Die Gartenlaube (1855)/Heft 15

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[189]

No. 15. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Braut und Gattin.
Von A. v. W.
(Fortsetzung.)


Amalie zeigte sich nun in einer so reizenden kindlichen Unbefangenheit, daß sich in Albrecht’s Brust die Leidenschaft für sie mit jeder Minute mehrte, die er in ihrer Nähe zubrachte. Sie schien mit einer übernatürlichen Macht begabt zu sein, die ihn zur Bewunderung und Liebe zwang. Kokett, ohne daß sie es wußte, errang sie einen raschen und sichern Sieg. Ihr Lächeln fesselte, und ihre Blicke berauschten. Ihre harmonische Stimme verlieh den Worten jenen Zauber, der sich in allen ihren Bewegungen aussprach. Wie schmerzlich ward Albrecht berührt, als sie ihm mittheilte, daß sie in einigen Tagen nach Aachen abreisen würde, um ihren Onkel zu erwarten, der um diese Zeit von Wien dort eintreten müsse.

„Ich habe,“ fügte sie hinzu, „den vergangenen Winter bei einer Tante in Brüssel verlebt. Auf den Rath der Aerzte ging ich vier Wochen nach Spaa, um einem Nervenleiden vorzubeugen, dessen Keim ich in mir trage. Und wahrlich, ich muß bekennen, daß die Luft dieses Thales mich wunderbar gestärkt hat, ich werde Spaa nie vergessen.“

Albrecht konnte kein Mißtrauen mehr in Amalie setzen, er hielt nicht nur die Annäherung Funcal’s für sehr natürlich, er würde auch jeden Fehler gerechtfertigt haben, den dieser Engel begangen hätte. Er schlug einen Spaziergang durch die schattige Brunnenallee vor – ihre Bereitwilligkeit dazu schien eine Herablassung zu sein, die ihn mit einem freudigen Stolze erfüllte. Sie rief durch eine Glocke ihre Kammerfrau, mit deren Hülfe sie Hut und Shawl anlegte. Beide machten einen Spaziergang von einer Stunde. Als Albrecht von ihr schied, nahm er die Gewißheit mit sich, daß die Bewerbungen des Herrn von Funcal ohne Erfolg bleiben würden.

Vier Tage verflossen, und immer noch dachte Amalie nicht an die Abreise. Albrecht war selig, denn nach den Erfahrungen, die er in dieser Zeit gemacht, konnte nur er der Grund zu der Verzögerung sein.

„Sie darf nicht allein reisen,“ dachte er; „ich begleite sie nach Aachen. Bin ich nicht Herr meiner selbst?“

Herr von Funcal schien verschwunden zu sein.

Es war am Morgen des fünften Tages, Albrecht schickte sich an, Amalie durch die Promenade zu begleiten, als sein Diener in das Zimmer trat und ihm eine Karte überreichte. Ueberrascht las er den Damen Alphons von Funcal.

„Wer übergab sie?“

„Der lange blasse Herr, nach dem ich seit einigen Tagen vergebens Erkundigungen eingezogen habe. Er bittet um eine Unterredung.“

„Ich bin bereit, ihn zu empfangen.“

Der Diener ging, um Herrn von Funcal eintreten zu lassen. Der blasse Mann trug elegante schwarze Kleider, so daß seine kostbaren Brillanten deutlicher hervortraten. Er grüßte mit kalter Höflichkeit.

„Herr Albrecht von Beck?“ fragte er.

„Er steht dem Herrn von Funcal gegenüber.“

„Und ich hoffe, als ein Mann von Muth und Ehre!“ sagte der blasse Mann, indem er die stechenden Blicke seiner grauen Augen fest auf Albrecht heftete.

Dieser trat verwundert einen Schritt zurück.

„Mein Herr, sollten Sie an dem Letztern zweifeln, so finden Sie mich bereit, das Erstere zu bewähren.“

„Es wird sich bald zeigen, ob ich mich in meiner Erwartung täusche,“ sagte Herr von Funcal mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit. „Sie haben sich auf eine geschickte Weise in den Besitz eines Gegenstandes gesetzt, aus dem sich zarte Beziehungen zu einer Dame herleiten lassen, die unter meiner Obhut steht. Ich ersuche Sie, mir das Portefeuille Amaliens von Paulowska zurückzugeben

Und Herr von Funcal begleitete diese Worte mit so furchtbaren Blicken, als ob er den vor Zorn bebenden Albrecht durchbohren wollte.

„Mein Herr“ antwortete der junge Mann mit bebender Stimme, „obgleich ich Sie in diesem Augenblicke zum ersten Male spreche, so habe ich doch allen Grund, Sie für einen Wahnsinnigen zu halten. Sie kennen mich nicht, und doch zeihen sie mich einer ehrlosen Handlung, für die ich die Mystification einer jungen liebenswürdigen Dame halte, die in ihrer Einfalt sowohl den Worten scheinheiliger Gleißner, als denen raffinirten Roué’s Glauben schenkt. Wer giebt Ihnen das Recht, ein Geschenk zurückzufordern, das ich mir zwar erbeten, aber das mir Amalie ohne den geringsten Zwang ertheilt hat? Wer giebt Ihnen das Recht, frage ich, eine völlig unabhängige Dame vertreten zu wollen, die einen Mann Ihrer Art verlacht, wenn sie ihn nicht bemitleidet? Entfernen Sie sich, lieber Herr, ehe ich meine Ansicht von Ihnen ändere!“

Herr von Funcal lächelte wie ein Mensch, der zu stolz ist, um seine Ueberlegenheit zerschmetternd wirken zu lassen, der es verschmäht, einen Schwachen zu vernichten.

„Ich sehe, ich habe mich getäuscht!“ antwortete er mit einer eisigen Ruhe, die durch das Lächeln furchtbar ward. „Darum muß ich zu Mitteln meine Zuflucht nehmen, die ich aus Rücksicht für Sie gern unberührt gelassen hätte. Um als Cavalier die Formen [190] der Höflichkeit nicht zu verletzen, beschäftige ich mich zunächst mit Ihrer Person.“

„Mein Herr, meine Geduld ist zu Ende!“ rief wuthbebend Albrecht. „Zwingen Sie mich nicht –“

„Ich werde Sie zur Geduld zwingen!“ sagte Funcal, indem er wie besänftigend seine lange, hagere Hand ausstreckte. „Hören Sie mich fünf Minuten an und Ihre Pulse werden langsam klopfen. In Tyrol, nicht weit von einem stattlichen Rittersitze, liegt ein einsames Forsthaus. Der Rittersitz, glaube ich, heißt Hegerswyl, und die Tochter des Försters, eine liebliche Alpenblume, hieß, wenn ich nicht irre, Katharina. Von dem Schlosse schlich allabendlich ein junger Mann nach dem Forsthause, wo Katharina seiner in einer duftenden Laube wartete. – Beide liebten sich mit der Schwärmerei der Jugend, und der Sohn des Schloßbesitzers, der es seines Vaters wegen nicht wagen durfte, offen um die reizende Katharina zu freien, ließ sich, unter dem Beistande des verblendeten Försters, heimlich mit ihr trauen, und schwor, sie der Welt als seine Gattin vorzuführen, wenn der adelstolze Vater das Zeitliche gesegnet habe. – Nicht wahr, Sie hören mich doch ruhig an?“ fragte der blasse Mann den erstarrenden Albrecht. „So fahre ich fort: der alte Freiherr von Beck starb nach einem Jahre, und sein Sohn trat zwar den unbeschränkten Besitz seiner Güter an, aber die arme Katharina blieb, was sie war, die verführte Tochter des Försters. Kennen Sie diese Geschichte, Herr von Beck?“ fragte höhnisch lächelnd Herr von Funcal.

„Ich kenne sie!“ antwortete Albrecht, der sich wieder gefaßt hatte.

„Nun, so müssen Sie auch wissen, daß der junge Baron nie wieder nach Hegerswyl zurückgekehrt ist, daß seine heimliche Gattin ihm einen Sohn geboren, und daß sie –“

„Den Schluß werde ich liefern, mein Herr!“ unterbrach ihn heftig der junge Mann. „Ich weiß, daß Katharina sich von einem Pfaffen bethören ließ, daß sie mit ihm entfloh, und daß die Betrogene in Wien starb. Der junge Baron, mein Herr, der Gründe hatte, seine Verheirathung noch einige Zeit zu verschweigen, hat nicht Katharina – sie hat ihn verrathen!“

„Die Tochter des Försters war ein redliches Gemüth.“

„Ganz recht, aber ihr Verführer war ein Schurke, und ihm messe ich die Schuld an ihrer Untreue und ihrem Tode bei. Ich habe ihr verziehen, Herr von Funcal –“

„Weil sie todt ist? Ah, sie hat einen klugen Streich gemacht, daß sie starb – nicht wahr? Im Tode verzeihen Sie ihr – was würden Sie thun, wenn sie noch lebte?“

„Diese Beharrlichkeit!“

„Antworten Sie mir!“

„Sind Sie mein Inquisitor?“

„Nein, aber der Bote, der Ihnen die Nachricht bringt, daß Katharina noch lebt!“

Albrecht schwieg einen Augenblick, während ein mitleidiges Lächeln seinen Mund umspielte.

„Herr von Funcal, an mir scheitern Ihre Intriguen,“ sagte er dann. „Hoffen Sie nicht, daß Sie mich durch diese Erfindung einschüchtern – aber vernehmen Sie, daß Amalie die Hülfe Ihrer christlichen Nächstenlieben nicht annimmt, auch wenn Sie ihr das Geheimniß meiner ersten Verheirathung mittheilen. Mir scheint, Sie setzen wenig Vertrauen in die Kraft der Gebete, die Sie vor dem Marienbilde verrichten, da Sie Ihren Nebenbuhler mit solchen Waffen zu vertreiben suchen. Noch heute wird Amalie Alles erfahren, und weigert sie sich dann, meine Hand anzunehmen, so ziehe ich mich vor dem frommen Manne zurück. Damit Sie aber sehen, daß ich ein Mann von Muth bin – an meiner Ehre erlaube ich Ihnen, Ihnen, Herr von Funcal, zu zweifeln – so werden Sie mir bis diesen Mittag den Beweis liefern, daß Sie kein Lügner sind. Und zu diesem Zwecke erwarte ich Sie mit Ihren Waffen bei der Marienkapelle. Wählen Sie Degen oder Pistolen – mir gilt es gleich, Sie werden mich gerüstet finden.“

„Ich bin kein Freund des Zögerns,“ sagte Herr von Funcal, „zumal wenn es sich um meine Ehre handelt.“

„Gut, so gehen wir gleich nach der Kapelle!“ rief der erregte Albrecht. „Hier sind Pistolen, hier Degen –“

„Mit den Waffen später, Herr Baron! Zunächst liefere ich andere Beweise.“

„Wie? Sinkt Ihnen der Muth?“ rief lachend der junge Mann.

„Diese Frage erlaube ich mir später an Sie zu richten; für jetzt öffnen Sie Amaliens Portefeuille, trennen Sie das schwarze Blatt, und Sie werden ein Billet finden, das Ihnen für jetzt den geforderten Beweis liefert. Oeffnen Sie, es gehört wenig Muth dazu.“

Albrecht stutzte; aber zu neugierig, den Ausgang der Sache zu erfahren, trat er rasch zu einem Secretär und holte das Portefeuille hervor, das er bei seinen Kostbarkeiten aufbewahrte. Herr von Funcal beobachtete ihn; und wahrlich, wäre er den Blicken seines Basilisken-Auges begegnet, er würde die Gefahr erkannt haben, die ihm drohte. Er entfernte die kleine silberne Nadel, die das schwarze Blatt mit dem Namen Amaliens an die perlengestickte Decke heftete, und das Billet, von dem der Blasse gesprochen, fiel ihm in die Hände. Bestürzt las er die von seiner eigenen Hand geschriebenen Worte:

„Katharina, Du bist mein Weib! Heute noch weiß es nur Gott und der Priester, der uns für die Ewigkeit verbunden hat; aber bald soll es die Welt erfahren, daß Du die Herrin von Hegerswyl bist. Zage nicht und vertraue Deinem Albrecht!“

In sprachlosem Erstaunen starrte er die Zeilen an. er erkannte nicht nur seine Züge, er erinnerte sich auch, daß dies die letzten Worte waren, die er an Katharina gerichtet hatte. Betrug war demnach unmöglich. Wie hatte Herr von Funcal sein Geheimniß erfahren? Wie war dieses Blatt in Amaliens Portefeuille gekommen, das sie, nach ihrer eigenen Aussage, selbst gestickt hatte? Welche Beziehungen mußten hier obwalten? Diese Fragen durchkreuzten wie Blitze seinen Kopf. Als er die Blicke erhob, spielte der blasse Mann gleichgültig mit dem kostbaren Diamantringe an seinem hagern Finger.

„Mein Herr,“ sagte Albrecht, „dieses Blatt beweis’t nur das, was ich nie geleugnet habe, nie leugnen werde; aber wo ist der Beweis, daß Katharina noch lebt“

„Wenden Sie gefälligst das Blatt, Herr Baron!“ war die ruhige Antwort.

Albrecht that es und er las die Zeilen:

„Erinnere Dich Deiner heiligen Pflicht, Albrecht! Jahre sind verflossen und Du hast Dein Weib nicht anerkannt. Eile zurück, so bald Du dieses Blatt gesehen hast, denn die Verzweiflung nagt an dem Herzen Deiner Katharina. Am Pfingstabend des Jahres 1840.“

„Am Pfingstabende wurden wir getraut,“ dachte er bestürzt, „und dies ist ihre Handschrift!“

Die magnetischen Blicke Funcal’s schienen den jungen Mann verschlingen zu wollen, als er fragte:

„Nun, Herr Baron, bin ich ein Lügner? Begreifen Sie nun, daß ich Sie kenne? That ich unrecht, wenn ich mich an Ihren Muth und an Ihre Ehre wandte? Wie leicht die Heirathsgedanken bei Ihnen entstehen, und wie leicht Sie sie ausführen! Noch lebt Ihre erste Gattin, und schon wollen Sie eine zweite nehmen. O, ich begreife Ihre Leidenschaft, denn Amalie ist ein Engel, in dessen Glanze alle Frauen der Erde verschwinden wie die Sterne vor der blendenden Sonne. Zögern Sie noch, mir das Portefeuille zurückzugeben?“

„Ja!“ rief Albrecht entschlossen. „Wählen Sie die Waffen, mein Herr; der Sieger wird der Besitzer des Portefeuilles und vielleicht auch der reizenden Amalie sein.“

„Gut, um Mittag also bei der Kapelle.“

„Nicht um Mittag, Herr von Funcal, Sie werden mich auf der Stelle begleiten! Ich halte Sie für einen Schurken –“

„Genug, ich begleite Sie! nehmen wir jene Pistolen, sie mögen entscheiden, wer Amalie sagt, daß ihretwegen ein Duell stattgefunden hat.“

Albrecht rief seinen Diener. Ruhig und still wurden die Vorbereitungen getroffen. Der Wagen fuhr vor, und eine halbe Stunde später befanden sich die beiden Duellanten am Platze. Man betrat die einsame Thalschlucht hinter der Kapelle, die zwar schmal, aber sehr lang war. Albrecht lud die Pistolen und präsentirte sie seinem Gegner. Herr von Funcal wählte eine derselben, indem er fragte:

„Tragen Sie das Taschenbuch bei sich?“

„Ja!“

Die Duellanten nahmen ihre Plätze ein, nachdem man festgestellt, daß nur eine Kugel von beiden Seiten gewechselt werden solle.

