Die Gartenlaube (1861)/Heft 46

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1861
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 46.   1861.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Bombardement von Schärding.

Von Herm. Schmid.


Der alte Rentbeamte Regler war ein freundlicher Mann, dem Alles wegen seiner Herzlichkeit und seines offenen Wohlwollens gut war. Wenn er mit seinem schneeweißen Kopfe den Weg zur Kirche herankam oder durch’s Thor ging, um über die Brücke oder längs des Capuzinerklosters seinen Spaziergang zu machen, da nickten ihm von allen Seiten, aus allen Fenstern lächelnde Grüße zu, und aus jeder Hausthüre scholl ihm irgend ein freundliches Wort entgegen. Er kam auch selten weit auf seinen Spaziergängen, denn links und rechts gab es Veranlassung still zu stehen und mit Jemand zu plaudern. Bald waren es Kinder, die von ihrem Spielzeuge wegsprangen, um mit einem halb verlegenen „Grüß Di’ Gott“ dem bekannten Spaziergänger die Hand zu reichen, der für solche Fälle immer eine kleine Kindergabe in der Tasche trug; bald war es irgend eine bedrängte Hausfrau, der es wohl that, die kleinen Sorgen ihres Haushaltes vor dem alten Manne auszuschütten, der, wenn er auch nicht zu helfen vermochte, doch mit einer Art zuhörte, daß es der Klagenden wohl that – bald endlich war es ein Bürger oder ein Bauer, der mit den Behörden auf irgend eine Art zusammengerathen war und der sich glücklich fühlte, sich bei dem erfahrenen Beamten Rath zu holen, der an Allem so lebhaft Antheil nahm, als wenn er noch zur Stunde nach seinem Lieblingsausdrucke – „der Rentteufel“ gewesen wäre.

Was ihm so besonders die Herzen gewann, lag nicht darin, daß er mit den Leuten sprach, sondern in der Art, mit welcher er es that. Er war immer heiter und hatte ein passendes Scherzwort in Bereitschaft, das nie verletzte, weil dahinter ein Gemüth voll reiner, tiefer Empfindung lag, wie unter dem plätschernden, gefahrlosen Wellenspiel einer Quelle der klare, trotz der Tiefe erkennbare Grund. Es geschah nicht blos, daß die Kinder, schnell beruhigt, durch Thränen hindurchlachten, sondern auch die Erwachsenen fanden Behagen daran, wenn durch die Wolken ihrer Betrübniß und den Sprühregen ihres Kummers ein Lichtstrahl fiel, wie rother Sonnenuntergang nach einem trüben Tage, oder ein Sonnenblick mitten im Aprilregen. Hier wie dort brach sich das einförmig traurige Grau zur Farbe; damit kam Beruhigung, denn wenn auch gebrochen, die Farbe ist doch Licht.

Diese Munterkeit, der volle Wiederschein innerer Harmonie, machte den Grundzug seines Wesens aus, und wie er Andere damit erfreute, war sie der Stab, woran sein eigenes Leben sich emporrankend Kraft und Stütze gewann. Sie verließ ihn auch nicht bis an’s Ende, der beste Beweis, daß er nicht zu den Hohlheiten gehörte, welche die innere Leere und Dunkelheit durch ein Feuerwerk von Witz verdecken wollen, das sie Andern und sich selbst vormachen. Sie mögen damit manchmal die Zuschauer täuschen, während der im Grunde trübselige Feuerwerker nur zu gut fühlt und weiß, daß der Funkenregen nur ein Blendwerk ist. Er blieb sich gleich, auch nachdem Leid und Mühsal aller Art über ihn gekommen; nachdem, einen Volksausdruck zu gebrauchen, das Unglück „tausend Mann stark“ über ihn hereingebrochen war.

Wie er nun Allen werth war, die ihn kannten, war er es mir doppelt, denn er war mein Großvater und die Ferientage, die ich in seinem Hause zubringen durfte, stehen in der Sammlung meiner Erinnerungen bleibend aufbewahrt, als die schönsten Exemplare von Angedenken aus der Jugendzeit. Stunden-, ja tagelang lauschte ich mit wahrem Seelenvergnügen den Ereignissen aus seinem viel bewegten Leben, die er so lebhaft vorzutragen wußte, daß man sie mit dem Erzähler nochmal durchzumachen glaubte. Oft äußerte er dabei den Vorsatz, er wolle sich einmal darüber setzen und nieder schreiben, was ihm Alles auf seinem langen Lebenswege begegnete. Ich munterte ihn jederzeit auf, das ja zu thun und hoffte bestimmt, daß sein Rücklaß die versprochene Schilderung enthalten werde. Als er aber dahin gegangen war, wie ein Licht auslöscht, das seine Umgebung so lieblich erhellt hat und doch für den später Kommenden in keiner Spur wahrnehmbar bleibt, da fanden sich nichts als Anfänge, zerstreute Blätter und Vormerkungen, wie man sie zu einer solchen Arbeit macht, ein Ganzes war nicht vorhanden.

Die folgende Erzählung ist ein solches abgerissenes Blatt; ich gebe es ohne viele Zuthat, als Bruchstück eines wackern Seins, das einst in allen Regenbogenfarben der Freude über einer dunklen Folie geschimmert hat. Vor uns liegt und dehnt sich das Leben noch voll und unzertrümmert; vielleicht dient die Betrachtung des Bruchstücks dazu, den Strahl zu erkennen, der die an sich todte Masse leuchten macht.




Der Winter von Anno Achte ging unter sehr bedenklichen Anzeichen zu Ende. Man sprach immer lauter davon, daß die Allianz zwischen Oesterreich und dem Kaiser Napoleon angefangen habe locker zu werden, aber mich bekümmerte das im Ganzen sehr wenig. Ich saß damals bereits seit zwei Jahren als wohlbestallter kaiserlich königlicher Controllor am Landgericht zu Schärding am Inn und fing soeben an die Behaglichkeit einer sorgenfreien Stellung zu genießen. Mir war ungefähr so, wie wenn man lange in strenger Kälte gewandert ist und dann in der warmen Stube empfindet, wie das Leben in die steif gefrorenen Glieder zurückzukehren beginnt. – Wie ich das niederschreibe, finde ich, daß das Gleichniß, das mir da so in die Feder gekommen ist, sehr gut paßt, denn mein Dasein und meine Wanderung an der Seite meiner geliebten Katharina war bis dahin in der That, als wären wir in einer Winterkälte von zwanzig Graden im Walde und bei Nacht nach Monduntergang und vor Sonnenaufgang unterwegs gewesen. [722] Und doch hinkt dieser Vergleich wie jeder. War es auch keine Kleinigkeit, sich achtzehn Jahre lang vor dem Einfrieren zu schützen mit sehr geringer Einnahme, die immer gleich blieb, während der in Kindern ausgedrückte Segen Gottes sich stetig vermehrte, so trugen wir doch in uns, was wärmer hält, als der dichteste Flausrock – wir hatten uns aus Liebe geheirathet und das Sprüchwort vollkommen wahr gefunden: Jung gefreit hat keinen gereut.

Vielleicht – vielleicht auch nicht, erzähle ich ein anderes Mal von den ersten Anfängen meiner Jugend, die wahrlich nicht auf Rosen gebettet war. Das Mittelste von fünfzehn Kindern, zählte ich achtzehn Sommer, als ich Wien verließ, um als wirklicher Actuar auf einer herrschaftlichen Besitzung des grünen Innviertels einzutreten. Erlaßt mir’s, die Freuden eines solchen Actuariats zu schildern. Sie sind heute noch nicht die schönsten, aber damals wäre es fast nicht zum Aushalten gewesen, wenn nicht ein Engel, in Gestalt eines schönen Mädchens, meiner Katharina, die als Kammerjungfer auf dem Schlosse der Gräfin diente, mir trotz aller Qual einen Himmel auf Erden geschaffen. Wie auch der alte Drache, die Baronin, aufpaßte, wie sie mich auch mehrere Male anredete: „Er scheint mir auch ein echtes Wiener Frücht’l zu sein, laß’ Er mir die Mädels im Schlosse ungeschoren, wenn wir gute Freunde bleiben sollen – vor allen meine Katharina hier“ – wir wußten uns doch zu finden, von Blicken kam es zu Händedrücken, dann zu Erklärungen, und bald wechselten wir den Schwur ewiger Liebe. –

Theure Katharina, treue, liebevolle Gefährtin meines Lebens, meine Hand zittert, da ich dieses in der Einsamkeit niederschreibe, in der Du mich zurückließest! Ich feiere sie in diesem Augenblicke wieder, die Weihestunde unseres Glücks; wir sind wie Tamino und Pamina durch Wasser und Feuer gewandelt – aber wir haben unseren Schwur gehalten wie sie!

Leider ließ der Argwohn nicht nach, uns zu beobachten und zu verfolgen, wenn man uns auch nichts Bestimmtes nachzusagen vermochte. Ich erkannte es daraus, als mir eines Tags die Baronin zufällig im Schlosse begegnete und mich von oben bis unten musternd vor mir stehen blieb. „Er Windbeutel,“ sagte sie dann, „hört nicht auf, meiner Katharina dummes Zeug in den Kopf zu setzen. Ich sag’ es Ihm jetzt zum letzten Male – und wenn ich Ihn erwische, daß Er mir das Mädel nicht in Ruhe läßt, so jag’ ich Ihm eine Kugel durch den Kopf.“

Damit ging sie; ich aber blieb in der größten Entrüstung zurück. Das war zu viel, das war ein Eingriff in meine Menschenrechte, der mich aller Bedenklichkeiten überhob, und ich beschloß, der Sache rasch ein Ende zu machen. Ich hatte Aussicht, in Wien eine kleine Stelle zu erhalten; ich sprach mit Katharina, die mit Allem einverstanden war, und wenige Wochen darnach kam meine Bestallung mit einem so großen Siegel, als ob ich Minister geworden wäre. Die Frau Baronin wüthete zwar und drohte wieder mit dem Erschießen, als ich und Katharina mit mir den Abschied nahm, aber nun kehrte ich mich nicht mehr daran, nahm meine Braut unter’m Arm und kutschirte nach der Trauung mit ihr überselig nach Wien. Zu einer solchen Reise von mehreren Tagen gehörte damals eine Art von Heldenmuth, und es war die volle Begeisterung einer beiderseitigen ersten und glücklichen Liebe, erforderlich, um sich auf dieselbe sogar zu freuen, wie wir es thaten. Man fuhr damals in sogenannten Zeiselwagen, einer Art Fuhrwerk, wie man sie vor den Linien von Wien immer noch antrifft. Nur waren damals in diesen Fuhrwerken noch keine Bänke angebracht. Ueber einen gewöhnlichen Bauernwagen wurden Reife gespannt und über diese eine große Plache gezogen, ähnlich wie es heutzutage bei Frachtwagen geschieht. In der dadurch gebildeten Röhre war dichtes Stroh aufgehäuft, darüber Decken gebreitet, und darauf saß oder lag oder kauerte die ganze zusammengewürfelte und durcheinander gerüttelte Gesellschaft. So war das Fuhrwerk beschaffen, auf dem wir die Hochzeitsreise antraten, und doch hätte uns die Neuheit des ungestörten Beisammenseins für Alles entschädigt, wäre es mir nur möglich gewesen, in der Maschine auszuhalten. Ich war kaum hineingekrochen und einige Zeit gefahren, als sich mir eine sehr lebhafte Vorstellung von jenem Zustande aufdrängte, den die Schiffer Seekrankheit nennen, und wohl oder übel – ich mußte heraus und zu Fuße nebenher wandern. So oft ich auch den Versuch wiederholte, es ging nicht; es kam mir vor, als steckte ich in einer Ofenröhre, um bei gelindem Feuer geschmort zu werden, und trotz des Regens, der am zweiten und dritten Tage nicht fiel, sondern goß, schritt ich neben dem Wagen her, der glücklicher Weise nicht die Gewohnheit hatte, sich zu übereilen. Ich kam mir vor wie Nährvater Joseph auf den Bildern, welche die Flucht nach Aegypten darstellen und auf welchen ich denselben auch nie reitend oder fahrend gesehen habe, sondern immer nebenher wandelnd und den Esel am Zügel führend. Mein einziger Trost war, wenn meine Katharina hie und da durch eine Spalte des Bratrohrs ihr liebes Gesichtchen zeigte oder mir die Hand herausbot, um sich zu überzeugen, daß ich weder vom Regen verschwemmt, noch im Kothe versunken sei.

Endlich war Wien erreicht und die Trübsal war aus – wie ja seitdem auch meine Freude „aus“ geworden ist. Aber nun begann eine selige Zeit, eine Zeit der Arbeit und der Sorge, denn es galt, zu erwerben und dem so rasch gebauten Hause einen dauernden Grund zu untermauern – eine Zeit des vollsten Glücks, denn die Monate und Jahre bewiesen, daß wir Beide in der raschen Wahl nicht fehlgegriffen hatten. Anfangs ging es freilich schwer und langsam, aber es ging doch – und es war nicht recht, daß ich oben diese Zeit mit einer kalten, nächtlichen Winterwanderung verglichen habe. Es war Frühling, doppelter, dreifacher Frühling … der Natur, des Lebens und der Liebe; aber jetzt, da ich dies schreibe, ist es Winter um mich, dreifacher Winter, in dem Du mich nicht hättest so allein lassen sollen, liebe Katharina; ach, gerade zu dieser letzten Winterwanderung hätte ich Deine weiche, liebende, sorgende Hand am meisten bedurft!

… Wir hatten uns allgemach aus der Entbehrung zu dem Zustande emporgearbeitet, daß wir hatten, was wir brauchten; heimsten und trugen wir doch Beide einmüthig ein wie die Bienen. Zumal seit wir in Schärding waren, gelangten wir schon zu jenem Grade von Wohlhabenheit, die für die Zukunft zurückzulegen vermag. Ich war mit Frau und sechs Kindern wohlgekleidet; die Miethwohnung, die wir inne hatten, war reichlich und anständig eingerichtet. Stattliche, „feternde Betten“ standen herum, in den Schränken hatte sich manches Stück Leinwand angesammelt, der Keller und die Vorratskammer war gefüllt, und was die Hauptsache war, in meinem Arbeitszimmer im Landgerichtsgebäude lag wohlversperrt in meinem Pulte ein kleines Etui von rothem Maroquin, und in diesem ein nicht unbeträchtliches Sümmchen, das wir erübrigt hatten, und das alle Anlagen zu gutem Wachsthum verriet.

Wir waren darum freudig im Gemüth, und als der Katharinentag des Jahres 1808 herankam, war ich, wie jedes Jahr, darauf bedacht, diesen Tag als einen Ehrentag meines guten trefflichen Weibes durch ein Fest zu begehen. Diesmal hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgesucht. Unsere älteste Tochter Constanze war ein Mädchen von sechzehn Jahren, gut, sanft, liebenswürdig, zu Allem geschickt und von so hoher Schönheit, daß ich es wohl sagen darf, wenn ich auch ihr Vater bin … oder vielmehr war, denn sie hat ja auch schon lange vor uns fortgemußt in der schönsten Pracht ihrer Jahre! Sie war das leibhafte Abbild ihrer Mutter, aber doch geistig wie körperlich noch veredelt und verklärt, und von einer Anmuth umgeben, die ihr alle Herzen gewann. Sie war darum auch der Augapfel des ganzen Hauses, und wenn sich in demselben, wie das ja überall vorkommt, ein Wölkchen zusammenziehen wollte, so durfte sie sich nur an’s Clavier setzen und ein Lied zu singen anfangen, so war Alles ausgeglichen. Es war unmöglich, dem seelenvollen Ton ihrer schönen Stimme, der bewußtlosen Kunst ihres Gesanges zu widerstehen. – Darauf hatte ich meinen Plan gebaut. Die Honoratioren der Stadt hatten zur erlaubten Gemüthsergötzung in den langen Wintermonaten ein Liebhabertheater eingerichtet, bei dem auch ich mein komisches Talent geltend machte. Zwar geschah das unter stetem Widerspruche meiner Katharina, die dem Theater und Allem, was damit zusammenhing, nicht grün war, aber sie mußte das wienerische Blut in meinen Adern gewähren lassen. Ich hatte veranstaltet, daß man die Schweizerfamilie gab und Constanzen war die Rolle Emmelinens zugetheilt. Es war das erste Mal, daß sie die Bühne betreten sollte, und mit dieser Talentprobe ihrer Tochter sollte die Mutter überrascht werden.

