Die Gartenlaube (1859)/Heft 25

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1859
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 25. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Der alte Schmuggler.
Novelle von Ludwig Rosen, Verfasser des „Buchenhofes“.
(Fortsetzung.)


Winrich fuhr fort: „Ich würde den Namen hier im Hause, wo leicht die Wände Ohren haben konnten, nicht genannt haben, wenn ich nicht eben den alten Sünder hätte über den Hof gehen sehen. Marx kommt mit dem Juden zu heimlichen Zwiegesprächen zusammen; das mag wohl früher hier auf dem Wolfsgrunde gewesen sein, aber weil Sie nun hier sind, so haben sie sich einen anderen Ort suchen müssen.“

„Ihre Nachricht, Winrich, ist viel Werth,“ entgegnete Schellenberg, „sie kann vielleicht von großem Nutzen sein. Ich glaube mich nicht zu irren: Marx ist vielleicht das eigentliche Haupt der Schmugglerbande, er ist aber so klug gewesen, daß die Steuerbeamten in Eversburg, an deren Scharfsinn ich schon längst gezweifelt habe, keine Ahnung davon besitzen; er hat uns alle hinter’s Licht geführt, indem er sogar an unseren Besprechungen Theil nahm, und es ist also kein Wunder, daß wir noch nichts ausrichten konnten. Wir wollen dem Burschen das Spiel verderben!“

„Was haben wir zunächst zu thun, Herr Lieutenant?“

„Wir sprechen zu Niemand ein Wort, nicht einmal zu den Steuerbeamten; wir verdoppeln unsere Aufmerksamkeit, ohne daß es auffallen darf; die kluge Henriette setzt ihre Beobachtungen fort; ich warte ab, bis Marx uns wieder mittelbar oder unmittelbar einen Rath gibt, wir thun dann gerade das Gegentheil oder handeln sonst den Umständen gemäß. Da wir einmal wissen, wo unser Hauptfeind steckt, so müßte es schlimm sein, wenn wir ihn nicht mit seinen eigenen Waffen schlügen. Aber ist die Nachricht auch sicher, daß er mit dem Juden heimlich zusammenkommt?“

„So sicher, wie das Weltmeer! Die Henriette ist an sich klug, jetzt aber ist sie aus Aerger und – meinetwegen und meiner Pläne wegen doppelt klug; sie hat ein heimliches Gespräch des Juden mit Marx von weitem gesehen und kann darauf schwören. Sie können’s sicher glauben, Herr Lieutenant.“

„Ich glaub's auch, denn es stimmt nur zu sehr mit Allem, was ich mir jetzt in die Erinnerung zurückrufe. Also vor allen Dingen reinen Mund und die allergrößte Vorsicht!“

„Sorgen Sie nicht. Sie, ich und die Henriette wollen zusammen ein Complot bilden, das den verfluchten Schmugglern einen Stein in den Weg legen soll, der ihnen schwer genug zu überspringen sein wird.“

Am nächsten Vormittage näherte sich Winrich seinem Vorgesetzten auf eine geheimnißvolle, aber etwas bedrückte Weise und flüsterte ihm zu:

„Ich soll Ihnen ein Compliment sagen von der Henriette, und ob Sie nicht in Zeit von einer halben Stunde einen Spaziergang nach dem Waldhofe machen wollten, aber ganz allein?“

„Will sie mir etwas anvertrauen?“

„Es muß wohl so sein, aber sie thut selbst gegen mich so verschwiegen und zurückhaltend, daß ich ordentlich bedenklich geworden bin.“

Seine eigene Verlegenheit unter einem Scherze verbergend, sagte Schellenberg: „Sie sind doch nicht eifersüchtig?“

„Offenherzig gestanden, ich würde es sein, wenn Sie es nicht wären, Herr Lieutenant, aber ich habe zu Ihnen ein felsenfestes Vertrauen. Warum die Henriette es nicht durch mich abmachen kann, sehe ich freilich nicht ein.“

„Nun, ich werde gehen. Bleiben Sie so lange hier, Winrich, und sorgen Sie dafür, daß Niemand von unseren Leuten mir nachfolgt.“

Einigermaßen gespannt trat Schellenberg bald darauf seinen Weg an, mit dem Anscheine, als wolle er ein wenig umherschlendern. Er mußte sich gestehen, daß damals bei der ersten Zusammenkunft das Mädchen einen nicht geringen Eindruck auf ihn gemacht hatte, er ging daher dieser zweiten nicht ohne eine gewisse Aufregung entgegen. Vor jeder Schwäche schützte ihn freilich der Umstand, daß er die Beziehung des Mädchens zu Winrich kannte und daß Beide ihm vertrauten, aber er schrak doch ein wenig zusammen, als er an der engsten Stelle des Weges, kurz vorher, ehe sich der Blick auf den Waldhof öffnete, die weibliche Gestalt erblickte; sie saß wartend auf einem Steinblock, in derselben Kleidung, wie früher, doch in eine Art von Regenmantel gewickelt, wie sie in dortiger Gegend bei Frauenzimmern der niederen und mittleren Stände üblich war. Als sie den Herankommenden gewahrte, stand sie auf und ging ihm einen Schritt entgegen, seiner Anrede mit den Worten zuvorkommend: „Ich würde nicht so kühn und so anmaßend gewesen sein, Sie um eine Zusammenkunft zu ersuchen, wenn ich Ihnen nicht eine Angelegenheit von der allerhöchsten Wichtigkeit mitzutheilen hätte, welche auf keine andere Weise sicher und vollständig zu Ihnen gelangen konnte.“

„Was es auch sein mag,“ erwiderte Schellenberg, „so freue ich mich, daß es mir Veranlassung gab, Sie wieder zu sehen.“

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und sagte: „Es handelt sich um nichts Geringeres als um Ihr Leben.“

Mit ungläubigem Erstaunen sagte er:

„Das wäre freilich für mich die allerwichtigste Angelegenheit, aber ich kann nicht glauben, daß es Jemand gebe, der es auf das [350] Leben eines so unbedeutenden und harmlosen Menschen, wie ich bin, abgesehen haben sollte.“

„Und doch gibt es einen solchen, und zwar Ihren Hauswirth Marx.“

Schellenberg wurde ernst. „Dieser unheimliche Mensch, der sich wie ein Gespenst in meinen Weg drängt!“ murmelte er. „Ja, ich glaube wohl, daß von ihm mir Unheil drohen kann, obwohl ich nicht im Entferntesten ahne, wodurch ich seinen Haß auf mich gezogen haben mag.“

„Das weiß ich auch nicht, aber hören Sie an, was ich Ihnen zu berichten habe. So viel ich weiß, sind Sie schon in Kenntniß gesetzt, daß Marx mit dem Juden Feibes Itzig in der Nähe des Waldhofes Zusammenkünfte gehabt hat; daß er in Verbindung mit den Schmugglern stehe, habe ich schon seit einiger Zeit vermuthet und nur eine List darin vorausgesetzt, daß er Sie mit Ihren Soldaten in sein Haus nahm. Heute Morgen in der Frühe, wo ich glauben mußte, daß meine Umgebungen noch schliefen, machte ich, wie ich in solchen einsamen Stunden wohl zu thun pflege, einen Spaziergang in das Gehölz, wo in tiefster Abgeschiedenheit die Grabstätte der Bewohner des Waldhofes liegt, die zwar jetzt sehr verwildert ist, die aber für mich das Anziehende hat, daß dort eine Störung nicht zu besorgen ist. An einen Grabstein hingelehnt, wurde ich aus mancherlei Gedanken durch Schritte und Stimmen emporgeschreckt; ich erkannte Marx und den Juden Feibes Itzig, und weil mir beide Männer gleich viel Widerwillen einflößen, so beugte ich mich tief in das wilde Gebüsch, so daß sie mich nicht bemerken konnten, daß ich aber jedes Wort ihrer Unterredung verstand, da sie sich ganz in meiner Nähe auf einem alten Grabe niederließen. Der Inhalt dieses Gespräches war folgender. Sie sollen dadurch, daß ein Versuch der Schmuggelei Ihnen dem Anscheine nach verrathen wird, mit Ihren Leuten an eine Stelle gelockt werden, wo man Sie mit Uebermacht überfallen und ermorden will. Ihre Leute sollen auf eine Weise, die ich nicht recht verstehen konnte, des Gebrauches ihrer Waffen beraubt und dadurch unschädlich gemacht werden; wenn ich recht vermuthe, so will Marx das Pulver auf irgend eine Weise unbrauchbar machen. Es soll dann vor der Welt erscheinen, als seien Sie bei einem Zusammentreffen mit Schmugglern zufällig verunglückt. Der Jude bestand darauf, daß er diesmal allein den Gewinnst des Geschäftes davontrage, wofür Marx die Genugthuung der befriedigten Rache habe. Das sind meine Nachrichten, Herr Lieutenant, und leider kenne ich den wilden und grausamen Sinn meiner Umgebungen nur zu gut, um nicht von der ganzen Größe der Ihnen drohenden Gefahr überzeugt zu sein.“ Schellenberg hatte mit größter Spannung zugehört und sagte nun herzlich: „Gewiß ist die Gefahr drohend und ich möchte ihr leicht erlegen sein, wenn nicht in Ihnen ein freundlicher Engel über meine Sicherheit gewacht hätte; jetzt, wo ich die Gefahr kenne, hat sie ihr Bedrohliches verloren. Aber wie werde ich Ihnen meinen Dank abstatten können? Zwar werde ich Alles thun, was in meinen Kräften steht, um zur Sicherung Ihrer Zukunft Einiges beizutragen, aber das sagt nichts, das hätte ich auch sonst gethan, mein dankbares Herz wird sich dadurch nicht erleichtert fühlen, und ich wünschte – – wenn nicht bereits andere Umstände eingetreten wären – – wenn die Verhältnisse darnach wären – – ich hätte Ihnen den Beweis führen wollen, wie tief und innig die Gefühle meines Herzens sind.“

Unwillkürlich hatte er bei diesen verworrenen und unverständlichen Ergüssen die Hand des Mädchens ergriffen, das sie ihm auch einige Augenblicke ließ, das tieferglühende Gesicht abwendend; dann aber zog es die Hand sanft aus der seinigen und sagte mit weichem Tone: „Sie sind wohl in einem Irrthume befangen, den es aber jetzt nicht die Mühe lohnt, aufzuklären. Ich muß mich entfernen, damit man keinen Verdacht schöpft, denn es gibt hier manches Späherauge; nur weil ich den Müller auf einige Stunden entfernt wußte, konnte ich diesen Ausgang wagen. Beachten Sie nur ja, was ich Ihnen erzählt, und entgehen Sie glücklich jeder Gefahr!“

Damit enteilte sie mit flüchtigen Schritten, den Pfad abwärts verfolgend.

Er schaute ihr sinnend nach. „Mit den anderen Gefahren hat’s weniger auf sich,“ sprach er für sich, „wenn ich nur derjenigen entgehe, mein Herz nicht gehörig zu hüten. Aber was wollte sie damit sagen, daß ich in einem Irrthume befangen sei? Hat sich Winrich einer Täuschung hingegeben, indem er sein Einverständniß mit ihr so ansieht, als erwidere sie seine Neigung? Nein, ich kann selbst unmöglich glauben, daß sie ihn liebt; ihre Gefühls- und Denkweise, selbst ihre Art, sich auszudrücken, steht zu hoch über dem Standpunkte des braven, aber doch immer ungebildeten Winrich. Nun, das muß sich aufklären, wenden wir uns jetzt dem Nächsten zu. Woher rührt nur der unbegreifliche Haß dieses Marx gegen mich? Wenn er auch, wie es immer mehr den Anschein gewinnt, das eigentliche Haupt der Schmugglerbande ist, so hat er doch an mir keinerlei Rache zu nehmen und gewinnt nichts durch meinen Tod, im Gegentheil, er ruft eine genaue Untersuchung und damit die Möglichkeit der Entdeckung herbei. War sein nächtlicher Besuch in der ersten Nacht auf dem Wolfsgrunde kein Traum, sondern Wirklichkeit? Wie aber hängt der Mensch mit mir und meinem Schicksale zusammen?“

Als er aus dem Gebüsche trat, begegnete er dem zum Waldhofe zurückkehrenden Winrich.

„Ich habe sie gesprochen,“ sagte er zu ihm, „und sie hat mir allerdings Eröffnungen von der größten Wichtigkeit gemacht, die sich aber augenblicklich hier nicht wohl besprechen lassen. Kommen Sie heute Nachmittag um fünf Uhr zu mir, dann reden wir weiter, aber thun Sie nicht, als seien Sie bestellt, sondern als hätten Sie etwas zu melden.“


VI.

Am Nachmittage wünschte Marx den Lieutenant zu sprechen und kam auf dessen Stube in Begleitung eines Knechtes.

„Herr Lieutenant,“ sagte er, „mein Knecht bringt mir da eine besondere Nachricht, die ich Ihnen mittheilen zu müssen glaube. Ich hatte ihn in das Dorf Ellerhagen geschickt, wo ihm ein alter Jugendfreund, denn er ist selbst aus dem Dorfe gebürtig, sagte – – aber sprich lieber selbst, Hans Heinrich, damit es der Herr Lieutenant genau hört und ich nicht vielleicht im Wiedersagen etwas verändere.“

Hans Heinrich nahm das Wort.