[191] „Ich gebe Ihnen den ersten Schuß,“ sagte Herr von Funcal in einem höhnenden Stolze, als er die weite Entfernung sah, die sein Gegner abgemessen hatte.

„Und ich nehme ihn an!“ rief Albrecht, indem er zu zielen begann.

Der Baron war ein guter Schütze; das Pistol krachte, und trotz der Entfernung, die einen Treffer sehr zweifelhaft zu machen schien, brach Herr von Funcal zusammen. Albrecht eilte zu ihm. Die Kugel hatte die rechte Seite verletzt – das Blut rann aus der schwarzen Weste des Blassen, der mit einem sardonischen Lächeln sagte:

„Sie zielen gut, Herr Baron! Ich durfte es von dem Schwiegersohne eines tyroler Försters erwarten!“

Dann fiel er ohnmächtig zurück, ohne einen beißenden Spott auszusprechen, der ihm noch auf den Lippen schwebte. Albrecht rief seinen Diener, mit dessen Hülfe er den Verwundeten in den Wagen schaffen wollte. Da schlug Herr von Funcal die schwarzen Augen wieder auf.

„Lassen Sie mich!“ sagte er abwehrend. „Ich liege gut hier – das Moos ist weich. Aber senden Sie mir den Priester jener Kapelle – er ist jetzt dort, er läutet die Glocke!“

Und wirklich ließen sich in diesem Augenblicke die Schläge einer Glocke vernehmen. Albrecht sandte seinen Diener ab.

„Sagen Sie Amalie,“ flüsterte der Verwundete, „wie Sie mich verlassen haben.“

„Und haben Sie mir nichts von Katharina zu sagen?“

„Sie werden auch ohne mich mehr erfahren, als Ihnen lieb ist! Entfernen Sie sich – ich sehe den Priester kommen!“

Der Geistliche übernahm den Verwundeten, und Albrecht, der seinen gefährlichen Gegner für tödtlich verwundet hielt, fuhr nach Spaa zurück. Er hatte Muße und Ruhe genug, einen Entschluß zu fassen. Sein erster Weg war zu Amalie. Ihr Zimmer stand offen. Eine Magd war beschäftigt, es zu ordnen.

„Wo ist die Dame?“

„Vor einer Stunde abgereis’t, mein Herr!“

„Wohin?“ fragte der überraschte Baron.

„Ich weiß es nicht.“

„Hat sie Aufträge zurückgelassen?“

„Nein!“

Albrecht eilte in sein Hotel. Eine halbe Stunde später saß er in seinem Wagen, der, mit drei Extrapostpferden bespannt, eilig auf der Straße nach Aachen fortrollte.




IV.
Intriguen.

Albrecht von Beck hatte gehofft, die entflohene Amalie unterwegs noch einzuholen; aber trotzdem die Reise mit Windesschnelle von Statten ging, trotzdem in allen Hotels und Posthäusern genaue Nachfrage gehalten – es war keine Spur zu entdecken. Wollte er der Befürchtung nicht Raum geben, daß Amalie mit dem Herrn von Funcal, den er für einen raffinirten Abenteurer hielt, einverstanden und in Spaa zurückgeblieben sei, so mußte er annehmen, daß sie eine andere Straße gewählt hatte. In diesem Falle war ein Wiederfinden in Aachen möglich. Der arme Albrecht zermarterte sein Gehirn mit tausend Vermuthungen; aber jemehr er sich die Einzelnheiten der Erlebnisse in Spaa wiederholte, je mehr glaubte seine Liebe daran, daß die junge Dame aus Besorgniß vor einem Eclat das Bad verlassen habe. Amalie lebte in seinen Herzen und in seinem Kopfe. Mit der Beharrlichkeit seines Charakters faßte er den Entschluß, nach Spaa zurückzukehren, wenn er in Aachen kein Resultat erreichen sollte; dort lag Herr von Funcal an seiner Wunde darnieder, und wäre er noch am Leben, so hoffte er mit ihm Unterhandlungen anzuknüpfen. Die Angabe, daß Katharina nicht gestorben sei, hielt er für eine Mystification, und er zweifelte nicht daran, ihr mit Hülfe seines Reichthums auf den Grund zu kommen.

Es war gegen Mittag, als der Reisewagen in das Thor von Aachen fuhr. In den Straßen wogten Tausende von Menschen, und große und kleine Prozessionen erschienen bei dem Klange der Glocken. Der Wagen mußte mehr als einmal halten, um in dem Menschenstrome nicht ein Unglück anzurichten. In dem Gasthause erfuhr der Reisende, daß die Heiligthümer des Doms der gläubigen Menge zur Verehrung gezeigt würden. Albrecht befand sich in der alten deutschen Kaiserstadt zur Zeit der sogenannten Heiligthumsfahrt, die alle sieben Jahre wiederkehrte. Das Fest war für ihn nicht nur ohne Interesse, es kam ihm selbst sehr ungelegen, da die fast überfüllte Stadt ihm die Erreichung seiner Absicht erschwerte. Nach dem Mittagsmahle begann er seine Forschungen. Sie blieben den ersten wie den zweiten Tag ohne Erfolg. Der glühend Liebende verlor die Hoffnung nicht, er tröstete sich mit dem Gedanken, daß Amalie nicht so rasch gereis’t sei als er. Am dritten Tage früh begab er sich zu der Elisenfontaine, einem heißen Sprudel, in deren Nähe die Kurgäste ihre Morgenpromenade zu machen pflegen. Ein reges Leben herrschte unter den Hallen und in der Allee. Es wogten Kurgäste, fromme und neugierige Wallfahrer durch einander.

Der Baron trat in ein Kaffeehaus, frühstückte und las dabei die Brunnenliste. Er fand keinen Namen, der ihm bekannt war. Mißmuthig begann er seine Wanderung von Neuem. In dem Augenblicke, als er den Platz betrat, hielt ein eleganter Ghig unter den Bäumen an. Der Jockey, ein Neger, sprang von dem Sitze, ergriff den Zügel des prachtvollen Rappen und wartet. Albrecht befand sich unter den Zuschauern, welche die Equipage mit Interesse betrachteten und darauf harrten, den glücklichen Besitzer derselben kennen zu lernen. Plötzlich erschien ein alter, schlicht gekleideter Herr, der am Arme ein junge Dame führte. Beide bestiegen den Wagen. Der Jockey reichte der Dame die weißen Zügel. Bei dieser Gelegenheit wandte sie den Kopf und Albrecht erkannte Amalie. Auch sie mußte ihn erkannt haben, wie von einer jähen Bestürzung ergriffen, sah sie ihn einen Augenblick an, dann ließ sie dem ungeduldigen Pferde die Zügel schießen, und der leichte zweiräderige Wagen rollte die Straße entlang. Noch einmal blickte sich Amalie um, dann verschwand sie zwischen den Bäumen. Albrecht wußte nicht, welchem der erwachenden Gefühle er sich überlassen sollte.

„Sie war es!“ flüsterte er. „Wer aber ist ihr Begleiter?“

Da ging der schwarze Jockey an ihm vorüber. Hastig berührte er die Schulter des Negers, der ihn verwundert ansah.

„Wem gehört der Wagen? Wer ist Dein Herr, Freund?“

Der Neger fletschte die Zähne und zuckte die Achseln als ob er entweder sagen wollte, ich verstehe Sie nicht, oder, ich kann Ihnen keine Auskunft geben.

„In welchem Hotel wohnt Dein Herr?“ fuhr Albrecht dringender fort. „Wie heißt er?“

Es erfolgte dieselbe Antwort. Doch ehe der Baron seine Frage wiederholen konnte, flüsterte eine Stimme dicht an seinem Ohre:

„Alphons von Funcal!“

Albrecht wandte sich. Ein wahrer Koloß von einem Manne stand vor ihm. Und welches Gesicht saß zwischen seinen breiten Schultern, von denen die eine etwas höher war als die andere. Unter starken buschigen Brauen, die offenbar geschwärzt waren, blinzelten ein Paar hellgraue, geschlitzte Augen. Die spitze Stirn war bleich und gerunzelt. Die kurzen Haare einer fuchsbraunen Perrücke, wohlpomadisirt, lagen dicht an den langen Schläfen. Eine dünne, fast eckige Habichtsnase saß zwischen herabhängenden welken Backen, die sehr glatt rasirt waren. Der breite Mund ward von schmalen, bläulichen Lippen gebildet, und das wie die Wangen welke Kinn ruhte behäbig in einer weißen Halsbinde. In den großen Ohren erglänzten kleine gelbe Knöpfchen. Seine Kleidung bestand aus einem weißen Filzhute, einem abgetragenen kaffeebraunen Rocke, gelben Nankingpantalons, weißen Strümpfen und Schuhen mit kleinen silbernen Schnallen. Die rechte Hand hielt ein großes spanisches Rohr.

Jeder andere würde diese kolossale Karrikatur bewundert haben; der Baron befand sich nicht in der Verfassung dazu.

„Funcal?“ wiederholte er gedehnt und ungläubig, denn der in Spaa Verwundete war ein langer, hagerer Mann von achtundvierzig Jahren – dieser hier ein Greis von vielleicht sechzig und von mittler gedrungener Gestalt. Und Amalie war bei ihm? „Irren Sie auch nicht?“ fragte er.

„Gewiß nicht, mein Herr!“ antwortete der Koloß, lächelnd auf ihn herniederblickend.

„So kennen Sie ihn?“

„Ziemlich genau. Das Fest der Heiligthümer wird alle sieben Jahre gefeiert, und das gegenwärtige ist das siebente, das dieser Portugiese besucht.“

[192] „Wann ist er angekommen?“

„Gestern um Mittag."

„Ist Ihnen die junge Dame bekannt?“

„Ich habe Gründe, sie für seine Tochter zu halten.“

Der Baron glaubte sich diesem Manne anschließen zu müssen. Sein Aeußeres verrieth Dürftigkeit, und deshalb lud er ihn zu einem Frühstücke ein. Der Mann mit der Habichtsnase zog seinen Hut und nahm die Einladung an. Nach wenigen Minuten saßen Beide beim Champagner.

„Wie ich Ihnen bereits gesagt,“ berichtete der Koloß, „so ist Herr von Funcal alle sieben Jahre in Aachen acht Tage anwesend, außer dieser Zeit sieht man ihn nicht. Man weiß, daß er ein Portugiese und enorm reich ist. Um die Reliquien zu verehren, unternimmt er die weite Reise, ein Beweis von seiner bewunderungswürdigen Religiosität.“

„Das ist nicht zu leugnen“ sagte der Baron. „Aber wer ist die Dame und in welcher Beziehung steht sie zu ihm?“ fragte er, von Unruhe gefoltert.

„Das müßte man zu erfahren suchen“ murmelte der braune Gast, dem die Aufregung des verliebten Barons nicht entging.

„Trinken Sie, mein Bester! Noch eine Flasche!“

Der Koloß verschlang den Champagner.

„Ich stehe zu lhren Diensten," sagte er, als die zweite Flasche geleert war. „Mir kann es nicht schwer fallen, die gewünschte Auskunft zu erhalten. Ich verspreche sie Ihnen," sagte er mit einem Lächeln, das Zuversicht einflößte. „Hier ist meine Hand."

„Ich verspreche Ihnen zehn Louisd’or, wenn Sie erforschen, wo die Dame wohnt!“ sagte der Baron. „Ich habe sie bereits in Spaa gesprochen, und habe ihr hier eine wichtige Nachricht mitzutheilen. – Wo finde ich Sie?“

Boule d’or Nr. 9.“

„Sie sehen mich wieder, sobald der Abend dämmert.“

Albrecht von Beck war allein. Das Geheimnißvolle, das Amalie umgab, machte sie ihm noch reizender und seine Liebe quälender. Mit dem festen Vorsatze, Vermögen und Leben daran zu setzen, um Gewißheit zu erhalten, verließ er das Kaffeehaus. Müde und matt kehrte er um zwei Uhr in sein Hotel zurück. Sein Diener übergab ihm ein Billet, das ein Knabe für den Gast auf Nr. 9 gebracht hatte. Das Billet enthielt folgende Zeilen:

„Mein Herr! Es geht Alles vortrefflich. Halten Sie sich diesen Abend neun Uhr bereit, es wird Sie zu dem gewünschten Ziele führen – Barchon.“

Um die bezeichnete Stunde erschien Barchon. Die Nacht war völlig angebrochen, als beide Männer das Hotel verließen, schwarze Gewitterwolken verdunkelten den Horizont. Albrecht war vorsichtig gewesen, er hatte sich mit einem Dolche bewaffnet und seinem Diener Befehl ertheilt, so zu folgen, daß er ihn stets im Auge habe. Barchon führte seinen Begleiter durch das Thor aus der Stadt. Dann schlug er einen Weg ein, der sich eine Zeit lang zwischen hohen Hecken hinzog. Plötzlich zeigte sich an einem Teiche ein stattliches Gebäude. Die zuckenden Blitze spiegelten sich in der ruhigen Wasserfläche ab.

„Hier wohnt der Portugiese!“ flüsterte Barchon. „Was gedenken Sie nun zu thun?“

„Ich will die Dame sprechen, und soll es in seiner Gegenwart geschehen!“

„Gut, so folgen Sie mir!“

Man trat zu dem Hause, in dessen erstem Stocke einige Fenster erleuchtet waren. Barchon zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür. Der aufgeregte Albrecht bemerkte diesen Umstand nicht, er folgte schweigend seinem Führer über die Hausflur und stieg die Treppe zu dem Corridor des ersten Stockes hinan, der durch eine Lampe matt erhellt wurde.

„Wo ist mein Diener?“ fragte der Baron, den in diesem Augenblicke das erste Mißtrauen beschlich.

