Die Gartenlaube (1890)/Heft 6

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1890
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[165]

Halbheft 6.   1890.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1890.      Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.


Ostern.

Ostern! Ueber fernen Hügeln
Taucht empor dein erster Strahl;
Auf der Morgenröthe Flügeln
Schwebst du über Berg und Thal;

5
Frischer rauscht im Wald die Quelle

Und des Bachs geschwätz’ge Welle,
Plaudernd mit dem Felsgestein,
Und es taucht die Anemone
Ihre luft’ge Blüthenkrone

10
In der Frühe goldnen Schein.


Und die Knospen werden rege,
Und das Blatt die Hülle sprengt,
Und im waldigen Gehege
Alles sich zum Lichte drängt.

15
Nun entbrennt auf deinem Herde

Die erlosch’ne Gluth, o Erde,
Die aus deinen Tiefen bricht.
Deine Lenze kehren wieder,
Deine Blumen, deine Lieder,

20
Aber deine Todten nicht.


Deine Todten, tiefgeborgen
In dem mütterlichen Schoß!
Selbst am Auferstehungsmorgen
Giebst du nicht die Deinen los.

25
Ach, mit ihnen hat die Klage

Goldne Träume künft’ger Tage,
Schönes Hoffen aufgebahrt!
Noch hat keine Sonnenwende
Heißer Thränen Opferspende

30
Trostlos Trauernden erspart.


Doch die Welt ist licht und offen,
Und es naht ein schön’rer Tag!
Laßt uns glauben, laßt uns hoffen,
Daß er bald erscheinen mag!

35
Ja, ein künft’ges Ostern kröne

Alles Gute, alles Schöne,
Wälze von der Gruft den Stein,
Daß die Menschheit auferstehe
Aus dem tausendjähr’gen Wehe,

40
Glücklich, edel, frei und rein!
Rudolf v. Gottschall.


[166]
Flammenzeichen.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Antonie und Marietta unterhielten sich von der bevorstehenden Ankunft des Hofes, und erstere, die in Toilettensachen sehr wenig Geschmack besaß, hatte den Rath der Freundin erbeten, der ihr auch bereitwillig ertheilt wurde.

„Was Du zu dem Kleide nehmen sollst?“ fragte Marietta. „Natürlich Rosen, weiße oder mattfarbige Rosen, sie werden sich sehr gut ausnehmen zu dem zarten Blau.“

„Ich mag aber die Rosen nicht,“ erklärte Toni. „Ich wollte Astern nehmen.“

„Warum nicht lieber gar Sonnenblumen! Willst Du als junges Mädchen und als Braut durchaus herbstlich erscheinen? Und wie kann man überhaupt die Rosen nicht mögen? Ich liebe sie leidenschaftlich und verwende sie bei jeder Gelegenheit. Ich hätte heute abend in der Gesellschaft beim Bürgermeister so gern eine frische Rose im Haar getragen und bin ganz unglücklich darüber, daß in Waldhofen keine mehr aufzutreiben ist. Es ist freilich schon spät im Jahre.“

„Der Schloßgärtner hat im Treibhause einen blühenden Rosenbaum,“ bemerkte Antonie in ihrer schläfrigen Art, die einen so scharfen Gegensatz zu der Lebendigkeit ihrer Jugendfreundin bildete. Diese schüttelte lachend den Kopf.

„Nun, der ist vermuthlich für die Frau Herzogin bestimmt, und da darf sich unsereins nicht unterfangen, um eine Blüthe zu betteln. Was hilft’s, ich muß darauf verzichten! Um nun wieder auf die Toilettenfrage zu kommen – dabei sind Sie aber eigentlich ganz überflüssig, Herr von Eschenhagen; Sie verstehen ja gar nichts davon und müssen sich sträflich dabei langweilen. Trotzdem wanken und weichen Sie nicht – und was habe ich denn überhaupt so Merkwürdiges an mir, daß Sie mich fortwährend ansehen?“

Die Worte klangen sehr ungnädig; Willy erschrak, denn der letzte Vorwurf war nur zu begründet. Er hatte darüber nachgedacht, wie sich eine frische, halberschlossene Rose in dem krausen dunklen Gelock ausnehmen würde, und dabei allerdings dies Gelock und den dazu gehörigen Kopf einer eingehenden Betrachtung unterzogen, was seiner Braut völlig entging.

„Ja, Willy, geh’!“ sagte diese gutmüthig. „Du langweilst Dich wirklich bei unseren Putzgeschichten, und ich habe noch viel mit Marietta zu besprechen.“

„Wie Du meinst, liebe Toni,“ versetzte der junge Majoratsherr, „aber ich darf doch wiederkommen?“

„Natürlich, sobald Du willst!“

Willibald ging. Es fiel ihm gar nicht ein, daß er dabei seinen Posten vernachlässigte, er dachte an etwas ganz anderes, als er noch einige Minuten in dem kleinen Vorzimmer stand. Infolge dieses Nachdenkens stieg er endlich die Treppe hinunter und lenkte seine Schritte geradenwegs nach der Wohnung des Schloßgärtners.

Kaum war er fort, so sprang Marietta auf und rief mit komischer Verzweiflung:

„Gott im Himmel, was seid Ihr für ein langweiliges Brautpaar!“

„Aber Marietta!“ sagte Toni verletzt.

„Ja, ob Du das übelnimmst oder nicht, ich erkläre es für ein Freundschaftsopfer, wenn ich in Eurer Nähe aushalte, und ich hatte mich auf eine so lustige Zeit gefreut, als ich hörte, daß Du verlobt seist! Du warst zwar nie besonders lebhaft, aber Deinem Herrn Bräutigam scheint die Sprache ganz und gar abhanden gekommen zu sein. Wie habt Ihr Euch denn eigentlich verlobt? Hat er wirklich dabei gesprochen, oder hat das seine Frau Mama besorgt?“

„Laß doch die Possen!“ versetzte Antonie unwillig. „Willy ist nur in Deiner Gegenwart so schweigsam, wenn wir allein sind, kann er recht mittheilsam sein.“

„Ja, über die neue Dreschmaschine, die er sich angeschafft hat. Ich horchte nämlich vorhin bei meinem Kommen, ehe ich eintrat, da sang er das Lob der besagten Dreschmaschine und Du hörtest ganz andächtig zu. O, Ihr werdet als ein Musterehepaar auf der Burgsdorfschen Musterwirthschaft herrschen, aber der Himmel bewahre mich gnädiglich vor solchem Eheglück!“

„Marietta, Du bist recht unartig,“ sagte die junge Baroneß, die jetzt wirklich ärgerlich wurde, aber in derselben Minute hing der kleine Uebermuth auch schon schmeichelnd an ihrem Halse.

„Nicht böse sein, Toni! Ich meine es ja nicht schlimm und gönne Dir Dein Glück von Herzen; aber siehst Du – mein Mann müßte doch etwas anders beschaffen sein.“

„So, und wie denn?“ fragte Toni halb schmollend und halb versöhnt durch die schmeichelnde Bitte.

„Erstens muß er nur unter meinem Pantoffel stehen, nicht unter dem seiner Mutter, zweitens muß er ein echter, rechter Mann sein, in dessen Schutz ich mich sicher fühle – das verträgt sich ganz gut mit einem sanften Pantoffelregiment. Zu reden braucht er nicht viel, das besorge ich, aber er muß mich so lieb haben – so lieb, daß er weder nach Papa und Mama, noch nach seinen Gütern, noch nach der neuen Dreschmaschine fragt, sondern sie allesammt zum Kuckuck gehen läßt, wenn er mich nur hat!“

Toni zuckte mit mitleidiger Ueberlegenheit die Achseln.

„Du hast bisweilen noch recht kindische Ansichten, Marietta; aber nun wollen wir endlich von den Kleidern reden!“

„Ja, das wollen wir, sonst kommt Dein Bräutigam zurück und pflanzt sich wieder neben uns auf wie eine Schildwache. Er hat ein merkwürdiges Talent zum Schildwachestehen. Also Du nimmst zu der blauen Seide –“

Die Toilettenfrage sollte auch diesmal nicht zur Erledigung kommen, denn soeben öffnete sich die Thür, Frau von Eschenhagen trat ein und rief ihre künftige Schwiegertochter ab, deren Gegenwart bei einer häuslichen Anordnung nothwendig war. Antonie erhob sich bereitwillig und verließ das Zimmer, Frau Regine machte aber keine Miene, ihr zu folgen, sondern ließ sich auf den leeren Platz am Fenster nieder.

Die regierende Herrin von Burgsdorf war nun einmal nicht diplomatisch angelegt wie ihr Bruder, sie mußte überall mit Gewaltmitteln eingreifen. Sie war ungeduldig geworden, denn Willy hatte so gut wie gar nichts berichtet, er wurde jedesmal roth und stotterte, wenn er wiederholen sollte, was die „Theaterprinzessin“ denn eigentlich gesagt oder gethan hatte, und seine Mutter, die nicht an ein harmloses Mädchengeplauder glauben wollte, beschloß daher, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Marietta hatte sich pflichtschuldigst erhoben bei dem Eintritt der älteren Dame, die sie bei ihrem ersten Besuche nur flüchtig gesehen und deren feindselige Haltung sie in der Freude des Wiedersehens gar nicht bemerkt hatte. Sie fand nur, daß Tonis künftige Schwiegermutter wenig Freundliches habe, und kümmerte sich nicht weiter um die gestrenge Frau, die sie jetzt mit einer wahren Richtermiene von oben bis unten musterte.

Im Grunde sah diese Marietta aus wie alle anderen jungen Mädchen, aber sie war hübsch, sehr hübsch – um so schlimmer! Sie trug das Haar in kurzen krausen Locken, das war unpassend! Die übrigen schlimmen Eigenschaften kamen sicher zum Vorschein in der Unterhaltung, die jetzt eingeleitet wurde.

„Sie sind mit der Braut meines Sohnes befreundet, mein Kind?“

„Jawohl, gnädige Frau,“ war die unbefangene Antwort.

„Eine Jugendbekanntschaft, die noch aus der Kinderzeit stammt, wie ich höre. Sie wurden im Hause des Doktors Volkmar erzogen?“

„Gewiß, ich habe meine Eltern sehr früh verloren.“

„Ganz recht, mein Schwager erzählte es mir. Und welchem Berufe gehörte Ihr Vater an?“

„Er war Arzt wie mein Großvater,“ versetzte Marietta, mehr belustigt als befremdet über dies Examen, dessen Zweck sie nicht errieth. „Auch meine Mutter war die Tochter eines Arztes, eine ganze medizinische Familie, nicht wahr? Nur ich bin aus der Art geschlagen.“

„Ja – leider!“ sagte Frau von Eschenhagen mit Nachdruck. Das junge Mädchen sah sie verwundert an. Sollte das Scherz sein? Die Miene der Dame war aber durchaus nicht scherzhaft, als sie fortfuhr: „Sie werden mir zugeben, mein Kind, daß, wenn man das Glück hat, aus einer achtbaren und ehrenwerthen Familie zu stammen, man sich dessen würdig zeigen muß. Sie hätten Ihren Beruf danach wählen sollen.“

[167] „Mein Gott, ich kann doch nicht auch Medizin studieren, wie mein Vater und Großvater!“ rief Marietta hell auflachend. Die Sache machte ihr unendlichen Spaß, die Bemerkung mißfiel jedoch ihrer strengen Richterin, die mit voller Schärfe erwiderte:

„Es giebt Gott sei Dank noch genug anständige und ehrenvolle Berufswege für ein junges Mädchen. Sie sind Sängerin?“

„Ja, gnädige Frau, am Hoftheater.“

„Ich weiß es! – Sind Sie geneigt, Ihre Entlassung zu nehmen?“

Die Frage wurde so plötzlich und in einem so herrischen Tone gestellt, daß Marietta unwillkürlich zurückwich. Sie war noch immer der Meinung, daß der Majoratsherr von Burgsdorf mit seiner hartnäckigen Schweigsamkeit und seinem stürmischen Davonlaufen nicht ganz zurechnungsfähig sei, und jetzt kam ihr der Gedanke, das könne ein Familienübel sein, das er von seiner Mutter ererbt habe; denn mit dieser war es offenbar auch nicht ganz richtig.

„Meine Entlassung?“ wiederholte sie. „Aber weshalb denn?“

„Aus Gründen der Moral! Ich bin bereit, Ihnen dazu die helfende Hand zu bieten. Wenden Sie sich ab von diesem Pfade des Leichtsinns, und ich mache mich anheischig, Ihnen eine Stelle als Gesellschafterin zu verschaffen.“

Die junge Sängerin begriff jetzt endlich, um was es sich handelte; halb gereizt und halb spöttisch warf sie das Köpfchen mit den krausen Locken zurück.

„Ich muß sehr danken. Ich liebe meinen Beruf und denke nicht daran, ihn gegen eine abhängige Stellung zu vertauschen; ich passe überhaupt nicht zu einer höheren Kammerjungfer.“

„Die Antwort habe ich erwartet,“ sagte Frau von Eschenhagen mit einem düsteren Kopfnicken; „aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen noch einmal ins Gewissen zu reden. Sie sind noch sehr jung und daher nicht im vollen Maße verantwortlich; der schwerste Vorwurf fällt auf den Dokor Volkmar, der das Kind seines Sohnes einem solchen Leben überantwortete.“

„Gnädige Frau, ich muß bitten, meinen Großvater aus dem Spiel zu lassen,“ fuhr Marietta heftig auf. „Sie sind Tonis künftige Schwiegermutter, sonst hätte ich Ihrem Examen überhaupt nicht standgehalten. Eine Beleidigung meines Großvaters aber dulde ich nicht, von keinem Menschen auf der Welt!“

Die beiden bemerkten es in ihrer Erregung nicht, daß die nach dem Vorzimmer führende Thür leise geöffnet wurde und Willibald erschien. Er erschrak sichtlich, als er seine Mutter erblickte, und versenkte etwas, das er sorgfältig in Papier eingehüllt in der Hand trag, schleunigst in seine Rocktasche, aber er blieb auf der Schwelle stehen.

„Ich beabsichtige nicht, mit Ihnen zu streiten, mein Kind,“ sagte Frau Regine in sehr hohem Tone; „aber ich bin allerdings Tonis künftige Schwiegermutter und habe als solche das Recht, sie vor einem Umgang zu bewahren, der mir nicht passend erscheint. Bitte, mißverstehen Sie mich nicht! Ich bin nicht hochmüthig, und die Enkelin des Doktors Volkmar wäre in meinen Augen durchaus berechtigt zur Fortsetzung dieser Jugendfreundschaft; aber eine Dame vom Theater hat ihren Verkehr wohl ausschließlich in Theaterkreisen zu suchen, und hier in Fürstenstein – ich hoffe, Sie verstehen mich.“

„O ja, ich verstehe Sie, gnädige Frau!“ rief Marietta, deren Antlitz sich plötzlich in flammende Gluth tauchte. „Sie brauchen nichts weiter zu sagen, ich bitte nur noch um ein Wort. Ist Herr von Schönau, ist Antonie einverstanden mit dem, was Sie mir da mittheilen?“

„In der Sache selbst allerdings, aber man wollte Sie begreiflicherweise nicht durch eine Abweisung –“ ein sehr bezeichnendes Achselzucken vervollständigte den Satz. Die sonst so gerechte und wahrheitsliebende Frau fühlte es nicht einmal, daß sie sich einfach einer Unwahrheit schuldig machte; sie hatte sich so verrannt in ihre Auffassung, daß sie fest überzeugt war, der Oberforstmeister halte nur aus Widerspruchsgeist und Antonie nur aus Gutmüthigkeit an einem Verkehr fest, der ihnen selbst peinlich sei, und war fest entschlossen, der Sache ein Ende zu machen. Da geschah etwas ganz Unerwartetes; Willibald, der noch immer auf der Schwelle stand, trat in das Zimmer und sagte, halb bittend und halb vorwurfsvoll:

„Aber Mama!“

„Du bist es, Willy? Was thust Du hier?“ fragte Frau von Eschenhagen, die ihn erst jetzt bemerkte und der die Unterbrechung sehr unwillkommen war.

Willibald sah und hörte es recht gut, daß die Frau Mutter höchst ungnädig war, und pflegte sonst stets den Rückzug zu nehmen, wenn er sie in dieser Stimmung wußte. Heute aber hielt er mit ungewohnter Tapferkeit stand. Er trat noch näher und wiederholte:

„Aber Mama, ich bitte Dich, Toni hat ja nie daran gedacht, Fräulein Volkmar –“

„Was unterstehst Du Dich? Willst Du mich vielleicht Lügen strafen?“ fuhr ihn die gereizte Mutter an. „Was geht es Dich an, was ich mit Fräulein Volkmar verhandle. Deine Braut ist nicht hier, das stehst Du doch, also mach’, daß Du fortkommst!“

Der junge Majoratsherr wurde dunkelroth bei diesem Tone, an den er allerdings gewöhnt war; aber er schien sich vor dem jungen Mädchen doch einigermaßen dieser Behandlung zu schämen und sah aus, als wolle er einen Widerspruch versuchen. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, auf ein drohendes „Nun, hast Du nicht gehört?“ aus dem Munde seiner Mutter aber siegte die alte Gewohnheit. Er wandte sich zögernd zum Gehen und ging auch wirklich, aber die Thür blieb zur Hälfte offen.

Marietta blickte ihm mit verächtlich gekräuselten Lippen nach und wandte sich dann zu ihrer Gegnerin.

„Sie können unbesorgt sein, gnädige Frau, ich bin das letzte Mal in Fürstenstein gewesen. Als der Herr Oberforstmeister mich mit der alten Güte und Antonie mit der alten Herzlichkeit empfingen, da konnte ich nicht ahnen, daß mir jetzt in ihren Augen ein Makel aufgedrückt ist, sonst wäre ich ihnen sicher nicht lästig gefallen mit meinen Besuchen. Es wird in Zukunft nicht geschehen – nie mehr!“

Die Stimme versagte ihr, sie drängte gewaltsam die Thränen zurück, aber um den kleinen Mund zuckte es so bitter und schmerzlich, daß Frau von Eschenhagen doch fühlte, sie sei in der Rücksichtslosigkeit zu weit gegangen.

„Ich wollte Sie nicht kränken, mein Kind,“ sagte sie einlenkend. „Ich beabsichtigte nur, Ihnen klar zu machen –“

„Nicht kränken wollen Sie mich und sagen mir solche Dinge?“ unterbrach das junge Mädchen sie in aufflammendem Zorn. „Sie behandeln mich ja wie eine Ausgestoßene, die es nicht mehr wagen darf, anständigen Kreisen zu nahen, weil ich mit einem Talent, das mir Gott gegeben hat, mein Brot erwerbe und den Menschen Freude mache. Sie schmähen meinen alten lieben Großvater, der so mühselig die Opfer für meine Ausbildung gebracht hat, der mich mit so schwerem Herzen in die Welt hinausziehen ließ. Die bitteren Thränen haben ihm in den Augen gestanden, als er mich beim Abschied noch einmal in seine Arme zog und sagte: ‚Bleib’ brav, meine Marietta, man kann es in jedem Stande sein. Ich kann Dir nichts zurücklassen, wenn ich heut oder morgen die Augen schließe, Du mußt für Dich selbst sorgen!‘ Nun, ich bin brav geblieben und werde es bleiben, wenn es mir auch nicht so leicht gemacht wird wie der Toni, die das Kind eines reichen Vaters ist und ihr Elternhaus nur verläßt, um in das Haus ihres Mannes zu gehen. Aber ich beneide sie nicht um das Glück, Sie Mutter zu nennen!“

„Fräulein Volkmar, Sie vergessen sich!“ rief Regine beleidigt, indem sie sich zu ihrer ganzen stattlichen Höhe aufrichtete. Aber Marietta ließ sich nicht einschüchtern, sie wurde nur noch heftiger.

„O nein, ich bin es nicht, die sich vergißt, Sie waren es, die mich ohne allen Grund beleidigte, und ich weiß auch, daß der Oberforstmeister und Antonie unter Ihrem Einfluß stehen, wenn sie sich von mir abwenden. Gleichviel, ich will keine Güte und keine Freundschaft, die so wenig fest steht, und mit einer Freundin, die mich aufgiebt nur auf Befehl ihrer Schwiegermutter, bin ich ein für allemal fertig – sagen Sie ihr das, Frau von Eschenhagen!“

Sie wandte sich mit einer stürmischen Bewegung ab und verließ das Gemach. Draußen im Vorzimmer aber wollte die mühsam behauptete Fassung nicht mehr standhalten, der Schmerz überwog den Zorn und die bisher so tapfer bekämpften Thränen brachen heiß hervor. Mit einem leidenschaftlichen Schluchzen lehnte das junge Mädchen den Kopf an die Wand und weinte bitter und schmerzlich über die erlittene Kränkung.

Da hörte sie leise und schüchtern ihren Namen nennen und aufblickend gewahrte sie Willibald von Eschenhagen, der vor ihr stand und ihr das Papier entgegenhielt, das er vorhin so eilig verborgen hatte. Es war jetzt auseinandergeschlagen und darin [168] lag ein Rosenzweig, der eine wundervolle, duftende Blüthe und zwei halb erschlossene Knospen trug.

„Fräulein Volkmar,“ wiederholte er stockend, „Sie wünschten vorhin eine Rose – bitte, nehmen Sie –“

In seinen Augen und seiner ganzen Haltung lag deutlich genug eine stumme Abbitte wegen der Rücksichtslosigkeit seiner Mutter. Marietta hatte ihr Schluchzen unterdrückt, in ihren dunklen Augen funkelten noch die Thränen, aber es lag zugleich ein unsäglich verächtlicher Ausdruck darin.

„Ich danke, Herr von Eschenhagen,“ versetzte sie herb. „Sie haben ja wohl gehört, was da drinnen gesprochen wurde, und jedenfalls den Befehl erhalten, mich auch zu meiden. Warum gehorchen Sie denn nicht?“

„Meine Mutter hat Ihnen unrecht gethan,“ sagte Willibald halblaut, „und sie sprach auch nicht im Namen der anderen. Toni weiß nichts davon, glauben Sie es mir –“

„So, das wissen Sie und haben nicht ein Wort des Widerspruches gefunden?“ unterbrach ihn das junge Mädchen glühend vor Zorn. „Sie haben es mit angehört, wie Ihre Mutter ein schutzloses Mädchen kränkte und beleidigte, und hatten nicht einmal so viel Ritterlichkeit, dazwischen zu treten? Freilich, Sie versuchten es ja, aber Sie wurden ausgescholten und fortgeschickt wie ein Schulknabe und ließen sich das geduldig gefallen!“

Willibald stand da wie vom Donner gerührt, Er hatte allerdings tief die Ungerechtigkeit seiner Mutter empfunden und sie nach Kräften wieder gutmachen wollen, und nun wurde er so behandelt! Ganz betäubt starrte er auf Marietta, die durch sein Schweigen nur noch zorniger wurde.

„Und nun kommen Sie und bringen mir Blumen,“ fuhr sie mit steigender Leidenschaftlichkeit fort, „heimlich hinter dem Rücken Ihrer Mutter, und meinen, ich würde eine solche Entschuldigung annehmen? Erst lernen Sie, wie ein Mann sich zu benehmen hat, wenn er Zeuge solcher Ungerechtigkeiten ist, und dann bringen Sie Ihre Aufmerksamkeiten an. Jetzt – jetzt will ich Ihnen zeigen, was ich von Ihrem Geschenk und von Ihnen halte.“

Sie riß ihm das Papier sammt seinem Inhalt aus der Hand, warf es zu Boden und in der nächsten Sekunde zertrat der kleine Fuß kräftig die duftenden Rosen.

„Mein Fräulein –!“ Willibald, schwankend zwischen Scham und Entrüstung, wollte auffahren, aber ein sprühender Blick aus den sonst so schelmischen dunklen Augen machte ihn verstummen, und zum Ueberfluß wurden die armen Rosen noch verächtlich mit dem Fuße fortgestoßen.

„So, nun sind wir zu Ende! Wenn Toni wirklich nichts von der Sache weiß, so thut es mir leid, deshalb muß ich ihr in Zukunft doch fern bleiben, denn ich werde mich nicht neuen Kränkungen aussetzen. Möge sie glücklich sein, ich wäre es nicht an ihrer Stelle. Ich bin ein armes Mädchen, aber einen Mann, der sich noch vor der Ruthe seiner Mutter fürchtet, nähme ich nicht, und wenn er zehnmal Majoratsherr von Burgsdorf wäre.“

Damit ließ sie den armen Majoratsherrn stehen und war in der nächsten Minute verschwunden.

„Willy, was soll das heißen?“ tönte plötzlich die Stimme der Frau von Eschenhagen, die in der halboffenen Thür stand. Als keine Antwort erfolgte, trat sie heraus und schritt mit unheilverkündender Miene auf ihren Sohn zu.

„Das war ja eine ganz merkwürdige Scene, die ich da mit ansehen mußte. Willst Du nicht so gut sein und mir erklären, was sie eigentlich bedeutet? Dieses kleine Ding sprühte ja wie ein Kobold vor Zorn und sagte Dir die empörendsten Dinge in das Gesicht, und Du standest dabei wie ein Schaf, ohne Dich zu wehren.“

„Weil sie recht hatte,“ murmelte Willy, der noch immer auf die zertretenen Rosen blickte.

„Was hatte sie?“ fragte die Mutter, die nicht recht gehört zu haben glaubte; der junge Majoratsherr hob den Kopf und sah sie an; er hatte einen ganz eigenthümlichen Ausdruck im Gesichte.

„Recht, sage ich, Mama! Es ist wahr, Du hast mich wie einen Schulknaben behandel, dagegen hätte ich mich wehren müssen.“

„Junge, ich glaube, Du bist nicht recht bei Troste,“ sagte Frau Regine, aber Willibald fuhr gereizt auf:

„Ich bin kein Junge! Ich bin der Majoratsherr von Burgsdorf und siebenundzwanzig Jahre alt. Das vergißt Du immer, Mama, und ich habe es leider auch vergessen, aber endlich fällt es mir doch einmal ein.

Frau von Eschenhagen blickte mit maßlosem Erstaunen auf ihren sonst so folgsamen Sohn, der auf einmal Anstalten zur Widersetzlichkeit machte.

„Ich glaube wahrhaftig, Du willst aufsässig werden, Junge! Laß Dir das nicht einfallen, Du weißt, dergleichen leide ich nicht. Was ist Dir denn überhaupt in den Kopf gefahren, daß Du Dir solche Eigenmächtigkeiten erlaubst? Während ich mich bemühe, einem im höchsten Grade unpassenden Umgange ein Ende zu machen und diese Marietta zu beseitigen, leistest Du ihr hinter meinem Rücken eine förmliche Abbitte deswegen, bietest ihr sogar die Rosen an, die Du für Deine Braut bestimmt hast. Ich weiß zwar nicht, wie Du dazu kommst, es ist das erste Mal in Deinem Leben, aber Toni wird sich dafür bedanken, wenn sie erfährt, was aus ihren Blumen geworden ist. Es geschah Dir ganz recht, daß der kleine Sprühteufel sie zertreten hat, künftig wirst Du solche Dummheiten bleiben lassen.“

Sie schalt ihn in dem gewohnten Tone aus, ohne sich im mindesten an seinen Widerspruch zu kehren, aber Willibald nahm das diesmal übel. Er, der noch vor zehn Minuten ängstlich die Blumen in seine Tasche versenkt hatte, um ja nicht bei der Aufmerksamkeit ertappt zu werden, bekam plötzlich einen Anfall von Heldenmuth, und anstatt seine Mutter in ihrem Glauben zu lassen und den gefährlichen Sturm damit zu beschwichtigen, forderte er ihn geradezu heraus.

„Die Rosen waren gar nicht für Toni bestimmt, sondern für Fräulein Volkmar,“ erklärte er trotzig.

„Für –?“ Der entsetzten Frau blieb das Wort im Munde stecken.