„Er hat zu mir gesagt,“ begann er, „heute Vormittag wäre der Jude Feibes dagewesen und hätte im Geheim drei Ellerhäger Burschen gedungen, daß sie ihm in dieser Nacht drei Waarenpacken vom Bertelskruge jenseits der Grenze abholten und herübertrügen bis in’s Dorf Aßhausen jenseits Eversburg. Sie solllen jeder drei Thaler haben und eine gute Zehrung. Am Abend sollen sie im Bertelskruge sein, um elf Uhr will der Jude mit ihnen ausbrechen, sie kommen dann über den Hirschkopf, steigen den kühlen Grund herunter, gehen unter dem Waldhofe bei der Hofwiese über den Bach und dann bei Eversburg vorbei nach Aßhausen.“

Schellenberg hatte den Berichterstatter scharf in’s Auge gefaßt, aber wenn ihn seine Menschenkenntniß nicht völlig täuschte, so berichtete der Bursche in gutem Glauben, was er gehört hatte; der listige Marx hatte ihn muthmaßlich unter Vorwand irgend eines Auftrages nach Ellerhagen geschickt, damit ihm dort von einem Vertrauten des Juden diese Nachricht mitgetheilt würde, die er dann aus freien Stücken oder auf geschicktes Ausfragen seinem Herrn erzählte. Ueberhaupt glaubte Schellenberg bemerkt zu haben, daß die Knechte aus dem Wolfsgrunde dumme, aber ehrliche Dienstboten waren, die ihr Herr wohl kaum zu Mitwissern seines Treibens machte, wie er denn möglicher Weise selbst manchen Schmugglern kaum als ihr Haupt bekannt sein und das Meiste durch Feibes Itzig oder einige andere Vertraute besorgen lassen mochte. Nur verstohlen hatte ein Blick Schellenberg’s während des Berichtes des Knechtes das Gesicht von Marx gestreift, aber er traf nur dieselben unveränderlichen, wie aus Erz gegossenen Züge.

„Um wie viel Uhr,“ fragte Marx, „glaubst Du also, daß die drei Ellerhäger mit dem Juden über den Bach unten kommen werden?“

„Gegen zwei Uhr in der Nacht; weil sie schwer zu tragen haben, können sie nicht früher kommen.“

„Und ist das Alles die genaue Wahrheit? Hast Du uns Wort für Wort wiedergesagt, was Du hörtest? Hast Du uns Alles gesagt und nichts verschwiegen?“

„Bei meiner Seele Seligkeit, es ist mir Wort für Wort so gesagt und weiter hab’ ich auch nichts gehört.“

„Es ist gut, Du kannst gehen, sprich aber zu keinem Menschen ein Sterbenswörtchen, sonst geht’s Dir schlimm.“

[351] Als der Knecht fort war, fragte Marx: „Was halten Sie davon, Herr Lieutenant?“

Schellenberg erheuchelte einen hohen Grad von Gleichgültigkeit, indem er antwortete: „Es wird wieder auf eine Prellerei herauskommen, wie wir das schon einmal erlebt haben.“

„Das glaub’ ich nicht. Damals schenkte ich der Angabe keinen Glauben, aber diesmal thu’ ich’s wohl.“

„Freilich, Herr Marx, wenn wir damals Ihrer Ansicht gefolgt wären, so hätten wir uns Aerger und Beschämung erspart. Ich erkenne gern an, daß ich die hiesigen Verhältnisse nicht scharf genug zu beurtheilen verstehe, und ordne mich Ihrer besseren Einsicht bereitwillig unter. Was rathen Sie also?“

„Das will ich Ihnen offen und ehrlich sagen. An Ihrer Stelle würde ich den Steuerbeamten in Eversburg nichts sagen, denn die haben, die Wahrheit zu sagen, das Pulver nicht erfunden; auch Ihren Soldaten in der Stadt würde ich nichts mittheilen, denn der Jude ist zu klug und hat zu viele Kundschafter, die ihm augenblicklich, sobald sie die geringste Bewegung merken, entgegeneilen und ihn veranlassen, zurückzubleiben oder einen andern Weg einzuschlagen; aus demselben Grunde würde ich der Mannschaft auf dem Waldhof nichts wissen lassen, denn auch da herum fehlt’s vielleicht nicht an Augen, die im Dienste des Juden sind. Ich würde die Sache ganz still bei mir behalten, die Leute auf dem Hofe um zwölf Uhr wecken und, ohne daß sie selbst eine Ahnung von dem Unternehmen gehabt haben, um den Waldhof herum auf die Hofwiese führen. Sie können dieselbe nicht fehlen, sie liegt gerade zehn Minuten unter dem Waldhof und beginnt da, wo die alte hölzerne Wasserschleuße im Wiesengraben liegt. Wenn Sie von der Schleuße an das rechte Ufer des Baches mit Ihren Leuten besetzen, so fallen Ihnen die Schmuggler auf jeden Fall in die Hände, und zwar gerade in dem Augenblick, wo sie sich nicht wehren oder fliehen können, nämlich wo sie aus dem Bach das ziemlich hohe Ufer hinansteigen. Die Erlen und Weiden verbergen Sie völlig, und wenn Sie sich selbst das Vergnügen machen wollen, den Juden zu fangen, so nehmen Sie nur in der Mitte Ihrer Leute bei dem hohen Espenbaume Ihren Platz, denn es ist zehn gegen eins zu wetten, daß Feibes da herüber kommt, weil an den übrigen Stellen das Ufer zu steil und das Wasser zu tief ist.“

„Ich danke Ihnen, Herr Marx, und werde genau Ihren Anweisungen folgen.“

In diesem Augenblick meldete ein Schütze, daß der Unterofficier Winrich unten auf dem Hofe sei und frage, ob morgen Brod aus Eversburg geholt werden solle. Schellenberg antwortete: Allerdings, und es soll zugleich bestellt werden, daß ich übermorgen eine Musterung dort abhalten will - - doch ich muß wohl den Befehl dazu dictiren, ich komme selbst herunter.“

Als er in den Hof trat, stellte er sich mit Winrich in die Mitte desselben, ließ den Unterofficier seine Brieftasche hervornehmen, und gab ihm abwechselnd mündliche Befehle und Dictate, je nachdem der mißtrauische Marx, der ihm gefolgt war und lauernd auf und ab ging, in seine Nähe kam oder sich entfernte. Winrich begriff seinen Officier ganz gut, als dieser bald leise und rasch, bald laut und langsam sprach: „Sie gehen augenblicklich nach Eversburg zum Oberjäger Lasing und befehlen ihm, zwanzig Mann einzeln auf elf Uhr zum Abmarsch zu bestellen, mit Androhung der schwersten Strafe, wenn sie ein Wort kund werden lassen – – um elf Uhr Vormittags tritt das Commando auf dem Sammelplatze an – – Sie dirigiren die Mannschaft in das Gebüsch, fünf Minuten unter dem Waldhof an der rechten Seite des Baches, wo ich um zwölf Uhr zu weiteren Befehlen mich einfinden werde – – das Lederzeug wie die Knöpfe müssen untadelig geputzt, die Waffen im besten Zustande sein – – Sie selbst begeben sich augenblicklich nach dem Waldhof zurück, und bewachen den Müller genau, daß er sich nicht entferne oder Niemand entsende, Sie können ihn nur lieber gleich arretiren und bis morgen festhalten – – jeder Mann muß vorzeigen, wie viele Patronen er besitzt – – Sie schlagen natürlich jetzt gleich den Weg zum Waldhof ein, biegen aber rechts ab, sobald Sie von hier aus nicht mehr gesehen werden können – – die Löhnung soll am Ende der Musterung ausgezahlt werden. Weiter ist nichts zu bemerken. – – Ich hole Sie nach elf Uhr vom Waldhof ab.“

„Sehr wohl, Herr Lieutenant!“ Winrich grüßte militairisch und entfernte sich.

Marx schien ganz befriedigt mit dem Ausfall seiner Horcherei, er trat jetzt zum Officier heran, zwang sein Gesicht zu einer gewissen Freundlichkeit und sagte: „Da Sie mit Ihren Leuten gewiß schon gegen Mitternacht aufbrechen werden – –“

„Ich denke um elf Uhr abzugehen.“

„– – so erlauben Sie mir vielleicht, daß ich den Soldaten ein Versprechen halte, welches ich ihnen schon längst gegeben, nämlich sie mit einigen Flaschen Wein zu bewirthen?“

„Ich habe durchaus nichts dagegen, nur darf es nicht zu viel sein, damit die Leute nicht untauglich für den bevorstehenden Dienst werden.“

„Lassen Sie mich nur sorgen, ich werde die Mannschaft auf gute Weise bis elf Uhr munter halten, so daß Sie dann gleich abmarschiren können.“

„Gut. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr Marx.“

Schellenberg zog sich auf sein Zimmer zurück, wohin ihm später, wie jetzt immer geschah, sein Abendbrod mit einer Flasche Wein gebracht wurde, und hielt sich hier ganz ruhig. Er konnte wohl denken, daß Marx das Trinkgelage der Soldaten benutzen werde um die Büchsen unschädlich zu machen, aber er hütete sich wohl, ihn darin auch nur im mindesten zu stören oder zu belauern, denn er hatte mit einem sehr scharfsinnigen Mann zu thun, der nur dann in die ihm bereitete Falle ging, wenn sein Argwohn durchaus nicht geweckt war. Man hörte die Soldaten singen und jubeln, und Schellenberg ließ sie, wie ihren arglistigen Wirth, völlig gewähren. Zehn Minuten vor elf Uhr trat er plötzlich unter die erstaunten Leute und überraschte sie nicht wenig durch den Befehl, ihm augenblicklich zum Dienst zu folgen. Sie rannten erst ein wenig verwirrt hin und her, um sich in gehörigen Stand zu setzen, waren aber alsbald bereit und marschirten mit ihrem Officier ab. Marx sah sie in das Dunkel der Nacht abziehen, kleidete sich dann rasch um, so daß er einem gewöhnlichen Landmann ähnlich sah, steckte ein paar Pistolen, die er vorher genau untersucht hatte, nebst einer schwarzen Gesichtsmaske zu sich, trat dann durch eine Seitenpforte in’s Freie und glitt in die Nacht hinaus, nach der linken Seite des Thales hin.

Schellenberg traf auf dem Waldhof die Leute wach und in Bereitschaft; sie hatten den Müller in ein leeres Gelaß ohne Ausgang gesperrt. Auf des Officiers Befehl untersuchte man die Büchsen genauer, die man vom Wolfsgrund mitgebracht hatte, und fand die Zündlöcher mit feinen Stiftchen verstopft; man ließ also die für den Augenblick unbrauchbaren Gewehre zurück, sowie zwei Leute, um den Müller zu bewachen, und die Männer, die ohne ihre Hauptwaffe waren, nahmen Stricke mit, die für die Transporte aus der Stadt gedient hatten. So brach die Truppe auf und erreichte bald das Wäldchen, welches zum Zusammentreffen bestimmt war, und wo auch nicht lange nachher die Mannschaft aus Eversburg eintraf. Schellenberg bildete eine bogenförmige Kette von Posten um den Platz, den er am Bache einnehmen wollte, damit er nicht im Rücken überrascht werden konnte, und besetzte darauf das Ufer längs der Hofwiese, besonders den ihm von Marx bezeichneten Punkt, mit der Weisung, die muthmaßlich kommenden Schmuggler bis ans diesseitige Ufer gelangen zu lassen und dann zu verhaften, Leute aber, die etwa ohne Gepäck herüber kommen wollten, anzurufen und auf sie, wenn sie nicht ständen und antworteten, zu schießen. Er selbst hielt sich vorzugsweise in der Nähe des hohen Espenbaumes auf, weil er da einen Hauptangriff erwartete. So harrte man ruhig einige Stunden.

Jetzt hörte man auf der andern Seite sich nähernde Schritte, und bald konnte man, da die Nacht nicht sehr dunkel war, Gestalten erkennen, die theils belastet, theil ledig über den Bach zu setzen begannen; fünf bis sechs Männer, dem Anschein nach nicht beladen, drangen rasch auf die Espe los. Schellenberg rief sie an, aber sie beeilten sich um so mehr, während eine dumpfe Stimme rief: „Drauf los!“ Da ließ Schellenberg die beiden Schützen feuern, die neben ihm standen. Ein Fall in’s Wasser wurde gehört, hier und da ertönten noch mehr Schüsse, auch auf der äußeren Postenkette, wilde Flüche und Verwünschungen wurden laut, man vernahm das Ringen und Stöhnen Einzelner, eine Stimme von drüben rief: „Es ist geschehen ein Verrath, weil sie schießen dennoch; rette sich, wer kann!“ Darauf wurde es still, indem die Schritte einiger Flüchtiger bald sich in die Nacht verloren. Nur bei der Espe regte es sich noch, denn man schien da einen Todten oder Verwundeten das Ufer hinauf zu schaffen. Winrich war mit noch einigen Schützen herbeigeeilt [352] und fragte: „Sollen wir hinüber und festhalten, was wir finden?“

Doch Schellenberg antwortete: „Nein, wir wollen kein unnützes Blut vergießen; wer entfliehen kann, möge entfliehen!“ Als er darauf die übrigen Stellen besuchte, wo er seine Leute aufgestellt hatte, fand er, daß sie sich etwa eines halben Dutzends von Schmugglern bemächtigt hatten, sowie eines ansehnlichen Waarentransportes; die Gefangenen waren gebunden und wurden streng bewacht. Die Außenposten berichteten, daß sich ihnen eine Anzahl verdächtiger und dem Anschein nach bewaffneter Gestalten genähert habe; auf die ersten Schüsse aber seien Alle sogleich auseinander gestoben. Schellenberg ließ nun sogleich den Oberjäger mit einigen Schützen zur Meldung nach Eversburg abgehen, die Gefangenen aber und die Waarenballen vorläufig nach dem Waldhof schaffen. Als Alles besorgt war, brach der Tag an, und es dauerte dann nicht mehr allzu lange, so kamen die Steuerbeamten und Gerichtspersonen aus der Stadt an. So unzufrieden die ersteren sein mochten, daß Alles ohne sie geschehen war, so konnten sie doch dem vollständig gelungenen Unternehmen ihren Beifall nicht versagen. Es wurde sogleich ein Protokoll aufgesetzt, dann traf man die nöthigen Anstalten, die Gefangenen mit Einschluß des Müllers und die Waaren nach der Stadt zu schaffen, und nun kehrte Schellenberg mit seinen Leuten zum Wolfsgrund zurück.

