Die Gartenlaube (1865)/Heft 34

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1865
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 34. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Studentenliebe.
Von Roderich Benedix.[1]


Konrad an Amalie.
Mein theures Mädchen!
Nachdem ich in meiner neuen Heimath angekommen bin, ist es mein Erstes Dir zu schreiben. Wie schmerzlich mir die Trennung von Dir geworden, hast Du wohl in den Thränen bemerkt, die ich nicht zurückhalten konnte. Ich schämte mich deren und riß mich rasch von Dir los; jetzt thut mir das Leid, denn auch dem Manne gab die Natur die Eigenschaft zu weinen. Und war denn nicht unsere Trennung eine sehr schmerzliche? Ich habe keine Lustreise angetreten, von der ich bald zurückkehren werde, ich bin hierher gekommen, um mir mein Loos zu gründen, und voraussichtlich werden Jahre vergehen, ehe ich so weit bin, zu sagen: „Komm, Amalie, theile mein Loos, ziehe zu mir in das Haus, das ich uns gebaut habe.“ Das Schicksal theilt seine Gaben verschieden aus. Manchen ebnet es die Wege mit freigebiger Hand, sie brauchen nur zuzugreifen, um Alles zu haben, was ihr Herz begehrt; Anderen weist es einen schweren Weg an, sie müssen mühsam wandern und viele Hindernisse wegräumen, ehe sie zu ihrem Ziele gelangen. Die Ersteren, welche die Welt die Glücklichen nennt, werden vielfach beneidet. Ich kenne solchen Neid nicht. Mir scheint, als hätte man weniger Freude an dem, was man so halb umsonst bekommt, als an dem, was man sich durch eigene Kraft und Mühe erwirbt. Ich meine auch, es müsse sich behaglicher in dem Hause wohnen, das man sich selbst erbaut, als in dem, das man ererbt hat. Ich meine auch, in dem Selbstbewußtsein, daß man Alles seiner eigenen Kraft, seinem eigenen Fleiße verdanke, liege eine Bedingung des wahren Glückes. Und bin ich auch in trauriger Stimmung von Dir geschieden, so bin ich doch nicht niedergedrückt, im Gegentheile fühle ich Muth und Kraft in mir, frisch an die Aufgabe meines Lebens zu gehen. Was meinen Muth und meine Kraft erhöht, ist der Gedanke, daß ich nicht für mich allein arbeite, sondern für Dich mit. Ich kann mir ja meine Zukunft nicht ohne Dich denken. Mit Dir aber erscheint sie mir im rosigsten Lichte. So laß uns denn mit vollem Vertrauen dem entgegensehen, was das Schicksal uns beschieden hat. Unser Glück liegt in uns selbst. Bewahre mir Deine Liebe und Treue, so wie ich nichts Anderes denke, als Dich; und je länger wir auf unsere Vereinigung warten müssen, desto süßer wird sie sein, haben wir sie erreicht. – Vielleicht kommt Dir der Ton meines Briefes etwas kühl und gemessen vor, vielleicht hast Du Klagen über den Schmerz der Trennung, feurige Versicherungen meiner Liebe erwartet. Allein Klagen halte ich für unmännlich, und der Versicherungen bedarfst Du nicht. Wenn Du von meiner Liebe nicht fest überzeugt bist, werden Dir auch die glühendsten Versicherungen diese Ueberzeugung nicht geben. Vielleicht ist meine Liebe darum desto echter und dauernder, je weniger sie leidenschaftlich sich äußert. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die aufloderndste Leidenschaft am raschesten sich abkühlte. Grüße Deine gute Mutter herzlich von mir und laß mich bald wissen, wie es Dir geht.   Mit Herz und Seele
Dein Konrad.


Amalie an Konrad.
Mein geliebter Freund!

Du hast Recht, es bedarf keiner feurigen Versicherung Deinerseits, um mich an Deine Liebe glauben zu lassen. Mein Vertrauen auf Dich ist felsenfest, und wie ich fühle, daß ich Dich nie vergessen kann, so weiß ich auch, daß Du mir treu bleiben wirst.

Ich habe die Ankunft Deines ersten Briefes recht sehnsüchtig erwartet. Obschon wir seit Monaten auf unsere Trennung vorbereitet waren, obschon wir dieselbe oft genug besprochen hatten, so traf mich der Schmerz, Dich auf so lange Zeit entbehren zu müssen, doch recht hart. Der Tag nach Deiner Abreise war ein gar trüber. Von Zeitzu Zeit tropfte eine Thräne auf meine Arbeit und oft sah ich unwillkürlich nach der Thür, als müßtest Du eintreten. Es wollte mir gar nicht zu Sinne, daß Du den ganzen Tag, ach viele, viele Tage nicht kommen würdest. Doch Du hast mir einst gesagt, daß man am besten einen Schmerz ertrüge, wenn man sich von der Nothwendigkeit desselben überzeuge, und an diesem Gedanken habe ich gesucht mich aufzurichten. Freilich wird die Zeit unserer Trennung eine recht traurige für mich sein. Dich beschäftigt und zerstreut Deine Arbeit, Deine Gedanken werden von mir abgezogen; anders ist es bei mir. Meine Arbeit gestattet mir fort und fort an Dich zu denken, und so werde ich meine Sehnsucht nach Dir selbst immer nähren. Doch bin ich nicht undankbar? Ist es nicht schon Glück an Dich denken zu können? Ja, ich will die Erinnerung an die Vergangenheit immer in mir wach rufen und mich an ihr erfreuen. Wie lebhaft steht der Auftritt vor meiner Seele, wie ich Dich kennen lernte, wie Du mir männlich zu Hülfe eiltest, als zwei halbtrunkene Menschen mich anfielen und mir Gefahr drohten, wie Du sie [530] zwangst zu fliehen und mich dann nach meiner Wohnung geleitetest. Am andern Tage kamst Du zu uns und frugst, ob mir der Schreck nicht geschadet hätte. Und als Du erfuhrst, daß mein Vater ein Freund des Deinigen gewesen, daß er, ein tüchtiger Gelehrter, zu früh gestorben und seine Wittwe und Tochter in nicht glänzenden Verhältnissen zurückgelassen hatte, daß Beide in stiller Zurückgezogenheit lebten: wie freundlich batest Du unsere Einsamkeit zuweilen durch Deinen Besuch unterbrechen zu dürfen! Mein lieber, lieber Konrad, Du warst mir, als ich Dich zuerst sah, wie ein rettender Engel erschienen, und so oft Du nun wieder kamst, begrüßte ich Dich mit derselben Freude. Warst Du doch der einzige Freund zweier einsamen Frauen, und der einzige Lichtblick in ihrem Leben waren Deine Besuche. Als ich dann merkte, daß Du öfter und öfter kamst und daß Du anfingst mich zu lieben – ach Konrad, welche Seligkeit mich damals erfüllte, kannst Du nicht glauben. Sieh, mein Freund, an diesen freundlichen Bildern ergötzte ich mich in meiner Einsamkeit und werde mich daran ergötzen, so lange wir getrennt sind, denn an sie zu denken, sie mir immer und immer wieder auszumalen, werde ich nicht müde. – Doch ich habe wohl schon zu viel geschrieben und es ist Zeit, daß ich aufhöre. Meine gute Mutter läßt Deine Grüße herzlichst erwidern.

So lebe denn wohl, mein lieber, lieber Freund, und denke zuweilen an Dein treues Mädchen
Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein liebes, gutes, mein herziges Mädchen!
Dank, tausend Dank für Deinen lieben Brief. Ich will Dir nur gestehen, daß meine Stimmung, als ich Dir zum ersten Male von hier schrieb, eine recht gedrückte war und daß ich einen gewissen Unmuth nicht bekämpfen konnte. Dein Schreiben hat mich merkwürdig belebt. Weiß ich doch, daß Du, mein Mädchen, mir lebst und mein gedenkst in treuer Liebe und daß Deine Wünsche und Gedanken mich umschweben. Ja, mein süßes Kind, auch ich rufe mir die Bilder der Vergangenheit in’s Gedächtniß zurück und oft des Abends in stiller Stunde schlage ich mir die Gedanken an meine Rechtsfälle aus dem Kopfe und träume halb wachend von Dir. Sind es doch schöne Träume! Wie ich Dich von Tage zu Tage lieber gewann, wie ich Dich dann fragte, ob Du mich lieben könntest, und Du mit verschämten Wangen ein leises Ja antwortetest und doch gleich Dein liebes Auge aufschlugst und mich so treu anblicktest, daß ich meinte in den Himmel zu schauen! Deine gute Mutter schüttelte anfangs den Kopf und meinte: es schlüge nie gut aus, wenn ein Mädchen einen Studenten liebe, es dauere gar zu lange, ehe ein solches Verhältniß zu einem gedeihlichen Ende kommen könne, und mittlerweile gingen meistens Liebe und Treue verloren. Sie mag Recht haben, daß oft flüchtige Neigung zwei junge Leute zusammenführt, die dann nicht aushält im Kampfe des Lebens, und daß solche Verhältnisse sich öfter lösen, als bestehen. Uns aber, meine süße Amalie, führte ja keine flüchtige Neigung zusammen, nein die innigste, wahrste Liebe war es, die uns verband. Und so ist es vielleicht gut, daß wir uns trennen mußten. Wir haben eine Prüfungszeit gewonnen. Könnten wir aufhören uns zu lieben, nun, so wäre zwischen uns nur eine vorübergehende Neigung gewesen und es wäre kein Schade, wenn diese durch die Zeit sich verflüchtigte. Dauert aber unsere Liebe über die Trennung hinaus, so hat sie sich bewährt und ist uns ein sicheres Pfand unseres ganzen Lebensglücks. Sieh, mein süßes Herz, so meint es das Schicksal doch eigentlich gut mit uns. Zuweilen hat mich auch die Unzufriedenheit beschlichen, daß ich arm bin, daß mein Vermögen gerade so groß, oder richtiger gesagt, gerade so klein war, daß ich zur Noth meine Studien beendigen konnte. Zuweilen habe ich auch gewünscht reich zu sein. nur um Dich schmücken zu können mit dem, was das Leben Schönes bietet. Aber ich war undankbar. Das Geschick versagte mir irdische Güter und gab mir dagegen Dich mit Deinem schönen, edlen Herzen. Für welchen Haufen von Gold möchte ich denn Dich vertauschen? O wie lebhaft trittst Du mir jetzt vor die Seele! Ich sehe Dich leibhaftig vor mir. Da sitzest Du in Deinem Lehnstuhl, Deine Arbeit ruht Dir im Schooße, Du wendest das Auge träumerisch gen Himmel, wo eben die scheidende Sonne den Saum der Wolken vergoldet, und Dein Gedanke weilt bei mir. So ist es. so muß es sein, jetzt eben sein. – – Bis hierbei hatte ich geschrieben, als mich der Gedanke an Dich so übermannte, daß ich die Feder wegwarf und hinauslief in’s Freie. Da, beim Anblick der scheidenden Sonne, als der glühende Purpur der Wolken den Abendhimmel erfüllte, als das herrliche Farbenspiel in ruhigem Wechsel erschien, meinte ich die Zukunft vor mir zu sehen, so rosig und golden wie der Himmel, und es war mir, als grüße mich Dein liebes Auge von da oben, und ich blieb stehen und lauschte, als müsse ich Deine süße Stimme vernehmen. Dann kehrte ich langsam heim und nun schließe ich diesen Brief mit einem herzlichen „Gute Nacht“. Schlafe ruhig und träume süß. Wenn der Gott des Traumes mir günstig ist, dann träume von
Deinem treuen  
Konrad.




Konrad an Amalie.
Mein süßes Leben!

Heute sind es zwei Jahre, daß ich von Dir wegreiste, zwei Jahre, in denen ich Dich nicht geseben, den Ton Deiner Stimme nicht gehört habe. Wenn ich zurückblicke auf diese lange Zeit, so möchte ich die Frage an das Schicksal richten: warum sind diese Jahre für mein Glück verloren gewesen? Ist denn das Menschenleben so lang, daß man zwei Jahre davon ohne weiteres entbehren kann? Wie doch der Mensch so seltsam ist! Habe ich nicht früher gemeint, die lange Trennung sei ein freundliches Geschick, durch welche unsere Liebe sich stählen solle in Sehnsucht und Entbehren? So wechselt der Mensch seine Stimmungen. Eins nur wechselt nicht, unsere Liebe, Amalie. Sie trotzt der Zeit und erhält sich frisch und lebendig. Und doch beschlich mich der Unmuth, als ich nachrechnete und fand zwei Jahre Trennung. Nicht meinetwegen, Amalie, ich bin ein Mann und muß tragen und kämpfen können! Aber Deinetwegen. Dein Leben ist so einförmig, Dir spinnt sich ein Tag ab wie der andere, keine Abwechslung, keine Zerstreuung, keine Freude tritt an Dich heran. Wahrhaftig, wenn ich zuweilen eine Einladung erhalte, die ich nicht ablehnen kann, so ist mir als beginge ich ein Unrecht, daß ich einige Stunden in Gesellschaft verbringe, während ich Dich einsam zu Hause weiß. Oft habe ich mir schon vorgenommen, mich ganz zurückzuziehen, aber ich darf es nicht. Abgesehen davon, daß ich Manchen vor den Kopf stoßen würde, der mir wohl will, so hasse ich nichts so sehr, als den Schein eines Sonderlings. Aber ich kann Dir versichern, wenn ich mich der Gesellschaft auch einmal hingebe, wenn das Gespräch mich anregt und ich lebhaft Theil nehme, so fällst Du mir plötzlich ein in Deinem einsamen Stübchen und mir wird so weh um’s Herz, daß ich aufspringen und hinauslaufen möchte. Wie, wirst Du sagen, klagst Du? Ach ja, ich klage, laß mich einmal klagen. Daß mir die Trennung schmerzlich, warum soll ich es nicht gestehen? Wo ist denn geschrieben, daß man stumm und ruhig Alles ertragen müsse, daß man seinem Schmerze nicht Worte geben dürfe? Und warum soll ich Dir es verbergen, daß meine Sehnsucht nach Dir täglich größer wird und ich es kaum noch überwinde von Dir getrennt zu sein? Mir sind schon manches Mal tolle Gedanken durch den Kopf geschossen. Wegwerfen wollte ich meine Studien, eine andere Laufbahn anfangen, die mich rascher zum Ziele, zu Dir führt. Jahre lang muß man lernen und sich vorbereiten, will man dem Staate dienen, und wie spät und wie karg lohnt dieser unsere Dienste! Wird denn in der Welt nicht endlich einmal das wahre Verdienst belohnt? Denke an Dich selbst. Dein Vater war Gelehrter, der unendlich viel Gutes gewirkt hat, und wie ist er belohnt worden? Eine karge Pension schützt Dich und Deine Mutter eben vor dem Hungertode und der Fleiß Deiner Hände darf nie ermüden, soll Deine Mutter nicht die kleinen, gewohnten Bequemlichkeiten entbehren. Mein Vater war ein tüchtiger Arzt, der Trost und Hülfe an manches Krankenbett gebracht, der mancher Familie den Vater, mancher Mutter ihr Kind gerettet hat. Und was ward ihm zum Lohne? Ich, sein Sohn, habe mich kärglich durch’s Leben schlagen müssen und muß zu meinem geliebten Mädchen immer und immer wieder sagen: warte, warte, noch habe ich kein Haus, in das ich Dich führen, noch keinen Tisch, den ich für Dich decken kann. Und wenn ich dann sehen muß, wie leicht es Andern – doch es sei genug. Ich will Dich nicht ermüden mit meinen Klagen. Ach, ich knirsche mit den Zähnen, daß ich nach zwei Jahren keinen bessern Gruß für Dich habe, als: warte, warte. Deine schöne Jugendzeit verrinnt im Harren auf mich und zuletzt – –? Fast [531] möchte ich Dir sagen: gieb mich auf, wenn sich ein Anderer Dir naht, reiche ihm Deine Hand. Und doch kann ich es nicht sagen, ohne das Todesurtheil für mein eignes Lebensglück auszusprechen.

Vergieb, liebe Amalie, daß ich Dir meinen Unmuth nicht verborgen habe, aber ich mag auch diese Stimmung Dir nicht verheimlichen; Du sollst mich immer ganz kennen, wie ich bin. Lebe wohl! Ich kann mich nicht zwingen, kann in keine freundliche Stimmung kommen, besser also ich schreibe gar nichts mehr. Lebe wohl.   Mit alter Liebe
Dein Konrad.




Amalie an Konrad.
Mein lieber, lieber Freund!
Wie tief hat mich Dein letzter Brief betrübt! Konrad, mein lieber Konrad, was soll das heißen? Sind wir denn nicht nach einer Trennung von zwei Jahren dem schönen Ziele auch um zwei Jahre näher? Wußten wir denn nicht voraus, daß wir kämpfen und ringen mußten um unser Ziel? Und nun, auf halber Laufbahn sollte uns der Muth verlassen? Doch nein, das kann nicht sein. Du hast Dich einen Augenblick vom Unmuth übermannen lassen und gerade in dieser Stimmung mir geschrieben. Das ist mir aber lieb, Konrad, ich sehe, daß Du mir nichts verbirgst, und danke Dir für Deine Aufrichtigkeit. Ei, mein Freund, ich sehe ja doch, daß die Männer, selbst die besten, zu denen Du gehörst, die Geduld verlieren können. Denn weiter ist doch Dein Unmuth nichts, als ein Augenblick, wo Du ungeduldig wurdest. Wir Frauen harren besser aus. Und wenn Du sagst, daß Du hauptsächlich um meinetwillen so unmuthig wärest, so sage ich Dir offen: dazu hast Du keine Ursache. Mein Leben ist nicht so einförmig, wie Du glaubst, und freudenleer ist es gar nicht, im Gegentheil es ist voll Fest- und Feiertage. Ist denn nicht jeder Tag, wo ich einen Brief von Dir bekomme, ein Festtag? Und habe ich in den zwei Jahren nicht viele, viele solcher Festtage gehabt? Da im untersten Fache meines Nähtisches liegt eine recht ansehnliche Zahl von Deinen Briefen. Und jeden Tag, Morgens und Abends, lese ich einige von ihnen durch. So bringt mir jeder Tag meine Freude! Und bin ich denn so ganz einsam? Habe ich nicht meine gute Mutter? Meinst Du, es freue mich nicht für sie sorgen und vor allen Dingen mit ihr sprechen zu können? Nein, Konrad, ich sehne mich auch Dich wieder zu sehen, aber trotzdem bin ich heiter und glücklich. Kann denn eine Braut unglücklich sein, der die Zeit täglich näher rückt, wo sie mit ihrem Geliebten vereinigt werden soll? Also gräme Dich nicht, mein lieber, lieber Konrad. Mich drückt keine Sorge, kein Kummer, und der Gedanke an Dich, die Hoffnung auf Dich machen mich glücklich. Darum reiße Dich aus Deinem Unmuth heraus. Vermeide es nicht unter Freunden und Genossen fröhlich zu sein. Wenn ich Dir dann in den Sinn komme, so trinke Dein Glas aus und denke im Stillen, es sei auf mein Wohl, und wenn Du Dir dann mein Bild recht vergegenwärtigst, so wirst Du sehen, daß es freundlich lächelt und dankbar Dir zunickt. Lieber, lieber Konrad, antworte mir recht rasch und sage mir, daß solche trübe unmuthige Stunden bei Dir nur selten sind. Denn wäre das Gegentheil der Fall, so würde ich mich grämen und würde fürchten, daß die Treue, mit der Du an mir festhältst, Dir in Deinem Streben hinderlich sei. Geh, mein Freund, Du verkennst ja ganz. was Dir zukommt. Du willst mich in Dein Haus führen, das lasse ich mir gefallen. Aber Du willst auch den Tisch decken? Erlaube, lieber Freund, das ist meines Amtes und das lasse ich mir nicht nehmen. Ei, in meinen geträumten Zukunftsplänen spielt es ja die Hauptrolle, wie ich für Dich und Deine Bequemlichkeiten recht emsig sorgen kann. Nein, nein, mein Freund, den Tisch zu decken lasse ich mir nicht nehmen. Also den Kopf in die Höhe, mein Konrad. Ich habe noch viel Muth und heitere Hoffnung, Du wirst doch hinter Deinem Mädchen nicht zurückstehen wollen? Geschwind, Konrad, setze Dich hin und schreibe mir einen recht freundlichen, sonnenhellen Brief. Du machst mir dann wieder einen Festtag! Tausend Grüße meinem lieben, lieben Freunde von seiner treuen und glücklichen Braut
Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein herrliches Mädchen!

