todes verblich. Wollen die Mädchen im Cölnischen den Stand ihres Zukünftigen wissen, so gießen sie in der Sylvesternacht geschmolzenes Blei [612] durch einen Schlüsselkamm in eine Schüssel mit Wasser. Dann bildet sich das Handwerksgeräth des künftigen Bräutigams. Das Bild desselben aber kann die Wißbegierige sehen, wenn sie am 8. Januar bei Sonnenaufgang in den Brunnen blickt. Am 5. Januar erblickt der, welcher am Niederrheine ein Kreuzstettmännchen (eine kleine Kupfermünze) bei sich trägt, alle Hexen und Gespenster.

Der Schluß des Festes der zwölf Nächte bildete, wie bemerkt, der heutige Dreikönigstag, der, wie ebenfalls bereits erwähnt wurde, in mehreren Gegenden vorzüglich Wodan’s Gemahlin, Gerke, Holle, Frick oder Perchta geweiht war und in Oberösterreich noch jetzt der Perchtentag heißt. In andern Strichen galt er allen Göttern, und dieselben hielten an ihm einen großen Umzug. Dieser letztere ist durch das Christenthum in den Umzug der drei Könige aus dem Morgenland verwandelt worden, welche in den meisten Gegenden Nord- wie Süddeutschlands mit ihrem Sterne noch jetzt umherziehen. Die Anfangsbuchstaben der drei Könige mit Kreide über die Stallthüre geschrieben, hält die Hexen vom Viehe fern. In der Dreikönigsnacht ein Knochen mit den Zähnen aufgehoben und rücklings geworfen, vertreibt Fallsucht und Bezauberung. Besonders hoch gehalten werden die zwölf Tage von Weihnachten bis zum 6. Januar auf den Höfen an der obern Wupper und an der Sieg. Hier wird während der ganzen Zeit kein eisernes Werkzeug in den Kuhstall gebracht und von Neujahr bis zum Dreikönigsfeste nichts gearbeitet, sondern geschmaust und getanzt. Diese Schmäuse nennt man Herkemal, ein Name, der deutlich an die alte Erdgöttin Herke mahnt und den anderwärts auch das Erntefest führt.

So sehen wir denn den Ursprung der deutschen Weihnacht aufgestellt. In das „Ehre sei Gott in der Höhe“ des christlichen Chors klingt aus grauer Vorzeit der Jubel des heidnischen Julfestes. Die Kerzen des Christbaums strahlen nicht blos als Mahnung an das geistige Licht, das an diesem Tage geboren sein soll, sondern auch zu Ehren des Geburtstages der Sonne, der unsern Vätern auf den Tag der Sonnenwende des Winters fiel. Die vergoldeten Aepfel und Nüsse endlich, die um den grünen Tannenbaum hängen, sind nicht blos eine Freude der Kinder, sondern zugleich eine Stellvertretung einstiger Opfer. Die Leser aber werden nach dieser Erklärung, welche das allgeliebte Fest zu einem vorwiegend heidnischen macht, unsere Weihnacht und ihren freundlich strahlenden Lichterbaum nicht weniger lieben und nicht weniger wünschen, daß der alte Ruf, mit dem Freunde sich beim Abschiede vor dem fünfundzwanzigsten December trennen, der altehrwürdige Ruf: „Fröhliche Weihnacht!“ mit dem auch wir uns heute von ihnen verabschieden, noch lange Jahrhunderte wiederhalle.




Zwei Schiffbrüche.

Ein englisches Kriegsschiff, genannt „Birkenhead,“ zieht stolz und leicht, obgleich mit einem ganzen Regiment Soldaten belastet, durch den Ocean. Die Küste Afrikas, deren Bestimmung, ist schon in Sicht und Alles freudig geschäftig, die Landung vorzubereiten. Besonders eifrig sind die verschiedenen Soldatenfrauen, sich und ihre Kinder recht schmuck zu machen, um gleich beim ersten Betreten des frischen Bodens der Wilden in ihrer Weise der englischen Flagge Siege zu verschaffen. Mitten in dieser bienensummenden, ameisenwimmelnden Geschäftigkeit bekommt Jeder plötzlich einen gewaltigen Stoß, so daß Weiber und Kinder aufschreiend durcheinander purzeln. Der Kriegdampfer erhielt seinen Todesstoß von einem tückisch unter der Oberfläche lauernden Felsen und fing an, rasch zu sinken.