Hier traf man das Gesinde in einer gewissen Verstörung, doch wurde ein Frühstück für die Mannschaft sowie für den Officier besorgt. Aber kaum hatte dieser mit der Erquickung, deren er so dringend bedurfte, begonnen, so kam der Knecht Hans Heinrich auf sein Zimmer und sagte:

„Herr Lieutenant, ich sollte Sie von meinem Herrn bitten, ob Sie nicht einmal zu ihm kommen wollten.“

„Wo ist denn Dein Herr?“

„Unten in seiner Stube, er ist krank und liegt im Bette.“ Bereitwillig folgte Schellenberg und wurde von dem Knechte in ein Zimmer geführt, das ungefähr unter dem seinigen lag; Hans Heinrich entfernte sich sogleich wieder. Der Officier schritt langsam und ernst zu dem Bett, worin Marx lag, und sagte:

„Sie haben mich zu sprechen gewünscht?“

„Ja, Herr Lieutenant, ich muß mit Ihnen reden, bevor ich sterbe.“

„Sie stellen sich Ihre Gefahr zu groß vor!“ rief Schellenberg mit Theilnahme.

„Nein, nein, die Kugel Ihres Schützen hat zu gut getroffen, ich werde den heutigen Tag nicht überleben.“

„Also es ist so, wie ich vermuthete!“ sprach Schellenberg vor sich hin.

„Ja, es ist so, einer ihrer Schützen, die an der Espe standen, hat mich durch den Leib geschossen. Sie sind auf irgend eine Art hinter meinen Anschlag gekommen, und das war ein Glück für Sie, denn sonst würden Sie wohl statt meiner dran gemußt haben.“ Ablenkend sagte Schellenberg: „Haben Sie denn schon nach einem Arzte geschickt? Und wenn Sie die Gefahr für so groß halten, wollen Sie nicht einen Geistlichen kommen lassen?“ „Nach dem Arzt ist geschickt. Einen Geistlichen kann ich nicht brauchen und will ich nicht haben, statt dessen habe ich ein paar Gerichtspersonen verlangt, denn ich will meinen letzten Willen aufschreiben lassen. Die Beruhigung für das Sterben, die mir ein Geistlicher doch nicht verschaffen könnte, erwarte ich von Ihnen, Herr Lieutenant.“

„Von mir?“

„Ja. Aber ich höre den Wagen vorfahren, es werden die verlangten Leute aus Eversburg sein. Lassen Sie mich eine Zeit lang mit ihnen allein, aber gehen Sie nicht aus dem Hause fort, daß Sie gleich bei der Hand sind, wenn ich Sie rufen lasse. Was ich, Ihnen zu sagen habe, ist nicht weniger wichtig für Sie, als für mich selbst.“

Da in diesem Augenblick der Knecht meldete, daß der Doctor und die Gerichtsleute aus Eversburg da wären, so entfernte sich Schellenberg auf sein Zimmer, höchst aufgeregt durch das, was er vernommen, und sehr gespannt auf das, was er noch vernehmen sollte.



VII.

Nach ziemlich langer Zeit wurde der junge Officier wieder zu dem Kranken gerufen, mit dem man ihn allein ließ. Als er an das Bett trat, fühlte er sich eigenthümlich erschüttert bei dem Anblicke des alten Mannes, dessen strenge Gesichtszüge durch den Ausdruck körperlicher Leiden gemildert waren und zugleich den Charakter gefaßter Ergebung trugen.

„Hat man Ihnen nicht bessere Hoffnung gegeben?“ fragte Schellenberg sanft.

„Nein,“ antwortete Marx ruhig, „es ist so, wie ich mir dachte, der Schuß hat die innern Theile unheilbar verletzt, und daß die Wunde fast kein Blut gebracht hat, ist nur der größere Beweis ihrer tödtlichen Beschaffenheit. Ich freue mich aber, daß ich bis zum Tode bei völliger Besinnung und in der Gewalt meiner Sprache bin, weil ich Ihnen wichtige Mittheilungen zu machen habe. Setzen Sie sich hier auf den Stuhl neben mich, dann brauch’ ich nicht so laut zu reden.

„Als der Waldhof noch ein schönes Schloß war, wozu viele Aecker, Wiesen und Waldungen gehörten, da war hier im Wolfsgrund blos ein Vorwerk mit zwei kleinen Pachterwohnungen; in der einen wohnte der verwittwete Pächter Klusner mit seiner erwachsenen Tochter, in der andern die Wittwe Lohmann mit ihrem Sohne, welcher die Pachtung auf seinen Namen übernehmen und dann zugleich die Christine Klusner heirathen wollte; dieser junge Mensch, welcher nichts vor sich sah, als frohe Lebensaussichten, war ich. Man hielt mich allgemein für einen braven Burschen, man lobte mich als einen guten Sohn, als einen treuen Bräutigam und als einen fleißigen und verständigen Landmann; aber es wußte Niemand darum, und ich selbst am wenigsten, daß in meinem Charakter ein gewaltiger Jähzorn lag, der freilich wie im Schlummer gehalten wurde, weil ihn das Leben noch nicht geweckt hatte. Auf dem Waldhof lebte der Herr von Lohfels mit seiner Frau und zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen. „Eines Tages ging ich mit Christine spazieren. Zufällig begegnete uns der „Herr Baron“, wie wir ihn zu nennen pflegten, und erlaubte sich vertrauliche Liebkosungen gegen meine Braut, die an sich wohl so schlimm nicht gemeint sein mochten, aber das Mädchen so erschreckten, daß es bei mir Schutz suchte; ich trat also vor den Baron hin und erklärte ihm, daß ich solches nicht leiden könne und mir verbitten müsse. Er schlug mit dem Stöckchen, das er in der Hand hatte, nach mir; ich entriß ihm aber dieses, warf es ihm zerbrochen vor die Füße und setzte mich in Bereitschaft, Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Er ließ die gehobene Faust sinken und ging drohend weg. Gleich darauf kündigte er meiner Mutter den Pachtvertrag, worauf auch Klusner seinerseits kündigte, und so wären wir zwar in Unfrieden, doch sonst ohne Schaden auseinander gekommen, aber der Baron wollte mich so wohlfeilen Kaufes nicht entlassen. Er wußte es auf eine Art, die jetzt zu weitläufig zu erzählen sein würde, so einzurichten, daß ich von seinen Forstaufsehern als Wilddieb aufgegriffen und, da ich mich wehrte, wegen gewaltthätiger Widersetzlichkeit in einen bösen Proceß verwickelt wurde. Wie gesagt, ich will die kurze mir zugemessene Zeit nicht mit einer ausführlichen Auseinandersetzung dieser Sache verschwenden, aber Sie können es den Worten eines Sterbenden glauben, daß ich vollkommen unschuldig war und daß die Forstaufseher einen Meineid schworen. Ich wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt und sollte dahin abgeführt werden, als eben Christinens Vater an einem hitzigen Fieber gestorben war, meine Mutter aber vor Gemüthsbewegung todtkrank darniederlag und nur von meiner treuen Braut gepflegt wurde; die Pachtzeit war abgelaufen und der Baron bestand darauf, daß beide Frauenspersonen das Vorwerk räumen sollten. Ich ließ mich zu ihm führen, fiel vor ihm auf die Kniee, sagte ihm, daß ich nicht nur keinen Zorn nachtragen, sondern daß ich ihm zu ewigem Danke verpflichtet sein würde, wenn er meine Mutter in dem Hause ließe, bis sich ihre Krankheit so oder so entschieden hätte – er stieß mich mit dem Fuße weg und sprach die entsetzlichsten Flüche aus. Da war mein Herz wie umgewandelt; ich kehrte mein Gemüth von Gott und Menschen ab, ging mit stummem Trotz in das Zuchthaus, vernahm dort mit dumpfer Gleichgültigkeit, daß meine Mutter und Christine wirklich aus dem Hause geworfen waren, daß die arme kranke Frau im Walde, bis wohin sie sich geschleppt hatte, noch an demselben Tage gestorben, meine Braut aber wahnsinnig geworden und als unheilbar in eine Irrenanstalt gebracht sei.“


(Schluß folgt.)

[353]
Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze.
I.
Straßenleben in Turin. – Vor dem Café Ligure. – Freiwillige. – Fahrt nach Alessandria. – Kriegsleben zwischen Stadt und Bahnhof. – In den Straßen und Kirchen Alessandria’s. – Arretirt als Spion. – Chasseurs d’Afrique. – Fahrt nach Genua. – Aussicht auf das Meer. – An- und Verkauf von Maulthieren. – Garde-Zuaven. – Ankunft und Einzug des Kaisers. – Auf der Terrasse.

Das Leben in den prächtigen Hauptstraßen Turins, die sich weithin überschauen lassen, da sie sich rechtwinklig schneiden und in geraden Linien verlaufen, machte einen eigenthümlich überraschenden Eindruck. Statt der erwarteten aufgeregten Bevölkerung sah ich eine ernste Menschenmenge in erwartungsvollem düstern Schweigen ruhig an den Palästen unter schattigen Arcaden auf und ab wandeln. Nirgends verriethen heftige Reden oder auch nur lebhaftes Gespräch und Gebehrde rege Theilnahme an den verhängnißvollen Ereignissen, welche nur wenige Meilen von hier sich zu entwickeln begannen. Nur hier und da lenkte die bunte Uniform der Nationalgarde oder die unansehnliche graue Kleidung der sardinischen Infanterie, die sich vereinzelt in der Menge verloren, den Blick auf sich. Die Stadt war von Truppen entblößt.

Turcos in Genua, Abendbrod kochend.
(Nach einer Genueser Originalphotographie.)

Ordnung herrschte in dem Menschengewühl, obwohl weder der dreieckige Hut und das breite weiße Wehrgehäng der Carabinieri, noch sonst eine polizeiliche Uniform sichtbar war. Am Sonntag wurde der Anblick der Menge durch einige französische Soldaten und Frauen belebter, ohne daß der ernste Charakter des Bildes sich verändert hätte. Eine schwüle, gewitterschwere Luft schien auf der Stadt zu liegen und ihre Einwohner mit bangen Ahnungen zu erfüllen. An den Straßenecken zogen Maueranschläge dichte Menschenmassen zusammen. Ein riesiges Placat machte die Namen sämmtlicher am gestrigen Tage aus der Stadt Turin zum Militairdienst Ausgehobenen bekannt. Es wurde von manchem Auge mit Hast überflogen, um die Namen theurer Freunde oder Angehörigen zu entdecken, die das Schicksal zu den Waffen, zu langer Trennung, ja vielleicht zum Tode bestimmt hatte. Solche Empfindungen schienen die Gesichter der in der Liste Suchenden auszudrücken, – da wendeten sich plötzlich Aller Augen nach einer Seitenstraße, aus der ein kriegerischer Marsch ertönte; eine Abtheilung Nationalgarde lenkte, mit ihrem Musikchor voran, in die Via di Po ein, um sich nach der Kathedrale zu begeben. Hinter ihnen schloß sich sofort wieder die dichtgedrängte Menge. Wir sahen Landleute, gekommen, den gesunkenen Muth an dem Anblick der Hauptstadt zu heben; Freiwillige aus den Bergen, die vor ihrem Abgang zu Garibaldi’s Schaar das ungewohnte Leben Turins noch einen Tag genießen wollten; Priester und Mönche in ihren Kutten und den verschiedensten Ordenstrachten, mit schleppenden Schritten dem Strome des Volkes folgend; überall das aufdringliche Geschrei der Zeitungsverkäufer, welche „l’Opinione“, „l’Independenza“, „la Gazetta del Popolo“ und eine Menge anderer eben auftauchender Zeitschriften für 5, 10, 20 Centesimi an den Mann zu bringen suchen, ehe die Waare kalt und altbacken wird.

Wir retteten uns aus diesem Treiben, indem wir der großen Verkehrsader der Welt, der Eisenbahn, dem Ausgangspunkte jeder Neuigkeit und dem Mittelpunkte aller Bewegung, uns näherten, nach dem Café Ligure. Dieses neue Etablissement ist das glänzendste in Turin, und seine prachtvolle Einrichtung, seine ungeheuren Spiegelscheiben, welche für Gold- und Marmorverzierungen nur geringen Raum lassen, seine hohen und geräumigen Säle werden von den prachtvollen Kaffeehäusern in Paris nicht übertroffen. Dem Bahnhof gegenüber, an der Ecke des freundlichen und immer belebten Platzes der Porta nuova gelegen, der von hohen Palästen und gegen Regen und Sonne geschützten Laubengängen umgeben ist, und dessen Mitte eine kräftige [354] Fontaine ziert, welche ununterbrochen ihre starke, silberhelle Wassergarbe bis zur Höhe des zweiten Stockes der benachbarten Häuser schleudert, um sie als schneeigen Staub in ein weites Wasserbassin herabfallen zu lassen, das den ganzen Tag von Volksgruppen umgeben wird, die sich mit den klaren, kühlen Wellen Gesicht und Zunge netzen, bietet der Sitz an einem Marmortische hier einen immer wechselnden Anblick. Unter den Arcaden drängt sich hier Alles vorüber, während auf der Straße große, zweirädrige, schwere Karren dahinrollen, welche mit Maulthieren, drei bis vier voreinander, bespannt, deren Schellen ein fortwährendes Klingeln unterhalten, große, festgeschnürte Ballen Heu, Kisten aller Formen mit dem verschiedenartigsten Inhalte, auch Arzneistoffe, Säcke mit Proviant, über den Mont-Cenis kommend, hier vorbei nach Alessandria führen. Auf einem breiten Bande, welches die in blaue Blousen gekleideten Fuhrleute um den Arm tragen, ebenso wie auf dem Vordertheil ihrer Fahrzeuge, lesen wir in großen deutlichen Buchstaben die Worte: „Transport auxiliaire de l’armée française.“ Solche Karrenzüge folgen sich unablässig den ganzen Tag über, ziehen in langen Reihen mit unaufhörlichem Gepimpel, dem Geschrei der Treiber und dem Knarren der großen, breiten Räder auf der Landstraße herbei, und wenden sich hier vor unsern Augen in rechtem Winkel der Straße nach Alessandria zu.