„Für Marietta Volkmar! Sie wünschte heute abend eine Rose im Haar zu tragen, und da in Waldhofen keine mehr aufzutreiben war, so ging ich zum Schloßgärtner und verschaffte mir die Blumen – nun weißt Du es, Mama!“

Frau von Eschenhagen stand da wie eine Salzsäule, sie war kreidebleich geworden, denn mit einem Male ging ihr ein Licht auf, aber es zeigte ihr etwas so Furchtbares, daß sie für einige Sekunden Sprache und Bewegung verlor. Dann freilich kam ihr die alte Thatkraft zurück. Sie packte den Arm ihres Sohnes so nachdrücklich, als wolle sie sich seiner für alle Fälle versichern, und sagte kurz und bündig:

„Willy – wir reisen morgen ab!“

„Abreisen?“ wiederholte er. „Wohin denn?“

„Nach Hause! Wir fahren morgen früh um acht Uhr, dann erreichen wir vormittags den Schnellzug und sind übermorgen in Burgsdorf. Du gehst augenblicklich auf Dein Zimmer und packst!“

Der Kommandoton machte diesmal leider gar keinen Eindruck auf Willy.

„Ich packe nicht,“ erklärte er verstockt.

„Du packst, sage ich Dir!“

„Nein,“ trotzte der junge Majoratsherr. „Wenn Du durchaus abreisen willst, Mama, so reise – ich bleibe hier.“

Das war unerhört, aber es beseitigte auch den letzten Zweifel, und die entschlossene Frau, die ihren Sohn noch immer festhielt, schüttelte ihn jetzt in der derbsten Weise.

„Junge, wach auf, komm zu Dir! Ich glaube, Du weißt es noch gar nicht einmal, was eigentlich mit Dir ist! Nun, dann will ich es Dir sagen! Verliebt bist Du – verliebt in diese Marietta Volkmar!“

Sie schleuderte das letzte Wort mit einem geradezu niederschmetternden Tone heraus, aber Willy war gar nicht niedergeschmettert. Eine Minute lang stand er allerdings starr vor Ueberraschung, das war ihm wirklich noch nicht eingefallen, aber jetzt begann es auch bei ihm zu tagen. „O!“ sagte er mit einem tiefen Athemzuge, und dabei ging etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht.

„O! Ist das Deine ganze Antwort?“ brach die erzürnte Mutter los, die trotz alledem auf einen Widerspruch gehofft hatte. „Du leugnest es also nicht einmal! Und das muß ich erleben an meinem einzigen Sohne, den ich erzogen, den ich nie von meiner Seite gelassen habe! Während ich Dich zum Wächter bestelle, wenn diese Person bei Deiner Braut ist, behext sie Dich selbst, denn das ist doch offenbar Hexerei, und da spielt sie mir gegenüber noch die Tugendhafte, Tiefbeleidigte, dies Geschöpf –“

„Mama, hör’ auf, das leide ich nicht!“ unterbrach sie Willibald gereizt.

„Du leidest es nicht – was soll das heißen?“

[169]

Thurmbläser am Ostermorgen.
Zeichnung von H. König.

[170] Frau von Eschenhagen hielt plötzlich inne und horchte nach der Thür.

„Da kommt Toni zurück, Deine verlobte Braut, der Du Dein Wort verpfändet hast, die Deinen Ring trägt – wie willst Du ihr jetzt gegenübertreten?“

Sie hatte endlich das rechte Mittel gefunden, der junge Majoratsherr zuckte zusammen bei dieser Mahnung und senkte stumm den Kopf, als Antonie ganz unbefangen eintrat.

„Du bist schon wieder da, Willy?“ fragte sie, „ich glaubte – aber was hast Du denn? Ist etwas vorgefallen?“

„Ja,“ sagte Regine, die wie gewöhnlich die Zügel ergriff, mit voller Bestimmtheit. „Wir haben soeben eine Mittheilung aus Burgsdorf erhalten, die uns zwingt, morgen früh abzureisen. Du brauchst nicht zu erschrecken, mein Kind, es ist nichts Gefährliches, nur eine Dummheit“ – sie legte einen scharfen Nachdruck auf das Wort – „eine Dummheit, die da angerichtet worden ist und die durch schnelles Eingreifen ebenso schnell beseitigt wird. Ich erzähle Dir das später ausführlich, einstweilen hilft es nichts, wir müssen fort.“

Die Neugier gehörte durchaus nicht zu den Fehlern Antoniens, und selbst diese ganz unerwartete Nachricht vermochte nicht, sie aus ihrer Gelassenheit zu bringen; die Erklärung, daß es sich um nichts Ernstes handelte, beruhigte sie vollkommen.

„Muß Willy denn auch mit abreisen?“ fragte sie ohne besondere Aufregung. „Kann er nicht wenigstens hier bleiben?“

„Nun, Willy, so antworte Deiner Braut doch!“ sagte Frau von Eschenhagen, die scharfen grauen Augen fest auf ihren Sohn richtend. „Du weißt es ja am besten, wie die Verhältnisse liegen, kannst Du es wirklich verantworten, wenn Du jetzt hier bleibst?“

Es folgte eine kurze Pause; Willibalds Blick begegnete dem seiner Mutter, dann wandte er sich ab und sagte mit halb unterdrückter Stimme:

„Nein, Toni, ich muß nach Haus – es geht nicht anders.“

Antonie nahm diese Nachricht, die eine andere Braut doch wohl geschmerzt hätte, mit sehr mäßigem Bedauern auf und begann sofort die Frage zu erörtern, wo die Reisenden denn morgen mittag essen würden, da der Schnellzug nirgends einen längeren Aufenthalt habe. Das bekümmerte sie fast ebenso sehr wie die Trennung, und sie kam endlich zu dem Ergebniß, daß es am besten sei, kalte Küche mitzunehmen und unterwegs zu speisen.

Frau von Eschenhagen triumphirte, als sie zu ihrem Schwager ging, um ihm die Abreise anzukündigen, für die sie bereits einen Vorwand gefunden hatte. Auf einem großen Gute konnte ja mancherlei vorfallen, was den Herrn unerwartet zurückrief, und der Oberforstmeister durfte natürlich die Wahrheit so wenig erfahren wie seine Tochter, obgleich er in seiner Verblendung das ganze Unheil verschuldet hatte. Uebrigens zweifelte Regine durchaus nicht daran, daß, sobald sie ihren Willy nur erst glücklich dem Bannkreise dieser „Hexerei“ entzogen habe, er wieder zur Vernunft kommen werde; er hatte das ja schon vorhin gezeigt. Sie wollte schlechterdings nicht einsehen, daß nur Willibalds Ehrenhaftigkeit seiner Braut gegenüber gesiegt hatte und daß es ein schwerer Mißgriff gewesen war, ihn über seine Gefühle für eine andere aufzuklären.

„Warte, mein Junge,“ murmelte sie ingrimmig. „Ich will Dich lehren, solche Geschichten anzufangen und Dich gegen Deine Mutter zu empören. Wenn ich Dich nur erst wieder in Burgsdorf habe, dann gnade Dir Gott!“




An dem festgesetzten Tage war der Herzog mit seiner Gemahlin und einem zahlreichen Gefolge in Fürstenstein eingetroffen und damit zog auch jenes glänzende, bewegte Leben ein, das sich in früheren Zeiten so oft in dem weiten, prachtvollen Jagdrevier des „Waldes“ entfaltet hatte.

Der jetzige Landesherr war allerdings kein leidenschaftlicher Jäger, und der alte Jagdsitz seiner Vorfahren hatte jahrelang vereinsamt gestanden oder war nur flüchtig aufgesucht worden. Jetzt aber, wo man einen wochenlangen Aufenthalt in Aussicht genommen hatte, bot das weitläufige Schloß nicht Raum für all die Gäste. Man mußte einen Theil derselben in dem nahen Waldhofen unterbringen, und das Städtchen befand sich wie die ganze Umgegend in festlicher, freudiger Aufregung. Die Besitzer der einzelnen benachbarten Schlösser und Landsitze, die wie Fürst Adelsberg meist den ersten Familien des Landes angehörten, wurden durch die Anwesenheit des Hofes veranlaßt, gleichfalls ihren Herbstaufenthalt hier zu nehmen, fast jeder hatte eine Anzahl von Jagdgästen mitgebracht, und so entwickelte sich in den sonst so stillen Waldbergen ein ungewohntes Leben und Treiben, dessen Mittelpunkt selbstverständlich Fürstenstein bildete.

Heute strahlte das Schloß im vollsten Lichtglanze, die sämmtlichen Fenster der oberen Stockwerke waren erleuchtet und im Hofe warfen die Pechfackeln ihr rothes Licht auf die altersgrauen Mauern und Thürme. Es war die erste größere Festlichkeit seit der Ankunft des fürstlichen Paares, zu welcher die sämmtlichen Gutsherren der Nachbarschaft, die höheren Beamten des Bezirkes und überhaupt alles geladen war, was auf Beachtung Anspruch machen konnte. Das durchweg im großen Stile angelegte Schloß verfügte auch über eine Anzahl stattlicher Festräume, die jetzt, im hellen Kerzenschein, mit ihrer alterthümlichen aber kostbaren Einrichtung und der zahlreichen Gesellschaft, die sich darin bewegte, einen äußerst glänzenden Eindruck machten.

Unter den gleichfalls zahlreich anwesenden Damen war die junge Gemahlin des preußischen Gesandten eine völlig neue Erscheinung. Die Trauer um den kurz nach ihrer Vermählung verstorbenen Vater hatte sie bisher von jeder Festlichkeit ferngehalten, sie trat heut zum ersten Male in diesen glänzenden Kreis, wo die Stellung ihres Gatten ihr einen bevorzugten Platz sicherte, und wurde auch von dem Herzog und seiner Gemahlin mit sichtbarer Auszeichnung behandelt.

Von seiten der Damen wurde freilich das Aufgehen dieses neuen Sternes mit einigem Mißvergnügen betrachtet. Man fand, daß Frau von Wallmoden in ihrer kühlen stolzen Ruhe sehr hochmüthig sei, und sie hätte doch am wenigsten Grund dazu. Man wüßte es ja, daß sie eine geborene Bürgerliche war, die von Rechts wegen gar nicht in diese Kreise gehörte, wenn der Reichthum ihres Vaters und dessen hervorragende Stellung in der Industrie seines Landes ihr auch einen gewissen Vorzug gaben. Trotzdem bewegte sie sich auf dem ihr völlig fremden Boden mit einer merkwürdigen Sicherheit, der Herr Gemahl mußte sie gut geschult haben für dies erste Auftreten.

Die Herren waren anderer Meinung: sie fanden, daß Seine Excellenz der Gesandte sein diplomatisches Talent am glänzendsten in eigener Sache bewährt hatte. Er, der schon an der Schwelle des Alters stand, hatte es gleichwohl verstanden, mit der Hand dieser jungen schönen Frau ein Vermögen zu erringen, welches, an sich schon bedeutend genug, durch das Gerücht ins Ungemessene vergrößert wurde. Das war ein Erfolg, um den man ihn allseitig beneidete. Wallmoden selbst schien keineswegs überrascht durch den Eindruck, den die Schönheit und das Auftreten seiner Gemahlin so sichtbar hervorbrachte, sondern nahm das als selbstverständlich hin. Er hatte es nicht anders erwartet, das Gegentheil würde ihn im höchsten Grade befremdet haben.

Augenblicklich stand er mit seinem Schwager, dem Oberforstmeister, in einer Fensternische und fragte, nachdem sie einige gleichgültige Bemerkungen über das Fest und die Gäste ausgetauscht hatten, wie beiläufig:

„Was ist denn das für eine Persönlichkeit, die Fürst Adelsberg eingeführt hat? Kennst Du sie?“

„Du meinst den jungen Rumänen?“ fragte Schönau. „Nein, ich sehe ihn heut zum ersten Male, habe aber allerdings schon von ihm gehört. Es ist der Busenfreund des Fürsten, den er auch auf seiner Orientreise begleitet hat, übrigens ein bildschöner Junge, das Feuer sprüht ihm nur so aus den Augen!“

„Auf mich macht er den Eindruck des Abenteuerlichen,“ bemerkte Wallmoden kalt. „Wie kommt er denn zu der Einladung? Ist er dem Herzoge vorgestellt?“

„Ja; so viel ich weiß, in Rodeck, als der Herzog neulich dort war; Fürst Adelsberg liebt es nun einmal, die Etikette möglichst über den Haufen zu werfen. Uebrigens bedeutet diese Einladung noch keine Einführung, heut ist ja alle Welt geladen.“

Der Gesandte zuckte die Achseln.

„Gleichviel, man sollte sich doch bedenken, solche Elemente, die nicht hinreichend beglaubigt sind, in seine Nähe zu ziehen.“

„Bei Euch Diplomaten muß alles gleich mit Brief und Siegel beglaubigt sein,“ lachte der Oberforstmeister. „Etwas Vornehmes hat dieser Rojanow entschieden und bei einem Ausländer nimmt man es überhaupt nicht so genau. Verdenken kann ich es den Herrschaften nicht, sie wollen auch einmal etwas anderes [171] sehen und hören als die gewohnte Hofgesellschaft, die ihnen jahraus jahrein dasselbe langweilige Gesicht zeigt. Der Herzog scheint bereits ganz eingenommen zu sein von dem Rumänen.“

„Ja, es scheint so,“ murmelte Wallmoden, auf dessen Stirn sich eine Wolke legte.

„Uebrigens, was geht uns die Geschichte an!“ meinte Schönau. „Ich will mich jetzt einmal nach Toni umsehen, die nun überall ohne ihren Bräutigam erscheinen muß. Das war wieder ein Einfall von Regine. Wie eine Rakete fuhr sie mit ihrem Sohne ab. Sobald das geliebte Burgsdorf ins Spiel kommt, ist Deine Schwester nicht zu halten. Hätte sie mir nur wenigstens den Willy hier gelassen! Kein Mensch begreift es, daß mein künftiger Schwiegersohn vor den Festen Reißaus genommen hat, und ich begreife es erst recht nicht.“

„Ein Glück, daß sie fort sind!“ dachte Wallmoden, als er sich von seinem Schwager trennte. Wenn Willibald hier unvermuthet dem einstigen Jugendfreunde begegnet wäre, hätte sich vielleicht eine ähnliche Scene abgespielt wie neulich auf dem Hochberge. Wer konnte denn auch ahnen, daß Hartmut den Trotz so weit treiben würde, in einem Kreise zu erscheinen, wo er sicher war, dem Gesandten zu begegnen!

Fürst Adelsberg, der durch seinen Namen und seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem regierenden Hause in diesem Kreise eine der ersten Stellen einnahm, hatte in der That die Einführung seines Freundes durchgesetzt, und der Herzog schien von jener ersten Begegnung in Rodeck einen sehr günstigen Eindruck empfangen zu haben, denn er stellte selbst den jungen Fremden der Herzogin vor. Dieser Rojanow, mit dem bestechenden Zauber seiner Persönlichkeit und dem Hauch des Fremdartigen, der ihn umgab, war allerdings eine ungewöhnliche Erscheinung, die nur aufzutreten brauchte, um sofort allgemeine Beachtung zu finden, und heut entfaltete er all die glänzenden Eigenschaften, die ihm so reich zu Gebote standen, im vollsten Maße. Seine Unterhaltung und seine Bemerkungen sprühten von Geist und Leben, sein feuriges Temperament, das sich unwillkürlich verrieth, lieh allem, was er sagte und that, ein eigenartiges Gepräge, während er sich andererseits als Meister der gesellschaftlichen Formen zeigte. Kurz, die Voraussetzung des jungen Fürsten erfüllte sich: Hartmut wußte auch hier alles im Sturme zu erobern und hatte kaum den Fuß auf diesen Boden gesetzt, als er ihn auch schon mit der Macht seiner Persönlichkeit beherrschte.

Dem Gesandten konnte das nicht entgehen, wenn er dem „Rumänen“ auch noch nicht unmittelbar gegenüber getreten war; in dem Gewühl der Gäste war es ja nicht schwer, sich gegenseitig zu vermeiden, und gesucht wurde die Begegnung von beiden Seiten nicht. Wallmoden schritt soeben durch einen Nebensaal, wo die Schwester des Herzogs, Prinzessin Sophie, einen größeren Kreis um sich versammelt hatte. Die Prinzessin, die an den jüngeren Sohn eines fürstlichen Hauses vermählt gewesen, aber früh zur Witwe geworden war, lebte seitdem wieder am Hofe ihres Bruders, wo sie aber keineswegs beliebt war. Während die Herzogin mit ihrer Anmuth und Herzensgüte alles gewann, was in ihre Nähe kam, galt ihre bedeutend ältere Schwägerin für hochmüthig und ränkesüchtig. Man fürchtete allgemein die scharfe Zunge der Dame, welche überdies die liebenswürdige Gewohnheit hatte, jedem etwas Unangenehmes zu sagen. Auch Herr von Wallmoden entging diesem Schicksal nicht; er wurde huldvoll herangewinkt und empfing Schmeicheleien über die Schönheit seiner Gemahlin, die nun allerdings nicht zu leugnen war.

„Ich statte Ihnen meinen Glückwunsch äb, Excellenz. Ich war ganz überrascht, als mir Ihre junge Frau vorgestellt wurde, ich hatte selbstverständlich eine ältere Dame erwartet!“

Das „selbstverständlich“ klang ziemlich boshaft, denn Prinzessin Sophie wußte natürlich schon seit Monaten, daß die Gemahlin des Gesandten neunzehn Jahre alt war; aber dieser lächelte in der verbindlichsten Weise, als er antwortete:

„Hoheit sind sehr gütig, ich kann nur dankbar sein, wenn meine Frau das Glück hat, bei den fürstlichen Herrschaften einen günstigen Eindruck zu machen.“

„O, daran dürfen Sie nicht zweifeln, der Herzog und die Herzogin sind ganz meiner Meinung. Frau von Wallmoden ist wirklich eine Schönheit – Fürst Adelsberg scheint das auch zu finden. Sie haben es wohl gar nicht bemerkt, wie sehr er Ihre Gemahlin bewundert?“

„Doch, Hoheit, das habe ich bemerkt!“

„Wirklich? Und was sagen Sie dazu?“

„Ich?“ fragte Wallmoden mit vollkommener Ruhe; „es ist ja lediglich Sache meiner Frau, ob sie die Huldigungen des jungen Fürsten annehmen will. Wenn sie Vergnügen daran findet – ich mache ihr in dieser Beziehung gar keine Vorschriften.“

„Eine beneidenswerthe Sicherheit, an der sich unsere jüngeren Herren ein Beispiel nehmen könnten,“ sagte die Prinzeß, die sich ärgerte, daß der Pfeil sein Ziel verfehlt hatte. „Jedenfalls ist es sehr angenehm für eine junge Frau, wenn der Gemahl nicht eifersüchtig ist. – Ah, da haben wir ja Frau von Wallmoden selbst, natürlich mit dem Ritter an ihrer Seite! Meine liebe Baronin, wir sprachen gerade von Ihnen!“

Adelheid von Wallmoden, die eben in Begleitung des Fürsten Adelsberg eingetreten war, verneigte sich. Sie machte heute in der That einen blendenden Eindruck, denn die reiche Hoftoilette ließ ihre Schönheit noch siegreicher hervortreten. Der kostbare Brokatstoff des weißen Kleides, der in schweren Falten niederfloß, paßte vortrefflich zu der hohen schlanken Gestalt, die Perlen, welche sich um ihren Hals schlangen, und die Diamanten, die in dem mattblonden Haar funkelten, waren vielleicht die werthvollsten, die heute abend überhaupt getragen wurden; aber schärfer als je prägte sich auch das eigenthümlich Kalte und Ernste in der Erscheinung der jungen Frau aus. Sie glich so gar nicht ihren Altersgenossinnen, die auch schon zum Theil vermählt waren und doch noch in duftigen Spitzen und Blumen das Recht der Jugend geltend machten. Freilich besaß sie auch nichts von jener lächelnden Anmuth, jener geschmeidigen Liebenswürdigkeit, die man dort so geflissentlich zur Schau trug, der herbe strenge Zug, der als ein Erbtheil des Vaters ihrer Natur nun einmal unverwischbar eingeprägt war, verrieth sich immer in einzelnen Andeutungen.

Egon hatte seiner erlauchten Tante die Hand geküßt und war mit einigen gnädigen Worten beehrt worden, einstweilen aber galt die liebenswürdige Aufmerksamkeit Ihrer Hoheit der jungen Frau, die sofort in die Unterhaltung gezogen wurde.

„Ich sprach soeben Seiner Excellenz meine Freude darüber aus, daß Sie sich so schnell und leicht in unseren Hofkreisen zurecht zu finden scheinen, liebe Baronin. Sie betreten diese Kreise ja heute zum ersten Male und haben vermuthlich bisher in ganz anderen Umgebungen gelebt. Sie sind eine geborene –?“

„Stahlberg, Hoheit,“ lautete die ruhige Antwort.

„Ganz recht, ich erinnere mich des Namens, der mir schon öfter genannt wurde. Er ist ja vortheilhaft bekannt in der – Industrie.“

„Meine allergnädigste Tante, Sie müssen mir schon erlauben, Sie etwas genauer zu unterrichten,“ fiel Fürst Adelsberg ein, der selten eine Gelegenheit vorübergehen ließ, wo er seine allergnädigste Tante ärgern konnte. „Die Stahlbergschen Industriewerke haben einen Weltruf und sind jenseit des Oceans ebenso rühmlich bekannt wie hier zu Lande. Ich hatte vor einigen Jahren, als ich in Norddeutschland war, Gelegenheit, sie kennen zu lernen, und kann Sie versichern, daß diese Werke mit ihren Eisenhütten und Fabriken, ihren Beamtenkolonien und ihrem Arbeiterheere es mit manchem kleinen Fürstenthume aufnehmen können, dessen Herrscher aber jedenfalls kein so unumschränkter Machthaber ist, als der Vater Ihrer Excellenz es war.“

Die Dame warf ihrem durchlauchtigen Neffen einen nicht gerade freundlichen Blick zu, seine Einmischung war ihr sehr unerwünscht.

„In der That, von dieser Großartigkeit hatte ich keinen Begriff,“ sagte sie im harmlosesten Tone. „Da dürfen wir also jetzt wohl Seine Excellenz als einen solchen Herrscher begrüßen?“

„Nur als Reichsverweser, Hoheit,“ fiel der Gesandte mit einem anscheinend ebenso harmlosen Scherze ein. „Ich bin nur Testamentsvollstrecker meines Schwiegervaters und Vormund meines noch jugendlichen Schwagers, auf den die sämmtlichen Werke übergehen, sobald er seine Mündigkeit erreicht.“

„Ah so! Nun, der Sohn wird dies Erbtheil wohl zu wahren wissen. Es ist wirklich staunenswerth, was in unseren Tagen die Thatkraft eines einzelnen zu leisten vermag, und das ist um so anerkennenswerther, wenn er wie der Vater unserer lieben Baronin aus den einfachsten Verhältnissen hervorgegangen ist. So glaube ich wenigstens gehört zu haben, oder irre ich mich darin?“

[172] Prinzessin Sophie wußte sehr genau, daß dem Gesandten mit seinem altpreußischen Adel diese Erörterungen über die Herkunft seines Schwiegervaters nicht angenehm waren, und es gereichte ihr zur Genugthuung, daß der sie umgebende Kreis kein Wort von der Unterhaltung verlor, die ja nur darauf berechnet war, die bürgerlich Geborene zu demüthigen. Aber sie irrte sich, wenn sie bei dieser auf irgend eine Verlegenheit oder ein Ausweichen rechnete. Die junge Frau richtete sich mit ihrem ganzen Stolze empor.

„Hoheit sind ganz recht berichtet. Mein Vater kam als armer Knabe, ohne alle Hilfsmittel nach der Hauptstadt. Er hat sich schwer emporringen müssen und jahrelang als einfacher Handwerker gearbeitet, ehe er den Grund zu seinen späteren Unternehmungen legte.“

„Wie stolz Frau von Wallmoden das sagt!“ rief die Prinzessin lächelnd. „O, ich liebe diese kindliche Anhänglichkeit über alles! Also Herr Stahlberg – oder wohl von Stahlberg? Die großen Industriellen führen ja oft den Adelstitel!“

„Mein Vater führte ihn nicht, Hoheit,“ erklärte Adelheid, dem Blick der fürstlichen Dame fest und ruhig begegnend. „Der Adel wurde ihm allerdings angeboten, er hat ihn aber abgelehnt.“

Der Gesandte preßte die schmalen Lippen zusammen, er konnte doch nicht umhin, diese Aeußerung seiner Gemahlin sehr undiplomatisch zu finden. In der That nahmen die Züge der Prinzessin einen gereizten Ausdruck an, und sie entgegnete mit beißendem Spotte: „Nun, dann ist es wenigstens ein Glück, daß diese Abneigung sich nicht auf seine Tochter vererbt hat, Seine Excellenz wird das zu schätzen wissen! – Ich bitte um Ihren Arm, Egon, ich möchte meinen Bruder aufsuchen.“

Sie neigte das Haupt gegen ihre Umgebung und rauschte davon am Arm des jungen Fürsten, in dessen Mienen deutlich die Ueberzeugung zu lesen war:

„Jetzt komme ich an die Reihe!“

Er hatte sich nicht getäuscht, Ihre Hoheit dachte nicht daran, den Herzog aufzusuchen, sondern ließ sich in einem der nächsten Zimmer mit dem jungen Verwandten nieder, den sie unter vier Augen zu haben wünschte. Zunächst freilich ergoß sich ihr Zorn über diese unerträglich hochmüthige Frau von Wallmoden, die mit dem Bürgerstolze ihres Vaters prahlte, während sie aus Eitelkeit einen Baron heirathete, denn Neigung konnte sie doch unmöglich für einen Mann fühlen, der dem Alter nach ihr Vater hätte sein können. Egon schwieg dazu, denn er hatte sich selbst schon die Frage vorgelegt, wie diese ungleiche Ehe eigentlich zustande gekommen sei, ohne eine Antwort darauf zu finden; sein Schweigen wurde ihm aber sehr verübelt.

„Nun, Egon, Sie sagen gar nichts? Freilich, Sie scheinen sich ja dieser Dame zum Ritter geschworen zu haben, Sie waren unaufhörlich an ihrer Seite!“

„Ich huldige der Schönheit, wo sie mir entgegentritt, das wissen Sie ja, gnädigste Tante,“ vertheidigte sich der junge Fürst, rief aber damit nur einen neuen Sturm wach.

„Ja, das weiß ich – leider! Sie sind in dieser Beziehung von einem unglaublichen Leichtsinn. Sie erinnern sich wohl gar nicht mehr meiner Mahnungen und Warnungen vor Ihrer Abreise?“

„O, nur zu sehr!“ seufzte Egon, dem es jetzt noch ganz schwül wurde bei der Erinnerung an die endlose Predigt, die er damals hatte hinnehmen müssen.

„Wirklich? Sie sind deshalb aber nicht vernünftiger und gesetzter zurückgekommen. Ich habe Dinge gehört – Egon, für die giebt es nur noch eine Rettung – Sie müssen heirathen!“

„Um Gotteswillen! Nur das nicht!“ fuhr der junge Fürst so entsetzt auf, daß Prinzessin Sophie entrüstet ihren Fächer auseinanderschlug.

„Was meinen Sie damit?“ fragte sie in ihrem schärfsten Tone.