„In der halben Stunde sind wir alle unter Wasser!“ sagte der Ingenieur, nachdem er die Wunde unten im Schiffe gesehen.

„Keine Rettung möglich?“ fragte der Commandeur.

„Keine. Die Boote reichen kaum für die Frauen und Kinder hin.“

„Nun denn rasch mit allen in die Boote.“

Die Boote werden losgeschnitten, die schreienden Kinder und wehklagenden Frauen gewaltsam gepackt und hinuntergetrieben, ohne daß man allen erlaubt, den letzten Kuß auf die Wange des Gatten oder Vaters zu drücken, da keine Zeit mehr dazu ist. Der Commandeur befiehlt mit kurzer, militärischer Strenge, wer die Frauen und Kinder begleiten und leiten soll. Jetzt dröhnten die Wirbel der Trommeln durch das Schiff und riefen das ganze Regiment auf Deck. In wenig Minuten standen sie Mann an Mann in Reih und Glied. Der Commandeur theilte in kurzen, ernsten Worten mit, als wär’ es ein Tagesbefehl von einem Obern, daß das Schiff nach einigen Minuten versunken sein werde, daß Jeder als Mann und Soldat sterben und einen Namen zur Ehre der englischen Nation zurücklassen müsse. Frauen und Kinder seien gerettet und in den Händen des Staates und Gottes. Das Meer, das sie als Grab aufnehme, sei ein herrlicher Kirchhof: es berge fast nur brave Engländer. „Lasset uns mit Ehren zu ihnen hinabsteigen!“ Jetzt gab er Befehl zum Laden. Mit militärischer Pünktlichkeit geschah’s. Schon bis über die Knieen im Meere, standen sie immer noch in Reih und Glied und nahmen jetzt durch eine volle Salve Abschied von der sonnigen, warmen Oberfläche des Meeres und den Frauen und Kindern auf den Booten. Schulter an Schulter, Mann an Mann, sanken sie hinunter lautlos, Jeder zu stolz, den geringsten, feigen Versuch zu machen, ob er wenigstens sich retten könne. Die Pulverdampfwolke des Abschiedsgrußes zog still in die Lüfte nach Oben, das Regiment englischer Soldaten still verschwand es in den Wogen des Oceans.

Diese große, einfache Thatsache, erst einige Monate alt, bedarf weiter keiner poetischen Lobrednerei. Sie ist noch aus den Zeitungen im frischen Andenken und läßt sich deshalb ohne Vermittelung mit einem jüngern Ereignisse von wilderem dramatischen Effekte vergleichen.

Das große amerikanische Postdampfschiff „Arctic,“ eines der vier schnelligkeitsberühmten von Collies, ging am 27. September Mittags, nur noch 40 Meilen vom Cap Race, mit mehr als 800 Menschen unter. Die Sache ist aus den Zeitungen wohl bekannt genug und am Ende auch schon wieder unter dem Kanonendonner und den Leichen von Sebastopol verschüttet und vergraben. Wir rufen die schauderhafteste aller Scenen, die wie ein unvertilgbarer dreihundertfacher Kainsstempel auf der Stirne der amerikanischen Nationalgottheit, dem Goaheadism[1], brennt, auch nur deshalb zurück, um die demoralisirende Macht dieses Götzen leibhaftig zu zeigen im Contraste zu der vorher angedeuteten Tragödie, welche die göttliche, Heldenmuth einflößende Gewalt eines scheinbar ganz wesenlosen Ideals zur erschütterndsten tragischen Geltung und Anschauung bringt.