Plötzlich allgemeine Bewegung, man hört einen Gesang aus kräftigen, schon etwas heiseren Kehlen sich nähern. Ueber den Platz, ein grün-roth-weißes Fähnchen an der Spitze, zieht ein kleines Häufchen Freiwilliger, eben angekommen, ihrem Enthusiasmus durch Singen Luft machend, ihrem Quartiere zu. Hier und da werden sie mit Viva l’Italia empfangen. Man zeigt geringe Theilnahme, das Schauspiel ist schon veraltet. Vor Ausbruch des Krieges und der Revolution in Toscana sollen täglich Hunderte angekommen sein; jetzt treten nur noch kleine Gruppen von 12–18 Mann auf. Von den 20,000 Mann, die sich so gesammelt, bemerkte man in den Straßen nichts. Sie sind schon zu ihren Corps gestoßen. Nur ein Savoyarde, in dunklem, an den Hüften vom Gurt des Hirschfängers zusammengeschnürten Rock, weiten, unter den Knieen zusammengezogenen Beinkleidern, grauen Gamaschen, mit rothen, vollen Epauletten und schwarzem Carbonarihut, bewaffnet mit einer Doppelflinte, ein kräftig gewachsener Mann, gefiel sich, einige Tage seine schmucke Erscheinung in Turin zu zeigen.

Am Morgen des 10. Mai, früh 6 Uhr, verließ unser Zug, trotz ungeheurem Andrang, pünktlich den Bahnhof, dessen verschiedene Gleise mit Wagen aller Art überfüllt waren, die eine große Anzahl Pferde, Maulesel und Rinder für die Armee enthielten. Dazwischen waren Bauhölzer, Räder und andere Materialien in großen Haufen zu baldiger Weiterbeförderung aufgeschichtet. Die sonst in Italien sehr aufhaltende, langsame Expedition auf den Bahnhöfen wurde abgekürzt, und so brachten zwei mächtige Locomotiven den großen Zug in 2½ Stunden nach Alessandria. Hier kündigte sich die Concentration der Truppen um so stärker an, je mehr wir uns der Festung näherten. Aus allen Gehöften leuchteten die rothen Hosen der französischen Infanterie. Auf den mit Stroh belegten Steinböden der Säulenhallen der Landhäuser lagen Tornister, Feldkessel, Stiefeln, Gewehre und andere Ausrüstungsstücke umher. In einigen Dörfern faßte die Mannschaft eben ihr Commißbrod, Weizenbrod von schöner, weißer, lockerer Krume, dessen Rinde, heller als bei uns in Deutschland, ihm das Aussehen gibt, als sei es nicht gut ausgebacken. Unweit der Festung weideten Infanteristen mit Ruthen in der Hand eine große Rinderheerde. In Alessandria nahm eine großartige Halle, deren zierliche eiserne Bogen mit leichtem, hellem Glasdach überwölbt sind, den langen Zug auf.

Dem Besuche der Stadt ward kein Hinderniß in den Weg gelegt; es schien sich Niemand um den Eintritt Fremder zu kümmern. Zwischen Stadt und Bahnhof dehnt sich eine weite Fläche, die zu beiden Seiten der Straße von Artillerie und Train zu Lagerplätzen benutzt wurde. Hier waren die Feldschmieden aufgestellt, in reger Thätigkeit, die Beschädigungen, welche der Marsch dem Eisenzeug der Thiere und dem der Fuhrwerke zugefügt, rasch wieder auszubessern. Die Pferde lagerten auf dem Boden, der mit wenig Stroh bedeckt war, ohne Dachung und Schutz gegen Regen und Sonnengluth, während die Mannschaft in der Stadt untergebracht zu sein schien. Diese war mit Truppen und Armeematerial überfüllt. Unweit des Bahnhofes hatte sich eine Abtheilung Artillerie in einer Kirche gelagert; die mit etwas Stroh überdeckten Marmorplatten gaben einen herrlichen Schlafsaal ab. „L’eglise est libre pour tout le monde,“ rief man uns zu, so traten wir ein. Man eilte, das Lederzeug zu einer Inspection in gehörigen Stand zu setzen, zu reinigen, zu schwärzen, glänzend zu wichsen. Alles war geschäftig, während nur hier und da ein spät von der Wache Gekommener sich schläfrig die Augen rieb und sich auf dem Strohlager hin und her drehte.

Am Markte war in einem noch unvollendeten Hause ohne Fenster ein Bataillon Schützen einquartiert. Man ließ uns ungehindert eintreten. Im Hofe, der in Folge anhaltenden Regens einem Sumpfe glich, brodelte über lebhaftem Feuer das Wasser in den Feldkesseln, man bereitete eben die Suppe, während im Thorwege ein gefälliger Bursche unter allerhand munteren Bemerkungen seinen Cameraden die Bärte abnahm. In einer engen Gasse nebenan, die mit Bretern überlegt und ebenso überdacht worden war, hatte man Stallung für sardinische Lanciers hergerichtet. Ebenso war in vielen andern kleinen Straßen verfahren. Ueberall lebhafte Thätigkeit. Durch die Festungsthore ziehen Maulthiere, schwer beladen mit Holzbündeln, ein, die man von den rings um die Werke niedergehauenen Wäldern gewinnt, andere führen Proviant hinaus in die verschiedenen Standquartiere der Truppen. Ein bedeckter grauer Wagen von schwerfälligem Bau und traurigem Aussehen kommt langsam herbei; er trägt die Aufschrift: „Ambulance“. Acht bis zehn bleiche Gesichter, in Uniformen verschiedener sardinischer Regimenter, erregen durch ihren leidenden Ausdruck unsere Theilnahme. Es sind Fieberkranke aus den überschwemmten Reisniederungen, deren giftige Dünste der Armee gefährlicher werden, als die Kugeln ihrer Feinde. Aus einem Hofe tönt lautes Gespräch; wir treten in die Mitte einer Gruppe Franzosen, die ihrem Salat eben die dritte Flasche Essig zufügen, ohne ein saures Gemisch zu erhalten. Man ladet uns ein; wir kosten. In der That, der Essig ist fürchterlich gewässert. Man macht aber kein saures Gesicht dabei, sondern verzehrt unter Witzen das schlechte Kraut, um rasch noch zur Parade sich fertig zu machen, da eben die Trommel zum Aufbruch mahnt.

Jetzt stoßen wir wieder auf eine geräumige Kirche, die Jägern von Vincennes zur Caserne angewiesen ist. Während ich den Vorbereitungen folge, welche eine Marketenderin in der glanzlosen Uniform der Vincennesjäger trifft, um bei dem bevorstehenden Ausrücken in’s Feld ihren Leuten die nöthigen Getränke und Fleischvorräthe bieten zu können, war mein Begleiter, ein Schweizer, in das Kirchenschiff eingetreten, als ich ihn plötzlich in der Mitte von Soldaten unter lebhaftem Reden wieder erscheinen sehe. Ein Sergeant, in übertriebenem Diensteifer die neugierigen Fragen meines Genfers für verfänglich haltend, beordert einen Corporal mit vier Mann, ihn und unschuldigerweise auch mich zum Platzcommandanten zu führen. Die vier Mann Ehrenwache wußte nun zwar unser Corporal, dem dieser Auftrag sichtlich unangenehm war, zu beseitigen, allein durch Gassen und Gäßchen kreuz und quer, in denen sich unser Führer selbst nicht zurechtfand, gelangten wir endlich zur Commandantur, in der eben die höheren Officiere versammelt waren. Nach wenigen Worten entließ man uns höflich, ohne auch nur Legitimation unserer Personen zu verlangen, die meinem Begleiter übrigens sehr unbequem geworden wäre, da er weder Paß, noch sonst einen Nachweis hätte beibringen können. Der Verdacht des Vorhandenseins von Kundschaftern war durch mehrere verdächtige Erscheinungen im Festungsrayon rege geworden. Ja, man hatte bereits in der Nähe einen überführten Spion kriegsrechtlich erschossen, wie uns unser Führer, dem es lieb war, uns ungehindert entlassen zu können, mit bedenklicher Miene mittheilte.

Nachmittags fanden wir vor dem Bahnhofsgebäude, dessen Restauration lebhaft besucht war, einen zur Beobachtung des kriegerischen Treibens trefflich geeigneten Platz. Truppenzüge langen fortwährend an, namentlich von Susa und Turin her, während andere abgehen. Eben trifft ein langer Wagenzug mit einigen Schwadronen Chasseurs d’Afrique ein. Rasch werden die Pferde aus den Wagen gezogen, Sattelzeug, Decken, Mäntel mit einigen Bürstenstrichen gereinigt, und schon ertönt das Signal zum Aufsitzen. Die Officiere treiben die Lässigen an. Schnell ist Alles im Sattel. Die kleinen, zierlichen Pferde, munter, festen Boden unter den Hufen zu haben, wiehern laut; die gewandten Reiter nehmen rasch ihre Ordnung ein: das starke Trompeterchor, auf Schimmeln reitend, spielt unter Paukenbegleitung einen kräftigen Marsch auf, und schon verschwindet die Spitze der Reiter in den engen Straßen, während die letzten langsam durch die Lindenallee traben. Dasselbe Schauspiel wiederholt [355] sich nach einer Stunde. Fußvolk kommt an von Genua, darunter einige Zuaven, die ersten, die wir bemerken. Es sind die Quartiermeister, welche ihrem Corps vorangehen.

Eben wird ein Transport Maulthiere ausgeladen und in Eile von dem Bahnhofe entfernt, um dem Personenzuge von Turin Platz zu machen, den man eben herandonnern hört. Er bringt wenig Reisende, aber viele Soldaten aller Truppengattungen. – Um uns sammelt sich ein Bataillon sardinisches Fußvolk in langen grauen Mänteln und Czako’s. Auch eine kleine Abtheilung Bersaglieri findet sich ein, den Hut mit schwarzem Federbusche keck auf der Seite, mit dunkler Uniform, ein hölzernes Tönnchen als Trinkgeschirr an der Seite, die kräftigste Truppe aus Piemont, meist aus Savoyarden bestehend. Alle diese gehen nach Turin ab. Man erwartet seit einer Stunde den Zug von Genua. Endlich braust der unabsehbare Wagenzug heran, Helme und Gewehre blitzen aus allen Fenstern desselben. Bald ist der Zug leer. Es sind französische Truppen, für Alessandria bestimmt. Hier nehmen die Sardinier Abschied. Manches Lebewohl erschallt, Händedruck, thränende Blicke, ein altes Mütterchen umarmt noch einmal ihren Sohn, ein bartloses Bürschchen, da zwingt der schrille Pfiff zum Einsteigen. Fort reißt die Locomotive die Krieger. Die Franzosen sind munter ausgestiegen, fröhlich, ihre Bestimmung erreicht zu haben. Von Natur lebhafter, sieht man aus jedem Gesichte unbesorgte Heiterkeit, lustige Scherze erklingen von vielen Lippen. Da tönt auch unser Abschiedssignal. Wir sagen der Festung Lebewohl!

Es war spät geworden. Wir erreichten den Eingang in die Schluchten der Scrivia mit Anbruch der Nacht. Hier war ein ganzes Armeecorps, auch viele sardinische Artillerie postirt, vielfach unter Zelten campirend. Mehrere Bataillone Zuaven hatten Lager aufgeschlagen in einem weiten Thale, von dem kleinen Flusse Scrivia durchflossen, von hohen Bergen umgeben, deren pittoreske Formen, durch Klöster und Kirchen gekrönt und von der Abendsonne beleuchtet, das malerische Schauspiel einfassen. Die Officiere und Soldaten, Spazierstöcke in der Hand, ließen es sich in dem schönen Lande wohl sein. Jede Abtheilung der Zuaven wurde von den Passagieren des Zuges mit einem donnernden „Viva l’Italia!“ und „Vive la France!“ begrüßt, bis wir, unter dem ersten großen Tunnel der Schlucht angelangt, die Lager unseren Blicken entschwinden sahen. Spät kamen wir in Genua an und fanden endlich nach langem Umherirren in den menschenleeren Straßen noch ein Kämmerchen im Hotel national. Ueber den Tag des Eintreffens des Kaisers herrschte noch immer Ungewißheit. Am Morgen indeß ersah man aus verschiedenen Ausrufen der städtischen Behörden, welche ihre Bürger, die Schiffscapitaine, die Nationalgarde zu würdigem Empfange des kaiserlichen Gastes aufforderte, und aus den getroffenen Vorbereitungen, daß man denselben schon am nächsten Tage bestimmt erwartete. Wirklich wurde seine Abreise von Marseille durch eine Abends veröffentlichte Depesche bestätigt.

Um zunächst einen allgemeinen Blick auf die Stadt und den Hafen zu erlangen, wurde die Höhe der Kirche S. Maria di Carignano erstiegen und die benachbarten Festungswälle zu einem Spaziergange benutzt. Hier erblickte man nach Norden tief unter sich in dem wasserleeren Flußbett eines kleinen Gebirgswassers, dessen breites, mit Quadern gepflastertes Bett anzeigt, daß es zuweilen schnell gefährliche Macht gewinnt, zwischen langen Zeltreihen und allerlei Fuhrwerk das muntere Leben eines großen Lagers. In das ärmliche Wasser wurden die Pferde schwadronenweise hinabgeführt. Jetzt biegt unser Weg rasch nach Süden, und das Meer liegt vor uns. Weit hinaus über die blaue Wasserfläche schweift der Blick von dieser Höhe, fernhin sehen wir die felsige Küste nach Morgen hin sich verlieren, die oft schroff in’s Meer abfallende Riviera di Levante, während nach Abend hin die Küste in weicheren Formen und in abgerundeten Umrissen sich allmählich nach dem Meere zu abflacht und ein reiches Land, mit Garten und Landhäusern übersäet, überblicken läßt. Nah und fern wird das Meer von Fahrzeugen aller Art durchzogen, da fesselt unsere Aufmerksamkeit ein großes Kriegsschiff, eine Fregatte mit zwei Reihen Geschützen, das sich ohne Segel mit ziemlicher Schnellichkeit dem Hafen nähert. Nur zuweilen bemerkt man eine rasch aufsteigende und rasch verschwindende Dampfwolke aus seinem Schlot. Es ist ein Schraubendampfer. Die Officiere eines Bataillons französischer Linieninfanterie, das auf dieser Höhe garnisonirt, sprechen sich über die Schwerfälligkeit der Festungsgeschütze einem so leicht beweglichen Kriegsdampfer gegenüber aus. An manchen Wachtposten von Freiwilligen der Nationalgarde, jungen Genuesern aus guten Familien, die eine mit rother Schnure besetzte Mütze und eine schmale grün-roth-weiße Schleife am Arme tragen, steigen wir, immer das Meer zur Seite und vor uns, an den mächtigen Festungsmauern zum Hafen nieder. Das Kriegsschiff läuft eben ein. – Wir treten durch das Hafenthor und gehen an den Quai’s entlang, an denen jetzt Hunderte von Transportschiffen liegen, im Ein- und Ausladen begriffen. Wir sind im Freihafen, der hauptsächlich Kauffahrern zum Gebrauche dient, während gegenüber im Kriegshafen die Ausladung der eigentlichen Kriegsbedürfnisse und Truppen stattfindet. Dort hat auch der eben eingelaufene Kriegsdampfer Anker geworfen und beginnt bereits die Ausschiffung.