„O, nur meine eigene Unwürdigkeit, in diesen heiligen Stand zu treten. Sie selbst, Hoheit, haben mich unendlich oft versichert, ich sei eigens geschaffen, eine Frau unglücklich zu machen.“

„Wenn es dieser Frau nicht gelingt, Sie zu bessern, allerdings! Aber ich gebe diese Hoffnung noch immer nicht auf. Hier ist freilich nicht der Ort, über solche Dinge zu reden, aber die Herzogin plant einen Besuch in Rodeck, und ich beabsichtige, mich ihr anzuschließen.“

„Welch ein reizender Gedanke!“ rief Egon, den der angekündigte Besuch fast ebenso sehr in Schrecken jagte wie der Heirathsplan. „Ich bin ganz stolz darauf, daß Rodeck, sonst ein kleines langweiliges Waldnest, gerade jetzt imstande ist, einige Merkwürdigkeiten zu bieten. Ich habe so vieles von der Reise mitgebracht, unter anderem auch einen Löwen, zwei junge Tiger, verschiedene Schlangen –“

„Doch nicht etwa lebendige?“ fiel die Dame erschrocken ein.

„Natürlich, Hoheit!“

„Aber mein Gott, dann ist man bei Ihnen ja seines Lebens nicht sicher!“

„O, die Sache ist nicht so gefährlich. Allerdings sind uns schon einige der Bestien ausgebrochen – die Leute sind so nachlässig bei der Fütterung – aber sie wurden stets wieder eingefangen und haben bis jetzt noch keinen Schaden angerichtet.“

„Bis jetzt! Das sind ja liebliche Zustände!“ sagte die Prinzessin ärgerlich. „Sie setzen ja die ganze Umgegend in Gefahr damit, der Herzog sollte Ihnen diese gefährliche Spielerei verbieten.“

„Das will ich nicht hoffen, denn ich beschäftige mich gerade jetzt ernstlich mit Zähmungsversuchen. Uebrigens kann ich auch manches Einheimische bieten, das des Anschauens werth ist, unter meiner Dienerschaft befinden sich einige Mädchen aus hiesiger Gegend, die in ihrer Landestracht ganz allerliebst aussehen.“

Egon dachte mit geheimem Schauder an seine „Weiblichkeit mit den wackelnden Köpfen“, deren er sich durch die Fürsorge Stadingers noch immer erfreute, aber er hatte ganz richtig gerechnet: seine allergnädigste Tante war empört und maß ihn mit einem vernichtenden Blick.

„So? Dergleichen haben Sie also auch in Rodeck?“

„Gewiß, da ist besonders die Zenz, die Enkelin meines Schloßverwalters, ein reizendes kleines Ding, und wenn Sie mir die Ehre Ihres Besuches schenken, gnädigste Tante –“

„Das werde ich jetzt wohl unterlassen!“ fiel die erzürnte Dame ein, indem sie heftig ihren Fächer gebrauchte. „Das muß ja eine seltsame Wirthschaft sein, die Sie da in Rodeck führen, mit dem jungen Ausländer, den Sie sich wohl auch als eine Merkwürdigkeit von der Reise mitgebracht haben. Er hat ein vollständiges Brigantengesicht.“

„Mein Freund Rojanow! Er geizt schon längst nach der Ehre, Ihnen vorgestellt zu werden, Hoheit, Sie erlauben mir das, nicht wahr?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er davon und bemächtigte sich Hartmuts.

„Jetzt kommst Du an die Reihe!“ raunte er ihm zu, während er ihn rücksichtslos mit sich schleppte. „Ich bin lange genug das Opferlamm gewesen und meine allergnädigste Tante muß nun einmal jemand haben, den sie langsam auf dem Roste braten kann. Mich will sie nebenbei auch noch verheirathen und Du hast in ihren Augen ein Brigantengesicht, aber nach Rodeck kommt sie Gott sei Dank nicht, dafür habe ich gesorgt.“

In der nächsten Minute stand er mit seinem Freunde vor Ihrer Hoheit und stellte ihn mit dem liebenswürdigsten Lächeln vor.

Herr von Wallmoden hatte nach der Entfernung der Prinzessin noch einige Minuten in jenem Kreise verweilt, dann schritt er, seine Gemahlin am Arme, langsam durch die Säle, hier einen Bekannten grüßend, dort ein flüchtiges Gespräch anknüpfend, bis sie in den letzten der Festräume gelangten, der verhältnißmäßig leer war. Das Thurmzimmer, das sich unmittelbar daran schloß, wurde für gewöhnlich nur als Aussichtspunkt benutzt, für den heutigen Abend aber hatte man es mit Vorhängen, Teppichen und einer malerisch geordneten Blumengruppe zu einem lauschigen kleinen Gemach umgeschaffen, das, nur matt erhellt, einen wohlthuenden Gegensatz zu der blendenden Helle und dem Gewühl der Säle bildete. Es befand sich augenblicklich niemand dort, und darauf schien der Gesandte gerechnet zu haben, als er mit seiner Frau eintrat und sie auf dem Divan Platz nehmen ließ.

„Ich muß Dich doch darauf aufmerksam machen, Adelheid, daß Du Dir vorhin eine Unklugheit zu Schulden kommen ließest,“ begann er in gedämpftem Tone. „Deine Aeußerung der Prinzessin gegenüber –“

„War Nothwehr!“ unterbrach ihn die junge Frau. „Du fühltest doch wohl so gut wie ich, was der eigentliche Zweck dieses Gespräches war.“

„Gleichviel, Du hast Dir gleich bei Deinem ersten Auftreten eine Gegnerin geschaffen, deren Ungnade Dir und mir die Stellung empfindlich erschweren kann.“

[173] „Dir?“ Adelheid sah ihn befremdet an. „Hast Du, der Gesandte einer großen Macht, etwa nach der Ungnade einer boshaften Frau zu fragen, die zufällig mit dem herzoglichen Hause verwandt ist?“

„Mein Kind, das verstehst Du nicht,“ versetzte Wallmoden kühl. „Eine ränkesüchtige Frau kann gefährlicher werden als ein politischer Gegner, und Prinzessin Sophie ist bekannt in dieser Hinsicht, selbst die Herzogin fürchtet ihre boshafte Zunge.“

„Das ist Sache der Herzogin – ich fürchte sie nicht!“

„Meine liebe Adelheid,“ sagte der Gesandte mit einem überlegenen Lächeln, „diese stolze Kopfbewegung steht Dir ausgezeichnet, und ich billige es durchaus, wenn Du Dich anderen Kreisen gegenüber damit unnahbar machst. Bei Hofe aber wirst Du sie Dir doch abgewöhnen müssen wie so manches andere. Man giebt fürstlichen Personen nicht eine Lehre vor so vielen Zeugen, und das thatest Du, als Du von der Ablehnung des Adels sprachest. Es war überhaupt nicht nothwendig, daß Du die Herkunft Deines Vaters so entschieden betontest.“

„Sollte ich sie vielleicht verleugnen?“

„Nein, denn es ist eine allbekannte Thatsache –“

„Auf die ich stolz bin, wie mein Vater es war!“

„Du bist aber jetzt nicht mehr Adelheid Stahlberg, sondern die Baronin Wallmoden“ – die Stimme des Gesandten hatte eine gewisse Schärfe angenommen – „und Du wirst Dir selbst sagen, daß es einigermaßen widerspruchsvoll ist, seinen Bürgerstolz so zur Schau zu tragen, wenn man einem Manne von altem Adel die Hand gereicht hat.“

Um die Lippen der jungen Frau zuckte es wie eine leise Bitterkeit, und obgleich das Gespräch durchweg in gedämpftem Tone geführt wurde, sank ihre Stimme noch mehr, als sie erwiderte:

„Du hast wohl vergessen, Herbert, weshalb ich Dir meine Hand reichte!“

„Hast Du vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen?“ fragte er statt aller Antwort.

„Nein,“ sagte Adelheid mit einem tiefen Athemzuge.

„Ich dächte auch, Du könntest mit der Stellung zufrieden sein, die Du an meiner Seite einnimmst. Uebrigens weißt Du, daß ich keinen Zwang ausgeübt habe, ich ließ Dir vollkommen freie Wahl.“

Die junge Frau schwieg, aber jener bittere Ausdruck wich nicht von ihren Lippen.

Wallmoden erhob sich und bot ihr den Arm.

„Du mußt mir schon erlauben, mein Kind, Deiner Unerfahrenheit bisweilen zu Hilfe zu kommen,“ sagte er in dem gewohnten artigen Tone. „Ich habe bisher allen Grund gehabt, mit Deinem Takt und Deinem Auftreten zufrieden zu sein, es ist heut das erste Mal, daß ich Dir einen Wink geben muß. – Darf ich Dich bitten?“

„Ich möchte noch einige Minuten hier bleiben,“ sagte Adelheid leise. „Es ist so erstickend heiß in den Sälen.“

„Ganz wie Du wünschest, aber ich bitte Dich doch, nicht allzulange zu verweilen, Deine Zurückgezogenheit könnte auffallen.“

Er sah und fühlte es, daß sie verletzt war, aber er fand es nicht für gut, Rücksicht darauf zu nehmen. Baron Wallmoden verstand sich bei aller Artigkeit und Aufmerksamkeit doch ausgezeichnet auf die Erziehung seiner jungen Gattin, dergleichen Empfindlichkeiten durfte man ihr nicht gestatten. Er ging, und Adelheid blieb allein zurück; sie stützte den Kopf in die Hand und betrachtete anscheinend aufmerksam die Blumengruppe, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand, aber dabei flüsterte sie fast unhörbar:

„Freie Wahl? – O mein Gott!“

(Fortsetzung folgt.)




Die deutschen Frühlingsfeste.
Von Alexander Tille. Mit Abbildungen von Fritz Bergen.

Die alten Germanen theilten das Jahr nicht in vier, sondern in drei Jahreszeiten: der Herbst war ihnen unbekannt wie seine Gaben. Dementsprechend feierten sie drei Hauptfeste, welche ebenso wenig wie unsere heutigen drei großen kirchlichen Feste in gleichen Zwischenräumen über das Jahr vertheilt waren, obgleich sie mit diesen keineswegs zusammenfallen. Es waren einmal die beiden Sonnenwendtage, Johannestag und Weihnacht, und sodann ein Frühlingsfest, das wohl ziemlich genau in der Mitte zwischen beiden in der ersten Jahreshälfte lag. Während nun die beiden ersten Feste leicht ihren Platz im Kreislaufe des Jahres zu behaupten vermochten, da sie auf astronomisch bedeutsame Tage fielen, war dies bei dem Frühlingsfest nicht der Fall. Das große zeitliche Schwanken des christlichen Osterfestes vom 22. März bis zum 25. April, welches seit dem Jahre 325 zur Geltung kam, die Einführung des Gregorianischen Kalenders und vielleicht noch mancher andere Einfluß haben eine Reihe Verschiebungen eintreten lassen, infolge deren die einheitliche Festfeier zerrissen wurde und je nach der Gegend, wo der eine oder der andere Umstand wirkte, Spaltungen eintraten, welche uns heute das Recht geben, von mehreren deutschen Frühlingsfesten zu sprechen, deren Haupt allerdings das Osterfest ist.

Noch ist draußen gewöhnlich Eis und Schnee nicht von den Fluren geschwunden, noch eilt der Schlitten auf der Landstraße hin und der Wind knickt Eiszapfen von den Dachkanten, da begeht das deutsche Volk in seiner Fastnacht sein erstes Frühlingsfest, seine Frühlingsvorfeier. Das alte Fastnachtsfest währte sechs Tage und reichte vom Donnerstag vor Fastnacht, dem „unsinnigen Pfinztag“ Tirols, bis zur Mitternacht vor Aschermittwoch. Es ist nur eine Art Vorfeier; denn noch ist der Frühling ja nicht Herr im Lande, noch muß er sich erst den Plan erkämpfen. Aber eben diese Kämpfe bringt die Fastnachtsfeier in einem Spiele zur Darstellung, das auf deutschem Boden weit verbreitet ist.

In Niederösterreich ziehen am Faschingsdienstag zwei Männer durch das Dorf. Der eine ist in einen Pelz gehüllt. Seinen Kopf bedeckt eine große Pelzmütze; Arme und Beine sind mit Stroh umwunden, in der Hand trägt er einen Dreschflegel: es ist der Winter. Einen freundlicheren Eindruck macht sein Genosse, der den Sommer darstellt. Ein langes weißes Hemd fällt bis auf seine Knöchel nieder, das ein goldener Gürtel zusammenhält, in dem einige Nadelreiser stecken. Seine Rechte führt eine Sichel. In friedlicher Gemeinschaft ziehen beide von Haus zu Haus, überall empfängt sie der Jubel der Kinderschar. Ehrfurchtsvoll macht man ihnen in den Stuben Platz. Alle Hausgenossen treten auf eine Seite. Winter und Sommer stellen sich einander gegenüber, und es beginnt ein Wortgefecht, in dem einer den andern schlecht zu machen sucht und bei dem man wohl nicht zu allen Zeiten bei Worten stehen blieb. Der Sommer beginnt:

„Da Winter is a grober Gsöll,
Er jagt die alten Weiber in die Höll[1],
Herimei[2], da Summer is fei!“

[174] Aber der Winter hat dem Sommer gleichfalls mancherlei am Zeuge zu flicken. Er sagt:

„Da Summer is a rechter Bauer,
Er macht den Weibern den Milchrahm sauer.
Herimei, da Winter is fei!“

In dieser Weise geht der Streit eine Weile fort, bis der Winter bekennt, daß er doch nächstens das Feld räumen muß. Dann gehen beide friedlich nach dem nächsten Hause. Einst war das Spiel weit umfassender, wie eine ältere Fassung dieses Liedes zeigt, die 1580 als fliegendes Blatt erschien und durch Ludwig Uhland wieder bekannt geworden ist. 1628 wurde sie mit Beibehaltung des Kehrreims zu einem Wortwechsel zwischen der Stadt Ulm und einem Soldaten umgedichtet. Auch Lieder haben ihre Lebensschicksale!

Funkensonntag.

Nur an wenigen Stellen ist der Brauch so rein erhalten. Aber in den Mummereien der Landbevölkerung zur Fastnachtszeit blickt noch vielerorts der Gegensatz von Sommer- und Winterlarven durch, während derselbe in den Maskenbällen unserer Städte längst dem größeren Luxusbedürfniß und dem Streben nach Mannigfaltigkeit zum Opfer gefallen ist. Aber auch diese Lustbarkeiten sind Reste eines alten Vorfrühlingsfestes und einer derberen Zeit, welcher es Bedürfniß war, sich vor Beginn der stillen Fastenzeit noch einmal gründlich auszutoben. Ihre außerordentliche Verbreitung über ganz Europa legt deutlich Zeugniß von der wichtigen Stellung ab, die Fastnacht dereinst einnahm.

Noch ist keine volle Woche ins Land gegangen, da klopft die Frühlingsfestfreude schon wieder gebieterisch gegen die Thür, und wenige Pforten der deutschen Gebirgsgegenden bleiben ihr verschlossen. Es ist Funkensonntag, oder Sonntag Invocavit, wie ihn die Kirche nennt, der Tag des Feuerzaubers oder Feuersegens. Baumanzünden, Fackellaufen, Scheibenschlagen, Feuerradrollen und Kornwecken heißen die Bräuche, mit denen man allenthalben hier die Flur für das kommende Fruchtjahr weiht und der Saat wie der Ernte ein fröhliches Gedeihen zu sichern sucht. Hier kommt der „Winter“ meist nicht mehr so glimpflich weg wie am Fastnachtstage, denn er muß, wo er auftritt, unerbittlich den Feuertod sterben.

In Vorarlberg erscheint er unter der Gestalt der „Hexe“, einer aus allerhand alten Kleidungsstücken hergestellten Puppe. Der „Funka“, eine schlanke, junge Tanne, wird grün, wie sie im Holze steht, bis zum Wipfel mit Stroh umwickelt. Rings thürmen rüstige Burschen mächtige Stöße von Holzscheiten auf, und bald thront die Hexe oben auf dem Tannenwipfel. Schon wirft der Wald lange Schatten, da sammelt sich die männliche und weibliche Jugend aus weitem Umkreis um den Funka. Tiefe Stille herrscht. Es ist, als ob man sich bewußt wäre, eine heilige Handlung zu begehen. Burschen und Mädchen schwingen jedes eine noch unentzündete Fackel in der Hand, und der Funka nebst der Here sind die einzigen Gegenstände der leise geführten Unterhaltung. Jetzt blitzen die ersten Sterne auf, und die niedrigen Dorfhütten sind von der Höhe aus nur noch undeutlich zu erkennen. Ein Auserwählter tritt aus der Menge, die sich zu einem Kreise zusammenschließt, und zündet den Funka an. Jetzt fängt er Feuer, die Flamme züngelt empor und bereits loht er hoch gen Himmel. Die Hexe versinkt in seiner Gluth und alles drängt heran, die Fackel an dem geweihten Feuer zu entzünden und fortzustürmen. Bald ist Berg und Thal übersät von dahineilenden Feuerbränden; denn jedes will dem eigenen Boden den Feuersegen bringen, ehe die Fackel verlischt. Dazwischen hallt es, von ganzen Gruppen gesungen, durch die Nacht:

„Flack us! flack us,
Ueber alle Spitz und Berg us!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflueg in der Erda
Gott alls grota lot[3]
Zwüschat alla Stega und Wega!“

Im Oberinnthal kommt das „Scheibenschlagen“ dazu. Die flammenden runden Scheiben aus Erlenholz, welche mit einem kräftigen Schwung in die Luft getrieben werden, glänzen weithin am dunklen Nachthimmel, und ihre Feuerbahnen, die sich bald kreuzen, bald nebeneinander laufen und auf Augenblicke die Nacht weithin erhellen, geben ein prächtiges Bild. Auch Schwaben kennt das Scheibenschlagen. Hier steht dasselbe in enger Beziehung zum Liebesleben. Man schlägt die Scheiben auf der Geliebten Wohl.

Jeder Scheibe Flug ist vorbedeutend für die Zukunft. Ob Flachs und Korn gedeihen, ob Lawinen stürzen, ob Glück oder Unglück, Krieg oder Friede kommt, das alles steht in ihren glänzenden Bahnen geschrieben, geschrieben für den, der zu lesen versteht. Wie mögen heuer am Funkensonntag die Scheiben geflogen sein? – Noch deutlicher als hier tritt die segnende Wirkung des Feuers in dem „Kornaufwecken“ von Proveis in Tirol hervor. Auf jedem Gute tragen hier die Buben Stroh und Reisig zusammen, stecken mit Einbruch der Nacht diese Haufen in Brand und schüren ihn, bis er weithin sichtbar loht; denn so weit er leuchtet, so weit reicht sein Segen. Nun beginnt ein Lärmen und Toben, ein Krachen und Blitzen. Die älteren Burschen schießen Büchsen und Pistolen ab, und jüngere eilen mit Schellen und Glocken wie rasend und laut schreiend durch die Felder, wo das Korn schläft. Erst nach Mitternacht wird’s allmählich still. Fragt man, was das bedeute, so erhält man die Antwort: „Sie wecken das Korn auf.“

An diese Bräuche schließen sich allerorts Spiel und Tanz an. Eigene Festgebäcke und der Bedeutung des Tages entsprechende Festspeisen erhöhen die volksthümliche Feier, und ein echter schwäbischer Funkensonntag giebt an Glanz im Herzen der Betheiligten einem großen städtischen Vogelschießen nichts nach.

Drei Wochen nach dem Funkensonntag fällt der Rosensonntag, Dominica rosarum, der Sonntag Lätare. Er ist das Frühlingsfest für den deutschen Osten. An ihm muß der Winter endlich für immer sterben und begraben werden. Schon aus dem sechzehnten Jahrhundert haben wir eine hübsche knappe Schilderung davon bei dem biederen Sebastian Franck, in seinem Weltbuch (1542): „Zu Mitterfasten ist der Rosensonntag … An diesem Tag hat man an etlichen Orten ein Spil, daß die Buoben an langen Ruoten Bretzeln herumbtragen in der Statt, und zwen angethone Mann, einer in Singrüen oder Ephew, der heißt der Summer, der ander mit Gmöß[4] angelegt, der heißt der Winter, dise streiten miteinander, da ligt der Summer ob und erschlecht den Winter, darnach geht man darauff zum Wein.“

In Obersteiermark faßt man heute den Streit zwischen Sommer und Winter gerichtlich auf, und beide führen vor versammelter Dorfgemeinde jedes Jahr einen langwierigen Rechtsstreit, in dem der Winter zuletzt immer Unrecht bekommt. Eine noch eigenartigere Gestalt hat das Frühlingsspiel im Saazer Kreise in Böhmen angenommen, wo es seltsamerweise den Namen „Mit dem Bändertod gehen“ führt. Hier ziehen fünf verkleidete Knaben [175] von Haus zu Haus und veranstalten folgende Aufführung: Der König sitzt mit seinem Töchterlein auf dem Throne. Da nahen zwei Abgesandte und werben um die Hand der Königstochter. Noch haben sie keine Antwort erhalten, da kommt auch der Tod (der Winter) und trägt gleichfalls seine Werbung vor. Empört darüber ersticht ihn der König. Muß er doch einmal sterben und muß doch sein Sterben auch einen Grund haben! – In Oesterreichisch-Schlesien verbrennt man den „alten Juden“ (Judas Ischarioth), anderorts das Bild des Papstes oder das Luthers, je nach dem Bekenntniß der Gegend. In einigen deutsch-mährischen Dörfern treibt man den Tod aus „zum Andenken an die Vertreibung der Mongolen“ und in dem böhmischen Orte Schönfeld jagt man „den Türken hinter die Stadt“.

Der todte Winter will auch begraben sein. Sein Begräbniß feiert das „Todaustragen“, ein Jubelfest. das kaum seinesgleichen kennt. Es gipfelt darin, daß der Winter, eine Puppe, mit der vorher allerhand Unfug getrieben worden ist, aus dem Dorfe fortgetragen, zerrissen, eingegraben, verbrannt oder in einen Fluß geworfen wird, der ihn in seinen Wellen verschlingt. Daran reiht sich dann das „Einholen des Sommers“ oder der „Sommergewinn“. Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts trug man auf der Flur zu Leißling bei Naumburg den „Tod“ hinaus auf die Felder der Nachbargemeinde. Bei der Heimkehr sang man dann:

„Den Tod haben wir hinausgetrieben,
Den Sommer bringen wir wieder,
Des Sommers und der Maien,
Des wollen wir uns freuen.
Sommerland! Sommerland!
Der Tod hat sich von dir gewandt,
Er ist auf die Flur verbannt.“

In der Mitte der deutschen Frühlingsfeste steht der erste Ostertag, der zugleich ihren Höhepunkt bildet. An seinem Morgen macht die Sonne nach dem deutschen Volksglauben drei Freudensprünge. In der Nacht vom Ostersonnabend zum Ostersonntag fließt statt Wasser Wein in vielen Bächen, mancher Quell hat besondere Heilkraft und verleiht, schweigend geschöpft, nimmer welkende Schönheit, Thiere reden, Geister gehen um, in Burgen und Ruinen erscheint die weiße Frau, und es wiederholt sich überhaupt der gesammte Zauber der Weihnacht. Aber auch eigene Züge fehlen nicht. Fast in allen Gebirgen Deutschlands flammen noch hier und da echte alte Osterfeuer, deren Flamme durch das Reiben zweier Hölzer entzündet wird, namentlich in Norddeutschland holt jeder Hausstand von dem gemeinsamen Osterfeuer sich einen Brand für das Herdfeuer; denn dieses schützt Haus und Hof vor Blitzschäden.

Die Kinderwelt hat vollauf zu thun mit den unbemalten und bemalten Ostereiern, die zuerst am Gründonnerstag aus allerlei Verstecken hervorgesucht werden müssen und am Osterfeste selbst auf keinem Tische fehlen dürfen. Als Sinnbilder des keimenden Lebens stehen sie in enger Beziehung zu der ganzen Frühlingszeit.

Fast ganz dem Osterfeste eigen ist der „Schlag mit der Lebensruthe“, die Weihung von Menschen und Thieren durch Ruthenstreiche. Es findet sich allerdings bereits verstreut am Fastnachtstage und am Palmsonntage, wo sich zum Theil Umzüge damit verknüpfen, und auch das Ascheabkehren am Aschermittwoch ist ein Rest davon. Wie man am Palmsonntag die Felder durch Einstecken von Ruthen weiht, so schützt man Menschen und Hausthiere durch Streiche damit vor Krankheit und Unfall. In Masuren gilt es als eine besondere Aufmerksamkeit, wenn ein junger Mann ein Mädchen am Ostersonntag mit der Gerte streicht. Am Montag darf das schöne Geschlecht dann Vergeltung üben. Im böhmischen Oberlande ziehen ganze Scharen von Knaben am Ostertage bei Pathen, Vettern und etwaigen reichen Leuten umher, treten mit Ruthen bewaffnet vor die Stubenthür und rufen:

„Rothe Eier heraus,
Oder ich peitsche die Madeln aus!“

Erhalten sie dann keine Eier, so führen sie ihre Drohung aus und suchen ihre Opfer in der Küche auf.

Hier treten die Eier uns als ein Lösegeld entgegen, das man zahlt, um nicht geschlagen zu werden. Ursprünglich sind sie der Dank für die Schläge und die damit verbundene Segnung. Dies ist noch deutlich aus der Form ersichtlich, in welcher die Umgegend von Prag diesen Brauch kennt. Hier ziehen am Ostermontage Spielleute auf den Dörfern herum. Ihnen folgen ganze Scharen Burschen, Maien in der Hand, und schlagen sich gegenseitig mit den Worten: „Da hast Du Glück“. Vergißt es einer, so bittet ihn der andere darum, indem er sagt: „Gieb mir Glück“, und jener antwortet dann, ihn nachträglich schlagend: „Da hast Du’s.“ In einem schlesischen Reime findet es sich noch ganz deutlich ausgesprochen, daß das Schlagen die Krankheitsgeister, denen der Volksglaube die Gestalt von Fliegen oder Käfern beimißt, austreiben soll:

„Heut ist Ostern,
Da geht man schmeckostern.
Um den Rücken, um den Rand,
Da kommen die Fliegen rausgerannt,
Wenn sie nicht werden weichen,
Werden wir sie runter streichen.“

Zu Ostern sind Büsche und Wälder meist noch kahl. Aber bald kommen die jungen Triebe hervor, und wenn der erste Mai kommt und mit ihm das Frühlingsfest des Walpurgistages, da hat die Natur bereits begonnen, ihr Sommerkleid anzuziehen, und zum letzten der Frühlingsfesttage, zu Pfingsten, da steht Baum und Strauch im Blätter- und Blüthenschmucke. Und den beiden letzten Frühlingsfesten ist es gemeinsam, Häuser, Gärten, Eingänge und selbst ganze Wege mit frischen Maien zu schmücken. Bald finden sie sich mehr vor dem Amtsgebäude des Ortes, bald stellt sie jeder vor der eigenen Heimstatt auf, und bald pflanzen sie vermummte Gestalten bei Nacht und Nebel dem schönsten Mädchen des Dorfes oder der einzelne Bursche zu gleicher Stunde seiner Geliebten vor die Thür. So dienen sie als Zeichen der Verehrung, als Willkomm und als Gruß der Liebe. Anderorts ist es wieder ein Baum, dem sich die Aufmerksamkeit aller zuwendet, die Dorflinde, unter deren breitem Blätterdache Spiel und Tanz stattfindet, die einst geradezu als das Heiligthum des Ortes galt und noch heute häufig am Maitage wie zu Pfingsten mit bunten Bändern und Blumengewinden geschmückt wird. Aber wie die Festbräuche des Maitages und der Pfingstfeier auch wechseln mögen: immer steht in ihrem Mittelpunkte ein Stück alten Baumdienstes der Germanen.




[176]
Von Fjord zu Fjord.
Schilderungen aus Norwegen von L. Passarge.0 Mit Zeichnungen von C. Saltzmann.