Dein Brief hat mich tief beschämt und mich doch zugleich auf das Freudigste bewegt. Geschämt habe ich mich, daß mich mein Unmuth hinreißen konnte, Dir einen Brief voll Klagen zu schreiben und ihn auch wirklich in Deine Hände gelangen zu lassen. Ich möchte Etwas darum geben, wenn ich mich Dir nicht so schwach gezeigt hätte. Und doch ist diese Schwäche Gelegenheit geworden, nicht Dich von einer neuen Seite. aber in der ganzen Fülle Deiner Liebenswürdigkeit kennen zu lernen. Ja, meine Amalie, indem Du an Dich gar nicht denkst, indem Du Dich glücklich schilderst, nur um mich zu beruhigen, indem Du alle Entbehrungen leugnest und mich glauben machen willst, daß nie eine trübe Stimmung auf Dir laste, wie die, welche bei mir zu heftigem Unmuth ausschlug, verleugnest Du ganz Dich selbst in hingebender Liebe. Das ist echt weiblich. Und in dieser echten Weiblichkeit liegt der Vorzug, die Stärke eures Geschlechts. Die Liebe ist die Hauptaufgabe des Weibes. Das Weib ist schwach und stark in der Liebe. Die Liebe erfüllt ihr ganzes Leben. Deswegen kann das Weib eine Höhe der Vollkommenheit erreichen, die dem Manne versagt ist. Es giebt ganz vollkommene Gattinnen, Hausfrauen, Mütter.

Auch der Mann ist der stärksten Liebe fähig, allein die Liebe darf sein Leben nicht ausfüllen. Er hat noch andere Pflichten, Pflichten für das allgemeine Leben. für seinen Beruf, für die Gemeinde und den Staat. Und diesen Pflichten in ihrem vollen Umfange zu genügen, vermag der Mann nicht. Insofern sind die Frauen glücklicher. Darum auch, weil wir die Fülle eurer Liebe nicht erreichen können, bewundern wir Euch. Wir lieben Euch gewissermaßen um eurer Liebe willen. Habe Dank, mein herziges Kind, für Deinen schönen Brief oder besser für die Offenbarung Deines schönen Herzens. Du hast Recht, ich bin nicht immer so trübe und verstimmt, wie ich Dir in meinem letzten Briefe erschien. Es sind eben nur Stunden des Unmuths, die ich wieder bekämpfe, und es ist abscheulich von mir, in einer solchen Stunde an Dich geschrieben zu haben. Ich mag Dich nachträglich gar nicht um Verzeihung deshalb bitten, weil Du verziehen hast, ehe ich gebeten habe. Wenn aber jemals mich der Unmuth wieder beschleichen sollte, will ich Deinen Brief lesen und jenen dadurch verscheuchen.

So hast Du mir ein treffliches Mittel gegeben, mir meine Heiterkeit zu bewahren. Dank, tausend Dank, meine Amalie. Und nun lebe wohl für heute. Ich bin so überhäuft mit Arbeiten, daß ich die Nächte zu Hülfe nehmen, meine liebste Beschäftigung abkürzen muß, die, an Dich zu schreiben. Lebe wohl. Der Gedanke, daß Du einen Menschen mit Deiner schönen Liebe unendlich glücklich machst, möge Dich stärken in Deiner Einsamkeit.
Dein glücklicher Konrad.


Konrad an Amalie.
Mein süßes Herz!
Eine gute Nachricht sollen Dir diese Zeilen bringen. Ich habe mein drittes Examen gemacht und habe es glänzend bestanden. Sie hatten mir es schwer machen wollen und haben mich auf allerlei Proben gestellt, aber ich war überall sattelfest. Meine Collegen wünschen mir Glück, und der Präsident hat mir schmeichelhafte Worte gesagt. Ich freue mich über Alles Deinetwegen. Es kommt mir vor, als sei ich jetzt erst Deiner ganz würdig geworden. Siehst Du, meine Taube, daß Ihr besser daran seid, als wir Männer? Ihr braucht nichts, als zu lieben, und damit seid Ihr würdig zur höchsten Stufe, die eine Frau erreichen kann. Wir aber müssen Jahre lang arbeiten und ungeheuer viel lernen, ehe wir sowohl dem Staate würdig erscheinen, als auch einer Frau würdig werden. Nun, süßes Kind, vergieb, daß ich abbreche, Zwei meiner Genossen sitzen bei mir, um mich zu dem Schmause abzuholen, der bei solchen Gelegenheiten üblich ist. Ich wollte aber nicht warten, Dir die Nachricht mitzutheilen, bis ich morgen vielleicht Kopfschmerzen habe, und so mache sich denn dieses Blatt schon heute auf die Reise und bringe die herzlichsten, glühendsten Grüße meinem lieben Bräutchen.
Dein treuer Konrad.




Amalie an Konrad.
Mein theurer, theurer Freund!

Heute fühle ich recht schmerzlich, daß ich nicht bei Dir sein darf, nur um meiner Freude einen recht warmen Ausdruck geben zu können. Ach, das Schreiben drückt ja so wenig aus, was man fühlt, was man denkt, was man sagen will. Die Freudenthräne im Auge, das glückliche [532] Lächeln, den hellen, fröhlichen Ton der Stimme kann man ja nicht zu Papiere bringen. Meinen herzlichsten Glückwunsch, Konrad! Ach, lieber Freund, mir bist Du durch Dein Examen nicht um ein Haar lieber geworden, ich ehrte und schätzte Dich schon vorher eben so hoch. Aber um der Welt willen freut es mich doch unendlich. Ich glaube, man kann ein braver und tüchtiger Mann sein, selbst wenn man kein drittes Examen zu bestehen vermag, aber es ist doch schön, daß Du es so glänzend bestanden hast. Ach, ich besinne mich noch recht wohl, daß mein guter Vater davon sprach, wie schwer jetzt den jungen Leuten das Examen gemacht würde. Warum ist denn das nur, Konrad? Ist denn eine so fürchterliche Menge von Kenntnissen nothwendig, daß man ein guter Staatsbeamter oder Richter sein kann? Ich sollte doch denken, daß Redlichkeit, Unparteilichkeit, Menschenkenntniß und Scharfblick die nothwendigsten Eigenschaften für einen Beamten seien. Diese werden aber nicht gelehrt und in diesen werdet ihr auch nicht examinirt. Mein Gott, was schreibe ich da! Ich weiß auch wirklich nicht, sind das meine Gedanken, oder ist mir das so aus den Gesprächen meines Vaters sitzen geblieben? Ich komme auch nur darauf, weil Du mich dauerst, daß Du so fürchterlich hast studiren müssen, selbst die Nächte hindurch. Daher kommt es, daß so viele junge Leute mit Brillen gehen, weil sie sich die Augen verdorben, und daß sie engbrüstig werden, weil sie zu viel sitzen müssen. Du darfst jetzt nicht mehr so viel studiren und künftig – – – das wird sich finden. Ich glaube, ich schreibe in meiner Freude lauter dummes Zeug, darum ist es wohl besser, ich höre auf. Ich hoffe, Du hast Dir bei Deinem Schmause ein kleines Räuschchen getrunken, weil Du in Gedanken oft auf mein Wohl angestoßen hast. Dein Räuschchen hat auch bis hierher auf mich gewirkt, denn ich bin auch ein wenig trunken vor Freude! So lebe wohl, mein liebster Freund, – ich hoffe, Du wirst nun, wenn Du Dich nicht mehr mit Justinian und den andern alten Knasterbärten abzugeben hast, wieder Zeit bekommen, recht viel zu denken an

Dein Dich liebendes Mädchen   Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein theures, geliebtes Mädchen!

Hast Du nach dem Poststempel gesehen, als Du diesen Brief eröffnetest? Schwerlich, denn als Du meine Handschrift erkanntest, genügte es Dir, zu wissen, der Brief sei von mir. Nun, sieh jetzt nach, woher der Brief kommt. Aus Heinrichshausen! Schwerlich werden Deine geographischen Kenntnisse so weit gehen, daß Du weißt, wo Heinrichshausen liegt. Und doch wird dieser Ort Dir von Wichtigkeit, denn er wird Dein künftiger Wohnort sein. Du lässest hier den Brief sinken – Du erschrickst – freudig – Du rufst: „Mutter, höre!“ Ich sehe das Alles vor mir. Nur rasch, Amalie, gieb Dich an das Einpacken, Du mußt kommen, bald kommen, sobald als möglich. „Aber wenn er nur ordentlich erzählte,“ denkst Du bei Dir, „daß ich ihn begriffe.“ Gut, mein Herz, ich will mir Mühe geben, ordentlich, der Reihe nach zu erzählen. Wo fange ich aber an? Richtig! Nach meinem glänzenden Examen hoffte ich auf eine baldige Anstellung – und doch verging Monat auf Monat, ehe davon die Rede war. Du wirst aus meinen Briefen in der Zeit hier und da eine Bitterkeit herausgelesen haben, die ich eben nicht unterdrücken konnte. Bei alledem wurden mir viele und just die schwierigsten Arbeiten zugetheilt. Da stieg in mir der Verdacht auf, daß man in mir den guten Arbeiter schätze und mich so lange als möglich in meiner jetzigen Stellung lassen wolle, die mir nichts oder wenig einbringt. Ich entschloß mich kurz, ging zum Präsidenten und sagte ihnm geradezu meine Meinung. Der Präsident sah mich an und lachte, indem er erwiderte: „Sie haben Recht, daß ich Sie gern hier behielte, und wer weiß, wie bald ich Sie wieder an uns fesseln werde. Aber mit dem Verdacht, daß ich Ihre Beförderung aus eigensüchtigen Gründen hindere, thun Sie mir Unrecht. Hier der Beweis. Dieses eben eingelaufene Schreiben vom Ministerium ernennt Sie zum Kreisrichter in Heinrichshausen.“ Ich war wie aus den Wolken gefallen und sah den Präsidenten etwas verdutzt an. Dieser reichte mir die Hand und sagte: „Meinen besten Glückwunsch! Ihre neue Stellung ist ehrenvoll, weil sie wichtig ist. Der letzte Kreisrichter, der vor kurzem in Ruhestand versetzt wurde, war ein alter Mann, der ohne eigentliche Thatkraft in dem Gerichtswesen des ganzen Kreises einen gewissen Schlendrian hat einreißen lassen. Das Ministerium glaubt in Ihnen den Mann gefunden zu haben, der mit sicherm Blick alle Mängel erkennen und beseitigen wird. Aber ich kann Ihnen keinen Augenblick Zeit gönnen. Sie müssen auf der Stelle, das heißt, mit dem nächsten Eisenbahnzuge, abreisen. Gleichzeitig mit dem Ministerialschreiben erhalte ich die Anzeige, daß in Heinrichshausen ein schweres Verbrechen begangen worden ist, dessen Untersuchung die untergeordneten Beamten nicht zu führen verstehen. Eben, als Sie mir gemeldet wurden, wollte ich zu Ihnen schicken, Sie müssen augenblicklich fort.“ Ich war wie im Traume, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ja, ich glaube, der Präsident hat mich förmlich hinausgeworfen, damit ich fort kam. Ich hatte eben auch nur so viel Zeit, das Nöthigste in den Koffer zu werfen und meinem Wirth meine übrigen Sachen zu übergeben, daß er sie mir nachschicke. So saß ich plötzlich im Eisenbahnwagen und kam da erst recht zur Besinnung. Eine Stunde früher noch voll Unmuth und Bitterkeit, und jetzt am Ziele meiner Wünsche. Nach langem, oft schwerem Harren kann ich Dir sagen: „Komm, Amalie, jetzt habe ich ein Haus für Dich.“ Und was für ein Haus, mein Liebchen! Laß mich nur weiter erzählen! Ich kam in Heinrichshausen an und die Untersuchung des Verbrechens nahm mich sogleich dermaßen in Anspruch, daß ich zwei Tage lang keinen ruhigen Augenblick gewinnen konnte, Dir zu schreiben. Denn ich wollte Dir ja Alles ausführlich berichten, mir konnten einige flüchtig hingeworfene Worte nicht genügen. Höre weiter. Meine Stelle ist gut und wird uns für die ersten Jahre ein anständiges Auskommen verschaffen, und daß ich später weiter kommen werde, verbürgt mir das Versprechen des Präsidenten. So komm denn, Du treues Lieb, die Du so lange fest an mir gehalten, komm, sei mein Weib, mache mich glücklich und sei selbst glücklich, indem Du der Segensengel meines Lebens bist. Ich denke, es soll Dir hier gefallen. Heinrichshausen liegt in einer reizenden Gegend. Die Stadt ist nicht übergroß, aber so viel ich bemerken konnte, sind die Bewohner gute, gebildete Menschen, mit denen sich schon wird leben lassen. Ich habe eine Amtswohnung, viel zu groß für uns im Anfange, mit schönen, großen Räumen, mit hübschem Garten und herrlicher Aussicht auf den Fluß und das Gebirge. Nun komm und verleihe dieser Wohnung ihren eigentlichen Schmuck. Für Deine gute Mutter ist ein Zimmer da, wie sie es liebt, still, sonnig, die Fenster mit Weinlaub bewachsen. Nur zögere nicht, Gieb Dich an das Packen Deines Hausraths, den Du mitbringen willst; was fehlt, ergänzen wir hier. Dann schreibe mir, wenn Du fertig bist, und ich komme und hole Dich ab. Unterwegs soll uns mein alter Universitätsfreund in Friedrichsdorf trauen, das mache ich Alles ab. Aber beeile Dich, denn jetzt, wo die Erfüllung meiner Wünsche so nahe, steigt meine Ungeduld zum Fieberhaften. Welch ein Wiedersehen! Oft, oft habe ich daran gedacht, nun es mir aber so nahe gerückt ist, strahlt mir der Augenblick in hellster Herrlichkeit entgegen, daß ich es kaum erwarten kann. Ich mag auch nicht mehr schreiben, denn mir kommt es vor, als verzögere ich durch jede Minute des Schreibens den Augenblick des Wiedersehens. Lebe wohl. mein süßes, süßes, süßes Mädchen, bald mein herziges, liebliches Weib!

Dein überglücklicher Konrad.




Vier Elemente, innig gesellt!

In den Bildern, welche die Kunst nach lyrischen Ergüssen aus dem Seelen- und Familienleben unserer Dichter malt, sähen wir so oft als möglich am liebsten diese Dichter selbst mit zur Darstellung gebracht: wir fühlen uns geehrt, in unserer geliebtesten Männer vertraute Gesellschaft, wenn auch nur als stumme Gäste, mit eingeführt zu sein. In solcher Gesellschaft sind wir sofort daheim, der Dichter selbst ist uns ja kein fremder, und die Lieblinge seines Herzens hat er uns mit aller Lebenswahrheit in seinen Werken vorgestellt.

Wie passen diese Gedanken zu den Gestalten, die unser Künstler

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Schiller’s Punschlied.
Illustrirt von Max Adamo.

um die Punschbowle gruppirt hat, vor welcher kein Deutscher an etwas Anderes, als an Schiller’s Punschlied denken kann? – Suchen wir nicht auch in diesem Bilde sofort nach alten Bekannten, möchten wir nicht am liebsten den Dichter selbst unter ihnen sehen?

Dieser Wunsch wird ein ziemlich allgemeiner sein, und daß wir ihn gerade in der Hauptfigur nicht erfüllt sehen, ist vielleicht das Einzige, was uns in der außerdem so sehr gelungenen Composition stört. Das ganze Bild würde uns gemüthlicher anheimeln, wenn wir in dem jungen blühenden Mann des Vordergrundes den Schiller von Volkstädt bei Rudolstadt wieder erkennen könnten; die beiden lieblichen Mädchen würden sofort als die [534] Schwestern Lengefeld uns den Kreis von Vertrauten eröffnen, und wir würden nicht in Verlegenheit sein, auch für die übrigen vortrefflichen Personen die entsprechenden verwandtschaftlichen oder literargeschichtlichen Beziehungen zu finden.