Von der Wanderung und der Gluth der von den Felswänden zurückprallenden Sonnenstrahlen ermüdet, suchten wir unser Hotel wieder auf, dessen Terrasse Ruhe, Schatten und den Ueberblick über Alles gewährt, was der Dampf zu Wasser und zu Lande der Stadt zuführt. Hinter uns das mit schlanken Thürmen, täuschend gemalten Ritterstatuen und gothischen Bogen gezierte schloßähnliche Hotel, vor uns den Platz Aqua verde und den Straßenzug, der von dem Hafen und der Vorstadt St. Pierre d’Arena und der großen Heerstraße von Nizza und Turin in’s Innere der Stadt führt, seitwärts die große Freitreppe, auf welcher man zu den höheren Stadttheilen und den mächtigen Citadellen emporsteigt, von deren riesigen Steinwällen die Bajonnete der auf- und abschreitenden Wachen herabblinken, gegenüber die großartigen Bogen des im Bau begriffenen Bahnhofsgebäudes, davor in der Mitte des Platzes auf Felsquadern ruhend der mit Schiffsschnäbeln gezierte Sockel des Monumentes, dessen abgestumpfte Säule von weißem Marmor die Statue des Columbus noch immer vermissen läßt, für die sie seit Jahren bestimmt ist, darüber am Bergeshange terrassenförmig der Park des Palastes Doria, mit der aus grüner Baumgruppe hervorleuchtenden riesigen Herkulesstatue, und über Allem thronend neben den Festungsmauern, welche auf den Höhen hinlaufen, die stattlichen Umrisse eines doppelt gethürmten Klosters, fällt unser Blick unter uns auf eine geschäftige Menge, die geräuschvoll aus der Stadt heraus- oder in dieselbe zurückströmt.

Der Platz, auf dem gestern noch junge Genueser von guter Familie als Freiwillige ihre ersten militairischen Uebungen unter Leitung eines bärtigen, strengen Unterofficiers vornahmen, wobei sie ihre Glanzstiefelchen bei Schwenkungen durch feuchtes Terrain geschickt zu wahren suchten, ist heute zum Marktplätze für den Verkauf von Maulthieren und Pferden umgewandelt, auf dem der Verkehr überaus lebhaft ist. Zögernd bringen die Landbewohner ihre Thiere zum Verkauf, werden dreister, wenn sie die blanken Zwanzigfrankenstücke sehen, welche ihre Bekannten von den Franzosen lösten, und bieten entschlossen ihre Waare an. Die nicht kräftig genug aussehenden Thiere werden von Officieren mit Kennerblick gemustert und der Preis ohne weitere Prüfung geboten. Man versteht sich nicht. Dollmetscher sind bei der Hand, ihre Dienste anbietend. Unnöthig. Im Weinladen unter uns wird rasch Verständigung erzielt und der Verkäufer verläßt mit fröhlichem Gesicht, die Anweisung zur Auszahlung des Preises in der Hand, den Markt. Dort kauft ein Officier für eigenen Bedarf; er hat weniger Hebung und ist vorsichtiger in der Wahl. Er läßt das Thier von einem Soldaten besteigen; das Langohr, gewöhnt, italienisch angesprochen und bei seinem Namen gerufen zu werden, wird störrisch, aber der Chasseur versteht die Sache, mit gewandtem Sprunge sitzt er dem widerspenstigen Thiere auf dem Rücken, alle Capriolen helfen nichts mehr, es muß vorwärts, wer sich nicht zu retten weiß, wird umgeworfen, und im Trabe geht es in die Stadt. Hier hat der Verkäufer keine Mühe mit dem Eincassiren, der Preis rollt in klingender Münze in seine Hand. So ist es seit dem frühesten Morgen gegangen. Tausende von Maulthieren und einige Pferde wurden verkauft. Der Markt wird leer.

Neben uns unter blühenden Sträuchern hat ein Officier sein Bureau aufgeschlagen und fertigt eilig einen Rapport ab, daneben stellt auf langer Tafel ein Zahlmeister dichte Reihen blanker Goldstücke auf. Trommelwirbel ertönt, er nähert sich, um den Bahnhof schwenkt, Officiere zu Pferde voran, eine Colonne Gardezuaven, so eben von dem eingelaufenen Kriegsschiffe gelandet; ihre langen Hirschfänger auf den Gewehren, schwer bepackt, Tornister auf dem Rücken, marschiren sie in strammer Haltung ein, sie tragen weite, graue, orientalische Beinkleider, vom Knie bis zum Knöchel gelbe Ledergamaschen, an die sich weiße leinene anschließen, welche die Schuhe [356] bedecken, dunkle, mit breiten gelben Schnüren besetzte Jacken und weiße Turbane. Von den großen Tornistern hängen graue Leinendecken zusammengerollt auf beiden Seiten herab, daneben der lange Stab und die hölzernen Pflöcke zur Befestigung des Zeltes. Ehrenzeichen glänzen an der Brust der Meisten, sie tragen die Krimmedaille; zwei und drei Medaillen und Orden bei demselben Manne ist keine Seltenheit, ein Sergeant trägt fünf Ehrenzeichen. Ihnen auf dem Fuße folgt die reitende Gardeartillerie, gleichfalls eben erst angekommen; die Pferde schreiten kräftig aus; die Munitionswagen sind mit sechs, die Geschütze nur mit vier Pferden bespannt. Kaum ist das Donnern der schweren Stücke auf den Straßen verhallt, so zieht in entgegengesetzter Richtung eine lange Reihe dicht besetzter Omnibusse an uns vorüber, die, von den einrückenden Truppen aufgehalten, nun eilen, ihre Passagiere in die Vorstädte zu vertheilen.

In der Morgenkühle des bei uns wegen seiner Kälte gefürchteten Pancratius (12. Mai) wandern wir durch den schönsten Spaziergang der Stadt, die Aqua sola, hinaus in die Nähe des Leuchtthurmes. Da plötzlich erschallt Trommelwirbel, Bärenmützen werden hoch über der Menge sichtbar. In Parademarsch rücken die Grenadiere der Kaisergarde in die Stadt, um bei Ankunft des Kaisers ihre Ehrenposten einzunehmen. Tüchtige Gestalten mit vollen Bärten und stolzer Haltung, aber wenig Decorationen, so marschiren zwei Bataillone, eine Staubwolke aufregend, an uns vorüber, von bewundernden Blicken der Italiener gefolgt, während die alten, kriegsergrauten Zuaven sie von der Seite ansehen und unverständliche Worte in den Bart murmeln. Vor dem Andrange weichen wir nach dem Hafendamme aus, der hinter dem Palaste Doria wegführt, von dessen Balconen und Fenstern lange, schwere, rohseidene Tücher herabflattern. Jetzt haben wir den Fuß des Leuchtthurmes erreicht, unter uns legen eben zwei breite, flache Fahrzeuge an, auf denen Reihen von Pferden aus den großen Transportdampfern an’s Land gebracht werden. Mit unsicherem Tritt klettern die Thiere über die Landungsbrücke und wiehern munter, sobald sie festen Boden unter den Hufen fühlen. Daneben liegen aufgeschichtet in großen Haufen eiserne Bettgestelle, zusammengeschlagen; vermuthlich für Lazarethe bestimmt, sind sie zum Schutze gegen die Witterung mit rothem Firniß überzogen. Auf der Spitze des Haufens thronen einige Sättel. Räder, Karren, Pferdezeug aller Art, Schaufeln und Hacken sind in gleicher Weise hier und da aufgestapelt. Das Kriegsschiff, welches wir gestern einlaufen sahen, suchen wir im Hafen vergeblich. Es hat die Suite des Kaisers und die Zuaven der Garde gebracht und ist bereits wieder abgedampft. – Die Böschungen der Hafendämme sind mit Zuschauern dicht besetzt. Alle Bewegungen im Hafen werden wohl beachtet, Ungewohntes mit lautem Geschrei allen Umstehenden angezeigt.

Wir schreiten durch das Thor, um aus dem Bereiche der Menge zu kommen. Ein weiter Ueberblick über das Meer eröffnet sich uns auch hier. Eine Flotille von vier Dampfern, der noch andere in größerer Entfernung folgen, naht rasch. Hier befindet sich der Kaiser. Das erste Schiff, nicht zu groß, hat nur wenig Flaggen aufgezogen, während die beiden folgenden Dampfer mit Wimpeln überdeckt sind; die meisten Stimmen sprachen sich dafür aus, daß das zweite Schiff den Kaiser trage. Als aber das erste Fahrzeug den Eingang des mit einer Menge bunter Kähne belebten Hafens und die Linie zwischen beiden in das Meer vorspringenden Hafendämmen erreicht hatte, löste sich eine schwere Rauchwolke von dem Quai des alten Molo los, sich allmählich über die kräuselnden Wellen der Brandung wälzend, und weithin dröhnend hallte der erste Schuß von den Bergen wieder; Masten und Raaen der Kriegsschiffe, von denen Flaggen aller Farben überall lustig im Winde flatterten, füllten sich augenblicklich mit Matrosen in weißen Festanzügen, die in langen Reihen sich auf den Segelstangen aufstellten; von allen Thürmen begann das Geläute der Glocken, und Schuß um Schuß von zwei Hafenbatterieen, denen sich später noch ein englisches Kriegsschiff zugesellte, rief einen ununterbrochenen Donner wach, der sich in den weiten Gebirgsthälern rollend verlor. Unterdeß hatte auch das zweite Fahrzeug Anker geworfen, welches der Reine Hortense, auf der der Kaiser die Ueberfahrt gemacht, von der Stadt aus mit der Suite des Kaisers und den ersten diplomatischen und städtischen Behörden zur Begrüßung entgegengefahren war. Von der Ausschiffung konnte man wegen der Anhäufung von Schiffen, Booten und Transportfahrzeugen im Hafen nichts unterscheiden.

Es begannen große Tropfen zu fallen, und man bemerkte nun erst, daß schwere, dunkle Gewitterwolken von den Apenninen herab über die Stadt gezogen waren. Alles eilte zurück. In den Straßen bildeten Gardezuaven und Gardegrenadiere auf der einen, Nationalgarde auf der anderen Seite Spalier, verließen aber eben ihre Posten, da der Kaiser schon vorübergefahren war. Unter Hunderten von blau-roth-weißen und grün-roth-weißen Fahnen, die aus den oberen Fenstern der Häuser quer über die Straße gezogen waren, und fast das Pflaster berührten, hindurch riß uns der Strom der Menge glücklicher Weise bis zur Via nuova, wo wir noch im Café de la Concordia Platz fanden. Bald füllten sich die engen Räume mit Officieren aller Waffengattungen, zwischen denen nur hier und da eine muthige Genueserin mit ihrem Cavaliere sichtbar wurde. Unter Orangenbäumen, deren Zweige, von der Last ihrer reifen Früchte gebogen, köstlichen Duft verbreiteten; beim Geplätscher einer Fontaine, inmitten einer Menge der prächtigsten Uniformen, der Vertreter der ganzen Armee, machte sich das Gefühl geltend, daß man im Beginne der bedeutungsvollsten Ereignisse für die Geschichte Europa’s stehe und daß dieser Tag der wichtigste und glänzendste Genua’s seit Jahrhunderten sei.