Die Collies-Dampfer fuhren mit den Cunard’schen (denen der concurrirenden englischen Gesellschaft) seit Jahren um die Wette und es gehörte zu dem stereotypirten Stolze der Yankees, daß die Collies’ die Marktpreise der Baumwolle in Liverpool und Manchester oft Stunden früher auf die New-Yorker Börse brachten. Aber das Dampfschiff „Arabia“ der Cunard’s wußte immer noch oft genug den Ruhm der Collies zu schmälern, so daß es Letzteren besonders darauf ankam, diese Arabia zu verdunkeln. Als diese nun am 16. September Liverpool verlassen, kam es dem „Arctic,“ der am 20. folgte, ganz besonders darauf an, den berühmten Rivalen, wenn auch nur um einige Minuten, zu schlagen. Zwar waren schon öfter bei solchen Wetthetzjagden Schiffe nur um eines Haares Breite vor Zerschmetterung vorbeigesaust; aber was schadete das? Galt es doch, ein gnädiges Lächeln von Baumwollspeculanten und Sklavenzüchtern auf der New-Yorker Börse zu erwischen. Capitain Luce auf dem „Arctic“ war schon ganz überzeugt, daß er diesmal einen glänzenden Sieg erringen würde. Fragte er doch nichts nach dem Nebel an der Neufundland-Bank, sondern ließ mit krachenden Maschinen ohne Lärmsignale durch das hier fast stets nebel- und schiffbedeckte Meer hindurchwüthen. So rannte ein kleiner französischer Dampfer „Vesta“ plötzlich von dem Bette einer großen Woge herauf in den hinunter stürzenden „Arctic,“ welcher eine große, breite Wunde nahe am Kiel unten bekam, während die „Vesta“ sofort bis in ihren untersten Raum zerschmetterte und in wenig Minuten sank. Die Wunde des „Arctic,“ 5 Fuß lang und 11/2 Fuß breit, war sofort tödtlich, da sie unter der [613] Wasserlinie befindlich, sofort das Schiff füllte und von Außen angebrachte Segeltücher nicht schlossen, weil Eisensplitter von der „Vesta“ die Wunde umgaben. Nach zwei Stunden, während welcher das Schiff bis auf etwa 20 Meilen nach dem Lande gekommen war, erreichte das Wasser die Maschinenräume und verlöschte das Feuer.

Capitain Luce verliert den Kopf! Er läuft auf dem Deck hin und her, giebt unsinnige Befehle, welche von seinen 150 Schiffsdienern (aus der niedrigsten Hefe von Ireländern) verspottet werden, da diese dem Kopflosen gegenüber ihre eigenen Köpfe brauchen. Sie bemächtigen sich rücksichtslos der 5 Boote und wehren mit Colt’schen Drehpistolen die zartesten Frauen, Töchter und Kinder der vornehmsten amerikanischen Gesellschaft ab.

Von den 300 Passagieren gehörten beinahe die Hälfte reichsten d. h. vornehmsten, höchsten amerikanischen Familien an. Sie hatten Vergnügungsreisen in’s alte England gemacht und kehrten eben zurück. Unter ihnen war auch Collies selbst mit Familie, der große gefeierte Held des amerikanischen Postgoaheadism! Das Meer hatte mit seinem Ruhme und seinem Gelde eben so wenig Erbarmen als die 150 Schiffsdiener: er verschwand spurlos mit aller seiner Herrlichkeit.