„Ich werde dafür sorgen, daß er in Ihrer Nähe bleibt!“ flüsterte Barchon zurück. „Uebrigens fürchten Sie nichts, mein Herr; der Portugiese, ein schwacher Greis, liegt um diese Zeit schon im Bette. Hier ist das Zimmer der jungen Dame - Sie werden sie ohne Zweifel allein finden.“

„Kennen Sie ihren Namen?“ fragte der Baron, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht geirrt habe.

„Ich hörte sie Amalie nennen.“

„Gut, erwarten Sie meine Rückkehr!“

Albrecht öffnete die Thür und trat in ein dunkles Vorzimmer. Ein heller Blitz erleuchtete den Raum, und gleich darauf ließ sich der erste Donner vernehmen. Dann ward eine Thür geöffnet und eine Dame in einem weißen Nachtmantel erschien.

„Betty! Betty!“ rief sie leise.

Albrecht erkannte die liebliche Stimme Amalie’s; seiner nicht mehr mächtig, trat er ihr rasch entgegen. Mit einem unterdrückten Schrei flog sie erschreckt in das Zimmer zurück.

„Ich bin es, Amalie, Ihr Freund, Ihr glühender Verehrer!“ rief er leise, indem er ihr folgte.

„Sie, mein Herr, Sie?“ fragte sie mit bebender Stimme.

„Konnten Sie zweifeln, daß ich Ihnen folgen würde? Amalie, es giebt kein Hinderniß, das mich von Ihnen trennen kann – ausgenommen Ihr eigener Wille!“ fügte er hinzu, indem er ihre zarte Hand ergriff und sie an seine Lippen drückte.

Jetzt schien sich das reizende Mädchen seiner Nachttoilette zu erinnern. Sie kreuzte die vollen runden Arme, die nur halb von feinen Spitzen bedeckt waren, auf dem erregten Busen, der wie Schnee durch den dünnen Flor des Mantels schimmerte. Die aufgerollten Locken bildeten einen Kranz um das liebliche Köpfchen. Wie wunderbar schön war das vor Scham und Verwirrung erröthende Mädchen! Amalie wagte kaum die Blicke emporzuschlagen.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Leonore.
Skizze von Elise Polko.
 Ueber das Herz zu siegen, ist groß – ich verehre den Tapfern;
 Aber wer durch sein Herz siegt, der gilt mir noch mehr!
 Schiller

Die fröhlichen Bewohner der schönen Kaiserstadt Wien, so geschäftig und ruhelos sie auch immer von einem Tage in den andern eilen, so wechselnd sie sich oft zeigen in ihren Neigungen, so vergnügungsdurstig sie erscheinen, haben sie doch zu allen Zeiten in einer Empfindung einen tiefen Ernst und eine rührende Innigkeit an den Tag gelegt: in der Empfindung für ihre großen Musiker. Der Wiener war und ist auf solche Erscheinungen eben so stolz als auf seinen Kaiser und – auf seinen Prater. Daß sich die Wiener damals nicht gerade darum sorgten, ob ihr lieber Haydn, Mozart und Beethoven auch tagtäglich „Backhahndel“ zu verzehren hatten, ob ihre Wohnungen behaglich, ihre Beutel gefüllt waren, das konnte und durfte man ihnen nicht übel nehmen, jedes ächte Wiener Kind hat „halt“ gar zu viel mit sich selber zu tun. Jeder aber freute sich von Herzen und strahlte ordentlich, wenn er wieder ein neues Stück von seinen Lieblingen hörte, ließ sie dann auch hoch leben, d. h. mit dem Glase in der Hand, und zog gewiß den Hut bis zur Erde, wenn Einer oder der Andere jener berühmten Männer ihm einmal zufällig in den Weg kam. – Lächelt nicht! Das ist schon sehr viel! Wie mancher große Geist in schlichter Körperhülle ging an den Menschen vorüber, ohne daß ihn Einer warm anschaute, ohne daß ihm Einer dankte für das, was er geschaffen. – Und doch trifft eben solch’ ein Anschauen und Danken die Seele wie ein Frühlingssonnenstrahl, und kein Mensch, so erhaben er auch sei, so hoch über Alle er auch stehe, vermag solches ohne Schmerzen zu entbehren.

In dem ungewöhnlich schönen Monat Juni des Jahres 1822 konnte man täglich genau zu derselben Nachmittagsstunde auf dem sogenannten Wasserglacis einen hochgewachsenen Mann einsam auf und abwandeln sehen, dem jeder Begegnende ehrerbietig auswich. – Keine Minute früher noch später erschien dieser düstere Spaziergänger,

[193]

Wilhelmine Schröder-Devrient und Beethoven.

weder Gluth noch Regenschauer vermochten seinen Schritt zu beschleunigen, keine Blume, keine Menschengestalt sein Auge zu fesseln, langsam, sicher und stolz schritt er daher, den Blick gesenkt, die Hände auf den Rücken gekreuzt. Graues Haar drängte sich um die prächtige gedankenschwere Stirn, er merkte es nicht, wenn der Frühlingswind es ihm neckend aufwirbelte oder in die Augen trieb. Niemand konnte an dieser Erscheinung achtlos vorüberstreifen, der Stempel des Außergewöhnlichen war ihm allzu frappirend aufgedrückt, die überwältigende Hoheit des Genies zog sich wie ein Nimbus um dies gebeugte Haupt. – Jedes Kind wußte aber auch: „das ist Ludwig van Beethoven, der so viele wunderschöne Musik gemacht hat,“ hörte auf zu spielen, hielt rasch die Kugel an, die dem Meister vor die Füße rollen wollte, klatschte auch nicht mit der Peitsche, und stieß schnell den Brummkreisel um, wenn der ernste Mann daher kam. Alt und Jung, Hoch und Niedrig trat bei Seite oder begnügte sich, ihn voll Ehrfurcht zu grüßen, ohne auf eine Erwiederung zu hoffen. Kohlenträger mit schwerer Bürde belastet, hielten geduldig still bis der wunderbare Träumer vorbei gegangen, Jeder, aber auch Jeder, ehrte ihn auf seine Weise.

Gerade damals zeigten freilich die Wiener ein erhöhtes Interesse an der finstern Erscheinung des Vielgepriesenen; Beethoven hatte nämlich vor einigen Monaten schon seine erste und einzige Oper, Leonore (später nannte er sie Fidelio) vollendet, weigerte sich aber hartnäckig, sie zur Aufführung bringen zu lassen. – Eigensinnig [194] taub gegen alle Bitten, hielt er die kostbare Partitur in seinem Pult verschlossen.

„Ich finde keine Leonore wie ich sie brauche,“ sagte er zu seinen Freunden, die nicht müde wurden, ihn um die Aufführung zu bestürmen. „Sängerinnen giebt’s freilich zur Genüge, aber keine für mich. Meine Leonore soll keine Triller schlagen, auch nicht über allerlei Rouladen den Hals brechen, sie braucht nicht zehnmal die Kleider zu wechseln, auch nicht sonderlich schön zu sein: aber Eins muß sie haben außer ihrer Stimme, und diese Eine verrathe ich Euch nicht, Ihr würdet den „tollen“ Beethoven doch nur auslachen. – Laßt die Oper ruhig bei mir liegen und bekümmert Euch nicht um sie!“

Aber die Ungeduldigen ließen nicht ab von ihm, quälten den großen Musiker Tag für Tag, schickten ihm eine Sängerin nach der andern über den Hals, und fingen endlich an, ihm ernstlich zu zürnen. – Beethoven blieb lange geduldig, wunderbarer Weise. Eines Abends jedoch drang man besonders heftig in ihn und erzählte ihm Wunderdinge von dem Debut der jungen Sängerin, die damals ganz Wien von sich reden machte. Sie war die Tochter der berühmten Schauspielerin Sophie Schröder, kaum siebzehn Jahre alt und mit ihren Aeltern seit Kurzem von Hamburg nach der Kaiserstadt übergesiedelt. Als Mozart’s Pamina hatte sie alle Herzen entzückt durch den Reiz ihrer Stimme und Gestalt, man prophezeihte ihr einstimmig eine große Zukunft, und dies Alles eben theilte man dem Meister mit und verhehlte ihm nicht, wie man hoffe, er werde dieser schönen Hand gestatten, den verborgenen Schatz seiner letzten Schöpfung zu heben. – Da fuhr Beethoven auf:

„Was, einem Kinde, einem kaum der Schule entwachsenen Dinge soll ich mein heiliges Kleinod anvertrauen?“ fragte er heftig. „Ich glaube, Ihr träumt oder Eure Neugierde macht Euch sinnlos. Nein, für ein siebzehnjähriges Mädchen hat Ludwig van Beethoven seine Leonore doch nicht componirt – Aber ich bin nun der Quälereien müde und erkläre Euch ein für allemal, daß ich meine Oper verbrennen werde, wenn Einer von Euch es wagen sollte, wieder nach ihr zu fragen!“

Er war so imponirend in seinem Zorn, sein Auge blitzte so vernichtend, seine Stimme klang so grollend, auf seiner breiten Stirn standen noch so viele Wetterwolken – daß Einer nach dem Anderen still hinausschlich – und fortan war von der „Leonore“ vor den Ohren des Meisters nie wieder die Rede.

Seit einiger Zeit nun traf es sich, daß dem großen Musiker auf dem Rückwege von seinem täglichen Spaziergang regelmäßig kurz vor der Stadt ein junges blondes Mädchen entgegen trat. – Sie trug meist ein einfaches weißes Kleid, einen kleinen zierlichen Strohhut und ein schmaler dunkelrother Shawl fiel über ihre schönen Schultern. Wie alle Andern, die dem Sinnenden begegneten, wich auch sie ehrerbietig zur Seite, dies geschah aber, wenn auch langsam und zögernd, doch mit einer hinreißenden Grazie, sie heftete dabei ihre großen Augen fest auf das Antlitz des Meisters.

Das waren aber Augen, die wohl die Macht besaßen, zu binden und zu lösen, eine träumende Seele aufzurütteln, an sich zu ziehen, festzuhalten, Augen von wunderbar dunklem Blau mit den köstlichsten Wimpern und Brauen, leidenschaftlichem Aufschlag und unergründlicher Tiefe. Nur der Träumer Beethoven konnte diesem zauberisch-innigen Blicke so lange widerstehen, der ihn immer und immer wieder traf, er ging achtlos viele Tage an dem schlanken Mädchen vorüber, ohne sie zu bemerken. – Ihre feinen Lippen bebten immer, wenn er an ihr hinstreifte, es war als wolle sie reden und doch schwieg sie, sah ihm nach mit einem Ausdruck von Bewunderung und Schmerz und wandte sich dann, um in die Stadt zurückzukehren

Da zog denn eines Tages, eben in der fünften Nachmittagsstunde ein Gewitter am Himmel auf. Der Donner rollte näher, einzelne Blitze zuckten durch die Luft, ängstlich flatterten die Vögel, und die Menschen, die eben draußen waren, eilten, ihre schützenden Wohnungen zu erreichen. Einzelne Windstöße erhoben sich, aber kein Regentropfen milderte die drückende Schwüle, – immer lauter tönte die Stimme des Donners, immer wilder jagten sich die Blitze. – Da schritt Ludwig von Beethoven von seinem Spaziergange zurückkehrend wie ein Seher daher. – Das Haupt hoch emporgerichtet, die Stirn heller als sonst, schien er sich des ernsten Schauspiels zu freuen. Er allein schien jene großartige Sprache dort oben zu verstehen, denn er lächelte im Rollen des Donners und schaute kühn und ungeblendet in das Leuchten der Blitze. – Für ihn war das Gewitterbrausen nur der mächtig anschwellende Posaunenton einer gewaltigen Natursymphonie, der Wind, der in seinen Haaren wühlte, schien ihn zu heben und zu tragen, und als der ernste Mann jetzt die Arme emporhob in seltsamer stummer Begeisterung, da war es als erwarte er, daß ein Engel niederfahre zu ihm auf den Flügeln der Blitze. O, daß er ihm eine Riesenharfe brächte, damit er sie ausstürme jene seltsamen Melodien, von denen die Seele des Begeisterten so übervoll! – Beethoven wähnte auch wirklich einen Engel zu sehen, eine weiße Gestalt stand vor ihm, er starrte auf sie hin, eines Wunders gewärtig. – Aber der vermeintliche Engel zitterte, streckte ihm die Hände entgegen, murmelte hastig einige unverständliche Worte und sah ihn flehend an. – Ueberrascht blickte der Meister in ein erblaßtes Mädchengesicht. – Eine Erinnerung kam ihm an dies liebliche Antlitz – an diese reizende Gestalt – hatte er sie nicht schon oft gesehen – war sie nicht an ihm vorübergegangen? – Im Traume vielleicht! – Er wußte es nicht.

„Kind!“ sagte er endlich und beugte sich zu dem jungen Mädchen nieder, „in solchem Unwetter bist Du noch im Freien? Hast Du Dich verspätet, bist Du fehl gegangen?“

„Ich wollte nur zu Euch!“ antwortete fest und weich zugleich eine süße Stimme.

„Zu mir? Was kannst Du von mir wollen?“

„Eure – Leonore!“

Beethoven fuhr zurück.