Diese kleine zwischen Häusern eingeschlossene Terrasse in der Mitte der Stadt bot der interessantesten Scenen mancherlei. Hier trafen sonnengebräunte Männer, die das Geschick nach Beendigung des Krimfeldzuges nach Nord und Süd auseinander gerissen, zum ersten Male wieder zusammen. Manch herzliches Willkommen, manche leidenschaftliche Wiedererkennungsscene fand hier statt. Gemeinsam Erduldetes, gemeinsame Waffenthaten wurden in Erinnerung gebracht, manchem dahingeschiedenen braven Waffenbruder ein stilles Andenken geweiht. Fast Aller Brust zierten Ehrenzeichen. Die jungen Officiere der Gardecavallerie, in prächtiger Uniform, dunkel mit Goldtressen, mit intelligenten Gesichtern, aber ohne den Ausdruck ertragener Kriegslasten, saßen abseits; sie hatten unter den kriegsergrauten Cameraden noch wenig Freunde. – Soldaten kamen, um hier Meldung zu machen und Befehle zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch die ersten Turcos, die sich malerisch und sehr en negligé hingelagert hatten und ihr Abendbrod bereiteten. Ich sende Ihnen für die Gartenlaube eine photographische Abbildung, die sehr getreu ist. Von Oberofficieren wurden Dispositionen für ihre Corps ertheilt. Hier wurden Briefe abgegeben für Officiere, die man nicht finden konnte; hier suchten sich Bekannte, nachdem sie nach dem Marsche oder der Ausschiffung ihr Quartier bezogen, um hier den Abend und die Illumination zu erwarten. Das Gewitter gegen Mittag hatte nach wenig Tropfen wieder aufgehört, jetzt aber, gegen Abend, begann es stärker zu regnen und drohete die Illumination zu vereiteln, als sich die Wolken wieder zertheilten. Der Regen hatte die schwüle Luft abgekühlt und den lästigen Staub gelöscht. In wenigen Minuten füllten sich die leergewordenen Straßen wieder mit Menschen. Die bunten Lampen und große Wachsfackeln wurden nun allenthalben an den Façaden der Häuser angezündet, und Gasröhren strahlten an Balconen und Portalen helle Gasflammen in vielgestaltigen Formen aus, unter denen überall der Namenszug Napoleons vorwaltete. Die flatternden Fahnen, von Tausenden von Flammen beleuchtet, machten einen großartigen Eindruck. Transparente waren außer den von der Stadt selbst besorgten nicht sichtbar. Das Gedränge erreichte namentlich am Theaterplatze, wo französische Gensd’armerie zu Pferde Raum für den Wagen des Kaisers schaffen sollte, einen gefährlichen Grad. Doch verhielt sich die Menge ruhig, auch beim Vorüberfahren des Kaisers, dem nur seine Franzosen zujubelten. Von großem Enthusiasmus für den Civilisations-Kaiser seitens der Genueser habe ich nichts bemerkt. Die feenhafte Beleuchtung von Kirchen und Palästen, der Wiederschein aller dieser Lichter aus der gemischten bunten Menge, aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt. Alles bot einen zauberhaften Anblick. Als aber gegen neun Uhr wiederum dichter, feiner Nebel niederfiel, und mein im Gedränge verlorener Gefährte mich wiedergefunden, eilten wir, von dem Lärmen und dem Umhertreiben des Tages ermattet, im Hotel national Ruhe zu finden.



[357]
Die neuen Hexenmeister und Geisterbeschwörer.
II.
(Schluß.)

Also die Priorität Deutschlands steht fest. Aber jener Klopfegeist in Niedersachsen war nur ein einfältiger Dorfteufel, während seine Collegen im überseeischen Lande der pfiffigen Yankee’s ganz durchtriebene und abgefeimte Patrone sind. Sie fingen in Hydesville gleich damit an, alle möglichen Hausgeräthe, auch die schwersten, durcheinander zu werfen, Sophaüberzüge zu zerreißen, handfeste Männer aus einer Ecke des Zimmers in eine andere zu schleudern, mit den Zähnen zu knirschen und Musik zu machen. Und dabei blieben sie selber unsichtbar. Sie kamen und kommen noch heute sehr oft freiwillig und ganz nach ihrem Belieben, man kann sie aber auch vorfordern, wenn man die dazu geeignete Person ist, ein Medium, was wir mit Geistermäkler übersetzen könnten, denn das Medium vermittelt den Verkehr mit den Unsichtbaren und theilt das, was sie offenbaren, den Menschenkindern mit. Das glückliche Nordamerika zählte schon im Jahre 1853 zwischen dreißig- und vierzigtausend „Media“. Das ist aber die niedrigste Angabe, denn nach Anderen soll diese Zahl schon damals nahe an eine halbe Million betragen haben. Das Medium trifft mit dem Geiste eine Art von Uebereinkommen, demgemäß es sich mit demselben verständigt. In der Familie Fox bedeutete dreimaliges Klopfen „Ja“, zweimal Pochen heißt so viel als „zweifelhaft“, einmal Klopfen heißt „Nein“. Bald war man auch mit dem Geisteralphabet im Reinen; einmal Klopfen bedeutete A, und so fort. Aber das war zu langweilig und die Geister ließen das Medium, welches gleichsam ihr willenloses, passives Werkzeug wurde, mit Buchstaben schreiben.

Amerika ist ein sehr ausgedehnter Erdtheil, aber für die Thätigkeit der Herren Geister scheint es nicht Raum genug zu haben, denn wir finden sie plötzlich diesseits des Weltmeeres in Frankreich, wo sie im Presbyterium zu Cideville an der Seine allerlei Unfug stiften. Die Geistlichen vernahmen erst ein schwaches Geräusch und bald nachher Hammerschläge, „die man eine halbe Stunde weit hören konnte“; das war arg, aber es kam noch besser. Unsichtbare Hände zerschlugen die Fensterscheiben, warfen allerlei Geräth hoch in die Luft, ja, sie vergriffen sich an Gebetbüchern und schleuderten mehrmals ein Breviarium zum Fenster hinaus. Dabei geschah ein Wunder, denn das Breviarium flog auf der anderen Seite des Zimmers wieder in ein Fenster hinein. Kinder werden von unsichtbarer Hand geschlagen. Man schöpft Verdacht gegen den Schäfer Thorel. Es war ein Schatten umgegangen; diesen verfolgte man mit einem eisernen Stabe, schlug nach ihm, und richtig, der Schäfer hatte am anderen Tage eine Schlagwunde im Gesicht. Man schoß mit einem Pistol in die freie Luft und fand in einer Wange des Schäfers zwei Schrotkörner. Der arme Bursche wirft sich vor dem Pfarrer auf die Kniee und möchte um Verzeihung bitten, aber der Pfarrer will eine so verdächtige Person nicht nahe kommen lassen, prügelt den Schäfer, dieser verklagt den Geistlichen und das Gericht gibt, nach vielen Verhören und Protokollen, dem Letzteren recht. Schade, daß wir nicht im siebzehnten Jahrhundert sind, dann wäre der Schäfer sicherlich als Hexenmeister verbrannt worden.

Der französische Abbé Thiboudet hat herausgebracht, welche Bewandtniß es eigentlich mit den „bösen Geistern“ habe. Einst rief ein Klopfer, der sich das Holz eines geflochtenen Korbes zum Wohnsitze erkoren hatte: „Ich bin Satan!“ und nun sagt der Herr Abbé: „Der Teufel sucht Gott nachzuahmen, um desto sicherer die Menschen zu betrügen. Er weiß, daß Christus sich eines hölzernen Kreuzes bediente, um uns das unsterbliche Leben des Ruhmes zu geben; deshalb bedient auch er sich des Holzes für die Ceremonien seines Cultus und seiner Zauberpraktiken!“

Sobald dieser Abbé ein Crucifix, einen Rosenkranz, ein Meßbuch oder irgend einen anderen geweihten Gegenstand auf den Tisch legt, rüttelt Satan in fürchterlicher Wuth an dem Letzteren und nimmt Reißaus. Der Abbé hat ihn nur einmal zur Rede gebracht, und da warf Satan, der Klopfgeist, die Maske ab und rief: „Ich kann die guten Katholiken nicht leiden.“ Bautain, gegenwärtig Großvicar des Erzbischofs von Paris, zudem Doctor der Theologie, der Arzneikunde und Jurisprudenz, schreibt wörtlich: „Ich sah einen Korb dermaßen belebt, daß er sich in Windungen krümmte, wie eine Schlange; dann entfloh er und kroch fort, weil ihm stillschweigend ein Evangelienbuch vorgehalten wurde.“ Der glaubensstarre Graf von Richemond fordert die Bischöfe und den Papst öffentlich auf, den Hirtenstab zu ergreifen und allen Klopfgeistern die kirchliche Formel: „Vade retro, Satanas!“ (Weiche zurück, Satan!) entgegenzurufen. Es sei ihnen, meint der Graf, gar nicht anders beizukommen, als durch ein solches Exorcisiren. Ob aber dasselbe wirksamer ist, als die Austreibung des braunschweigischen Küsters in Dibbesdorf, muß man abwarten. Ein Abbé, Namens Almignana, hat aber eine Lanze für die „guten Geister“ eingelegt, und dieser Mann muß die Sache wohl verstehen, denn er ist „Doctor des canonischen Rechtes, magnetisirender Theolog und Medium“. So steht es auf dem Titel seiner Schrift über die Geister. Er verkehrt viel mit „Lichtgeistern“ und kann die „Dämonen“ abhalten. Dagegen weiß ein anderer Pariser, Herr Louisy, daß es gar keine bösen Geister gebe. Die vom Körper abgeschiedenen Seelen wären das natürliche Band zwischen dem Schöpfer und der Creatur. Die Weisen sind also, wie man sieht, untereinander nicht einig. Interessant ist aber, daß ein frommer Mann, Henri Carion, den Geist des Erzspötters Voltaire herbeigehext und demselben dermaßen in’s Gewissen geredet hat, daß er seinen Unglauben und seine Ketzereien abschwor; auch stellte er Herrn Carien darüber ein schriftliches Zeugniß in allerbester Form aus. Dieses von Voltaire im Geisterreiche eigenhändig geschriebene Document, von welchem ein Facsimilee genommen und veröffentlicht worden ist, damit rechtgläubige Seelen sich daran erbauen, lautet:

„Ich habe meine gottlosen Thaten abgeschworen, ich habe geweint und mein Gott ist mir barmherzig gewesen. Voltaire.“

Wir haben also, mitten im neunzehnten Jahrhundert, das alte Zauber- und Geisterwesen in bester Form, und die neumodischen Hexenmeister machen kein Geheimniß aus ihrem Treiben. Nordamerika, England und auch unser Deutschland liefern Beiträge zur Literatur dieser merkwürdigen Wirthschaft, vor allen aber zeichnet sich Paris aus. Dort gab schon 1852 Baron Du Potet seine „Enthüllte Magie oder Principien der Geheimwissenschaft“ heraus, Cahagnet’s „Magnetische Magie“ erschien 1854; ebenso das „Dogma und Rituale der höheren Zauberkunst“ von Eliphas Levi Zaed, d. h. Alphons Louis Constant. Wer sich einweihen will, möge diese und ähnliche Werke lesen, zum Beispiel auch jene des Grafen Szapary und Baron Güldenstubbe’s Pneumatologie. Bei Cahagnet spielt der „Zauberspiegel“ eine große Rolle; vermittelst desselben kann man Diebe entdecken. Schade, daß nicht alle Polizeiämter ein solch’ nützliches Werkzeug anschaffen! Derselbe Cahagnet ist auch Nekromant und beschwört die Todten, wobei ihm „die leuchtenden Augen seiner Adele“ wesentliche Dienste leisten. Er beruft sich für die Wahrheit dessen, was er mittheilt, auf Mittheilungen, welche die Geister des Hippokrates, Galilei, Franklin und Swedenborg ihm gemacht! Galilei hat ihm, durch das Medium der Adele, die wahren Gesetze der Physik und Sternkunde offenbart, Franklin ihm die Erfindung einer neuen elektrischen Maschine an die Hand gegeben, Hippokrates ihn Anatomie, Physiologie und Heilkunst gelehrt, während Swedenborg die Geheimnisse des Jenseits, das Wesen der Seelen, ihre frühere Existenz und ihre zukünftige Bestimmung offenbarte. Leider hat dieser Swedenborg verschiedenen Yankee’s in Amerika über alle diese Gegenstände ganz andere Mittheilungen gemacht, als dem Franzosen, und es wäre also noch zu ermitteln, wen er belogen und wem er die „wahre Offenbarung“ gegeben hat.

Mit dem Vorstehenden glauben wir unsern Lesern satt und genug über das „spiritualistische System“ mitgetheilt zu haben. Es bleibt uns nur noch übrig, zu sagen, in welcher Art dasselbe gegenwärtig in Nordamerika seine Anwendung findet. Dort treibt man die Geisterbeschwörung nicht, wie hier und da in Deutschland, ins Geheim und mit einer gewissen Schüchternheit, sondern tritt mit so viel Prunk und Redensarten als möglich an die Oeffentlichkeit. Schon vor sechs Jahren wurde der „praktische Spiritualismus“ zu einem Geschäft erhoben, bei welchem viel Geld verdient wird. Die „Seelenbändiger“ oder, wie sie selber sich nennen, „Sykologisten“ erhalten von den durch sie heraufgezauberten Geistern eine gründliche Anleitung, welche es ihnen möglich machen soll, eine unbezwingliche Gewalt über die Seelen Anderer auszuüben. Der Sykologist sagt: „Ein Blick von mir reicht hin, um über Gefühle und [358] Charakter des Menschen, der mit mir in Berührung tritt, belehrt zu werden. Ich durchschaue ihn im Nu bis zu Herz und Nieren. Mein Blick hat magnetisch-mesmerische Kraft; wer meiner Einwirkung unterworfen ist, fühlt seine Glieder gelähmt, ihm verschwindet die Sehkraft, und der ganze Mensch ist meinem Willen überlassen.“ Es gibt freilich Menschen, welche dem Schwinden der Sinne nicht in solchem Maße unterworfen sind, aber auch sie gehorchen wenigstens dem Blicke des sykologistischen Herrn und Meisters, wie der Hund seinem Gebieter; auch sie denken sich, ganz wie er es will, in das Wesen anderer Menschen hinein, und zwar so sehr, daß es schwer hält, sie zu überzeugen, sie seien nicht selber jene Person, in welche sie sich hineindenken. Die Sykologisten haben z. B. vor einem staunenden Publicum den lebendigen Magyaren Kossuth, den verstorbenen amerikanischen Staatsmann Heinrich Clay und andere öffentliche Charaktere personificirt, und die gläubige berückte Menge sah den „Professor der Sykologie“, der eine so große Gewalt über die Seelen zu haben schien, mit Zittern an. Die befangenen Menschen wollten nicht zugeben, daß Alles eine Gaukelei sei, welche sie mit einem Viertelthaler bezahlten, denn Geisterbeschwörungen sind, bei großer Concurrenz, schon wohlfeil geworden, und bei den „Professoren“ muß die Menge es bringen. Aber sie geben auch Vorstellungen im engern Kreise, für einige wenige „Ladies“ mit Ausschluß von „Gentlemen“; was bei solchen magnetischen Zusammenkünften Alles vorgeht, mag der Leser sich selber denken.