Fast wie ein Wunder erscheint es uns, jenes Land im Norden, das schmal sich hinstreckt am westlichen Rande der skandinavischen Halbinsel bis hinauf zu Europas nördlichster Spitze, und in welches die Bilder C. Saltzmanns[5] von seiner Reise mit Kaiser Wilhelm II. uns mitten hinein versetzen. Vor mehr als zweitausend Jahren taucht es auf in halb sagenhaftem Dämmerlichte bei dem Geographen Pytheas von Massilia; es hat seine selbständige Geschichte im Mittelalter; es wird vergessen und tritt wieder auf mit einemmal, übernimmt in neuester Zeit gar die Führung in der nordischen Litteratur – immer mit einer Art mystischen Glanzes umgeben, fast wie ein Nordlicht in der langen Polarnacht. Wie man im Alterthum der Kunde von dem ununterbrochenen Sommertage keinen Glauben schenken mochte, so vermochte man auch bei uns lange nicht von der Vorstellung abzulassen, Norwegen sei ein dunkles, hartes, abstoßendes Gebilde; kalt wie seine Winternacht, die Menschen, solcher Natur entsprechend, rauh, freudlos und unfreundlich.

Jacht „Hohenzollern“.
Der Näröfjord.

Und doch giebt es kaum ein zweites Land in Europa, das zugleich von so gewaltiger und so lieblicher Natur wäre wie gerade Norwegen. Wie oft habe ich nicht in schönen Sommertagen – und es giebt deren dort so viele! – mich an die Küsten Siciliens versetzt geglaubt; so am Hardangerfjord, wo der Schnee der Folgefond durch die Kronen herrlicher Fruchtbäume glänzt; oder am Moldefjord, wo die Häuser bis zu den höchsten Giebelspitzen ganz mit blühendem Gaisblatt übersponnen sind und die Pracht der Rosen an die von Kasanlik in Ostrumelien erinnert!

Und die Menschen? – Hier möchte ich nur sagen: versucht es doch einmal und wandert durch dieses Land, tretet in die Hütten der Bönder und Fischer oder in die Häuser reicher Besitzer und Handelsherren und fragt, wo denn der Norweger sei, wie ihn Unkenntniß und Uebelwollen so häufig geschildert haben. Wagt es nicht, euren Kutscher, euren Führer zu fragen, ob er lesen und schreiben könne, denn er würde euch auslachen; zweifelt nicht an der Treue und Aufrichkgkeit dieser Leute, die bereit sind, für euch durch Feuer und Wasser zu gehen; der gebildete Norweger begleitet euch weit, um den rechten Weg zu zeigen; er tritt euch, ist der Gasthof voll, sein Zimmer ab. Denn der Fremde erscheint ihm als ein Gast seines Landes, den man ehren müsse. Darum erhält er auch den Ehrenplatz an der Tafel.

Aber der Norweger erwartet dafür auch seinerseits Achtung der Persönlichkeit und Höflichkeit. Kein Land der Welt denkt und empfindet demokratischer als Norwegen. Der Dienst wird hier nicht belohnt, sondern entgolten. Wie oft hat mein Kutscher, mein Schiffer mir nicht herzlich die Hand gedrückt, wenn ich ihn bezahlte; ja, wie oft hat mein Führer sich nicht an meinen Tisch gesetzt und mich mit einer Flasche bewirthet! So vollkommen auf gleicher Stufe stehend fühlt man sich in Norwegen. Wer freilich die großen Straßen niemals verläßt, nur in den großen Gasthöfen einkehrt, der mag sich trösten, er findet dort das gewohnte Europa wieder; denn Norwegen civilisirt, europäisirt sich rettungslos. Aber wie man beim Russen, wenn man ihn reizt, wohl noch den Bären findet, so steckt verborgen unter der Hülle im Norweger noch immer der offene, ehrliche, starke Fjällbewohner, einer jener Menschen, von denen Goethe sagen könnte:

„Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.“

Dieser Boden Norwegens, jene ungeheure Gebirgsbildung, die gleich einer Woge von Osten her aufsteigt, um im Westen

[177]

Aviso „Greif“.
Im Moldefjord.0 Zeichnung von C. Saltzmann.

[178] plötzlich abzustürzen, ist von jeher das eigentliche Wunder dieses merkwürdigen Landes gewesen. Steffens, der in Norwegen geboren wurde, aber in Deutschland lebte, der Verfasser der schönen Romane „Die Familien Walset und Leith“, „Die vier Norweger“ u. a., pflegte zu sagen, es wäre ihm, als hätte sich ihm dort die verborgenste Werkstätte im Innern der Erde geöffnet; die fruchtbare Erde mit ihren Blumen und Wäldern erschiene dort nur wie ein schöner Teppich, der unergründliche Schätze verberge, und ihm wäre es, als ob dieser Teppich fortgezogen würde und er in die Tiefe hinabsteigen müßte.

Kaum anders wird dem Fremden zu Muthe, der auf seinem Boot in die bis fünfundzwanzig Meilen langen Meeresbuchten, die Fjorde segelt und immer tiefer in die furchtbare Gebirgsöde gelangt, wo er sich schließlich von ungeheuren senkrechten Felswänden umgeben, ja eingeengt wie in einer Falle befindet und kaum einen Ausweg erblickt. Die Geologen sagen, diese Fjorde seien nichts als Spalten, entstanden durch Abkühlung der Gebirgsmassen; andere bringen sie mit der Bildung von Gletschern in Verbindung; der witzige Reisende sagt wohl, sie seien wie die Spalten in einem heißen Brote, das plötzlich der kalten Luft ausgesetzt worden. Zu den gewaltigsten Fjorden, deren Scenerie die der Alpenthäler weit übertrifft, gehören mehr im Süden Norwegens der Lysefjord, berühmt durch seine Lichterscheinung an einer unzugänglichen Felswand, blitzartige, aus einer Höhle mit Donnergekrach schießende Lichter, ferner der Hardanger- und der Sognefjord. Eine Verzweigung des letzten heißt Näröfjord, über dessen zwölf- bis fünfzehnhundert Meter hohe Felswände in großer Zahl Wasserfälle stürzen, die, aus dem Abfluß der Schneefonden oben genährt, wie ungeheure Schleier den schwarzen Gneis unterbrechen.

Im Lyngenfjord.

Noch seltsamer in dieser Art ist der Geirangerfjord, wo die Wasserfälle oft von zwölfhundert Meter hohen Wänden herabstürzen, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu berühren. Der Wasserfall zerstäubt, verschwindet in der Luft; erst unten auf dem Fjorde verräth das Plätschern und Kräuseln des Wassers seine Spur. Er findet sich wieder, indem er aufhört zu sein.

Von ganz anderem Charakter ist der Moldefjord mit dem Städtchen Molde, der Schauplatz von Björnsons „Fischermädchen“. Hier glaubt man auf einen schweizer See zu schauen mit seinen vielen Buchten, mit reichen Geländen und großartigem Gebirgshintergrunde. Wer im Sommer 1887 hier wohnte, mochte oft den Dichter Ibsen erblicken, wie er stundenlang auf der Ladebrücke stand und unverwandt in die ruhige Fluth schaute. Hier entstand und hier spielt auch seine „Frau vom Meere“; und will man wissen, wohin sich die Frau von der „Stickluft“ dieses Fjordes fortwünscht, so muß man an die kleine Insel Ona mit einem Leuchtthurm denken, welche, weit in den Atlantischen Ocean vorgeschoben, nur einmal jede Woche von einem Dampfboot besucht wird.

Der Moldefjord gilt als das landschaftliche Paradies Norwegens. Anderswo mag man staunen, hier will man bloß leben und athmen. Dem entsprechend haben sich hier auch bereits große Gasthöfe aufgethan, und der Strand vernimmt die Sprachen aller Völker. Besonders herrlich habe ich hier immer die Wolkenbildung gefunden, und das ist kein Wunder, da der feuchte und kalte Nordwest gerade hier auf die warme Landströmung vom Romsdal stößt. Ein Sonnenuntergang am Moldefjord gehört wohl zu den schönsten norwegischen Erinnerungen.

Auf der Fahrt hierher haben wir in Bergen mancherlei deutsche Erinnerungen kennengelernt; war diese Stadt doch einst so gut wie hanseatisch, und noch jetzt hat dort jeder zweite Kaufmann einen deutschen Namen. Die Bergener sind die Neapolitaner Norwegens, heiter, leichtlebig, beweglich, aber auch phantasiereich und bildungsfroh. Sie sprechen schnell und begleiten das Gesprochene mit ausdrucksvollen Gebärden.

[179] Ernst und still ist dagegen Drontheim, die Stadt des heiligen Olaf, die Krönungsstadt der norwegischen Könige. Sie sind denn auch alle hier gekrönt, die in Stockholm hofhaltenden „Unionskönige“ (Norwegen ist mit Schweden bekanntlich nur durch Personalunion verbunden), mit Ausnahme des Königs Oskar I. Der protestantische Erzbischof weigerte sich, dessen katholische Gemahlin im Dom mitzukrönen; so unterblieb die Feier überhaupt. Aber der gegenwärtige König Oskar II. ist 1873 hier gekrönt worden, und bevor dieses geschah, unternahm er, wie im vergangenen Sommer Kaiser Wilhelm II., eine Fahrt nach dem hohen Norden, bestieg das Nordkap, schnitt seinen Namenszug in einen Balken der Festung Wardöhus und wohnte einem Gottesdienst bei in der Oskarskapelle dicht an der russischen Grenze in Südvaranger.

In Drontheim beginnen die meisten Reisenden, nachdem sie von Christiania mit der Eisenbahn angekommen sind, ihre „Fahrt nach der Sonne“. Gestehen wir es nur, die meisten von ihnen denken weniger an die großen Landschaftsbilder, die ihnen der Norden darbietet, sie wollen in erster Reihe die „Mitternachtssonne“ schauen, diese wunderbare Erscheinung des höchsten Nordens, von der Tacitus in seiner „Germania“ sagt, der letzte Glanz der sinkenden Sonne erhalte sich bis zu ihrem Wiederaufgang so hell, daß er die Sterne verdunkle. In der That sind uns die Sterne schon lange verschwunden; dafür ist unser Blick um Mitternacht immer fest nach Norden gerichtet: wir wollen durchaus die Sonne selbst schauen, obwohl wir wissen, daß dieses ja erst vom Polarkreise ab möglich ist, und auch dieses nur zur Zeit des höchsten Sonnenstandes um den 21. Juni. Wer später reist, erreicht die Sonne erst in Bodö, oder in Lödingen; dann erst in Tromsö, Hammerfest oder gar erst am Nordkap. So ist es denn in der That eine Reise der Sonne nach, ähnlich dem Wunsche Fausts, die fliehende einzuholen, „ihr ew’ges Licht zu trinken“; – wir haben

„Vor uns den Tag und hinter uns die Nacht,
Den Himmel über uns und unter uns die Wellen.“

C. Saltzmann.
Nach einer Photographie von Léon Alfred Vassel in Berlin.

Und so geht es Tag und Nacht in einem fort; es verschieben sich die Tag- und Nachtzeiten; wir schlafen bei Tage und wachen in der Nacht. Zuletzt wird uns ganz traumhaft zu Muthe, als ginge es gleichsam aus der Welt hinaus. Man landet in diesem und jenem Fjorde, in den kleinen Häfen, wo die Jachten (Jägter) der Fischer und Handelsleute vor Anker liegen und die Jungen sich in den leichtbeweglichen Booten tummeln. Denn was dem Litauer sein Pferd, ist dem Nordländer sein Nachen. Es kommt vor, daß einzelne Personen in einem solchen auf den Fischfang gehen, die Lofoteninseln besuchen, vom Sturm verschlagen auf den letzten Schären landen, wo nur noch die erzdummen Lummen nisten, und schließlich nach wochenlanger Fahrt die Heimath erreichen. Die ganze Sehnsucht des Norwegers ist das Meer, nur zu oft sein Grab; aber es treibt ihn hinaus wie den Araber in die Wüste, wo ihn auch der Sturm verweht.

Der Fremde steht unter dem gleichen Zauber. Keine Feder vermag den Reiz einer Fahrt durch diese Schärenwelt zu schildern, mit dem häufigen Blick durch ein „Meerauge“ auf die offene See zur Linken, und der prächtigen Gebirgsscenerie des Festlandes zur Rechten. Wie eine Vorspiegelung der Einbildungskraft erscheinen in der Ferne die am weitesten in den Ocean vorgeschobenen Inseln Lovunnen und die Tränstavene; den Rücken des festländischen Gebirges bedeckt auf meilenlange Strecken das ungeheure „Laken“ des Svartisen. Wie die Eiszapfen von einem mit Schnee bedeckten Dach senken sich die blauen Gletscher tief hinab, bis nahe zum Spiegel des Meeres. Aber fast alles übertrifft doch das große Anschauungsbild um den Hestmand, eine Insel gerade unter dem Polarkreise, welche in der schlagenden Aehnlichkeit mit einem „Reiter“ fast gespenstisch vor unsern Blicken erscheint; der Kopf riesenhaft trotzig, der Mantel weit im Meere nachschleppend, eine etwa vierhundert Meter hohe Riesengestalt, wie es keine zweite der Art geben mag. Nach der Sage verfolgt der Reiter eine Jungfrau, und der Pfeil, welchen er nach ihr geschossen, hat den Hut ihres Bruders durchbohrt. Das muß der Reisende wissen, wenn er auf der Insel Torghättan zu der Höhle hinaufsteigt, welche wie ein Tunnel durch den ganzen Bergkopf geht.

Aber unser Boot eilt weiter, rast- und ruhelos. Da zeigt sich uns um Mitternacht in vielen Meilen Entfernung die gespenstische Inselgruppe der Lofoten, an welchen in den Wintermonaten viele tausend Fischer beschäftigt sind, den Dorsch zu fangen, denselben Fisch, den man Stockfisch, Laberdan, Bacallao, Merluzzo, auch Klippfisch und Rundfisch nennt; der, in „Voger“ (großen umschnürten Packen) verladen, ebenso die Bewohner am Mittelmeer wie die Chinesen und Brasilianer in der Fastenzeit ernährt und vielleicht einst schon von den Phöniziern abgeholt worden sein mag. Denn von wem anders als von diesen sollte Pytheas die Kunde erhalten haben, daß es hoch im Norden ein Meer gebe, das zähflüssig sei wie eine von Quallen gefüllte See? In der That gefriert das Meer hier niemals; aber in den Fjorden bilden sich bei strenger Kälte kleine Eisfladen, die, sich gegenseitig stoßend, zur Form von Quallen sich abrunden und zuletzt wohl eine Art Eisbrei bilden, durch welchen ein Boot nur mit Mühe vorwärts dringt. Einen andern Brei der Art erzeugen die ungeheuren „Schwärme“ (Stimer) der Dorsche und der Heringe, die, von Walen verfolgt und gleichsam umstellt, die sogenannten „Berge“ bilden, durch welche selbst ein großes Dampfschiff nur mit ganzer Maschinenkraft zu fahren vermag. Zahllose Raubvögel kreisen über einem solchen Getümmel und „weiden“, wie es die Edda nennt, nach Fischen, während die Wale rings ihre Wasserstrahlen in die Luft blasen. So geht es ununterbrochen weiter, Tag und Nacht.

Endlich ist die Höhe erreicht, wo die Mitternachtssonne dem Blick des Reisenden erscheinen soll. Nicht selten ist der Horizont verschleiert und der Engländer steckt sein Brennglas mißmuthig in die Tasche: es wäre doch so schön gewesen, sich von der [180] Mitternachtssonne ein Loch in den Hut brennen zu lassen. Andere schreiben eine Postkarte nach Hause „beim Schein der Mitternachtssonne“. Ein Dritter telegraphirt im nächsten Hafen: „Unvergleichliches Bild der Mitternachtssonne!“ Wer die ganze Fahrt bis zum Nordkap oder gar bis Vadsö macht, wird seine Ausdauer wohl belohnt finden: im ganzen darf man auf die Mitternachtssonne und gar auf einen vollen wolkenfreien Anblick nicht rechnen, am wenigsten am Nordkap selbst. Aber unauslöschlich steht vor meinem Blick das Bild, als wir nach dem nächtlichen Besuche des Lappenlagers bei Tromsö, bald nach Mitternacht, an den Tromsösund gelangten und nun mit einem Male die Strahlen der Sonne unser Auge trafen. In dem Thale, neben dem Gletscherbache, war es bitter kalt gewesen; aus den Sümpfen des niedrigen Birkenwaldes stieg der Nebel; hoch oben leuchteten die Schneefelder des Istinden; plötzlich belebende Sonnenwärme, ungeheure Lichtfluth und eine überirdische Farbenpracht! Im Winter herrscht hier dafür eine dreimonatige Nacht. Die Natur nimmt immer gerade so viel, als sie giebt. Darum schläft hier auch in den drei Sommermonaten eigentlich niemand; man schlummert höchstens. „Wir haben im Winter Zeit genug zum Schlafen,“ sagen die Leute; und so schwärmt man die ganze halbe Nacht hindurch, Wald und Berg klingen wieder von frohen Liedern. Man versteht den Charakter des Norwegers, sein starkes Phantasieleben, seine Thatkraft gemischt mit Eigensinn, sein kindliches Gemüth, sein tolles Wagen erst dann, wenn man diese Natur kennen lernt. Unübertroffen hat diese Menschen und diese Natur Jonas Lie geschildert in seinen Nordlandsgeschichten, nicht weniger Björnson in seinen Bauernnovellen und Ibsen im „Peer Gynt“.

Hammerfest, die „nördlichste Stadt“, mit dem „nördlichsten Walde“ der bewohnten Erde, ist das rechte Vergnügungsziel der Lappen, welche gern hierher kommen und branntweinberauscht durch die von Fischgeruch erfüllten Straßen taumeln. An schönen Sommertagen machen die Hammerfester oft eine Fahrt mit einem Dampfboot entweder weit hinein in das Eismeer oder nach dem Altenfjord, den uns Leopold von Buch schon vor achtzig Jahren so schön geschildert hat, oder in den erhabenen Lyngenfjord, dessen Gletscher (wie beim Svartisen) beinahe die Meeresfläche erreichen. Unvergleichlich ist der Blick von der kleinen Insel Kagö, von deren Höhe ein Gletscher „in Gestalt einer Thräne“ niederhängt, südlich in die Tiefe des Lyngenfjordes mit den zweitausend Meter hohen Alpen und der ganzen Reihe seiner Gletscher. Nordwärts aber geht der Blick in das Eismeer, wo die „Vogelinsel“ gleich einem nordischen Capri aufstarrt, eisbedeckt und von unzähligen Vogelscharen bewohnt. Alles das erblicken die Hammerfester auf ihren „Lusttouren“. Ist aber zufällig ein Brautpaar an Bord, so wird das ganze Schiff mit Birkenzweigen geschmückt, daß es aussieht, als fahre die Liebesgöttin selbst spazieren in einer großen, duftenden Laube.

Von Hammerfest ist mit dem Dampfboot in wenigen Stunden das Nordkap erreicht, jenes Vorgebirge, das sich mit seinen schneegefüllten Schluchten im schwarzen Schiefer weit hinaus in das Eismeer streckt „wie ein Keil“. Ein großer Anblick, dessen sich jeder glücklich preisen sollte, der ihn haben durfte. Es ist die nördlichste Spitze der Kvalö („Walfischinsel“), vom europäischen Festlande getrennt durch den gleichnamigen Sund. Eigentlich ragt eine niedrige Felsbank, die Knivskjärodde („Messerschärspitze“), noch ein Stückchen weiter hinaus in das Meer, aber dem fast tausend Fuß hohen Kap gebührt und bleibt doch nun einmal der Vorrang und der Ruhm, die nördlichste Spitze Europas zu sein, schon von der Zeit an, als der „alte Seekapitän“ Other es auf den Befehl Alfreds des Großen vor mehr als tausend Jahren umschiffte und jene Beschreibung lieferte, welche der König staunend vernahm. Seitdem ist nur noch ein dänischer König um das Nordkap gefahren, dann König Oskar II. und als dritter der Deutsche Kaiser Wilhelm II. am 18. Juli 1889.

„Sechzehn Masten sah ich fern
Kommen um das Riff;
Vilhjalm des Deutschen Flagge weht
Hoch von jedem Schiff – “

heißt es in einer altisländischen Volksballade.

Eine Reihe von Reisenden und Gelehrten hat auf dem Nordkap gestanden, so schwer es früher auch war, dasselbe zu erreichen. Leopold von Buch mußte sich mit seinem Anblick aus der Ferne begnügen; aber der Italiener Acerbi schrieb am Ende des vorigen Jahrhunderts ein herrliches Gedicht, welches auf der Spitze des Kaps in den Fels gegraben werden sollte. Dafür steht jetzt oben ein Obelisk und seine Inschrift erinnert an den Besuch König Oskars.

Heutzutage steigen Hunderte von Reisenden hinauf zu dem Schieferplateau, trinken die eine und andere Flasche Schaumweins und lassen ihren betreffenden Landesvater leben, oder die – Mitternachtssonne, oder das – Nebelwetter, welches so oft diese sturmgepeitschte Höhe umzieht.

Sie wissen nicht, daß kein Anblick erhabener ist, als durch diesen Nebelschleier auf das tosende Meer herniederzuschauen, dessen Wogen an den herabgestürzten, ungeheuren Blöcken zerschellen. Wie der Ausschnitt einer Kugel erscheint es von hier oben gesehen; man versteht, warum die alten Seefahrer meinten, es gehe von hier nach Norden immer weiter hinab in eine unbekannte Tiefe. „Starr und fast bewegungslos“ nennt Tacitus dieses Meer, „Saum und äußerste Zone des Erdkreises; über ihm gehe die Sonne nicht unter, weil ihr letzter Glanz sich bis zu ihrem Aufgange erhalte. Der Volksglaube,“ so sagt er weiter, „wolle beim Auftauchen der Sonne einen Klang vernehmen, Göttergestalten und ein strahlenumgebenes Haupt erblicken. Dort stehe, und die Sage habe recht, der Grenzstein der Schöpfung.“




Quitt.

Roman von Theodor Fontane.
(Schluß.)
24.

Lehnert war, als er nach L’Hermites Worten in sein Zimmer zurückkehrte, wie vom Blitz getroffen, doppelt, weil er sich wenn auch mit Widerstreben gestand, aus dem Munde L’Hermites nur das gehört zu haben, was ihm eine innere Stimme selber schon zugerufen hatte. Was unheimlich seinen Freund umschlich, umschlich auch ihn, immer wieder war es da. Warum war er so miterschüttert gewesen, als der mit dem Kreuz auf der Brust in jener Nacht bei L’Hermite ins Fenster gesehen hatte, und warum lag da wer am Weg, als er am Tage danach von Fort O’Brien aus zum ersten Mal ins Gebirge hinaufritt? Sinnestäuschung? Nein. Gewissen! Es half nicht Reue, nicht Beichte; was geschehen war, war geschehen, und im selben Augenblicke, wo nur noch ein Schritt, ein einziger, ihn von seinem Glücke zu trennen schien, sah er, daß dieser Schritt ein Abgrund war.

Er konnte keine Ruhe finden und zermarterte sein Gehirn mit dem, was kommen müsse. So verging ihm die Nacht und erst gegen Morgen schlief er ein.

Nicht lange schlief er. Aber so kurz der Schlaf gewesen war, so war es doch, als wären ihm Kraft und Muth zu gutem Theile zurückgekehrt, und als er das Fenster aufstieß und Frühlingsluft und Morgensonne hereindrangen, lösten sich die Vorstellungen, die sich während der Nacht, als wären es Gespenster, seiner Seele bemächtigt hatten, auf wie die Nebel, die drüben am Gebirge hinzogen. Eine Schuld lag auf ihm: aber hieß es nicht in dem Gebet, das Christus selbst uns gelehrt, „und vergieb uns unsere Schuld“? Und wenn Christus so gelehrt und geboten hatte, so mußte doch auch eine Möglichkeit der Erhörung sein und bei rechter Demuth und Zerknirschung auch wohl eine Gewißheit. So sann er weiter, und als er sich’s zurecht gelegt und bei der Morgenandacht das Auge des Alten so fest und freundlich wie nur je zuvor auf sich ruhen gefühlt hatte, war alles, womit L’Hermite ihn – und was schwerer war, er sich selber – geängstigt hatte, besiegt und verschwunden.

L’Hermite, der wohl sah, was in der Seele seines Freundes vorging, vermied es, auf seine düstere Prophezeiung zurückzukommen, ja er schlug umgekehrt, als sie wieder einmal bei einander saßen, einen halb heiteren Ton an, der darauf aus war, die Wirkung seiner Worte wieder abzuschwächen. Und so gut Lehnert einsah, daß das alles nur geschah, um ihn zu beruhigen, so trug es trotzdem nicht wenig dazu bei, seine Hoffnungen neu zu beleben.

[181]

Scharf beobachtet.
Nach einem Gemälde von F. Simm.

[182] Auch Obadjas wachsend freundliche Gesinnung gab ihm viel von seiner alten Freudigkeit und Frische zurück; was aber dies Gefühl der Frische vielleicht am meisten belebte, das war, daß sich Tobys in letzter Zeit eine wahre Jagdleidenschaft bemächtigt hatte, zu deren Befriedigung, wie sich denken läßt, niemand geeigneter erschien als Lehnert, der die Tugenden eines guten Schützen mit denen eines erfahrenen Bergsteigers in sich vereinigte. Dies letztere war die Hauptsache. Denn von einem bequemen Absuchen wie früher an den niedrig gelegenen Sümpfen und Teichen hin war schon lange keine Rede mehr, vielmehr ging es bei jeder sich bietenden Gelegenheit hoch ins Gebirge hinein, und Weihen und Bussarde wegschießen, oder auch wohl einen Bartgeier beschleichen, das war jetzt das Jagdvergnügen, nach dem Toby dürstete.

Der Alte mißbilligte das und würde dagegen eingeschritten sein, wenn er nicht Tobys Charakter gekannt hätte, der alles mit Feuereifer angriff, aber nur um es nach kurzer Zeit wieder fallen zu lassen. Hierin fand er seine Beruhigung und ließ es geschehen, wenn Lehnert Toby auf seinen Ausflügen begleitete.

So war Ende Mai gekommen und Toby verlangte danach, einen Steinadler zu schießen, der – er wußte genau die Stelle, wo – hoch im Gebirge nistete. Dann aber wollt’ er zu dem Neste hinaufklettern und die zwei Jungen ausnehmen und großziehen, um sie dem Zoologischen Garten in Galveston zum Geschenk zu machen. Bei seiner letzten Anwesenheit daselbst war er nämlich eitel und unvorsichtig genug gewesen, dem Vorstande des Gartens ein solches Versprechen zu machen, und hielt nun die Durchführung für Ehrensache, worin er sich sogar von seiten Ruths bestärkt sah.

Es war am letzten Tag des Monats, daß sich Toby zu diesem Fange rüstete. Lehnert, der ins Feld mußte, konnte nicht mit, weshalb – wie schon bei früheren Gelegenheiten – ein jünger Arapahoindianer für ihn eintrat, der ein besonderer Liebling von Ruth und Toby war. Er hieß Short-arm, d. h. „Kurzarm“, weil er, infolge eines Armbruchs, einen etwas zu kurzen Arm hatte.