„Wie heißt Du?“

„Wilhelmine Schröder. Ich stand schon viele Tage mit meiner heißen Bitte hier, erst heute wagte ich zu reden!“

„Und sahst Du nicht, wie das Wetter heranzog, fürchtest Du Dich nicht?“

„Ich fürchte nur Eins: daß ihr meine Bitte abschlagen werdet!“

Der Meister antwortete nicht – unerwartet blickte er in die blauen Augen des Mädchens. – Sie senkte sie nicht zu Boden, sie erröthete heiß, aber sie sah ihn an. – Da streckte Beethoven die Hand aus, faßte kräftig die kleinen Hände des lieblichsten Geschöpfs athmete tief und erquickt auf und sagte mild:

„Komm morgen früh zu mir, mein Kind, und sei muthig. – Ich glaube, ich habe meine Leonore gefunden. – Jetzt aber fort von hier – ich will Dich nach Haus führen!“

Und sie hing sich an seinen Arm mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, ihre Wange glühte, ihr Körper zitterte, ihr Herz klopfte ungestüm – die Erfüllung ihres brennendsten Wunsches war nah. – Der Sturm hatte aufgehört, die Blitze zuckten schwächer, aber ein erfrischender Regen tropfte nieder. Am Thore der Stadt hob Beethoven das junge Mädchen mit väterlicher Sorgfalt in einen eben vorüberfahrenden Wagen, und Wilhelmine Schröder bezeichnete die Wohnung ihrer Mutter. – In kindlich überströmender Begeisterung küßte sie zum Abschiede die Hand des Meisters, er wandte sich, zu gehen. Noch einmal mußte er zurückblicken, und da sah er, über den Wagenschlag hinausgelehnt, das reizendste Mädchengesicht zu ihm hingewandt. Es war erblaßt vor innerer Bewegung, die junge ernste Stirn eingefaßt von goldnen Haaren, neigte sich vor ihm, sanft grüßten und lächelten die magischen Augen. Ludwig van Beethoven fühlte eine wundervolle Wärme an sein Herz strömen, eine selig-wehmüthige Ahnung durchquickte ihn, er sagte sich leise: „Dies Weib wird noch einen Sonnenstrahl auf deinen Weg werfen – den letzten!“


Und am folgenden Morgen stand Wilhelmine Schröder, die junge Sängerin, neben Beethoven am Clavier. Vor ihm aufgeschlagen lag die Partitur seiner Leonore. Er hatte dem blonden Mädchen kurz den Inhalt der Oper erklärt, der sie mächtig anzog, ging dann flüchtig über die ersten Nummern Jaquino’s und Marcellina’s hinweg und intonirte, leise summend, mit der einen Hand streng den Tact marquirend, mit der andern die Accorde der Begleitung greifend, die Leonorenstimme des Quartetts: „Mir ist so wunderbar.“ Das Mädchen folgte jedem Tone mit gespannter Aufmerksamkeit. Bei dem Terzett: „Muth, Söhnchen, Muth,“ leuchteten die blauen Augen leidenschaftlich auf, als sich aber das Prachtgemälde der großen Arie: „Abscheulicher, wo eilst du hin!“ vor ihrer Seele entfaltete, da flog ein Beben tiefster Erschütterung durch den zarten Körper. Mit jeder Nummer wuchs die Erregung der halb athemlosen [195] Zuhörerin, immer begeisterter spielte und intonirte der Meister, sie hörte nicht wie gebrochen und hart die Stimme klang, die ihr alle diese Herrlichkeiten in’s Ohr und in die Seele trug. – Sie wußte auch nicht, daß beim Duett des zweiten Actes: „Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,“ die Thränen langsam und schwer über ihre Wangen rollten, sie wandte den Blick nicht ab von dem wunderbaren Manne, der da vor ihr saß und den sie so inbrünstig verehrte. – Welch’ ein eigenthümlich fesselndes Bild in dem engen Rahmen des schlichten Zimmers waren sie, diese beiden Gestalten, der reiche ernste Herbst und der lächelnde Frühling. – Der Meister selbst im weiten pelzverbrämten Hausgewand mit blitzenden Augen und leuchtender Stirn, ganz versunken in seine Schöpfung, dann und wann tief-ernst aufblickend zu dem Antlitz seiner Hörerin. Frühlingsfrische war ausgegossen über jene Mädchengestalt an seiner Seite, über jenes Angesicht mit seinen köstlich reinen Linien, und Sonnenlichter zitterten in den schweren blonden Haaren, die sich an die zarten Wangen schmiegten und im stolzen Nacken einen goldenen Knoten bildeten.

„An diesem jugendlichen Haupte hingen
So viele Hoffnungen, als an den Zweigen
Im wonnevollen Maimond hängen Blüthen.“

Beethoven ging rasch und immer rascher weiter, seine Hand eilte über die Tasten:

„Jetzt kommt die Stelle höchster Erhebung,“ sagte er. „In ihr sammeln sich die Lichtstrahlen der ganzen Oper, gieb Acht auf diesen Ruf, auf ihn kommt’s an, mein Kind, hier wirst Du zeigen, ob ich mich in Dir getäuscht oder nicht!“

Und nun intonirte er mit erschütternder Begeisterung jenen berühmten Schrei: „Tödt’ erst sein Weib!“ – Wilhelmine Schröder erkannte nun erst die Riesenaufgabe, nach der sie selbst die Hand ausgestreckt, sie faltete bebend die Hände, Glück und Wangen zugleich erfüllten ihre Brust. „Tödt’ erst sein Weib!“ dieser eine Ruf tönte ihr in den Ohren – sie hörte nichts weiter, das glänzende Finale ging an ihr vorüber wie ein Traum. – Als aber Beethoven sich erhob und die Partitur zuschlug, näherte sie sich ihm mit wankendem Schritt.

„Segnet mich zur That, die ich wagen will – damit sie mir gelinge,“ – sagte sie feierlich und neigte tief das Haupt.

Und der Meister legte seine Hand gedankenvoll auf den blonden Scheitel, und ein Lächeln der Befriedigung glitt wie ein herbstlicher Sonnenstrahl über sein ernstes Angesicht.

Ehe das junge Mädchen aber an diesem Abend einschlief, faltete sie die schönen Hände und schloß ihr Nachtgebet mit den Worten: „Gott, laß mich eine Leonore werden wie er sie geträumt, damit ich seinem Herzen noch eine Freude bringe.“


Wenige Wochen nach dieser Scene trat Wilhelmine Schröder in der Oper Fidelio in Wien auf, und verkörperte jenes Ideal höchsten Lebensheroismus, das dem Geiste Beethovens vorgeschwebt. Der Componist selbst saß in einer kleinen dunklen Loge dicht bei der Bühne. Ach, die süßen und doch kraftvollen Töne, wie sie die Brust der jungen Sängerin ausströmen ließ, sie drangen ja nur schwach und gebrochen in sein damals schon fast ganz verschlossenes Ohr, aber er sah doch die von Gluth und Hingebung getragene Erscheinung, er sah diese Augen voll Leidenschaft und Begeisterung, – und der ausbrechende Jubel der hingerissenen Menge umbrauste ihn wie ein fernes Meer. – Und der zweite Act entfaltete sich, das schöne Weib stieg hinab in den dunklen Kerker, reichte dem hungernden Gatten das Brot, durchlief alle Stadien der Seelenmartern, bis endlich jener wunderbare Lichtpunkt kam, jener mächtige Aufschrei: „Tödt’ erst sein Weib!“ Beethoven richtete sich fieberisch erregt auf als der Accord einsetzte, sein Athem stockte, die Riesengestalt zitterte, seine Blicke bohrten sich fest an die Lippen der Sängerin. – Eine Secunde lang war’s als ob sie zagte – plötzlich aber richtete sie sich auf in wahrhaft großartiger Schönheit, und schmetterte das in höchster Leidenschaft vibrirende b in die Seelen der erschütterten Hörer. – Und das Wunder geschah: dieser eine gewaltige beseelte Ton durchbrach alle Schranken und drang wie eine lichte Verkündigung in das verschlossene Ohr des Meisters. – Es wurde plötzlich so hell in ihm, ein golden Tonwellen überströmte ihn, der stille Traum, seine Leonorenschöpfung sang und klang laut, in dem herrlichen überwaltigenden b, das er gehört, spiegelte sich das Ganze wie das All sich in einem klaren Tropfen spiegelt. – Namenlose Freude – ungebändigtes Entzücken ergriff ihn – er hatte sich in dieser Leonore nicht getäuscht! – er hätte dies junge Mädchen an sein Herz reißen – in seinen Thränen baden mögen, – längst begrabene Wünsche, längst entschlafene Hoffnungen standen auf aus ihrer Todesruh und sahen ihn lächelnd an. Aber Körper und Seele waren nur an Schmerzen gewöhnt, das unendliche plötzliche Glücksgefühl überwältigte den nur im Leiden und Entbehren starken Mann: Ludwig van Beethoven sank ohnmächtig zurück.


Diese Darstellung des Fidelio war in der That die letzte, aber vielleicht auch der blendendste Sonnenstrahl, der auf den dunklen Weg des erhabenen Tonschöpfers fiel.

Aber was war es wohl, was Ludwig van Beethoven von der Darstellerin seiner Leonore verlangte, und was er in den blauen Augen eines jungen Mädchens gefunden? –

Wilhelmine Schröder trug die Leonore hinaus in die Welt. – Wer hätte wohl je ohne die nachhaltigste Erschütterung den Fidelio von ihr gehört, wer könnte sie, gerade sie in dieser Erscheinung vergessen? – Hundert Sängerinnen haben nach ihr uns auch die Leonore gesungen, vermochte je Eine von Allen so die Seele gefangen zu nehmen, wie sie? – Aber war denn Keine so schön wie Wilhelmine Schröder-Devrient, hatte Keine eine so mächtige Stimme, eine so entzückende Grazie? – O gewiß! Reizende Frauen hüllten sich in das schlichte Männerkleid Fidelio’s, großartige Stimmen sangen uns die Arie: „Abscheulicher, wo eilst Du hin!“ Meisterinnen der Darstellungskunst erschöpften sich an dieser Erscheinung, aber schwebte je von einer Lippe der Ruf: „Tödt erst sein Weib!“ großartiger, hinreißender, als von den Lippen jener blonden Frau? – Und warum wohl? – Hier folgt die Lösung aller Fragen. – Wilhelmine Schröder-Devrient besitzt jenen seltnen Zauber, der die Welt überwindet, jenen räthselhaften Reichthum, der in unserer kühlen und matten Zeit immer mehr zur Sage wird, jenen kostbarsten Schatz der Erde, jene schönste Segnung des Himmels: ein heißes Herz!




Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.
Die Lungenschwindsucht.

Ueber keine Krankheit herrschen unter den Laien wie unter den Aerzten so falsche Ansichten als über die Lungenschwindsucht, obschon von allen Leiden der Jetztzeit dieses das allerhäufigste ist. Zur Beruhigung diene nun aber dem Leser gleich von vorn herein, daß man bei dieser Krankheit ohne große Beschwerden uralt werden kann und daß man sogar als Lungenschwindsüchtiger noch den Vortheil hat, vor vielen andern Krankheiten geschützt zu sein. Allerdings verlangt dieses Leiden, welches sehr oft ganz unbemerkt, auch die scheinbar gesündesten Personen mit den schönsten Brustkasten, beschleicht, daß man sich in seiner Lebensweise etwas danach richte. Thut man dies nicht oder zu spät, dann freilich kürzt die Lungenschwindsucht das Leben um mehrere Jahre und veranlaßt auch mannigfache lästige Beschwerden.

Ueber das eigentliche Wesen und die Ursachen der Lungenschwindsucht weiß die Wissenschaft, trotzdem daß in den Büchern viel darüber geschrieben steht, doch so gut wie nichts; oft scheint sie angeboren und ererbt zu sein. Von Ansteckung dabei ist keine Rede, obschon sie sich bei einander nahestehenden Personen, die unter gleichen äußern Verhältnissen leben, nicht selten entwickelt. Auch ist sicherlich der Schluß, welchen die Aerzte machen, wenn sie die, nach dem Verschwinden von gewissen Blutungen, Schweißen, Ausschlägen, Geschwüren u. s. w. auftretende Lungenschwindsucht als eine Folge jenes Verschwindens ansehen, ein ganz falscher. Umgekehrt verhält es sich, weil die Lungenschwindsucht in ihrer Entwickelung begriffen war, darum verschwanden jene Zustände.

Die Beobachtungen am Krankenbette und Leichentische haben [196] Folgendes gelehrt. Bei der Lungenschwindsucht wird aus dem Blute eine eigenthümliche, gerinnende, grauliche und gelbliche Masse in das Lungengewebe abgeschieden. Diese Masse, welche merkwürdiger Weise fast immer zuerst in den Lungenspitzen abgelagert wird, nimmt in den meisten Fällen die Form von Knötchen (tubercula) an und wird deshalb auch Tuberkelmasse genannt; der ganze Krankheitsprozeß führt daher den Namen Lungentuberkulose. Die Knötchen- oder Tröpfchenform dieser Masse, sowie der Umstand, daß diese Krankheit besonders bei Armen und Wüstlingen häufig vorkommt, läßt die Tuberkeln poetisch als „Thränen der Armuth und Reue nach innen geweint“ bezeichnen. Nicht selten findet sich aber die Tuberkelmasse auch gleichförmig (nicht knotig) in das Lungengewebe eingestopft, so daß alle Luft aus diesem verdrängt ist. Wohl stets geschieht die Ablagerung dieser Masse bei vermehrtem Blutzuflusse zu dem ergriffenen Lungenstücke, weshalb dabei nicht selten auch kleine, mit Blut überfüllte Gefäßchen zerreißen und so Blutspucken (Bluthusten) veranlaßt wird. – Hat die Tuberkelmasse einige Zeit bestanden, so erleidet sie eine Veränderung nach doppelter Richtung hin; nämlich sie trocknet entweder ein und wird ganz hart, oder sie erweicht sich und zerfließt allmälig zu einer dicken rahmähnlichen Flüssigkeit (Tuberkeleiter), welche durch Zutritt von Luft in Fäulniß versetzt und dadurch (zur Tuberkeljauche geworden) sehr ätzend werden kann. Im ersteren Falle bleiben die eingetrockneten harten Tuberkelknötchen, die man bei sehr vielen, scheinbar ganz gesunden Personen in den Lungenpitzen antrifft, zeitlebens und ohne Beschwerden zu veranlassen, zurück. Im letztern Falle wird durch die zerflossene Tuberkelmasse das umliegende Lungengewebe für immer zerstört (zerweicht, zerfressen) und es bildet sich eine oder eine Anzahl von Höhlen (Vomicae), deren Inhalt (die zerflossene Tuberkelmasse und das zerstörte Lungengewebe) entweder durch Husten ausgeworfen wird oder allmälig zu einer kalkigen Masse eintrocknet. Dieser Zerstörungsprozeß, dem man den Namen der tuberculösen Lungenschwindsucht gegeben hat, greift nun aber nicht etwa unaufhaltsam um sich, ruinirt so nach und nach die ganze Lunge und führt unrettbar zum Tode, sondern es wird ihm stets von der Natur (niemals vom Arzte) eine harte, unzerstörbare Grenze gesetzt, welche das kranke Lungenstück von dem gesunden scheidet. Mit dieser Schwindsucht und dem noch gesunden größern oder kleineren Lungenreste läßt es sich nun bei vernünftiger Lebensweise recht gut und auch lange leben, selbst wenn dabei durch Husten noch längere Zeit zerstörtes Lungengewebe und zerflossene Tuberkelmasse ausgeworfen wird. Man ängstige und kurire sich also wegen hartnäckingen Hustens, Auswurfs, zeitweiligen Blutspuckens und überhaupt über das Wort Lungenschwindsucht nicht so unnützer Weise zu Schande, wie dies jetzt gar oft geschieht. Nicht der Zustand, welcher in schwindsüchtigen Lungen schon vorhanden ist, braucht gefürchtet zu werden, sondern der, welcher später hinzutreten kann, nämlich eine neue Ablagerung von Tuberkelmasse. Sie muß verhindert oder weit hinausgeschoben werden, weil durch diese das Leben in Gefahr geräth.