Die Sykologisten sagen: „Unsere seelenbändigende Kraft ist eine göttliche; aber aus Theilnahme und Wohlwollen für die Menschheit fühlen wir uns bewogen, sie zu verbreiten, damit recht Viele an ihren Segnungen Theil nehmen. Wir lehren sie für ein Honorar von nur fünf Dollars.“ Seitdem werden die Vereinigten Staaten von ganzen Schaaren sykologistischer „Doctoren oder Professoren“ durchzogen, die überall den Städtern und Landleuten System und Evangelium der Sykologie verkündigen und dieselbe durch praktische Beispiele im Seelenbändigen erläutern. Nachdem sie den verblüfften Zuschauern das Geld abgenommen, ziehen sie weiter.

Wir schließen unsere Mittheilungen über eine gefährliche und entsittlichende Verirrung mit einigen ergötzlichen Angaben über die neumodischen Klopfgeister, aus welchen sich ersehen läßt, wie sehr dieselben sich vervollkommnet haben, und was sie Alles leisten können.

Ein im Uebrigen durchaus achtbarer und sonst recht verständiger Mann erzählte deutschen Freunden in New-York buchstäblich Folgendes: „Als Augenzeuge habe ich gesehen, wie die Klopfgeister mit einem sehr schweren Tische plötzlich davon liefen. Ich wollte mich überzeugen, daß dabei keine Menschenhände im Spiele seien, und setzte mich mit zwei andern Männern auf den Tisch. Es waren also übermenschliche Kräfte nöthig, denselben auch nur zu heben; aber trotzdem lief der Tisch mit uns fort, denn er wurde von Geisterhänden getragen.“

Im Herbst des verflossenen Jahres machte ein sogenannter Knochengeist viel von sich reden. Als Mensch war er auf der Anatomie zergliedert worden, und man hatte seine Gebeine zu Hartford im Staate Connecticut begraben. Aber das war ihm offenbar nicht genehm und er beschloß, sich selber nach New-York hinüber zu transportiren. Dort standen am 1. October die beiden Aerzte Dr. Redman und Dr. Orton in einem Zimmer, als ein plötzlich aus der Luft herabfallender Knochen ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie hoben ihn auf und betrachteten ihn, aber während sie damit beschäftigt waren, fielen noch mehrere, und der Knochenregen hielt, mit Zwischenräumen, einige Stunden lang an. Ueber diese „wunderbare Erscheinung“ wurde ein genaues Protokoll aufgenommen, und von den sechs Männern, welche dieselbe mit angesehen hatten, unterzeichnet. In den Decembernummern des Spiritual Telegraph ist dasselbe abgedruckt. Bald nachher warf der Geist wieder vierzehn Knochen binnen einer Viertelstunde in’s Zimmer, im Verlauf jeder Minute etwa einen; was wir als erklecklich rasch betrachten müssen, da Hartford und New-York weiter von einander entfernt liegen, als etwa Leipzig und Magdeburg. Dann ruhete er aus bis zum andern Mittage; wahrscheinlich hatte er seine Kräfte gesammelt; „zwischen elf und zwölf Uhr bombardirte er das Zimmer mit einem wahren Platzregen von Knochen, die überall hinfielen, auf Stühle, Tische und Fußboden, sie kamen vom Fenster wie von der Decke her; es waren Fußknochen, Rippen, Kniescheiben, Finger und Zehen.“ Die Doctoren der Medicin waren darüber ganz erstaunt, aber die Sache kam noch besser, denn das von ihnen beglaubigte Protokoll berichtet: „Als wir alle am Tische standen, fiel plötzlich mitten unter uns hinein ein Sack, der nicht weniger als einundsechzig kleine Knochen enthielt. Der Sack war von Musselin, etwa fünfzehn Zoll lang, und fiel gerade vor Doctor Orton’s Gesicht senkrecht von der Decke herab und mit solcher Gewalt, daß auf den Tisch Eindrücke hervorgebracht wurden.“ Das ging in Redman’s Hause vor. Eine Stunde später war Orton in seiner eigenen Wohnung. Sobald er in sein Zimmer trat, fiel ein achtzehn Zoll langer Schenkelknochen nieder und schlug dem Doctor einen Apfel, den er eben zum Munde führen wollte, aus der Hand; ein paar Minuten nachher folgte ein zweiter. Damit war die Geschichte zu Ende; binnen achtzehn Stunden hatte der Geist seine Gebeine nach New-York hinübergeschafft.

Das wäre also die erbauliche und höchst glaubwürdige Geschichte von dem Hartforder Knochengeiste. Wir lassen darauf unmittelbar jene vom Trompetengeiste folgen. Sie spielte im August des vorigen Jahres zu Newark im Staate Ohio, und wir folgen wörtlich dem Berichte der dort erscheinenden Times.

„Vor Kurzem fanden sich in Newark zwei Damen ein, Fräulein Vincent und Frau Garner, die bekannt machten, daß sie „Trompeten-Media“ seien. Bald vernahm man, daß alle bisher kund gewordenen Aeußerungen des Spiritualismus durch sie in Schatten gestellt würden. Die Geister, welche sich in der Obhut beider Damen befanden, waren ruhige, ordentliche, würdige Wesen; sie verschmäheten die unhöfliche Praxis, Geräthschaften umzuschmeißen, und gaben ihre Mittheilungen vermittelst eines Hornes oder einer Trompete. Wir unsererseits waren freilich etwas ungläubig, begaben uns aber doch zum „spirituellen Rendezvous“, um zu sehen und zu hören.

„Dort fanden wir etwa ein halbes Dutzend Leute, untersuchten sogleich das Zimmer nebst Wänden und Decke sehr genau, bemerkten aber nichts Verdächtiges. Man bildete einen Halbkreis vor einem Gerüst oder Stand, auf welchem zwei gewöhnliche Zinnhörner ohne Mundstück lagen; das letztere war abgebrochen worden. Dann wurde die Thür verschlossen, und Fräulein Vincent (Frau Garner war gerade in dem benachbarten Dresden) setzte sich an das Ende des Cirkels. Eine Untersuchung der Hörner ergab nichts Verdächtiges. Darauf wurden die Lichter ausgelöscht und einige Kirchengesänge angestimmt. Nach Verlauf von etwa fünf Minuten vernahmen wir einen Ton, wie etwa von einer Kugel, die in das Horn geschossen worden wäre; zugleich flammte ein phosphorischer Blitz auf und das Horn auf dem Gerüst begann zu wackeln.

„Fräulein Vincent sagte: Bruder King (der Schutzgeist des Mediums) ist unter uns. – Nun herrschte Todtenstille und feierliche Stimmung im Cirkel. Da kroch das Horn langsam an der Wand empor, dann an der Decke hin und flog nachher in verschiedenen Richtungen durch das Zimmer hin und her. Das Medium ersuchte den Geist, sich den Mitgliedern des Cirkels zu offenbaren, und sogleich folgte er, gab jedem Anwesenden einen Stoß, der deutlich verspürt wurde, und verfügte sich wieder auf sein Gerüst. Auf die Frage des Mediums, ob er Mittheilungen zu machen habe, eilte er vom Gerüst wieder fort und schlüpfte mit großer Schnelligkeit durch das Zimmer, während er zugleich ein Geräusch machte, das jenem des aus einer Dampfmaschine herausdringenden Dampfes glich und fast eben so heftig war. Nachdem er etliche Male im Zimmer umhergekreist war, machte er Halt, stand in der Luft gerade vor dem Cirkel und sprach dann mit übermenschlicher Stimme, aber etwas undeutlich: „Ihr seid Kinder der Erde, ich aber bin ein Sohn des Himmels und unsichtbar.“ Die Stimme kam unverkennbar aus dem Horn und war so gewaltig, daß man sie über ein ganzes Häuserviereck hätte hören können: sie tönte, als ob sie aus einer schwerathmenden Brust hervordränge. Nachher gab diese Stimme Mittheilungen aus dem Geisterlande und Schilderungen über verstorbene Personen, welche von deren Angehörigen als zutreffend erkannt wurden. Die Unterhaltung dauerte etwa zehn Minuten; dann ließ der Geist das Horn fallen und sagte uns ein Lebetwohl.

„Das Licht wurde wieder angezündet, der Cirkel erhob sich und Alle waren überzeugt, daß aus dem Horn eine übernatürliche Kraft gesprochen habe. Das Innere der Trompete war vor der Offenbarung des Geistes glatt und rein; als ich es nach derselben untersuchte, war es dick mit einem kalkartigen Stoffe überzogen.

„Die ganze Geschichte mag ein Betrug sein, welchen ein Schlaukopf geschickt eingefädelt hat; ich aber bin überzeugt, daß die wirkende Kraft von dem Medium unabhängig war. Das Fräulein saß im Cirkel, einer unserer Mitbürger hielt ihr während der ganzen Zeit die Hände fest und sie sprach oft zu gleicher Zeit mit dem [359] Horn. Frau van Buskirk, in deren Hause die beiden Media wohnen, ist in der ganzen Stadt als vertrauenswerth bekannt; sie versichert, daß die Trompete sehr oft in der Nacht das Bett der Media besuche und mit denselben lange Unterredungen habe.“

Wir haben weiter nichts zu sagen. Jedes Jahrhundert hat seine eigenthümlichen Abspurigkeiten; die Tollheit will von der Menschheit nicht lassen und sehr richtig hat man einmal geäußert: Der Wahn ist der größte Dichter aller Zeiten.




Vier Jahre in Cayenne.
(Fortsetzung.)

In einer dieser Zellen lag ein noch lebender Gefangener. Wir baten die Aufseher, die uns auf den „Castor“ gefolgt waren, ihn einen Augenblick herauszulassen, und mit großer Mühe bewogen wir sie, unsern Wunsch zu erfüllen.

Ich glaube jetzt noch, diesen Unglücklichen vor mir zu sehen, der nach mehreren Jahren auf eine Minute dem Lichte wiedergegeben ward. Unbeweglich, wie vernichtet und stumm stand er da. Er „athmete lange und athmete tief“ und schien, des Klanges der menschlichen Stimme entwöhnt, das Wort seiner Brüder kaum zu hören. Sein Körper war bis auf’s Aeußerste abgemagert und seine Haut vom Aussatze zerfressen und zernagt. Sein Wuchs mußte früher ein athletischer gewesen sein. Seine Kniescheiben hatten einen ungeheueren Umfang, während die Beine nur noch aus Haut und Knochen bestanden. Sein Bart und Haar war furchtbar lang und weiß, obschon der Unglückliche noch nicht fünfundvierzig Jahre zählte. Ueber seine Vergangenheit erfuhr ich Folgendes. Drei von der päpstlichen Polizei an die französische ausgelieferte Italiener wurden unter einem unbekannten Vorwande nach Cayenne transportirt. Man wollte sie nicht mit anderen politischen Gefangenen in Berührung kommen lassen und sperrte sie deshalb in das Stadtgefängniß, aus welchem einer von ihnen entsprang. Nun versenkte man die beiden anderen in die Zellen des Gefängnißschiffes „Castor“. Dies ist Alles, was ich von der Vergangenheit dieses Unglücklichen und seines Cameraden weiß.

Während er noch so auf dem Deck stand und in wenigen Minuten mehr frische Luft athmete, als er seit fünf Jahren geathmet, brachte eine Barke zwei Diener Sr. Majestät Napoleons III., den Admiral Baudin und den Gouverneur La Richerie. Die Aufseher wollten den Italiener schnell wieder in seine Zelle führen, aber es war schon zu spät. Der Admiral hatte ihn bereits gesehen und bleich vor Wuth bei dem Anblicke seines auf wenige Augenblicke seinem lebendigen Grabe entrissenen Schlachtopfers rief er:

„Wer hat diesem Menschen erlaubt, auf’s Deck zu kommen? Gleich bringt ihn wieder in seine Zelle!“

Einer der Aufseher wollte sich mit der Krankheit des Gefangenen entschuldigen, aber der Admiral unterbrach ihn wüthend:

„Für solche Menschen gibt es keine Krankheit. Versteht Ihr mich? Keiner wage wieder, meine Befehle auf diese Weise zu übertreten.“

Was ward aus dem Italiener und seinem Genossen? Sind sie todt? Niemand hat etwas darüber erfahren. Ihre Familien in der Heimath wissen nicht einmal, daß sie nach Cayenne transportirt worden sind.

Wir blieben einundfunfzig Tage auf dem Ponton, dann kam ich mit funfzehn meiner Leidensgefährten in das „rothe Schloß“, die Bastille der sogenannten Königsinsel. Die Ueberfahrt nach derselben war ziemlich beschwerlich. Die Hitze war furchtbar und als wir ausstiegen, mußte jeder einen Sack von ziemlich hundert Pfund Gewicht auf die Schultern nehmen. Die Insel ist sehr steil und der schmale Weg, mittelst dessen man hinaufgelangt, in den Felsen gehauen, an welchem er in beinahe geradliniger Richtung dreihundert Fuß hoch hinaufführt.

Als wir hier unser neues Gefängniß betraten, übte die Luft darin oder vielmehr das Gas, das wir athmeten, eine beinahe erstickende Wirkung auf uns aus, und drei von uns sanken ohnmächtig nieder. Die äußere Luft drang hier nur durch zwei schmale Maueröffnungen ein, in welche überdies eine senkrechte und so breite Eisenstange eingesetzt war, daß die Oeffnung zum dritten Theile wieder versperrt ward. Dennoch wird man später sehen, daß die Gefangenen sich verhältnißmäßig glücklich schätzen, wenn sie hier eingesperrt werden, anstatt in der furchtbaren Sonnenhitze im Freien arbeiten zu müssen.

Man sagt, Louis Napoleon scheue vor keinem Mittel zurück, um sich auf seinem Throne zu befestigen. Warum aber, wird man fragen, läßt er seine Opfer so lange schmachten? Warum läßt er sie nicht sofort köpfen oder niederschießen, ohne sie erst zu deportiren? Er hat seine guten Gründe dazu. Das von ihm eingeführte System, sich seiner Feinde zu entledigen, läßt keine Blutspuren auf dem Boden des Vaterlandes zurück. Der Bürger, welcher seinen Geschäften nachgeht, sieht keine Blutlachen auf dem Straßenpflaster. Das Geschrei der Angst und Verzweiflung dringt nicht in die öffentlichen Feste und in die Kirchen, wo man Domine salvum fac imperatorem singt.