Beide, Toby und Shortarm, waren sehr früh, schon bald nach Mitternacht, aufgebrochen und hofften, mit Sonnenaufgang oben und spätestens um Mittag in Nogat-Ehre zurück zu sein. Aber die vierte Stunde war schon heran, ohne daß sich Toby gemeldet hätte. L’Hermite, von Ruth und Maruschka, die sich zu ängstigen begannen, ins Vertrauen gezogen, ging in Lehnerts Zimmer hinüber, um von dort aus nach dem Gebirge hin Ausschau zu halten, aber, so klar der Tag war, auf der ganzen zwischenliegenden Strecke war zunächst für ihn niemand sichtbar, bis er nach einer Weite Lehnerts gewahr wurde. Er kam von einem zu Nogat-Ehre gehörenden Vorwerk zurückgeritten, auf denn derzeit die Kaulbarse ihren Aufenthalt hatten. Die Sonne, die stark blendete, ließ den ruhig Herantrottenden anfänglich bei seinem Aufblick nicht viel erkennen, als er aber eine Weile danach den mit seinem Käppi winkenden L’Hermite deutlich bemerkte, wurd’ er stutzig und setzte sich, während er seinem Pferde die Sporen gab in einen rascheren Trab. Und nun war er heran und erfuhr von dem in der Flurhalle seiner bereits harrenden Freunde, daß man Tobys halber in Sorge sei. Sie sprachen noch, als auch Odadja hinzutrat und seiner Unruhe, der er bis dahin nicht hatte nachgeben wollen, den allerlebhaftesten Ausdruck gab. Die Wanduhr schlug halb halb fünf. Auch Ruth und Maruschka waren die Treppe herabgekommen und die gute Alte weinte heftig. Sonst schwieg alles und doch war es eine Scene voll immer wachsender Aufregung. Lehnert fuhr überlegend mit der Hand über die Stirn, L’Hermite pfiff und Obadja richtete sein Auge nach oben. Zwischen ihnen hin und her aber lief Uncas und winselte, und wenn er vor Lehnert stand, setzte er sich und sah ihn an und schien zu fragen: „Wo ist Toby?“ Das kluge Thier wußte: der allein kann helfen: Ihr anderen seid nichts.

In diesem Augenblicke that Ruth einen Schrei; Shortarm war die Rampe heraufgekommen, athemlos, und auf Obadja zustürzend, warf er sich vor dem Alten auf die Kniee und sagte: „Master Toby . . . “

„Ist todt?“

„Nein! Er hat sich verirrt. Wir verloren uns. Ich konnte ihn nicht mehr finden.“

Und nun erzählte er mit zitternder Stimme, daß Toby, dicht neben dem „Look-out“, dem höchsten der Berggipfel, auf einige dort auf dem Grat zusammengewürfelte Steintrümmer hinaufgestiegen, aber nach einer halben Stunde und länger noch immer nicht zurückgekommen sei. Auch kein Hilferuf. Nichts. Da sei er selber hinaufgeklettert. Aber kein Toby da. Todt könn’ er nicht sein. Denn es sei nicht hoch gewesen und keine Gefahr. Aber er sei weg. Er müsse sich in den Felsen oder weiter unten im Walde verirrt haben.

Obadja rang nach Fassung. Seine Tage waren gezählt. Wenn das der Ausgang war, daß ihm Gott den Jungen nahm, den Erben, für den er gelebt hatte . . . Und sonst so ruhig und überlegen, war er jetzt wie rathlos und schritt auf und ab. „Ich will beten,“ sprach er vor sich hin. „Aber Gebete . . . Gott will nicht bloß Gebete . . . Wir sollen auch thun, mitthun. So will es Gott. Dann hilft er . . . Lehnert . . . Alles, alles.“

Und dabei nahm er Lehnerts Hand.

Und über Lehnerts Züge flog es wie ein Glanz von Glück und er fühlte deutlich, der Tag, der über ihn entscheiden müsse, sei nun gekommen. Er ging auf Shortarm zu, riß ihm Gewehr und Jagdtasche von der Schulter und sagte: „Komm, Uncas!“

Und vor Freude heulend, sprang das schöne Thier in die Höh’ und folgte dem voranschreitenden Lehnert.


25.

Lehnert ging in starken, Schritt auf das Vorwerk zu, bog aber, eh’ er heran war, nach rechts hin in einen Querpfad ein, der ins Gebirge hinauf stieg. Oben wollt’ er dann den Kamm entlang gehen und von den höchsten Punkten aus Umschau halten. Er war von einem festen Vertrauen erfüllt, daß er Toby finden würde, wenn nicht unterwegs, so doch in Nähe der weit vorspringenden Felspartie, die wegen der mit Vorliebe darauf nistenden Adler schon von alter Zeit her den Namen „Eagle’s Point“, „Adlerspitze“ führte. Jeder Punkt an dieser Stelle war ihm, nach den vielen gemeinschaftlichen Jagdausflügen der letzten Monate, ziemlich genau bekannt; was aber sein Vertrauen noch stärkte, war der Umstand, daß etwa tausend Schritt von Eagle’s Point entfernt ein noch höherer Kegel aufragte, der erwähnte „Look-out“, der nicht bloß wundervolle Fernblicke, sondern einen genauen und leichten Einblick in die nächstgelegenen Felspartieen, am besten aber in die von Eagle’s Point gewährte. Vom Look out aus mußt’ er Toby sehen oder ihn anrufen können, denn dieselbe klare Lust, die das Sehen erleichterte, trug auch den Schall fort.

Es war um die siebente Stunde, daß er an der Stelle hielt, wo der Look-out-Kegel erst in einer mäßigen Schrägung, dann aber einen Knick, eine Stufe machend, in beinah senkrechter Steile anstieg. Am Fuße der gesammten Felsmasse, Sockel wie Spitze, sprang ein Quell und fiel in einen ausgehöhlten Stein. Und hier bückte sich Lehnert, um zu trinken, und stieg dann den unteren Absatz bis zu dem Einknick hinauf. Er war müde geworden und hätte hier gern eine kleine Weile gerastet, um neue Kraft zu sammeln; aber die Sonne stand schon tief, und so war denn keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er noch mit Hilfe des Tageslichts einen leidlich guten Einblick in die Spalten und Klüfte haben wollte. So warf er denn nur die Jagdtasche bei Seite, die ihm beim Klettern bloß hinderlich gewesen wäre, und stieg höher hinauf. Uncas wollte mit. Es war aber zu steil und zu glatt für ihn und, unglücklich, Lehnert nicht folgen zu können, blieb er auf dem breiten Rande, den der Einknick bildete, zurück und legte sich neben die Jagdtasche. Daß er etwas zu hüten hatte, schien ihm ein Trost.

Der Aufstieg ging besser, als Lehnert erwartet hatte. Die Steile zeigte sich freilich beträchtlich, aber überall waren Spalten und Risse, die dem Fuß einen Halt gaben, und an mehr als einer Stelle stand Zwergholz und hier und da selbst ein Busch, daran der Kletternde sich halten und mit nicht allzuviel Schwierigkeit hinaufziehen konnte. Die ganze Höhe betrug keine hundert Fuß, und ehe fünf Minuten um waren, war Lehnert oben und genoß eines wundervollen Umblicks. Zur Linken, unmittelbar über dem Kamm, stand der Sonnenball und goß seine Gluth derart über die ganze lange Berglinie hin ans, daß beide Seiten des Kamms in einem hellen Lichte lagen. Weiter abwärts freilich herrschte schon Dämmerung, was übrigens nicht hinderte, daß Lehnert die weite Thalmulde, bis zu den Shawnee-Hills hin, überblicken konnte. Das da drüben mußte Fort Holmes sein und die vereinzelt aufblinkenden Lichter im Thal bezeichnetn die Linie, wo die Bahn lief. Und zuletzt weilte sein Blick auf Nogat-Ehre. Da lag es. Das erste Haus, das war Obadjas, da wohnte Ruth und er grüßte hinüber. Ja, einen Augenblick vergaß er fast, um was er hier war, und erst als er sich’s wieder vor die Seele [183] gestellt hatte, rief er Tobys Namen. Aber nur das Echo antwortete. So vergingen Minuten. Alles blieb still. Das über den Kamm hin ausgebreitete Licht erlosch und Lehnert fühlte, daß es keinen Sinn mehr habe, auf seiner Felsenhöhe zu verweilen. Und so wollt’ er denn rasch wieder hinab, um wenigstens vor Beginn völliger Dunkelheit noch bis Eagle’s Point zu kommen, wo, wenn das Rufen vergeblich blieb, Uncas ihm Beistand leisten und in dem Gestrüpp umhersuchen konnte. Fand er ihn nicht – und seine frühere Zuversicht hatte ihn zu nicht kleinem Theil verlassen – so wollt’ er nach dem Vorwerk zurück und am andern Morgen von dort aus das Suchen erneuern.

Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo er aufgestiegen war, und an eben dieser Stelle wollt’ er auch – schon der ziemlich vielen Sträucher und Zwergbüsche halber – wieder zurück. Die waren ihm eine Hilfe, wenn er ins Gleiten und Glitschen kam. Zwei-, dreimal hatte er beim Ausrutschen zufassen und sich halten können; auch der Gewehrkolben kam ihm mehr als einmal zu paß, und bis zu der Stelle hin, wo Uncas die Jagdtasche bewachte, waren keine dreißig Fuß mehr. Auch die Steile war hier geringer, und so gab Lehnert denn die Vorsicht auf, die er bis dahin geübt hatte. Aber nicht zu seinem Heil. Denn mit einemmal kam er in ein halbes Stürzen, und weil zufällig kein Strauch mehr da war, dran er sich klammern konnte, schoß er wie von einer Rutschbahn mit aller Gewalt auf den Plateaurand nieder und mußte froh sein, unterwegs auf eine stumpfe Steinkante zu stoßen, die den Sturz einigermaßen aufhielt. In der That war die Erschütterung, als er auf dem Plateaurand ankam, nicht allzu groß, ebenso wenig empfand er einen Schmerz, und so stand er denn auf dem Punkt, zu dem Stein des Anstoßes, der den jähen Absturz gehemmt hatte, sich aufrichtig zu beglückwünschen, als er bei dem Versuche sich aufzurichten erkennen mußte, daß der Stein des Anstoßes wohl geholfen, aber doch noch mehr geschadet habe. Der Hüftknochen mußte ihm, als er mit der Hüfte gegen den Stein fuhr, aus dem Gelenk gesprungen sein. Er erhob sich mit äußerster Anstrengung, aber nur um im selben Augenblick wieder zusammenzubrechen. Jetzt kamen auch Schmerzen, begleitet von einer schweren Ohnmacht, und als er nach einiger Zeit – er wußte nicht, nach wie langer – wieder erwachte, standen schon die Sterne am Himmel.

Ueber sich die Sterne und unten die Lichter von Nogat-Ehre, sonst alles dunkel um ihn her. Dazu kam ein Frösteln. Er hing sich mühsam die neben ihm liegende Jagdtasche um und schob sich seitwärts bis an eine Stelle, wo ein Erlenbusch stand, verkrüppelt, mit halb am Boden ausgestrecktem Gezweig. Unter dies Gezweige kroch er. Es gab Schutz gegen den Nachtwind; Uncas legte sich neben ihn und als Mitternacht heran war, schlief Lehnert ein.

Er schlief mehrere Stunden und die Sonne stand schon über dem Horizont, als er aufwachte. Die Schmerzen hatten nachgelassen, aber das Bewußtsein seiner Lage packte ihn jetzt mit doppelter Gewalt. Gewiß, daß man im Laufe des Tages nach ihm suchen werde. Gewiß, gewiß! Und sie würden ihn auch finden. Aber wann? Bis dahin war es vielleicht um ihn geschehen. „Und wenn es so kommen soll, wenn kein Entrinnen, dann, Du Vater im Himmel, mach’ es rasch, laß es rasch vorüber sein!“

Das war das Morgengebet, mit dem er seinen Tag einleitete.

Die Sonne zog herauf, immer höher, und als es Mittag war, meldete sich Hunger und bald auch ein brennender Durst. Er durchsuchte die Jagdtasche nach etwas, das ihn erfrischen mochte, aber er fand nichts als etwas Brot, das ihm widerstand. Und so warf er’s dem Hunde hin. Der aber winselte nur und kroch wieder zu Lehnert heran und leckte ihm die Hand.

Lehnert freute sich dieses Liebeszeichens und streichelte das schöne Thier. Und mit eins schoß es ihm. durch den Kopf: „Uncas, Du kannst mich retten, Du bist klug. Und nun höre gut zu! Sieh, wenn Du jetzt nach Hause trabst, zu Ruth, zu Miß Ruth, hörst Du, dann kannst Du sie Hierher führen, und dann finden sie mich und dann retten sie mich. Und nun auf!“

Uncas hatte jedes Wort verstanden, aber er schüttelte nur den Behang und streckte sich still wieder nieder und sah Lehnert an. Und dieser las aus dem treuen Auge mit Schrecken heraus: ich bleibe.

„Geh, Uncas! Lauf! Fort!“

Und als alles nichts half, nahm er das Gewehr und stieß nach ihm. Und bald danach erhob sich Uncas auch wirklich und trabte langsam und ohne sich umzusehen den unteren und verhältnismäßig wenig steilen Theil der Felspartie hinab. Lehnert sah ihm nach und ein Hoffnungsschimmer umleuchtete seine Stirn. Aber keine Viertelstunde, so war der Hund wieder da. Er war nur bis an den Quell gegangen und hatte getrunken, und kaum wieder frisch, war er auch frisch wieder in seiner Pflicht und seinem Vorhaben. Und kurzum, da war er wieder.

„Es soll sein,“ sagte Lehnert, über den plötzlich eine volle Ergebung in sein Schicksal kam. „Es ist Gottes, Wille . . . Komm, Uncas . . . Es ist mir eine schöne Lehre: Treue . . . thun, was recht ist . . . aushalten.“

Und er verfiel alsbald in ein fieberhaftes Träumen und wurde erst wieder wach, als ein Läuten aus dem Thale herauf drang. Es war die Glocke, die sonst zum Gottesdienst läutete. „Sie wollen mir ein Zeichen geben. Und ich will ihnen antworten, so gut ich kann.“

Und dabei nahm er das neben ihm liegende Gewehr und schoß, und der Rauch zog am Gebirge hin und das Echo trug den Schall immer weiter und weiter und vielleicht bis hinunter zu Thal. Er horchte nach, bis es verklang. Und nun schwieg es und im selben Augenblick war es ihm, als höre er von weit her einen Ruf: „Hilfe.“

Wessen Stimme war das?

Er richtete sich auf und horchte noch einmal hinüber und einen Augenblick überkam ihn der Gedanke, daß es Toby sein könnte.

„Nein, es war ein anderer, der rief . . . Gut . - Ich bin fertig . . . Ich komme.“

Und nun fiel er mit dem Kopf auf das Lager zurück, das er sich gemacht hatte.


26.

Zwischen den Feldern hin huschte ’was. Was es war, war nicht deutlich erkennbar, das Korn stand zu hoch, und die Dämmerung war noch zu dicht. Aber jetzt kam ein gemähter Wiesengrund, der ganz zuletzt zwischen den Maisfeldern und dem Dorfe lag, und nun ließ sich’s erkennen, daß es Uncas war, der in Sprüngen auf Nogat-Ehre zujagte. Nur noch das Stück Parkland und die Brücke war zu durchlaufen. Und nun war er heran und gab einen lauten Blaff, zwei-, dreimal, und sprang dann an dem Erdgeschoß in die Höh’ und kratzte an den Läden, die das Fenster von Obadjas Zimmer schlossen.

Obadja stand auf und warf einen Pelzrock über, den zu tragen er sich in den langen Wintertagen von Dakota gewöhnt hatte. Dann ging er hinaus auf den Flur, den Hund einzulassen. Wer Uncas sprang ihm schon entgegen, weil L’Hermite – der sich für alle Fälle halb angekleidet aufs Bett geworfen hatte – schneller als Obadja zur Hand gewesen war. Gleich danach kamen auch Ruth und Maruschka die Treppe herab, und mit ihnen Toby; Toby, der noch am selben Abend, wo Lehnert auf die Suche nach ihm ausgezogen, wohl und munter und völlig unverletzt heimgekommen war. Und ein wunderlicher Anblick war es, den die Halle jetzt bot. Front- und Hofthür standen offen und von beiden Seiten her fiel ein fahles Dämmerlicht herein, während das Licht in der herahhängenden Flurlampe zu verschweelen begann. Uncas lief hin und her und sprang empor und beschäftigte sich vor allem mit Ruth, an deren Kleid er zerrte, wie um zu zeigen, daß sie folgen solle.

Jeder wußte, was geschehen, und war erschüttert. Am meisten Toby, der, wenn auch schuldlos, die Veranlassung von all dem war, was jetzt auf jedem lastete.

Obadja faßte sich zuerst und gab, als er sah, daß Uncas, wie um die einzuschlagende Richtung anzugeben, immer wieder auf die Steindrucke zulief, kurze Weisungen für das, was zunächst zu thun sei.

Toby solle mit Shortarm und einem andern Indianer, Yellow Cat, von dem bekannt war, daß er wie eine Katze klettere, zunächst nach dem Vorwerk ausbrechen und dort die weitere Führung an Kaulbars abtreten. Er, Obadja, so sehr er es wünsche, könne sich dem Zuge nicht anschließen, das würde nur Hindernisse schaffen. Und keine fünf Minuten mehr, so brach denn auch Toby mit den zwei Gefährten auf, während Uncas abwechselnd vorantrabte und dann wieder an Tobys Seite war. Man sah dem Hunde an, wie er seine Freude bezeigte, daß man ihn endlich verstanden.

Es war vier Uhr und die Sonne stieg eben herauf, als Toby auf dem Vorwerk eintraf. Das Ehepaar Kaulbars war schon auf und nahm eben seinen Morgenkaffee.

[184]

„Jacht Hohenzollern“.  Aviso „Greif“.
Das Nordkap.
Zeichnung von C. Saltzmann.

[185] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [186] Vorherbestimmte Tagesarbeit unterbrechen, das kannte bei Kaulbars in erster Reihe nur Verstimmung wecken, weil er ganz und gar zu jenen ausgesprochenen Bauer- und Landwirthsnaturen gehörte, die, wenn ihnen Vater und Mutter während der Ernte sterben, zunächst nur unter dem Gefühl stehen: Vater und Mutter hätten sich auch eine bessere Zeit aussuchen können. Als indessen dies erste selbstische Gefühl in unserem Kaulbars erst überwunden war, war er nicht bloß gutwillig, sondern vor allem auch umsichtig in all seinen Anordnungen und wählte neben allerlei Rettungssachen, die man muthmaßlich brauchen würde, zugleich drei seiner besten Leute zur Verstärkung des nun von ihm zu führenden Zuges aus. Auch eine Leiter sammt einer Schütte Stroh nahm er mit, weil er der bestimmten Ansicht war, daß der Verunglückte, verwundet oder nicht, noch am Leben sein müsse; dreißig Stunden könne man’s aushalten, und Tobys Bemerkung, daß Uncas ihn sicher erst verlassen habe, als es mit ihm vorbei gewesen, wollt’ er nicht gelten lassen. Der Hund sei klug, aber doch bloß eine unvernünftige Kreatur. „Und reden kann er nicht.“

Es war gegen sechs Uhr, als man oben war und eine kurze Rast nahm. Uncas jagte beständig hin und her, so lange die Rast dauerte, immer auf denselben Punkt zu, so daß Toby nun in aller Bestimmtheit wußte, wohin man die Schritte zu richten habe.

„Er ist auf den Look-out hinaufgestiegen, um nach mir auszusehen. Und bei dem Aufstieg ist er verunglückt.“

Auf den Look-out also schritten sie zu, Kaulbars voran. Und nur noch wenige Minuten, so waren sie bis an den Fuß der Felspartie gekommen und tranken hier aus dem Quell – denn es war, trotz früher Stunde, schon heiß – und stiegen nun höher hinauf bis auf den Einknick, von dem aus der eigentliche Kegel anhob.

Und nun hatte man die Stufe glücklich erreicht und schritt um den mäßig breiten Rand, den sie bildete, herum. Das erste, was man sah, war der Brotrest, den Lehnert auf ein paar Schritt Entfernung dem Hunde zugeworfen, den dieser aber nicht berührt hatte.

„Hier müssen wir ihn finden,“ sagte Toby, und die Zweige des am Fuße des Kegels festeingewurzelten Gebüsches zurückschlagend, sah er den, dem die Suche galt. Unwillkürlich ließ er das Gezweig, das er in Händen hielt, wieder zurückfahren und seine Augen füllten sich mit Thränen. Könnt’ es anders sein? Der da lag, war gestorben um ihn, um seinetwillen. Und er sprach ein kurzes Gebet, während die andern noch zurückstanden. Nun näherte sich auch Shortarm und brach die weitvorgestreckten Zweige fort, und nun traten alle heran und schlossen einen Halbkreis und blickten auf den Todten. Er sah ernst aus, aber nicht von Schmerzen verzerrt oder entstellt, und hatte die Jagdtasche unter dem Kopf; – neben ihm lag das Gewehr, und ein kurzes Jagdmesser, das er noch in seiner letzten Stunde gebraucht haben mußte, war mit der Klinge in den Sand gestoßen. Sein Rock war halb geöffnet und man sah ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt, das er in die Rocköffnung wie in eine Brusttasche gesteckt hatte. Darunter ruhte seine linke Hand, auf deren Oberfläche man geronnenes Blut sah, aber nur wenig, wie von einem kleinen Riß mit dem Messer. Und nun bückte sich Toby, um das Zeitungsblatt zu nehmen, auf das der Todte, wie’s schien, in seiner letzten Stunde seine letzten Worte geschrieben hatte. Zwischen den Fingern der rechten Hand hielt er noch ein zugespitztes Holzstäbchen.


27.

Am zweiten Tage danach saß Obadja an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift: An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien, (Prussia.)

Der Brief selbst aber lautete:

„Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in Nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekannt zu geben Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Ueber sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demuth und Bescheidenheit, wohl erst durch den Gang seines Lebens erworben, vor allem aber seine gute Sitte machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Muth und seine Geistesgegenwart vom Tode gerettet hatte, war ihm bestimmt. Als er mir auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine fährliche Lage gerathenen Sohn erhalten wollte, war es ihm nach Gottes unerforschlichem Rathschluß vorher bestimmt, diese neue Liebesthat mit seinem Leben zu bezahlen Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart – der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk –, daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu finden. Und in Einsamkeit ist er dort oben gestorben, nicht ohne daß sich zu seinem körperlichen Schmerz auch noch der Schmerz des Gewissens gesellt hätte, wie seine letzten Worte mit aller Bestimmtheit bezeugen. Wir fanden ihn den zweiten Tag, hoch auf dem Kamm des Gebirges, todt, mit einem in die Brusttasche gesteckten Zettel, auf den er, nachdem er sich eigens die Hand mit seinem Messer geritzt, all das niedergeschrieben, was ihm in seiner letzten schweren Stunde das Herz bewegt hatte. Das Holzstäbchen, das ihm dabei gedient, hielt er noch in seiner Rechten. Die niedergeschriebenen Worte aber lauten: ,Vater unser, der Du bist im Himmel . . . Und vergieb uns unsere Schuld . . . Und Du, Sohn und Heiland, der Du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich . . . Und vergieb uns unsere Schuld . . .

„Ich hoffe: quitt.“




Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.
IV.

Durch die ungeahnten litterarischen Erfolge, welche Fritz Reuter mit seinen Dialektdichtungen errang, besserten sich zusehends auch seine Vermögensverhältnisse, sodaß er bald daran denken durfte, sich und seiner Luise ein eigenes stattliches Heim zu bauen und einen berühmten Architekten mit der Ausführung zu betrauen. Der nachfolgende Brief an den alten Freund enthält eine anschauliche Schilderung dieses Hausbaues, der dem Eigenthümer viel Freude machte, aber ihm nicht allein solche, sondern auch mancherlei Sorgen brachte.

„Eisenach, den 11. Sept. 1866.

Mein lieber Fritz!

Du wirst nun wohl mit Deiner Ernte hoffentlich fertig sein und hoffentlich nicht so schrecklich viel Regen gehabt haben wie wir hier; und dann kannst Du nicht allein mit Muße diesen Brief lesen, sondern auch denselben bei Gelegenheit einmal beantworten. – Heber E.s[6] Glück und Deine Eigenschaft als Großpapa haben wir uns sehr gefreut; bin aber doch überzeugt, daß Dir meine verehrte Frau Gevatterin in ihrer Würde als Großmama vollständig Gegenstand leisten wird. Was das wohl für ein interessantes Enkelchen ist! und was das wohl für ein Hantieren und Wirken mit Windeln und kleinen nothwendigen Tüchern ist! Dann kommen denn später die gestickten kleinen Gewänder und Bänder und die verzwickten kleinen gehäkelten Mätzchen und die Lutschbeutel und die Klöterbüssen, und die Idylle ist fertig.

Wir träumen hier auch allerlei Idyllen, denn unser Hausbau hat insofern begonnen, als wir dabei sind, die Felsen, die im Wege liegen, zu sprengen, was viel Arbeit, aber auch Baumaterial schafft. Den Plan zu dem Hause habe ich mir von dem Professor Bohnstedt, einem Architekten aus Petersburg, machen lassen, sehr zur Zufriedenheit; der ausführende Baumeister ist der hiesige Ingenieur der Eisenbahn. Einen genauen Anschlag über den Bau habe ich noch nicht, weil der Plan wegen einiger Abänderungen an Bohnstedt zurück [187] gegangen ist.[7] Das Haus wird 40 Fuß tief und 9 Fuß länger, als das, welches wir jetzt bewohnen, wird 2 Stock (je von 12 Fuß) hoch und erhält noch ein sogenanntes Halbstock oben darauf. Im Parterre liegen die Wirthschaftsräume, Küche, Waschzimmer, Mädchenzimmer, Keller, Holzgelaß und Badestube, dasselbe wird mit Eisenbahnschienen gewölbt und liegt bis auf die Keller ganz oberhalb der Erde. Im zweiten Stock sind die Wohnzimmer, meins wird 4 Fuß tiefer und 3 Fuß breiter[8] und erhält nebenan noch ein kleines Kabinett, das Wohnzimmer liegt in der Mitte und springt etwas ein, davor kommt eine sogenannte italienische Loggia als Balkon in der ganzen Breite des Zimmers, welches ebenfalls 3 Fuß breiter und 4 Fuß tiefer wird, als unser kleiner Salon. Ebenso das Zimmer meiner Frau, welches einen Erker nach der Wartburg zu erhält. Nach hinten an demselben stößt ein Speisezimmer, von dem man ohne Treppe auf eine Terrasse, und in den Garten gelangt. Dann kommt noch nach hinten ein Zimmer zum Ablegen, ein kleines Kabinett für Geschirre und Gedecke, ein Garderobe- und ein Schlafzimmer, welches geräumig wird und nach der Seite zu aus dem Hause ausspringt, damit es gesund und der Morgenluft ausgesetzt wird. Oben, über mir und meiner Frau, kommen ein paar Logierzimmer, mehrere Kammern, und für den Fall, daß ich mir eine Kombination von Gärtner und Bedienten anschaffe, ein Zimmer für diesen. Unterhalb der oben angeführten Terrasse kommt ein kleines Gewächshaus. Den Garten werde ich meistens terrassiren lassen und werde an die Terrassen Spaliers anfügen; auch eine kühle Grotte soll in den Fels gesprengt werden. Ich werde Dir zu seiner Zeit den Plan einschicken. Die Fronte wird sehr hübsch im italienischen Geschmack und wird von vorne wie mit einem platten Dach aussehen, wird aber ein sogenanntes Pultdach nach hinten geneigt haben. Du siehst, es kann hübsch werden, und da ich – Gott sei Dank! – noch immer Glück mit meiner Schreiberei habe, so werde ich auch mit dem Kostenpunkt fertig werden, ohne genöthigt zu sein, von meinem angelegten Gelde etwas aufzunehmen. Diesen Herbst werden die Sprengarbeiten beschafft, im nächsten Herbst ist alles fertig und Ostern 1868 ziehen wir ein, wenn uns Gott Gesundheit und Leben giebt. In manchen Dingen, namentlich im Garten, wird dann wohl noch nachzuhelfen sein. Wir sind beide wohl auf; aber zum neuen Arbeiten komme ich gar nicht. Mir hackt soviel Störung an, daß ich gar nicht weiß, wie das noch werden soll. Nun! hoffen wir auf den Winter. – –

Mein neues Buch[9] ist mit 10 000 Exemplaren in die Welt gegangen. – –

Dein Fritz Reuter.“


„Eisenach, den 10. Dec. 66.

Mein lieber Fritz!