Diese Bemerkung hält uns der Künstler, M. Adamo, ohne Zweifel zu Gute, da wir außerdem an dem wahrhaft Kaulbach’schen Geist seiner Composition, deren Original-Carton im Besitz des Herausgebers der Gartenlaube ist, unser herzliches Behagen gestehen. Wie reizend sind in der lebendigen Gruppe zwischen der mit ernster Kennermiene Prüfenden die Spender der „vier Elemente“ vertheilt! Wir stehen offenbar vor dem fertigen Punsch, über welchen die verschiedenen Gutachten ausgesprochen werden. Noch läßt augenscheinlich die gefüllte Terrine Manches zu wünschen, aber die Hülfe ist bei der Hand: mit des Wassers sprudelndem Schwall steht das erste der Mädchen bereit, das zweite trägt in gläserner Schale den Zucker, der die herbe brennende Kraft zähmt, und während der alte Herr der Citrone saftigen Stern so gewaltig preßt, daß darüber die Perücke auf seinem Haupte sich verschiebt, gießen die zwei Sachverständigen des Hintergrundes noch fernerweite Tropfen des Geistes hinein. Bleibt es fraglich, welchen Antheil am Vorgang der kleine Junge mit der Trompete nehmen soll, außer etwas Näscherei bei der Großmutter und der Gelegenheit für den Künstler, im Bilde alle Lebensalter vertreten zu lassen, – so erscheint uns dagegen das Mädchen, das zur Thür hereintritt, als eine höchst zweckmäßige Person. denn außer den Gläsern auf dem Teller in ihren Händen trägt sie ein sehr wichtiges Werkzeug für den Genuß des bereiteten Labsals, den Schöpflöffel, der gar stattlich ihr im Busentuche steckt.

Einen noch stockfremderen Geist, als er im Punsche haust, vermag selbst der Deutsche nicht auf seinen Familientisch zu stellen.

Thee, Zucker, Citrone, Rum – lauter Ausländer, und nur das unschuldige Wasser giebt die heimathliche Quelle dazu her. Und doch erfreut der Punsch unser Herz, wie – nun, wie die glühende Dichtung der Satuntala und die warme Weisheit der Brahmanen, und das ist auch ganz in der Ordnung so, denn mit ihnen rühmt er sich desselben Vaterlandes. Er ist ein Kind Indiens; die Gelehrten erzählen, daß die Malabaren ihn Panscha, d. i. Fünf, nennen, weil sie Wasser und Thee als zwei „Elemente“ zählen und ihn somit aus deren fünf bestehen lassen. Unser Dichter hat dieses „fünfte“ Element poetisch nicht zu verwerthen vermocht; es ergeht dem armen Thee wie dem Bier, wahre Poesie will nichts damit zu thun haben. Der Punsch schien dagegen zu vornehm für ein Lied zu sein, und es mußte ein Friedrich Schiller kommen, um es ihm würdig zu singen.
F. H.




„Der heilige Herr.“
Ein geheimnißvoller Glaubensfürst.
(Schluß.)

Noch befand sich Jakob Frank, „der heilige Herr“, in Brünn, als Maria Theresia im Jahre 1780 starb und ihr ältester Sohn, der unvergeßliche Joseph der Zweite, ihr in der Regierung folgte. Diesem hochherzigen Fürsten schwebte das Ideal der höchsten Regententugenden, sowie der Aufklärung und Freiheit für die Völker vor. Er begann in dem verrotteten österreichischen Staate mit Reformen, unter welchen sich auch das Toleranzedict vom 13. October 1781 befand. Darin waren auch die Juden begriffen. Sie sollten neben freier Religionsübung des bürgerlichen Rechtes genießen, Geschäfte und Professionen zu treiben und selbst Staatsämter zu übernehmen unter der Bedingung, daß sie auch den bürgerlichen Pflichten nachkommen würden, nämlich Militärdienste zu thun und ihre Kinder in die allgemeinen Volksschulen zu schicken.

Dieses Edict war ganz dazu geeignet, ein Sectenhaupt zur Rückkehr nach Wien einzuladen. So siedelte Frank, wenige Jahre nach Erlaß desselben und nachdem es in Kraft und Vollzug gesetzt worden war, wieder nach Wien über und lebte dort mit derselben orientalischen Pracht, mit derselben Abgeschlossenheit, mit derselben Anzahl von Leibgarden, mit denselben Besuchen von polnischen und mährischen Juden besonders aus der Jugend, mit denselben massenhaften Geldspeditionen und Almosenspenden, die das Vermögen eines Privatmannes weit überstiegen, und mit demselben mysteriösen Cultus, wie in Brünn. Man wußte sich in Wien diese Pracht nicht zu erklären und glaubte von Frank selbst Auskunft über seinen Stand und seine Herkunft verlangen zu können. Die Polizeibehörde beschritt auch in der That diesen Weg. Allein Frank erklärte: „daß er unter dem besonderen Schutz einer mächtigen nordischen Fürstin stehe,“ und verschwieg dabei alles Uebrige, was ihn selbst, seine Familie und Secte betraf. Mit der nordischen Fürstin hat er höchst wahrscheinlich die Kaiserin Katharina die Zweite von Rußland gemeint. Zu dieser Annahme ist man darum berechtigt, weil seine Tochter Eva (ursprünglich Rachel), die später in Offenbach als orientalische Schönbeit und als Wohlthäterin der Armen gewöhnlich Fräulein Frank genannt wurde, nach ihres Vaters Tod auf gerichtliches Befragen um ihre Herkunft sich den Namen Romanowna beigelegt hat. Daraus hat man folgern wollen, daß die Familie Frank in irgend einem verwandtschaftlichen Verhältniß zum russischen Regentenhaus Romanow gestanden haben müsse, und damit hat man auch die massenhaften, in Fässer gepackten Geldsendungen in Verbindung bringen wollen, da man nicht glaubte, daß sie keine andere Quelle als die Opfergaben der Secte gehabt haben könnten.

Eben so wenig weiß man, aus welchem Geschlechte Frank’s Ehegattin gewesen ist. Denn eine Ehe muß man denn doch wohl um der drei Kinder willen annehmen. Indessen scheint diese Gemahlin nicht mehr am Leben gewesen zu sein, als der Edomiterhof nach Offenbach übersiedelte. Frank fand nämlich in der Kaiserstadt Wien die gewünschte Ruhe nicht. Die Reformen Kaiser Joseph’s wurden von dem unterrichteten und gebildeten Theile der österreichischen Völker, welcher des Kaisers gute Absichten verstand, mit Freuden und Begeisterung begrüßt. Aber die niedrige Schicht der Bevölkerung, die starr an Gewohnheit und Herkommen hängt, murrte und wurde von den geistlichen Nachtfaltern aufgewiegelt, welche für ihr Ansehen und Brod stritten, wie die Kutscher und Fuhrleute gegen die Eisenbahnen gestritten haben. Selbst in den deutsch-österreichischen Landen wurde die Stimmung eine drohende, und in Ungarn und in Belgien brach eine wirkliche Empörung aus und zwang den aufgeklärten Kaiser zur Nachgiebigkeit.

Bei dieser unbehaglichen Lage der Dinge suchte sich der Edomitergott Frank ein neues Asyl und trat mit dem loyalen Fürsten Wolfgang Ernst dem Zweiten von Isenburg-Birstein in Verhandlungen. Der tolerante Fürst, welcher auch eine Vermehrung seiner Staatseinkünfte im Auge gehabt haben mag, gestattete dem merkwürdigen Mann bereitwilligst eine Ansiedlung in Offenbach und gab ihm eins von seinen Schlössern zur Miethe.

Dieses Palais bezog Frank im Jahre 1788 mit seinem zahlreichen und glänzenden Gefolge, welches wie der strahlende Schweif eines Kometen ihm nachzog. Er war damals schon ein Greis von sechsundsiebzig Jahren, aber immer noch rüstig und beweglich und legte sich den Titel Baron Frank bei.

Es ist begreiflich, daß man sich damals in Offenbach mit allerlei Gerüchten über Stand und Herkunft umtrug, ohne aber die Wahrheit zu treffen, daß er das Haupt einer Secte zur Vereinigung des Judenthums mit dem Christenthum sei. Zu diesen Gerüchten trug Franks geheime Lebensweise und der Schleier sehr viel bei, der über seiner zahlreichen Umgebung lag.

Sein Aufwand in Offenbach war eben so groß, wie in Wien und Brünn. Seine Leibgarde bestand aus siebzig Mann in der uns schon bekannten Uniform. Seine Correspondenz führte ein geheimer Secretair, der jedoch in ehrerbietiger Entfernung von dem heiligen Herrn bleiben mußte. Unter seinen Pferden befanden sich vier Schecken von der gelblichen Isabellenfarbe, mit denen er täglich ausfuhr. Außerdem bestand die Edomitergesellschaft, die theils im Schlosse unter seinen unmittelbaren Befehlen lebte, theils in der Stadt zur Miethe wohnte, aus ungefähr fünfhundert Personen, welche sämmtlich, ohne irgend ein Gewerbe zu treiben, aus dem großen Gottessäckel des heiligen Herrn unterhalten wurden. Diese Anzahl steigerte sich oft bis auf tausend Personen durch zahlreiche [535] Wallfahrten von Männern und Frauen, Jünglingen und Jungfrauen, die aus Polen. Böhmen, Mähren, der Lausitz und den angrenzenden Ländern zur Quelle des Heiles kamen. Blieben die Eltern zu Hause, weil sie die weite Reise nicht machen konnten, so schickten sie ihre erwachsenen Söhne und Töchter nach Offenbach.

Das Palais wurde, so lange Frank darin wohnte, sehr strenge bewacht. Unten am Hauptthore an der Baumallee, wo man noch die zwei Schilderhäuser sieht, standen zwei von den grün uniformirten und rothbewesteten Leibhusaren mit gezogenen Säbeln auf Posten. Im Innern des Hauses und am Eingang in die Gemächer des heiligen Herrn schilderten zwei Mann mit derselben Bewaffnung. Er selbst lebte in seiner olympischen Abgeschlossenheit, handhabte aber im Hause die strengste Disciplin und schien wie durch unsichtbare Canäle von Allem Kenntniß zu haben, was in der Nähe oder in der Ferne vorging. Es war eine Ordnung, eine Unterthänigkeit, ein Zusammenhang, wie zwischen den Profeßhäusern der Jesuiten und ihrem General in Rom, nur war hier in Edom eine größere Ehrfurcht. In Folge dieser strengen Zucht fielen niemals Unordnungen oder Streitigkeiten unter den Hausgenossen oder mit andern Bewohnern von Offenbach vor, welche eine gerichtliche Klage nöthig gemacht hätten und wodurch die bürgerliche Justiz zur Untersuchung der Sache hätte veranlaßt werden können. Denn damit wären die Geheimnisse des Hauses leicht offenkundig geworden. Ein solcher Fall wurde auf das Sorgfältigste vermieden.

Viel besprochen wurde von den Offenbachern, daß die Leibhusaren sammt den übrigen Hausbewohnern im Garten oder im Keller Waffenübungen anstellten. Zu welchem Zweck? fragt sich: etwa zur Vertheidigung des Reiches der Edomiter bei Angriffen, oder zur Eroberung des Stammlandes Polen, welches bereits in Stücke zerfallen war? dieses Letztere hat man außerhalb des Hauses vermuthet und den Glauben gehabt, daß Frank ein politischer Messias für Polen sei. Eben so sonderbar war es, daß im Hause ein chemisches Laboratorium unterhalten und chemische Experimente angestellt wurden, ohne daß man weiß, wozu diese Arbeiten haben dienen sollen.

Da die Secte sich äußerlich zur katholischen Religion hielt, in Offenbach aber eine Kirche dieser Confession damals nicht bestand, so fuhr der heilige Herr jeden Sonntagmorgen in seiner Prachtcarosse mit den vier Schecken und in Begleitung mit Spießen bewaffneter Leibhusaren am linken Ufer des Mains hinaus nach dem hart an diesem Flusse gelegenen Isenburgischen Ort Bürgel, der katholisch ist. Vor demselben stieg er dann aus, trat unter einen Baldachin, den vier Chorknaben trugen und dem stets ein langer Zug seiner Anhänger von achthundert bis eintausend Personen nachfolgten, und zog in die Kirche zur Messe. Viele Landleute aus den benachbarten Orten Fechenheim, Rumpenheim, Mühlheim etc. fanden sich oft unter den Baumgruppen am Mainufer ein, um den geheimnißvollen Polakenfürsten zu sehen, der sich aber von der schaulustigen Menge nicht gern begaffen und sie durch die Leibgardisten zurückweisen ließ. Immer trug er seinen rothen Talar sammt Mütze, die er auch in der Kirche nicht ablegte. Für die katholische Messe verrieth er eine große Sympathie und scheint darin, daß die vom Priester angehauchte und consecrirte Hostie in den Leib Gottes verwandelt wird, eine Analogie mit sich selbst als dem verkörperten Edomitergott erblickt zu haben.

Trotzdem unterhielt er seinen eigenthümlichen Cultus, dessen Beschaffenheit sorgfältig geheim gehalten wurde. Daher fuhr er jeden Nachmittag um vier Uhr mit gleichem Gepränge in den hinter der Tempelseemühle gelegenen Wald, wo er sich ein kleines Bethaus hatte errichten lassen. Hier betete er auf einem prächtigen Teppich der Länge nach ausgestreckt und mit dem Gesicht gegen die Erde, worauf der mit Schellen behangene Reiter die Stelle aus dem Spritzenschlauche mit Wasser übergoß. Man fragt vergeblich, was die Schellen bedeuten sollten, und warum der Fleck Erde durch eine symbolische Handlung übernäßt worden ist. Es giebt keine Religion, die einen ähnlichen Gebrauch hat und woraus sich diese Handlung erklären ließe.

Daß er auch Hoherpriester der Edomitersecte war, zeigte sich einst, als er durch Offenbach in der Richtung nach Frankfurt fuhr. Das Glasverdeck der Carosse war wie gewöhnlich inwendig mit grünen Vorhängen gegen jeden Einblick sorgfältig geschlossen. Da ereignete es sich, daß durch irgend einen Zufall eine Scheibe des Verdecks sprang. Sofort wurde von innen der grüne Vorhang zurückgezogen und mehrere Vorübergehende erblickten den heiligen Herrn nicht in dem gewöhnlichen rothen Talar, sondern in einer ganz anderen Kleidung, welche einige Aehnlichkeit mit der des Hohenpriesters im jüdischen Alterthum hatte. Besonders fiel ihnen ein glänzendes Brustschild auf, welches aus einem Rechteck mit zusammengefügten Edelsteinen bestand und der Form des ehemaligen Urim und Thummim (symbolischer Brustbilder der jüdischen Hohenpriester, welche Licht und Recht andeuten sollen), entsprach. Bei diesem Unfall mußte die Carosse augenblicklich umkehren.

Seine Wohlthaten waren auch in Offenbach ebenso kolossal, wie die Fässer mit Geld, die ihm aus fernen Landen zukamen. Besonders unermüdlich in Spenden an die Armen war seine Tochter, Fräulein Frank, dieselbe, welche sich später als eine Romanowna bezeichnet hat, diese schöne Orientalin mit dem tiefen seelenvollen Feuerblick, mit dem schwarzseidenen Stirnband, auf dem eine Reihe von Perlen und Edelsteinen glänzte, mit dem um den Kopf geschlungenen schneeweißen und durchsichtigen Spitzenschleier, unter welchem dunkle Haarwellen auf den blendend weißen Nacken hervorquollen, mit dem langen, faltenreichen Gewand von himmelblauer Seide. Daher wimmelte es an festgesetzten Tagen vor dem Schlosse auf der Promenade von Bedrängten aller Art, die um eine bestimmte Stunde, wo die Thorflügel des Schlosses geöffnet wurden, unter die Thorhalle traten. Die wachestehenden Leibhusaren hatten Befehl, diesen Zugang zu gestatten. Da erschien Fräulein Frank mit vollen Händen und theilte in reichster Fülle aus. Ach, sie hat nicht geahnt, daß eine Zeit kommen könnte, wo sie mit ihren beiden Brüdern in Noth und Dürftigkeit versinken würde! Aber damals schien sie von dem Glanze ihres Vaters, als verkörperten Gottes der Edomiter, bestrahlt zu sein.

Darin mochte es seinen Grund gehabt haben, daß ein jüdischer Jüngling aus einer angesehenen Familie in Frankfurt von ihren Reizen entzückt wurde, sehr häufig nach Offenbach kam, die Promenade auf- und abging, sehnsüchtige Blicke hinauf nach ihrem Fenster warf, wo sie wohnte, und sich jedesmal verbeugte und den Hut zog, wenn nur ein Wind die grünen Gardinen am Fenster bewegte. Allein die schöne Orientalin gab keiner Liebeswerbung Gehör. Nie nahm sie irgend ein Geschenk als Zeichen der Verehrung an. Nie folgte sie einer Einladung zu einem Balle. Vielmehr liebte sie sammt ihren beiden Brüdern Rochus und Joseph die Abgeschlossenheit, die ihr Vater für seine Person noch strenger hielt, sich niemals öffentlich sehen lassend und nur dann und wann mit seiner rothen Mütze und seinem weißen Bart hinter den Fenstern seiner Gemächer oder hinter dem Glasverdeck seiner Carosse sichtbar werdend. Niemand durfte in seine Gemächer treten, mit Ausnahme des Arztes, wenn er krank wurde.

Immer galt Frank bei den Edomitern noch für unsterblich, für unverweslich, für ewig. Das war eine Täuschung, aus der sein Anhang mit Schrecken erwachte. Denn unerwartet, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, trat der Tod des heiligen Herrn am 10. December 1791 ein. Frank starb an einem Schlagfluß in einem Alter von beinahe achtzig Jahren. Schrecken und Jammer im Hause waren unbeschreiblich, denn nicht genug, daß der Nimbus des Gottes wie ein Nebelgebilde zerronnen war, wußte man nicht, was aus der Secte der Edomiter werden sollte.

Am 12. December desselben Jahres fand sein Leichenbegängniß bei einer bittern Kälte statt und wurde nicht allein mit mehr als fürstlicher Pracht begangen, sondern auch, durch das tiefgefühlteste Leid geheiligt. Alle seine Anhänger, deren Zahl sich damals in Offenbach auf ohngefähr achthundert Personen belief, gingen mit in tiefster Trauer. Voran die Frauen, verheirathete und unverheirathete, zweihundert an Zahl, in weißer Kleidung, die Haare mit weißem Band durchflochten und mit brennenden Wachskerzen in der Hand. Nach denselben kam die Leiche im offenen Sarge, eingekleidet in den rothseidenen Talar, den er im Leben getragen hatte und der mit Hermelin gefüttert war. Der Sarg wurde von der Dienerschaft getragen. Hinter demselben schritten seine drei Kinder, dann folgte die übrige Dienerschaft des Hauses nebst der siebenzig Mann starken Leibgarde. Den Beschluß machten die männlichen Personen, mit brennenden Fackeln in den Händen, die Haare gleichförmig mit einem weißen Band gebunden und die Arme mit weißem Flor umwunden. So ging der Zug durch Offenbach nach dem allgemeinen Begräbnißplatz. Hier setzte man den Sarg ab und schloß denselben mit dem Deckel. Der Sarg war ganz mit [536] weißem Atlas überzogen, sowie mit goldenen Fransen, Quasten und anderem Schmuck versehen. Nicht mit Seilen, sondern mit weißen Tüchern wurde er in die Gruft hinabgelassen, und dann die Tücher darübergebreitet. Keinen Geistlichen hat man im Zuge gesehen, ein neuer Beweis, daß die Secte ihren eigenen Cultus hatte.