Das Schiff arbeitete 4 entsetzliche Stunden an seinem Tode und war während dieser Zeit Zeuge der entsetzlichsten, brutalsten Scenen, deren man Menschen gewiß nicht leicht fähig halten wird. Unter den 420 Passagieren waren über 150 Frauen und Kinder. Unter den 120 Geretteten ist nicht ein einziges weibliches Wesen, nicht ein einziges Kind. Man denke hier an die Engländer auf Birkenhead! Die grobknochigen, athletischen Feiglinge der Schiffsbedienung warfen die zarten Wesen, Mütter mit wunderschönen lockigen Kindern auf den Armen – die ausgesuchtesten Schönheiten aus Amerika’s berühmter Flora – mit starken, Fäusten und Fußtritten zurück, wenn sie Rettungsversuche in ihre Boote machten, obgleich viele davon mehr Personen tragen konnten. Gegen Männer richtete man, wie gesagt, eben so feige Colt’sche Revolvers. Dabei entwickelten die Ireländer – trunken durch die plötzlich umgekehrten socialen Verhältnisse – als Herren einen entsetzlichen Humor, in dem sie sich mit Proviant und sonstigen Schätzen versahen und ihre Abfahrt vorbereiteten. Die Demoralisation und Bestialität des einem unmoralischen Systeme Unterworfenen trat in ganzer Entsetzlichkeit hervor, wie es sich immer zeigen wird, wenn gewaltsame Bande von Systemen, welche Humanität und des Menschen heiligste Ansprüche und Rechte einem Götzen unterwarfen – durch plötzliche Eingriffe höherer Mächte ohnmächtig und feig zusammenbrechen und reißen. Ordentliche Herrschaft und Bedienung hätten hier, wie wir es in einem Briefe aus Amerika näher aus einander gesetzt finden, alle Passagiere retten können, obgleich nicht durch Boote, denn solche Fürsorge wäre zu kostspielig gewesen und hätte vielleicht der Schnelligkeit Eintrag gethan. Aber die Zeit reichte vollkommen hin, die Bretter der Radgehäuse, Ober-Kajüten u. s. w. zu einem großen Floßwerk zusammenzuschlagen und mit Mast und Segeln zu versehen, groß genug, alle Personen aufzunehmen und dem Lande zuzuführen. Dazu gehörte freilich ein ganzer Mann, nicht ein feiger Sklave des Goaheadism, und eine ganze, einsichtige, gehorsame Bedienung.

Man kann es dem Capitain noch zum Ruhme anrechnen, daß er nicht mit seinen feigen brutalen Bestien das Schiff verließ, sondern aushielt und mit seinem Sohne im Arme – der einzige noch zurückgebliebene Offizier – unterging. Daß er aber nach seiner wunderbaren Rettung, mit Verlust seines Sohnes – in New-York wie ein Halbgott empfangen und wie das goldene Kalb der Wüste förmlich angebetet ward, läßt sich nur durch eine Art von Wahnsinn im amerikanischen Leben erklären, vielleicht aus dem Wahnsinn der Goaheadism-Abgötterei. Vielleicht betet man in ihm den tragischen Helden dieses Cultus an und will zeigen, daß er als Schuldiger an dem Tode von 300 selbst sehr reicher Personen gar nicht in Betracht komme gegen seinen Heroismus, durch Schnelligkeit sich auf der Börse Lorbeeren zu erwerben. Alle Verhältnisse betrachtet, konnte man den Schuldigen bemitleiden, verachten oder ihm auch Glück wünschen zu seiner wunderbaren Rettung, aber ihn wie einen Triumphator von Stadt zu Stadt zu empfangen und ihm in New-York das Prachtzimmer des Rathhauses anzubieten, daß er sich hineinsetze, um dort die Huldigungen der Anbeter zu empfangen, das ist ein Umstand, den der Arzt eigentlich nur in einem Irrenhause, die Menschheit aber nicht in der Hauptstadt der vereinigten Republiken Amerika’s finden sollte.

„Mir ist der Mensch oberstes Princip,“ rief G. Sand bei Gelegenheit der Rettung eines Menschenlebens, als man ihr vorwarf, daß sie bei dieser Rettung ihr – politisches Princip verleugnete. Die Amerikaner scheinen vor ihrem goldenen Kalbe im Prunkzimmer des New-Yorker Rathhauses auszurufen: „Uns sind die Baumwollenpreise, die Schnelligkeit der Marktberichte und Course oberstes Princip, denn wir vergessen ihm gegenüber mehr als 300 unserer Weiber und Kinder und reichsten Geldfürsten. Letztere sind ja blos Personen.“

Kein Zorn, keine Scham über die brutalste Scene der schauderhaftesten Menschenopfer in den Armen ihres Molochs, nein Entschluß zu sühnen, sich zu bessern, menschlich handeln zu wollen, ein blos anbetendes Entzücken über den Märtyrer, den geretteten Urheber von 300 Mordthaten, weil er litt und entlief im Dienste des obersten National-Molochs.