Nachgerade müßte ich mich denn doch wohl für Dein prächtiges Geburtstagsgeschenk, die Karauschen, bedanken. Diese kleinen, liebenswürdigen Landsleute[10] kamen hier in frischem, ungetrübtem Zustande am 8. Nov. an und zwar gerade zur Mittagszeit; nun war aber an diesem Tage ein Ruf an mich ergangen aus der Ferne von Gotha aus, daß ich selbigen Abends eine Vorlesung halten sollte daselbst im Schauspielhause zum Besten der Gustav Adolf-Stiftung und sie sollte mitanhacken. Nun war guter Rath theuer, was anfangen mit der lieben Gottes- und Freundesgabe? Aber Du kennst meine Energie und meinen kurzen Entschluß, wenn von Essen und Trinken die Rede ist; ich sagte also resolvirt bloß das Wort: ‚braden’. – ‚Aber,‘ sagte meine sinnige, gemüthvolle Doris, ‚Herr, all die Krutschen braten?’ – denn sie spricht wegen Bildung nur noch Hochdeutsch. ‚Ja,’ sagte ich und kuckte ihr mit Nachdruck in die himmelblauen Augen, ‚braden, Doris, braden; frische Fische gute Fische, also braden.’ Sie zog sich gekränkt zurück, briet aber die Fische. Was nun sie war, enthielt sich in dieser Frage der Abstimmung und schwieg wie ihr Kollege, der Kultusminister in der Abgeordnetenkammer in Berlin – sie ist nämlich in der letzten Zeit zum Minister des Kultus mit Portefeuille avancirt – sonst wäre die Frage ins Bodenlose gefallen. Als wir aus Gotha zurückkehrten, lebten wir drei Tage und drei Nächte unausgesetzt höchst nahrhaft von ‚braden Krutschen’, und als die letzten verzehrt waren und ich nach mehr verlangte und die Nachricht erhielt, sie wären alle, da sagte ich: ‚Wat? Ok all wedder all?’ und ging zürnend und hadernd mit meinem harten Geschick in meine Stube. – Da hast Du die Krutschen-Geschichte.

Bei uns ist jetzt eine schöne, stille Ruhe eingekehrt, der Hof, der sich hier drei Wochen aufgehalten hat, ist nach Weimar zurückgekehrt. Und als er hier war, habe ich auch zum ersten Mal in meinem Leben eine große Gala-Cour mit durchgemacht, bin zur Tafel geladen und habe der Großherzoglichen Familie eine plattdeutsche Vorlesung halten müssen, die für mich höchst dankbar ausfiel, da mit Ausnahme der Großherzogin, einer geborenen Holländerin, auch kein Einziger ein sterbendes Wörtchen davon verstanden hat. Ich bin jetzt bei der ‚Reise nach Konstantinopel’ und habe den Anfang mit den Rostocker Fetthämmeln gemacht.

Heute ist ein behaglicher Tag für mich, draußen braust der Wind, und die Müllerburschen schlagen sich; ich denke an meine Festungszeit und sitze gemüthlich beim warmen Ofen. –

Dein Fritz Reuter.“


„Eisenach, Sylvestertag 1867.

Mein lieber Fritz!

– – Wir haben unser Weihnachtsfest still und ohne Besuch zu Hause verbracht und sind Eurer und der früheren Weihnachten bei Euch so lebendig eingedenk gewesen, wie die Karauschen waren, die Vater Knitschky[11] uns geschickt hat. Ja denke Dir! die kleinen fröhlichen Dinger kamen am 2. Feiertag hier bei uns an und waren ganz frisch und lebendig, und weil unsere Doris am 2. Festtage Ausgehtag hatte, mußten sie wohl oder übel die Nacht über noch in bittern Todesgedanken harren, aber am andern Morgen – lebten sie noch! Wir leben jetzt buchstäblich fast nur von Fischen, und da die Sendung eine reichliche war, so hoffen wir auch noch einen Theil des neuen Jahres uns davon zu ernähren, denn – dies kannst Du Deiner Frau sagen, damit sie ihre Freude daran habe – ich bin mal wieder, wie früher auf der Festung[12], mit einem genialen Fischgedanken in die Wochen gekommen; ich habe nämlich angeordnet, daß der größte Theil dieses Stolper Gewächses gebraten und dann in Essig gelegt und schließlich als saure Heringe verspeist werden soll. Wenn die guten Karauschen noch lebten, die würden sich mal wundern, was alles aus ihnen werden kann. –

Wenn’s alles so geht, wies gehen soll, dann kommen wir im Februar; mein Buch[13] schreitet piano-forte vorwärts, so daß ich es bis zu der Zeit fertig zum Druck bringen werde, und mein Haus ebenso piano-forte, daß ich es ohne Sorge verlassen kann.

– – Luise, die von Tag zu Tag gescheuter und klüger wird – man sollt’s gar nicht glauben, wie weit sie in dieser Geistesausbildung schon vorgerückt ist! – tadelt mich eben heftig, daß ich nicht vorneweg schon an dem Kopfe des Briefes meinen Dank für das künstlerisch schöne Geschenk[14] ausgesprochen habe. Sie hat gut reden, sie ißt bei Tisch die besten Happen vorweg, während ich mir von Jugend auf immer das fetteste Ende vom Butterbrot und das größte Stück Spickgans bis zuletzt aufgehoben habe. Also nun das fetteste Stück Butterbrot! – Herzlichen Dank für das schöne Geschenk, es soll unsern Salon im neuen Hause zieren! – –

Nun lebt alle wohl! Gedenkt unser freundlich und nehmt die Freßsäcke willig als ein unvermeidliches Uebel auf!

Vorher, zeige ich die Ankunft derselben an.

Dein Fritz Reuter.“

[188]

Reisende Brieftauben.

Von Dr. Karl Ruß.

Zu den lieblichsten Naturbildern, welche die Heimath uns gewährt, gehört zweifellos die Ausschau auf eine im milden Frühsommersonnenschein oder in der klarblauen, durchsichtigen Herbstluft vor uns liegende Landschaft, in der wir unsere Blicke schweifen lassen über Hügel und Gelände, ein Städtchen mit spitzem Kirchthurm, den blinkenden Landsee, den mit kräuselnder Dampfwolke dahin rollenden Eisenbahnzug – während hoch oben in der Bläue sich ein Schwarm Tauben kreisend umhertummelt. Voll Entzücken verfolgt der Liebhaber dieses Naturschauspiel, und in dem Reiz, welchen dasselbe birgt, begründet sich eben auch die alte, weitverbreitete Neigung für die sogenannten Fliegetauben. In den meisten großen Städten haben wir Vereine, deren Mitglieder allen Gesellschaftsklassen angehören und die das „Jagen“ der „Berliner Altstämmigen“, der „Danziger Wolkenstecher“, der „Wiener Gamseln“ u. a. m. förmlich mit Begeisterung treiben.

Seit den Jahren des deutsch-französischen Krieges ist sodann auch bei uns bekanntlich die Brieftaubenliebhaberei überall zur regsamen Entwickelung gekommen. Selbst für denjenigen, der den Kriegsbrieftauben keine oder doch nur eine geringe Bedeutung zuschreiben mag, wird eine Ueberschau der Entwickelung der Brieftaubenliebhaberei und des Kriegsbrieftaubenwesens interessant erscheinen, und daher will ich wenigstens eine kurze Uebersicht des Wichtigsten auf diesem Gebiete geben.

Alle derartigen Bestrebungen haben verhältnißmäßig viel und andererseits doch auch ungemein wenig gebracht. Da sehen wir, daß die oberste Militärbehörde des Deutschen Reichs bereits in allen bedeutenden Festungen sogenannte Brieftaubenstationen eingerichtet hat und das Netz derselben noch immer enger zu ziehen sucht, während bekanntlich auch alle übrigen Länder, neuerdings besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Italien, Rußland und selbst Dänemark diesen Kriegsbrieftaubensport nicht minder eifrig treiben; da schießen die Liebhabervereine förmlich wie Pilze hervor und eine eigene Zeitschrift hat sich in ihren Dienst gestellt; wir haben bis jetzt in Deutschland etwa hundert Brieftaubenzüchtervereine mit ungefähr 30 000 Tauben, und für Kriegszwecke werden bereits zwischen 6- und 8000 Tauben gehalten. Im Etat des deutschen Reichshaushalts wurde die Summe für das Kriegsbrieftaubenwesen auf 50 000 Mark erhöht, so daß sie also 15 000 Mark mehr als in früheren Jahren beträgt.

Neuerdings hat das Kriegsministerium in Berlin eine Medaille mit der Inschrift „Für Verdienste um das Militärbrieftaubenwesen“ herstellen lassen. Der Minister für öffentliche Arbeiten in Preußen hat alle möglichen Vergünstigungen bei der Versendung der Brieftauben bewilligt, und der Minister für Landwirthschaft hat sogar klingende Belohnungen für das Abschießen der für die Brieftauben gefährlichsten Raubvögel (Wander- und Baumfalk, Habicht u. a.) ausgeboten. Als bedeutungsvolle Neuerung wurden Brieftaubenstationen für den Dienst der Luftschifferabtheilung des Eisenbahnregiments in Schöneberg bei Berlin u. a. eingerichtet, und die hier gezüchteten Tauben werden nun eigens für Reisen vermittels der Luftballons abgerichtet oder, wie der Kunstausdruck lautet, trainirt. Dieser Weg ist zweifellos der einzig richtige, um die Brieftaube für den Fall des wirklichen Kriegs nutzbar zu machen, denn nur so ist es möglich, Tauben aus einer belagerten Festung heraus oder in dieselbe hinein zu bringen und in entsprechend umgekehrtem Verhältniß Nachrichten in die Festung oder aus derselben heraus gelangen zu lassen.

Eine absonderlich eingerichtete Uhr zur raschen Feststellung der Ankunft der Brieftauben, bis auf die Sekunde genau, ein elektrischer Meldungsapparat, welcher die Ankunft verkündet, Verbesserungen in der Herstellung und Befestigung der vermittelst photographischer Verkleinerung auf den denkbar engsten Raum zusammengedrängten Depeschen an den Schwanzfedern der Tauben, praktischer Fußringe zur Kennzeichnung, verbesserte Plombenzangen und bequemer und praktischer eingerichtete Reisekörbe, immer reichere Erfahrungen in der Verpflegung, vervollkommnete Nistvorrichtungen u. a. m., das sind Errungenschaften, welche die Brieftaubenliebhaberei in letzter Zeit aufzuweisen hat.

Nicht minder strebt man nach immer größerer Erhöhung der Flugleistungen, und ich darf darauf hinweisen, daß man auch in dieser Beziehung erstaunliche Ergebnisse zu verzeichnen hat. Um nur ein Beispiel anzuführen, will ich berichten, daß bei einem Wettfliegen zwischen Köln und Berlin die beiden ersten Tauben des Vereins „Phönix“ nach 4 Stunden 38 Minuten in Berlin eintrafen. Dies ist die größte Fluggeschwindigkeit, welche wir bis jetzt bei gut eingeübten, flugessicheren Tauben zu verzeichnen haben. Die Entfernung zwischen Köln und Berlin beträgt 474 Kilometer oder 64 Meilen Luftline, jene Tauben haben also in der Minute rund 1700 Meter zurückgelegt, während die Schnellzüge in runder Zahl es nur auf 50 Kilometer in der Stunde oder 833 Meter in der Minute bringen. Im allgemeinen kann man die Durchschnittsgeschwindigkeit guter Brieftauben auf 1000 bis 1200 Meter in der Minute schätzen.

Die neueste und vielleicht allerbedeutsamste Verwendung der Brieftauben liegt in ihrer Abrichtung zur See. Es ist z. B. gelungen, von den in der See liegenden Leuchtschiffen aus bei stürmischem Wetter die Lotsen für herankommende Schiffe durch Brieftauben vom Lande herbeizurufen.

Außerordentlich großes Aufsehen hat ein Erfolg erregt, welchen man seit dem Alterthum erstrebt, bis jetzt aber noch nicht erreicht hatte, nämlich die wirklich zuverlässige Abrichtung der Brieftauben zum Hin- und Zurückfluge. Bis dahin hatten sich die Tauben nämlich immer nur in einer Richtung verwendbar erwiesen. Der Leiter des italienischen Kriegsbrieftaubenwesens, Hauptmann Malagoli, hat es wirklich dahin gebracht, daß eine Anzahl seiner Tauben zwischen zwei Festungen, mit Depeschen beladen, hin und zurück ihren Dienst leisten. Die betreffende Schrift, in welcher diese Thatsache mitgetheilt worden und zugleich Anleitung zu dieser Abrichtung gegeben ist, erschien soeben unter dem Titel „Experimente über Hin- und Rückflug der Militärbrieftauben“, ins Deutsche übertragen und besprochen vom sächsischen Artillerielieutenant Fellmer (Berlin, Fr. Luckhardt), und dies Büchlein ist in der That der allgemeinen Beachtung werth. Derartige Versuche waren ja, wie vom Hofrath A. B. Meyer in den „Mittheilungen des ornithologischen Vereins von Wien“, und dann auch in meiner Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ dargelegt worden ist, schon vielfach angestellt worden, bis jetzt aber hatten sie noch niemals vollen Erfolg gebracht.

Im Gegensatz zu allen hochgespannten Erwartungen und Hoffnungen, welche die Brieftaube erweckt, zeigt sie sich mit ihren Leistungen in Wirklichkeit leider gar unzuverlässig. Wind und Wetter, Nebel, Sturm und Ungewitter, die Kugel des gewissenlosen Raubschützen, die in den Forsten hausenden gefiederten Räuber und zahlreiche andere Gefahren bedrohen den Dienst des geflügelten Boten.

Als vor etwa fünfzehn Jahren der große Neuschöpfer der deutschen Reichspost eine Versammlung zusammenberufen hatte für den Zweck, um über die Verwendung der Brieftaube im Postdienst zu berathen, mußte ich eine an mich als Verfasser des Buchs „Die Brieftaube“ gestellte Frage dahin beantworten, daß dieser Vogel als Beförderer von Nachrichten neben dem Telegraphen in dessen neuester Vervollkommnung nach meiner Ueberzeugung keinesfalls nachhaltig bestehen könne. Auf meine Gegenfrage hatte Dr. Stephan nämlich angegeben, daß im Laufe von wenigen Jahren über ganz Deutschland ein Telegraphennetz verbreitet sein werde, dessen weiteste Entfernung nur etwa zwei Meilen betragen dürfe. Daraufhin konnte ich eben keine andere Auskunft ertheilen, als die, daß die Brieftaube auch nicht im entferntesten dazu geeignet sei, sicherer und schneller als der Telegraph Nachrichten zu übermitteln. Auf weite Entfernung hin kann sie schon von vornherein neben dem elektrischen Boten, der ja eben mit „Blitzesschnelle“ vorwärts zu dringen vermag, nicht aufkommen und auch bei geringen Entfernungen wird sie weder in der einen noch anderen Hinsicht den Telegraph übertreffen. So bleibt die Brieftaube denn für Europa zunächst nur ein Gegenstand des Sports, das heißt einer allerdings ungemein anregenden Liebhaberei – und allenfalls kann sie noch hier und da als Liebesbote, wie im Alterthum so auch heute, zur Geltung kommen.

Anders im schwarzen Erdtheil. Major Wißmann sind für seine Expedition auch deutsche Brieftauben mitgegeben worden. Die Haustaube acclimatisirt sich leicht im innern Afrika, wird aber nach Berichten Emins ebenso leicht durch Raubvögel ausgerottet. Immerhin sind die Versuche auf afrikanischem Boden beachtenswerth, denn wo der Telegraph völlig fehlt, wo die Wege schlecht und unsicher sind, kann die Taubenpost zwischen zwei entfernten Stationen gute Dienste leisten.

Wenn die Tauben, mit Wind und Wetter kämpfend, wie es das schöne Spechtsche Bild veranschaulicht, in Schraubenlinien aufsteigen, um sich in eine solche Luftschicht emporzuschwingen, in der sie einerseits nicht mehr widrigen Wind haben, und in der ihnen andererseits ein weiter Ausblick für das Zurechtfinden zu Gebote steht, so sehen wir, daß der ganze Schwarm, der bisher wohl verhältnißmäßig lange Frist rastlos in malerischem Fluge kreiste, nun plötzlich nach der rechten Richtung hin abschwenkt – und da fragen wir uns unwillkürlich: worin liegt denn diese Gabe des Vogels, auf unglaublich weite Entfernungen hin sich zurechtzufinden und die Heimath wieder zu erreichen? Die Antworten auf diese Frage fallen sehr verschieden aus, denn es ist der wissenschaftlichen Forschung bis heute noch nicht gelungen, eine endgültige und stichhaltige Begründung dieser Thatsache zu finden.




Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika.

Von Dr. Emil Jung.
Mit einer Karte der afrikanischen Sklavenhandelsgebiete.

In Brüssel tagt gegenwärtig auf Einladung des Königs von Belgien ein von den meisten Staaten Europas beschickter Kongreß, welcher sich mit der Frage befaßt, wie am besten dem Menschenhandel in Afrika ein Ende zu machen sei. Wohlverstanden, es handelt sich hier um den Verkauf von Sklaven über die afrikanischen Grenzen hinaus. Man ist keineswegs gesonnen, in die Verhältnisse, wie sie nun einmal bei den afrikanischen Völkern bestehen, soweit einzugreifen, daß man die Sklaverei überhaupt dort verbieten will. Ein solches Verbot würde auch ganz wirkungslos sein. Es ließe sich höchstens in einigen der Küstenstriche durchsetzen, denn, abgesehen von solchen Staaten und Kolonien wie Aegypten, Algerien, Tunis, der Kapkolonie und Natal, besitzen die Europäer keine genügenden Machtmittel, um ihren Beschlüssen die Ausführung durch ein entsprechendes Eingreifen zu sichern.

In allen anderen Theilen Afrikas ist die Macht der europäischen Staaten nur auf den Küstensaum mit jeweiligen Niederlassungen nach dem Innern zu beschränkt; was die Karte als ihrem

[189] 

Reisende Brieftauben.
Zeichnung von F. Specht.

[190] Einfluß unterworfen bezeichnet, besteht in diesem Verhältniß meist nur auf Grund von Abmachungen zwischen den europäischen Kabinetten, die Völker aber, welche in dergleichen Gebieten wohnen, haben auch nicht die entfernteste Ahnung, daß und wie man über sie verfügt hat; sie würden auch eine Uebersetzung der in Europa getroffenen Abmachungen in entsprechende Handlungen auf afrikanischem Boden entschieden zurückweisen.

An den inneren Einrichtungen will man nicht rütteln. Und eine der wichtigsten, in den afrikanischen Verhältnissen am tiefsten wurzelnden ist die Sklaverei. Nur müssen wir uns davor hüten, in dieses für unsere Ohren so mißtönende Wort alles das hineinzutragen, was wir aus andern Ländern, insonderheit aus den Vereinigten Staaten, darüber erfahren haben. Die Greuel von „Onkel Toms Hütte“ auf afrikanischen Boden zu versetzen, wäre abgeschmackt. Freilich sind die hier verübten Barbareien nicht weniger entsetzlich, nur finden wir sie nicht in der häuslichen Sklaverei, sondern bei dem Fange, der Beschaffung der Sklaven.

Wo der Sklave „nur ein Rädlein in einem mächtigen Arbeitsmechanismus“ ist, wird die Ausnutzung und Belastung seiner Kräfte eine ganz andere als bei niedrigstehenden Völkern. Es ist eine traurige, nicht zu leugnende Thatsache, daß die Fortschritte menschlicher Kultur mit dem Fortschreiten der Sklaverei Hand in Hand gingen. Das klingt widersinnig, aber es ist unzweifelhaft wahr. Solange der Mensch auf der niedrigen Stufe des Jägers verharrt oder als Nomade die Triften wüste liegen läßt, braucht er keine Sklaven. Darum tödtet das Hirtenvolk der Massai in Ostafrika stets alle Gefangenen. Sobald aber die höhere Stufe des Ackerbaus erreicht ist, werden Arbeiter gebraucht, und da den Menschen in den ersten Stadien ihrer Entwicklung die Arbeit immer als eine Last erschien, so war es natürlich, daß überall der Versuch gemacht wurde, die widerwillig getragene Bürde auf die Schultern anderer abzuwälzen. Bei den beständigen Kriegen bot sich in den Gefangenen immer ein Ersatz, der Sieger konnte feiern, während die Hörigen sich plagten.

Es ist richtig, daß bei den höchstgebildeten Völkern die Einrichtung der Sklaverei längst nicht mehr besteht. Dennoch hat die Milderung dieses der Menschheit zur Unehre gereichenden Verhältnisses keineswegs einen gleichmäßigen Schritt eingehalten mit dem Gang der Geschichte. Die Odyssee zeigt uns den schlauen Herrscher von Ithaka als geliebt von seiner Dienerschaft, solchen Leuten wie der „göttliche Sauhirt“ und die alte Amme; die Römer der Kaiserzeit aber erachteten es kaum für verwerflich, die Fische ihrer Teiche mit Sklaven zu mästen. Das Christenthum brachte eine Wandelung. Es forderte für alle die gleichen Menschenrechte, nur die Nachkommen Hams, d. h. im wesentlichen die afrikanischen Völkerstämme, auf denen der Fluch Noahs lastete, wurden ausgenommen. Sie hatte der Patriarch zu Knechten aller Knechte der Brüder Sem und Japhet verdammt. Mehr als dreiundeinhalbes Jahrhundert sind verflossen, seit der Priester Las Casas aus den menschenfreundlichsten Beweggründen die Einführung von Negersklaven zum Ersatz für die schnell hinsterbenden Urbewohner Amerikas empfahl, und erst am 13. Mai 1888 wurde der letzte Sklave in Brasilien frei. Damit war der bis dahin am Körper des amerikanischen Festlands nagende Krebsschaden in seiner einzigen noch bestehenden Spur entfernt. Aber dieser Prozeß hat einen blutigen Krieg entzündet und einen Thron gestürzt!

Man darf nicht meinen, daß die Sklaverei nach Afrika erst von außen hereingebracht worden sei. Sklaverei und auch Sklavenhandel sind eine mit den Anschauungen der afrikanischen Völker eng verwachsene Einrichtung. So tief eingewurzelt ist dieselbe, daß in Französisch-Senegambien, wo die Sklaverei bereits seit 40 Jahren aufgehoben ist, Neger sich immer noch für Sklaven halten. In Westafrika finden wir eine Theilung in Feld- und Haussklaven; letztere sind die Freunde und Vertrauten ihrer Herren, erstere Last- und Arbeitsthiere. Es ist hier bemerkenswerth, daß die Behandlung der Sklaven bei den höher stehenden Völkern am schlechtesten, bei den niedrigeren am besten ist. Man überläßt ihnen gewöhnlich alle Arbeit, nur nicht den Handel, ohne sie aber zu überbürden oder hart zu behandeln. Aber sie sind und bleiben nur eine Sache und es ist durchaus selbstverständlich, daß, wenn die Nothwendigkeit es erheischt, ein Menschenopfer zu bringen, unbedenklich einer der Sklaven hingeschlachtet wird. Doch finden die Sklaven in Westafrika auch einen gewissen Schutz durch die Priester. Mißhandelte Sklaven können ihre Freiheit erlangen, indem sie den großen Fetisch anrufen, sie hinfort als seine Sklaven anzunehmen. Besprengt dann der Priester oder Hohepriester den Schutzsuchenden mit Weihwasser, so ist er fortan Sklave des Fetisches, kann aber auch unter Umständen frei gehen, wohin er will.

Wir wissen durch Wolf und Wißmann, daß, wiewohl die Sklaverei in Westafrika von Rechts wegen abgeschafft ist, dieselbe thatsächlich noch immer besteht und daß der als Arbeiter gekaufte Sklave bei seinem Herrn in der Regel ausharrt.

Sklaven zu dem billigen Preis von 50 bis 60 Mark fürs Stück zu erhalten, ist nicht schwer, denn die Negerstämme im Innern Afrikas halten überall Sklaven, die einige derselben sehr gut, andere aber sehr schlecht behandeln. Bei manchen Stämmen würde den Besitzer eine schlechte Behandlung seiner Sklaven bei seinen Stammesgenossen unfehlbar stark heruntersetzen. Dennoch schwebt wie ein Damoklesschwert stets die Gefahr über dem Sklaven, verkauft zu werden, eine Gefahr, welche Frauen und Kinder mit ihm theilen: nur die erwachsenen Söhne sind ausgenommen. Bei einigen Stämmen am Kongostrom werden ältere Männer gekauft, um bei dem Tode angesehener Eingeborener als Schlachtopfer zu dienen, und je vornehmer und reicher die Familie ist, welcher der Verstorbene angehört hat, desto größer die Zahl dieser Opfer. Der Menschenhandel steht in diesem Theil Afrikas noch in voller Blüthe, ohne daß derselbe durch die Bedürfnisse außerafrikanischer Länder erregt wäre.

Aber diese Seite der Sklaverei ist nicht die schlimmste. Nicht die einheimische Sklaverei ist es, welche so unaussprechliche Greuel über Afrika gebracht hat, vielmehr war es Europa, insonderheit England, welches dem in kleinem Maßstabe längst bestehenden Handel einen mächtigen Schwung gab. England war es aber auch wieder, welches die ersten Schritte zur Abschaffung dieses Schandflecks christlicher Gesittung gethan, ungeheure Summen hergegeben, um den bisher Geknechteten ihre Freiheit zu erkaufen, und bis heut eine Flottille unterhalten hat, um das schändliche Gewerbe auszurotten. Vorher aber hatte es freilich an diesem Handel nach einer glaubwürdigen Berechnung an 400 Millionen Dollar verdient, während das unglückliche Afrika um 40 Millionen Menschen ärmer geworden war. Und dabei erreichte nur ein kleiner Prozentsatz dieser ungeheuren Menschenmenge sein Ziel, die Pflanzungen der Neuen Welt. Der bei weitem größte Theil ging zu Grunde auf den Märschen zur Küste, auf der Fahrt, deren Entsetzlichkeit man nur mit Grauen lesen kann, endlich im Hafen nach der Ankunft infolge der ausgestandenen Leiden.

Dem Handel an der Westseite Afrikas wurde ein Ende gemacht. Dafür sorgte das englische „Sarggeschwader“, so benannt nach der entsetzlichen Sterblichkeit der Schiffsmannschaften an der fieberhauchenden Küste. Die aus den gekaperten Schiffen befreiten Neger brachte man auf das menschenleere St. Helena oder siedelte sie auf den englischen Besitzungen an der Küste Nordwestafrikas an. Aber den Sklavenhandel nach dem afrikanischen Norden und Osten aus der Welt zu schaffen, das hat sich trotz aller Bemühungen Europas bisher als unerreichbar erwiesen.

Der ganze Norden Afrikas ist dem Islam verfallen, nicht nur die einstmals christlichen Landschaften am Mittelmeer, auch das Oasengebiet in dem weiten Wüstenstrich der Sahara und die südlich sich daran schließenden gutbevölkerten Negerstaaten des Sudans, vom Atlantischen Ocean bis zum Rothen Meer, in dessen Nähe das christliche Abessinien auf hohem Felsplateau wie ein von der Sturmfluth umbrauster Fels sich behauptet.

Islam und Sklaverei sind untrennbar, denn wenn auch Mohammed die Sklaverei verbot, so hat dies Verbot doch nie bezüglich der Ungläubigen gegolten. Die Seeräuberstaaten an der nordafrikanischen Mittelmeerküste waren lange Jahre der Schrecken der Christenheit und Tausende der Hinweggeschleppten schmachteten in afrikanischer Gefangenschaft, zu den schwersten und niedrigsten Diensten verdammt, während die christlichen Staaten Gleiches mit Gleichem vergalten und von italienischen und spanischen Herren gern mohammedanische Gefangene an die Ruderbänke ihrer Galeeren gekettet wurden.