Wie die Tuberkelmasse in die Lungen abgesetzt wird, davon hängt nun der Verlauf und die Gefahr bei der Lungentuberculose ab. In seltenen Fällen werden beide Lungen von oben bis unten wie mit einem Schlage von unzähligen, sehr kleinen Tuberkelkörnchen durchsäet (d. i. die acute Lungentuberculose) und dabei wird der Tod in wenigen Tagen herbeigeführt. Diese Krankheit gleicht dem Nervenfieber so sehr, daß sie in der Regel für ein solches gehalten wird. – – In anderen, schon etwas häufigeren, glücklicher Weise aber doch nicht sehr häufigen Fällen geschieht die Ablagerung der Tuberkelmasse in kleinen Unterbrechungen oder ununterbrochen, aber nur allmälig um sich greifend, fort und fort, so daß in einigen Monaten oder wenigen Jahren vom deutlichen Beginne der Krankheit an, der größte Theil der Lungen erkrankt und zerstört ist. Diese Lungenschwindsucht pflegt der Laie die gallopirende zu nennen. Sie beginnt als schlichter Lungenkatarrh und führt gewöhnlich unaufhaltsam unter fortwährend wachsendem Bleicher- und Magerwerden des Kranken bei Husten, Blutspucken, Auswurf, Fieber (welches bisweilen dem kalten Fieber ähnelt) zum Tode. – In den allermeisten Fällen nimmt nun aber die Lungenschwindsucht (d. i. die chronische) einen weit günstigeren Verlauf und läßt dem Patienten, wie oben schon gesagt wurde, ein ziemlich hohes Alter erreichen, wenn er nämlich seine Lebensweise danach einrichtet. Hier sind die Anfälle von Ablagerung des Krankheitsproduktes durch lange Zwischenräume, deren Dauer viele Jahre und selbst Jahrzehende betragen kann, von einander getrennt. Während dieser freien Zwischenräume kann sich der Kranke, trotzdem daß in seinen Lungen die Schwindsucht haust, doch scheinbar ganz wohl befinden oder nur geringe Beschwerden haben, aber freilich auch durch Kurzathmigkeit, Husten und Auswurf belästigt werden. In manchen Fällen geht die Lungentuberculose, nachdem sie eine oder einige Ablagerungen gemacht hatte, vollständig ein und der Kranke kann als geheilt betrachtet werden, wenn auch das erkrankte Lungenstück verloren (verhärtet oder zerfressen) ist. Weit häufiger kommt es aber vor, daß sich während einer neuen Ablagerung, die jedoch erst im spätern Alter stattzufinden braucht, der Tod einfindet.

Von den Krankheitserscheinungen, welche die Lungenschwindsucht begleiten, können die zm Erkennen der Krankheit unentbehrlichen nur vom Arzte und zwar blos mit Hülfe der sogen. physikalischen Untersuchungsmethode (durch Besichtigung, Befühlen, Beklopfen und Behorchen der Brust) warhgenommen werden. Alle übrigen Symptome, wie Husten, Auswurf, Blutspucken, Kurzathmigkeit u. s. f. können ebensowohl fehlen, wie auch ganz andere Lungenaffectionen und sogar Herzleiden zukommen. Nur durch das Bleich- und Mager-, sowie Mattwerden eines kurzathmigen Hustenden kann der Verdacht auf Lungentuberculose (niemals aber das sichere Erkennen) derselben vermittelt werden. Jedoch ist Jedem, der die genannten Krankheitserscheinungen an sich bemerkt, auch wenn dieselben nicht von Lungenschwindsucht herrühren sollten, anzurathen, die folgenden diätetischen Regeln zu beobachten. Denn von einer Behandlung mit Arzneimitteln, welche etwa der im Gange befindlichen Ablagerung von Tuberkelmasse Einhalt thun oder eine neue Ablagerung sicher verhüten könnten, davon ist zur Zeit keine Rede, obschon in den medicinischen Böchern Hunderte von Mittel, die bei der Lungenschwindsucht gute Dienste thun sollen, aufgezählt werden. Beliebt sind bei den Aerzten: Leberthran, Selterwasser mit Milch, Molken, Emser und Obersalzbrunner Wasser, Egersalzquelle, Lippspringe und Soden, Seeluft und Italien, isländisches und Caraghenmoos. Der Laie bezahlt mit schwerem Gelde einige unnütze und ganz billige Kräuter (wie die Lieber’schen und den hamburger Trank), die Revalenta (Erbsen- und Linsenmehl) und einige andere Schwindeleien; oder er sucht Hülfe durch Hundefett, Heringsmilch u. dgl.

Das diätetische Verhalten bei Verdacht auf Lungentuberculose (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 33. S. 360) verlangt: ruhiges und tiefes Athmen einer stets reinen und warmen Luft, Vermeidung von Blutanhäufung in der Lunge, körperliche und geschlechtliche, geistige und gemüthliche Ruhe (Schlaf), nahrhafte (besonders thierische) Kost mit der gehörigen Menge von Wasser, Fett und Salz. – Was die einzuathmende Luft betrifft, so muß diese stets rein (frei von Staub, Rauch, Tabacksqualm, schädlichen Gasen) und warm sein (am liebsten von 12 – 16° R.), und dies ebensowohl bei Nacht wie bei Tage. Vorzüglich schädlich ist der schnelle Wechsel zwischen warmer und kalter Luft, sowie das Sprechen beim Gehen gegen scharfen Nord- und Ostwind und beim Bergsteigen. Die Wohnung, besonders das Schlafzimmer, sei trocken, sonnig und stets wohlgelüftet; auch scheint der Aufenthalt in freier, aber warmer und reiner, besonders Waldluft von großem Vortheile zu sein. Während der kälteren, rauheren und stürmischen Jahreszeit thut der Kranke am besten, ganz in der gleichförmigen Temperatur (von + 14 – 16° r.) des Zimmers (in welchem grüne Pflanzen aufgestellt sind), zu verbleiben oder beim Ausgehen sich stets des Respirators (s. Gartenl. Jahrg. III, Nr. 8) zu bedienen. Es ist ganz verkehrt, weil schädlich, wenn Brustkranke bei Milch- oder Molkenkuren, sowie in Bädern, ganz in der Frühe die kalte Morgenluft einathmen, anstatt so lange im Bette zu bleiben, bis die Luft gehörig erwärmt ist. Wer es kann, der siedele, aber so zeitig und so lange als möglich, in ein mildes südliches Klima über, wo bei Tag und Nacht die Luft gleichmäßig warm ist, wie nach Malaga, Malta, Algier, Kairo, Madeira u. s. w.; nur darf er dort kein Heimweh bekommen, wenn er gesunden will. – Auf die Art des Athmens ist ebenfalls einiger Werth zu legen. Man athme nämlich täglich öfters tief ein und aus: jedoch geschehe dies nicht zu gewaltsam, weil es sonst zur Zerreißung einzelner kleiner Blutgefäßchen und zum Blutspucken kommen könnte. Auch ist das Beengen der Lunge durch Zusammenpressen des Brustkastens (durch Kleidungsstücke, anhaltendes Sitzen mit gebeugtem Oberkörper) zu vermeiden, wohl aber nach Ausdehnung des [197] Brustkastens und der Lunge zu streben und hierzu dienen passende Turnübungen (mit den Armen), lautes Vorlesen, Declamiren und Singen oder Blasen eines Instrumentes; auch läßt sich dies dadurch bewerkstelligen, daß man nach tiefem Einathmen langsam durch ein feines Röhrchen ausathmet. Alle diese Ausdehnungsversuche müssen aber mit großer Vorsicht und Einschränkung geschehen. – Der widernatürlichen Anhäufung von Blut in den Lungengefäßen läßt sich dadurch entgehen, daß man Alles sorgfältig vermeidet, was Herzklopfen und sehr beschleunigtes Athmen macht, daß man sich vor erhitzenden Anstrengungen und katarrherzeugenden Erkältungen (besonders der Füße und des Rückens) durch Flanell und Wolle schützt, und daß man stärkere Erschütterungen des Brustkastens zu verhüten sucht. – In Betreff der Ruhe ist zu erwähnen, daß jedes körperliche und geistige Thätigsein Brustkranker nur ganz mäßig geschehen muß und daß Excesse in dieser, sowie in gemüthlicher und geschlechtlicher Hinsicht großen Nachtheil bringen. – Thierische Nahrung, aber mit ziemlichem Fett- und Salzgehalte, scheint am meisten zuzusagen; obenan steht natürlich die Milch. Von Getränken entsage man sich aller, welche Herzklopfen und Hitze erzeugen. – Fängt ein Brustkranker wieder an, fleischiger zu werden und wohler auszusehen, dann kann er zwar an allmäliges Abhärten seines Körpers (durch kalte Bäder, Turnen, leichtere Kleidung) denken, darf dies aber doch immer nur mäßig treiben. Uebrigens thut es allen Brustkranken gut, während des Sommers einige Zeit in eine gemüthliche, gegen Nord- und Ostwinde geschützte Gegend zu ziehen und neben Ruhe noch Milch (oder Molken) und Luft zu genießen. In ein Bad, wo man nur abgemagerte, hohläugige Brustkranke sieht, und außerdem doch blos ein schwaches Salzwasser trinkt (wie in Ems und Salzbrunnen) würde Verf. niemals einen Schwindsuchtscandidaten schicken.

(Bock.) 




Eine Stunde im Sitzungs-Lokale der Parlaments-Krim-Untersuchungs-Commission
zu London.

Deutschland hat seine historischen Erinnerungen an fünfzig- und hundertfache Staats- und Hochverraths-Riesen-Prozesse, wo es sich um Leben und Tod allgemein bekannter, hervorragender Persönlichkeiten handelte; die ältesten Leute in England können sich solcher Erinnerungen nicht rühmen. Die Zeiten, als die Bastille des englischen Absolutismus, der Tower, Minister und Prinzen und Prinzessinnen, Könige und Königinnen verschwinden ließ, die Schrecken des Staatsgerichtshofes, der Stern-Kammer, gehören der verwesten Vergangenheit an. Wie mußte es daher das gegenwärtige Geschlecht aufregen und anziehen, eine öffentliche Untersuchung der Krim- und Kriegsverwaltungs-Helden im Unterhause glänzend siegen und verwirklicht zu sehen und nun aus dem Munde von Generalen, Herzögen, Lords und höchsten Offizieren, von Autoritäten und Augenzeugen das ganze entsetzliche Drama, welches 50,000 Soldaten und 50 Millionen Pfund Sterling, alle englischen, stolzen Hoffnungen, allen nationalen, althistorischen Heiligenschein in Schmutz und Tod hinabtrat, Punkt für Punkt, Schuld für Schuld enthüllt zu sehen und zu hören! –

Die Untersuchung gewann noch an besonderer Wichtigkeit, da es sich um eine Entscheidung zwischen dem Ministerium Aberdeen und der Presse handelte. Ersteres behauptete aus offizieller Untrüglichkeit, letztere habe übertrieben, ja gelogen. Es sei Alles in Ordnung. Gleich von vorn herein ergab sich nun, daß die Presse bereits Alles haarklein und genau erfahren und veröffentlicht habe, was die Autoritäten und Augenzeugen nun vor dem Parlamente wiederholen und bekräftigen. Die bis jetzt (den 25. März) gestellten und beantworteten 9000 Fragen enthalten daher im Wesentlichen nichts Neues, nur daß hier und da eine Anekdote, ein im Winkel versteckt gewesenes kleines Ungethüm von Thatsache das Entsetzliche noch furchtbarer, den Blödsinn zu Wahnsinn, das Lächerliche noch lächerlicher, das Unglaubliche noch wahrer und wirklicher macht. Hospitäler, vollgepropft mit entstellten, zerrissenen, sterbenden, todten, vor Schmerz, vor Hunger, vor Ungeziefer, vor Gestank aufschreiender Soldaten – eine mitleidige Seele, die 200 Pfund bietet, um ein solches Hospital reinigen zu lassen, nachdem man sich damit entschuldigt, daß kein Geld zum Reinigen da sei. Der betreffende Offizier verweigert die Annahme des Geldes, weil er fürchtet, man könne es von ihm zurückverlangen. Die Soldaten laufen tausendweise barfuß und mit erfrornen und verwundeten Füßen durch Schnee und Eis, und sterben hundertweise. Lord Raglan sieht das eine Zeit lang mit an. Endlich schickt er einen Bevollmächtigten nach Constantinopel, Schuhe zu kaufen. Der Bevollmächtigte ist so glücklich, grade ein nach Konstantinopel abgehendes Schiff zu treffen. Er theilt dem Kapitain des Schiffes unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, daß er alle Schuhe in Constantinopel für die Armee aufkaufen solle. Der Kapitain schlägt die Hände über dem Kopfe zusammen und sagt, daß er drei Wochen lang im Hafen von Balaklava versucht habe, sein mit Schuhen für die Armee ganz beladenes Schiff an den Mann zu bringen, und seine Ladung los zu werden. Von allen Seiten habe man die Annahme verweigert, da er keinen gehörig formulirten Frachtbrief vorzuzeigen im Stande gewesen. Jetzt gehe er eben zurück nach Constantinopel. Nach dieser Entdeckung läßt denn der Schuh-Gesandte den Schnabel des Schiffes wieder gen Balaklava richten. Nun werden die Schuhe sofort angenommen, da sie der Schuh-Bevollmächtigte bringt. Doch schlimmer ging’s einem Kartoffel-Gesandten. Er brachte, wie ihm befohlen war, ein Schiff voll Kartoffeln nach dem Hafen. Wochen lang versuchte er und Andere, den Mächtigen auszukundschaften, der allein berechtigt war, die Kartoffeln in Empfang zu nehmen. Vergebens. Da ergrimmt endlich der Kapitain und ruft sich Griechen, Tartaren, Armenier, Juden und Schacherer, Familien und Privatpersonen heran mit der Bitte, sie möchten so viel Kartoffeln nehmen, als sie nur immer fortbringen könnten. So bekommt er sein Schiff bald leer, und die englischen Soldaten, die nach Balaklava kommen, um sich aus ihrer Tasche Proviant zu kaufen, triumphiren nun mit vollen Kartoffelsäcken in’s Lager zurück. Zuletzt wurden sie, das Stück zu 1 Schilling – 10 Sgr. – eine Kartoffel – an die reichsten englischen Offiziere verkauft.