Kaum war die Ceremonie durch Bekleidung des Sarges mit den weißen Tüchern geschehen, als auf einmal wie auf ein gegebenes Zeichen die ganze Trauerversammlung von achthundert Personen in ein herzzerreißendes Jammergeschrei ausbrach, daß die Luft erbebte und den Augen Aller unzählige Thränen entströmten. Man schien den Verlust des gemeinschaftlichen Versorgers und die verlassene Lage der Sectenglieder auf das Tiefste zu empfinden. Während die ganze Begleitung anfing, zum Beschluß eine Hand voll Erde in das Grab zu werfen, ließ sich auch ein seit mehreren Wochen des Augenlichtes beraubter Leibgardist von seinen Cameraden an das Grab seines Wohlthäters führen, stammelte unter heißen Thränen seinen letzten Dank und warf, wie die Andern, eine Hand voll Erde in das Grab. Bei der großen Zahl der Anwesenden währte die Ceremonie des Begräbnisses auf dem Friedhofe über eine Stunde und war äußerst feierlich und rührend. Sämmtliche Bekenner des Hauses Edom in Offenbach haben ein Jahr lang Trauer getragen und zwar mit dem Zeichen eines weißen Bandes in den Haaren und eines weißen Flores um den Arm.

So war der Vorhang gefallen und der Mann von der Schaubühne abgetreten, der Hunderttausende seiner Glaubensgenossen mittels einer neuen Religionsform auf Grund kabbalistischer Geheimlehren mit zauberhafter Gewalt an seine Person gefesselt hatte. Wohl darf man fragen, wie das möglich sei und ob Frank ein Betrüger oder ein Betrogener, also ein Schwärmer gewesen ist. Diese Frage ist schwer zu beantworten, da man den Inhalt seiner Lehren und Gebräuche nicht kennt und von dem dermalen noch bestehenden, jedoch vereinzelten und sehr dünn gewordenen Anhang niemals erfahren wird. Wenn man bedenkt, daß er keine Gaukelspiele, wie sein Zeitgenosse Cagliostro, der Magier, getrieben, keine sympathetischen Wundercuren vollbracht hat, obgleich sich Recepte dazu in der Kabbala finden sollen, so wird er von der Anklage freigesprochen werden müssen, daß er ein religiöser Taschenspieler gewesen sei. Weit eher könnte man ihn zu den Schwärmern für eine festgewurzelte Idee rechnen, für die Idee einer göttlichen Mission zur Vereinigung des Judenthums mit dem Christenthum. Durch das Hinbrüten über der Geheimlehre der Kabbala, durch den Glauben an eine Wechselwirkung zwischen Gott und den auserwählten Menschen, konnte die Einbildung in ihm entstehen, daß Gott in ihm und er in Gott sei und Beide nicht blos ideal, sondern real Eins seien. Ohne Glauben an eine göttliche Mission würde er die harten Kerkerstrafen nicht so willig und ungebrochenen Muthes ertragen, er würde in Verfolgung seiner Idee keine so beharrliche Consequenz bewiesen haben.

Sein Hingang hatte für die in Offenbach seßhaften Edomiter die empfindlichsten Folgen. Die erste war, daß, seit Frank’s Tod den Gottesschleier zerrissen hatte, die Geldzuflüsse aufhörten und die Secte auf ihre Selbsternährung angewiesen war. Da mußten viele Mitglieder derselben sich entschließen, in Fabriken zu arbeiten, woran sie nicht gewöhnt waren und was ihnen sehr sauer ankam. Andere verließen Offenbach und kehrten in ihre Heimath Polen zurück, wo sie in Verbindung mit Andern ihrer Secte noch immer fortbestanden und den Namen Frankisten führten, bis sie durch einen kaiserlichen Ukas vom 15. März 1817 als „christliche Israeliten“ bezeichnet wurden. Dieser Name kennzeichnet ihre Tendenz am richtigsten und der Erlaß des Ukases selbst sagt uns, daß die Secte von der kaiserlichen Regierung als fortbestehend angesehen worden ist. Sie soll auch noch in der späteren Periode die von ihrem heiligen Herrn überlieferten Lehren und Gebräuche mit Sorgfalt beobachtet, aber auch geheim gehalten haben. Ebenso soll es Grundsatz in dieser Secte sein, sich nur untereinander zu verheirathen und keine fremden Elemente in sich aufzunehmen. Wäre Frank und seine Secte in einem andern Zeitalter aufgetreten, als in der Aufklärungsperiode des großen Friedrich, also einige Jahrhunderte früher, wo der Glaube noch einen größeren Spielraum hatte, wer weiß, wie weit die Secte sich ausgebreitet haben würde. So aber scheint sie im Abnehmen begriffen zu sein, seitdem das regierende, göttlich verehrte Haupt fehlt.

Am härtesten aber traf Frank’s Tod seine Kinder, die an fürstliche Pracht und Bequemlichkeit gewöhnt waren und jetzt durch Vertrocknung der Geldquellen in Noth und Dürftigkeit versetzt wurden. In dieser Lage wendeten sie sich an die Agenten und Vorsteher der Edomiter, besonders in Warschau, welche denn auch frühere Ausschreiben des heiligen Herrn erneuerten und umhersendeten. Allein die Säckel öffneten sich nicht mehr. So kam es zum Concursverfahren über Frank’s Nachlaß, welcher, nach Abzug der Zahlungen an die zahlreiche Dienerschaft, noch nicht so viel betrug, um die übrigen Creditforderungen vollständig zu bestreiten. Viele Lieferanten mußten an den glänzenden Hofhalt und andere Handwerker einen Theil ihrer Forderungen verlieren.

Für die Kinder war in Offenbach des längeren Bleibens nicht mehr. Sie verließen die Stadt (Fräulein Frank angeblich in männlicher Kleidung; sie soll im Jahre 1815 in Polen gestorben sein), ohne daß man weiß, wohin sie sich gewendet. Sie sind verschollen. Dagegen versichert Peter Beer, unser Gewährsmann, daß einer von Frank’s Söhnen als Officier in der russischen Armee gedient und im Jahre 1814, also dreiundzwanzig Jahre nach des Vaters Tode, einen Besuch in Prag bei den Anhängern seines Vaters gemacht habe, wo er mit großer Freude aufgenommen worden sei.




Auf dem Dampfschiff zwischen New-York und Bremen.[2]
Die Abfahrt von New-York – Die Dampffähre. – Wagenchaos. – Der Dock und sein Menschengewühl. – Abschiedsscenen zwischen Schiff und Deck. – Das Sternenbanner auf dem Verdeck. – Missionsstimmung. – Die Bai von New-York. – Die ersten Tage am Bord. – Wahlverwandtschaftsgruppen. – Versteigerung einer südstaatlichen Banknote. – Das Kindertreiben auf dem Deck. – Die Frau des deutschen Malers. – Dessen „genialer Anfall“. – Der letzte Sonntag auf See. – Comfort auf dem Schiff. – Das Schiffsorchester. – Speculation des Schiffspersonals. – Vor Anker in der Wesermündung. – Trennung der Schiffscameraden. – Gegensatz der Heimkehrenden und der Auswandernden.

Es war am 20. Mai 1865, Vormittags zehn Uhr; in dem Gewühle der amerikanischen Metropole, New-York, bemerkte man in der Gegend von Barclaystraße, nach der Hoboken-Dampffähre zu, eine sich selbstständig behauptende Strömung von Wagen und Menschen. Mit gewohnter Geschicklichkeit finden die Droschkenkutscher ihren Weg über jene Querstraßen, an denen die gleichsam flüssigen Lavamassen des ungeheueren Verkehrs in der Nähe des Hafens einander begegnend sich aufstauen. Der Eifer der Rosselenker wird durch das hohe Fahrgeld angespornt, das sie den Unglücklichen abnehmen, welche um zwölf Uhr mit dem Dampfschiff nach Europa wollen und daher zu Beschwerden bei der Polizei gegen die Erpressungen der „hack“-(Lohnwagen-)Treiber keine Zeit mehr haben.

Endlich sind Wagen und Menschen an Bord der breiten, gewaltigen Dampffähre, welche den Verkehr zwischen New-York und dem aus einigen Sommergärtenwirtschaften und Villen zu einer bedeutenden Stadt angewachsenen Hoboken auf der Ostseite des East River vermittelt. Mit Majestät, wenn auch angestrengt arbeitend, erreicht nach etwa fünfzehn Minuten das Dampfboot das andere Ufer, die Ketten rasseln nieder, welche die Breter halten, über welche der Ausgang aus dem Boot führt, und donnernd rollen die Wagen durch die gewölbten Thore, welche man an den New-Yorker Fähren als Wartestationen und Regenschutzplätze überall findet. In gerader Linie wälzt sich jetzt ein Gewirr von Droschken, Expreßwagen, Güterwagenleviathans und den feinsten Equipagen nach dem nicht fernen Dock zu, an dem die Dampfschiffe des norddeutschen Lloyd ihre periodische Heimath haben. Der Dock ist seiner ganzen Länge nach überdeckt, und obgleich die Abfahrt des Dampfschiffs [537] „Amerika“ auf zwölf Uhr angesetzt, wartet noch eine unabsehbare Masse Kisten und Koffer des Tauhakens, an dem die mit Dampf getriebenen Flaschenzüge sie in den Raum des Schiffes befördern. Doch König Dampf ist ein enorm schneller Arbeiter, gleichviel in welchem Fache er arbeitet, und gegen ein Uhr – Dampfschiffe sind ihrem Wesen nach nie so präcis wie Eisenbahnzüge – fliegt die letzte Kiste in den geräumigen Bauch des Schiffes hinab.

Mittlerweile haben sich Hunderte von Menschen am Dock gesammelt, welche dem Abgang des deutschen Dampfschiffes beiwohnen wollen. Verkäufer von Apfelsinen machen glänzende Geschäfte, ebenso fliegende Zeitungshändler, welche die noch feuchte letzte Wochennummer der New-Yorker Illustrated News in englischer wie in deutscher Sprache den Passagieren als Reiselectüre anbieten.

Die Schiffsglocke hat bereits verschiedene Mal die Verwandten und Bekannten der Passagiere ermahnt, sich an’s Land zu begeben, und die Unterhaltung zwischen den Scheidenden geschieht par distance. Auf dem Verdeck halten die Mütter ihre Kinder empor, um noch einmal der Tante oder Großmutter zuzulächeln, die auf dem Dock thränenden Auges steht; mit kalter Höflichkeit empfiehlt sich der geehrte New-Yorker Correspondent dem Repräsentanten der westindischen oder mexicanischen Firma, welcher mit seiner Familie den alten Hansestädten zueilt, die er vor Jahren als einfacher Commis verlassen, um in der dollarreicheren Ferne sein Glück zu suchen und zu finden, oder auch ein frühes Grab durch Krankheit des Klimas.

Im Ganzen jedoch giebt sich unter der Menge auf dem Dock, wie auf dem Verdeck, eine gehobene Stimmung kund. Gold steht 130 und Jefferson Davis ist auf dem Wege hinter die Gitter des Washington-Arsenals. Beide Nachrichten werden Europa zugleich erreichen und beide den Cours der Vereinigten-Staaten-Papiere wie der Vereinigten-Staaten-Bürger drüben steigen machen. Kein Wunder, daß ein deutscher Abolitionist aus dem schlotreichen Pittsburg, dem Birmingham der Vereinigten Staaten, sich eigens ein Sternenbanner gekauft hat, um dessen Glanz bei der Abfahrt zu entfalten. Auf dem höchsten Punkte des Verdeckes postirt, setzt er die Flagge in dem Augenblick der Brise aus, wo die Schiffskanone das letzte Signal giebt und die Schraube am Hintertheil zuerst den ruhigen Wasserspiegel in wilden Schaum verwandelt. Ein dreifaches Hurrah für die Vereinigten Staaten ertönt unwillkürlich aus allen Kehlen der am Vorderende des Docks jetzt gedrängt stehenden Massen, die mit dem Schiff sechshundert amerikanische Bürger als Apostel eines neubekräftigten Evangeliums mit freudigem Stolze zu entsenden glauben. Die Sechshundert scheinen für den Augenblick diese Missionsstimmung zu theilen, und selbst die Gesichter einiger conföderirten Soldaten und südlichen Damen blicken nur versteckt Dolche bei dieser Verherrlichung ihres triumphirenden, wenn auch von ihnen noch thöricht gehaßten, großen Vaterlandes. Einige Minuten später und das Schiff fliegt den Strom hinab, das Dock verwandelt sich in weiße Wimpel, d. h. Abschied wehende Taschentücher, und bald verschwinden auch diese den spähenden Blicken der über die Eisendrahtbekleidung des Verdeckes sich hinauslehnenden Passagiere. Sie kehren der Vergangenheit den Rücken und blicken freudig in die vor ihnen liegende Zukunft und Gegenwart.

Die großartig prächtige Bai entrollt sich vor den erstaunten Augen; wir passiren Fort Lafayette, aus dem soeben die Gnade der Republik die letzten hundert Spitzbuben entlassen, welche sich wiederholt in die Armee für fünfhundert Dollars anwerben ließen, um eben so oft zu desertiren und die Vereinigten Staaten um Soldaten, die Stadt um Stellvertreter und Geld zu betrügen. Ein Vereinigtes-Staaten-Panzerschiff wird freudig begrüßt, es scheint den Passagieren die Versicherung zu geben, daß auch in der Ferne eine Macht walten wird, die nicht duldet, daß man ihnen ein Haar auf dem Haupte krümmt. Staten-Island mit seinen reizenden Villen, die aus reichen Gärten auf sanften Hügeln herabschauen, begleitet uns bis an die Mündung der Bucht und überläßt uns den Lootsen, um uns durch dieselbe auf hohe See zu führen. Zum letzten Mal blicken wir nach New-York, das im Widerschein der Sonne, ein ungeheures Amphitheater, am Horizonte sich erstreckt, dann kehren wir unsere Aufmerksamkeit ausschließlich dem Meere und den Personen auf dem Deck zu, die für die nächsten zwölf bis dreizehn Tage unsere Welt sein werden.

Eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit ist unter Passagieren in den ersten Tagen einer Seereise stets bemerkbar, namentlich wenn das Meer sich freundlich beträgt und man mit Interesse die vier Mahlzeiten genießt, die allemal vier Stunden voneinander entfernt die erfreulichsten Cäsuren im Schiffseposversmaß bilden. Später, wenn die durch stürmisches Wetter hervorgerufene Seekrankheit ein Drittel oder die Hälfte der Passagiere in der Unterwelt festhält und selbst die Oberwelt des Deckes, von einer Seite zur andern schwankend, nicht mehr mit reiner Freude beschritten wird, folgt dem angespannten Wesen der ersten Sonnentage eine Reaction und eine größere Anzahl Cigarren bildet zur düsteren Stimmung sowohl den Hintergrund, wie das Resignations-Antidot. Der erste sonnige Tag ruft jedoch Alle in das andere Extrem, und nirgends wird die Frage: „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?“ so leicht bejahend beantwortet wie auf einem Schiff. Nirgends herrscht solche kindliche Leichtgläubigkeit und selbst die stärksten Geister können sich ihr nicht entziehen. Geht z. B. das Schiff ruhig, so zweifelt Niemand, daß diese Ruhe bis zu Ende der Reise anhalten werde, und Alles wundert sich, daß die Aufwärter die hölzernen Vierecke nicht wieder von den Tischen entfernen, welche sie zur Zeit des stärkeren Schaukelns zur Sicherung des Speisegeschirrs vor Purzelbäumen festgeschraubt haben. Die oben erwähnte Lebhaftigkeit hat im Anfang einen isolirenden Charakter, Alles gruppirt sich in verwandten oder wahlverwandten Gesellschaften wie auf dem Blocksberge im ersten Theile des Faust, es fehlt ein gemeinsames, belebendes Centrum, die Genies des socialen Wesens wandeln noch unerkannt oder gar verkannt umher. Zu diesem Stadium ist die Anwesenheit einer lieben Frau und Kinder ein glücklicher Umstand, so lästig diese Schätze auch wenige Tage darauf werden. Wehe dem Unglücklichen, der

„Auch nicht eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund.“

Für ihn bleibt nichts übrig, als das um diese Zeit noch einsame Rauchzimmer oder ein Sitz hinter dem Steuerhaus, wo Niemand seinen verlassenen Zustand bemerken und durch mitleidig-stolze Blicke vertiefen und noch verlassener machen kann.

Betrachten wir uns zunächst einige jener Wahlverwandtschaftsgruppen in der Nähe. Eine gewisse „Familienähnlichkeit“ herrscht unter den verschiedenen Großhändlern und Importeuren, welche Deutschland in seiner vielstaatlichen Verkleidung als Consuln oder Privatleute in ausländischen Häfen und Hauptplätzen vertreten. Die meisten dieser Herren haben etwas Zugeknöpftes, Nüchternes, Kaltes an sich. Vielleicht ist ihnen die Sonne des neunundvierzigsten Breitengrades (auf welchem die Oceandampfschiffe sich meistens halten) zu frostig gegen die tropische Hitze, deren Einfluß selbst den Madeira verbessert und noch feuriger macht. Vielleicht grämen sie sich über den Schutzzolltarif der Vereinigten Staaten, welcher die Einfuhr ausländischer Waaren erschwert und den daran zu machenden Profit den Importeuren zu verringern droht. Einige dieser Herren, welche in New-Orleans und Savannah ihre Handelsbureaux gehabt, tragen in ihrem Gesicht eine Art Halbtrauer für die dahingeschiedene südliche Conföderation zur Schau. Sie sind eine besondere Species Halbsecessionisten, moderne Romantiker, welche der verschwundenen Glorie der „alten guten Zeit“ melancholisch nachblicken, in der Baumwolle und Geld in südlichen Plätzen in Menge zu machen stand. Sie treten indeß äußerst leise und vorsichtig auf und lassen den Pferdefuß nur blitzweise sehen.

Die Anhänger der Union sind zu zahlreich auf dem Schiffe, und auf ihm befinden sich zur Ehre des deutschen Namens nur zwei Deutsche, welche die Waffen für die Rebellen gegen die große Republik getragen. Die, wie man in stagnationssüchtigen deutschen Cirkeln sagt, leidige Politik theilt selbst zuletzt die deutschen Importeure und Großhändler in zwei feindliche Lager: eine Debatte beginnt, die bis zum letzten Tage der Fahrt dauert. Auf der einen Seite standen die erwähnten Halbsecessionisten, unterstützt von Deutschen aus Venezuela, MacClellan-Anbetern aus New-York und Baltimore-Banquiers: auf der andern einige New-Yorker Großhändler von Broadway und selbst Wallstraße, sowie die Vertreter des amerikanischen Westens, welche alle Maßregeln der Bundesregierung vertheidigten und das Unhaltbare der Positionen der Gegner nach harten Kämpfen siegreich nachwiesen.