Die Eroberung Algeriens durch Frankreich und die spätere Besitzergreifung von Tunis haben in diesen beiden Ländern den Sklavenhandel endgültig beseitigt, und seitdem Aegypten unter englischer Verwaltung steht, kann auch dort das bis dahin trotz [191] aller amtlichen Versicherungen immer noch betriebene Geschäft nicht mehr recht gedeihen. Es bleiben noch Tripolis und Marokko, wo der Sklavenhandel sicher so lange fortbestehen wird, als die Eifersucht der Mittelmeerstaaten Europas diesen beiden Ländern die Selbständigkeit wahrt. Auch mit den Ansichten, Sitten und Gebräuchen der mohammedanischen Bewohner des Sudans ist das Bestehen der Sklaverei eng verknüpft. Es läßt sich allerdings nicht leugnen, daß die Behandlung des Sklaven in mohammedanischen Ländern fast immer eine sehr menschliche ist, die Art der Beschaffung der Sklaven aber, wie sie unter dem Einfluß, gegenwärtig zumeist auch unter der Leitung von Mohammedanern betrieben wird, ist, wie schon angedeutet, das gerade Gegentheil von allem, was menschlich genannt werden kann. Und im Sudan ist Europa ohne alle Macht. Wohl war unter europäischem Einfluß Aegypten, so lange ihm die ungeheuren Gebiete zu beiden Ufern des Nils bis an die Quellen dieses Stromes hinan gehörten, durch Gordon, Gessi, Munzinger, Emin und so manchen andern bemüht, dem schmählichen Handel ein Ende zu machen. Hier bildete der Sklavenhandel schon seit alten Zeiten ein Monopol der arabischen Elfenbeinhändler, welche ihre kostbare Ware durch gekaufte Sklaven bis zur Küste bringen ließen und dann Träger und Lasten zugleich verkauften. Ehe Dar Fur von ägyptischen Paschas erobert wurde, ertheilte der dortige Sultan den Händlern förmliche Erlaubnißscheine zum Betrieb der Sklavenjagd in den südlichen Grenzländern seines Gebiets.

Die Gebiete des afrikanischen Sklavenhandels.
Nach Dr. E. Jung.

Seitdem die ägyptische Herrschaft durch die Mahdisten gestürzt wurde, steht Sklavenraub und Sklavenhandel wie zuvor in vollster Blüthe, und es ist sicher, daß gerade die Sklavenhändler es gewesen sind, welche dieser theils religiösen, theils nationalen mahdistischen Bewegung einen starken Antrieb gaben. Würde doch auch durch das Aufhören der Zufuhr von Sklaven die materielle Wohlfahrt der Länder des Sudans in entschiedener Weise bedroht, und sah sich doch Gordon selber veranlaßt, sein letztes Auftreten in Khartum, das ein so unglückliches Ende nahm, mit dem Widerruf aller früher gegen den Sklavenhande1 erlassenen Verbote zu beginnen! Freilich ohne die hereinbrechende Katastrophe aufhalten zu können!

Heute ist das ganze große Gebiet im Süden des Sudans vom Westen bis zum Osten Afrikas ein großes Sklavenjagdgebiet, ebenso die großen, ehemals so dicht bevölkerten, jetzt auf große Strecken fast menschenleeren Landschaften an beiden Ufern des oberen Kongos bis zu den großen Seen Tanganjika und Njassa. Araber sind es, welche bis hierher vorgedrungen sind, ihre Stationen inmitten einer fleißigen und friedliebenden Bevölkerung errichtet haben und mit Hilfe von Pulver und Blei ihre Verwüstungen in das ehedem gesegnete Land tragen konnten.

Nachtigal war Zeuge solcher Sklavenjagden und schildert uns haarsträubende Scenen, die sich bei der Einnahme und Niederbrennung von Negerdörfern, bei dem Kampf mit den hoch in den Wipfeln der Bäume wohnenden Eingeborenen abspielten. Noch entsetzlicher fast sind die Schilderungen, welche der verdiente Livingstone von den Greueln entwirft, die zum Theil unter seinen Augen in dem südlicheren Seengebiet verübt wurden. Stanley fand auf seinen Reisen am Kongo in einem einzigen Lager von Sklavenjägern 2300 gefangene Weiber und Kinder, deren Väter und erwachsene Brüder todt in den niedergebrannten Dörfern zurückgelassen waren. Und dies war die Beute aus einem Bezirk, so groß nur wie Bayern und Württemberg zusammengenommen! In einem andern Lager war eine noch größere Zahl untergebracht und diese 5000 zum Theil völlig nutzlosen Geschöpfe, von denen vielleicht [192] dreiviertel, jedenfalls die Hälfte auf dem Marsch zur Küste zu Grunde gehen mußten, hatten nicht weniger als 33000 Opfer gekostet, ein weites, ehedem mit glücklichen Dörfern besätes Gefilde war nun der Verödung preisgegeben.

Als Wißmann im Jahre 1881 durch das Land der Basongo reiste, begegneten seinen Augen überall schöne Dörfer, deren Bewohner das Land ringsum mit umsichtigem Fleiß bestellten und mit kundiger Hand Zeuge, Töpferwaren, Eisengeräthe und Schnitzwerk aus Holz zu fertigen verstanden. Als er aber fünf Jahre später desselben Weges zog, waren die ausgedehnten Dörfer zerstört und verlassen und das ehedem so reiche Land so arm geworden, daß er 80 seiner Leute durch Hunger und Kankheiten infolge von Entbehrungen verlor.

An dem großen Njassasee hat die englische Mission in Verbindung mit der großen englischen Afrikanischen Seen-Gesellschaft den Versuch gemacht, die Bevölkerung für die Gesittung und das Christenthum zu gewinnen. Aber wie anderwärts vernichteten die auch hierher dringenden Araber mit der Bevölkerung alle bislang geleistete Arbeit. Ein kriegerischer Raubzug zerstörte die Dörfer, schlachtete die Widerstand Leistenden ab und führte den Rest als Gefangene fort, um das von jenen Arabern eingehandelte Elfenbein zur Küste zu tragen. Ein Augenzeuge schilderte uns den Zug der 3000 Köpfe zählenden Karawane des mächtigen Händlers Kabunda:

„Zuerst kamen die Waffenträger, tanzend, gestikulierend und ihre Flinten in die Luft werfend und wiederfangend, wie nur Araber es thun können, zum Klang von Trommeln, Pfeifen und anderen weniger musikalischen Instrumenten. Dann folgte langsam und gemessen der große Mann selber in weißem goldgestickten Gewand, seidenem Turban, Schwert und Dolch reich mit Silber verziert, begleitet von seinem Bruder und anderen Häuptlingen, während sein prächtig aufgeschirrter Esel nebenher ging. Nun kamen die Frauen und Dienerinnen, lachend und scherzend, mit dem Hausgeräth und manchem Gut ihrer Herren, und auf diese folgte die eigentliche Karawane selber, bewacht von wildblickenden Männern mit Flinten, Speeren und Aexten. Von den unglücklichen Gefangenen waren die starken Männer, von denen man sich vielleicht nichts Gutes versah oder um sie am Weglaufen zu verhindern, in die schreckliche Sklavengabel[15] gespannt, ihre Hände auch wohl an dieselbe gebunden, alle aber mit schweren Halsringen und Ketten beladen und zu Zehn oder Zwölf aneinander gefesselt. Oft mußte eine schwerbeladene Mutter noch das ganz junge oder ermüdete Kind tragen, nicht selten wohl brach sie unter der doppelten Last zusammen und Speer und Axt sorgten dafür, daß das nothgedrungen zurückgelassene Eigenthum keinem andern in die Hände fiel. Das schauerliche nächtliche Geheul der Hyänen, welche der Spur des Zugs folgten, verkündete nur zu deutlich das Folgende.“

Nicht immer aber endet Kugel, Speer oder Schwert die Leiden des zusammenbrechenden Sklaven; das ist noch ein mildes Verfahren! Nur zu oft siegt die barbarische Lust an menschlicher Qual über die Habgier, und der Unglückliche wird mittels der Sklavengabel in aufrechter Stellung an einem Baum festgemacht und so einem Todeskampfe überlassen, schmerzlicher, weil länger als Kreuzigung oder Pfählen.

Stanley hat auf seinem Zuge zur Befreiung Emin Paschas den alten Sklavenhändler Tippu-Tip gegen ein Jahresgehalt dafür gewonnen, das Amt eines Gouverneurs am oberen Kongo zu übernehmen. Wißmann erzählt uns, wie er das Lager Sayols, eines der Offiziere dieses Arabers, besuchte. Bei seinem Eintritt sah er fünfzig rechte Hände an Balken genagelt und Flintenschüsse bezeugten, daß Sayol sich damit vergnügte, an seinen Gefangenen als Zielscheibe Schießübungen zu machen, ehe dieselben geschlachtet und zertheilt wurden, um Tippu-Tips Hilfstruppen vom Lomami als Festmahl zu dienen. Das war, ehe der Araber jene Gouverneursstelle annahm, daß es aber seit jener Zeit nicht viel besser geworden ist, bezeugen uns die Offiziere des Kongostaats selber.

Doch genug und übergenug der Greuel! Das Schlimmste, das Unaussprechbare ist dabei noch nicht gesagt. Kann und darf das so bleiben? Können christliche Nationen, welche jetzt Anspruch auf große Theile Afrikas erheben, es dulden, daß Scheußlichkeiten, wie die Welt sie nie schlimmer kannte, gewissermaßen unter ihrem Schutze weiter verübt werden? Sicherlich nein und abermals nein! Aber wie soll man sie verhindern? Wie soll dem vorgebeugt werden, daß Afrika jährlich an zwei Millionen seiner Kinder verliert, und zwar auf die unmenschlichste, grauenhafteste Weise verliert?

Findet sich kein Käufer, so wird auch keine Ware angebracht werden. Den Sklavenhandel im Innern freilich können wir nicht beseitigen, noch auch die Skaverei ersticken, welche in den Anschauungen der Afrikaner so fest begründet ist. Ihre Entfernung ist eine Frage der Zeit, sie wird mit dem Eindringen unserer Kultur, mit der Verbreitung des Christenthums verschwinden, wenn auch erst nach langer Zeit, und inzwischen sind die Schrecken, die ihr anhaften, die geringeren.

Dem Sklavenhandel aber, welcher den Weg zur Küste nimmt, um von dort aus seine unglücklichen Opfer übers Meer nach dem mohammedanischen Asien und dem Norden Afrikas fortzuführen, können und müssen wir unbedingt ein Ende machen. Die Meeresränder an der Ostseite sind jetzt in den Händen Portugals, Deutschlands, Frankreichs, Englands und Italiens. Verbinden sich diese fünf Mächte zu einmüthigem, gemeinsamem und zweckentsprechendem Handeln, so wird die Ausfuhr von Sklaven sehr bald unmöglich. Noch hat der Sultan von Sansibar das Recht, Neger von der afrikanischen Küste in seine Besitzungen auf den Inseln und an der Küste zu schaffen, und diese Vergünstigung öffnet dem Sklavenhandel Thür und Thor. Sie muß ihm genommen werden. Dann wird es ausführbar sein, mit solchen Maßregeln, wie Portugal sie der in Brüssel versammelten Konferenz vorgeschlagen hat, durch eine sorgsame Ueberwachung der Küste nach jetzt ja möglicher Kontrolle der ostafrikanischen Hafenplätze dem Sklavenhandel in ähnlicher Weise ein Ende zu machen, wie das an der Westküste geschehen ist. Ohne Zweifel wird das viel Geld, viele Arbeit und auch manches uns werthe Menschenleben kosten. Aber Deutschland und ebenso alle anderen genannten europäischen Mächte haben mit der Besitzergreifung afrikanischen Bodens und der Erklärung der Schutzherrschaft über die daselbst wohnenden Völker auch Pflichten übernommen. Oder wäre das eine Schutzherrschaft, welche fremden Eindringlingen erlaubt, die ihrer Hut Empfohlenen in grausamster Weise zu mißhandeln, der Freiheit zu berauben, hinzumorden?



  1. Den Ofenwinkel.
  2. Ihr Herren mein.
  3. Alles gerathen lasse.
  4. Mooswerk.
  5. C. Saltzmann, dessen Bildniß wir seinen Schöpfungen von der Nordlandsreise anreihen, ist heute einer unserer hervorragendsten Marinemaler. Er wurde 1847 zu Berlin als Sohn armer Eltern geboren, erlernte erst das Goldschmiedehandwerk und durfte erst mit 20 Jahren zur Malerei übergehen. Schon in der Mitte der siebziger Jahre durch ein Bild „Morgendämmerung am Meer“ bekannt geworden, lenkte er bald darauf die Aufmerksamkeit Kaiser Wilhelms I. auf sich und erhielt die Erlaubniß, mit dem Prinzen Heinrich auf der Korvette „Adalbert“ eine Reise um die Welt zu machen. 1888 bekam er die „Große goldene Medaille“ für sein Bild „Im stillen Ocean“, nachdem er bereits 1887 die „Kleine goldene Medaille“ davongetragen hatte. In jüngster Zeit ist sein Name durch seine Berufung unter die Begleiter Kaiser Wilhelms II. auf dessen Seereisen in weite Kreise gedrungen.
  6. Peters’ älteste Tochter hatte sich im September 1865 verheirathet.
  7. Der ursprüngliche Kostenanschlag wurde später sehr überschritten, so daß Reuter wiederholt deshalb sich beklagte. Er äußert sich darüber zu seinem Freunde Peters u.  a. in einem vom 28. Oktober 1866 datierten Briefe, den wir seines sonst unwesentlichen Inhalts wegen weggelassen haben. Dort heißt es: „Mit dem erneuten und erhöhten Kostenanschlage unseres künftigen Hauses hat der Teufel uns ein neues Basiliskenei ins Nest gelegt. Das geht mir denn doch etwas über den Kreidstock! Aber was thun? Die nöthigen Sprengarbeiten sind gemacht, die Grundmauern sind fertig, der Großherzog hat infolge der Einsicht in den Plan und in die Façade mir das Versprechen der Anlage eines schönen Weges zu meinem Hause gegeben: soll ich nun die ganze Geschichte umstoßen, anders bauen? schlechter? kleiner? – Schlecht will ich nicht bauen, es soll nicht heißen, daß ich ein liederlich Gebäude nach meinem Tode in der Welt zurückgelassen habe, kleiner auch nicht, ich will nicht wieder in solchem kleinen Kasten mich Halbtod räuchern. Also es wird nichts helfen, ich werde in den sauren Apfel beißen müssen.“
  8. Als in der bisherigen Wohnung.
  9. „Dörchleuchting“.
  10. Karauschen waren Reuters Lieblingsfische und er nahm sie daher um so lieber von seinem Freunde an, als sie in Thüringen schwer zu bekommen waren.
  11. Verwalter aus Stolpe, einem Gute, das Peters gepachtet hatte.
  12. Man erinnere sich der drolligen Scenen, wie Reuter mit dem „Franzos“ zusammen wirthschaftet und sie eines Tages Karpfen kochen.
  13. „De Reis’ nach Konstantinopel“.
  14. Eine kleine Malerei.
  15. Die „Gartenlaube“ hat im Jahrgang 1889, Seite 745 ein Bild gebracht, nach welchem man sich diese Art der Fesselung veranschaulichen kann.




Blätter und Blüthen.


Einige Osterspeisen. Es giebt viele, die meinen, die Festspeisen seien nur dazu da, um die Feststimmung durch einen guten Bissen zu erhöhen. Sie mögen bis zu einem gewissen Grade recht haben; denn ein Blick auf die heutige, Osterfladen vertilgende Menschheit scheint kaum eine andere Deutung zuzulassen. Immer war dies jedoch nicht der Fall. Der Grund, warum man an verschiedenen Festtagen bestimmte Gerichte aß, war ein viel tieferer. Die Festspeisen erinnern an alte längst gestürzte oder vergessene Götter oder haben zum Theil noch heute eine symbolische Bedeutung. Das rothe Ei Ostaras, der heidnischen Frühlingsgöttin, ist allgemein bekannt, der Osterhase legt es noch heute in allerlei Farben. Aehnliche Bedeutung haben auch andere Osterspeisen, die sich hier und dort erhalten haben. Einige, wie das Osterlamm, das Osterbrot, hängen mit der christlichen Lehre zusammen und bedürfen keiner Erklärung, insofern sie als rein symbolische Speisen auftreten. An andere knüpfen sich jedoch ganz besondere Ueberlieferungen.

An vielen Orten wird z. B. das sogenannte „Karfreitagsbrot“ gebacken. Der kleine Brotlaib wird das ganze Jahr hindurch bis zum nächsten Karfreitag aufbewahrt, und kleine Abschabsel desselben werden in ein Glas Wasser gemengt und als Medizin den Kranken gereicht. Am Gründonnerstag soll irgend eine grüne Speise vorgesetzt werden; man ißt heute in der Regel Spinat mit Eiern; früher war das Gericht umständlicher, man bereitete den sogenannten „Osterkohl“, in dem neunerlei Kräuter enthalten sein mußten, und wählte dazu verschiedene um die Osterzeit aufschießende Pflanzen. Neunerlei Kräuter pflegte man auch in einen Eierkuchen hineinzubacken.

Diese Speisen sind sehr alten Ursprungs und stammen noch aus jener Zeit, da die germanischen Jungfrauen im ersten Schein des Ostermorgens das Osterwasser schöpften. Der Fruhlingsanfang, den ja das Osterfest bedeutet, brachte den Menschen jener heidnischen Zeiten viel Wunderbares mit, das später auf die christlichen Feiertage bezogen wurde. So sollen z. B. nach dem Volksaberglauben verschiedener Gegenden noch heute schwarze Hennen in der Nacht vom Gründonnerstag auf den Karfreitag [193] die berühmten, gegen allerlei Leiden wirksamen Antlaßeier legen, und noch heute gilt vielfach der Volksglaube, daß Pflanzen, die um die Osterzeit eingetragen werden, besonders heilkräftig seien und auch vor Krankheiten schützen. Man kurirt ja noch heute das Halsweh mit Weidenkätzchen, die am Palmsonntag gesammelt wurden.

Von allen den oben angeführten Speisen haben sich nur wenige bis auf unsere Zeit erhalten. Die praktische Welt hat das beibehalten, was gut schmeckt und gut nährt, und so sind bei uns die Osterfladen das Hauptgebäck für Ostern.

An diese knüpft sich sogar eine Begebenheit, die unserer heimathlichen Geschichte angehört. Der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen bekriegte Herzog Moritz wegen des Stiftes Wurzen. Der erstere besetzte die Stadt am Palmsonntag des Jahres 1542. Der Streit wurde durch Luther und Philipp von Hessen gütlich beigelegt, die Truppen hatten nun nichts mehr zu thun, als die Osterfladen zu verzehren, daher scherzhaft dieser Krieg der „Fladenkrieg“ genannt wird.

Thurmbläser am Ostermorgen. (Zu dem Bilde S. 169.) Die Sitte, vom Thurm zu blasen, war im Mittelalter in allen deutschen Städten üblich: es waren meistens junge Leute, die sogenannten Stadtpfeifer, welche bei festlichen Gelegenheiten, namentlich am Oster- und Pfingstfest, in früher Morgenstunde diese Thurmmusik besorgten.

Auf unserem Bilde sehen wir die jungen Musikanten fleißig bei der Arbeit. Namentlich die Posaunen schmettern lustig in den heitern Morgen des Ostersonntags hinaus, welcher über die Dächer und Thürme der Stadt sein helles freudiges Licht ausgießt. Der alte Thürmer trinkt seinen Morgentrunk; über ihm am Fenster lehnt die junge Frau, während das Kind der Thürmerfamilie am Geländer steht und mit dem treuen Hündchen in die sonnige Stadt hinabsieht.

Für das Bild ist die Zeit von 1540 bis 1600 angenommen; auch nach der Reformation erhielt sich die mittelalterliche Sitte. †     


Ostern im Försterhause.
Zeichnung von A. Brunner.

Ostern im Försterhause. (Zu dem obenstehenden Bilde.) Rings die erwachende Natur, das friedliche Dörfchen mit der Kirche; um den Zaun und die Einfriedigung des Försterhauses rankt sich das junge Grün. Die beiden vor der Thür sitzenden Kinder singen ein Osterlied. Der alte Förster betrachtet mit sichtlichem Wohlgefallen die junge Mutter mit dem Kleinsten auf dem Arm, welches die Händchen nach dem Osterlamm ausstreckt. Links beschäftigt sich ein anderes Kind damit, Ostereier zu suchen: daneben hat ein „Osterhase“ Posto gefaßt. Das Ganze ist ein freundliches Idyll; die aus dem Winterschlafe auferstandene Natur rüstet sich für die Reife und Fülle des künftigen Jahres und darum spielt auch die Kinderwelt am Ostertage die Hauptrolle; denn auch ihr gehört die Zukunft. †     


Das Feierabendhaus für Lehrerinnen in Gandersheim. Nordöstlich von der uralten Wirkungsstätte der Nonne Roswitha, die einst im 10. Jahrhundert lateinische Lustspiele nach dem Muster des Terenz verfaßte, dehnt sich der mit prächtigem hohen Buchenwalde bedeckte Rücken der „Schanze“ aus, unmittelbar am Eingange in den von mannigfachen Spaziergängen durchzogenen Wald liegt das in einfachem, aber ansprechendem Stile erbaute, von Waldesfrieden beschattete Lehrerinnenheim, das zu Ehren des ersten deutschen Erbkaisers aus dem Hause der Zollern und seiner Gemahlin das „Wilhelm-Augusta-Stift“ genannt worden ist. Als über dasselbe in der „Gartenlaube“ zum erstenmal berichtet wurde (Jahrgang 1882, Seite 870), war es eben vollendet worden und sah seiner Einweihung entgegen. Wenige wußten noch von ihm im großen deutschen Vaterlande. – Heute ist das anders, und gerne nehmen wir eine Anfrage aus unserem Leserkreise – weit her aus dem Innern Rußlands ist sie in die Redaktion der „Gartenlaube“ gelangt – zur Veranlassung, noch einmal auf dasselbe zurückzukommen.

Während seines siebenjährigen Bestehens hat sich das „Feierabendhaus“ im ganzen deutschen Lande einen Namen gemacht und von allen Seiten strömen ihm deutsche Lehrerinnen zu, die hier in stillem Frieden und in verdienter Muße den Abend ihres Lebens zu verbringen gedenken. Der Raum des Hauses reicht für 20 Mitglieder und 10 vorübergehende Besucherinnen, augenblicklich befinden sich außer der Oberin 13 Bewohnerinnen der erstgenannten Art darin. Die Aufzunehmenden müssen sämmtlich Mitglieder des Bochumer „Augusta-Lehrerinnen- Vereins“, evangelisch und natürlich deutsche Staatsangehörige sein, müssen ein Alter von 55, oder bei nachgewiesener Dienstunfähigkeit von 40 Jahren haben und eine mindestens fünfzehnjährige, berufsmäßig ausgeübte Lehrthätigkeit aufweisen können. Bei Zahlung eines Eintrittsgeldes von 300 Mark und eines Jahresbeitrages von derselben Höhe erhalten die Pensionärinnen volle Verpflegung, Wohnung, Licht, Feuerung und Wäsche (mit Ausnahme der Leibwäsche).

Von den Vorständen des Vereins nennen wir besonders Superintendent König in Witten und die Lehrerin Fräulein Schüßler ebendaselbst, welche beide gern bereit sind, die Satzungen des Vereins zur Einsichtnahme zu übersenden und Auskunft zu geben über alle sonstigen den „Augusta-Lehrerinnen-Verein“ und das „Wilhelm-Augusta-Stift“ betreffenden Fragen. Mögen diese Zeilen das Ihrige dazu beitragen, unsere deutschen Lehrerinnen auf die ihnen gewidmete Stiftung wahrhaft edelgesinnter Menschenfreunde hinzuweisen.


Eine dreitausend Jahre alte Flamme brennt seit den Tagen Homers in Lykien in Kleinasien. Es ist die im Alterthum hochberühmte Chimaera, ein brennender Gasstrom, der aus dem zerklüfteten Serpentingestein eines etwa 350 m hohen Berges hervorbricht. Heute heißt dieser Yanartach, („verbrannter Stein“), er trägt an seinem Gipfel eine Oeffnung, aus welcher eine meterhohe Feuersäule ohne Unterbrechung emporwirbelt, während kleinere Flämmchen aus andern Spalten schießen. Die älteste Erwähnung der Chimaera findet sich bei Homer, dann sprechen zahlreiche alte Schriftsteller von ihr, Plinius nennt sie Flamma immortalis, die „unsterbliche Flamme“. Der Umstand, daß man sie in neuerer Zeit, nach jahrhundertelanger Abgeschlossenheit Kleinasiens, wieder auf der alten Stelle findet, spricht für ihre ununterbrochene Fortdauer. Wie ungeheuer muß

[194] der unterirdische Gasvorrath sein, der ein solches, durch Jahrtausende brennendes „ewiges Licht“ zu speisen vermag! Br.     


Die Erben eines fleißigen Schülers werden gesucht! Von einem Leser der „Gartenlaube“ erhalten wir die freundliche Benachrichtigung, daß er durch einen Kauf älterer Holzschnitte zufällig in den Besitz eines vergilbten, doch sehr gut erhaltenen Bildnisses des Apostels Judas Thaddäus gelangt sei, welches offenbar einstmals dem Zwecke gedient habe, einen fleißigen Schüler zu Köln für seine guten Leistungen zu belohnen. Auf der Rückseite des Blattes findet sich nämlich folgender handschriftliche Vermerk:

„Am Ende des Schuljahrs 1807 verdiente diese Belohnung Everhard Bartman, der in der Geschichte den 2., in der Uebersetzung aus der deutschen in die lateinische Sprache den 3. und in der Religionslehre den 4. Platz erhielt.
Köln, den 25. Sept. 1807. Henr. Jos. Appell, Prof.“     

Der gegenwärtige Besitzer dieses ehrenden Zeugnisses für Everhard Bartman würde sich freuen, wenn durch die Vermittlung der „Gartenlaube“ ein etwa noch lebendes Mitglied der Familie Bartman Kenntniß von diesem merkwürdigen Funde erhielte, und ist gern bereit, ihm denselben abzutreten.

Junges Leben. (Zu unserer Kunstbeilage.) Ein herrlicher erquickender Glanz liegt auf der Natur in ihrer seligen Werdezeit. In sattem Grün wölben die Bäume des Waldes ihre Kronen, Gräser und Blumen sprossen aus saftiger Wiesenflur, sie kennen nur die lebenspendende, noch nicht die lebenverzehrende Kraft des Sonnenstrahls, noch trübt nicht der fliegende Staub der Straße ihr frisches leuchtendes Farbenspiel und noch wissen sie nichts von der Schärfe der mähenden Sense. Unverkümmerter Lebensdrang und Lebensodem allüberall!

Und so ist die glückliche Kindesseele! Auch sie wiegt sich fröhlich im Blumenmeer; noch hat kein brennend heißer Sonnenstrahl sich mit lähmender Schwere auf sie gelegt, noch hat kein häßlicher Staub ihren klaren Spiegel getrübt, und noch ahnt sie nichts von der mähenden Sense!