Mitten im massenhaften Hinsterben der Soldaten an Unverdaulichkeit und Durchfall kam eine medicinische Autorität auf den Gedanken, die Soldaten müßten Vegetabilien, Gemüse haben. Nach vielen Wochen ist ein Schiff mit Mohrrüben, Kohl, Rüben u. s. w. im Hafen und wird ausgeladen. Aber auch jetzt kann der Mann, welcher sie zu verkaufen, zu vertheilen hat, trotz unendlichen Suchens nicht ermittelt werden. Der Gemüsehaufen wird breit, in Schnee und Schmutz getreten und fängt an zu faulen und den Schmutz noch unerträglicher zu machen. Die Garde-Division unterm Herzog von Cambridge fällt vor Hunger vom Pferde, die Pferde fallen aus demselben Grunde, nachdem sie versucht haben, sich gegenseitig die Schwänze abzufressen. – Die Ordre des Herzogs von Cambridge um Futter und Lebensmittel hat deshalb große Eile und ist ohnehin im höchsten Grimme geschrieben. Im höchsten Grimme hat der Herzog seinen Namen auf eine Stelle der Ordre gesetzt, wo sie nach der „Routine“ nicht hingehört. Er bekommt also sein Schreiben mit der höflichen Bitte zurück, den Namen gefälligst ein Paar Zoll tiefer zu setzen. Ordnung muß sein, obgleich sie in diesem Falle direkt das Leben von ein Paar Dutzend Pferden kostete. Also kein Wunder, daß die englische Cavallerie, so weit davon noch die Rede sein konnte, besonders daran zu erkennen war, daß Niemand auf einem Pferde saß.

Letztere Geschichte hörte ich am 13. März aus dem Munde des Herzogs von Cambridge selbst. An diesem Tage war ich zum ersten Male in dem Untersuchungslokale. Als ich in den Irrgängen des neuen Parlamentsgebäudes endlich auf den rechten Weg und vor die rechte Thür, einem Seiten-Saale der Sitzungs-Halle des Unterhauses gekommen war, fiel mir zuerst das dünne Kommen und Gehen von Neugierigen auf. Ich hatte mich auf stundenlanges Warten und rippenzerbrechendes Gedränge gefaßt gemacht. Man weiß ja schon Alles, dacht’ ich. Man liest es bequemer in den Zeitungen. Jeder hat sein Geschäft von 12 bis 4 Uhr, grade während der drängendsten Arbeitszeit, während welcher die Commission [198] Fragen thut und Antworten zu einem Aktenstücke sammelt, dessen Umfang das beste Mittel sein wird, es gegen Leser zu schützen. Und am Ende glaubt auch der höhere Engländer nicht an den Ernst, an den Erfolg dieser Posse. Posse? Ja, so erschien sie mir. Sind die Herren Richter? Haben sie Gewalt über Schuld und Unschuld, Leben und Tod? Nein, die schwärzesten Schuldigen, bis jetzt besonders Kapitain Christie[WS 1] und Admiral Boxer (der in Constantinopel vierzehn Tage lang ein mit Proviant für die Verhungernden beladenes Schiff erst anstreichen und trocknen ließ) begnügen sich mit der Strafe der „öffentlichen Meinung“. Als Posse, als Humbug erschien mir die Untersuchung, weil sich’s die Herren gar zu bequem machten und fragend und antwortend über die Schuld an 50,000 Todten und 50 Millionen Pfund Sterling gelegentlich kaueten und schluckten. Neben dem Haupthelden der Inquirenten – Mr. Layard – saß ein Mitglied der Commission, welches einen halben Sandwich (belegtes Butterbrot) im Munde, eine Frage that, dann einen derben Schluck Sherry nahm und wieder fragte. Der Herzog von Cambridge wartete wenigstens, bis er seine Aussage beendet hatte. Erst dann rief er nach einem Kellner, bestellte sich Sandwichs und Sherry, fragte ziemlich laut „How much?“ (wie viel?), bezahlte, stellte seine gekreuzten Beine auf das Tischgestell unten, aß und trank und hörte den weitern Fragen und Antworten zu.

Seine Aussagen hatten übrigens, im Vergleich zu andern, nichts besonders Interessantes. Um so imponirender ist seine Persönlichkeit. Ein riesiger Mann, bärtig, stolz, breitbrustig, kahlköpfig, so saß er dem kleinen, kränklichen, dünnstimmigen Präsidenten der Commision – Mr. Roebuck – gegenüber. Das volle, energische Gesicht neben Roebuck gehört dem berühmten Layard, dem Niniveh-Ausgraber, jetzt Mitgliede des Ministeriums, dem Premier einer bessern oder schlimmern Zeit – denn er ist der einzige Mann, von dem man sicher eine energische, hohe Zukunft erwartet. – Die Namen der andern Mitglieder habe ich zum Theil vergessen, zum Theil wurden sie doch nur genannt, um sofort wieder vergessen zu werden. Photographie, Stenographie, Malerei, Typographie – alle diese Künste der Oeffentlichkeit umgaben den Halbmond des grünen Tisches in großer Fülle und ohne die geringste Beschränkung. Die hieroglyphischen Blätter der Stenographen wanderten unaufhörlich über die Schultern der eifrig das lebendige Wort Auffangenden hinaus in Vorzimmer, wo eine Menge Uebersetzer aus dem Stenographischen in Currentschrift den Boten in die Hände arbeiteten, welche unten in Droschken nach den Druckereilokalen der Zeitungen eilten. Weiter hinten in der Ecke wartete ein Photograph auf malerische, stille Momente und zog dann seine Klappe auf, so daß die dunkele Oeffnung des photographischen Apparates wie eine Kanonenmündung herab drohte, sich aber nach ein paar Secunden immer wieder schloß. Hier machte sich ein Zuhörer Bemerkungen mit dem Bleistifte, dort versuchte ein Maler die Züge des bärtigen Riesen im Hintergrunde (ich glaube des von Birmingham gewählten Parlaments-Mitgliedes Muntz) zu stehlen und Geld daraus zu schlagen.

Ein schäbig-gentiles Subject schälte sich eine Apfelsine, biß hinein und verfolgte die Verhandlung mit großen Augen, bald Zeichen des Beifalls, bald grunzende Töne der Unzufriedenheit durch die gekauete Apfelsine von sich stoßend. Crethi und Plethi lahtschte aus und ein, darunter manch’ düsteres, sorgenverzerrtes Gesicht „ohne Geburt und Connexionen,“ feine Damen und breitschulterige Weiber von der Straße – fast alle im tiefsten Schwarz und mit gespannten Zügen horchend, ob diese oder jene Aussage einen Schluß auf den hingeopferten Sohn, Bruder, Bräutigam oder Ehemann zulasse, auch nicht wenige nichtssagende Gesichter, die blos aus Langeweile gekommen zu sein schienen, „um sich zu amüsiren,“ da sie immer am Lautesten hear! hear! (hört! hört!) riefen und lachten, wenn eine pikante Bemerkung fiel oder ein unglaublicher Unsinn speciell erörtert ward.

Die Zeugen traten alle in die Mitte des Tisch-Halbmondes, um welche die zehn Mitglieder der Commission sitzen, wenn sie alle da sind, was selten der Fall zu sein schien. Die Hinterwand des Saales, dem Publikum gegenüber, enthält eichene Schränke, deren jedes Mitglied einen für seinen ausschließlichen Gebrauch benutzt. Die beiden Thüren öffnen sich nach Corridoren, die unmittelbar in den Sitzungssaal des Unterhauses führen, von wo denn auch fortwährend bekannte Persönlichkeiten, wie man im Publikum deutlich bemerkt, erscheinen, um bald nach kürzerer, bald nach längerer Zeit wieder zu verschwinden und Andern Platz zu machen.

Ich sagte, die Zeugen treten in die Mitte des Tisch-Halbmondes, obwohl der Herzog von Cambridge ganz bequem mitten unter den Mitgliedern der Commission selbst sitzt. Mit ihm machte man dieselbe Ausnahme, wie mit einigen andern Personen höchsten Ranges. In der That nahm er sich ohne Weiteres die Freiheit, sich mitten unter die Herren zu setzen und sie mehr zu belehren, als sich fragen zu lassen. Er sah auch gar nicht darnach aus, sich vom berüchtigten General „Routine,“ der an allem Unheil Schuld ist, etwas vorschreiben zu lassen. Wie leicht hätte er seinen dicken Rohrstock mit dem goldenen Haken nehmen können, um seinen Kopf durchzusetzen? Warum war er überhaupt hier und nicht Chef-Commandeur der Garde-Division geblieben? Die Leute munkeln schreckliche Geschichten, die man durch eine andere Munkelei, nämlich daß er Spuren von Geisteskrankheit (allerdings erblich öfter in seiner Familie hervorgetreten) zu vertuschen sucht. Er soll einem höhern Offizier, der sich gar zu bornirt nach dem General „Routine“ richtete, etwas versetzt und selbst Lord Raglan bedroht haben. So viel Wahrscheinliches dies auch in einem energischen Kopfe, gerade weil er nicht an der allgemeinen ausgebrochenen Geisteskrankheit des englischen Regierungsunwesens litt, haben mag, wollen wir es doch blos als ganz dunkele Munkelei beiläufig mit erwähnt haben.

Das Auftreten des Herzogs hatte eine allgemeine Spannung hervorgerufen. Man sah überall den Ausdruck der Enttäuschung, als er geendet. Was er sprach, klang sehr einfach, sah verständig, schonend und doch auch derb und ehrlich. Vieles war technisch und strategisch, wie es für die zuhörenden Laien kaum verständlich war. Nachdem er seine Mittheilungen geendet, erhoben sich alle Mitglieder der Commission, und Roebuck dankte ihm im Namen derselben und des Parlaments. Sie schienen ihn damit entlassen zu wollen.

„O, bitte, erlauben Sie mir, daß ich noch etwas bleibe,“ unterbrach er den Redner. „Ich gehe noch nicht, werde mir aber –“ und damit winkte er dem Kellner und ließ sich einen Teller von Sandwichs und ein Glas Sherry bringen, wie ein deutscher Baron vom Rittergute in einem öffentlichen Trinklokale.

Mit dem Typus eines höhern, deutschen Landedelmanns hat er auch viel Ähnlichkeit. Sein Bart wäre vor fünf bis sechs Jahren noch der Skandal des ganzen Landes, rein unmöglich gewesen. Jetzt giebt’s Parlamentsmitglieder, deren Gesicht man vor Bart nicht sehen kann, so daß sie aussehen, wie zurückgekehrte Krim-Soldaten. Der freie Bartwuchs ist in England von ganz neuem Datum und wurzelt in der großen Völkerausstellung, der Freundschaft mit den Franzosen, der Krim und dem Kriege und auch in einem neuen Volksgefühle, in einem Hasse gegen die Vergangenheit, die sich in England nirgends anders als sorgfältig rasirt und mit starrendem Backenbarte zeigen konnte. Der Backenbart, der war der Stolz, die National-Kokarde Englands. Später sprach ein Blatt das berühmte Wort aus: „Englishman, the whiskered slave of money-making“ („Engländer, backenbärtiger Sclave der Geldmacherei“). Seit dieser Zeit fingen Haare an, auf den Zähnen zu wachsen. Es folgte eine seit Jahren komisch behandelte Agitation für den Bart, den Schnauz- und Kinnbart. Sie sproßt jetzt überall. Sie kehrt in Wäldern von der Krim zurück. Und so mag vielleicht dieses äußere Zeichen rückkehrenden Männlichkeitsgefühls auch einen innern Boden haben. Und je mehr sich die Krim-Untersuchung als Posse entwickeln sollte, desto ernster dürfte die Befürchtung werden, daß ernste, düstere, bartumwaldete Männer eine Tragödie sehen wollen, die erschüttert, erhebt und reinigt. Doch soll dies keine Prophezeiung sein, sondern blos Schluß meiner Stunde in der Krim-Untersuchungs-Commission.
B. 
[199]
Ist die Sterblichkeit des Menschengeschlechts
gegenwärtig ungleich geringer als in früherer Zeit?

Diese in der That wichtige Frage ist sehr oft aufgeworfen und wohl meistens bejahend beantwortet worden. Wir wollen einige Betrachtungen darüber anstellen, ob und mit welcher Zuverlässigkeit eine Antwort darauf möglich ist.

Von der theoretischen Seite ist eine Veränderung der Sterblichkeit außer allem Zweifel. Eine große Zahl von Ursachen muß darauf hinwirken, wie z. B. epidemische Krankheit, die oft unerwartet erscheinen und ebenso wieder den Schauplatz verlassen, das Herrschendwerden gewisser wirklicher oder vermeintlicher Nahrungsmittel, der Kulturzustand im weitesten Sinne genommen und andere mehr. Wenn wir aber in der Natur von Veränderungen sprechen, müssen wir zwei ganz verschiedene Arten derselben wohl auseinander halten, nämlich ununterbrochen nach einer Seite hin andauernde und periodische d. h. solche, die bald nach der einen, bald nach der entgegengesetzten Seite hin wirken und sich daher nicht summiren, sondern im Laufe der Zeit wieder aufheben.

Die schlagendsten Beispiele für beide Arten der Veränderungen bietet die Astronomie dar. Die ganze Anlage unseres Planetensystems hat die Natur so getroffen, daß, wenn nicht durch ganz fremdartige Einflüsse eine Zerstörung desselben herbeigeführt wird, es in sich selbst nicht den Keim der Auflösung, vielmehr den der ewigen Dauer trägt; und zwar ist das Mittel dazu ein höchst einfaches. Daß die anziehenden Kräfte sich umgekehrt wie die Quadrate der Entfernung verhalten, bewirkt diese Stabilität, d. h. wenn ein Körper doppelt so weit von der Sonne entfernt ist als ein anderer, so zieht ihn die Sonne 2x2 oder 4mal schwächer an, ist er 3 mal weiter entfernt, 3x3 oder 9 mal schwächer, ist er 4 mal weiter entfernt, 4x4 oder 16 mal schwächer u. s. w. (Wenn eine Zahl mit sich selbst multiplicirt wird, so nennt man das Produkt ihr Quadrat.) Jedes andere Gesetz der anziehenden Kräfte würde ohne Ausnahme den Keim der Selbstzerstörung in das System hineintragen. Gleichwohl sehen wir ununterbrochene Aenderungen aller Elemente des Systems und auch da vor sich gehen, wo ein Vorwärtsschreiten nach derselben Seite hin unausbleiblich, wenn auch meist erst nach langer Frist den Untergang der bestehenden Ordnung herbeiführen müßte. In allen solchen Fällen läßt sich aber beweisen, daß die Aenderung eine periodische ist. So ist z. B. die Neigung der Ebene des Erdäquators gegen die Ebene der Erdbahn, wovon der Wechsel der Jahreszeiten abhängt, im Abnehmen begriffen und geschähe das ununterbrochen nach derselben Seite, so würde es eine Zerstörung der gegenwärtigen Ordnung im organischen Leben auf der Erde nach sich ziehen. Es läßt sich aber zeigen, daß diese Aenderung eine in sehr engen Grenzen eingeschlossene periodische Aenderung ist, wobei noch außerdem die Dauer der Periode viele Jahrtausende umfaßt. Die Lage der Durchschnittslinie der obengenannten Ebenen zeigt sich ebenfalls veränderlich, aber ihre Aenderung zieht keine Zerstörung irgend eines Theils des Sonnensystems nach sich; in der That ist die Lagenänderung dieser Durchschnittslinie auch keine periodische, sondern eine in demselben Sinne ununterbrochen fortschreitende. Die Planeten bewegen sich in Bahnen, welche sehr wenig vom Kreise abweichen. Die Größe dieser Abweichung ist aber kleinen Aenderungen unterworfen, welche bei Andauer nach derselben Seite hin die Planetenbahn endlich in eine langegestreckte Cometenbahn verwandeln und zuletzt ein nicht wieder Zurückkehren des Planeten zur Sonne zur Folge haben würden. Allein diese Aenderung ist ebenfalls eine in sehr engen Grenzen eingeschlossene periodische, und die Dauer der Periode umfaßt eine undenklich lange Zeit.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Sterblichkeit des Menschengeschlechts ebenfalls periodischen, und ganz gewiß in sehr engen Grenzen eingeschlossenen Aenderungen unterworfen ist, wodurch eine ununterbrochene Dauer desselben möglich gemacht würde. Es ist aber aus anderen Gründen sehr wahrscheinlich, daß der ewigen Dauer des Menschengeschlechtes eben so gut wie den anderen Thiergeschlechtern durch uns unbekannte Ursachen einst eine Grenze gesetzt werden wird.