Capitain Luce wurde unter den schwimmenden Trümmern des gesunkenen Schiffs, mit dem Sohne im Arme, unter 300 Sinkenden und Aufkreischenden umhergeschleudert, bis ein aus dem Wasser hervorschießender Balken ihm das Kind erschlug. Jetzt rettete er sich auf ein Stück des losgebrochenen Nothgehäuses, wo noch zehn andere Personen sich über Wasser hielten. Auf diesem Stück wurden die Unglücklichen bis über die Knieen im Wasser stehend, und immer geschleudert und geschüttelt, so daß bald dieser, bald jener in die Fluthen gerissen ward, zwei Tage und zwei Nächte umhergetrieben. Ein Segelschiff, welches endlich herbeikam, fand nur noch drei Personen zu retten: Luce, den reichen Fabrikanten Allee aus New-York und einen deutschen Matrosen, Ferdinand Keyn aus Sondershausen.

Unter den Zehn war während der ersten acht Stunden eine junge, zarte Mutter mit einer zehnjährigen Tochter gewesen. Beides ungemein schwache, feine, blasse Gestalten in reichster Kleidung, die jetzt fast an den zarten, zitternden Gliedern klebt. Die Mutter versprach Tausende von Dollars, wenn man sie rette, versprach alle ihre und ihres Mannes Reichthümer, wenn man wenigstens ihr Kind dem Vater rette, versprach dem Himmel ihre und aller Ihrigen Seelen; aber nur schwach waren und blieben einzelne Griffe des Beistandes, wenn große Wogen über Alle hinwütheten, so daß Jeder mit sich zu thun hatte. Eine besonders gewaltige Woge aus Nacht und Nebel hervorschießend riß Mutter und Tochter und auch zwei Andere fort. Ihr Kreischen verhallte in der Tiefe.




Aus den Kämpfen vor Sebastopol.

Wir führen heute unsern Lesern einige der verschiedenen Kampfweisen vor, die bei den mörderischen Schlachten um Sebastopol am Meisten in Anwendung kommen, und wodurch die französischen Scharfschützen mit ihren weittragenden Büchsen zum Schrecken der Russen geworden sind.

Der Platz der Scharfschützen, Jäger zu Fuß, ist meist in den Trancheen (Laufgräben), deren Anlegung vor Sebastopol äußerst schwierig war, weil das felsige Terrain durchschnittlich nur mit zwei Ellen steiniger Erde bedeckt ist, welche im Aufwurf wenig Schutz gegen die Kugeln der Artillerie gewährte und weshalb daher meist mit Erdsäcken nachgeholfen werden mußte. Durch die Schießscharten der Trancheen unterhalten die Jäger ihr mörderisches Feuer; häufig sind es nur Löcher, groß genug für einen Mann, wo sie drin stehen, und an der angebrachten Schießscharte eifrig die Gelegenheit zum Schuß erwarten. In offener Feldschlacht sind die Jäger wieder unter den Vordersten, und kriechen mehr als

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Türkische Infanterie, einen Transport überfallend.

Das griechische Bataillon von Balaklava.

[615] daß sie gehen, auf dem Terrain herum, wo sie für den Feind fast unsichtbar ihre tödtenden Kugeln unaufhörlich in seine Reihen senden.

Französische Scharfschützen in ihren Feldschanzen.

Angriff französischer Jäger vor Sebastopol.

Unsern kriegerischen Gebilden in der heutigen Nummer fügen wir weiter eine Abbildung des griechischen Bataillons von Balaklava bei, das vielleicht unsere Leser hier zum ersten Male nennen hören. Die Entstehung dieses Bataillons geht in das vorige Jahrhundert zurück, als Rußland während seiner Kriege mit den Türken Aufruf um Aufruf an die griechische Nationalität ergehen ließ. Balaklava, schon damals von Griechen bewohnt, folgte diesem Aufruf, und fügte mit seinen Schiffen den Türken hauptsächlich zur See großen Schaden zu; später nahmen dieselben Griechen lebhaften Antheil an der Eroberung der Krim, halfen das Ende der Tartarenherrschaft nicht wenig beschleunigen, und wurden durch ihre blutige Grausamkeit der Schrecken aller ihrer Glaubensfeinde.