Eine mehr neutrale Stellung nahm ein deutscher, d. h. österreichisch-oldenburgisch-hannöverscher, Consul von einer der wichtigeren westindischen Inseln ein, welcher theoretisch die Sache der [538] Union für die allein richtige erklärte, jedoch große Lust gehabt hatte, eine Ladung Salz auf einem leichtgehenden Schooner von Nassau nach Wilmington, Nord-Carolina, einzuschmuggeln, und noch gelegentlich die Aengstlichkeit seiner Associés verwünschte, die ihre Bedenken gegen Blokadebrecher trotz südlicher Sympathien und enormer Profite im Fall des Durchkommens des Schmuggelschiffes nicht überwinden konnten. Alle diese Debatten und Gespräche gingen auf dem Deck der ersten Kajüte vor sich, denen die Passagiere der zweiten Kajüte, über die aus einer Messingstange bestehende Grenze sich legend, andächtig lauschten, Freude äußernd über jede neue Tiefquarte, die den Vertheidigern der südlichen Aristokratie beigebracht wurde. In der zweiten Kajüte nahm dieselbe Debatte eine noch lebhaftere Richtung. Ein exconföderirter Soldat erregte förmlich die sittliche Entrüstung des im Eingang erwähnten Pittsburger Abolitionisten, der, von einem Schuhmacher zum Doctor der Homöopathie emporgekommen, nach den Grundsätzen der letzteren Heftigkeit mit Heftigkeit erwiderte. Der conföderirte Exsoldat versuchte jedoch, um zu imponiren, einen Staatsstreich: um seine Verachtung gegen die Vereinigten Staaten mehr als symbolisch auszudrücken, zerriß er plötzlich vor Aller Augen eine Fünfzig-Dollar-Vereinigte-Staaten-Banknote. Der Effect dieses selbstverleugnenden Patriotismus war für den Augenblick nicht übel, jedoch ging er bald darauf durch die Entdeckung verloren, daß die Banknote nichts werth war, weil nachgemacht. Die Versteigerung einer conföderirten Hundert-Dollar-Note im Salon der ersten Kajüte, obgleich nur zum Scherz veranstaltet, brachte eine Amerikanerin aus Alabama, die mit ihrem deutschen Manne in deutschen Bädern Gesundheit suchen wollte, vollständig aus dem Häuschen. Sie verbat sich dergleichen Verhöhnungen ernstlich. Ein unterdrücktes Lachen war die Antwort der Umgebung.

Die zahlreichen, von der Seekrankheit nicht berührten Kinder wurden allmählich mit dem Gehen auf Deck so vertraut, daß sie sich anfaßten und hintereinander herliefen. Springseile tauchten auf und ein junger Costa-Ricaner, der in einer osnabrückschen Handelsschule von unserer Cultur beleckt werden soll, übte sich im Werfen eines Lasso, zu dem er einen Strick annähernd hergerichtet. Die dreiundvierzig Kinder der ersten Kajüte, obgleich in verschiedenen Sprachen (spanisch, französisch, englisch und deutsch) erzogen, wußten sich doch bald zu verständigen, mittels des Englischen. Unter denjenigen, die bei allem Wetter stets das Deck als Seekrankheit-Assecuranzbureau behaupteten, fiel eine kleine, zierliche Amerikanerin in’s Auge nebst ihrer kleinen Tochter, einem Kinde von jener durchsichtigen feinen Gesichtsfarbe, die man in England und Amerika so schön findet. Sie war die reiche Frau eines talentvollen deutschen Malers, der sie in Southampton erwartete, um mit ihr über Paris nach Rom zu geben, wirklich begrüßte auch der Herr Gemahl auf der Rhede von Cowes (Southampton gegenüber) die so kostbare Gemahlin mit nicht geringer Freude, war jedoch unangenehm überrascht, in einem der deutschen Passagiere einen Mann zu entdecken, dem er vor Jahren, natürlich in einem genialen Anfalle, welchen die prosaische Welt nicht als solchen anerkennen wollte, fünfzig Dollars in New-York entwandte. Der Bestohlene war jedoch mit Rücksicht auf die niedliche Frau großmüthig genug, sich damit zu begnügen, auf dem Deck hin- und hergehend scharfe Blicke auf den „Genialen“ zu schleudern und ihm die Minuten zu Stunden zu machen, die bis zur Abfahrt des kleinen Dampfers verrannen, welcher zunächst das Gepäck von etwa sechszig Passagieren nebst 900,000 Dollars in Gold einzuladen hatte.

Welche merkwürdigen Begegnungen mitunter vorkommen, bewies der Fall zweier Juden, die vor achtundzwanzig Jahren auf demselben Segelschiffe nach Amerika fuhren und jetzt zum ersten Mal sich auf der „Amerika“ wiederfanden, die Beide derselben Heimath entgegenführte. Der letzte Sonntag, den man voraussichtlich auf dem Meere zusammen verlebte, wurde besonders gefeiert; von einem Dutzend, wenn nicht gar dreizehn Passagieren, ward eine feierliche Bowle Ananas-Punsch beim Oberkellner, oder ceremonieller „Head-Steward“, Hupe beordert und einige Stunden lang mit Toasten und obligaten Reden genossen, welche verschiedene am andern Ende der Kajüte vorhandene Whistpartien nervös machten.

Des braven Capitains Wessels Gesundheit wurde natürlich mit Pathos getrunken und er mit dem Nordstern verglichen, an den der Schiffer in stürmischen Nächten mit unwandelbarem Vertrauen als seinen Wegweiser sich hält. Aber diesem Klimax der geselligen Stimmung folgte rasch eine Reaction. Erstaunt über die eigne Kühnheit, zogen sich die Meisten wieder in das Schneckenhaus des Particularismus zurück, um gegen Ende der Reise in Atomen nach allen Gegenden der Windrose zu zerfahren. Das moderne Oceandampfschiff steht zu dem Segelschiff in demselben Verhältniß, wie die Eisenbahn zu dem immer mehr in Seitenthälern verklingenden Postwagen. Das Zeitalter der so viel gepriesenen deutschen Gemüthlichkeit ist vorüber oder doch nur ein schwacher Abglanz der romantischen Blütheperiode noch sichtbar. Dagegen sind auf der andern Seite die sehr wesentlichen Verbesserungen und Annehmlichkeiten nicht zu übersehen, welche die jetzige Art des Seereisens bietet.

Das Leben auf einem Bremer oder Hamburger Dampfschiffe insbesondere unterscheidet sich von dem in einem großen Hôtel nur dadurch, daß das Schiff auf dem Wasser schwimmt und mitunter die Flaschen, Gläser und Teller von den Tischen herab unwillkommene Besuche auf dem Schooße der Passagiere abstatten. Sonst hat man seine Milch zum Kaffee, Dank der Condensationserfindung, frisches Fleisch aller Art, Dank der Eiskammer, und Wasser genug für alle Zwecke, Dank dem Condensator der siebenhundert Pferdekraft starken Dampfmaschine. Ein eigener Pasteten- und Tortenbäcker sorgt für die feineren Ansprüche der Zunge, d. h. für die der ersten Kajüte. Die Zungen in der zweiten müssen Epikur aus eigenen Ressourcen opfern oder mehr pythagoräisch leben. Für die Unterhaltung des Geistes sorgt eine Bibliothek, der Mehrzahl nach aus deutschen Werken bestehend. Für Amerikaner bieten sich Dickens’ Household Words, Swift’s Werke u. A. dar, für Franzosen Le Sage’s Gil Blas, Racine und Corneille.

Auf der „Amerika“ gab es ferner regelmäßig des Abends Concerte. und zwar sowohl von Blas- wie von Streichinstrumenten. Das Orchester bildeten sieben oder acht Kellner oder Aufwärter der zweiten Kajüte. Sie hatten ein ganz niedliches Repertoire und verstanden es trotz allem Geschaukel des Meeres den Bogen gerade zu halten. Ob diese Kellner erst Musiker wurden, um ihren sehr mäßigen Lohn aufzubessern, oder ob sich Musiker in Kellner umwandelten, um durch Betreibung von zwei Geschäften sich ein besseres Leben auf dem Meere zu bereiten, können wir nicht sagen. Die Jagd nach Geld war jedenfalls bei allen Schiffsangestellten vorherrschend. Alle hatten ihre Kajüten geräumt, vom Schiffsdoctor und Oberkellner bis zum Heizer herab, um die ersteren dafür vierzig Dollars, die letzteren zehn bis zwölf Dollars extra zu verdienen. Ihre Schlafstellen waren an Passagiere gegeben, die in den Staatszimmern kein Unterkommen mehr finden konnten. Des Nachts sah man daher im Salon der ersten Kajüte unter den Tischen schlafende Kellner, auf den Sophas schlafende Schiffsdoctoren und Oberkellner, und selbst im Zwischendeck ließ der „heilige Goldhunger“ Heizer und andere Angestellte ihr Exil von ihren eignen schönen Lagerstätten ertragen. Selbst die Speculation feiert unter diesen amerikanisch-deutschen Amphibien der Oceandampfschiffe ihre Triumphe. So belohnte sich das Vertrauen des Oberkellners auf den Sieg der guten Sache der Vereinigten Staaten durch eine ziemliche Reihe Goldstücke. Er hatte mit seinem deutschen Golde amerikanische Banknoten gekauft, als dieselben, an Gold gemessen, kaum vierzig Cent per Dollar werth waren, und er wechselte sie eben jetzt um, als der Dollar (Papiergeld) nahezu auf achtzig Cent in Gold wieder gestiegen war. Er bedauerte nur, seiner Zeit nicht sein ganzes Geld in amerikanischen Papieren angelegt zu haben.

Nach einer Fahrt von dreizehn Tagen warf das Dampsschiff in der Mündung der Weser Anker und die Ausladung begann. Daß nur amerikanische Häfen Wasser genug haben, um zu jeder Zeit das Einlaufen von Schiffen zu gestatten, erfüllte die Herzen der Amerikaner mit Stolz und tröstete sie über das unfreundliche Wetter bei der Pilgerreise auf dem Deck des kleinen Dampfers nach Bremerhaven. In Geestemünde erfolgte die erste Berührung mit dem Staat, die Republikanern so verhaßt ist, nämlich Zollbeamle visitirten die unschuldigen Mantelsäcke der Passagiere, klebten Stempel selbst auf alte Hüte und legten die Plombe um die Waggons, in denen sich das Kisten- und Koffergepäck der Leute befand. Merkwürdigerweise werden für diese Gepäckmassen vom norddeutschen Lloyd keine Marken oder „checks“ ausgegeben, so daß auf dem Bremer Depot nach Ankunft des Extragepäckzugs spät Abends allemal eine ziemliche Verwirrung entsteht, indem verschiedene Hundert Leute gleichzeitig aus Hunderten von Koffern und Kisten [539] die ihrigen herauslesen müssen. Die Herren vom Lloyd behaupten, daß noch nie jemand einen Koffer weggenommen habe, der nicht sein Eigenthum gewesen, sie verweisen sogar als eine Art opus supererogativum des Erfolgs ihrer Systemlosigkeit auf einen Koffer, der noch nicht von seinem Eigenthümer reclamirt ist und seit Wochen ruhig im Gepäckraum dasteht.

So schmeichelhaft diese Thatsachen auch für den Ehrlichkeitssinn der Deutschamerikaner sein mögen, so würden diese doch gern auf diesen Zuwachs an Renommée verzichten, wenn sie statt dessen ihr Gepäck mittelst Marken durch einen „Dienstmann“ sich ohne Weiteres in ihr Hotel besorgen lassen könnten, statt wie jetzt stundenlang im Bahnhofe Untersuchungen anzustellen und wegen der Sicherheit ihres Eigenthums eine Zeit lang nicht ganz ohne Sorge zu sein. Nachdem die Passagiere im Bahnhof sich das Warten auf die Ankunft des Gepäckzugs mit Vortrag patriotischer Lieder verkürzt, schieden die oceanischen Cameraden, um wenige Stunden später auf Eisenbahnzügen, Dampfbooten und Wagen ihren ehemaligen Heimathen zuzueilen, die sie jedoch in den meisten Fällen nicht wieder zu fesseln vermögen. Wenige Monate und die Erde brennt unter ihren Füßen und nicht eher haben sie Ruhe, als bis sie das Rauschen der blauen atlantischen Woge wieder unter sich vernehmen, die sie dem neuen Vaterlande zuführt, welches sie jetzt nach vierjährigem großen Kampfe stolzer als je ihr eigen nennen.

Vorher wird eine Menge der interessantesten Wiedersehungsscenen in alten Vaterlande stattfinden und menschliche Eitelkeit wie berechtigter Stolz ihre Triumphe feiern. Der arme czechische Junge, der vor fünfundzwanzig Jahren sein Dorf im Böhmerwald verließ, kehrt jetzt als San Francisco-Großhändler mit einer zarten spanischen Frau in die heimathlichen Thäler zurück, sein Kind wird von einer englischen Gouvernante bedient. Aehnliche Fälle lagen in genügender Anzahl vor; mittellose Personen befanden sich nur äußerst wenige auf dem Schiff. Eine derselben, ein Mann, der in New-York ein Jahr sich mit Lumpensammeln ernährt und jetzt nach Saarlouis, seiner Heimath, zurückreiste, ließ eine Collecte für sich veranstalten, weil ihm noch verschiedene Thaler zur Fahrt von Bremen nach Rheinpreußen fehlten. Noch schlimmer war ein Büchsenschmied aus Würtemberg daran, den chronischer Rheumatismus des Gebrauchs seiner Glieder seit mehreren Jahren beraubt und der jetzt im Wildbad Heilung suchen wollte, vorausgesetzt, daß ihm die Aufnahme als Armer in das freie Hospital gelingt. Auch für diesen vom Schicksal Verfolgten wurde gesammelt.

Ein weit härteres Geschick erwartete jedenfalls die Ochsenfrösche, welche Dr. Morgan von New-York dem bekannten Professor Dubois-Reymond in Berlin per Amerika übersandte, damit sie im Interesse der Wissenschaft trepanirt und sonst mißhandelt werden, um der „Materie“ über den „Geist“ zum Siege zu verhelfen. Eine allerliebste Tigerkatze von Neu-Granada, die während der Fahrt in Folge des Schaukelns und der kühlen Temperatur tiefsinnig geworden, lebte in Bremen unter der warmen Sonne neu auf und hat jetzt im zoologischen Garten zu Hannover reiche Muße, über die verlorene Schöne am Orinoco nachzudenken.

Charakteristisch für die von den Vereinigten Staaten herüberkommenden Passagiere ist das Selbstvertrauen und die Sicherheit, mit der sie überall auftreten; es sind großentheils vielgereiste Leute, die ihren Cursus mit Nutzen durchgemacht. Ein ganz anderes Lebensbild giebt eine Fahrt von Bremen nach New-York, wenn, wie man in den Vereinigten Staaten sagt, „grüne“ Deutsche die Mehrzahl der Passagiere bilden. Schon der Umstand, daß auf der Reise von New-York die erste Kajüte überfüllt, nach New-York dagegen meist leer ist, beweist die Verschiedenheit von Lebensanschauung und Lebensstellung.




Ein Sohn Thüringens.

„Ein Sohn des sang- und liederreichen Thüringens, der seine Lieder voll tiefer Naturempfindung, voll reinen Menschengefühls, voll wahrhafter Poesie gesungen und erlebt hat auf langer Wanderschaft. Er hat ein gut Stück gesehen von ‚der schönen, weiten Welt‘, zu der’s ihn so sehnsüchtig hinauszog über die grünen Waldberge seines heimathlichen Thales. Aber zuletzt hat’s ihn doch nicht gelitten da draußen in der Fremde, fern von der Heimath, und er hat all die Herrlichkeit der Welt verlassen und ist wieder zurückgekehrt in den grünen Waldfrieden seines thüringischen Heimatthales. Da bin ich ihm begegnet und hab’ ihn kennen gelernt zu guter Stunde unter seinen Büchern und Naturstudien, bin mit ihm gewandert manchen schönen Tag und hab’ es ihm auf den Kopf zugesagt, daß er ein Dichter sein müsse, ohne daß ich wußte, ob er jemals ein Gedicht gemacht; und eigentlich wußte das fast Niemand, kaum er selber. Er war der einzige lyrische Poet unter den unzähligen, die mir in meinem Leben bekannt geworden, von denen das alte Wort: ‚Dichter lieben nicht zu schweigen, wollen sich der Menge zeigen‘ etc. nicht galt.“

Mit diesen warmen Worten charakterisirt Adolph Stahr in der Einleitung seiner Ausgabe von Berthold Sigismund’s „Liedern eines fahrenden Schülers“, treffend eine der hervorragendsten Seiten des zu früh von uns geschiedenen, uns unvergeßlichen Dichters und Schriftstellers, sinnigen Naturforschers, hingebenden Jugend- und Volksfreunds. Auch die „Gartenlaube“ verlor in ihm einen vieljährigen, gediegenen Mitarbeiter, und sie glaubt nur die Pflicht der Dankbarkeit gegen den Hingeschiedenen zu erfüllen, wenn sie ihren Lesern das ansprechende Bild seines Lebens vorführt.

Ja, das „Wandern und Singen“ in heimathlicher Natur war seine größte Lust und Freude! „So fröhlich, frisch und vogelfrei in’s Blaue fortzustreben, die schöne, weite Welt zu sehen“, das war von Jugend auf sein sehnsüchtiges Verlangen!

Die ersten Stiefeln trug ich
Und saß am Berg allein,
Da sann und sann und frug ich:
Wie muß es drüben sein,
Jenseits der Berge Zinnen,
Dort hinter’m Waldessaum?
Des Tags war das mein Sinnen,
Und Nachts war das mein Traum.

Den Vater fragt’ ich schüchtern;
Doch lächelnd sagt er mir:
‚Glaub’ Träumen nicht und Dichtern!
Dort ist es grad wie hier.‘
Nein, nein, was hold mir träumte,
Ist wohl des Suchens werth!
Ungläubig ich mir zäumte
Geheim mein Steckenpferd,

Und ritt im schnellsten Traben
Den steilsten Berg hinauf;
Doch da verfolgt den Knaben
In sorglich schnellem Lauf
Die Mutter, und sie sperrten
Mich hinter’n Fliederzaun;
Ich sollte nicht die Gärten
Jenseits der Berge schaun.