Sonach wäre die Möglichkeit einer vielleicht schon Jahrhunderte hindurch andauernden Abnahme der Sterblichkeit durchaus nicht ausgeschlossen; es bleibt blos noch übrig, diese unserm gegenwärtigen Kulturzustande schmeichelnde Hypothese durch statistische Beobachtungen zu beweisen. Das läßt sich aber leider nicht machen.

Man hat es allerdings zu beweisen versucht, und es ist diese Meinung selbst von den ersten Statistikern aber immerhin mit Vorsicht ausgesprochen worden. So sagt z. B. Quetelet in seinem bekannten Werke „sur l’homme“: „Es scheint als eine ausgemachte Thatsache betrachtet werden zu können, daß in denjenigen Ländern, wo die Civilisation die bedeutendsten Fortschritte macht, zugleich die größte Abnahme der Sterblichkeit beobachtet wird. Indessen darf man diese Vortheile nicht übertreiben, wie man es in Betreff einzelner Länder gethan hat; je mehr die statistischen Urkunden an Genauigkeit gewinnen, um so mehr entdecken wir in dieser Beziehung mit jedem Tage neue Vorurtheile.“

Man hat den in Rede stehenden Satz einmal dadurch zu beweisen versucht, daß man das Verhältniß der Todten zu der ganzen Bevölkerung bestimmte, d. h. auf wie viel Personen von der Bevölkerung eines Landes ein Todter kommt; ferner dadurch, daß man die mittlere Lebensdauer ermittelte, und dann diese Zahlen aus früheren Jahren mit denen der Gegenwart verglich. Hierdurch zeigte sich allerdings eine ganz gewaltige Abnahme der Sterblichkeit. Aber schon diese gewaltige Abnahme wird denen verdächtig vorkommen, welche mit solchen Sachen vertraut sind.

Nun wollen wir uns aber fragen, wie weit solche Zahlenangaben aus früherer Zeit, und man ist bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hinaufgegangen, Glauben verdienen. Diese Glaubwürdigkeit sinkt zu einem Minimum herab, wenn wir sehen, wie sehr heutigen Tages noch in einigen Ländern Volkszählungen und Angaben der Gestorbenen mangelhaft sind. Hierzu kommt noch, daß in früherer Zeit Volkszählungen aus ganz anderen Gründen vorgenommen wurden, als heut zu Tage, und daß die Aufzeichnung der Todten Personen oblag und zum größten Theile noch obliegt, nämlich der Geistlichkeit, welche sich in von religiösem Fanatismus bewegten Zeiten vielfache Ungenauigkeiten bei solchen Aufzeichnungen zu Schulden kommen lassen, indem sie anders Denkende gar nicht als Menschen betrachten. Bei Volkszählungen schrieb man meist nur die Steuerpflichtigen auf und überschlug die Anzahl der Uebrigen in Bausch und Bogen, und hierbei fanden noch gar Viele Gelegenheit, sich der Registration zu entziehen. Ganze Klassen der Bevölkerung beachtete man gar nicht. Ein Interesse an der Sache selbst wie heut zu Tage kannte man im vorigen Jahrhundert wenigstens von Seiten der Regierungen noch nicht. Es ist leicht einzusehen, daß man unter solchen Umständen das Verhältniß der Todten zur ganzen Bevölkerung sehr ungenau und meist so erhalten muß, daß die Sterblichkeit viel größer erscheint, als sie wirklich war.

Solche Ungenauigkeiten kommen gegenwärtig noch vor; so berechnet z. B. Joseph Hain in seiner Statistik des österreichischen Kaiserstaates (1852 erschienen) aus Beobachtungen von 1820 bis 1847 für die verschiedenen Theile der Monarchie so verschiedene Sterblichkeitsverhältnisse, daß man nothwendig die Ursache in der Mangelhaftigkeit der Beobachtungen suchen muß, was auch der genannte Statistiker selbst bemerkt hat. Diese Verhältnisse schwanken innerhalb der Grenzen von 1 : 26 und 1 : 45; d. h. es stirbt 1 von 26 bis 45 Personen.

Der Beweis also des Satzes, daß die Sterblichkeit gegenwärtig kleiner ist als früher, durch das Verhältniß der Todten zur ganzen Bevölkerung geführt, beruht auf in hohem Grade fehlerhaften Zahlen, d. h., es kann nichts bewiesen werden.

Nicht minder unzuverlässig ist der andere Beweis aus der mittleren Lebensdauer, welche allerdings ebenfalls scheinbar früher viel kleiner gewesen ist, als heut zu Tage. Um die mittlere Lebensdauer zu bestimmen, muß man aber viel mehr statistische Unterlagen haben, als zur Bestimmung des eben erwähnten Sterblichkeitsverhältnisses, und deshalb sind die hierauf gestützten Beweise allermeist aus Beobachtungen in diesem Jahrhunderte geführt worden. Man muß nämlich wissen, wie viel für jedes Altersjahr die Wahrscheinlichkeit beträgt, im Laufe des nächsten Jahres zu sterben. Diese Wahrscheinlichkeit ist so zu ermitteln, daß man von jedem [200] Altersjahr für eine große Menge von Personen beobachtet, wie viel im Laufe des nächsten Jahres davon sterben. Findet man z. B., daß von 1000 30jährigen Personen in einem Jahre 10 gestorben sind, so ist die Wahrscheinlichkeit eines 30jährigen im Laufe des nächsten Jahres zu sterben 10/1000 oder 1/100. Diese Brüche müssen für jedes Alter von der Geburt bis zum höchsten bestimmt werden, wenn man die mittlere Lebensdauer eines Menschen überhaupt berechnen will.

Man sieht aber leicht ein, daß dazu genaue nach dem Alter geordnete Bevölkerungs- und Todtenlisten nöthig sind, welche derselben Zeit angehören müssen.

Die ersteren, nämlich die Bevölkerungslisten, sind aber in früherer Zeit gar nicht vorhanden, während es Todtenlisten schon im vorigen Jahrhundert gab. Erst in der allerneuesten Zeit hat man angefangen, solche nach dem Alter geordnete Bevölkerungslisten entwerfen zu lassen und zwar am Vorzüglichsten in Belgien, wie denn überhaupt in diesem Lande fast nur allein brauchbares Material für die Lebensstatistik zu finden ist. England und unser kleines Sachsen sind nächstdem zu nennen. In allen andern Ländern ist nichts dafür geschehen, oder wenigstens nichts veröffentlicht worden; was im Staub der Archive unter Schloß und Riegel liegt, nützt keinem Menschen etwas.

Nun brauchte man aber zur Lösung vieler volkswirthschaftlicher Fragen, namentlich der, welche bei Renten- und Lebensversicherungsanstalten vorkommen, für jedes Alter die Wahrscheinlichkeiten im Laufe des nächsten Jahres zu sterben, und da es am nöthigen Material dazu fehlte, leitete man sie einseitig nur aus den nach dem Alter geordneten Todtenlisten ab. Hierdurch erhielt man aber ganz falsche und allermeist viel zu große Zahlen, weil man die mangelnden Bevölkerungslisten durch eine unrichtige Hypothese, nämlich der einer stationären Bevölkerung, ersetzen mußte. So kam es denn auch, daß die aus solchen Zahlen bestimmte mittlere Lebensdauer viel zu klein gefunden wurde. Als man nun in der neuesten Zeit, nachdem man Bevölkerungslisten erhalten hatte, dasselbe auf richtigem Wege bestimmte, fand man auch die mittlere Lebensdauer viel größer. Daraus kann aber keineswegs geschlossen werden, daß die Sterblichkeit abgenommen hat, denn es sind wiederum falsche Zahlen dazu benutzt worden. Diese Frage, ob gegenwärtig die Sterblichkeit im Abnehmen begriffen ist, werden einst unsere Nachkommen beantworten. Man wird dann wahrscheinlich auch sehen, daß nach Eintritt eines Minimums wiederum ein Zunehmen stattfinden wird und sofort periodisch, bis endlich andere Ursachen dem Menschengeschlechte ein Ende machen werden.




Militairische Kleinigkeiten.

Nr. 2. Die kriegführenden Mächte.
(Mit Abbildung.)

Rußland umfaßt 343,240 Q.-Meilen: nehmen wir Großbritannien, Frankreich und die Türkei zusammen, mit Einschluß aller Kolonien, so erreicht ihr Gebiet immer erst einen Inhalt von 314,662 Q.-Meilen, was ungefähr 11/12 des Flächenraumes vom russischen Reiche entspricht. – Dasselbe bildet einen ungeheuren Komplex, eine vollständig arrondirte Masse, von welcher die großbritannischen Inseln allein nur den sechzigsten Theil ausmachen. Die Hauptmasse Rußlands jedoch sind seine asiatischen Besitzungen, über 2/3 des Ganzen, über 60,000 Q.-Meilen größer als Europa. – Sind England, Frankreich und die Türkei mit ihren außereuropäischen Besitzungen durch Oceane und Meere verbunden, so ist Rußland in seinen Theilen mehr durch die ungeheuren Flächen, durch den Gebirgszug des Ural, wie durch die klimatischen Verhältnisse getrennt, – und während der europäische Kontinent bis zur Prasna von zahlreichen Verkehrslinien durchkreuzt ist, welche die innere Entwickelung desselben gewaltig fördern, so ist Rußland – ein Glied asiatischen Lebens und Verkehrs – blos durch vier große Handelsstraßen durchschnitten, welche man mit Recht wohl Karavanenstraßen nennen könnte. Wenngleich ein vollständig entwickeltes Kanalsystem dem Verkehr die größte Unterstützung bietet, so ist doch Rußlands Verkehr im Vergleich zu dem seiner Gegner nur 2/25 des Ganzen. Denn wenn Großbritanniens Verkehr die Summe von 100 Mill. Pfund Ster. an Einfuhr und von 180 Mill. Pfund Sterl. an Ausfuhr repräsentirt, Frankreichs Einfuhr 44 Mill. Pfund Sterl. und Ausfuhr 547/10 Mill. Pfund Sterl., der Türkei Einfuhr 12 Mill. Pfund Sterl., Ausfuhr 105/10 Mill. Pfund Sterl., so ist Rußlands Einfuhr nur 166/10 Mill. Pfund Sterl., Ausfuhr 16 Mill. Pfund Sterl., so daß sich seine Handelsbewegungen nur als 2/17 der Großbritanniens ergiebt.

Im Zusammenhange mit der Verkehrsentwickelung steht natürlich die Bevölkerung. Wenn Rußland in Europa eine Durchschnittsbevölkerung von 800 Köpfen auf die Q.-Meile hat, so zählt Großbritannien in Europa 4792 Köpfe, Frankreich 3630, die Türkei 1270 Köpfe auf die Q.-Meile, und bleibt man bei der europäischen Bevölkerung stehen, so repräsentirt die Handelsbewegung Großbritanniens 10 Pfund Sterl., Frankreichs 25/10, der Türkei 19/10, Rußlands 5/10 Pfund Sterl. auf den Kopf. – Die europäische Gesammtbevölkerung von Rußland ist ungefähr 54 Millionen, die von Großbritannien 271/4 Millionen, von Frankreich 351/2, von der Türkei 121/2 Millionen. Vergleicht man die Bevölkerungsdichtheit und die Verkehrslebendigkeit, so könnte man annähernd die Leistungsfähigkeit auf die Q.-Meile bei Großbritannien 48, bei Frankreich 9, bei der Türkei 24/10, bei Rußland 4/10 nennen, – und abgesehen von allen andern Verhältnissen, betrüge sie hiernach für Großbritannien (477,792) 131/4, für Frankreich (87,732) 21/4, für die Türkei (41,294) 11/7, für Rußland (36,046) 1.

Dieser Faktor erleidet durch die Produktionsfähigkeit eines jeden Staates eine bedeutende Abänderung, ingleichen für den speziellen Fall durch die Lage des Landes zum Kriegsschauplatz, – ob nämlich die Leistungsfähigkeit in ihrem vollen Umfange sofort auf demselben in Anwendung kommen kann oder nicht.

Die Produktionsfähigkeit ist annähernd:

Edle Metalle: Eisen:
Großbritannien  80,000 Pfd. 3 Millionen Tonnen.
Frankreich 5000 Pfd. 600,000 Tonnen.
Türkei unbedeutend. unbedeutend.
Rußland 118.000 Pfd. 200,000 Tonnen.
Getreide-Einfuhr: Menschen (Wachsth. d. Bev.)
Großbritannien 3 Mill. Pfd. St. 34/7 % od. jährl. 300,000.
Frankreich 13/4 Mill. Pfd. St. 1/2 % od. jährl. 188,800.
Türkei Ausfuhr: 1/2 Mill.[1] unbedeutend.
Rußland Ausfuhr: 62/3 M. Pf. St. 1/4 % od. jährl. 135,000.

Es ergiebt sich aus Vorstehendem ungefähr folgendes Resultat: Rußland, welches eine bedeutende Masse edler Metalle erzeugt, aber in Bezug des Eisens und der ganzen Eisenindustrie an das Ausland gewiesen ist, hat wohl hinreichende Bevölkerungszunahme, um einen mehrjährigen Kampf führen zu können; da jedoch ein großer Theil seiner Produktion (Getreide etc.) auf den Export gewisen ist, kann es einen längeren Kampf nicht führen, ohne seine inneren Verhältnisse nicht gänzlich zu zerrütten.