Als die Unterwerfung der Krim vollendet war, sann die russische Regierung darauf, den wilden griechischen Streitern eine friedlichere Aufgabe zuzuertheilen, und vereinigte sie deshalb zu einer Colonie, welche die Stadt Balaklava nebst deren Territorium zum Wohnsitz angewiesen erhielt. Das militärische Corps, das die Griechen dabei noch immer bildeten, empfing eine neue Organisation, und wurde in acht Legionen eingetheilt, welche man nach hellenischen Provinzen, als die spartanische, macedonische, epirotische etc. Legion, benannte, womit dem Stolze und den nationalen Erinnerungen der Griechen geschmeichelt werden sollte.

[616] Diese Organisation bestand bis unter Kaiser Paul I. fort. Die militairischen Reformen, mit welchen genannter Fürst sich befaßte, erstreckten sich auch auf die hellenischen Legionen. Er theilte sie unter dem Namen „griechisches Bataillon von Balaklava“ in drei Legionen ein, roth und gelb uniformirt, wie sie es heut noch sind. Der Mann bezieht jährlich 28 Rubel Sold, wofür er sich jedoch selbst equipiren muß. Die Bestimmung, daß ihr Dienst nur vier Monate im Jahre dauern soll, und sie die acht übrigen der Bebauung des Bodens widmen können, ist im Verlauf der Zeit verschiedenen Abänderungen unterlegen.

Bei den früher bisweilen die Krim noch immer durchzuckenden Gährungen that sich diese Truppe durch tapfere und treue Dienstleistungen hervor, wofür ihr die ausschließliche Ehre zu Theil wurde, die Eskorte der russischen Herrscher auf deren Reisen durch die Krim zu bilden. Später wurde das Corps mit zur Ueberwachung der Küste verwendet. Unter der Verwaltung des Fürsten Woronzoff geschah es gleichwohl, daß eine der Legionen als Besatzung in eins der kleinern kaukasischen Forts gelegt wurde, wo die Mannschaft, einem verschlagenen Feinde gegenüber, sich hervorzuthun Gelegenheit hatte. Gegenwärtig nimmt das Bataillon an den großartigen Kämpfen Theil, die um die Wälle von Sebastopol toben, und wurde auch in einem der jüngsten Berichte des Fürsten Mentschikoff seiner Tapferkeit wegen mit großem Lobe erwähnt.




Blätter und Blüthen.

Löwenliebschaft. Die Paarung der Löwen und Löwinnen findet gewöhnlich zu Ende des Januars statt. Da bei dem Zahnen eine ziemliche Zahl Löwinnen stirbt, so giebt es wohl ein Drittel mehr „Herrn“ als „Damen“ und die letztern sind sehr gesucht. Nicht selten wird in der Zeit des Werbens eine Schöne von drei oder vier Courmachern begleitet, welche ihr auf Tritt und Schritt folgen und fortwährend einander in den Haaren liegen, bis ihr die Sache langweilig wird und, im Aerger darüber, daß die Galane sich unter einander um ihretwillen nicht umbringen, mit ihnen zu einem großen alten Löwen wandert, dessen Kraft sie schätzen lernte, als sie ihn brüllen hörte. Die Liebhaber folgen ihr keck bis zu dem bevorzugten Nebenbuhler. Von langen Verhandlungen ist nie die Rede und das Resultat solcher Begegnungen zu jeder Zeit sicher.

Der alte Löwe, der von den drei kecken Unerfahrenen angefallen wird, empfängt sie ohne sich zu rühren; mit dem ersten gewaltigen Bisse erwürgt er den Einen, mit dem zweiten zermalmt er dem Andern ein Bein und der Dritte kann froh sein, wenn er mit einem Auge davon kommt und das andere an der Klaue des Siegers zurückläßt.

Ist das Feld rein, so schüttelt das edle Thier die Mähne, die zum Theil wohl davon fliegt, dann streckt er sich demüthig bei der Löwin aus, die ihm, als erstes Pfand ihrer Zuneigung, mit schmeichelnden Blicken die Wunden leckt, die er im Kampfe um sie erhalten hat.