Der Abend der Vorstellung war herangekommen, ohne daß Katharina, die sich um das Theaterwesen wenig kümmerte, gemerkt hätte, was vorging, denn Constanze hatte die Partie außer dem Hause bei dem alten Lehrer einstudirt, der zugleich das Orchester leitete. Der Zuschauerraum war überfüllt, und Katharina saß vorne in der ersten Reihe zwischen zwei vertrauten Nachbarinnen, die zu [723] verhindern hatten, daß die Ueberraschung nicht in die Brüche gehe. Constanze selbst mußte ein kleines Unwohlsein vorschützen, um daheim bleiben zu können, bis die Mutter sich entfernt hatte. Jetzt stand sie in der Schweizertracht, ein wahrer unschuldsvoller Engel, im Garderobezimmer vor mir da und rückte sich vor dem Spiegel vollends zurecht, während draußen die Ouverture begann. Ich selber prangte im Costume des Peter, denn um die Vorstellung möglich zu machen, hatte ich, unbeschadet meiner Controllorschaft, mich herbeilassen müssen, die Tölpelpartie zu singen. Da sah ich mit Verwunderung, wie die Thüre aufging und durch die Spalte das langweilige Gesicht des Amtsdieners halb verlegen und halb ängstlich hereinsah. „Ach, Ihr Gnaden, Herr Controllor,“ rief er, als er mich erblickte, „kommen Sie doch in Eile herüber aufs Amt. Ein französischer Courier ist angekommen. Der Herr Landrichter ist verreist, wie Sie wissen. Der Courier will Pferde und seinen Paß visirt haben. Er muß in einer halben Stunde wieder fort.“

„Er ist ein Esel, Kratzdorn,“ entgegnete ich ihm mit aller Ruhe, deren ich in dem kritischen Augenblick fähig war. „Die Pferde habe ich nicht im Sacke bei mir, für die soll der Posthalter sorgen, und daß ich hier nicht weg kann, wird er begreifen. Die Ouverture ist aus, der Vorhang geht im Augenblick auf, ich habe die erste Scene und muß hinaus. Und wenn das nicht wäre, soll ich vielleicht hinaus und das löbliche Amt in dem Hanswurstenanzug prostituiren, den ich anhabe? Der Courier soll seine Papiere schicken …“

„Aber das will er nicht,“ jammerte der Diener. „Er giebt sie nicht aus der Hand … er macht ein fürchterliches Gesicht, und wenn Sie nicht bald kommen, giebt’s sicher ein Unglück!“

In dem Augenblick klingelte es draußen, und der Vorhang stieg empor. „Der Franzos soll sich menagiren; er ist auf kaiserlich österreichischem Boden und nicht etwa in Feindesland … Ich muß hinaus …“

Ich rannte auf die Bühne, spielte und sang mein Duett, so gut ich es in der Verwirrung vermochte, und eilte wieder ab, höchst begierig, welche Antwort der leidige Kratzdorn mir inzwischen zurückgebracht haben werde, aber zu meinem Staunen kam er nicht mehr. Inzwischen war es draußen fortgegangen, und Emmeline war aufgetreten. Sie sang so schön, daß ich bald an nichts andres mehr dachte und an den Courier erst wieder erinnert wurde, als am Schlusse des ersten Actes der Kratzdorn wieder kam, diesmal aber mit vergnügt lächelndem Gesichte. „Es ist gut gegangen,“ sagte er. „Der Franzose mußte erfahren haben, wo Sie sind, und war mir nachgekommen in aller Rage. Die Komödie aber hat ihn besänftigt, wahrscheinlich hat er so etwas noch nie zu sehen bekommen. Er sitzt nun draußen und läßt Ihnen sagen, er habe zuerst vorgehabt, in Bayerbach Rast zu machen; nun wolle er es hier thun und sich die Oper mit ansehen. Wenn’s aus ist, will er wegen seiner Papiere mit Ihnen reden.“

Nun ging es ohne Störung zu Ende, unter ungeheurem Beifall, und der Beifall war nicht mehr als natürlich, denn eine solche Emmeline ist wohl auf keiner Bühne gesehen und gehört worden. Was sind all’ die künstlichen Schöpfungen, die man in den Treibhäusern zieht – das war eine freie Waldblume, wie die einfache Natur sie giebt: das war keine Künstlerin, welche sich zur Emmeline macht, das war Emmeline selbst. Auch meine Katharin war davon ergrisfen. „Mädchen,“ sagte sie, indem sie sie auf die schöne Stirne küßte, „wie kommst Du mir dazu? Du trägst einen edlen Genius in Dir; er kann das Glück Deines Lebens sein, wenn Du ihn nicht verscheuchst … Aber Eins bitt’ ich Dich, von den Bretern bleibe mir weg und laß den heutigen Beweis Deines Talents genug sein. Die Breter verführen und ziehen ab, bewahre Du Deinen ganzen Reichthum für Dich und schmücke damit, wie jetzt das Haus Deiner Eltern, so dasjenige, das Dich einst als Frau empfangen wird.“

Gerührt umarmte sie die Tochter und gelobte, was die Mutter verlangte. Bald war der Theaterputz abgelegt, und wie es Brauch war, versammelte sich Alles, was mitgewirkt hatte, und auch ein Theil der Zuschauer in einem Saale des Hauses. Dieses Nachkosten des Genossenen bei einem Glase wärmenden Bischof bildete den nothwendigen und angenehmen Schluß jedes Theaterabends.

Erst wie man da in langer bunter Reihe lachend und plaudernd beisammensaß, wurde ich wieder an den französischen Courier erinnert und zwar durch ihn selbst. Er trat ein, von dem fatalen Kratzdorn geleitet, und brachte nicht geringe Bewegung in die Gesellschaft. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Schönheit, den die Obersten-Uniform der Chasseurs unvergleichlich kleidete. Ich wußte natürlich, warum er kam, und eilte ihm pflichtschuldigst entgegen, um die so lange verschobene Paßvisa nachzuholen und mich wegen der Zögerung gebührend zu entschuldigen. Aber ich hatte mich getäuscht, denn der Oberst fragte nicht nach mir, sondern nach – Emmeline. Ehe es mir möglich gewesen war, mir für meine Explicationen Gehör zu verschaffen, hatte er die Gesuchte bereits gefunden. Er stellte sich ihr und der neben ihr sitzenden Mutter mit dem leichten soldatischen Anstande vor, den der Krieg lehrt; im nächsten Augenblicke saß er schon neben Constanzen und war mit ihr, die genügend französisch sprach, in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Ich postirte mich natürlich in die Nähe, aber ich stand geraume Zeit unbeachtet nebenan, wie ein verirrtes Fragezeichen. Erst als Kratzdorn hinzutrat, den der Oberst schon als ein Anhängsel der Ortsobrigkeit kannte, und als er durch Gebehrden und Fingerzeige mich ihm vorgestellt hatte, wendete sich derselbe nach mir um. Ich hatte schon die Miene in die gehörigen Autoritätsfalten gelegt, als er mich fester in’s Auge faßte und mich offenbar von der Bühne her erkannte. „Ah,“ rief er lachend, „das ist Monsieur Pierre, nicht wahr? Ich danken Ihnen tausendmal. Sie haben mich sehr ergötzt, Sie waren sehr drollig!“ Dazu lachte er von Herzen und versicherte mich einmals über’s andere, wie sehr ich „drôle“ gewesen sei. Ich fing schon an, darüber empfindlich zu werden, als er wie einlenkend sein Portefeuille hervorzog und mir hinreichte. Es war Alles in Ordnung; Alphons de Faure, Oberst im Gardes-Chasseur-Regiment, Adjutant Sr. Majestät des Kaisers Napoleon, reiste in geheimen Aufträgen nach Wien. Ohne mir einen Blick zuzuwenden, nahm er das Papier wieder in Empfang, sah flüchtig hinein und fuhr dann angelegentlich in seiner Unterhaltung mit Constanze fort. Es hatte den Anschein, als sei Niemand außer ihr im Zimmer; und es war doch eine beträchtliche Anzahl von Respects-Personen des Ortes zugegen, welche auch Töchter besaßen und mitgebracht hatten, die in ihren Augen einer so besondern Aufmerksamkeit mindestens ebenso würdig gewesen wären. Ich fand es begreiflich, daß sie die Köpfe zusammen steckten und zischelten, denn abgesehn von meiner Tochter fing meine eigene Stellung an, mich jeden Augenblick mehr zu wurmen. Ich stand hinter dem Stuhle des Obersten wie ein angemalter Türke an einem Kaufladen, und begann dem noch immer in Amtsstellung hinter mir verharrenden Kratzdorn in deutscher Sprache ganz laut einige Ausrufungen zuzuschleudern, bei deren Gebrauch ich auf den festen Glauben sündigte, daß der Oberst nur französisch verstehen werde. Das Blut stieg mir in’s Gesicht und ich weiß nicht, was ich vielleicht gethan hatte, wären nicht die Klänge des Posthorns hörbar geworden, mit denen der Postillon von der Straße herauf bemerklich machte, daß ihm das Warten in der Novemberkälte nicht sehr angenehm war. Es war die Melodie des bekannten Volksliedes:

„’s Warten thuet weh, döß weiß’ ich scho,
Mach’ mer nur auf, sonst g’frier’ i o!“

Das half. Obwohl der Oberst aller Wahrscheinlichkeit nach den Text nicht kannte, erhob er sich rasch, wie Jemand, der sich plöttzlich an etwas Vergessenes erinnert, ergriff meinen Arm und führte mich bei Seite. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen,“ sagte er im reinsten und geläufigsten Deutsch, das mir ein sehr empfindliches Frösteln verursachte, denn ich dachte nicht anders, als er werde sich über meine ausgekramte Blumenlese von Kraftausdrücken einen Commentar erbitten. „Rufen Sie gefälligst auch Ihre Frau Gemahlin und Ihre Tochter,“ sagte der Oberst, als wir in einer Fensterbrüstung angekommen waren. „Meine Zeit ist bis auf wenige Augenblicke um, und diese will ich benützen, um eine wichtige Angelegenheit in Ordnung zu bringen.“ – „Also eine förmliche Verhandlung mit Zeugen,“ dachte ich, indem ich den beiden Verlangten zuwinkte, die auch nicht säumten, mit nicht geringerer Neugierde hinzuzutreten. – „Sie werden über das, was ich Ihnen zu sagen habe,“ begann der Oberst, „minder erstaunt sein, wenn Sie bedenken, daß es den Soldaten in den immerwährenden Kriegen zur Gewohnheit wird, Alles rasch und, so zu sagen, im Fluge abzuthun. Ich bin Oberst, wie Sie sehen, und werde, wenn mich nicht früher eine Kugel trifft, in ein paar Jahren General sein; ich besitze ein anständiges Vermögen und bin aus einer guten elsässischen Familie – ich hoffe daher, daß Sie gegen meine Verheirathung nichts werden einzuwenden haben.“ – Ich sah den [724] Redenden etwas verblüfft an und bemerkte mit einer Verbeugung, daß ich nicht wüßte, wie ein kaiserlich königlicher Controllor zu Schärding dazu kommen solle, sich in eine solche Angelegenheit zu mischen. „Weil es Ihre Fräulein Tochter ist,“ entgegnete er, „mit welcher ich mich verbinden will. Mein Fräulein, ich bitte Sie hiermit in Gegenwart Ihrer Eltern um Ihre Hand – Mein Herr, – Madame, ich ersuche um Ihre Einwilligung.“ – Constanze stand hoch erröthend mit niedergeschlagenen Augen da; ich und Katharina sahen uns einen Augenblick verblüfft an. „Aber mein Herr,“ rief sie dann, „wir sehen Sie zum ersten Mal … „Ist das nicht auch mein Fall mit Ihnen?“ entgegnete der Oberst artig. „Und doch kenne ich Sie alle schon so gut, um Ihnen einen solchen Antrag zu machen … Sagen Sie mir vor Allem, Fräulein Constanze,“ fuhr er, zu derselben gewendet und ihre Hand er greifend, fort – „sagen Sie mir, ob Sie meinem Antrage nicht abgeneigt sind; ob Sie sich entschließen können, meine Gattin zu werden.“ Constanze, obwohl beklommen, schlug ruhig ihr großes dunkles Auge auf und heftete es fest auf den Fragenden.

„Sie haben das Aussehen eines edlen Mannes, Herr Oberst,“ sagte sie dann. „Geben Sie mir Gelegenheit, mich davon und von der Ernsthaftigkeit Ihrer Frage zu überzeugen, so werde ich keinen Grund haben, mit meiner Antwort zurückzuhalten.“

Der Oberst ergriff ihre Hand. „Das genügt mir,“ sagte er. „Ich bin nicht so thöricht, zu verlangen, daß Sie mir schon jetzt Ihr bestimmtes Jawort geben; aber ich werde Ihnen beweisen, daß mein Aussehen Sie nicht getäuscht hat, und Sie werden einwilligen.“

„Aber mein Herr,“ schaltete ich eiligst ein, um meine väterliche Autorität doch ein Bischen geltend zu machen, „Sie begreifen doch, daß man eine so wichtige Angelegenheit nicht mit einem Fuß auf dem Wagentritt abmachen kann, als wenn wir uns zu einer Spazierfahrt für ein paar Stunden verabredeten? Das ist bei uns zu Lande nicht üblich; ich müßte doch vor Allem Ihre Papiere prüfen und die gegenseitigen Bedingungen feststellen …“

„Dazu werden wir noch Zeit genug haben,“ unterbrach mich der Oberst rasch. „Verstehen Sie mich recht. Ihre Tochter hat einen raschen und tiefen Eindruck auf mich gemacht; sie ist eben so geist- und gemüthvoll als anmuthig und schön. Ich werbe um sie und werde mich von diesem Augenblicke an als verlobt betrachten – von Ihnen aber und von Constanzen verlange ich entgegen nichts, als daß Sie meinen Antrag nicht geradezu zurückweisen; nichts als die Versicherung, daß Sie über diese kostbare Hand nicht verfügen wollen, bis Sie wieder von mir gehört haben.“

Jetzt fand es Katharina für gut, sich in’s Mittel zu legen. „Nun, nun, Herr Oberst, damit hat es ohnehin keine Gefahr; Constanze wird sich so schnell nicht verheirathen. Wir Frauen haben in solchen Dingen ein bestimmtes und sicheres Gefühl; darum sage ich Ihnen, daß ich der ganzen Art Ihres Auftretens glaube. Dennoch soll ein vielleicht doch flüchtiger Augenblick weder Sie binden, noch bei meinem Kinde Hoffnungen oder Wünsche erwecken, deren Erfüllung so ungewiß ist. Wir sagen daher auf Ihre freundliche Werbung nicht Nein, aber auch nicht Ja. In Jahresfrist werden Sie Zeit genug haben, sich das Ja zu holen, wenn Sie es dann noch zu erhalten wünschen …“

Der Oberst verbeugte sich und küßte galant Katharinens Hand. „Ich begehre nichts Besseres,“ sagt er, „Sie werden sehen, wie bald ich wiederkomme.“ Er wollte noch mehr sagen, aber erneuter Posthornruf unterbrach ihn. „Ich muß fort,“ rief er, indem eine düstere Wolke über seine Züge lief. „Ihre Hand, Constanze! Lassen Sie mich in Ihrem Auge lesen, mit welch’ schönen Hoffnungen ich von Ihnen gehe. Leben Sie wohl! ich preise die Schickung, die mich hieher geführt, denn ich nehme ein volles Herz, eine beglückende Erinnerung mit.“ Ihre Hand festhaltend, sah er ihr einen Augenblick tief und innig in’s Gesicht; der Ausdruck desselben war edel und, von einer wehmüthigen Regung erweicht, doppelt schön. Ich selbst konnte mich einer unwillkürlichen Rührung nicht erwehren, als ich die stattliche Gestalt in voller Manneskraft und Schönheit betrachtete und die tiefe Empfindung gewahrte, die der starke Mann kaum niederzukämpfen vermochte. „Gedenken Sie meiner, Constanze,“ rief er dann rasch, indem er ihre Hand an die Lippen führte, und mit einem flüchtigen „Leben Sie wohl“ für Katharina und mich war er aus dem Saale. Noch eh’ wir Zeit gefunden, uns über das ungewöhnliche Erlebnis; eine Bemerkung zu machen, hörten wir von der Straße herauf den Wagen fortrasseln und das Posthorn, immer schwächer werdend, in der Ferne verklingen. – Damit war wieder alles Außerordentliche aus unserem Leben verschwunden, und die Tage vergingen in gewohnter Gleichmäßigkeit und behaglicher Zufriedenheit. Des Vorgefallenen ward nicht erwähnt; ich und Katharina unterließen es, weil wir am Tage und bei ruhiger Ueberlegung uns überzeugt hielten, daß das Ganze nicht mehr war, als eine schöne, augenblickliche Aufwallung. Constanze schwieg ebenfalls; sie war dieselbe in der liebevollen, gewinnenden Anmuth ihres Umgangs und Betragens; nur war ihr ganzes Wesen entschiedener und jungfräulicher, sie hatte vollständig aufgehört, ein Kind zu sein.

So ging der Winter vorbei, der März neigte sich bereits zu Ende, und die Kriegsgerüchte, die uns schon früher geängstigt hatten, kamen drohender wieder, wie Gewitterwolken, die man schon vorübergezogen glaubt, mit einer Wendung des Windes plötzlich und schwärzer als zuvor wiederkommen. Regimenter über Regimenter drängten sich heran und blieben nach allen Richtungen hin im Innviertel stehen, überall nur wenige Stunden von der bayrischen Grenze. Die Quartiermacher und Marschcommissäre gaben einander die Thüre der Amtsstube in die Hand, und wir kamen gar nicht zu Athem vor lauter Arbeit. Es war bei Allen ausgemacht, daß der Krieg wieder beginne und daß es diesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit dem gewaltigen Franzosenkaiser gelte, der insgeheim die Vernichtung und Zerstückelung Oesterreichs beschlossen hatte. Darum war Alles getroster als sonst, denn man fürchtete nicht, daß die schlimme Zeit von 1805 sich wiederholen werde, sondern hoffte, daß dieser Krieg der letzte sein und den so hart entbehrten Frieden für immer bringen werde.