Zerbrochen ist das Pferdchen,
Das ich als Knabe ritt,
Doch läuft mein Steckenpferdchen
Noch jetzt denselben Schritt.
Wenn Berge vor mir blauen,
Da bin ich gleich entbrannt,
Dort hinter’m Berg zu schauen
Das wunderschöne Land.

Wandernd und singend belauscht er die Natur bis in die Tiefen ihrer geheimsten Werkstätte; als rüstiger Wanderer durchforscht er mit offenem Auge und Herzen Land und Leute; wandernd und singend bringt er selbst den Leidenden Trost und Hülfe; auf weihevollen Spaziergängen lehrt er seine Kinder und Schüler die irdische Heimath kennen und lieben – auf fröhlicher Wanderschaft gebietet ihm endlich der Tod das unerbittliche Halt.

Das Leben eines reichbegabten, edlen Mannes, selbst wenn es, wie das unseres Sigismund, in seinen äußern Verhältnissen nichts Ungewöhnliches bietet, ist stets lehrreich und anziehend, erhält aber ein höheres, psychologisches Interesse, wenn sein Bildungsgang die zu duftigen Blüthen und segensreichen Früchten sich entwickelnden Keime und Knospen schon früh gelegt und sorgfältig gepflegt erkennen läßt. Auch Sigismund’s Werden und Wesen, seine Gefühls- und Anschauungsweise wurzelt unverkennbar in der goldnen Jugendzeit und in den glücklichen Verhältnissen seiner ersten Umgebung. In Stadtilm im Schwarzburgschen am 19. März 1819 geboren, verlebte er den größten Theil seiner Jugend in Blankenburg am Thüringer Walde, dem Wohnsitze seiner Voreltern, wohin sein Vater als Justizamtmann 1828 versetzt wurde. Die Lage dieses Städtchens im freundlichen Thalschooße der Rinne, gehoben durch die auf steil emporragendem Berge thronenden Ruinen des Greifensteins, ist so reizend, daß selbst Fürst Pückler einst entzückt äußerte: „Hätte ich nicht Muskau, möchte ich Blankenburg haben!“ Hier in den stillen Thälern mit dem traulichen Wellenrauschen, in den tiefen Felsgründen mit ihren heimlichen Waldesschluchten, bei den ernsten Denkmälern der Vorzeit sog sein weiches, für Naturschönheit empfängliches Gemüth die ganze Zauberfülle der Romantik ein, empfing er den Weihekuß des Genius, der seine Dichtungen, sein ganzes Wesen durchweht. Und wer die „unschuldigen, liebevollen, naturwahren Poesien des fahrenden Schülers recht genießen, die [540] schlichte Einfalt und Keuschheit ihrer Sprache ganz verstehen will, muß selbst hinauswandern in das tannengrüne, waldduftige Thüringer Land –

Wer den Dichter will versteh’n,
Muß in Dichters Lande geh’n.

Hier in einer Natur von seltener Reichhaltigkeit der Thier- und Pflanzenformen, von mannigfaltigen Gebirgs- und Steinarten wurde er als Knabe schon zum Beobachten und Forschen angeregt, trieb er als „kleiner Wildfang“ auf einsamen Streifzügen in Wald und Feld seine ersten Naturstudien, lernte er schon früh den hohen Werth selbstgefundener Wahrheiten ahnen und die beseligendsten Freuden im Umgange mit der Natur empfinden. Eine sorgfältige häusliche Erziehung wirkte nicht minder bestimmend auf seine Geistes- und Herzensbildung. Berthold fand gerade in seiner engeren Familie die trefflichsten Vorbilder christlicher Tugenden und athmete früh den Geist der Liebe und Demuth im elterlichen Hause. Neben dem Unterrichte der Bürgerschule bereitete ihn der treusorgende Vater selbst für das Gymnasium zu Rudolstadt vor und hatte die Freude, seinen dreizehnjährigen Sohn als Secundaner aufgenommen zu sehen; während die treffliche Mutter, eine sorgsame, fromme Hausfrau, den Hauptgrund zu seiner Herzensbildung legte. Seine würdige Großmutter, die er uns als eine „einfache, brave, resolute Thüringer Bürgerfrau, schlecht und recht und gottesfürchtig“ schildert, weckte in ihm den frommen Sinn, das Sehnen nach sittlicher Vollkommenheit. „Geheimes, ahnungsvolles Grauen“ erfüllt den kleinen Knaben, wenn er die altehrwürdige, mit hohen Zwillingsthürmen in herrlichen Sculpturen gezierte Kirche seiner Vaterstadt ungesehen betritt und im „heißen, stillen Gebet hofft – Gott zu sehen“. – An seinen Eltern und sechs jüngeren Geschwistern hing er mit der innigsten Liebe; sein einziger Bruder war ihm der „treueste Herzensfreund“; nirgends fühlte er sich glücklicher, als im trauten Familienkreise, „wo die Schwestern eifrig drehn die Rädchen“ und „des Mütterleins Segen lieblich wie Maiduft waltet“, so wurde ihm in frühester Tugend das hohe – und leider jetzt so seltene – Glück eines innigen Familienlebens zu Theil und blieb ihm Bedürfniß für das ganze Leben. Fern von dem elterlichen Hause, in der „Großstadt Gebrause“, umschwebt ihn stets das Bild der wonnigstillen Heimath, und mit „traurigsüßem Sehnen“ gedenkt er in seinen Liedern oft des theuern Vaterhauses.

Ohne Heimath wäre der Sterne
Gesegnetster mir öd und leer.
Zu Haus ist doch das rechte Glück!

Diesen Sinn für trautes Familienleben, die schönste Mitgift des väterlichen Hauses, trug er auch als Mann in seinen eignen Hausstand über. Er war es, der in ihm das warme Interesse und die hingebende Liebe für Kinder und Kindererziehung erweckte und ihm durch das ganze Leben ein genügsames, kindlichfrohes Herz erhielt. Goethes Ausspruch, daß das, „was sogar die Frauen an uns ungebildet lassen, die Kinder ausbilden, wenn wir uns mit ihnen abgeben“, hat sich an Sigismund im vollsten Maße bewahrheitet.

 Unsre Welt
Wär’ ohne Kinder schlecht bestellt;
Ein Gastmahl wär’ sie ohne Wein,
Ein Sonntag ohne Sonnenschein,
Ein Garten ohne Blumenzier,
Ohn’ Drosselschlag ein Waldrevier,
Ohn’ Sang und Klang ein Hochzeitsfest.

Und als ihm selbst die „höchste Ehre und Freude dieser Erde“, Vater zu sein, bescheert wurde, erschien ihm kein Gegenstand der Naturforschung würdiger, als das nächste und theuerste Wesen, die Entfaltung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu beobachten, Knospe um Knospe zu belauschen. Eine Frucht dieser mit liebendem Vaterblicke gemachten Studien war das Schriftchen „Kind und Welt“ (Braunschweig bei Vieweg 1856), eine genetische Anthropologie, allgemein faßlich, mit tiefem, naturtreuem Verständniß und der ganzen Liebe eines herzigen Kinderfreundes geschrieben. Ammon empfiehlt in seinem bekannten Werke „Die ersten Mutterpflichten“ dieses liebliche Büchlein allen Eltern und Kinderfreunden, die Freude an Kindern und den Wunsch haben, sich über die Entwickelung derselben an der Hand ruhiger Beobachtung zu unterrichten. Die Fortsetzung bildet ein anderes Schriftchen, „Die Familie als Schule der Natur“ Leipzig bei Keil), gleich jenem aus Selbstbeobachtung hervorgegangen und durchweht vom Geiste sinniger Naturforschung und weiser Pädagogik, in welchem Sigismund allgemeine Regeln über den naturkundlichen Unterricht giebt und die von ihm erprobte Methode darlegt, das Kind vom zartesten Alter in die Natur einzuführen, dasselbe durch eigene Thätigkeit die Natur anschauen, denkend betrachten und ästhetisch auffassen zu lehren.

So suchte Sigismund den Familienkreis zur Schule der Natur und zur Quelle der reinsten Freuden zu machen; ja, wir dürfen dieses Streben als eine seiner hauptsächlichsten Lebensaufgaben, als Kernpunkt seiner schriftstellerischen Thätigkeit betrachten und die erwähnten Werke, so wie die zahlreichen Beiträge für diejenigen Journale, die für die Hebung des Familienlebens und für die belehrende Unterhaltung „am häuslichen Heerd“ wirken, als die besten Gaben bezeichnen, die wir ihm verdanken. Auch für die darstellende Kunst besaß unser Sigismund ein verständiges, feingebildetes Urtheil, war selbst ein geschickter Zeichner und Porcellanmaler – eine Kunst, zu der er ebenfalls als Knabe die erste Anregung durch einen befreundeten Maler in Blankenburg empfing – und würde gewiß als Künstler Vorzügliches geleistet haben, hätte er sein Talent nach dieser Seite hin ausgebildet. In seinen Gedichten liefert er uns so manches reizende Natur- und Genrebildchen voll Leben und Wahrheit, mit einer Farbenfrische gemalt, als sähen wir dasselbe unter dem Pinsel einer Meisterhand entstehen; seine „Thüringer Waldblumen“ und besonders seine „Idyllen und Genrebilder“ weist er mit so gewandter Feder und köstlichem Humor zu zeichnen, als sei er Ludwig Richters würdiger Schüler.

„An den Raphaels erbaut’ ich mich noch immer, doch ich seh’
Gern zu Zeilen auch ein Bildchen von Ostad und Teniers.“

Gediegene „Hausmusik“ und Gesang, vorzüglich Volks- und Kindergesang, liebte er außerordentlich, sang selbst einen schönen Bariton und trug namentlich die Schubert’schen Lieder mit tiefem Gefühle vor. Weniger begeistert war er für die Oper, „die er verstockt meidet, wenn ihn nicht der Mozart lockt“. Seine Kinder, so wie früher auch die Schwestern, unterrichtete er selbst im Clavierspielen und singen.

Mit Sigismund’s Streben, das Familienleben zu vertiefen, steht sein reges Interesse für das Volk und dessen Naturgeschichte im engsten Zusammenhang. Wenn das Volksleben in der Familie und Kindererziehung seine Grundpfeiler hat, so betrachtete er auch dessen Erforschung und Veredlung als nächste Lebensansgabe; wie das Kind, so war auch die Kindheit der Völker ihm höchster Gegenstand seiner Theilnahme. In der That, es gehörte zu seinen schönsten Freuden, die mannigfaltigen Lebensformen und Berufsthätigkeiten der Menschen, zumal der Gebirgsbewohner zu beobachten, die ja ihre Kindheit am treuesten bewahrten. Die Fragen, welche Wohnungs- und Kleidungsformen, welche Speisen, welche Gewerbe, welche wirthschaftliche und sittliche Zustände, welche Gebräuche, welche Erzeugnisse der bildenden Kunst und Volksdichtung sich bei den Bewohnern einer Gegend vorfinden, ob sie denselben eigenthümlich und durch welche natürliche und geschichtliche Einflüsse sie bedingt sind – diese Fragen hielt er ebenso sehr der Untersuchung werth, wie die Erforschung von Flora und Fauna eines Landes; eine vergleichende Ethnographie der deutschen Gebirgsbewohner bezeichnet er als ein würdiges Strebeziel für die vereinigten Kräfte derer, welche für das deutsche Volksthum Sinn haben. In seiner schlichten, herzgewinnenden Weise verstand er es aber auch, mit dem Volke, selbst mit den niedrigsten Leuten, zu verkehren und sich in die Lage und Weltanschauung armer Menschen zu „träumen“. „Das Loos der glücklichen Armuth erscheint wirklich zuweilen so reizend, daß man wenigstens auf einige Zeit aus der eigenen Haut fahren und sich in eine fremde stecken möchte.“ Eine besondere Gabe besaß er, sich auf ungesuchte Weise die Mundarten, Redefiguren und Sprüchwörter verschiedener Gegenden anzueignen, und hatte überhaupt ein tiefes Verständniß für Geist, Sprache und Dichtung des Volkes. Kurz, er war ein vortrefflicher Beobachter, dessen feine Fühlerfäden überall hinreichten, ein kenntnistreicher, liebevoller Maler des Volkslebens, der mit gleichem Geschick die industriellen Verhältnisse, wie die geschichtlichen Momente und das Volksthümliche darzustellen wußte. Nächst seinen pädagogischen Schriften gehören daher seine ethnographischen Schilderungen zu dem Vorzüglichsten, was aus diesem Gebiete geleistet worden ist. Sauberkeit der Form, Reichthum und Gediegenheit des Inhaltes, klare, anmuthige Naturschilderung zeichnen [541] seine Schriften über den Thüringer Wald, das Voigtland, die Lausitz, das sächsische Erzgebirge aus.

Daß er die ethnographischen Verhältnisse der engern Heimath zu seinem ganz besondern Studium machte, läßt sich erwarten. Es war ihm daher kein Auftrag ehrenvoller und willkommener, als der seiner Regierung, eine Landeskunde für das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt zu bearbeiten. Er unterzog sich der eigenthümlich schwierigen und mühsamen Aufgabe mit ganzer Liebe und mit einem Fleiße, dessen er sich nach dem Ausspruche Lessing’s mit Recht selbst rühmen kann. Diese Landeskunde, von welcher leider nur die Oberherrschaft Schwarzburg-Rudolstadt vollendet wurde, die Bearbeitung der Unterherrschaft Frankenhausen aber kaum bis zu den Vorarbeiten gedieh, ist ein würdiges Seitenstück des rühmlichst bekannten Werkes von Brückner über das Herzogthum Meiningen.

Sowie wir Sigismund’s Eigenthümlichkeiten als Dichter und Naturforscher, als Förderer der Jugenderziehung in seinen heimathlichen Verhältnissen begründet fanden, so läßt sich auch die Vorliebe für Volk und Industrie in ihren äußersten Wurzelfäden bis in seine Jugend verfolgen, und sie fand in dem spätern Leben immer neue und reichere Nahrung. Als Knabe mit keck-ritterlichem Wesen lebt und webt er in den Spielen der Jugend, versteht er es, als kleiner Tausendkünstler allerlei Apparate und Spielzeuge herzurichten, und keiner seiner Cameraden war geschickter in der Anfertigung von Weidenflöten, Pfeifen und sonstigen Orchesterinstrumenten zu jenen lieblichen Frühlingsconcerten, die er uns so ergötzlich und mit seliger Jugenderinnerung in „des Knaben Lust und Lehre“ schildert. Unter schlichten, fleißigen Bürgern aufgewachsen, lernte er schon früh ihre volksthümlichen Sitten und Gebräuche, ihre Beschäftigungen und Gewerbe kennen und wurde selbst von seiner Großmutter zu ländlichen Arbeiten angehalten. In der Tischlerwerkstatt seines Nachbars war er täglich zu finden und nahm an diesem Handwerk ein so großes Interesse, daß er seinen Vater dringend bat, ihn doch Tischler werden zu lassen. Der Vater hatte Mühe, diese Neigung zu bekämpfen, und mußte ihm wenigstens gestatten, neben seinen Gymnasialstudien zu Rudolstadt noch zu tischlern. Durch’s ganze Leben widmete er den Gewerben eine liebevolle Aufmerksamkeit und war um die Förderung derselben bemüht. Der junge Tischler machte übrigens auf der Schule die glänzendsten Fortschritte und erwarb sich die Liebe seiner Lehrer in so hohem Grade, daß er schon im achtzehnten Lebensjahre mit den besten Zeugnissen zur Universität entlassen werden konnte. Die Wahl des Berufes wurde ihm schwer. Er hatte Neigung zum Lehrerberuf, allein seine Liebe zu den Naturwissenschaften und sein warmes Mitgefühl für die Leiden der Menschen bestimmten ihn, wider Erwarten seiner Eltern und Lehrer, die medicinische Laufbahn zu ergreifen. Er studirte von 1837–1842 zu Jena, Leipzig und Würzburg, wurde von letzterer Universität zum Doctor promovirt und ließ sich als praktischer Arzt in Blankenburg nieder. Kränklichkeit, mit der er von Jugend auf zu kämpfen hatte, aber in noch weit höherem Grade der lebhafte Drang nach Erweiterung seines geistigen Horizontes, sowie der Wunsch, auch anderwärts Land und Leute kennen zu lernen, veranlaßten ihn, im Jahre 1843 seinen ärztlichen Wirkungskreis zeitweilig aufzugeben und als Hauslehrer in die Schweiz zu gehen.

Berthold Sigismund.

Der Aufenthalt in der Schweiz und zumal die mit seinem Zögling unternommenen Alpenreisen gehörten zu seinen angenehmsten Erinnerungen. Ein Universitätsfreund aus England, durch dessen Umgang er in die englische Literatur eingeführt worden war, verschaffte ihm hierauf eine Stelle als Lehrer der deutschen Sprache und Naturgeschichte zu Worksop[WS 1] bei Nottingham. Nach einjährigem Wirken an dieser Schule und mehrmonatlichem Verweilen in London, während welcher Zeit er Englands Sprache und Volk eifrigst studirte, begab er sich nach Paris, um dort die medicinischen Studien fortzusetzen. Bedenklich leidend, aber „mit hellerem Kopfe“ kehrte er im September 1845 zu den lieben Seinen zurück, erholte sich bald unter der treuen Pflege derselben und trieb mit neuem Eifer Naturwissenschaften und englische Literatur. Selbst die ärztliche Praxis wurde wieder aufgenommen. Mit welchem Samaritergeiste er als „schlichter Bauerndoctor“ wirkte, zeigt am deutlichsten seine Gedichtsammlung „Asclepias, Bilder aus dem Leben eines Landarztes“ (Leipzig bei Wöller); sie ist das schönste und rührendste Zeugniß seines tieffühlenden Menschenherzens. „Ein treuer Krankenwärter, der theilnahmsvoll die armen Leute pflegte und weicher ihre Schmerzenskissen legte“, beklagt er es nicht, wenn ihm der Beruf selbst am Sonntag keine Ruhe und Erholung läßt:

„Ich finde, und das ist mein schönstes Fest,
Auch Sonntagsfreuden an dem Werktage.“

Freilich kam er bei seiner Praxis auf „keinen grünen Zweig“ und opferte ihr noch dazu seine Gesundheit; dagegen fand er in derselben mehr denn je Gelegenheit, seine Volks- und Menschenkenntniß zu erweitern und seine menschenfreundliche, edle Gesinnung zu bethätigen. Auch nach einer andern Seite hin geschah dies, als ihn das Vertrauen seiner Mitbürger zum Oberbürgermeister in Blankenburg wählte. Dieses Amt, dessen Verwaltung in die verhängnißvollen Jahre 1846–1850 fiel, brachte ihm aber auch trotz seiner Redlichkeit, Milde und Freundlichkeit gar manche bittere Erfahrungen, deren er jedoch später nur lächelnd gedachte, und er folgte daher um so lieber dem Rufe als Professor der Naturwissenschaften und der englischen Sprache an das Gymnasium zu Rudolstadt, als ihm diese Stellung einen Wirkungskreis bot, der ganz seiner Neigung und Befähigung entsprach. Ruhe und Milde, Liebenswürdigkeit und Charakterstärke, klarer, anziehender Vortrag machten seine Lehrerwirksamkeit zu einer höchst segensreichen. Als gewiegter, umsichtiger Schulmann zeigte er sich namentlich in seiner letzten Schulrede über die Einführung Shakespeare’s als Schulschriftsteller. Zu Ende des Jahres 1851 verheirathete er sich, ein Schritt, der sein Lebensglück zu einem vollkommenen machte. Von dieser Zeit an entfaltete er trotz seiner wankenden Gesundheit eine Thätigkeit, die wahrhaft bewunderungswürdig zu nennen ist, wenn man bedenkt, daß er neben den zahlreichen Berufsgeschäften und Privatstunden nicht nur die eigenen Kinder unterrichtete und leitete, sondern auch noch Zeit erübrigte, seine Lieblingsstudien zu pflegen und nach außen durch Wort und Schrift gemeinnützig zu wirken. Der Gewerbeverein, dessen Präsident er war, die Fortbildungsschule [542] für junge Handwerker und andere Vereine hatten in ihm einen eifrigen Förderer und verdanken seinen populärwissenschaftlichen Vorträgen die vielfachste Belehrung und Anregung. An das Leben machte er die bescheidensten Ansprüche, zumal ihm seine Kränklichkeit zur Entsagung manchen Genusses zwang; dafür fand er aber in seinen Ferien-Wanderungen, nah und fern, und in seiner schriftstellerischen Thätigkeit die vollste Befriedigung und süßeste Erholung.