Treffen unter solchen Umständen zwei völlig ausgewachsene Löwen auf einander, so geht es anders zu. Ein Araber erzählte von dem Kampfe zweier solcher Löwenrivale, den er unfreiwillig mit angesehen. Er befand sich in einer schönen Mondscheinnacht auf dem Anstande auf Hirsche und war der größern Sicherheit wegen auf eine Eiche gestiegen, die mitten auf einer lichten Stelle im Walde, nahe an einem Fußpfade, stand. Gegen Mitternacht sah er eine Löwin mit einem Löwen ankommen, der bereits die vollständige Mähne hatte. Die Löwin verließ den Fußpfad und legte sich unter der Eiche nieder. Der Löwe blieb auf dem Wege stehen und schien zu horchen. Bald ließ sich in weiter Ferne ein Brüllen hören und sogleich antwortete die Löwin darauf. Der Löwe aber, ihr Begleiter, brüllte so gewaltig, daß der Jäger auf der Eiche vor Entsetzen sein Gewehr fallen ließ und sich an die Aeste anklammern mußte, um nicht selbst herunter zu fallen.

Je näher der Löwe, der sich zuerst und in der Ferne hatte hören lassen, zu kommen schien, um so eifriger antwortete die daliegende Löwin, während ihr Liebhaber wüthend hin und her lief, als wolle er sagen: „schon gut; er mag nur kommen; er wird sehen wie ich ihn empfange.“

Nach etwa einer Stunde erschien ein schwarzer Löwe am Ende der Lichtung. Die Löwin erhob sich sofort um ihm entgegenzugehen, ihr Begleiter errieth diese ihre Absicht, jagte an ihr vorüber und stürzte sich auf den ihn bereits erwartenden schwarzen Nebenbuhler.

Sie sprangen auf einander und stürzten gleichzeitig nieder. Der Kampf währte lange und war grauenhaft für den unfreiwilligen Zuschauer. Während die Knochen knackten unter ihren gewaltigen Zähnen, rissen sie einander zugleich mit den Klauen den Leib auf und das Brüllen dabei, bald dumpf bald laut, verrieth ihre Wuth und ihre Schmerzen.

Gleich im Beginne den Kampfes hatte sich die Löwin auf den Bauch gelegt, um zuzusehen und so lange er dauerte gab sie durch Wedeln mit dem Schweife zu erkennen, wie sehr sich ihre Eitelkeit geschmeichelt fühlte, daß zwei solcher Löwen um ihretwillen sich umbrächten.

Als der Kampf vorüber war, ging sie langsam und vorsichtig zu den beiden Todten, um sie zu beriechen, dann wanderte sie stolz hinweg, ohne die Gefallenen eines Blickes zu würdigen.

So treu sind sie Alle und vorzugsweise scheinen sie sich gern einen vollerwachsenen starken Löwen auszusuchen, der sie von den zudringlichen jüngern befreit, deren fortwährende erfolglose Kämpfe sie langweilen. Sobald aber ein noch stärkerer erscheint, ist er stets willkommen.

Einen bessern Charakter hat Er, der Löwe, der die einmal erwählte Gefährtin nie verläßt und eine Liebe, eine Fürsorge und Aufmerksamkeit gegen sie zeigt, die eines bessern Looses würdig wären.

Sobald das Löwenpaar den gewöhnlichen Aufenthalt verläßt, geht die Löwin stets voraus; beliebt es ihr stehen zu bleiben, so folgt der Löwe ihrem Beispiele. Kommen sie in die Nähe einer Heerde, wo sie ihr Abendmahl suchen wollen, so legt die Löwin sich gemächlich nieder, während der Löwe muthig vordringt und das Beste, was er erlangen konnte, zu ihr bringt. Er sieht dann mit schmunzelndem Behagen zu, wie sie es sich schmecken läßt, während er wachsam besorgt ist, daß dabei nichts sie störe oder beunruhige. Erst wenn sie sich gesättiget hat, denkt er auch daran seinen Hunger zu stillen. Kurz sowohl in der „Zeit der jungen Liebe,“ als in der ernsten Ehe behandelt er sie mit aller erdenklichen Aufmerksamkeit.