Eines Morgens war schon sehr früh Alles in dem kleinen Schärding auf den Beinen. Ueberall standen die Leute in Gruppen vor den Häusern beisammen, und wer fort konnte, eilte der Rathhausgasse zu und suchte in der Nähe des Brauhauses zum Stöger Posto zu fassen. Dahin sah man auch hie und da in größter Eile die eine oder andere schwarze Gestalt mit stattlichem Schiffhut und im Rathsherrnmantel lossteuern. Dort stand auch ich mit dem Landrichter und allem Amtspersonal, denn Kaiser Franz war in die Stadt gekommen und beim Stögerbräuer abgestiegen. Schon standen wir Beamten an der Thüre, um zur Audienz vorgelassen zu werden, als uns der Kammerdiener die Thüre wieder vor der Nase zuschlug und eilig auf ein paar Männer zutrat, die erst nach uns in’s Vorzimmer gekommen waren. Es waren zwei Landleute in Tyrolertracht. Der Eine war ein starker, breitschultriger Mann im kurzen, braunen Lodenrock, über der kurzen Lederhose den breiten, mit weißen Pfaufederstiften gezierten Gürtel. Er hatte ein ernsthaftes und doch freundliches Gesicht und trug einen breiten, schwarzen Bart, der bis auf die halbe Brust herabfiel. Der zweite war jünger, eine hochaufgewachsene, schlanke Gestalt im langen, grünen Rock und gleicher Weste. Der Kammerdiener flüsterte nur ein paar Worte mit den Beiden, dann führte er sie mitten durch uns hindurch und, ohne sie erst anzumelden, zum Kaiser hinein.

„Geben Sie Acht, Herr Controlor,“ raunte mir der Bierbrauer Waninger zu, der als Rathsherr hinter mir stand, „das hat etwas zu bedeuten. Den Einen von den Tyrolern kenn’ ich recht gut vom Sehen; ich bin ja öfter hineingereist, um Wein einzukaufen. Der Kleine mit dem Barte, das ist der Sandwirth Hofer aus dem Passeyerthal, und auch der Andere kommt mir bekannt vor. Er hat die Unterinnthaler-Tracht, so wie man sie um Rinn herum trägt, und ich werde mich nicht beirren, das Gesicht schaut in die Speckbacher-Familie hinein. Was die nur beim Kaiser wollen!“

Das war nun wohl nicht zu errathen, aber daß sie nichts Unangenehmes gebracht hatten, das sah man klar, als sie wieder herauskamen, und mit vergnügten und entschlossenen Gesichtern an uns vorbeischritten, denn da trug Jeder von ihnen eine schwere goldene Ehrenkette mit einer Denkmünze über der Brust. Wenige Tage darnach kam die Nachricht, daß die Tyroler aufgestanden waren, um wieder von Baiern loszukommen und mit dem alten Kaiserreiche vereinigt zu werden. Es hat mich meine Lebtage gefreut, daß ich die beiden Männer gesehen habe, und besonders gefiel es mir von Hofer, als ich sein schmähliches, aber mannhaftes Ende auf den Wällen von Mantua erfuhr, daß er den Kugeln der Franzosen so aufrecht entgegen getreten war, als ich ihn aus dem Audienzzimmer des Kaisers hatte kommen und den Weg zu dem blutigen Ende beginnen sehen.

(Fortsetzung folgt.)
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Die Sempacher-Schlacht-Feier.

Unsere tapfern Vorfahren, die alten Schweizer, hatten seit dem Anfange ihrer mit Schweiß und Blut so schwer errungenen Freiheit und Unabhängigkeit die fromme Uebung angenommen, auf jeder geschichtlich denkwürdigen Stätte, wo eine verdienstliche, vaterländische That geschehen, eine Capelle zu erbauen. Es entsprach dieses ganz ihrem einfachen, aber tiefen Sinne lebendiger und kindlicher Gottesfurcht, in welchem sie vor Beginn der Schlacht den Lenker der Menschenschicksale um seinen Beistand anflehten, und dann nach erfochtenem Siege zu Dank und Ehren ihm ein Heiligthum erbauten, in welchem in Dankbarkeit und Liebe auch der gefallenen Väter und ihres Seelenheiles sollte gedacht werden. In diesem Sinne und Geiste beschloß die Bürgerschaft von Luzern gleich nach dem ruhmvoll ob Sempach über den Adel Oesterreichs errungenen Siege, auf der Wahlstatt vor dem Walde zu Ehren Sanct Jacobs des Aeltern eine Capelle zu erbauen, in welcher alljährlich auf Montag nach St. Ulrichstag eine „Schlacht-Jahrzeitfeier Gott zu Ehren, Lob und Dank, den Gefallenen aber zum Angedenken und Seelenheile“ sollte abgehalten werden. Bevor der erste Jahrestag der Schlacht wiedergekehrt war, wurde die Capelle am 5. Heumonat 1387 schon eingeweiht und die Feier der Kirchweihe auf den Sonntag vor der Schlacht-Jahrzeit mit pfarramtlichem Gottesdienste in der Schlachtcapelle festgesetzt.

An der Capelle.
Nach der Natur aufgenommen von Anton Büttler in Luzern.

Wie aus der Geschichte bekannt ist, wurden mit der Leiche des edelsinnigen Herzogs Leopold von Oesterreich diejenigen der gefallenen Edeln ihren Familien bereitwillig überlassen, welche dieselben theils nach Münster und Königsfelden, theils auch in besondere Familiengrüfte abführten. Wessen Leiche während den drei Tagen, welche die Eidgenossen alter germanischer Sitte gemäß, der allfälligen Wiederkehr des Feindes gewärtig, auf dem Schlachtfelde verharrten, nicht auf der Wahlstatt abgeholt wurde, ward vor dem Abzuge der Eidgenossen auf dem Schlachtfelde begraben. Dreiunddreißig Jahre nachher erhielt Rudolph von Hallwyl auf sein Gesuch die Erlaubniß, die Gebeine der auf dem Schlachtfelde Bestatteten zu sammeln und bei der damaligen Pfarrkirche von Sempach in „geweihte Erde“ zu legen. Seit dieser Zeit hat der Pfarrer von Eich die Verpflichtung, am Tage der Schlachtfeier eine Gedächtnißmesse für die bei der Kirche beerdigten Österreicher zu lesen und ihre Gräber zu besuchen. Aehnliche kirchliche Gedächtnißfeiern werden am gleichen Tage auch in der Stiftskirche im Hof zu Luzern, in Kriens und Münster abgehalten.

Seit Einweihung der Capelle auf dem Schlachtfelde war die Landesregierung für Erhaltung und Ausschmückung derselben und für kirchliche Hebung der Schlachtfeier selbst eifrig besorgt und zwar Alles auf Kosten des Staates. Priester, zur Feier der heiligen Meßopfer, wurden engagirt und neben der kirchlichen Feier auch die Armen nicht vergessen und mit derselben das Austheilen eines Almosens verbunden und zwar „jedem Mensch ein Brod bis auf zehn Gulden werth.“ Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Capelle wiederholt erneuert. Die gegenwärtige Gestalt erhielt dieselbe im Jahre 1825. Xaver Hecht malte ein großen Schlachtbild, die Auffrischung der Frescomalerei besorgte Meister Barrozi von Brisago.

Zur Besorgung der Capelle bestellte die Landesregierung einen „Schlachtbruder“ oder Sigrist, der zugleich Pächter des kleinen Staatsgütleins ist, auf dem dieselbe steht. Nach diesen geschichtlich nothwendigen Erörterungen gehen wir zur Schilderung der gegenwärtigen Schlacht-Jahrzeitfeier über.

Mitten im gesegneten Luzernergau liegt von immergrünen Wiesen und wogenden Saatfeldern lieblich umrahmt der schöne blaue Sempachersee und an demselben, von altersgrauen, epheuumrankten [726] Mauern und Thürmen umgeben, die kleine Stadt. Ueber beiden, an sanftansteigender, fruchtbarer Bergeshalde, steht zwischen prächtigen Wallnuß- und Obstbäumen halbversteckt die blendendweiße Schlachtcapelle mit rothem Dach und Thürmchen ungemein malerisch da, und leuchtet wie ein Edelstein im Glanz der Sonne weit in's schöne Land hinaus. Die schöpferische Einbildungskraft des trefflichsten Landschaftsmalern könnte sich wohl kein lieblicheres Bild gestalten. Neben der Capelle steht das kleine Beinhaus zum Aufbewahren der von der Pflugschaar an’s Tageslicht gebrachten Knochen der Erschlagenen, und ringsherum vier uralte, niedrige Kreuzsteine. Mit dem ersten Grauen des Jahrzeittages laden die beiden Glöcklein der Capelle mit beweglichem Gebimbel zur Frühmesse ein. Ihr folgen, je nach mehr oder weniger starkem geistlichen Besuche, 15 bis 20 andere Messen, darunter drei feierliche Hochämter. Von allen Seiten her strömt das festlich gekleidete Landvolk zur Capelle und füllt vom frühesten Morgen bis zur Beendigung der Festfeier ihren Raum. Die Cantonsschule und das Lehrerseminar haben Ferien. Studenten und Lehramtskandidaten rücken daher am frühen Morgen mit ihren weißrothen und weißblauen Vereinsfahnen und mit Musik aus, um mit besonderer Vor- und Nachfeier, mit eigener Festrede, mit Musik und Gesang die Schlachtfeier zu begehen. Hinter der Capelle, im Schatten der herrlichsten Nußbäume, deren breite Schlagschatten sich ungemein malerisch an den weißen Mauern des Kirchleins abheben, ist ein großes blauweißes Zelt errichtet, zur Aufnahme der Regierungsabgeordneten und der zahlreich anwesenden Geistlichkeit. Unter demselben, an die Mauer der Capelle gelehnt, steht die kleine hölzerne Kanzel für den Ehrenprediger.

Es ist 8 Uhr. Eine Menge Volks hat sich schon in malerischen Gruppen um die Capelle aufgestellt. Von ferne ertönt Musik und flattern drei Fahnen. Jetzt folgt wohltönender Gesang, das begeisterte Sempacher Schlachtlied: „Laßt hören aus alten Zeiten“ etc. Es sind die Studenten, die heranrücken. Nach Absingung eines Einleitungsliedes mit Musikbegleitung betritt der von ihnen in besonderer Versammlung auserkorene Redner die Kanzel und spricht in jugendlicher Begeisterung von den Großthaten der Väter. Das Volk lauscht gerne den jugendlichen Worten des Musensohnes, und Mancher nickt dem Nachbar zu und sagt: „Der hat ein Redhaus, das giebt einen Pfarrer!“ Während der Rede kommt der Staatswagen mit dem Regierungsabgeordneten, Rathsschreiber und Ehrenprediger angefahren, der Staatsweibel in dem weißblauen Mantel und Nebelspalter neben dem Kutscher auf dem Bock; sie werden mit einer Rede begrüßt. Unterdessen ist die kurze, aber begeisterte Feier der Studenten zu Ende, und die Musensöhne räumen den Platz, den nun die Regierungsabgeordneten und die Geistlichkeit einnehmen. Die Ehrenpredigt beginnt. Von dem Religionslehrer des Lehrerseminars gehalten, war sie dieses Jahr einfach, kurz, allgemein verständlich und volksthümlich gehalten. Sie schilderte den Geist der Bruderliebe und Eintracht, der unsere Väter in den Freiheitsschlachten beseelt, und den wir in den gemeinnützigen Bestrebungen unserer Gegenwart durch die Macht der Bereinigung schon bethätigen und immer noch mehr bethätigen sollen.

Während der Predigt bildet die kleine Volksversammlung um das Zelt ein sehr belebtes Bild. Hier eine Gruppe hübscher, leise plaudernder Landmädchen in ihrer kleidsamen modernisirten Tracht, und um sie flanirend junge Burschen, die sichere Kunde bekommen von dem sonst geheim gehaltenen Bittgang an die Schlacht-Jahrzeit. Dort eine Schaar Studenten mit ihren Fahnen und farbigen Mützen im Schallen der Bäume behaglich hingelagert. Ueber das Ganze spannt der reine Himmel seinen blauen Bogen und gießt die heiße Julisonne in reicher Fülle zitternd ihr belebendes Licht.

Nachdem die Ehrenpredigt beendigt ist, betritt der Leutpriester von Sempach in pfarramtlichem Ornate die Kanzel und liest mit sehr vernehmlicher, weithin tönender Stimme in alterthümlicher Sprachweise den sehr merkwürdigen Schlachtbericht aus dem Jahrzeitbuche der Schlachtcapelle. Derselbe ist von Leutpriester J. Ulrich im Jahr 1577 und zwar höchst wahrscheinlich nach ältern Vorlagen verfaßt. In schmucklos einfacher, aber um so wirksamerer Sprache erzählt er die Ursachen und den Verlauf des Krieges, nennt die erbeuteten Banner, wohin sie bei der Vertheilung gekommen, giebt das Verzeichniß der gefallenen Edlen, wie aller auf der Wahlstatt gebliebenen Eidgenossen und schließt in dem allgemeinen Gebete mit den rührenden Worten: „Laßt um Gotteswillen uns eingedenk sein aller Derjenigen, die auf dieser Wahlstatt sowohl auf unserer, als auf österreichischer Seite geblieben und umgekommen sind, deren Jahrestag und Gedächtniß heute gehalten wird.“

Nach beendigtem Gebete wird das letzte feierliche Hochamt mit Musikbegleitung abgehalten, nach welchem sämmtliche anwesende Geistliche mit der Abordnung der Landesregierung unter Vortragung von Kreuz und Fahne aus der Capelle ziehen zum kirchlichen Grabbesuche der Gefallenen. Das alte schöne Kirchenlied „Libera nos“ ertönt. Zuerst wird das Beinhaus mit den Knochen der Gefallenen mit Weihwasser und Weihrauch eingesegnet, nachher die vier Kreuzsteine, bei welchen jedes Mal ein kurzer Halt gemacht wird. Ringsum umsteht den Bittgang das betende Volk in ernster Haltung und in malerischen Gruppen. Ist auch diese kirchliche Todtenfeier endlich zu Ende, dann vertheilt der Leutpriester von Sempach das Almosen der Landesregierung, das 57 Franken beträgt, unter die zahlreich zusammengeströmten Armen. Während dieser Zeit findet im Schatten eines riesenmäßigen Nußbaumes oberhalb der Schlachtcapelle die Nachfeier der Lehramtscandidaten ebenfalls mit Anrede und Gesang statt, und nach derselben ziehen sie, vereint mit den Studenten unter Musik und Gesang und die vier lustig flatternden Fahnen voran, hinunter in das Städtchen, wo ein bescheidenes Mittagsmahl sie erwartet. Bei demselben wurde dieses Jahr beschlossen, in telegraphischer Zuschrift Herrn Prof. Rauchenstein in Aarau den Dank der studirenden Jugend von Luzern auszusprechen, weil er sich die verdienstliche Mühe genommen, gegenüber der geschichtlichen Scheidewasserkritik der Neuzeit, namentlich eines Ottokar Lorenz in Wien, die Existenz Winkelried’s festzustellen. Der greise Professor beantwortete sogleich umgehend durch den Telegraph diesen Ausdruck jugendlicher Erkenntlichkeit mit den Worten: „Glücklich das Land, wo die Jugend mit dem Herzen die Thaten der Väter ehrt und ihnen nacheifert; an solcher Jugend können die Alten nur Freude haben.“

Die Landesregierung hält durch ihren Abgeordneten für die anwesenden Geistlichen, sowie für angesehene Festbesucher von Luzern, von Sempach und Umgebung Freitafel mit 80 bis 100 Gedecken, zu der sie durch ihren Standesweibel gastfreundlich die Gäste einladen läßt. Während des Mahles bringen Studenten und Lehramtskandidaten nach einander Ständchen mit Musik und Gesang, und erhalten dafür aus der freigebigen Hand des Regierungsabgeordneten ihre Spenden an Ehrenwein. Trinksprüche und vaterländische Lieder beleben die Tafelfreuden, und es bewährt sich dabei das Wort unseres schweizerischen Thukydides Johannes v. Müller: „Das ist allerdings der beste Theil des Festes, wenn der Mensch auf Gott getrost, mit all seinen Brüdern guten Muthes ist. –

Noch bleibt uns am Schlusse unserer Schilderung übrig, die verehrten Leser der Gartenlaube auf den jetzigen Schlachtenbruder oder Sigristen aufmerksam zu machen, falls sie sich bewogen finden sollten, auf einer genußvollen Schweizerreise im nächsten Sommer von der Eisenbahnstation Sempach aus eine Wallfahrt auf das Schlachtfeld zu unternehmen. Sie werden in dem alten lebhaften Männchen ein Original von Cicerone finden, wie ein solches wohl eine Seltenheit ist. Aus einer alten Züricher Chronik, die er einst gelesen, kennt er Einzelnheiten aus dem Verlaufe der Sempacher Schlacht, die Niemandem sonst bekannt sind. Noch hat er bei seinen Lebzeiten die Eisentafel an einer einsamen Eiche gekannt, worauf zu lesen stund, daß daselbst Winkelried den Seinen eine Gasse gemacht. Franz Helfenstein, so heißt der Schlachtsigrist, weiß Bescheid von der Lilie, welche da entsprossen, wo jetzt der Hochaltar der Schlachtcapelle steht, auf welchem Grund und Boden der Erzherzog Leopold sein junges Leben gelassen. Seine Gattin sei dann gekommen und habe die Eidgenossen gebeten, das Köstlichste von der Hinterlassenschaft ihres Gemahls, das sie zu tragen vermöchte, wegnehmen zu dürfen. Das sei ihr willig gestattet worden. Darauf habe sie den Leichnam ihres gefallenen Gatten in einen Sack gesteckt und habe solchen drei Schritte weit getragen, worauf er dann von Männern bis zur Wallfahrtscapelle in Gormund fortgeschafft worden sei. Nach Franzens Aussage rühren die Knochen im Beinhaus von den „ältesten Urenkeln“ her, und haben die Eidgenossen bei Sempach Finger an den Händen gehabt, so dick und lang wie Bratwürste. Derlei und noch viel andere wunderbare Sachen erzählt Franz Helfenstein, wohlbestallter Schlachtbruder, und zwar mit einer Lebendigkeit und Ueberzeugungskraft, welche den kühlsten Zweifler stutzig zu machen, und vom Saulus zum Paulus umzuwandeln vermag.