Beschäftigt mit der Idee, ein größeres Werk über die Industrie des Thüringer Waldes zu schreiben, griff er, wie alljährlich, so auch in den Ferien des letzten Sommers zum Wanderstabe; sein elfjähriges, wißbegieriges Söhnchen begleitete ihn. Treu dem Grundsatze des alten Weisen „Omnia mea mecum porto“ trug er stets – und auch auf dieser seiner letzten Wanderung – das ihm von seinen Schülerfahrten her lieb und theuer gewordene „Ränzel von Seehundfell, wie es paßt zum Wanderstabe“, und fast wäre dasselbe auch sein Sterbekissen geworden. – Rüstig kam er am 3. August v. J. nach einem mehrtägigen anstrengenden Gebirgsmarsche in Schnepfenthal an, um von da aus unter Führung eines befreundeten Collegen und Gesinnungsgenossen den an Naturschönheit und Industrie so reichen nordwestlichen Theil Thüringens genauer kennen zu lernen. Genußreiche, glückliche Tage verlebten die Freunde auf ihren gemeinschaftlichen Wanderungen – es waren die letzten des „fahrenden Schülers“! Denn als er das interessante Städtchen Schmalkalden verließ, um das Land der armen Nagelschmiede, den wenig gekannten Gebirgswinkel von Oberschönau, aufzusuchen, befiel ihn auf offener Waldstraße sein altes Magenleiden und zwang ihn zur Umkehr. Mit Mühe und Noth erreichte er seine Heimath Rudolstadt und in Folge wiederholten Blutbrechens endete sein reiches, edles Leben am 13. August 1864.

Berthold Sigismund’s Ruf als naturwissenschaftlich-pädagogischer Volksschriftsteller ist ein wohl und fest begründeter. Wenn Schiller als Erforderniß einer guten Volksschrift hinstellt, „dem ekeln Geschmack des Kenners Genüge zu leisten, ohne dadurch dem großen Haufen ungenießbar zu sein, sich an den Kinderverstand des Volkes anzuschmiegen, ohne der Kunst von ihrer Würde zu vergeben“, und die Popularität als eine so schwierige Aufgabe bezeichnet, „daß ihre Lösung der höchste Triumph des Genius genannt werden müsse“ – so hat Sigismund durch seine Arbeiten bewiesen, daß diese Aufgabe keine unmögliche sei. Wahre Musterstücke hat er in populär-naturwissenschaftlichen Abhandlungen geliefert; und wie manches Treffliche hätte sein rastlos strebender Geist uns noch hinterlassen, wenn ihn nicht der Tod so früh vom thatenkräftigen Leben abgerufen. Um so frischer möge sein Gedächtniß bei Alt und Jung im Vaterlande sich erhalten!




Eisstatuen und Pechmasken.
Ein Sittenbild aus dem alten Rußland.

Es gab früher in Rußland zwei Arten, überflüssige Menschen vom Leben zum Tode zu bringen, die an und für sich so originell, national und echt kalmückisch sind, daß sie immerhin unter andern Denkwürdigkeiten eine kleine Stelle verdienen. Beide mögen vielleicht schon von russischen Schriftstellern zu romantischen Effecten benutzt worden sein, aber eine historische Untersuchung über dieselben dürfte für Deutschland wenigstens noch nicht existiren. Ich bin nun viel zu unwissend und „étourdi“, um eine ernste geschichtliche Abhandlung zu schreiben, aber was ich gelegentlich über die beiden Todesarten erfahren habe, will ich hier erzählen. Von den Eisstatuen hörte ich zum ersten Male in Perojaslaw. Ich stand mit einem russischen Militärbeamten am geschlossenen Fenster und wir schauten plaudernd durch die von der Kaminwärme zerfließenden Eisblumen hindurch auf die schneebedeckten Wirthschaftsgebäude und Stallungen des Verpflegungsmagazins hinaus. Die Luft und der Nebel draußen gefroren zu feinen Nadeln, die spitzig gegen die Scheiben raschelten.

„Sehen Sie dort den Baum an,“ sagte ich, „er hat eine förmliche Eiskruste; man sieht gar nichts von einer Rinde. Alles ist Diamant. Alles glänzt und glitzert, er ist dick überzogen und versteinert. Wissen Sie, daß es bei einer solchen Eisluft, wie heute, wo der Hauch im Fluge zu festen Eiszapfen friert, nicht schwer sein müßte, ganze Häuser mit einer solchen Diamantkruste zu überziehen?“ fuhr ich in meinem launenhaften Gedankengange fort. „Man braucht nur immer neues Wasser über das Dach zu schütten, welches jedenfalls im fließen schon frieren würde, und so …“

„O ja, nur ist die Idee leider nicht mehr neu. Man hat hier zu Lande schon aus Allem Eisbilder gemacht. Aus wirklichen Bäumen, Häusern und Menschen.“

Ich lachte. „Aus wirklichen Menschen?“

Pan Ignazy Wladimirowitsch Repin schaute mich mit seinen ruhigen grauen Augen an. „Freilich, aus wirklichen Menschen. Wo bliebe denn sonst der Witz?“

Das war kein Scherz mehr. Ich fragte und erhielt Bescheid.

„In den barbarischen Zeiten der früheren Jahrhunderte hat mancher Herr seinen Sclaven, der eben eine Strafe verdiente, zu seinem Ergötzen oder zur Ueberraschung seiner Gäste auf diese Weise gemordet.“

„So grausam gemordet? Es ist nicht möglich!“ sagte ich, indem ich fröstelnd vom Fenster zurücktrat und mich an’s warme Feuer flüchtete.

„Und doch ist’s so.“

„Wie ging das zu?“

„Sie wollen es hören?“ lächelte Wladimirowitsch mit seinen entsetzlich dicken, echt kaukasischen Lippen. „Sie haben Vergnügen an solchen Geschichten? Ich dachte, Sie hätten ein weiches Herz.“

„O ja, wir Enthusiasten haben alle weiche Herzen. Aber ich höre doch für mein Leben gern Etwas, wobei es Einen gruselt. Je schrecklicher, desto besser.“

„Ja, Dichtungen.“

„Nein, nein, Wirklichkeit.“

„Nun, mein lieber Herr mit dem weichen Herzen, mit Wirklichkeiten können wir Ihnen hier in Rußland dienen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen. Also Sie wollen wissen, wie das zuging. Sie konnten sich an keinen Besseren wenden. Ich habe die Beschreibung noch aus dem Munde meines Großvaters; der hat selber noch einer solchen Execution beigewohnt. Die grauen Zeiten des Mittelalters sind bei uns erst ein hundert Jährchen vorüber. Also, man stellte den zu bestrafenden Leibeigenen mitten in den Hof (es mußte natürlich ein Tag sein, wie dieser, wo die Vögel in der Luft und die Luft selber erfroren) und band ihn an einen Pfahl. Dann goß man einen Kübel Wasser über ihn aus. Der ganze Mensch fing sogleich an zu rauchen, wie ein Schlot. Aber schreien konnte er nicht. Die übergroße plötzliche Kälte preßt den Magen und die Kehle zusammen und erstickt den Schrei. Dann kam der zweite Kübel, dessen Wasser schon hängen blieb und in trägen, dicker werdenden Tropfen über den Körper kroch. Beim dritten Xübel klebten bereits die Augenlider und die Lippen zusammen und alle Glieder waren mit einer dünnen Eiskruste überdeckt. Nun ein Kübel nach dem andern, damit man die häßlichen Züge nicht mehr sehe, bis nur noch ein unförmlicher, abscheulicher, glitzernder, weißdurchsichtiger Klotz übrig war, über dem die Nacht nicht schnell genug hereinbrechen konnte.“

Der Leser, der in der traulichen sommerlichen Gartenlaube diese Schilderung liest, während bunte Schmetterlinge über das Haidekraut flattern und die brennenden Blumen um ihn herum duften, nicht wahr, er schauert trotz seiner Behaglichkeit mit mir und fragt sich, ob es möglich ist, daß es Menschen (Menschen!) gab, die so grausame Strafen ersannen und so grauenhafte Scherze trieben? Aber ich holte mir in den Büchern des Ignazy Wladimirowitsch Gewißheit. Ich rede hier nicht von Romanen oder Sagen, sondern von historisch beglaubigten Begebenheiten, die in ehrwürdigen schweinsledernen Chroniken stehen. So war nach Karamsin im Jahre 1666 der Bauer Kantemirù aus der Ukraine auf diese Art dafür bestraft worden, daß er vom Czaren übel sprach. Im Jahre 1770 wurde ein Edelmann von der Kaiserin Katharina zu einer Geldstrafe verurtheilt und auf Lebenszeit vom Hofe verbannt, weil er einen seiner Leibeigenen mit „kaltem Wasser überschütten ließ, bis er erfroren war“. Die Sache war dadurch herausgekommen, daß der damalige Günstling Lanskoi auf dem Wege nach Nowgorod sich nach dem unheimlichen Klumpen erkundigte, den man auf die Straße geworfen hatte. In den [543] letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde noch ein Hausdieb auf dem Gute Starobjelsk in der Ukraine auf diese Art vom Leben zum Tode gebracht, wie der Chronist Nikititsch Murawiew erzählt. –

Wir kommen nun zu einer andern sarmatischen Art des Sterbens.

Es war ein unfreundlicher, finsterer Herbstabend, als ich in der Rumpelkammer eines Landhauses in Weißrußland zwischen vermoderten Scharteken, mottenzerfressenen Portraits, rostigen Schwertern und zerfaserten Lederwämmsern herumkramte. Der allerälteste Kram des Hauses war da aufgethürmt unter einer dichten Lage von Staub und Spinnweben. Der Vater des jetzigen Besitzers hatte augenscheinlich den schüchternen Versuch gemacht, ein Familien-Antiquarium anzulegen, aber es war beim Versuche geblieben und die letzten Trümmer dieses Versuches kollerten den Mäusen zum Spielzeug in zersprungenen und zerklüfteten Kisten umher.

Ich wendete schon seit einer Viertelstunde einen unenträthselbaren Gegenstand zwischen den Händen bin und her und wurde doch nicht klug daraus. Es war ein schwarzes, hartes unförmliches ausgehöhltes Ding. Endlich nahm ich es entschlossen unter den Arm und ging auf die Thür zu, um Herrn Wassylkoff in seinem Billardzimmer aufzusuchen und ihn über diese hieroglyphische Familienreliquie zu examiniren. Denn neugierig bin ich wie eine Elster. Ehe ich aber noch die Thür erreichte, stolperte ich über den Bedienten, den ich zu meinem Cicerone ernannt hatte, der aber in einem Winkel der Rumpelkammer eingenickt war. Der Alte war eine echte Hauseule. Er wußte jeden Stein des Hauses zu legitimiren, er war ja da geboren worden. Und er erbot sich, mir jede erforderliche Auskunft zu geben über das schwarze Ding, welches nichts anderes war als eine Pechlarve.

„Pechlarve, zu welchem Zwecke?“ Und ich wollte sie probiren. „Da erstickt man ja darunter?“

„Das soll man eben.“

„Wie so, das soll man? Unsinn!“

„Jawohl. Die Pechlarve drückt man den Personen über’s Gesicht, die man ersticken will.“

„Die man … Davon habe ich ja mein Lebtage nichts gehört. Und am Ende ist unter dieser Maske schon jemand ..?“

Der Alte schaute sich bedächtig um. „Das will ich meinen. Das ist eine Reliquie. Der Großonkel des gnädigen Herrn ist damit von seinem Bruder erstickt worden.“

Rußland ist ein seltsames Land. Man tritt da mit jedem Schritte, den man in die Vergangenheit thut, in eine Blutlache. Ich drehte das unheimliche schwarze Ding noch zwei Secunden hin und her und legte es dann zart, aber eilig in die Kiste zurück. Unter dieser dunklen Masse war ein Todesschrei erstickt worden, Todesschaum hatte an der inneren hohlen Seite geklebt! Ich wischte mir die Hände an meinem Rocke ab, daß sie brannten, obwohl sie nicht beschmutzt waren. Und der alte Jordaki erzählte mir in seiner naiven Weise: „Wenn man Jemanden ermorden will, wartet man, bis er schläft. Dann drückt man ihm die Larve über’s Gesicht, aber sie muß frisch sein, damit sie überall anklebt und nicht etwa durch krampfhafte Gegenwehr entfernt werden kann. Es giebt da nur ein Zucken und höchstens einen dumpfen Seufzer, ehe der Mund verpicht ist. Man braucht kein Schreien zu fürchten, und es bleibt keine Spur.“

Der alte Jordaki beschrieb dies mit dem Gleichmuthe eines ausgelernten Gurgelabschneiders, und ich bin überzeugt, der gute Alte hat in seinem Leben keiner Fliege einen Flügel geknickt.

Abends fragte ich Herrn Wassylkoff über die Pechlarven, von denen ich früher nie Etwas gehört hatte. Er bestätigte mir, daß diese Art des Mordens zwar selten, aber schon dagewesen sei. Vor einigen Jahren noch sei in Jassy ein interessanter Rechtsfall dieser Art vorgekommen. Ein halbruinirter Handelsherr hatte seine reiche Mündel, deren einziger Verwandter er war, mit einer Pechlarve erstickt, um sie zu beerben. Die Sache war durch einen mitschuldigen Knecht an’s Licht gekommen, welcher mit seinem Blutlohne nicht zufrieden war und seinen Herrn durch die unverschämtesten Forderungen zur Verzweiflung getrieben hatte. „Aber wie kommen Sie eben heute auf die Pechlarven?“ fragte mich Wassylkoff zuletzt. „Sie haben gewiß beim Herumkramen die alte Maske unten entdeckt. Nicht?“

„Jawohl.“

„Ja, die ist merkwürdig genug. Durch sie ist dieses Gut auf meinen Zweig der Familie übergegangen,“ sagte Herr Wassylkoff, indem er den Rauch seiner Cigarre behaglich in die Luft blies.

V.




Blätter und Blüthen.


Mann oder Kind. So hell und laut wie das Beil des Thomas klang kein anderes Beil durch den Wald; so sicher und lustig wie er fuhr Niemand auf dem gefällten Stamm von der Höhe hinunter in die Tiefe; so lebensvoll und lebensselig jodelte kein Anderer auf den langen, breiten Flößen, die das prächtige Gehölz des Rheinlandes hinunter nach Holland brachten. Wo der Thomas mit anpackte, da ging Alles noch einmal so frisch und rasch und auch bei schwerster Arbeit noch einmal so leicht. Der „lustige Thomas“, der „tapfere Thomas“, der „prächtige Thomas“, so wurde er weit und breit genannt, und als er geheirathet hatte und einen Jungen bekam, da war er noch lustiger, noch tapferer und prächtiger, und seine Frau, die Gertrud, war ganz so wir er, und der Junge versprach es zu werden. Alle Welt hatte ihre Freude an den Dreien; die größte Freude aber hatte Eines an den Andern und ein Jedes wieder an sich selbst.

Auf einmal aber schlug der Blitz ein in das reiche Glück, der Blitz des Beiles, das der Thomas so mächtig im Forste schwang. Es war ein frischer Frühmorgen, da stand der Thomas schon vor einem Stamm, der gefällt werden sollte; seine Frau und sein Junge daneben, um hernach die Spähne zu sammeln, und es waren tüchtige Spähne, die der Thomas gewöhnlich herausschlug. Jetzt reckte er sein Beil hoch auf, warf die Blicke ihm nach, und als ein goldiger Sonnenstrahl auf des Beiles Schneide funkelte, rief der Thomas lustig zu Weib und Kind hin: „Seht Ihr die Sternschnuppe? Hui!“ und an dem niedersausenden Beil fuhr der goldige Strahl zur Erde nieder. War das nicht wirklich wie eine Sternschnuppe anzusehen? Doch Beil und Strahl streiften nur leise den Stamm, fuhren aber dem Thomas in den Fuß. Da gab es nun zwar nicht viel Thränen, aber doch ein großes Herzeleid und noch größer war die Sorge, wie der Mann nach Hause geschafft werde, denn es war noch kein Anderer auf dem Platz. Der Thomas war ja immer der Erste. Er war aber auch jetzt der Erste, der den Muth und die Laune nicht verlor und damit auch Weib und Kind wieder tapfer machte. Ein naher Bergquell gab das Wasser zum Auswaschen der schweren Wunde; der kleine, resolute Anton zog rasch sein Leinenhemdchen zum Verband aus, und als dieser sorgsam angelegt war, stemmte sich der Thomas, die großen, weißen Zähne fest zusammenbeißend, fest an sein Weib, faßte seines Anton’s Schulter an und meinte: „Na, nun rasch zu. Wir haben ja nicht weit bis daheim, und dann ist’s schon gut.“ Und um desto eher daheim zu sein, nahmen sie den Weg über die Eisenbahn; zwar den verbotenen, aber jetzt doch den richtigen, weil der nächste. Nun sollte jedoch das Unglück erst recht kommen, denn an der ersten Bahnschiene stieß der Thomas mit dem kranken Fuße an, stolperte, fiel vor der Bahn nieder und riß den Jungen so mit sich um, daß der mitten auf die Bahn zu liegen kam, aber an einem Schienenhaken hängen blieb und den Fuß brach. Beide konnten sich nicht rasch wieder erheben, und da kam auch schon der Dampfwagen herangebraust und zermalmend hin über den Anton.