Fühlt die Löwin, daß ihre Zeit gekommen ist (zu Ende des Decembers), so sucht sie eine schwer zugängliche Schlucht, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Es sind meist zwei, ein männliches und ein weibliches, oft nur eins, sehr selten drei. In den ersten Tagen nach der Geburt weicht die Mutter keinen Augenblick von den Jungen und der Vater muß für ihre Bedürfnisse sorgen. Erst nach drei Monaten, nach dem Zahnen, dem, wie schon gesagt, viele Löwinnen erliegen, entwöhnt sie die Mutter, indem sie sich täglich einige Stunden von ihnen entfernt und ihnen sorgsam klein zerrissenes Schaffleisch giebt.

Der Löwe, der erwachsen sehr ernst wird, bleibt sehr ungern oder gar nicht bei seinen Jungen, die ihn durch ihr Spielen belästigen. Um in ungestörter Ruhe zu bleiben, sucht er sich einen besondern Aufenthalt, doch stets in der Nähe, um im Nothfalle zum Schutze der Seinigen herbeikommen zu können.




„Des Weines Hofstaat“, Gedicht von Maròes, für Männerstimmen componirt von Julius Rietz, Op. 22. Solchen Spaß lassen wir uns gefallen! Ein Gedicht, dessen Idee eine Apotheose des Weines, – natürlich im verklärenden Lichte der Weinlaune – dessen Verse an sich voll anregenden Klanges und Sanges sind, wurde hier mit einer Musik beschenkt, die den poesievollen Humor und die komische üppige Phantasie der Dichtung so recht frappant wiederspiegelt. Diese Musik steht gegen die gewöhnlich vorkommenden Männerchorspäße so, wie etwa Mendelssohn’s „Liebe und Wein“, oder dessen „Setze mir nicht, Du Grobian, den Krug so derb vor die Nase!“ Das sind Chöre, die wohl Jeder kennt, und nach ihnen ist zu ermessen, was der hier gezogene Vergleich zu bedeuten hat. Knapp und drall schmiegen sich Dichtung und Musik aneinander, die Solo- und Chorstimmen contrastiren ganz vortrefflich; obendrein ist Alles ohne Schwierigkeiten zu singen. Kurz und gut, wir haben hier ein Männerchorstück, dessen Erfolg selbst bei nur mittelmäßig gutem Gelingen gesichert ist. Man lasse es sich nicht entgehen, jeder Männerchor gehört so ohnehin zu „des Weines Hofstaat.“




Für das Zeitungslesende Publikum. Es ist von vielen Seiten der Wunsch ausgesprochen worden, die in letzter Nummer der Gartenlaube abgedruckte „Uebersichtskarte des Kriegsschauplatzes“ apart zu besitzen, um sie beim Zeitungslesen bei der Hand zu haben. Die Verlagshandlung ist diesem Wunsche durch Einzelabdrücke der Platte nachgekommen, die durch alle Buchhandlungen für 21/2 Ngr. zu beziehen sind. Zeitungsredaktionen, welche die Karte ihrem Blatte beizugeben gesonnen sind, stehen Auflagen von hundert und tausend Exemplaren zu billigen Preisen zu Diensten.


Erklärung.

In Folge des Aufsatzes in Nr. 41 der Gartenlaube „Die Deutschen in Australien“ gingen in jüngster Zeit dem Verfasser desselben aus verschiedenen Gegenden Deutschlands Briefe zu, worin er über einzelne Projecte in Gewerben, Handelsartikeln u. s. w. für Australien, ein spezielles Urtheil zu geben gebeten wurde.

Wenn derselbe nun auf die ersten eingegangenen Briefe willig und gern eine Antwort ertheilte, so sieht er sich jedoch durch die anderweitig ihm zugesandten Anfragen bei seiner ohnedies beschränkten Zeit genöthigt, die Herren Einsender der Briefe in Bezug auf eine allgemeine Beantwortung ihrer Fragen auf die im vorigen Monate im Magazin für Literatur in Leipzig erschienene Brochure: „Australien bis zum Jahre 1854. Eine Schilderung der dortigen Zustände. Nach eigener Anschauung beschrieben von F. Neudörfer“ zu verweisen.
F. Neudörfer. 

  1. Nur vorwärts um jeden Preis.