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Eine arabische Fantasia

Es war im Sommer des Jahres 1856, in den letzten Tagen des 40tägigen Ramadhan ober der mohammedanischen Fastenzeit, als ich, nach einer längeren Excursion in die nach der großen Sahara zu gelegenen äußersten Punkte der französischen Besitzungen in der Provinz Constantine, nach Biskra zurückkehrte. Schon bevor ich mit meiner aus Spahis bestehenden kleinen Escorte die Oasis, in welcher Biskra liegt, erreicht hatte, traf ich mit meinem alten Freunde, dem Kaïd von Biskra zusammen, der, von der Zeit meiner Ankunft durch meine Cameraden benachrichtigt, es sich nicht hatte nehmen lasten wollen, mir entgegenzureiten. Nachdem die üblichen, doch von beiden Seiten aufrichtigen und herzlichen Begrüßungen stattgefunden und der Kaïd seinen herrlichen arabischen Rappen neben meinem Grauschimmel nach einiger Mühe in ruhige Gangart gebracht hatte, erzählte er mir, während seine geübten Finger mit bewundernswerther Geschwindigkeit die so beliebte spanische Cigarette rollten, daß am letzten Tage des Ramadhan eine große Fantasia auf der Ebene vor dem Fort Saint-Germain abgehalten werden solle und daß der General Montauban zu dieser Festivität aus Constantine erwartet werde.

„– Also eine Fantasia?“ fragte ich; „und auf wessen Anregung?“

„– Auf die meinige,“ entgegnete Sidi-Soliman-bel-Hadj; „und eine noch unübertroffene,“ fügte er hinzu, indem er mit sichtlichem Behagen die aromatischen blauen Rauchwolken seiner feinen Cigarette beiden Nasenlöchern entströmen ließ. „Wollen Sie mir es glauben, Lieutenant,“ fuhr er nach einer kleinen Pause fort, „daß die Krieger und Reiter meines Stammes begierig sind, ihre Ueberlegenheit und Gewandtheit vor den Fremden (den Europäern) sowohl, als auch den Nachbarstämmen gegenüber geltend zu machen? Ich gebe Ihnen mein Wort, es wird etwas ganz Außerordentliches geleistet werden, und Sie selbst sollen eingestehen, daß Sie etwas Ueberraschenderes noch nicht gesehen. Uebermorgen ist der letzte Fasttag, die Fantasia beginnt um 8 Uhr früh, Abends mit Einbruch der Dunkelheit findet ein großes Feuerwerk statt und um 9 Uhr beginnt der Ball im Officier-Cercle. Nun, pas trop tôt,“ schloß der nicht allzustrenggläubige Muselmann seine Mittheilung, „nun wird man endlich wieder anfangen das Leben zu genießen.“

Sidi-Soliman, Kaïd von Biskra, war ein schöner, in der vollsten Manneskraft stehender Araber, sehr reich, sehr in Gunst beim General-Gouverneur, energisch in seinem Handeln, streng, doch gerecht gegen seine Untergebenen und ein entschiedener Freigeist. „Wenn der Prophet.“ sagte er oft, „den Château-Margaux, den Château-Lafitte, den Cliquot u. s. w. gekannt hätte, er würde ihn seinen Gläubigen nicht verboten haben. Nehmen wir daher an, sein Verbot rührt eben blos von dieser Unkenntniß her, und thun wir dem edlen Safte, den Gott hat für seine Menschenkinder werden lassen, möglichste Ehre an.“ Und er hatte einen exquisiten Weinkeller, der brave Kaïd, ich habe oft Gelegenheit gehabt ihn kennen zu lernen. Auch machte er kein Geheimniß aus dieser steten Uebertretung der Gesetze des Propheten; sie schadete auch dem großen Ansehen und dem noch größeren Einflüsse nicht, deren er bei seinen Glaubensgenossen sich erfreute. Und doch schmückten drei grüne Seidenquasten seinen Burnus, untrügliches Zeichen einer dreimaligen Pilgerfahrt nach dem Grabe des Propheten. Auch französisch sprach Sidi-Soliman, und zwar so fertig, daß nur wenig in seiner Aussprache den Nicht-Franzosen verrieth. Doch schwärmte er für Alles, was geeignet war den Ruhm und die Nationalität seines Volkes hervorzuheben, und deshalb bot er auch jetzt Alles auf, um seine „Fantasia“ so glänzend als möglich herzustellen.

„Was ist eine arabische Fantasia?“ wird der bei weitem größere Theil der verehrten Leser der Gartenlaube fragen. – Ich will versuchen, in Kürze ihnen ein Verständniß dessen zu geben, was der Araber unter diesem Worte begreift.

Der Araber – und vorzugsweise derjenige des französischen Algerien – kann sich kein öffentliches Fest, keine allgemeine Volksbelustigung oder Feier der Anwesenheit hoher und berühmter Gäste ohne eine solche Fantasia denken. Auf einem weiten, je nach den Umständen und Erfordernissen ebenen oder auf coupirtem Terrain belegenen Platze versammeln sich zahlreiche Reitertrupps in kriegerischer Rüstung und führen Kampfspiele, Scheingefechte, verwegene Reitkunststücke und Exercitien vor den Augen der Zuschauer aus. Eine erhöhte Tribüne, welche sich gewöhnlich im Centrum des Schauplatzes befindet und ringsumher einen freien Blick gewährt, dient zur Aufnahme der Ehrengäste und Notabilitäten, während die große Masse des schaulustigen Publikums in einem weiten Kreise den Platz umgiebt. Es ist selten, daß eine solche Fantasia ganz ohne Unglück, ja ohne Todesfälle abläuft; ja oft ist es vorgekommen, daß ein fanatischer oder hinterlistiger Bursche die Gelegenheit benutzte, um sich eines persönlichen Feindes zu entledigen. Doch nehmen wir unsere Erzählung wieder auf; sie wird am besten ein Bild einer solchen arabischen Festfeier geben.

Am frühen Morgen des vom Kaïd bezeichneten Tages strömten von allen Seiten größere und kleinere Trupps berittener Araber auf das Fort St.-Germain zu, welches, nur um einige hundert Schritte nördlich von dem eigentlichen Biskra belegen, Sitz der Militair-, Justiz- und Verwaltungsbehörden des Bezirks ist, deren obere Leitung sich in der Person eines Obersten vereinigte, welcher Chef des Kreises von Biskra, ich glaube des umfangreichsten von Algerien, ist. Doch nicht im Innern des Forts hielten die schwarzen, braunen und weißen Krieger ihre meist unansehnlichen, aber darum nicht minder ausgezeichneten Pferde an, sondern draußen, gegenüber dem nördlichen Eingangsthor des weitläufigen Forts, auf einem weiten, sandigen Platze, in dessen Mitte eine mit der französischen Tricolore gezierte kolossale Tribüne sich befand. Einige dieser Reitertrupps kamen weit her und hatten mehrere Tage gebraucht, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen, andere hatten kaum tausend Schritte zurückzulegen gehabt.

Zu Fuß, in Begleitung des Kaïds und mehrerer Officiere unseres Bureau’s oder von den verschiedenen, im Fort garnisonirenden Truppentheilen, hatte ich mich früh schon auf den Weg gemacht. Wir wollten vor dem Beginn der Spiele die Contingente der verschiedenen Stämme in Augenschein nehmen. Der Kaïd ließ uns schlauerweise erst alle die nicht seinem Stamme angehörenden Pferde und Reiter besichtigen, und erst dann wurde uns das Glück zu Theil, seine eigenen, allerdings mehr imponirenden Leute zu sehen.

Wie traurig und unbeweglich stand die Mehrzahl der kleinen, dürren Pferde da, als wollten sie einschlafen ober drohten jeden Augenblick vor Erschöpfung umzusinken! Einer unserer Officiere, seit Kurzem erst in Afrika angekommen, machte eine hierauf bezügliche, halb spöttische Bemerkung. Schlau und verschmitzt lächelte Sidi-Soliman, und erst nach Beendigung der Besichtigung näherte er sich jenem Officier mit den französisch gesprochenen Worten: „Wenn es Ihnen gefällig ist, mein Herr, so sagen Sie mir Ihre Meinung über diese Pferde nach der Fantasia.“ – Und ihn weiter keines Wortes würdigend, noch seine Antwort abwartend, führte er uns nach der großen Tribüne, wo auch bald der Divisions-General und Commandeur der Provinz anlangte, welcher expreß aus dem neun Tagesmärsche entfernten Constantine zu dieser Feierlichkeit eingetroffen war, gefolgt von seinem Stabe, allen Officieren, welche nicht durch den Dienst behindert waren, und was sonst an Standespersonen augenblicklich anwesend war. Auch ein reicher Damenflor nahm auf den vordersten Plätzen der Tribüne Platz.

Nun endlich begann die Fantasia. In geschlossenen Reihen defilirten zunächst die sämmtlichen Trupps, je nach ihren verschiedenen Stämmen geordnet. Die Einen waren mit der langen orientalischen Flinte, Andere mit langen Lanzen, wieder Andere nur mit dem arabischen Schwerte bewaffnet. Der Kleidung nach ließen sich die Stämme ebenfalls leicht unterscheiden. Da sah man die braun- und schwarzgestreiften Burnusse der Beduinen, die schneeweißen des Stammes Beni-Otta, die schwarzen und dunkelbraunen der Gebirgsvölker von der tunesischen Grenze und die weißen, jedoch schmutzigen der nomadisirenden Araber; endlich kam auch ein Trupp ohne Burnusse: es waren Kabylen, braune, dürre, jedoch markige Gestalten, einen schmutzigen rothen Fez auf dem kahl geschorenen Kopfe, ein Haïk (Hemde) auf dem Leibe, welches, ohne Aermel und nur leicht in der Schulter- und Halsgegend zusammengeheftet, den kräftigen, muskulösen Arm unbekleidet sehen ließ; dieses Hemd und ein weites, unter dem Kniee geschürztes orientalisches Beinkleid von weißem Baumwollenstoff werden zusammen durch eine bunte, bald seidene, bald wollene Schärpe um die Taille gehalten. In dieser Schärpe stecken kurze Waffen aller [728] Art: Dolche, Pistolen, Yatagans etc. Die Füße und Beine dieser verwegensten Reiter sind unbekleidet und ohne Sattel noch Bügel sitzen sie auf ihren kleinen Pferden, mit denen sie Eins zu sein scheinen.

Nachdem sämmtliche Contingente vor der Tribüne und um dieselbe herum defilirt hatten, theilte sich die Masse in drei Gruppen, deren eine bei der Tribüne blieb, während die beiden andern in entgegengesetzter Richtung sich von einander entfernten und ziemlich weit von dem Mittelpunkt des Schauplatzes Stellung nahmen. Der zurückgebliebene Trupp begann sich nun aufzulösen und seine wirklich im höchsten Grabe erstaunliche Gewandtheit in allen Reitkünsten zu zeigen. Bald jagten sie auf einander los, bis zu einer Nähe, daß man eine Collision für unvermeidlich hielt; doch fast Kopf an Kopf warfen die Reiter ihre Pferde zurück, jagten in rasender Carrière auseinander, um im nächsten Moment wieder in wilder Hast auf einander zuzustürzen. Dann feuerten sie die im schnellsten Jagen geladenen, sehr langen Flinten in den unglaublichsten Positionen ab, luden wieder, warfen sie hoch in die Luft, fingen sie mit erstaunlicher Gelenkigkeit, feuerten ab, im Augenblick, wo sie das Gewehr wieder berührten, ließen sich im vollsten Lauf des Pferdes von demselben hinabgleiten, voltigirten – Alles im Laufen – wieder hinauf auf den Rücken des Thieres, knieten, lagen, standen auf demselben, warfen das Gewehr weit von sich, legten sich zur Seite an das Pferd an, ergriffen im Fluge die fortgeschleuderte Waffe, luden sie, auf dem Pferde stehend, zielten, feuerten rück-, vor- und seitwärts … ein tolles, wirres Durcheinander, begleitet von dem wilden Schreien, mit welchem sie ihre Thiere anspornen; und bei alledem stets in den weiten, bis auf die Füße niederfallenden Burnus gehüllt. Man muß eine solche Hetzjagd mit angesehen haben, um sich einen Begriff machen zu können von der unglaublichen Geschwindigkeit und Gelenkigkeit, welche der Araber in Benützung seines Pferdes und seiner Waffe bekundet; die beste, wahrste Illustration würde nicht im Stande sein, einen vollen Begriff von dem zu geben, was man bei einer solchen Fantasia zu sehen Gelegenheit hat und was man, einmal gesehen, nie vergißt. Und diese mageren, vorher so schläfrigen und hinfällig aussehenden Pferde … wie werden sie munter, sobald sie den bekannten Reiter auf sich fühlen! Es ist. als ob ein ganz anderer Geist in das zuvor so ruhige, unbewegliche Thier gefahren, als ob es sich bewußt sei, daß von seiner Schnelligkeit, von seiner Sicherheit seine, seines Herrn, ja die Ehre des ganzen Stammes abhängt, zu welchem dieser gehört. Wie es plötzlich den Kopf hebt, die Nüstern sich erweitern, das Auge lebhaft und glänzend wird, und wie es dahin fliegt, ohne Ruhe, ohne Rast, ohne Futter, ohne Trank, wenn es nicht anders geht, auf den Ruf seines Herrn heranspringt wie ein Hund, die Datteln aus seiner Hand nimmt, auf sein Wort sich niederlegt oder ausrichtet, langsam geht oder dem Winde gleich fliegt … auch das muß man gesehen haben, um es zu verstehen. Doch expatriirt das Pferd dieser – ich möchte sagen zweiten – arabischen Race, und sein Werth ist dahin; dieses Pferd gedeiht und entfaltet sich nur in der Wüste: in Ausdauer, im Entbehren kommt ihm keines gleich, so schäbig, so verkommen es auch aussehen mag.

Der erste Act des Schauspiels war vorbei, der zweite begann. Sobald die Reiter, welche bereits ihre Künste producirt ballen, zur Seite geritten waren, begannen die beiden andern Trupps, welche eine Entfernung von mindestens 3000 Schritten zwischen sich hatten, sich erst langsam, dann schneller und immer schneller in Bewegung zu setzen. Die Aufgabe, welche sie zu lösen hatten, war das sogenannte Durchreiten, d. h. beide Trupps in gleicher Front und gleicher Stärke und jeder in Zwanzig hinter einander folgenden Gliedern oder Reihen, ritten im rasendsten Lauf der Pferde einander entgegen und ein Trupp durch den andern hindurch, ohne anzuhalten, ohne zu visiren, ohne daß zwischen den einzelnen Reitern mehr überflüssiger Raum vorhanden war, als um eben einen andern hindurch zu lassen, der in entgegengesetzter Richtung dahinjagte. Der Zusammenstoß, oder besser gesagt, die Vermischung mußte, der Berechnung nach, gerade vor dem Platze, welchen der General inne hatte, erfolgen, und so geschah es auch. In bewunderungswürdig gerichteten Reihen flogen die Wüstenkinder auf einander zu, und obgleich gewiß an tausend Pferde in jedem Trupp sich befanden, waren sie schneller durch einander und wieder getrennt, als der Leser Zeit gebraucht, um zehn von diesen Zeilen zu lesen. Und kein Unfall, kein Stürzen, kein Straucheln nur.

Und doch ist dies eines der gefährlichsten Manöver, welche selten ganz ohne Unfall verläuft; und Staub und in die Lüfte hinaus geschleuderter Sand hüllten die verwegenen Reiter ein, deren die Einen auf dem Rücken des Pferdes mit dem Gesicht nach vorn, Andere verkehrt saßen, wieder Andere standen, knie’ten, lagen, kauerten … Es war ein unbeschreibliches Durcheinander, ein fabelhafter Anblick, das Herz klopfte, der Athem stockte, als diese zwei mit Windeseile sich entgegen fliegenden, compacten Reitermassen dicht vor unsern Augen sich mischten und einen Moment, einen kurzen, darauf der Plan vor uns frei war und nach wenigen Schritten und in bester Ordnung beide Haufen Front machten und unbeweglich dastanden. Ein jubelnder Applaus erscholl von den Tausenden, welche dieses Schauspiel mit angesehen. Kaum war er verhallt, als der eigentlich militärische Theil, der dritte Act der Fantasia, begann.