So lautete die kurze, aber schreckliche Geschichte, wie sie vom Thomas und seiner Frau erzählt wurde zum Entsetzen und tiefsten Mitleid Aller, die sie vernahmen.

Aber es mußte dabei wohl noch ein besonderer, geheimnißvoller Umstand gewaltet haben, den Beide verschwiegen hatten; denn sie mochten trotz hundertfältigen Anfragens und drängenden Bittens die schreckliche Geschichte nur einmal erzählen und dann nie wieder. Sie verwiesen dann stets auf das, was sie schon gesagt hätten, und es war immer, als wenn ein kalter Schauer sie überlief, wenn sie auf’s Neue daran erinnert wurden. Das dauerte Jahre lang so. Und Jahre lang dauerte die tiefe Schwermuth, die von jenem Unglück an den ehedem so lustigen Thomas und besonders seine ihm so ganz ebenbürtig gewesene Gertrude ergriffen hatte. Das schwer verwundete Bein war längst geheilt; tapfer und tüchtig schwang der Thomas wieder sein Beil, stand die Gertrude ihm wieder zur Seite. Noth und Sorge waren gar nicht an sie herangetreten; die Liebe und Achtung Aller genossen sie nach wie vor, wie sie auch selbst sich einander liebten wie ehedem; kein Wort der Klage hörte man von ihnen, und dennoch, dennoch immer dieselbe tiefe Trauer, die jedes Lächeln von den Lippen der sonst so lustigen, lebensseligen Leute genommen hatte. War es denn einzig die tiefe Trauer um das verunglückte Kind? Bei solchen Naturen, wie sie von je es gewesen waren, so ganz und gar gesund an Leib und Seele, so resolut bei jedem Ungemach, so tüchtig an Verstand, so aus dem doppelten F F „frisch, fromm, fröhlich und frei“, bei solchen Leuten war das durchaus nicht zu denken. Es mußte und mußte da noch ein Geheimniß vorliegen, und lange Zeit bemühte ich mich, das Vertrauen der tief Betrübten zu gewinnen. Wohl reizte mich dabei ein lebhaftes psychologisches Interesse; ja, gestehe ich es offen: sogar ein criminalistisches, der leise Gedanke an die etwaige Möglichkeit irgend einer geheimnißvollen Unthat; hauptsächlich aber war es doch nur der Wunsch, helfen zu können und die wackern Menschen sich selbst und der Welt wieder zu geben, denen sie zu so heller Zierde und Freude gedient hatten. Indessen mußte ich gerade in meiner amtlichen Stellung mit der höchsten Vorsicht, mit dem äußersten Tact dabei zu Werke gehen. Wie es mir endlich gelang, das bleibe wieder mein Geheimniß und ist auch ganz nebensächlich bei demjenigen, was ich erforschen wollte. Genug, daß mir dies gelang; daß Frau Thomas mir einst, in Gegenwart ihres Mannes, ihr schwer gepreßtes Herz erschloß und Folgendes erzählte:

„Als ich meinen Anton bekommen hatte, war mir mein Mann noch lieber und war ich noch froher, wenn er bei mir saß. Aber ich konnte ihn [544] doch auch wieder zeitweis leichter missen als sonsten und horchte nicht mehr so ängstlich an Thür und Fenster, wenn er mal über die Zeit ausblieb. Ich sagte ihm auch wohl und lachte hell dazu: ‚Jetzt kannst Du mir schon gestohlen werden, jetzt hab’ ich mein Kind,‘ und dann lachte er auch mit dem ganzen Gesicht dazu und sagte: ‚Na, wenn Du das Kind allerweil lieber hast als mich, dann brauchst Du mich ja nicht mehr,‘ und dann ging er zur Thür hinaus und that grimmig bös. Ich wußt’ schon, daß er Uz trieb und hatte meine Freud’ dran und that auch so mit; so, als wenn ich mich gar nicht um ihn kümmern thät; aber mitten in der Freud’ und dem Uz klopfte mir doch das Herz und es wurde mir unruhig, bis er wieder den Kopf in die Thür steckte und mit seinen großen Zähnen mich anlachte und fragte: ‚Das Kind oder den Mann?‘ Da rief ich denn geschwind: ‚Den Mann, den Mann!‘ und wenn er nun hereintrat und ich ihn wieder bei mir wußte, dann wollt’ ich ihn wieder uzen und sagte: ‚Aber doch das Kind! Etsch!‘ Und dann nahm er mir das Bübchen von der Brust, schwenkte es hoch in die Höh’ und rief: ‚Ja, Du hast Recht!‘ Und dann hat er mich auch wohl um den Hals gefaßt und mir einen Kuß gegeben, und so hatten wir denn unsere tausend Freud’ an dem Streit.“

Frau Thomas machte eine Pause und sah vor sich nieder, während ihr Mann trübselig mit dem Kopfe nickte, als wolle er bestätigen, was die Frau erzählt hatte. Sie begann dann auf’s Neue:

„Ich mußte Ihnen das schon erzählen, Herr Amtmann, denn wenn’s auch wie weit abliegt von der Sach’, es gehört doch dazu; es hat uns ja darnach gar schrecklich viel zu denken gemacht und wir haben gemeint, es sei eine Sünd’ gewesen mit dem Uz, den wir so trieben, weil’s gar so schrecklich Ernst damit wurd’.“

Die Erzählerin war so ergriffen, daß sie einige Augenblicke nicht sprechen konnte: dann blickte sie zu ihrem Mann auf, gleichsam um Hülfe flehend, daß er selbst die Hauptsache erzählen möge. Er verstand sie auch wohl, schüttelte aber traurig mit dem Kopf und machte eine leise Handbewegung, so, als wenn er sagen wollte: ‚Sprich Du nur weiter,‘ doch blickte er sie gut und aufmunternd an und sie sprach nun auch weiter:

„So wie wir’s damals erzählt haben, bis wir zur Eisenbahn gekommen waren, ist’s ganz genau; aber justement nun ist’s anders gewesen und wir haben’s keinem Menschen nicht sagen mögen: wir wissen eigentlich selber nicht, warum. Darum aber hat’s uns auch wohl desto schwerer im Gemüth gelegen und ich hab’ mir nun denkt, es wird mir besser, wenn’s noch ein anderer Mensch weiß, und ein Mensch, der gut ist und gescheidt, wie Sie, Herr Amtmann, daß er mir sagen kann, ob ich ein Unrecht gethan hab. Die Sach’ war nämlich so: Als mein Anton und ich den Vater eben vor die Eisenbahn führten, hört’ ich schon den Dampfwagen schnauben, aber ich sah noch nichts von ihm, denn der Nebel lag über mannshoch auf dem Grund und ich dacht’, das Ungethüm wär noch weit ab. Es war denn auch jede Minute kostbar, daß wir nach daheim kamen, denn mein Thomas mußte partout wimmern vor Schmerz und er meint’, sein Fuß brenne ihm wie Höllenstein. Es war ja auch nur ein Hupferle hinüber und wir hätten auch noch lange Zeit gehabt, hinüberzukommen, wenn mein Mann nicht gestolpert und gestürzt wäre und der Jung’ nicht den Fuß gebrochen hätte. Alle Beide lagen nun mitten auf der Bahn, rechts von mir der Thomas, links abgeschleudert der Anton. Und in demselben Augenblick, wie sie dalagen und aufschrien, hört ich das Ungethüm erschrecklich stöhnen und schnauben und durch den dicken Nebel sah ich seine glühenden Augen gar grausam gierig auf den Thomas und den Anton gericht’ und ich sah dicke Funken durch den Nebel wibbeln, als wenn der Teufel die Hölle stochert, und die Dampfwolken jagten wild durcheinander, nach oben und unten, wie Geisterspuk. So sah ich’s vor mir und war wie wirbelig, und wenn ich tausend Jahr alt werd’, ich kann’s nimmer vergessen, und in demselben Augenblick sah ich: Nur den Thomas könnt’ ich retten oder den Anton. Herr Amtmann, Herr Amtmann! Es mag viel Millionen Herzeleid auf der Welt geben, aber das Alles kann nicht so erschrecklich und grausam sein, wie das, was ich nun ertrug in wenig Augenblicken. Und darnach hab’ ich nimmer begreifen können, wie man in gar so kurzer Zeit und bei so entsetzlicher Angst so viel durchdenken könnt’, als ich’s nun that! Das Mutterherz riß mich gewaltig hin zum Kind und schon war ich auf dem Sprung’ zu ihm und wollte den Thomas liegen lassen, und dann hielt mich’s wieder zurück, als wenn des Herrgotts Hand selber mich faßte, und dann dacht’ ich: er war eher dein, als das Kind; er hat das eheste Anrecht und du hast am Altar geschworen, ihn nimmer zu verlassen. Und dann fühlt’ ich auch, daß ich ihn doch noch lieber hätt’ als das Kind, und daß er auch mehr nütz sei auf der Welt, und zugleich dachte ich auch wieder, das sei abscheulich, so zu denken, und keine Mutter dürfe vom Kind lassen, wenn sie nicht eine Rabenmutter wär. Und da sah ich das Ungethüm aus dem Nebel herausrasen, schrecklich anzusehen, und hörte die schwarzen Männer da oben rufen und ich sah, daß sie das Ungethüm aufhalten wollten, aber daß es nicht ging und da faßte ich mir das Herz und wandte mich ab vom Kind und griff nach meinem Manne und packte ihn, als wenn ich ein Ries’ wäre, und zog ihn mit einem Ruck von den Schienen weg und da stampfte das Ungethüm auch schon hin über mein armes, armes Kind. Es war todt und ganz caput!“

Frau Thomas saß auf einmal wie gelähmt an Geist und Gliedern vor mir und starrte mich an mit glanzlosen Augen. Ihr Mann bebte an allen Gliedern und er griff an seinen Bart, als wenn er sich daran festhalten wollte. Dann aber nahm er sich zusammen und während ich erschüttert von ihr zu ihm blickte und die tiefe Stille der schrecklichen Erinnerung durch kein Wort entweihen wollte, trat Thomas an die Seite seiner Frau und legte seinen starken Arm liebevoll um ihren Nacken. Das schien sie wie elektrisch zu berühren. Sie wandte sich mit schmerzlich glücklichem Lächeln zu ihrem Mann um und faßte seine Hand und hielt sie fest; dann sah sie mich mit schweren, fragenden Blicken an; so, als ob sie schon aus meinen Augen, meinen Zügen das Urtheil erforschen wolle, welches ich über das außerordentliche Ereigniß fällen werde. Ich konnte sie nur tief gerührt, mit dem liebevollsten Mitleid und der innigsten Hochachtung ansehen. Ich konnte ihr dann nur die Hand reichen und sagen:

„Arme, arme Mutter! Rechtschaffene, tapfere Frau!“ Da fiel es wie Wolkenschatten von ihrem schwermuthsvollen Antlitz, von ihren umflorten Augen; ein helles Roth der Freude flog über ihr Antlitz und ihre Augen belebten sich mit wundersam rührender Kraft. Strahlenden Blickes sah Thomas mich an, hoch aufgerichtet, den einen Arm fast zitternd vorgestreckt, und zum ersten Mal seit Jahren sah man wieder seine großen, weißen Zähne glänzen.

„Herr Amtmann!“ rief die Frau jetzt aus, „Gott vergelte Ihnen Ihr Herz und Ihr Wort viel tausige Mal!“ Sie stand auf und umfaßte ihren Mann und sah ihm freudig in das glänzende Gesicht und wieder rief sie aus: „Herr Amtmann, mir ist’s, als wenn wir nun doch noch wieder glücklich werden könnten! Nicht wahr, Thomas?“

„Mir ist’s accurat so!“ schluchzte Thomas und bemühte sich dann nicht mehr, die fest zurückgehaltenen Thränen noch länger zu bergen. Sie flossen jäh und voll herab, herab auf die Hand seiner Gertrude, und auch Gertrude weinte so heiß und so glücklich, wie ich niemals einen Menschen weinen sah. Damals und seitdem hatten sie keine Thräne vergossen, jetzt weinten sie sich frei und stark. Ich ließ sie still gewähren. Frau Thomas begann dann wieder:

„Sehen Sie, Herr Amtmann, das war’s, was mich so verwandelt hat, was mir alle Freude der Welt schier mit Wermuth versetzte und immer wieder mich fragen ließ: ‚Hast du auch recht gehandelt? Hast du dich nicht versündigt an deines Leibes Fleisch und Blut?‘ Ich konnte nicht Ruh und Freud’ mehr finden seit der Stund’, und ich hab dem Thomas gesagt, daß ich nimmermehr wieder ein Kind haben dürfte.“ Sie schwieg mit tiefem Erröthen und ich fühlte, daß nun der rechte Augenblick gekommen sei, wo ich auch durch ein ernstes, mahnendes Wort noch nachhaltig eingreifen könne in das Geschick dieser braven Menschen. Ich sagte daher sehr nachdrücklich:

„Sie sprachen jetzt nur von sich, Frau Thomas; aber Ihr Mann – litt denn auch der so lang und schrecklich an jenem Ereigniß?“ Frau Thomas sah mich groß an, dann antwortete sie nicht ohne einige Verlegenheit:

„Das wohl gerad’ nicht, aber weil ich so elendiglich war, war er’s auch und er ließ mich gewähren.“

„Ha ha, da haben wir’s!“ warf ich rasch ein und fuhr dann lebhaft erregt fort: „Sehen Sie, Frau Thomas, das war Ihr Unrecht, Ihr Unrecht an Ihrem Manne. Sie zeigten ihm ja Tag für Tag, wie schrecklich theuer Sie ihn sich erkauft hatten; Ihr Leid mußte ihn auch seinetwegen schmerzen, mußte ihm das Opfer, das Sie ihm gebracht, bitter vergällen, mußte ihn zweifeln lassen, ob Sie ihn auch wirklich noch so lieb hätten, wie Ihre Wahl es ihm gezeigt hatte, und er war zu gut, um Ihnen das Alles zu sagen. Nicht wahr, Herr Thomas?“

Thomas war in immer größere Bewegung gekommen, er hatte schon einige Male angesetzt, um mitzusprechen, er hatte mit dem weit vorgebeugten Kopfe lebhaft genickt und mit der ausgestreckten Hand auf und nieder gewinkt, als eifrige Bestätigung alles dessen, was ich sagte. Jetzt brodelte es förmlich aus ihm heraus: „Accurat so ist’s, accurat so, wie der Amtmann sagt, wahrhaftig! Ich hab’s ganz so gedacht und gefühlt so, ja, und es hat mir das Herz abbrechen wollen und ich hab’s doch nicht sagen mögen, weil sie doch so viel für mich gethan hatte. Und daß wir kein Kind mehr haben sollten, machte mir das Herz oft so tief, wie der Brunnen ist.“

Süße, züchtige Scham, bange Verlegenheit, selige Freude, ernstvolle Vorwürfe – das Alles, Alles malte sich deutlich im ganzen Wesen der Frau ab, bis sie auf einmal ihrem Mann um den Hals fiel und ausrief: „Verzeih! verzeih!“

Da wurde der gute Thomas puterroth vor Verlegenheit, so, als ob er etwas ganz Dummes gemacht habe. Es war rührend, ihn so zu sehen. Nun noch dies und jenes gute, festigende Wort von mir, und ich ging und durfte überzeugt sein, daß das Glück hier wieder walten werde. Und so geschah’s denn auch. Wieder ist Thomas der lustige, tapfere, prächtige Thomas, ist seine Gertrud ganz ebenso und sein Junge verspricht es zu werden. Wieder hat alle Welt ihre Freude an den Dreien, hat die größte Freude Eines am Andern und ein Jedes wieder an sich selbst. Aber niemals wieder haben sie den „Uz“ gemacht, wer der Gertrud am liebsten sei: der Mann oder das Kind?
Schl.




Nicht Maxel, sondern Ludwig. In unserm Schnadahupfl aus Kissingen in Nr. 32 d. Bl. hat die loyale Kissingerin in der Fülle ihrer Begeisterung für den jungen Landesherrn den Sohn mit dem Vater verwechselt: sie schwärmt für den Maxel anstatt für den Ludwig, dessen Cigarrenstumpel sie als Reliquie aufbewahrt. Unsere Leser werden das Quiproquo sofort selbst berichtigt haben.


Kleiner Briefkasten.

J. Pl. in Lemberg. Zwar sehr schmeichelhaft für uns, daß man uns – nach den verschiedenartigsten Auskünften zu urtheilen, die man von uns verlangt – für allwissend zu halten scheint; leider aber müssen wir die uns solchergestalt zugedachte Ehre bescheidentlich von der Hand weisen und können auch Ihnen nur erwidern, daß wir in Ihrer Erbschaftsangelegenheit noch viel weniger wissen als Sie selbst. Das Testament des Verstorbenen ist uns in seinen einzelnen Bestimmungen völlig unbekannt, wir sind also nicht im Stande Ihnen einen Rath zu ertheilen, ob Sie an den Nachlaß Anspruch erheben können oder nicht.

G. L. in Dresden. Die Gartenlaube befaßt sich nie mit Kritiken ihr zur Prüfung eingesandter Manuscripte; dazu hat sie weder Raum noch die Redaction Zeit zur Verfügung. Ihre Erzählung ist übrigens noch ein ziemlich unreifes Product.

J. A. K…r Wien. Die Rechenmaschine, nach welcher Sie sich erkundigen, ist am Besten von A. M. Hoart in Paris, Rue du Helder 13 zu beziehen und ihr Preis 500 Franken.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers dessen so eben erschienenem „Briefsteller für Liebende“ entnommen, einer Sammlung ganz allerliebster Novelletten in Briefform.
    D. Red.
  2. An Schilderungen von Fahrten nach Amerika ist unsere Literatur überreich, während nur selten einmal eine Heimfahrt von Amerika und die von den Auswanderern so verschiedene Schiffsbevölkerung der Heimkehrenden dargestellt wird. Es wird darum die vorstehende lebensvolle Skizze eines „Heimgekehrten“ wohl allseitiges Interesse in Anspruch nehmen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Workshop