Die Stadt Cayenne liegt auf einer Insel von zwei bis drei Wegstunden Umfang. Sie wird durch zwei Arme des Meeres und einige Flüsse gebildet, welche die Stadt durchschneiden und als Communicationswege dienen. In Folge ihrer Lage ist die Stadt vielleicht weniger gesund, als die anderen Inseln, obschon das gelbe Fieber, welches durchschnittlich sechs Monate im Jahre herrscht, wie alle durch den Wind begünstigte Epidemieen an unseren Küsten eben so wüthen kann, als in Cayenne.

Die Bewohner dieser so hart geprüften Stadt haben sich von jeher sehr mitleidig gegen die Unglücklichen bewiesen, welche durch ehrgeizige, gewaltthätige Regierungen nach Guyana in den Tod geschickt worden sind. Als die ersten Deportirten, die des Generals Cavaignac, in Cayenne ankamen, nahm sie der damalige Gouverneur, ein sehr vortrefflicher, menschenfreundlicher Mann, mit Wohlwollen auf. Es waren nur ihrer neun, und er trug Sorge, sie bei Gewerbtreibenden der Stadt unterzubringen. Nicht lange darauf brachte ein Kriegsschiff eine neue Ladung Gefangene. Diesmal betrug ihre Zahl sechzig. Der Gouverneur, der sie eben nicht, wie die ersten, in Privathäusern unterbringen konnte, schickte sie nach der Mutterinsel und that Alles, was er konnte, um ihr Loos zu erleichtern. Diese Humanität war den in der Colonie ziemlich zahlreich vorhandenen Jesuiten zuwider, und in Folge ihrer hinterlistigen Anschwärzungen ward der menschenfreundliche Gouverneur abberufen und durch einen andern ersetzt, der sich auf das Menschenquälen besser verstand. Das Mitleid der Colonisten mit den Schlachtopfern der Regierung war daher einer der Gründe, aus welchen man die Deportirten von der Stadt Cayenne so weit als möglich entfernte.

Auf der Mutterinsel hatten es die Gefangenen in der ersten Zeit nicht allzuschlecht, später aber ward ein anderes System eingeführt, welches von 1852 an aber immer mehr verschärft ward. Während der ersten Monate war die Arbeit frei. Wer arbeitete, verdiente täglich 75 Centimes bis 1 Franc 25 Centimes und ward überdies bei Vertheilung der von Cayenne gesendeten Lebensmittel begünstigt. Vier Mal wöchentlich ward Fleisch auf die Mutterinsel geschickt. Wer arbeitete, erhielt frisches Fleisch, wer dagegen, gleichviel aus welchem Grunde, die Arbeit verweigerte, erhielt nur Salzfleisch.

Diese Einrichtung war jedoch nicht von langer Dauer und man wartete nur auf einen Vorwand, um sie abzuändern. Eine leichte Widersetzlichkeit, deren sich funfzehn Gefangene schuldig gemacht, lieferte diesen Vorwand. Man stellte die Widerspenstigen vor ein Kriegsgericht, vor welchem die Aufseher und Gensd’armen, die allein als Zeugen abgehört wurden, aussagten, der Commandant sei bei seiner Ankunft auf der Insel von den Gefangenen umringt worden, die ihm dann den Degen aus der Hand und die Epauletten von den Schultern gerissen hätten. Obschon nun der wenige Augenblicke nach dieser Aussage erscheinende Commandant erklärte, daß er in jenem Augenblicke weder Degen noch Epauletten getragen und daß die Widersetzlichkeit lediglich in Worten und drohenden Gebehrden bestanden habe, so wurden doch sieben der Gefangenen zu fünf Jahren Eisenstrafe und zur Zwangsarbeit auf der [360] Insel Saint Joseph verurtheilt. Zur Zwangsarbeit heißt aber mit anderen Worten stets: zum Tode.

Von dieser Zeit an herrschte auf der Mutterinsel beinahe dieselbe Strenge, wie in dem Bagno von Saint Joseph. Die Sterblichkeit ward größer. Der unbedeutendste Ungehorsam und die mindeste Unregelmäßigkeit bei Erfüllung der Befehle des Commandanten oder eines Aufsehers wurden mit den grausamsten Strafen belegt.

Die Gefangenen entwarfen mehrere Fluchtpläne, und im Januar 1853 gelang es auch wirklich zwölf von ihnen, nach Holländisch Guyana und von dort nach den Vereinigten Staaten zu entkommen, worüber damals die Zeitungen ausführlich berichtet haben.

Die Insel Saint Joseph ist von der Königsinsel nicht weit entfernt, und die Garnison der letzteren kann erstere mit überwachen. Hier mußten die Gefangenen arbeiten, ohne daß ihnen eine Vergütung dafür zu Theil ward. Wer sich weigerte, war der Strafe des Pfahles – worüber wir sogleich mehr hören werden – oder verschärfter Haft unterworfen.

Die in Saint Joseph eingeführte Tagesordnung war folgende: Um halb sechs Uhr Appell und Frühstück. Letzteres besteht aus einer Suppe, die nur durch den äußersten Hunger genießbar wird. Um sechs Uhr Beginn der Arbeit im Freien. Um elf Uhr Rückkehr in das Gefängniß und Mittagsessen. Dieses besteht aus einer Specksuppe, anderthalb Pfund elenden, aus Maniokmehl gebackenen Brodes und einem Quart Wein. Um ein Uhr Wiederbeginn der Arbeit. Um sechs Uhr Feierabend und Abendmahlzeit, zu welcher man trockene dumpfige Gemüse oder Stockfisch austheilt. Jeder Gefangene erhält überdies täglich eine Kanne Wasser, welches aber faul und salzig schmeckt.

Man denke sich also fünf Stunden Arbeit von sechs bis elf Uhr in diesem Klima, während in weit weniger heißen Ländern – in Italien, in Spanien – die Feldarbeit schon um zehn Uhr eingestellt wird! Was aber sagt man erst von den fünf Arbeitsstunden des Nachmittags?

Wenn der Gefangene von bereits fünfstündiger Arbeit ermüdet, keuchend und nach Luft schnappend in seiner Zelle liegt – wenn die Hitze den Erdboden spaltet, und die Sonnengluth mit feuriger Wucht auf der ganzen Natur lastet – wenn es keinen Schatten mehr gibt – wenn die Strahlen senkrecht herabschießen – muß der Gefangene wieder hinaus, wieder zu Hacke und Karren greifen und noch fünf Stunden arbeiten! Wenn ihm dann Hut oder Mütze vom Kopfe fällt, so raubt der ihn dann unmittelbar treffende Sonnenstrahl ihm den Verstand. Seine Haut wird rissig und runzlig, und wenn er es wagt, den nackten Fuß auf die glühende Erdkruste zu setzen, so bleibt die Haut der Sohle daran kleben.

Die Gefangenen werden durch Aufseher zur Arbeit geführt und, sobald es diese angemessen finden, durch Fußtritte und Stockschläge zum Fleiße angetrieben. Jeder Aufseher commandirt eine Abtheilung von zehn Mann. Empörungsversuchen ist durch die Gegenwart von vierzig Marinesoldaten und zwanzig Gensd’armen vorgebeugt.

Jeden Sonnabend werden die Gefangenen gemustert. Sie müssen dabei barfuß mit über die Kniee hinaufgewickelten Beinkleidern erscheinen. Eine zweite Musterung wird Sonntags abgehalten und schließt mit einem Vorbeimarsch vor dem Commandanten und dem Lieutenant, vor welchen die Gefangenen sich tief verneigen müssen. In derselben Ordnung begibt sich der Zug sodann in die Capelle zur Messe. Ein Jesuit besteigt die Kanzel, fulminirt gegen die Freidenker und Protestanten und ergeht sich in den heiligsten Ausdrücken. Was hätte er auch zu fürchten?

Nach zwei Jahren ward ich mit einer Anzahl meiner Unglücksgefährten auf die Teufelsinsel versetzt. Diese Insel war bis jetzt unangebaut und unbewohnt gewesen, sollte aber durch die Arbeit nun fruchtbar gemacht werden. Ein kleines, ziemlich in der Mitte unseres neuen Gebietes liegendes Bananenhölzchen war uns anfangs von großem Nutzen. Es dauerte nicht lange, so verlor die Insel einen Theil ihres wilden, uncultivirten Ansehens. Wir legten Gärten und Pflanzungen an. Der Contreadmiral Bonnard schickte Materialien, um Hütten zu bauen. Die Arbeit war frei, denn wir hatten keine Aufseher. Alle Dienstage, Donnerstage und Sonnabende brachte man den unfreiwilligen Colonisten Lebensmittel von Cayenne. Diese Lebensmittel waren dieselben, wie die in Saint Joseph; zum Glück brachten schon nach wenigen Wochen die Erzeugnisse unserer Gärten einige Abwechselung in unseren Küchenzettel. Süßes Wasser fehlte freilich, und wir bekamen täglich nur eine Kanne der Mann.

Der Contreadmiral Bonnard schien, wie man sieht, die auf der Insel Saint Joseph begangenen Grausamkeiten wieder gut machen zu wollen. Es ward sogar einem Krämer von Cayenne gestattet, sich bei uns zu etabliren und Tasia oder Zuckerbranntwein, Zwirn, Nadeln, Federn, Papier und andere dergleichen Dinge zu verkaufen. Uebrigens beschränkten sich unsere Nahrungsquellen nicht blos auf die Erzeugnisse unserer Cultur, denn wir hatten auch noch den Fischfang und die Jagd.

Der Fischfang war allerdings sehr schwierig, denn die gewöhnlichen zu demselben erforderlichen Geräthschaften waren uns beinahe alle verboten. Das Meer ist in diesen Breitengraden, wie ich schon oben gesagt habe, mit gefährlichen Fischen bevölkert. Die Colonie ist übrigens auch sehr geeignet, diese Thiere anzulocken, denn in der Fieberzeit gibt es Tage, wo man zehn bis zwanzig Cadaver in’s Meer wirft. Es ist deshalb gefährlich, am Ufer Wäsche zu waschen oder sich auch nur die Füße zu baden. Die Muränen und Haifische streifen dicht am Lande hin. Um zu fischen und dabei doch diesen Freunden der europäischen Ordnung aus dem Wege zu gehen, hatten wir auf der Südseite ein Bassin gegraben, welches zur Zeit der Fluth sich allemal mit Wasser füllte. Zuweilen geriethen dann Fische mit hinein, die dann beim Eintritt der Ebbe sitzen blieben, so daß wir sie fangen konnten.

Die Jagd war weniger regelmäßig und auch weniger ergiebig. Unser Wild bestand in weiter nichts als einigen Eidechsen und dann und wann einer Schlange. Diese Thiere sind nicht leicht zu fangen, obschon sie bei Weitem nicht so gefährlich sind, als man sie ausgeschrieen hat, während sie dagegen als wohlschmeckendes Nahrungsmittel noch lange nicht so gewürdigt zu werden scheinen, wie sie es verdienen.

Der erste Gedanke, der in uns Allen erwachte, als der Contreadmiral erklärte, er werde keinen Aufseher auf die Insel schicken, war der Gedanke an Flucht, obschon der Contreadmiral, der diese Gedanken natürlich errieth, ausdrücklich zu uns sagte: „Versuchet ja nicht zu entfliehen, denn dies würde Euren unvermeidlichen Tod zur Folge haben.“

Eines Tages sahen wir, als wir auf dem Cayenne gegenüber liegenden Strande standen, eine schwärzliche ungefähr zwanzig Ellen breite und vierzig Ellen lange schwimmende Masse in westlicher Richtung treiben. Wir glaubten, es sei ein von unsern Unglücksgefährten auf einer der andern Inseln gebautes Floß, auf welchem sie das Weite suchten. Wir zitterten, daß sie verfolgt werden möchten, und in der That stießen nach wenigen Minuten von dem Fort der Königsinsel acht bemannte Boote ab, welche das vermeinte Floß verfolgten. Fast gleichzeitig jedoch gewahrten wir, daß es sich hier um kein Floß, sondern um ein Stück Ufer des Amazonenflusses handele. Während der Regenzeit werden nämlich zuweilen sehr umfangreiche Erdstücken, die der Fluß schon unterminirt hat, durchweicht. Mit Bäumen und durcheinander geschlungenen Lianen und tausenderlei verschiedenen Pflanzen beladen, stürzen sie dann in’s Wasser, und die Strömung führt sie fort.

Es dauerte nicht lange, so sahen die Verfolger, die uns mittlerweile immer näher gekommen waren, ihren Irrthum ebenfalls ein, und da sie uns am Ufer stehen sahen, so kamen sie auf uns zugerudert und stiegen an’s Land. Wir sahen sofort, daß sie von Ingrimm und Wuth über ihre getäuschte Erwartung erfüllt waren und sich vorgenommen hatten, sie unter irgend einem Vorwande an uns auszulassen.

„Ha!“ sagte einer von uns – ein Pariser, in welchem das Unglück die Spottsucht noch nicht zu ertödten vermocht hatte – „ha! wenn wir Preßfreiheit und einen Charivari hätten, so ließe sich über diesen Vorfall ein sehr witziger Artikel schreiben.“

Nicht sobald waren diese Worte gesprochen, als die Soldaten sich auf diesen Unglücklichen und zwei seiner Cameraden stürzten, welche neben ihm standen und ihn entschuldigen wollten. Weit entfernt, ihre Meute zurückzurufen, sahen die Officiere mit wilder Freude zu.

(Schluß folgt.)

Zur Nachricht.
Mit Nr. 26 schließt das 2. Quartal; wir ersuchen demnach unsere Abonnenten, ihre Bestellungen schon jetzt aufzugeben. Bilder und Schilderungen vom Kriegsschauplatze folgen von jetzt ab regelmäßig.
Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.