Dieser bestand in einem Scheingefecht, welches ein treues Bild der eigenthümlichen Kampfesweise der Araber gab. Da jedoch ähnliche Scenen schon zur Genüge in deutschen Blättern geschildert sind, so begnüge ich mich hier nur die Folgen dieses sogenannten Scheingefechtes mitzutheilen. Es gab da Verwundete und Todte in Masse, fingirte und wirkliche. Der letzteren waren drei, zwei Verwundete, deren Einer auch nach acht Tagen starb, und ein Todter. Die beiden Ersteren hatten ihren Unfall sich selbst zuzuschreiben, dies war erwiesen und unbestritten; allein mit dem Todten hatte es eine ganz andere Bewandtniß. Die allgemeine Stimme seiner Freunde und Stammesgenossen bezeichnete sofort Denjenigen, welcher ihm den Garaus gemacht, und schrieb diesen Mord der Eifersucht – – – auf ein Pferd zu. Ben-Masa hieß der Getödtete, Abd-el-Cofra der Mörder. Beide waren Jünglinge, Beide gehörten reichen Familien an, Beide hatten im Handel um dasselbe Pferd gestanden; Ben-Marsa war es geglückt, die „Perle der Pferde“ zu erlangen. Abd-el-Cofra hatte ihn von diesem Augenblicke an der Rache geweiht. Die Fantasia bot ihm, wie er glaubte, hierzu eine günstige Gelegenheit; bei einem der Scheingefechte rannte er ihm, wie unversehens, den Yatagan in den Leib. Allein er beging die Thorheit (wenn man es so nennen darf), sofort sich flüchtig zu machen. Dieser Umstand, sowie der, daß man von dem zwischen den beiden Jünglingen stattgehabten, auf's Aeußerste geschraubten feindlichen Verhältniß unterrichtet gewesen, genügten auf ihn die Anklage des Mordes zu werfen. Noch im Laufe des nämlichen Tages ward er gefangen eingebracht und der richterlichen Behörde überliefert. Ich kann über sein Geschick ein Mehreres nicht sagen; durch Veränderung des Aufenthalts ist mir dasselbe aus dem Sinn gekommen, doch hat er jedenfalls unter dem Yatagan des mit den Executionen für Eingeborene betrauten Schahous (Gerichtsdieners) sein Leben verhaucht.

Gegen 11 Uhr Vormittags war die „Fantasia“ zu Ende, und so schnell als möglich suchten Alle die Kühle der Wohnungen, der Zelte oder des Palmenwaldes, der in unabsehbarer Weite die Südseite um Biskra bedeckt. Ich gehörte nebst mehreren Freunden zu Denen, welche diesen letztern Aufenhalt dem dumpfigen Zimmer vorzogen. Dort, unter dem Dache riesiger Palmenblätter und zur Seite einer lustig murmelnden Quelle der Oasis ließen wir uns das Mittagsmahl serviren und saßen dann bei Pfeife, Mokka und unterhaltendem Gespräch, bis es Zeit war zum Feuerwerk zu gehen, zu dessen Beginn der im Augenblick des Verschwindens der Sonne auf den Wällen des Forts abgefeuerte Kanonenschuß[1] das Zeichen geben sollte.

Wie so eigen doch das Leben der Menschen ist und wie wahr das Wort, daß man stets bereit sein müsse, vor den höchsten Richter zu treten, zeigte mir dieser Tag. Unter den in unserm gemüthlichen Kreise unter den Palmen lustig und guter Dinge Seienden befand sich auch ein liebenswürdiger, junger Mann; sein Name war Müller, er war gebürtig aus Bautzen oder aus Görlitz, nicht sicher bin ich aus welcher dieser beiden Städte, doch aus einer derselben bestimmt; er war Sergeant-Major (Feldwebel) einer Compagnie von Voltigeuren des zweiten Regiments der Fremdenlegion, welche augenblicklich im Fort garnisonirte. Müller (authentischer [729] Name, nicht fingirter) war 23 bis 25 Jahre alt; als Landsmann hatten wir uns einander angeschlossen. Er hatte in den nächsten Tagen sein Officiers-Patent zu erwarten, war ein vielseitig gebildeter junger Mann, von einnehmendem Aeußern und hatte, wie ich gehört, Deutschland in Folge der politischen Ereignisse der Jahre 1848 und 49 verlassen. Eine zärtlich geliebte Braut war ihm daheim geblieben, mit der er eifrig correspondirte und der er, so viel mir bekannt, von Zeit zu Zeit einen Theil seiner Ersparnisse schickte. Sie sollte nach Afrika kommen, sobald er Officier sein würde, und sich dort mit ihm verheirathen. Müller war geschickter Planzeichner und seit Kurzem im Genie-Bureau beschäftigt, wo man mit ihm und seinen Arbeiten sehr zufrieden war. Seine Carrière war vorauszusehen: Officier, dann naturalisirt als französischer Unterthan, ausgeschieden aus der Fremdenlegion und übergetreten zu einem technischen oder wissenschaftlichen Corps, in der Folge eine lucrative Anstellung im Civildienst – das waren so ungefähr die nach menschlichen Begriffen gewissen Aussichten, welche Müller hatte. Allein das Wort ist sehr wahr: „der Mensch denkt – Gott lenkt!“ Es sollte sich ganz, ganz anders gestalten … Armer Freund!

Noch vor dem üblichen, für dieses Jahr letzten Kanonenschusse brachen wir auf, um uns nach dem etwa eine Viertelstunde entfernten Punkte zu begeben, wo das Feuerwerk, welches unsere Artillerie arrangirt hatte, abgebrannt werden sollte. Es war dies ein Platz vor dem sogenannten Dhar-Diaf, Name einer Art Karawanserai nebst Kaffeehaus, unfern des Forts, östlich Biskra und an dessen äußersten Häusern belegen. Der Platz wird von einer breiten Chaussee durchschnitten; auf der Stadtseite derselben befand sich das obenerwähnte arabische Kaffeehaus, an dessen einer äußern Mauer eine Menge langes Bauholz aufgeschichtet lag, welchen eine Art Tribüne amphitheatralischer Art bildete. Wir fanden auf den untersten Schichten des Bauholzes noch einige freie Plätze und nahmen davon Besitz. Auf der entgegengesetzten Seite der Chaussee, und etwa zehn Schritte vom Graben entfernt, befanden sich die Vorrichtungen zum Feuerwerk, bestehend in Stangen, Gerüsten etc.

Kurz vor 7 Uhr dröhnte der Schuß, dessen Echo der Palmenwald wiederholt zurückwarf, und den die versammelte Menge, zum größten Theil aus Eingeborenen bestehend, mit Jubel als das Ende der vierzigtägigen Fastenzeit begrüßte. Unmittelbar darauf nahm das pyrotechnische Schauspiel seinen Anfang. Dasselbe sollte durch drei Kanonenschläge eröffnet werden, welche an Pfählen befestigt waren. Zwei derselben hatten glücklich von den sie beengenden Banden sich befreit und unter lautem Krachen den Anfang des Feuerwerks verkündet. Der dritte jedoch, sei es durch eine fehlerhafte Placirung oder durch ein Versehen der functionirenden Artilleristen, explodirte nicht, wie die beiden ersten, nach oben hin, sondern flog mit der Schnelligkeit einer Kugel, welche aus einem wirklichen Geschütz geworfen wird, zur Seite und direct nach dem Punkte hin, auf dem wir uns befanden. Im Moment selbst der Explosion stieß der arme Müller einen Schmerzensschrei aus und war auch sogleich über und über mit Blut bedeckt. Die compacte Hülse des Kanonenschlags hatte ihm den rechten Schenkel über dem Knie zerschlagen.

Wir brachten den Unglücklichen sofort nach dem nicht fernen Militär-Hospital, wo die anwesenden beiden Aerzte sofort und einstimmig, nachdem sie die schwere Verletzung untersucht!, erklärten, daß nur die schnellste Amputation hier retten könnte. Zu dieser ward denn auch sofort geschritten. Inzwischen hatten sich bereits der General, der Oberst und die sämmtlichen schon im Officier-Casino eingetroffenen Officiere, denen die Kunde des traurigen Vorfalls gleich berichtet war, eingefunden. Alle bezeigten die aufrichtigste Theilnahme. Die Operation wurde von den beiden, sehr jungen Militär-Aerzten (der Oberarzt, ein tüchtiger, erfahrener Chirurg, war leider abwesend) vollzogen. Es hatte bei derselben ein grobes Versehen stattgefunden; sei es die Eile, sei es die Unerfahrenheit oder Ungewohntheit der beiden Operateure, – genug, nach einer für den Verwundeten schrecklichen Nacht, sah man sich am nächsten Morgen zu einer zweiten Amputation genöthigt. Dem furchtbaren Blutverlust, zu dem sich ein gefährliches Wundfieber gesellte, und endlich den doppelten, gewiß schrecklichen Schmerzen waren die physischen Kräfte des armen jungen Mannes nicht gewachsen. Vier Stunden nach der zweiten Amputation war er todt.

Es wurde ihm ein ehrenvolles, ja selbst prachtvolles Leichenbegängniß veranstaltet. Die Theilnahme war eine allgemeine, eine aufrichtige. Die jungen Märchen Biskra’s, die ihn wohl kaum dem Namen nach gekannt, schmückten sein Grab mit Blumen und Kränzen; ein langer Leichenzug und eine Ehrengarde folgten dem Sarge; man erwies ihm die militärischen Ehren, denn er hatte zu verschiedenen Malen im feindlichen Feuer gestanden, und – war als Officier gestorben. Sein Patent hatte der General mitgebracht und wollte es ihm am Tage nach der Fantasia auf der Parade feierlich überreichen. Ob er noch zu dem Bewußtsein gelangt ist als Officier gestorben zu sein, – ich weiß es nicht und bezweifle es selbst, denn seine Schmerzen waren fürchterlich, und ich gestehe es: ich wünschte seinen Tod, um den Unglücklichen erlöst zu sehen.

Dieser traurige Vorfall wirkte entschieden auf die Stimmung der im Casino versammelten Ballgesellschaft; die Fröhlichkeit, die sonst gewiß nicht gefehlt hätte, konnte nicht durchbrechen, Alles war gedrückt, schmerzlich berührt. Ich ging nach 10 Uhr Abends nach dem Casino, um eben da gewesen zu sein, und entfernte mich eine halbe Stunde später; es ließ mich nicht in dem Kreise der Tanzenden, ich mußte zurück an das Schmerzenslager meines armen Freundes. Auch der Ball, der unter andern Umständen jedenfalls bis zum Morgen gewährt haben würde, hatte bereits um 12 Uhr sein Ende erreicht.

Das war eine „Fantasia“, die einen Mord und ein so bedauernswerthes Ende eines jungen, lebensfrischen und mit den herrlichsten Aussichten in die Zukunft blickenden Mannes zur Folge hatte.

Theodor Küster.




Von einer alten Dame.

Eine Erinnerung vom Sängerfest in Nürnberg.

Die Sonne stand brennend am blauen, wolkenlosen Himmel, der auch keine einzige Wolke zur Trübung oder Dämpfung des allgemeinen Jubels an seiner Wölbung duldete. Die Hitze war manchmal drückend; der Staub, immer auf’s Neue aufgerührt von den tausend und tausend Füßen, die ihn auf dem Wege nach dem schattigen Festplatze treten mußten, überaus lästig und setzte sich wie dichter Puder auf die schwarzen Ueberwürfe der Damen, auf die koketten dunkeln Federhütchen derselben, die so viel Frische und Heiterkeit der jugendlichen Gesichter halb versteckten und halb sehen ließen. Die beiden Wege, die hinausführten, vom Lauferthor und vom Maxthor aus, wurden gewöhnlich halb seufzend unternommen, boten aber immer wieder so viel Ausbeute an Vergnügen, so viel Lust am Sehen und Gesehenwerden, daß Staub und Hitze vielleicht noch nie geduldigere Menschen getroffen haben.

Dann war aber vom Maxthor aus, vielleicht just in der Mitte des heißen Weges, in der Umgebung einiger schöner, alter Bäume ein neueres kleines Landhaus zu treffen, das für’s Auge einen erfrischenden Ruhepunkt bildete. Ich meine weniger das Häuschen selbst mit seinen schmalen Blumenrabatten vor der Hausthüre. Aber zur Seite stand wieder ein kleines Gewächshaus, das in der Zusammenstellung seiner blühenden Gewächse, in dem Reichthum, dem Farbenschmelz und auch der Seltenheit derselben aussah wie ein wunderschönes, noch vom Thau glänzendes Blumenbouquet. Alle ermüdeten Füße blieben wohl einige Momente dort stehen, und alle vom Staub nicht halb erblindete Augen verweilten mit Wohlgefallen auf dem lieblichen Anblick. Längs der Mauer, die das ganze Gehöfte umschloß, führte alsdann der Weg weiter dem rauschenden Festplatz zu.

Ich meinte gegen meinen Nürnberger Freund, der unser gewöhnlicher Begleiter zu den Festfreuden und Genüssen war, das sei ein angenehmer Ruhepunkt, und der Besitzer des Häuschens, ohne Zweifel ein großer Blumenfreund, verdiene sich den Dank aller Vorüberwandernden.

Mein Freund bejahte es etwas zerstreut, indem er eben zu den niedrigen Fenstern eines noch kleineren Häuschens hinauf grüßte, das mehr im Hintergrunde nur halb über der angedeuteten Mauer [730] sich erhob und einem ältern Frauenzimmer zur Wohnung zu dienen schien, welchem der Gruß galt.

„Noch mehr, als der liebliche Blumenflor Sie erfreut,“ sagte der Freund im Weitergehen zu mir, „wird es Sie interessiren, wenn ich Ihnen sage, wer die kleine, alte Dame ist, die am Fenster da oben stand und meinen Gruß mit ihrem schwachen, unsichern Blick kaum beachten konnte. Sie mit Ihrem lebendigen Interesse für Geschichte müssen wissen, daß das die einzige noch lebende Tochter des Adam Lux, des heroischen Mainzers ist, der in dem traurigsten Zeitpunkte der französischen Revolution den Muth hatte, für Charlotte Corday seine Stimme zu ihrer Vertheidigung und zur Verdammung ihrer gefühllosen Richter laut und frei zu erheben. Wie Sie ja wissen, wurde er der Märtyrer seiner edlen Freimüthigkeit und fiel ebenfalls der Guillotine zum Opfer.“

Ich war betroffen. „Was, eine leibliche Tochter dieses edeln, viel bewunderten Mannes existirt noch, und zwar hier in Nürnberg? Ich muß sie jedenfalls kennen lernen! Können Sie mich vor meiner Abreise nicht bei ihr einführen?“

„Warum nicht? Obgleich sie nicht gewohnt und wahrlich nicht eingerichtet ist, Fremde zu sehen und zu empfangen, wird sie mir, einem langjährigen Bekannten, nicht verübeln, wenn ich bei einem Besuche Jemand mit mir bringe, der so viel Interesse und Theilnahme an ihrem unglücklichen Vater genommen. Die Tochter hat in anderer Art recht viel Schweres in ihrem Leben durchgemacht.“

Vielleicht kennen einige Leser der Gartenlaube die Geschichte des Vaters nicht. Lux war ein junger, mit dem Weibe seiner Jugendliebe verheirateter Mann und durch dieses Gutsbesitzer in Kostheim in der Nähe von Mainz geworden. Er lebte allgemein geliebt und geehrt in einem kleinen Kreise ausgewählter Freunde, hatte trotz seiner gelehrten Bildung sich aller Ansprüche auf irgend ein Amt vor der Hand begeben, erfreute Sinn und Herz neben seinen ökonomischen und ländlichen Geschäften am Lesen der von ihm so geliebten Classiker und war für Frau und Kind der liebevollste Familienvater.

Die neuen, meteorartigen Erscheinungen am politischen Himmel des Nachbarlandes mußten seinen Geist und sein Denken lebhaft anregen. Wahrscheinlich war er ein näherer oder entfernterer Bekannter des geistreichen Forster, kam vielleicht öfters in jenen Kreis, der, längst angeekelt von den traurigen Zuständen in Deutschland und vorzugsweise von der verkommenen Pfaffenherrschaft, in nächster Nähe mit innerem Frohlocken eine neue Zeit anbrechen sah, ein Morgenroth der Freiheit und der Menschenrechte. Wer kann es jenen Männern verdenken, die ganz gewiß in der Mehrzahl die Edelsten und Gerechtesten, die Vorurteilslosesten ihres Volkes waren, daß sie bei all dem Jammer der damaligen Wirthschaft endlich im Laufe der Ereignisse glauben und annehmen konnten, im Verein mit Frankreich ließen sich ihre hohen Ideale für Gründung und Befestigung neuer und volksthümlicher Staatseinrichtungen besser realisiren?

Lux wurde durch die Wahl seiner Mitbürger zum Mitglied der Nationalconvention jener Städte und Ortschaften ernannt, welche der Aufforderung der französ. Republik, sich frei zu erklären, Gehör gegeben und sich als Rheinisch-deutscher Freistaat constituirt hatten.