Mit Frühlingsblüthen spielt auf frischgrünender Wiese das Kind. Mit kurzem Aermchen streckt es die lieblichen Boten des Lenzes der Mutter entgegen, die, selbst eine Blume des Feldes, von ihrer Ackerarbeit herbeigeeilt ist auf ihres Lieblings jauchzenden Freudenruf – Mutter und Kind und Blumen und Wiese und Wald, ein Bild fröhlich athmenden „jungen Lebens“!== 


Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen Coburg-Gotha. Der dritte sehr umfangreiche Band der Schrift des Herzogs „Aus meinem Leben und aus meiner Zeit“ (Berlin, Wilhelm Hertz) bringt diese hochbedeutsamen Mittheilungen aus dem Leben eines deutschen Fürsten zum Abschluß. Die Gründung des Norddeutschen Bundes ist der Schlußstein der eingehenderen Aufzeichnungen; auf die folgende Zeit ist nur ein kurzer Rückblick geworfen, der indeß bei der lebensvollen Darstellung des Verfassers noch manches tief sich einprägende Bild, besonders aus dem Kriege von 1870, enthält. Was aber den Zeitraum der letzten zwanzig Jahre betrifft, so sagt der Verfasser, daß die Ereignisse, die sich in demselben abgespielt haben, nicht in gleichem Maße der Geschichte angehören wie diejenigen, „welche in langsamer und harter Entwickelung die gesicherten Grundlagen des neuen Bundes und Staates herbeigeführt haben. Nicht nur in Anbetracht dessen, daß noch weit mehr persönliche Interessen durch eine Erzählung dieser neuesten Phasen berührt werden mußten, sondern besonders deshalb, weil die Empfindungen und Parteistellungen des Tags viel unmittelbarer und stärker auf eine Darstellung der Dinge einwirken und das Urtheil darüber viel leidenschaftlicher beeinflussen würden. Es wäre ein Zeichen wenig tiefgehender und staatsmännischer Einsicht, wenn jemand sich rühmen wollte, er vermöchte die Begebenheiten der letzten zwanzig Jahre heute schon mit der gleichen Unbefangenheit vorzutragen, wie ich dies wohl von meinen voranstehenden dreißig Büchern behaupten darf. Meine Mittheilungen würden zu völlig anderen Erörterungen und Betrachtungen der politischen Tageslitteratur Anlaß geben, als die Darstellung jener älteren vollendeten und abgeschlossenen Thatsachen, da der größte Theil dessen, um was es sich handelt, noch zum täglichen Brot des politischen Lebens gehört.“

Von den Ereignissen, welche jenseit jener Zeitgrenze liegen und welche der fürstliche Verfasser daher als geschichtlich betrachtet, führt er uns eine Reihe der wichtigsten vor, bei denen allen er selbst theils als Augenzeuge zugegen, theils als Vermittler und Rathgeber mitthätig war, theils endlich selbständig mit bedeutsamen Anregungen vorging. Es ist von selbst einleuchtend, daß kein anderer Berichterstatter aus jener Zeit in der Lage war, gleichverbürgte Mittheilungen über die Strömungen in den höchsten, den Ausschlag gebenden Kreisen, über die Ansichten der Monarchen selbst und ihrer einflußreichsten Berather zu machen; so enthalten denn auch diese Denkwürdigkeiten eine Menge der werthvollsten Aktenstücke, die sonst dem Geschichtschreiber wohl unzugänglich geblieben wären: Briefe des Königs Wilhelm von Preußen, in denen sich die Umsicht, Klarheit, Festigkeit und liebenswürdige Freundlichkeit des späteren deutschen Kaisers abspiegelt; Briefe des Prinzen Albert, die, mit Geist und Schärfe abgefaßt, Schlaglichter auf die damaligen englischen Zustände werfen, und der Königin Viktoria, welche ihrem Schwager stets das vollstes Vertrauen entgegenbrachte. Die zahlreichen Briefe des Königs von Belgien zeugen von der politischen Weisheit dieses Fürsten, der mit Recht als eine Art von Orakel galt. Nimmt man hinzu, daß der Herzog wiederholt mit dem Kaiser Napoleon und dem Kaiser von Oesterreich Unterredungen hatte, welche wichtige Fragen der Tagespolitik betrafen, so wird man ihm unter den Geschichtschreibern jener Tage unbedingt einen ganz hervorragenden Rang einräumen müssen.

Der dritte Band umfaßt ungefähr das Jahrzehnt von 1860 bis 1869 und beginnt mit Darstellung der Vermittelung des Herzogs bei den preußischen Verfassungskämpfen und seiner Anwesenheit bei dem Fürstentag in Baden, von dem er nun eine eingehende Schilderung entwirft. Die Streiflichter, die auf Kaiser Napoleon fallen, lassen denselben keineswegs in einem ungünstigen Licht erscheinen. Der Herzog verfehlte nicht, ihn auf das Erstarken des deutschen Volksbewußtseins nachdrücklich hinzuweisen. Ergötzlich ist die Anekdote, wie der nervös abgespannte Kaiser durch ein starkes Gewitter, welches beim Frühstück der versammelten Fürsten hereinbrach so betroffen wurde, daß man ihn beruhigen zu müssen glaubte und er wiederholt und in der unbehaglichsten Stimmung erklärte, er erinnere sich nicht, etwas so Schreckliches je erlebt zu haben. Der Herzog von Gotha, als Schutzherr des Nationalvereins wurde von den vier anwesenden Königen, welche beim Prinzregenten von Preußen Anklagen gegen diesen Verein richteten, mit mißtrauischen Augen angesehen. Die Antworten, die er später auf seine an die vier Fürsten gerichteten Briefe erhielt, sind ebenso charakteristisch für die Anschauungen derselben wie in ihrer verschiedenartigen Fassung für ihre persönliche Eigenart.

Bei allen nahen Beziehungen zum preußischen Hofe war des Herzogs Verhalten doch auch dort mehrfach Mißdeutungen ausgesetzt, welche indeß bald durch seine Erklärungen und des Königs Entgegenkommen beseitigt wurden. Dies gilt namentlich von dem Auftreten des Herzogs bei dem Frankfurter Schützenfest, 1862, dessen Bild durch allerlei Berichte vielfach entstellt und verzerrt worden ist. Herzog Ernst wohnte im einfachen Schützenkleide als Ehrenpräsident des Schützenbundes der Feier und dem Festzuge bei und sprach bei der Uebergabe der Fahne an die Stadt Frankfurt begeisterte Worte, die ein stürmisches Echo fanden; er mahnte, „treu zu stehen beim Vaterlande und seines Rufes gewärtig bei wehrhaftem Bunde waffengeübt zu werden“. In Berlin wurde es angeklagt, in Frankfurt die zahlreich anwesenden Mitglieder der Opposition in ihren Widerstand gegen die Regierung bestärkt zu haben, und der König selbst schrieb ihm in dieser Angelegenheit. Das Mißverständniß löste sich sogleich durch die Antwort des Herzogs, für welche der König seinen besten Dank sagte, indem er hinzufügte: „Daß ich momentan an eine solche Handlung Deinerseits glauben konnte, wirst Du nicht ganz unbegreiflich finden, wenn Du Dir alles zurückrufen willst, was in Frankfurt gesprochen und gedruckt worden ist.“

Auch des Herzogs Anwesenheit und Auftreten bei dem Frankfurter Fürstenkongresse 1863 fand nicht ungetheilte Anerkennnung in Berlin, da er zwischen dem österreichischen und preußischen Standpunkte zu vermitteln suchte. Die eingehende Schilderung dieses Kongresses ist einer der werthvollsten Theile des Werkes. Niemand konnte berufener dazu sein als der Herzog, der ja zu den dort tagenden Fürsten gehörte. Der Leitung der Versammlung durch den Kaiser von Oesterreich läßt er die vollste Anerkennung zutheil werden. Als einen der spannendsten Augenblicke der Berathung schildert er denjenigen, in welchem die Fürsten zurückblieben, nachdem der Kaiser von Oesterreich den Saal verlassen hatte mit der Erklärung, das Recht Oesterreichs auf das Präsidium im Bunde müsse auch in Zukunft aufs allerbestimmteste gewahrt werden. Mit der Annahme dieses Artikels der Vorlage war das Schicksal des Fürstenkongresses besiegelt.

Allen andern Staaten des Bundes voran ging Herzog Ernst durch den Abschluß seiner Militärkonvention mit Preußen, ein Vorgang, der zunächst keine Nachfolge fand, und durch die Anerkennung des Augustenburgers nach dem Tode des dänischen Königs Friedrich VII. Die schon früher durch die That bewährte Theilnahme für Schleswig-Holstein bewies der Herzog von neuem, indem er zwei seiner besten Beamten der Regierung des Augustenburgers zur Verfügung stellte und sich bei dem Bunde und den deutschen Fürsten fortwährend für seine Sache verwandte, obschon er keineswegs mit allem einverstanden war, was seitens der vergeblich um ihre Anerkennung kämpfenden Regierung beschlossen wurde.

Wir können hier dem inhaltvollen Werke nicht durch alle Windungen und Wendungen der darin geschilderten politischen Verwicklungen folgen. Als es zum Bruch zwischen Oesterreich und Preußen kam, da schloß sich der Herzog seinem Kriegsherrn, dem König von Preußen, an und fand bald nach Beginn der Feindseligkeiten Anlaß, sich am Kampfe gegen die Hannoveraner bei Langensalza mit seinen Truppen zu betheiligen. Ueber die Verhandlungen, die dem blutigen Treffen vorausgingen, giebt er eine Auskunft, die um so willkommener sein wird, als bisher über dieselben ein noch ungelichtetes Dunkel herrschte.

Als ein anmuthendes Zwischenspiel zwischen den schwerwiegenden Verhandlungen der Kabinette und den kriegerischen Thaten der Heere schiebt sich die afrikanische Reise des Herzogs ein, die denselben nach Massaua und Keren in die Vorgebirge von Abessinien führte, in jene Gegenden, welche jetzt Italien in seinen Machtkreis gezogen hat. Die Schilderung der Reise, der Jagdabenteuer, der Naturbilder und Volkssitten ist überaus lebendig.

So erweisen sich die Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst, die überdies in einer vortrefflichen, ebenso durchsichtigen wie lebensvollen Darstellungsweise abgefaßt sind, als einer der werthvollsten Beiträge zur Geschichte dieses Jahrhunderts. Ritterlich, geistvoll, thatkräftig tritt uns das Bild des Fürsten selbst daraus entgegen, der in Wort und That immer einer der mannhaftesten und unermüdlichsten Vorkämpfer der deutschen Einheit war, für die er stets seine ganze bedeutende Persönlichkeit einsetzte.     

Die Volkswirthschaftslehre soll neuerdings in den öffentlichen Volksschulunterricht aufgenommen werden. Einen solchen Vorschlag macht Jende in den „Deutschen Zeit- und Streitfragen“ Verlagsanstalt u. Druckerei A-G. (vorm. J. F. Richter), Hamburg). Er geht von dem Grundsätze aus, daß bei den wirthschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart der kleinste Geschäftsmann, ja der einfache Arbeiter darauf angewiesen sei, ein kleiner Volkswirth und Finanzmann zu sein. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß bei geeigneter Stoffauswahl für ländliche Verhältnisse und städtische Fortbildungsschulen damit ein wünschenswerther Fortschritt in der Volksbildung erzielt würde. Klarheit über solche Begriffe wie Arbeit, Kapital, Preis, Geld, Kredit, Papiergeld, Grundrente, Arbeitslohn, Versicherungen, Unternehmergewinn ist heutzutage für jeden unentbehrlich, der im großen Getriebe unseres wirthschaftlichen Lebens mitthätig ist. Der Lehrer halte sich an das Nächste, und er wird Verständniß und Aufmerksamkeit finden.      

[195] Die Kapelle an der Gotthard-Straße. (Zu dem untenstehenden Bilde.) Bevor die Masse des St. Gotthardgebirgs durch die Gewalt neuzeitlicher Technik durchbohrt wurde, um den Süden mit dem Norden durch den Schienenstrang zu verbinden, war der Uebergang über den Berg oft mit den größten Mühseligkeiten, ja mit Lebensgefahr verknüpft. Der Winter mit seinen Schneemassen und Stürmen forderte jedes Jahr seine Opfer, die Lawinen begruben oft ganze Karawanen von Menschen und Thieren in Schnee und Schutt. Es gab eine Zeit, da allein der alte rohe Saumweg hinüberführte, Schutzhäuser und Galerien noch nicht vorhanden, die Wanderer auf sich selbst und ihr Glück angewiesen und dem Unwetter auf diesen unwirthlichen Höhen hilflos preisgegeben waren. Erst später, im Jahre 1431, wurde zum Schutze der auf das Concil nach Basel ziehenden Bischöfe und Prälaten auf der Paßhöhe eine Herberge errichtet. Im Jahre 1799 aber, als Suworow seinen berühmten Uebergang über den Gotthard gegen die Franzosen erkämpfte, da wurde das alte Hospiz zerstört und das Holz zur Feuerung verwendet.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde die neue Kunststraße von den schweizerischen Kantonen Uri und Tessin hergestellt; wohl blieb auch jetzt noch im Winter und Frühling die Reise nicht ungefährlich, aber der Verkehr steigerte sich doch ganz gewaltig, so daß die Gotthardstraße der begangenste aller Alpenübergänge wurde. Die Postwagen und andere Fuhrwerke beförderten eine Menge Reisende und Waren, zahlreiche Fußwanderer zogen herüber und hinüber, viele Hunderte von unbemittelten Reisenden wurden in dem Hospiz auf der Paßhöhe kostenfrei verpflegt und mit Kleidungsstücken versehen. Die größte Anhäufung im Fremdenspital fiel unstreitig in die Zeit des Tunnelbaues 1872 bis 1880; jährlich wurden 16- bis 18 000 arme Durchreisende genährt und gepflegt und zwar meistens aus dem Ertrag von milden Beisteuern. Trotzdem konnten selbstverständlich Todesfälle durch Erfrieren, Ermattung etc. nicht verhindert werden. Die aufgefundenen Todten wurden bis zur Feststellung der Persönlichkeit und bis zur Beerdigung, die sich oft lang verzögerte, in der kleinen Kapelle niedergelegt, welche unsere Abbildung zeigt. Die dünne kalte Luft in dieser Höhe (2100 m) leistet der Verwesung Widerstand. Nicht weit vom Hospiz, auf einem großen Granitfelsen, steht noch diese Todtenkapelle; wohl wird sie heute nicht mehr benutzt, aber sie bleibt doch ein warnendes Zeichen für den Wanderer, sich selbst nicht zu viel zuzutrauen.

Die Kapelle an der Gotthardstraße.
Nach einer Skizze von C. Käsli-Schultheiß gezeichnet von R. Püttner.


Vertilgung der Kreuzotter. Vor einigen Jahren haben wir wiederholt in der „Gartenlaube“ darauf hingewiesen, daß in Deutschland so wenig geschehe, um die einzige Giftschlange unserer Heimath, die Kreuzotter, auszurotten. Wie dies anderwärts geschehen, haben auch wir den Vorschlag gemacht, die Behörden möchten Preise für getödtete Kreuzottern aussetzen. Der Vorschlag ist nicht unberücksichtigt geblieben, und unseres Wissens sind namentlich in Sachsen einige Gemeindebehörden mit gutem Beispiel vorangegangen und haben Preise von je 50 Pfennig bis 1 Mark für abgelieferte todte Kreuzottern ausgesetzt. Aus den in Tageszeitungen zerstreuten Berichten konnte man erfahren, daß infolge dessen Hunderte von Kreuzottern vernichtet wurden. Dieses gute Beipsiel möchten wir auch anderen Gemeinden, in deren Bezirk die Giftschlange heimisch ist, zur Nachahmung empfehlen; denn die Unfälle, welche durch den Biß der Kreuzotter verursacht werden, sind zahlreicher, als man im allgemeinen anzunehmen pflegt. *     


Karl von Holtei. Der beliebte schlesische Volksdichter und Vorleser, von welchem Feodor Wehl in ihm gewidmeten Erinnerungsblättern manche ergötzliche Anekdote erzählt, hatte die üble Angewohnheit des Fluchens und Schimpfens. Einmal kam er bei dem jungdeutschen Schriftsteller Theodor Mundt mit der Gräfin Hahn-Hahn zusammen. Frau Mundt beschwor ihn, wenigstens an diesem Abend nicht so mit Flüchen um sich zu werfen. Holtei saß den ganzen Abend stumm wie ein Fisch. Endlich redete ihn die Gräfin an, warum er so schweigsam sei. „Erlauben Sie, Frau Gräfin,“ sagte Holtei, erhob sich ernst und würdevoll, ging zur Thür, machte sie auf und rief hinaus: „Dreimalhunderttausend Schock Kreuzdonnerwetter“ – schloß die Thür wieder zu, setzte sich auf seinen Platz und fuhr dann in seinem gefälligsten Tone fort: „Ein Fluch ist die Thürklinke zu meiner Unterhaltung; das ist unser Herrenrecht zu Arras! Nun, Gnädigste, stehe ich zu Dienst!“ Die Gräfin Hahn-Hahn war ganz erschrocken und rückte verlegen von ihm fort. Aber Holtei, der sich Holteiisch Luft gemacht hatte, begann nun so komisch von seiner Angewohnheit des Schimpfens und von Mundts Angst, er möchte sich derselben in Gegenwart der Gräfin überlassen, zu erzählen, daß diese dadurch heiter gestimmt wurde und später zu Holteis wärmsten Verehrerinnen gehörte.

In Berlin hatte Wehl seinen Freund Holtei ins Königsstädtische Theater abgeholt.[WS 1] Dieser war auf dem Wege trübsinnig und verstimmt; ein armer Schauspieler war bei ihm gewesen und hatte ihm sein Elend geklagt, Holtei hatte ihm an Geld gegeben, was er nur entbehren konnte. Kaum waren die Freunde in den Sperrsitzraum des Theaters getreten, als Holtei rasch wieder hinaus in die Gänge stürzte. Wehl eilt ihm verwundert nach und findet ihn draußen, wie er einen jungen Menschen schüttelt, dem er mit Donnerstimme zuruft:

„Du verfluchter Halunke! Mir lockst Du mit Deiner Hungerleiderei das Geld aus der Tasche, und hier finde ich Dich Kuchen im Theater fressen. Gieb heraus, was Du noch hast, und dann scher’ Dich zum Teufel und seiner Großmutter, die Deine Verwandtschaft sind!“

Der Gepackte gab ihm zitternd die Hand voll Silbergeld hin und verschwand. Holtei gab das Geld an Bettler, die er auf der Straße fand. Ein anderes Mal fand Wehl bei einem Besuch Holtei in Thränen aufgelöst; vormittags sei ein Student bei ihm gewesen, der ihn um zehn Thaler gebeten habe. „Wenn Sie mir diese Kleinigkeit verweigern, erschieße ich mich,“ habe er gesagt, und zwar in einer so zudringlichen Weise, daß Holtei ihn für betrunken gehalten und ihm die Thür gewiesen habe. Wenige Minuten danach habe er sich auf der Treppe wirklich erschossen. Holtei war außer sich. „Nie in meinem Leben wieder versage ich armen Bittenden meine Hilfe,“ stöhnte er ein Mal über das andere. „Der Tod dieses Unglücklichen wird mir ewig auf der Seele brennen.“ †     

Die Deutschen in Korea. In ganz Ostasien, China, Japan, Siam finden sich europäische Beamte und Offiziere, welche im Militär-, Verwaltungs- und Justizwesen Reformen nach europäischem Muster anzubahnen suchen. Darunter giebt es seit 1870 auch viele Deutsche, welche besonders in Japan vor den andern Nationen bevorzugt werden. In Korea, jener Halbinsel zwischen China und den japanischen Inseln, hatte ein Deutscher, Herr von Möllendorf, in den Jahren 1883 bis 1885 eine bedeutende Rolle gespielt; er war Vicepräsident des Auswärtigen Amtes, Generaldirektor der Zölle, Münzdirektor, hatte großen Einfluß beim Könige und ging fast immer in koreanischer Tracht; er hat dort das Arsenal, eine englische Schule, ein Hospital, eine Münzstätte, die Zollhäuser in den drei Häfen und eine Seidenraupenzucht begründet. Doch vermochte er sich gegenüber den Intriguen der Engländer und Amerikaner nicht zu halten; einer der letzteren wurde sein Nachfolger als Rathgeber des Königs, führte aber keine der Möllendorfschen Reformen zur Vollendung. Nach den Berichten von Friedrich Kraus, der früher Münzdirekor in der Landeshauptstadt Söul war, ist Korea keineswegs als ein Dorado den Deutschen zu empfehlen, am wenigsten als ein geeignetes Kolonialland.

In seinen Handelsverträgen sind ausdrücklich nur drei Häfen und zwei Städte bezeichnet, wo Deutsche sich niederlassen dürfen, es kann also gar nicht davon die Rede sein, daß hier deutsche Kolonien im größeren Maßstabe angelegt werden könnten. Dagegen haben mehrere deutsche Fachmänner die Bergwerke in den acht Provinzen zum Theil im Auftrage des Auswärtigen Amtes bereist, und wenn es einer deutschen Gesellschaft gelänge, die Ausbeutung der Bergwerke durch Vertrag mit der Regierung an sich zu bringen, so stände ein sicherer Gewinn in Aussicht. Das Leben in Korea ist ganz angenehm, wenn auch Theater, Konzerte, Wettrennen fehlen; die Deutschen leben mit den andern Europäern in geselligem Verkehr, ebenso mit den Amerikanern, Chinesen und Japanern.


Kleiner Briefkasten.

J. F., Mitglied des Deutschen Sprachvereins in P. Besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen! Auch wir haben uns darüber gewundert, daß der Aufsatz von Ernst Eckstein „Ueber den Urgrund der Fehde wider die Fremdwörter“ in Halbheft 2 dieses Jahrgangs mehrfach dahin mißverstanden wurde, als ob Eckstein den „Allgemeinen Deutschen Sprachverein“ angegriffen hätte. Eckstein hat lediglich die Erscheinung der Fremdwörterfehde einmal von einer andern und, wie auch Sie zu unserer Freude bezeugen, sehr beachtenswerthen Seite betrachtet. Der „Gartenlaube“ selbst könnte ja nichts ferner liegen, als sich zum Sprachrohr eines Angriffs auf den „Allgemeinen Deutschen Sprachverein“ zu machen. Ist es doch ein Theil ihres Wesens jederzeit gewesen, alle Regungen eines kräftigen Volksbewußtseins – und das ist der Sprachreinigungstrieb mit in erster Linie – aus vollem Herzen zu unterstützen, und hat sie es sich doch seit einer Reihe von Jahren zur Pflicht gemacht, entbehrliche Fremdwörter in stetigem Fortschritt aus ihren Spalten zu beseitigen. Freilich, auf einen Schlag eine überstürzte Austreibung aller Fremdwörter vorzunehmen, dazu kann sich die „Gartenlaube“ vernünftigerweise nicht entschließen, da dies der guten Sache mehr schaden als nützen dürfte; aber auch mit solchem maßvollen Vorgehen bewegt sie sich ganz auf den Bahnen des „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“, unter dessen Verdiensten die Zügelung der Uebereifrigen nicht das geringste ist.

Paula E. in Paris u. R. K. in Chemnitz. Wir bitten um Angabe Ihrer näheren Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.

[196]

Allerlei Kurzweil.

Hieroglyphenräthsel.
Entzifferungsaufgabe.
Man soll die in das nachstehende Viereck eingetragenen Silben so
ordnen, daß sie, hintereinander gelesen, ein Goethesches Gedicht ergeben.


In dieser Aufgabe stellt jedes Bild den Anfangsbuchstaben seines
Namens dar; es sind nur die Konsonanten und die Doppellauter durch
Bilder bezeichnet; werden dieselben aber durch die richtigen Vokale ergänzt,
so ergiebt die Lösung einen Sinnspruch aus Goethes „Torquato Tasso“.

Kreuzräthsel.

Die Buchstaben dieser
Figur lassen sich so umstellen,
daß die senkrechte
und auch die wagerechte
Mittelreihe ein fabelhaftes
Thier nennt, während die
übrigen acht wagerechten
Reihen bezeichnen:
1. Ein chemisches Element.
2. Eine Himmelsgegend.
3. Einen Nebenfluß des Mains.
4. Eine große Stadt der Niederlande.
5. Eine Stadt in Vorderindien.
6. Einen Seefisch.
7. Einen Theil des Baumes.
8. Ein Gewässer.
Wie lautet das Gedicht?
Werden die einzelnen Silben mit den entsprechenden Ziffern von
1–64 bezeichnet, dann erscheint ein magisches Quadrat, in dem die
Ziffern jeder senkrechten und wagerechten, ebenso der beiden diagonalen
Felderreihen die Summe 260 ergeben.
Logogryph.
Bin ich auch zwar mit einem d
Gar vielen Städten eigen,
So können wenige mich doch
Mit einem l dir zeigen.
Oscar Leede.
Auflösung des Rösselsprungs auf S. 164:

Wer Schweres je erlitten
In harten Schicksals Bann,
Mit Noth und Sturm gestritten,
Gerungen wie ein Mann:
Dem können kleine Leiden
Das Herz nicht trüben mehr,
Er ist gewohnt ans Meiden
Aus Schmerzenszeiten her.

Doch wem des Glückes Sonne
Stets in das Herz gelacht
Und wem nur Lust und Wonne
Der Zeitenlauf gebracht:
Beim kleinsten Unfall nennt er
Die Welt ein Jammertha!,
Und leicht in Zorn entbrennt er
Ob einer kleinsten Qual.


(Paul Baehr.)
Domino-Patience.
Auflösung des Räthseldistichons auf S. 164: Schlaftrunk.

Die 28 Steine eines gewöhnlichen
Dominospiels sollen in der Weise zu
nebenstehender Figur zusammengelegt
werden, daß die Augensumme in jeder
wagerechten, in jeder senkrechten und
in jeder der beiden diagonalen Reihen
21 beträgt. Die gegebenen 12 Steine
dürfen nicht umgelegt werden.
A. Stabenow.
Auflösung des Räthsels auf S. 164: Taucher – Glocke – Taucherglocke.
Auflösung des Scherzbilderräthsels auf S. 164: Schulaufgaben.
Auflösung des Logogryphs auf S. 164: Platon – Platen.
Auflösung der Skataufgabe Nr. 2 auf S. 164:
Der Spieler hatte noch den gW gefunden und sZ, s9 gedrückt. Bei folgender Kartenvertheilung:
{{center|Vorhand: 0 sW, eD, e7, sO, s8, gK, gO, g9, g8, g7.
Hinterhand: eZ, eK, sD, sK, s7, rK, rO, r9, r8, r7.
verliert der Spieler, denn die Gegner erhalten in den ersten 4 Stichen:
1. gK, gZ, eZ (– 24), 3. gO, gD, eK (– 18),
2. rK, eD, rZ (– 25), 4. rO, sW, rD (– 16)
83 Augen. Mußten aber die beiden Gegner g7 und r7 miteinander tauschen, so würde
der Spieler sofort mit dem ersten Stich ans Spiel kommen, die Trümpfe herausholen und
alle Stiche erhalten, also mit Schwarz gewinnen.




In dem unterzeichneten Verlage ist soeben erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

E. Marlitt’s Romane und Novellen.
Illustrierte Gesamt-Ausgabe.
Siebenter Band: „Die zweite Frau“.
Die Band-Ausgabe von E. Marlitt’s illustrierten Romanen und Novellen erscheint vollständig in 10 Bänden zum Preise von je
3 Mark elegant geheftet, 4 Mark elegant gebunden.
Vierteljährlich ein Band. Bis jetzt erschienen: Band 1 bis 7.

Inhalt: Bd. 1. „Das Geheimniß der alten Mamsell“. – Bd. 2. „Das Heideprinzeßchen“. – Bd. 3. „Reichsgräfin Gisela“. – Bd. 4. „Im Schillingshof“. – Bd. 5. „Im Hause des Kommerzienrates“. – Bd. 6. „Die Frau mit den Karfunkelsteinen“. – Bd. 7. „Die zmeite Frau“. – Bd. 8. „Goldelse“. – Bd. 9. „Das Eulenhaus“. – Bd. 10. „Thüringer Erzählungen“ (Inhalt: „Amtmanns Magd“, „Die zwölf Apostel“, „Der Blaubart“, „Schulmeisters Marie“).

manicula Auch in 75 Lieferungen zum Preise von 40 Pf. zu beziehen. (Alle 14 Tage eine Lieferung.) Bis jetzt erschienen: Lfg. 1 bis 53. manicula

Bestellungen werden jederzeit in beinahe allen Buchhandlungen angenommen. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, wende man sich direkt an die Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 


manicula Hierzu die Kunstbeilage „Junges Leben“, Ostergruß der „Gartenlaube“ an ihre Leser.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ahgeholt.