Dann wurde er von demselben mit Forster und einem andern Mainzer Bürger Potocki zum Gesandten nach Paris erwählt, um das oben angeführte Gesuch um Anschluß an Frankreich dem französischen Convent vorzutragen. Er entwand sich den Armen seiner geliebten Familie, schöne, weitgehende Hoffnungen für sein Vaterland in der Seele tragend, und seine Gattin, die in ihren Ueberzeugungen ganz mit ihrem Manne stimmte, soll nach dem Zeugniß der Tochter mit allen Schritten desselben vollkommen einverstanden gewesen sein.

Die Mainzer Gesandten trugen das Vereinbarungs-Gesuch vor, und mit allgemeiner Beifallsbezeigung wurde es vom französischen Convent aufgenommen und sofort decretirt den 31. März 1793.

Aber der Aufenthalt in Paris öffnete den Mainzer Abgeordneten die Augen in einer Weise, wie sie nicht erwartet hatten. Besonders Forster und Lux müßten nicht die bedeutenden, die für Wahrheit und Recht glühenden Seelen gewesen sein, wenn nicht das Getreibe, das Wüthen der beiden mächtigen Parteien, die sich bekämpften und mit jener schreckenerregenden Willkür um die Herrschaft stritten, auf sie einen traurigen und darniederschmetternden Eindruck gemacht hätte. Haben wir doch in dem Nachlaß von Forster, in seinen Briefen aus Paris, die vor mehreren Jahren auf’s Neue von Gervinus herausgegeben wurden, deutlich genug den Eindruck gelesen, den die Ereignisse und Zustände im damaligen Frankreich auf das Gemüth dieser nur das Gute und Rechte wollenden Männer machten.

Nach den Vorgängen des 31. Mai und des 2. Juni 1793 zogen sich die geschlagenen Girondisten von Paris zurück nach Caen, welche Stadt sie zum Mittelpunkt ihrer Partei und ihres offenen Aufstandes gegen die Bergpartei machten. Marat, der Haupturheber der letzten Ereignisse, der Führer und Leiter des Berges, war in den Augen des hochherzigen, schwärmerischen Mädchens von St. Saturin (in der Nähe von Caen) die verabscheuenwürdigste Persönlichkeit, die das Unglück und das Verderben über ihr geliebtes Vaterland brachte. Hatte er nicht selbst in öffentlicher Rede geäußert, daß noch zwanzigtausend Köpfe fallen müßten, um die Revolution sicher und fest zu begründen? Sie macht sich auf aus ihrer Heimat, die junge und schöne Charlotte Corday. reist nach Paris, dringt zu dem blutigen Fanatiker, erstickt ihn im Bade und erwartet alsdann ruhig ihre Verhaftung und Verurteilung.

Ihre enthusiastische That blieb nutzlos, die Ereignisse wurden zu mächtig und schritten über die Leiche Marat’s weg ihren fürchterlichen Gang. Aber der Heldenmuth des Weibes, ihre edel gehaltenen Antworten vor dem Revolutionstribunal, dem sie unerschrocken sagte: „Ich hoffte einen Menschen zu tödten, damit ich Hunderttausende damit retten könnte, einen Bösewicht, um Unschuldige sicher zu stellen, ein wildes Thier, um meinem Vaterlande die Ruhe zu geben. Ich war Republikanerin vor der Revolution, und es hat mir nie an Energie gefehlt“ – das erschütterte Viele, deren Herzen für Frankreich schlugen, doch unter der Schändung menschlicher Gesetze und Gefühle in der Stille bluteten.

Lux sah sie dem Tode entgegengehen, den 17. Juli, auf dem schrecklichen Armensünderkarren mit einen, rothen Mantel bekleidet, und war ergriffen von dem Ausdruck des schönen Antlitzes voll Ruhe und Sanftmuth, mitten unter dem Geheule und Gelächter einer bestialischen Menge. Wie der Henker mit Rohheit und Hohn den guillotinirten Kopf dem Volke zeigte, rief eine Stimme aus dem Haufen: „Seht, sie ist größer als Brutus!“

Es war die Stimme des furchtlosen Deutschen. Und am 19. Juli schrieb er jenen Ruf an Frankreich und dessen edlere Bürger, über Charlotte Corday und ihre That. Er mißbilligt darin den Mord an Marat, läßt aber der Tugend und den Beweggründen Charlottens alle Gerechtigkeit widerfahren, appellirt an das Urtheil der gerechten Nachwelt, die das Außergewöhnliche der That erst würdigen werde, obgleich in jenem Moment der ermordete Marat noch ein größerer Gegenstand den Enthusiasmus der Pariser, seine Büste an allen Plätzen aufgestellt, seiner Leiche die Ehre des Pantheon zu Theil wurde. Er spricht ihr eine Ehre und Bewunderung aus, eine Verachtung gegen die Macht ihrer Richter und Henkersknechte, die nothwendig seine Verdächtigung als schlechter Patriot, als Landesverräther nach sich ziehen mußte. Schon vor diesem Schriftstück hatte Lux eine andere Flugschrift herausgegeben: „Avis aux Français“, worin er eben so offen seine Ueberzeugung aussprach, daß es unter dem gefährlichen Streite der Freunde der Ordnung und der Anarchisten mit der Freiheit zu Ende ginge und der Bürgerkrieg die nothwendige Folge sein würde; er versuchte es die Vaterlands- und Freiheitsliebe in dem Herzen jedes Franzosen neu anzufachen, verfluchte die Jacobiner und weihte seine vollständige Achtung den Girondisten.

Beide Schriften vereint bewirkten denn auch seine Verhaftnahme bald nach der Herausgabe. Drei Monate nachher wurde auch er zur Guillotine geführt, – „die,“ wie er in seinen Worten über die Corday sagt, „in seinen Augen nichts mehr ist, als ein Altar, worauf man unschuldige Opfer schlachtet und womit – seit dem reinen Blute, das am 17. Juli darauf geflossen ist – keine Schande mehr verbunden sein kann.“ – Sein Haupt fiel, indem er mit wahrer Seelengröße das Schaffot betreten hatte.

Wedekind meint, er hätte sein Leben retten können, wenn er sich vertheidigt, wenn er eingestanden hätte, seine Schriften in melancholischer Gemüthskrankheit abgefaßt zu haben. Wirkliche Patrioten hätten ihm alsdann zu einem solchen Ausgange verholfen. Aber Lux war ein Deutscher, mit deutscher Wahrheit und Ueberzeugungstreue, die er als Mann höher schätzte, als sein Leben. Er starb lieber, als daß er sich durch eine Lüge rettete. So weit die Geschichte des wackern Mannes.

[731] Ueber all dem Jubeln, Singen und Feiern des Sängerfestes hatte ich die Tochter des Adam Lux nicht vergessen. Am Abend des nächsten Tages mahnte ich meinen Freund, sein Versprechen zu erfüllen, und wir gingen den heute so viel stillern Weg hinaus nach dem kleinen Häuschen.

An der niedrigen Hofthüre sagte uns ein junges strickendes Mädchen, die Tochter der Gemüsegärtnerin, der die Wohnung gehört, daß die alte Dame zu Hause sei, und wir stiegen die schmale, reinliche Treppe hinauf zu dem Zimmer, das sich auf unser bescheidenes Klopfen öffnete.

Eine kleine freundliche Frau bewillkommnete meinen Freund mit einiger Verlegenheit, weil sie meinte, Zimmer und Toilette sei nicht in der besten Ordnung, um Besuch zu empfangen. Er beruhigte sie rasch darüber und stellte mich als einen seiner Bekannten aus der Ferne vor, der aus großem Interesse an ihres Vaters Wirken und Schicksal ihre Bekanntschaft zu machen wünsche.

Die heitere, milde Gestalt drückte mir dankend die Hand und nöthigte mich, neben ihr auf dem einfachen schwarzen Kanapee zu sitzen, wo ich im Laufe des Gesprächs ihr Aeußeres, das von dem Lichte des Hoffensters beleuchtet wurde, betrachten konnte.

Das Alter – sie zählt schon 72 Jahre – hat tiefe Furchen in angenehme Gesichtszüge geschnitten, die von dem freundlichen Blicke der blauen, aber schwachen Augen beherrscht werden. Eine feine Röthe färbt immer noch die schmalen Wangen, die von einer weißen Krause und einem schützenden Spitzentüchelchen eingerahmt sind. Weder Crinoline, noch bauschende Kleider umhüllen ihren zerbrechlichen Körper, und nur das einfachste dunkle Wollenkleidchen fällt auf die Füße hernieder, die übrigens die einsame, fast verlassene Frau bei gutem Wetter, wie sie mir sagte, alle Morgen auf größere oder kleinere Spaziergänge leiten müssen.

Die Einrichtung des kleinen, aber hellen Zimmers, nebst dem daran stoßenden Schlafstübchen und dem dunkeln Heerde daneben, ist äußerst einfach, dünkt ihr aber ein köstliches Besitzthum zu sein, weil sie erst seit einem halben Jahre, die Arme, die einzige und unumschränkte Besitzerin einer jeweiligen Wohnung ist – die Folge drückender Verhältnisse. An der bis zur Hälfte der Zimmerhöhe gehenden Vertäfelung der einen Wand steht ihr altes liebes Instrument, das sie sich durch viele Stürme des Lebens hindurch gerettet hat, und dessen kurze Tasten noch manchmal von ihren zitternden Fingern zu einem Chorale angeschlagen werden, wenn ihre Verlassenheit, ihre alten Tage sie ängstigen wollen und sie sich auf’s Neue Stärke und Heiterkeit da suchen muß, wo, wie sie mit kindlichem Glauben und Vertrauen sagt, auch sie nicht vergessen ist. Gegenüber an der Wand hängen über einem kleinen Tischchen im Kreise herum mehrere Silhouetten von Freunden aus früherer Zeit und geben der alten Frau schmerzliche und liebe Erinnerungen.

Sie erzählte mir auf leise Fragen hin, wie sie – eine geborne Mainzerin – hierher nach Nürnberg verschlagen wurde, wo sie als kinderlose Frau ihren Mann verlor, der in einem dortigen Geschäfte Mitantheilhaber gewesen. Schon lange Jahre ist er jetzt gestorben und hatte sie allein ohne Kinder und ohne nahe Verwandte zurückgelassen. Das Geschäft, worin ihre beiden kleinen Vermögen niedergelegt waren, nahm nach seinem Tode keinen günstigen Verlauf, und doch hatte er unselige Verfügungen getroffen, daß seiner Wittwe Existenz bis an ihr Lebensende an die Familie des Associé gefesselt bliebe in Bezug auf ihr Vermögen und ihren Unterhalt. In dem schlimmen Falle, den die Angelegenheiten genommen, für beide Theile ein drückendes Verhältniß! Sie schien es aber mit wahrer Religiosität und heiterer Ergebung bewältigt zu haben, und fühlt sich trotz Abhängigkeit und der einfachsten, ärmlichen Lebensweise zufrieden in einer Bedürfnißlosigkeit, die mir wahrhaft rührend war.

Hat sie wohl als Erbtheil ihres edeln Vaters, den sie freilich kaum gekannt hat – denn er starb, als sie kaum drei Jahre alt war – seinen Stoicismus, seine Verachtung der Welt und ihrer bösen Elemente als Erbtheil überkommen und sie unbewußt in ihre Lebensansichten und Verhältnisse übertragen? – Sie erschien mir wirklich ehrwürdig, wie sie ungesucht und anspruchslos von ihrer einfachen und einsamen Lebensweise sprach, ohne männlichen Schutz, ohne Dienerin, ohne gesellschaftliche Verbindungen, als einige befreundete weibliche Wesen, die sie dann und wann aufsuchen.

Sie hatte Freude an meiner lebhaften Theilnahme für sie und das Andenken ihres Vaters. Sie holte mir aus ihrer alten Commode die einzigen alten, vergilbten Reliquien, die in ihrem langen Leben und im häufigen Wechsel des Wohnortes ihr geblieben waren, als von ihm selbst herrührend. Es sind drei Hefte. Das erste gedruckte Heft enthält die in lateinischer Sprache abgefaßte Doctor-Dissertation von A. Lux und zwar über den Enthusiasmus, welche er hielt in Mainz, den 19. November 1784. Das zweite Heft, von seiner Hand geschrieben, enthält Bruchstücke aus Ossian’s Gesängen und aus dem Homer. Das dritte, wiederum gedruckte kleine Bändchen heißt: „Republikanischer Nachlaß von Adam Lux, weiland Mitgliede des Rheinisch-Deutschen Convents und außerordentlichem Gesandten zu Paris, in Straßburg gedruckt im dritten Jahr der fränkischen Republik“ und herausgegeben mit einer Vorrede von dem bekannten oder berüchtigten Wedekind. Der in seinen Folgen so tragische Aufruf für die Charlotte Corday ist hier am Schlusse mitgegeben.

Die Tochter bestätigt übrigens das oben Angeführte aus ihren Erinnerungen, oder vielmehr aus den Erzählungen ihrer Mutter. Es war dieser und ihrem Gatten während der drei Monate seiner Einkerkerung die Möglichkeit geblieben, mit einander zu correspondiren; und Lux muß seiner Frau mitgetheilt haben, daß, wenn er seine Flugschriften auf eine gewisse Weise widerrufen würde, er Hoffnung haben könnte, ihr und seiner Familie erhalten zu bleiben. Er appellirte an ihre Entscheidung, als diejenige, die ein Recht an sein Leben, aber auch an seine unbefleckte Ehre hätte. Die geistesstarke Frau bestärkte ihn mit bewunderungswürdiger Fassung in seinem Entschlusse, nichts von dem zurückzunehmen, was er aus tiefster Ueberzeugung gesprochen und veröffentlicht. Und Lux starb als Märtyrer seiner Grundsätze mit Heldenmuth.

Die Wittwe verkaufte bald nachher ihr Besitzthum in Kostheim und zog sich mit ihren beiden Mädchen, von denen die noch Lebende damals kaum drei Jahre alt war, nach Mainz, wo ihr mehrere Verwandte lebten. Sie starb einige Jahre nach dem Tode ihrer ältern Tochter, und zwar noch ehe die Jüngere verheirathet war.

So kam es, daß die Matrone, deren Bekanntschaft ich eben gemacht, ziemlich einsam durchs Leben ging, welches ihr nicht viele Rosen, sondern viele Dornen brachte, – und nun in ihrem zweiundsiebenzigsten Jahre beinahe in Verlassenheit die trübern Tage des hohen Alters an sich herantreten sieht. Der Himmel erhalte ihr für die nunmehr noch kurze Zeit ihres Erdenwallens die Gesundheit, die Heiterkeit und die Ergebung, die über ihr ganzes Wesen verbreitet ist, und mit der sie gewiß Jedermann – neben dem Interesse für ihre Abstammung – unwillkürlich fesselt.

Sollte nicht vielleicht da oder dort die Verehrung für einen echt deutschen Mann Pietät für die Tochter hervorrufen?

Das waren meine Gedanken, als ich bei der Abendämmerung still mit meinem Freund nach der Stadt zurückkehrte, und die nämlichen sind es, die mich bewogen, diese Begegnung für weitere Antheilnehmende niederzuschreiben.

E. Hirzel.     




Aus der Schlacht von Dennewitz

Die preußischen Patrioten und Generale hatten im Jahre 1813 keine leichte Aufgabe. Der von den Franzosen ausgesogene, auf das Aergste mißhandelte und noch immer gefesselte und streng bewachte Staat sah sich durch York’s kühnen Entschluß plötzlich in einen Krieg verwickelt, für den er nicht gerüstet war. Zwischen den feindlichen Heerestheilen mußte man die junge Mannschaft zum Waffendienst herbeiziehen. Weder sie, noch der nöthige Kriegsbedarf für ein größeres Corps konnte, ohne den gefährlichen Verdacht des Feindes zu erregen, offen an einem Orte zusammengebracht werden. Weniger Noth machte das Einexerciren der Ankömmlinge; die gedienten Soldaten nahmen sich freiwillig der Rekruten an und gaben ihnen mit Lust und Liebe die nöthige militärische Dressur; der Corporalstock war verschwunden. Außerdem hatte Scharnhorst’s weise Organisation der preußischen Armee unter Napoleon [732] Argusaugen für die Zeit der allgemeinen Erhebung trefflich vorgearbeitet. Bekanntlich durfte Preußen damals vertragsmäßig nicht mehr als 40,000 Mann unter den Waffen haben. Da aber, nach Scharnhorst’s Anordnung, die ausexercirte Mannschaft stets sofort heimgeschickt und frische an ihre Stelle einberufen wurde, so konnte man beim Ausbruch des Kriegs bereits auf ein wenigstens einigermaßen eingeschultes Heer von mindestens 150,000 Mann rechnen.

Reiterangriff der Schwadronen des Majors von Schmitterlöw in der Schlacht bei Dennewitz.
Originalzeichnung von G. Bleibtreu.

Als nach der Kriegserklärung endlich das offene Handeln begann, errichtete Preußen drei Armecorps, unter York, Kleist und Bülow, die alle drei unter Blücher's Oberbefehl stehen sollten und zu denen später noch ein viertes Corps unter Tauentzien kam. – Nachdem jedoch auch Oesterreich und Schweden dem preußisch-russischen Bunde gegen Frankreich beigetreten waren, beschloß man in dem „Hauptquartier der Verbündeten“, bei welchem die Monarchen von Preußen und Rußland sich persönlich befanden, eine gemischte Heeresordnung. Darnach formirte man drei Hauptheere: das böhmische, unter Schwarzenberg, aus Oesterreichern, Preußen und Russen, das schlesische, unter Blücher, aus Preußen und Russen, und das Nordheer, unter dem Kronprinzen von Schweden (Bernadotte), aus Schweden, Preußen und Russen zusammengesetzt; zu letztern kamen noch die gemischten Truppen Wallmoden’s.

Zum Nordheer waren von Preußen die Armeecorps von Bülow und Tauentzien commandirt.

Hier stehen wir vor der zweiten und weit größeren Schwierigkeit, welche die preußischen Generale im Jahre 1813 zu überwinden hatten: das ist die Unterordnung derselben unter Oberbefehlshaber, welche das führten, was man seit dem preußischen Beistand in Schleswig-Holstein den „diplomatischen Krieg“ genannt hat; das Muster derselben war aber schon Bernadotte gewesen, der schwedische Kronprinz, der „Cunctator“ von 1813. Geborener Franzose und gewählter Schwede, entbehrte er das, was damals im Preußenheere jeden einzelnen Mann auszeichnete: das Herz für die Sache, für die man focht. Er ist eine häßliche Erscheinung in [733] dieser Zeit: denn während ihn das Gewissen strafen mochte über die Treulosigkeit, im Bunde mit den Feinden seines Vaterlandes gegen seinen ehemaligen Kaiser und seine Waffengenossen das Schwert zu ziehen, scheute er sich nicht, in Schlachtberichten, welche den berüchtigtsten Napoleonschen Bulletins nichts nachgaben, die Siege der preußischen Feldherrn sich zuzuschreiben, trotzdem er nur der Hemmschuh an ihrem Siegeswagen war. Um so glänzender stehen uns ihre Thaten da, und um so preiswürdiger sind diese Helden, welche nicht nur den übermächtigen Gegner, sondern sich selbst, ihren Zorn über solche Unwürdigkeit dazu besiegten.

So war dies Bülow mit dem Siege von Groß-Beeren ergangen, und dasselbe widerfuhr ihm nach der Schlacht bei Dennewitz, die wir wenigstens in den Hauptzügen näher betrachten wollen.

Napoleon’s Plan, daß das bei Wittenberg unter Oudinot stehende Heer auf Berlin losrücken solle, war auch nach der Schlacht von Groß-Beeren nicht aufgegeben; er schickte sogar, mit Oudinot unzufrieden, den Marschall Ney zur Ausführung desselben ab. Vergebens hatten die drei Generäle Bülow, Tauentzien und Winzingerode den schwedischen Kronprinzen noch zur rechten Zeit zum kräftigen Vordringen aufgefordert, er beharrte bei seinem Zaudern, bis die Franzosen wieder zu Kraft gekommen und durch Ney und seinen Truppenzuzug für Berlin abermals gefährlich geworden waren. Da zerriß Bülow die niederdrückenden Fesseln des Gehorsams gegen einen solchen Führer und folgte seinem eigenen freien Entschluß zur nächsten Waffenthat, für den er gleichwohl, der dienstlichen Form genügend, erst die Genehmigung des Kronprinzen einholte. Dieser ertheilte sie, verlangte jedoch, daß die Brigade Borstell, ein Drittheil von Bülow’s gesammter Macht, zur Deckung seiner Armee zurückbleibe, eine Anordnung, welche Bülow durch einen directen Gegenbefehl an Borstell aufhob.

Folgendes war die Situation am 5. September. Bülow stand bei Marzahn und befehligte mit der noch nicht mit ihm vereinigten Brigade Borstell ungefähr 37,000 Mann; Tauentzien hielt Jüterbogk mit höchstens 10,000 Mann besetzt; das Hauptquartier [734] des Kronprinzen war in Rabenstein. Ney marschirte mit seiner ganzen Macht (60–70,000 Mann) von Wittenberg gegen Jüterbogk. Da nun Tauentzien derselben unmöglich Stand hallen konnte, so mußte durch den ersten Stoß die Nordarmee getrennt und der Weg nach Berlin bloß gelegt werden. Bülow’s Plan war nun, durch einen Flankenangriff die Hauptmacht des Feindes von Jüterbogk ab und auf sich zu lenken und ihn somit noch vor Jüterbogk zur Schlacht zu zwingen.

Und so geschah es. Am 6. September Morgens stand Bülow auf dem Kirchthurm zu Eckmannsdorf und überschaute die französischen Heereszüge, die von Zahna her anrückten. Von hier erkannte er in dem Dorfe Dennewitz den Schlüssel der Gegend, weil dort der sumpfige Agerbach, welcher die Niederung trennt, überbrückt war und stärker vorspringende Anhöhen sich trefflich zur Aufpflanzung von Geschütz eigneten. Darnach ertheilte er seinen drei anwesenden Brigaden Thümen, Krasst und Hessen-Homburg, sowie der Reserve unter Boyen ihre Ordres und erwartete den ersten Kanonenschuß von Jüterbogk her, um seinerseits die Schlacht zu beginnen.

Dieser Augenblick kam um 9 Uhr. Sofort setzte sich Bülow’s ganzes Armeecorps in Marsch, die Brigade Thümen voran, dann die Brigade Krafft, zuletzt die Brigade Hessen-Homburg; das schwarze Husarenregiment auf der linken, die übrige Reiterei, 20 Schwadronen, auf der rechten Flanke. Ueber eine Stunde war man dem Feind zur Seite vorwärts gerückt, ohne von ihm bemerkt zu werden; da aber die Kanonade von Jüterbogk immer heftiger wurde, so eröffnete Bülow, obwohl noch fern vom Feind, sein Kanonenfeuer, um den offenbar hart bedrängten Waffenbrüdern die nahe Hülfe zu verkünden und den Stoß der feindlichen Uebermacht gegen sie zu schwächen. Beides gelang. Ney sprengte der nächsten Anhöhe zu, übersah mit einem Blick die größere Gefahr und wandle ihr sogleich seine Hauptmacht entgegen, während er den Kampf gegen Tauentzien fortzusetzen befahl.

In demselben Augenblicke hatte Tauentzien den Befehl zum Rückzug gegeben; ein großer Theil seines Geschützes war zerschmettert, seine Mannschaft vom tapfersten Kampf gegen einen dreifach überlegenen Feind erschöpft. Kaum gewahrte er jedoch den Erfolg von dem neuen Kanonendonner in der Ferne, so durchdrang Vertrauen und frische Kampflust alle Glieder, und Tauentzien ließ, wie Varnhagen schildert, „seine ganze Reiterei auf das französische Fußvolk anstürmen. Sie durchdrang das erste Treffen, rollte dasselbe auf, sprengte auch im zweiten einige Vierecke und richtete ein großes Gemetzel an, mußte sich dann aber eiligst sammeln, weil nun auch die feindliche Reiterei plötzlich hervordrang; zwei Regimenter polnische Uhlanen stürzten ungestüm auf sieben preußische Landwehrschwadronen, diese stürmten ihnen herzhaft entgegen, es gab einen harten Zusammenstoß, ein furchtbares Handgemenge, zuletzt wurden die Polen von den Schwadronen des Majors von Schmitterlöw gänzlich geworfen, zusammengehauen oder zersprengt.“ [2]

Mit diesem Reitergefecht fiel der erste, anfangs unglückliche Kampf Thümen’s zusammen. Er wie Tauentzien hielten sich jedoch, nachdem Bülow Beiden Unterstützung zugesandt. Gewehr- und Geschützfeuer wütheten arg in beiden Kämpferreihen; da gleiche Kräfte mit einander rangen, so wogte das Gefecht hin und her. Wie auf dem linken Flügel, den Thümen bildete, ging’s auch auf dem rechten, welchen Krafft einnahm, weil Borstell noch immer nicht auf dem Schlachtfelde erschienen war. Je länger der Kampf sich hinzog, desto gefahrvoller ward er für die Preußen immer frische Truppen in’s Feuer führen, während die Preußen oft sogar zurückweichen mußten, nur um sich mit frischem Schießbedarf zu versehen. Es waren bereits alle Brigaden im Feuer. Bald gelang es jedoch dem linken Flügel, nach blutigem Kampfe mit Bajonnet und Kolben, die Höhe von Dennewitz und das Dorf zu stürmen, ja hinter Dennewitz trafen die jubelnd vordringenden Streiter mit den Truppen Tauentzien’s zusammen. So begrüßen Genossen sich selten, wie in einem solchen Augenblick. Auf dieser Seite war der Sieg errungen.

Desto schlimmer stand es auf dem rechten Flügel. Hier hatte Ney gegen die 14 preußischen Bataillone Krafft’s und Hessen-Homburgs, die dort kämpften, 47 französische vereinigt, die noch von zahlreicher Artillerie unterstützt wurden. Dennoch zogen sich die Preußen nur nach äußerster Gegenwehr aus dem eroberten Göhlsdorf zurück, sie wichen nicht vom Schlachtfelde, und Boyen führte persönlich die Bataillone nach jedem Rückschlag wieder in’s Feuer vor. Hier drohte die höchste Gefahr.

Bülow sandte Boten auf Boten nach Borstell, und auch den Kronprinzen bat er dringend, ihm Hülfe zu senden. Dieser stand mit den schwedischen und russischen Truppen bei Eckmannsdorf. eine ebenso zahlreiche und ruhige Zuschauerschaft vor der blutigen Action. Und was antwortete der Kronprinz auf Bülow’s Bitte?

– „La bataille est gagnée, j’arrive avec 48 bataillons, le général Bülow n’a qu’à se retirer en seconde ligne." Nach einem solchen Kampfe sollten Bülow und die Preußen Platz machen, damit der Kronprinz mit Russen und Schweden sich den Lorbeer hole! Bülow würdigte diese Antwort so wenig einer Beachtung, als sie Wahrheit enthielt, denn von den 48 Bataillonen ward kein Bajonnet sichtbar, auch der Kronprinz nicht, sondern nur einige Reiter und Geschütze kamen bei Bülow an; dieser setzte seine letzte Hoffnung auf Borstell’s bereits angemeldete Ankunft.

Borstell würde dennoch aus dem Kampfplatz nicht eingetroffen sein, wenn nicht auch er dem Kronprinzen den entschiedensten Ungehorsam bewiesen hätte, denn als er von Krappstädt abmarschirte, erhielt er den Befehl, sich mit den Truppen des Kronprinzen bei Eckmannsdorf zu vereinen. Borstell hielt jedoch sein Wort und erschien noch im rechten Augenblick bei seinen auf’s Aeußerste bedrängten Waffenbrüdern. Der Kampf um Göhlsdorf ward nun mit neuer Heftigkeit fortgesetzt. Ney und Bülow standen sich hier gegenüber. Mehrere Stürme der Preußen waren abgeschlagen, da wendete Ney plötzlich seine Hauptmacht von dieser Kampfstätte ab und nach Rohrbeck hin, bis wohin Thümen und Tauentzien mit nun vereinten Kräften vorgedrungen waren. Dieser Irrthum Ney’s, den gefährlichern Feind in diesen Beiden zu vermuthen, entschied das Schicksal des Tags. Es begann ein allgemeiner Rückzug, der bald in eine völlige Flucht ausartete, in welche selbst noch ungeschwächte französische Heerestheile mit fortgerissen wurden. Das Schlachtfeld mit seinen Lorbeern gehörte den Preußen allein.

Folgendermaßen lautete der Kriegsbericht aus der Kanzlei des Kronprinzen: „Das preußische Heer, höchstens 20,000 Mann stark, hielt mit wahrhaft heroischem Muthe die wiederholten, durch 200 Kanonen unterstützten Angriffe von 70,000 Feinden aus. Der Kampf war ungleich und mörderisch, doch herrschte nicht einen Augenblick Unentschlossenheit unter den preußischen Truppen; und wenn einige Bataillone das gewonnene Terrain augenblicklich räumen mußten, so geschah es nur, um es auf der Stelle wieder zu erobern.“ (So weit näherte man sich der Wahrheit; aber nun: „In dieser Lage der Dinge rückten 70 russische und schwedische Bataillone, 10,000 Mann Reiterei von beiden Rationen und 15O Stück Geschütz in Angriffscolonnen mit freien Zwischenräumen zum Entwickeln vor. Schon waren über 4000 Mann russischer und schwedischer Reiterei und mehrere Batterien in Galopp herangesprengt, um einen Punkt, gegen den der Feind vorzüglich seinen Angriff richtete, zu unterstützen. Ihre Ankunft begann demselben Einhalt zu thun, und die Erscheinung der Colonnen that das Uebrige. Das Schicksal der Schlacht war auf der Stelle entschieden.“ - -

Gegen diesen unredlichen Bericht schrieb General Bülow eine wahrhafte Darlegung der Thatsachen für die Berliner Zeitungen: aber die Censur ist sich zu allen Zeiten gleich geblieben, für sie hat es kein Jahr 1813 gegeben; sie strich die deutsche Wahrheit und ließ die französische Lüge passiren.


[735]

Unter Fremden.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Von dieser Zeit an“, fuhr Wood fort, „war es fast, als walte ein stiller Genius um mich. Noch nie war besser für meine Bedürfnisse, meine kleinsten Bequemlichkeiten gesorgt worden, und ich durfte kaum nach etwas verlangen, ohne es auch schon bei der Hand zu finden. Meine Wäsche war die glänzendste, mein Zimmer jeden Tag mit frischen Blumen besetzt; nur dann und wann aber traf ich das Mädchen bei einer ihrer geräuschlosen Beschäftigungen, dann indessen hob sie die Augen mit einem solchen Ausdruck des Glücks nach mir, daß ich wohl schon damals an eine tiefere Empfindung ihrerseits hätte glauben können, wenn mich das eigenthümliche Verwandtschaftsverhältniß nur daran hätte denken lassen. Mary war für einzelne der jungen Pflanzer in der Nachbarschaft, schon seit sie erwachsen, ein wünschenswerther Gegenstand gewesen, und was bei meinem Vater nicht erreicht werden konnte, das versuchten sie bei mir. Hohe Summen wurden mir für ihre Ueberlassung geboten, die ich indessen um so leichter zurückwies, jemehr ich mich an die warme, wohlthuende Fürsorge des Mädchens und den Reiz, den ihre freundliche Erscheinung auf mich ausübte, gewohnte; in natürlicher Folge dessen aber verbreitete sich bald die Meinung, daß ich mit ihr in derselben Weise lebe, als mein Vater mit ihrer Mutter. Bei meinen nähern männlichen Bekannten, gegen welche ich kein Hehl aus dem Geschwister-Verhältnisse machte, fand ich wohl endlich meine Rechtfertigung – gnadenlos verurtheilt aber blieb ich bei den Frauen. Ich war ein junger selbstständiger Mann, der schon längst unter den zahlreichen heirathsfähigen Töchtern der umwohnenden Familien hätte wählen sollen, und noch hatte ich mich, meinen mannigfachen Geschäften hingegeben, kaum einmal mit einem Blicke um die sich mir bietende Herrlichkeit gekümmert. Die Erklärung dafür war jetzt gefunden; die Angabe meines wahren Verhältnisses zu Mary ward entweder mit einem ungläubigen Achselzucken hingenommen oder mir als doppelte Unmoralität zur Last gelegt, und doch hätte der unmoralische Mensch bei Müttern und Töchtern Gnade gefunden, wenn er nur das Mädchen zu Gunsten einer oder der andern Schönheit hätte opfern wollen. – Ich fühlte mich indessen so wohl in meiner geordneten Häuslichkeit, daß ich mich über den ganzen Unwillen der weiblichen Welt hinweg gesetzt hätte, wenn nicht das Drängen meiner Verwandten, dem Scandal ein Ende zu machen und eine wirkliche Herrin an die Spitze meines Hauswesens zu stellen, gewesen wäre. Die erste Bedingung dafür war natürlich Mary’s Entfernung, und erst als mir die vorzunehmende Aenderung zur halben Ehrensache für die Familie gemacht worden, ging ich daran – aber mit schwerem Herzen. Ich fühlte jetzt erst, wie sehr das Mädchen mit meinen ganzen Lebensgewohnheiten verwoben war. Ich legte ihr die Nothwendigkeit des Schrittes vor, aber je länger ich ihr in das zitternde Auge sah, je weniger wollte mir dieselbe selbst einleuchten; ich bot ihr die Freiheit an und ein kleines Capital, womit sie sich bei ihren mancherlei Fertigkeiten im Osten eine eigene Existenz gründen könne; da fiel sie vor mir auf die Kniee und rief: „Master, was habe ich denn verbrochen? Ich mag nicht frei sein und will nur hier bleiben dürfen; und duldet mich die neue Mistreß nicht im Hause, so will ich mit auf dem Felde arbeiten – aber nur nicht fortschicken, nicht fortschicken, Sir!“

Da las ich zum ersten Male in ihrem Blicke, daß es eine Liebe geben könne, die über jedem Interesse steht, wenn ich sie auch am wenigsten unter den Frauen meiner Kreise gefunden; aber ich war in dem Versprechen gegen meine Verwandten schon zu weit gegangen, als daß ich hätte ganz davon zurücktreten können. Eine Meile von hier liegt eine andere Farm-Abtheilung, dorthin, in die Negerküche, ward Mary versetzt, und als es sich erwies, daß ich zu keiner eingreifenderen Aenderung zu bewegen war, fand sich auch eine mitleidige Seele, die sich entschließen konnte, mein Haus und Vermögen mit mir zu theilen. Meine Verwandten hatten die Heirath geordnet, und ich ging sie ein, wie ein unvermeidliches Geschäft; ich sah Mary nicht wieder, wie ich es versprochen, und ertrug meine veränderte Lebensweise so gut es ging.

„Das währte über zwei Jahre“, fuhr der Redner mit einem tiefen Athemzuge fort, „bis Lotty geboren ward und eine starke Erkältung, die ich mir in der Regennacht beim Ritte nach dem Arzte geholt, mich krank niederwarf. Ich wußte bald von mir nichts mehr, und Flora holte in ihrer Bedrängniß auf eigene Gefahr ihre Tochter zur Aushülfe. Wie im Traume hörte ich diese endlich durch das Zimmer gleiten, ich kannte noch ihren Tritt und es war mir, als habe sie nie das Haus verlassen, hörte sie im Nebenzimmer den kleinen Richard beruhigen und meiner Frau antworten, die sich Beide niemals gesehen; als ich aber einen Morgens zum ersten Male wieder zu klarem Bewußtsein erwachte, sah ich sie vor meinem Bette auf den Knieen liegen, das Gesicht in die Kissen gedrückt, und als ich ihren Namen nannte, fuhr sie auf, küßte krampfhaft meine Hände und stürzte zum Zimmer hinaus. Erst Tags darauf erfuhr ich, daß meine Frau instinctmäßig ihre Persönlichkeit errathen, sie fortgesandt und ihr verboten hatte, jemals das Haus wieder zu betreten – und diese Frau verdankte nur der regen Sorge des Mädchens, das neun Nächte an ihrem Bette gesessen, das mit unermüdeter Wachsamkeit jede Störung und jeden Ton aus ihrer Nähe gehalten, das Leben. Mich aber überkam es, wenn ich an die abgemagerten, bleichen Züge und die entzündeten Augen der Ausgewiesenen dachte, wie eine bittere Selbstanklage – und doch hätte ich nicht ohne völligen Bruch mit Allem, was Familie und Convenienz heißt, ihr Schicksal ändern können.

Und wieder vergingen fast zwei Jahre, bis meine Frau bei Geburt der kleinen Maggy starb. Auf’s Neue war während der Zeit dem Mädchen die Freiheit angeboten worden, ohne daß sie darauf eingegangen wäre, und ich hatte es nicht über mich gewinnen können, sie völlig ohne den Trost einiger freundlicher Worte zu lassen; fast schien sie innerlich nur von diesen gelegentlichen Begegnungen zu zehren – jetzt aber sandte ich nach ihr zur Pflege der Kinder, und wie sie mit jedem Tage bei ihrem erneuten Walten in meiner Nähe sichtlich aufzublühen schien, so begann auch meine Häuslichkeit ihren frühern Reiz wieder für mich zu gewinnen. Ich lieh den neuen Vorstellungen meiner Verwandten taube Ohren, erklärte ihnen die Nutzlosigkeit jeder Bemühung für eine zweite Heirath, und die Lästerzungen wurden es endlich müde zu reden. Aber die Kinder wuchsen heran, ich durfte sie kaum mehr in der alleinigen Hand von Dienstleuten lassen und mußte an ihre Erziehung denken. Eine meiner Schwestern war kinderlose Wittwe und hätte am geeignetsten Mutterstelle vertreten, doch nur bei Mary’s Entfernung glaubte sie mit Ehren meinem Hause vorstehen zu können. Sie kam endlich selbst, kam während meiner Abwesenheit von der Farm, und als ich heimkehrte, trat sie mir mit der Nachricht entgegen, daß sie selbst dem Mädchen in’s Gewissen geredet und dieses bereit sei zu gehen. Was sie ihr gesagt, sollte sich nur darauf beschränkt haben, daß Mary meinem Glücke und der Zukunft der Kinder im Wege stehe, Flora aber berichtete mir mit verstörtem Gesichte, daß die Angekommene sich fast eine Stunde mit dem Mädchen eingeschlossen und die Mulattin beim Oeffnen der Thür ihre Tochter ohnmächtig gefunden habe.

Ich kämpfte einen harten Kampf mit mir; ich wußte, daß ich bei den ringsum bestehenden Vorurtheilen auf keine achtbare weibliche Unterstützung, wie ich sie bedurfte, zu rechnen hatte, und ich konnte die Wohlfahrt der Kinder nicht der Neigung einer Farbigen und meinen persönlichen Wünschen opfern; dennoch wollte mir ihre Entfernung wie ein schreiender Undank erscheinen, und ich klammerte mich endlich an den Gedanken, daß sie freiwillig gehe. Ich ließ sie kommen, und ein glanzloses Auge, eine geknickte Gestalt, die meine Frage fast in einem innern Weh ersticken ließen, trat vor mich. „Ich weiß, daß ich gehen muß, und ich gehe, Sir!“ sagte sie, fast ohne jeden Klang in ihrer Stimme, und als ich ihr zu sprach, daß sie mir sagen solle, wohin sie zu gehen gedenke, daß ich ihr die Freilassungspapiere sofort ausstellen und sie mit einer genügenden Summe versehen werde, schüttelte sie nur den Kopf und sagte: „Ich gehe, wohin ich geschickt werde, Sir, es ist mir Alles gleich!“

Ich entließ sie mit schwerem Herzen. Am andern Morgen aber saß sie noch in ihrer Kammer, wohin sie sich am Abend zuvor gesetzt haben mochte, blickte stier und theilnahmlos in’s Leere, [736] und weder die Stimme ihrer weinenden Mutter, noch die meine waren im Stande, ihr eine Antwort zu entlocken – sie war irrsinnig!“

Mit bebendem, gesunkenem Tone hatte der Erzähler die letzten Worte gesprochen und blickte in finsterem Schweigen eine Zeitlang vor sich nieder. „Ich weiß nicht, ob meiner Schwester ein Rest von Gewissen schlug,“ fuhr er dann langsam fort, „aber sie hatte nichts dagegen, daß die möglichen Heilungsversuche mit dem armen, treuen Wesen hier angestellt wurden, und so ward für Mary das Haus hier eingeräumt, bald aber auch jede Hoffnung auf eine Wiederherstellung aufgegeben. Fast ein Jahr ist es jetzt her, daß sie todt für die Außenwelt in endlosem Hinbrüten die Tage verbringt, und nur periodenweise scheint eine Erinnerung in ihr zu erwachen. Dann klagt sie, daß sie sterben werde, wenn sie gehen müsse, spricht von glühenden Krallen, die ihr das Herz aus der Brust reißen wollen, und nur wenn ich an ihrem Lager sitze und zu ihr rede, geht der Anfall langsam in einen todtenähnlichen Schlummer über. Von Monat zu Monat ist sie mehr hingeschwunden, und morgen – wird sie wohl erlöst sein!“

Lucy vermochte kaum den leisen Ton der letzten Worte zu vernehmen, dann aber fühlte sie plötzlich ihre Hand gefaßt. „Kommen Sie,“ sagte der Redende fast rauh, sich rasch erhebend, „es ist lehrreich für jede Frau, ein Opfer ihres eigenen Geschlechts zu betrachten!“ und willenlos, einem Eindrucke preisgegeben, der sich kaum aus dem Gehörten allein hätte erklären lassen, folgte sie dem Major, welcher nach der Thür des Hauses schritt, hier einen Moment, wie sich sammelnd, stehen blieb und dann behutsam öffnete.

Ein einfach, aber bequem eingerichtetes Zimmer, dessen dicker Fußteppich keinen Schritt hörbar werden ließ, empfing sie, und im Hintergrunde auf einem weißen Lager, matt von dem Lichte der Schirmlampe beschienen, zeigte sich eine regungslose, anscheinend schlafende Gestalt, von der still weinenden Flora und einem Negermädchen bewacht. Vorsichtig auftretend führte der Hausherr seine Begleiterin heran. Ein gelbes, bis auf die Knochen abgemagertes Gesicht, von welchem die dunkeln, edel gezeichneten Augenbrauen und das dichte, schwarze Haar in scharfem Contraste abstachen, trat Lucy’s Blick entgegen, und sie würde die Daliegende schon jetzt für eine Leiche gehalten haben, wenn nicht ein zeitweises schwaches Zucken sich in den verfallenen Zügen bemerkbar gemacht hätte.

„Und dies ist jetzt Alles, was von dem schönsten, reinsten Geschöpfe, das je in unserm Lande gewandelt, übrig geblieben!“ sagte Wood nach einer langen Pause mit tiefer, halbunterdrückter Stimme und wandte sich dann nach der Thür, als wolle er seine Empfindungen verbergen; Lucy aber reichte der alten Mulattin mit einem Blicke tiefen Mitleids die Hand, welche sie deren Küssen kaum wieder entziehen konnte, und folgte dann dem Vorangegangenen.

„Und können Sie jetzt verstehen, daß ich die Frauen hasse?“ fragte er, als sie an seine Seite trat, langsam dem Wohnhause zuschreitend, und sein Gesicht schien jeden weichern Ausdruck wieder völlig abgestreift zu haben.

„Und ist sie nicht ebenfalls eine Frau?“ gab das Mädchen ernst zurück; um den Mund ihres Begleiters aber zuckte es wie bittere Ironie.

„Sie? der Gestalt nach allerdings!“ erwiderte er. „Eigentlich aber wollten Sie wohl nur fragen, was Sie denn selbst seien, gegen die ich eine solche Aeußerung thue?“

„Und wenn ich dies gemeint hätte, Sir, obgleich ich nicht daran dachte,“ sagte sie, in einem unklaren Gefühle erlittenen Unrechts den Kopf hebend, „wenn ich Sie fragen möchte, wie Sie bei diesen rücksichtlos ausgesprochenen Empfindungen von mir eine Pflichterfüllung und Selbstverleugnung fordern können, die sich doch kaum mit Ihren Begriffen vereinigen läßt –“

Er blickte in den mondhellen Nachthimmel hinein, ohne zu antworten. „Fragen Sie mich jetzt nicht, wie ich zu dem sonderbaren Vertrauen gegen Sie gekommen, denn ich könnte Ihnen kaum etwas darauf sagen,“ entgegnete er endlich, „und nur eins, Miß,“ wandte er sich rasch nach ihr, „machen Sie es nicht zu Schanden! Und nun gute Nacht!“

Er hatte ihr die Hand gereicht, in welche sie mechanisch die ihre gelegt; sie hatte seinen kräftigen Druck gefühlt und war dann fast wie im Traume in ihr Zimmer gelangt. Erst als sie sich auf ihrem Lager fand, fühlte sie die ganze Stärke der Erregung, welche die letzten Bewegungen in ihr hervorgerufen, und selbst als sie nach längerer Zeit die Augen geschlossen, verfolgten sie die Bilder des Erlebten in wirren Traumgestalten, aber mit einer peinigenden Lebendigkeit. Sie stand wieder vor dem Gartenhause, sie wußte, Mary war gestorben, und doch war es ihr zugleich, als sei sie selbst diese Mary, die den Mann, der die Frauen haßte, so unsäglich liebte und doch nichts hoffen durfte, als sich für ihn opfern zu können; sie war die Tochter der alten Flora, die Wirthschaftin hatte es ja gesagt, – und da trat die letztere selbst aus der geöffneten Thür, nickte ihr mit einem häßlichen Lächeln zu und sagte, es sei schon Alles für sie bereit. Und drinnen stand Mary’s Bett, noch mit dem Eindrucke in den Kissen, den die Gestorbene hinterlassen, dem sollte sie jetzt ihre eigenen Glieder anpassen, und ein entsetzliches Grauen überkam sie, sie wollte fliehen und konnte doch kein Glied rühren – da blicke des Majors Gesicht zum Fenster herein, genau mit dem Ausdrucke des Schmerzes, mit welchem sie ihn hier schon hatte stehen sehen, und sie wußte, er trauerte um sie; zugleich aber war es, als zerreiße bei seinem Anblicke plötzlich der Bann, der auf ihr gelegen; fort trugen sie ihre Füße schneller und schneller, und hinter ihr klang es in Schmerzenslauten: „O, warum fliehst du mich? gedenke der Kinder und deines Versprechens!“ Und sie hätte anhalten und umkehren mögen, aber nur eiliger ward ihre willenlose Flucht, ferner und immer ferner klangen die Mahnungen zur Rückkehr, bis sie unter verzweifelten Anstrengungen, ihrem Laufe Einhalt zu thun, erwachte. Sie fühlte ihren Körper mit Schweiß bedeckt, noch rieselte ein Grauen durch ihre Nerven, und es gewährte ihr eine sonderbare Erleichterung, als sie Richard sich geräuschvoll in seinem Bette zur Seite werfen hörte. Wohl entschlief sie wieder, aber ihr Schlaf war ein unruhiger, erquickungsloser, und als sie am Morgen ihr Lager verließ, fühlte sie sich niedergedrückt und krank.

Fast war es ihr lieb, als an Flora’s Stelle eine ihr unbekannte Negerin zur Aufwartung kam. Mary, erzählte diese, sei während der Nacht gestorben und solle am Nachmittage begraben werden, der Major aber sei schon nach der Stadt geritten und werde vor morgen Abend nicht zurück erwartet.

Trübe verging der Tag; eine Scheu vor der Erinnerung an ihre nächtlichen Bilder hielt Lucy ab, selbst den kleinsten Blick aus ihren Fenstern zu werfen, und sie mußte oft gegen sich selbst kämpfen, mußte sich selbst darlegen, daß ein krankhafter Zustand sie beherrsche, wenn sie, unwillkürlich ihren Gedanken überlassen, eine ungewohnte Verzagtheit sich überschleichen fühlte und die Frage immer wieder in ihr auftauchte, ob sie nicht doch zu schwach sein werde, den Kampf gegen die sie umgebenden Verhältnisse durchzuführen. Sie konnte nun errathen, was dem Major im eigenen Bereiche oft die Kraft lähmte. Die Anwesenheit seiner Schwester hatte sein Haus der Welt gegenüber wieder zu Ehren gebracht, und er konnte sie nicht entbehren, wenn er nicht auf’s Neue mit der Gesellschaft brechen wollte. Wie aber vermochte er unter diesen Umständen ihr Recht den beiden Frauen gegenüber geltend zu machen? Für Lucy’s eigene Ehre war ja die Anwesenheit einer Dame im Hause nothwendig, selbst wenn er der gemietheten Erzieherin die Schwester hätte opfern wollen!

Nur wenn aus ihrer Erinnerung des Hausherrn kräftiger, sonorer Ton in ihre Ohren klang, wurde es ihr, als solle sie nicht selbst grübeln, wo sie doch zu keinem Ende gelange, und Alles ihm überlassen, der am besten wissen werde, wie das ihr gegebene Versprechen einer baldigen Aenderung zu lösen.

(Schluß folgt.)




     Im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig erschienen in zweiter Auflage:

Palmen des Friedens.

Eine Mitgabe auf des Lebens Pilgerreise
von Ferdinand Stolle.

In prachtvoller Ausstattung. Eleg. in Goldschnitt geb. 11/3 Thlr.

  1. Während der Dauer des vierzigtägigen Ramadhan verbietet das mohammedanische Gesetz jeden körperlichen Genuß, er habe Namen, wie er wolle, in der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. In allen Garnisonsplätzen Algeriens läßt - um sich den Arabern gefällig zu erzeigen – die französische Regierung im Moment des Sonnenuntergangs einen Kanonenschuß lösen, welcher den Gläubigen das Signal zum Ende der Entbehrung und zum Beginn des Genusses ist.
  2. Aus diesem Reitergefecht griff der Künstler den Augenblick der hier dargestellten Kampfscene. Wir theilen unseren Lesern diesen Holzschnitt als Probe einer „Geschichte der deutschen Freiheitskämpfe, in Bildern von G. Bleibtreu und L. Pietsch und mit erläuterndem Text“, einem empfehlenswerthen Unternehmen von Franz Duncker in Berlin, mit, das außer diesem Reiterangriff bei Dennewitz noch folgende Gegenstände in derselben Weise liefern wird: Die Königin Luise und Napoleon zu Tilsit; Tod Schill’s in Stralsund; Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig in dem Treffen bei Oelpers; Andreas Hofer nach dem Treffen am Berg Ziel; die Connvention zu Tauroggen; General York auf dem Landtage zu Königsberg; Einweihung der Lützower Freischaar; der König von Preußen in der Schlacht bei Lützen: Schlacht bei Groß-Beeren; Körner's Tod; Schlacht an der Katzbach ; Bülow und Boyen in der Schlacht bei Dennewitz; York bei Möckern; Erstürmung des Grimmaischen Thores von Leipzig; Pflege der Verwundeten; Blücher’s Rheinübergang; York und Gneisenau auf dem Montmartre vor Paris; Blücher bei Belle-Alliance; Napoleon’s Flucht. Au die Stelle des Wortes will der Herausgeber dieser vortrefflichen Sammlung das Bild stellen, indem durch die verklärende Hand der Kunst die Geschichte erst recht lebendig werde. Ein begleitender Text wird in kurzen aber markigen Zügen jedes einzelne Bild erklären und indem es von dem einem zum andern überleitet, eine gedrängte Darstellung der Ereignisse von 1807 bis 1815 gewähren.