Großbritannien und Frankreich, welche nahezu 5/6 der von Rußland erzeugten edlen Metalle selbst produziren, und eine Bevölkerungszunahme von jährlich über 450,000 Menschen nachweisen können, sind in dem großen Vortheil, daß ihre Verkehrsverhältnisse mit Ausnahme einer einzigen Richtung dieselben bleiben, daß sie vollständig unabhängig von jeder fremden Industrie sind, und von überseeischen Märkten das Getreide zu beziehen vermögen, das an ihrem Bedarf fehlt. Sie sind im Stande, einen jahrelangen Krieg zu führen, welcher nicht ohne Resultate sein wird, sobald Führung und innere Organisation die Fehler vermeiden lassen, welche bis jetzt geschehen.

Die Türkei leidet am meisten durch den Krieg, da sie weder edle Metalle noch Eisen in bemerkenswerther Quantität erzeugt.

[201]

Das Innere einer Parallele auf der französischen Linie.

[202] Ihr Getreidehandel, wie ihr Getreidebau liegen zum großen Theile darnieder, – und kraftlos, wie sie ist, wird sie vor Allem dem Kriege als Opfer fallen.

Vorläufig aber dauert der Kampf vor Sebastopol noch mit der alten Heftigkeit fort. Die Aliirten, so sehr man auch ihre Thätigkeit und Tapferkeit anerkennen muß, haben wenig Fortschritte gemacht und der oft avisirte Sturm läßt jetzt nach sechs Monaten noch auf sich warten. Indeß ist nicht zu leugnen, daß die Belagerung mit mehr Ernst betrieben wird, seitdem die Franzosen die bisher von den Engländern besetzten Positionen eingenommen haben. Ihre Laufgräben und Parallelen (Verbindung zwischen zwei Laufgräben) rücken rasch vorwärts, die Batterien werden schneller armirt, die Feldposten sind aufmerksamer und machen die russische Spionage fast unmöglich. Einzelne Affairen in letzter Zeit beweisen, daß man sich ernstlicher schlägt, als sonst.

Der Künstler giebt uns heute eine Abbildung der letzten französischen Parallele, welche am Weitesten an die Festung vorgerückt ist. Man sieht die Brustwehr ist von Schanzkörben gebildet, die mit Erde und Sandsäcken belegt sind. Hier und da sind kleine Löcher angebracht, damit die Scharfschützen auf den Feind zielen können, ohne von diesem bemerkt zu werden. An dem durch die Schanzen gedeckten Wege arbeiten eine kleine Anzahl Soldaten eifrig mit Spitzhacke und andern Werkzeugen an der Durchbrechung des Felsens zur Fortsetzung der Laufgräben. Für einen thätigen Soldaten ist das Leben hinter solcher Brustwehr ein langweiliges und ermüdendes, das wenig Annehmlichkeiten und eben so wenig Ruhm bietet.




Jagd- und Lebensbilder aus Amerika.[2]
Nr. 1. Biberjäger.

Die amerikanischen Biberjäger (Trappers) stehen den Indianern näher als den civilisirten Menschen. Sie bringen den größten Theil ihres Lebens in den verborgensten Winkeln der Berge und den fernsten Wildnissen zu. Ihre Sitten und Charakter sind eine Mischung von Einfachheit und Wildheit, die ihnen von der majestätischen Natur, in deren Mitte sie stets leben, eingeflößt zu sein scheint. Nahrung und Kleider sind dort ihre einzigen Bedürfnisse, und um sich diese unentbehrlichen Dinge zu verschaffen, übernehmen sie die größten Gefahren und Mühseligkeiten. Die Büchse in der Hand sind sie fortwährend auf der Wacht gegen das, was ihnen droht, oder mit der Erwerbung des nöthigen Proviants beschäftigt. Aufmerksame und scharfe Beobachter der Natur, wetteifern sie mit den Thieren der Wälder, und deren Gewohnheiten zu belauschen, und indem sie stets allen möglichen Gefahren ausgesetzt sind, fühlen sie selbst niemals, was Gefahr bedeutet, und mit derselben Gleichgültigkeit, mit der sie ihr eigenes Leben preisgeben, vernichten sie menschliches Leben so leicht wie das der Thiere. Menschliche Gesetze kennen sie nicht; ihr Wunsch ist ihr Gesetz, und um diesen Wunsch zu erfüllen, ist ihnen jedes Mittel recht. Treu als Freunde, unerbittlich als Feinde, gilt bei ihnen der Satz: „ein Wort und ein Schlag“, oft kommt aber der Schlag noch eher als das Wort. Ihre guten Eigenschaften sind denen vergleichbar, die man bei den Thieren findet; freilich, wer jedes Ding gern bei seinem schlechtesten Namen nennt, dem sind sie rachgierige, blutsüchtige Trunkenbolde, Spieler, Menschen, die die Begriffe von Mein und Dein nicht achten, kurz: „weiße Indianer.“ Doch giebt es viele Ausnahmen unter ihnen und es gehört gar nicht zu den Seltenheiten, daß der Reisende in den Felsengebirgen (Rocky mountains) unter den Biberjägern manchen ehrlichen und treuen Burschen trifft, der freudig seinen letzten Bissen mit ihm theilt.

Stark, gewandt, abgehärtet, muthig und waffengeübt wie sie sind, giebt es keinen Winkel, keine Wildniß im „fernen Westen“ von Nordamerika, der von diesen so furchtlosen wie furchtbaren Männern nicht untersucht und durchstreift werden wäre. Von den Quellen des majestätischen Mississippi bis zu den Mündungen des Colorado, von den eisigen Gegenden des Nordens bis zum Gila in Mexiko haben die Biberjäger ihre Fallen in jeden Strom, jeden Fluß, jeden Bach gelegt. Diese ungeheuern Länderstrecken würden ohne das rastlose Vordringen dieser Männer eine terra incognita für die Geographen sein, und obgleich ein großer Theil davon dies auch jetzt noch für sie ist, so giebt es doch, das darf man wohl behaupten, kaum einen Acker Landes, der von den Biberjägern auf ihren gefahrvollen Streifzügen nicht vor- oder rückwärts durchschritten worden wäre. Die Berge und Flüsse führen noch die Namen, welche ihnen diese mannhaften Jäger gegeben haben, und sie sind in Wahrheit die unermüdlichen Pioniere, die der täglich an Wohlstand wachsenden Colonie des Westens den ersten Weg gebahnt haben.

Die Biberjäger zerfallen in zwei Klassen: die gemietheten und die freien; erstere werden von der Pelzwerkcompagnie ausschließlich zum Zwecke der Jagd in Dienst genommen; letztere werden von der Compagnie mit Pferden, Mauleseln und Fallen versehen und erhalten für die Felle und das Pelzwerk einen gewissen Preis. Außer diesen beiden Klassen giebt es aber noch eine dritte Art Jäger, die für ihre eigene Rechnung jagen, ihre eigenen Pferde und Packthiere besitzen und sich ihren Jagdbezirk und Markt selbst wählen.

Sobald sich der Biberjäger auf den Marsch begiebt, erhält er seine ganze Ausrüstung entweder an einem der indianischen Handelsforts oder von den Hausirern und Handelsleuten, welche nach den westlichen Staaten kommen. Die Ausrüstung besteht in zwei oder drei Pferden und Mauleseln, eins für den Sattel, die andern für das Gepäck, und aus sechs Fallen, die in einem ledernen Sack aufbewahrt werden. Munition, ein Paar Pfund Taback, gegerbte Thierfelle zu Moccasins (eine Art indianischer Schuhe), und manche andere kleine Dinge führt er mit sich in einem Sack von Büffelfell. welcher daher sinnreich „Possible-Sack“, der Sack für alles Mögliche, genannt wird. Dieser Possible-Sack zugleich mit dem Sacke, in welchem die Fallen stecken, hat gewöhnlich seinen Platz auf dem Sattelmaulesel, wenn gejagt wird; die übrigen Dinge werden mit dem Pelzwerk eingepackt. Die Kleidung des Biberjägers besteht in einem Jagdhemd von gegerbtem Ziegenfell, das mit langen Franzen verziert ist; die Hosen sind gleichfalls von Ziegenfell, und auf der Außenseite auch mit Franzen versehen. Ein schwarzer oder grauer weicher Filzhut, Moccasins und Teggins (eine Art Gamaschen) vervollständigen den Anzug des Jägers. Ueber die rechte Schulter geht ein Riemen und in diesem hängt unter dem linken Arm ein Pulverhorn und ein Kugelbeutel, in welchem letzteren zugleich noch eine Menge für die Jagd unentbehrliche Dinge ihren Platz finden. Um den Leib trägt der Jäger einen Gürtel mit einem großen Bowiknife (einem langen und breiten Messer) in einer Scheide von Büffelfell, die mittels einer stählernen Kette, die zugleich einen kleinen Ziegenfellbeutel mit einem Wetzstein zum Schleifen der Waffen festhält, befestigt ist. Oft hat der Jäger auch einen Tomahawk (indianische Streitaxt) bei sich. Seine Hauptwaffe ist aber seine geliebte weittragende und nimmer fehlende lange und schwere Büchse, die er gelegentlich auch als furchtbaren Streitkolben zu handhaben weiß. Um die Ausrüstung vollzählig zu machen gedenken wir schließlich noch des „Pipeholders“ (Pfeifenhalters), der in einer um den Hals herumgehenden Schnur hängt, meist in Form eines Herzens (denn unser Jäger hat seine sehr gemüthliche Seite) genäht, mit Perlen besetzt und gewöhnlich ein Geschenk von des Jägers „Squaw“. (Squaw ist bei den Indianern zunächst jede weibliche Person im Allgemeinen; dann aber heißt es so viel wie Frau.)

Ist dann nun unser Jäger mit Allem versehen, was er für nothwendig zu seinem Vorhaben hält, und hat er im Voraus schon den Platz für seine Jagden bestimmt, so beginnt er seinen Auszug in die Berge, entweder allein oder in Gesellschaft Mehrerer. Sobald im Frühjahr das Eis aufbricht, ist seine Zeit gekommen. Angelangt in seinem Jagdbezirk, folgt der Biberjäger den kleinen Flüssen und Bächen und hält scharfen Ausguck auf das „Zeichen“. [203] Bemerkt er einen umgeworfenen Baumwollenbaum, so untersucht er ihn, ob es vielleicht ein Biber war, der den Baum gefällt hat, um damit den Strom aufzudämmen. Ebenso ist die Spur des Thieres im Sande längs dem Flußufer Gegenstand seiner genauen Nachforschung, und wenn die Spur frisch ist, so stellt er die Falle auf dem Wege des Thieres auf, verbirgt sie unter dem Wasser und befestigt sie mit einer starken Kette entweder an einen Pfahl, der im Sande eingerammt ist, oder an einen starken Strauch oder Baum. Ein Floß von leichtem Holz wird an die Schnur mit einem mehrere Fuß langen Tau festgebunden, damit es, wenn der Biber die Schnur mit sich fortreißen sollte, auf dem Wasser oben auf schwimmend die Richtung anzeige, in welcher der Biber sich entfernt hat. Der Köder an der Schnur, welcher recht naiv „die Medicin“ heißt, ist eine ölartige Substanz, welche man von dem Biber selbst erhält (Bibergeil). Diese Medicin bekommt, wie so manche andere Medicin, auch dem armen Biber nicht gut. Der Jäger taucht in dieselbe einen Stock und legt diesen quer über die Schnur; wenn nun der Biber, gelockt durch den Geruch, das Ding näher untersuchen will und zu dem Ende einen seiner Füße in die Falle steckt, dann ist die Sache gemacht, und das Thier ist „a gone beaver“, ein in die Falle gegangener Biber. Entdeckt der Jäger ein Bibernest, so setzt er die Falle auf den Rand des Dammes, ungefähr dahin, wo er glaubt, daß der Biber vom tiefen zum seichten Wasser taucht. Früh am Morgen besteigt nun unser Jäger sein Reitpferd, um nach den Fallen zu sehen. Er zieht den gefangenen Thieren sogleich die Haut ab, packt die Schwänze, welche von besonderem Werth sind, sorgfältig ein und spannt die Felle aus, um sie zu trocknen; das Fleisch nebst den Eingeweiden wird mit großer Behutsamkeit abgeschabt und gereinigt. Sind die Felle trocken, so werden sie in viereckiger Form, mit dem Pelzwerk nach innen, zusammengelegt, in Packen, deren jeder gewöhnlich 10 bis 20 Stück enthält, gebunden und so fest als möglich zusammengepreßt, so daß er für die bequemere weitere Fortschaffung geeignet ist.

Während der ganzen Dauer der Jagdzeit wandert der furchtlose Jäger trotz der Nähe der Indianer rund herum zur Aufsuchung von „Zeichen“. Seine Nerven sind immer gespannt, seine Geistesgegenwart muß er immer rege erhalten. Nach allen Seiten fliegen seine Adleraugen und augenblicklich entdeckt er jeden auch noch so unbedeutenden auffälligen Gegenstand, der ihm auf seinen Wegen entgegentritt. Ein umgewendetes Blatt, ein niedergetretener Grashalm, die Unruhe der Thiere, der Flug der Vögel sind für ihn Begebenheiten, gezeichnet mit der sichern Hand der Natur in deutlichster Sprache.

Der Indianer wendet alle seine Kunstgriffe an, um den weißen Jäger irre zu führen und über ihn zu triumphiren; dieser aber verbindet trotz aller seiner Roheit mit dem natürlichen Instinkt des Pionierers den Vortheil von wenigstens einigen Wohlthaten der Civilisation und entgeht dadurch gewöhnlich den plump angelegten Plänen der Indianer. Nicht selten sind freilich seine Vorsichtsmaßregeln doch vergebens. Wenn der Indianer die Stelle ausfindig gemacht hat, wo der Biberjäger seine Fallen aufstellte, so schleicht er sich wie eine Schlange spurlos dahin und verbirgt sich in den Büschen, bis sein Opfer erscheint. Der Pfeil fliegt vom Bogen und bei so kurzer Entfernung verfehlt derselbe selten sein Ziel. Das Geschwirr des Pfeils ist von dem Jäger kaum vernommen, so fühlt er auch schon die Spitze in seinem Herzen und der jubelnde Wilde hat eine weiße Kopfhaut mehr zur Ausschmückung seines Wigwam (Hütte). Im Ganzen ist aber, wie gesagt, der Vortheil doch auf Seiten der Biberjäger, und wenn die Jagd zu Ende ist, so haben diese für jeden verlorenen Kameraden Dutzende von rothen Kopfhäuten auf ihren verschiedenen Sammelplätzen in den Lagern vor den Handelsforts aufzuweisen.

Die Schilderung eine solchen Lagers und die Geschichte des alten Schweden in einer nächsten Nummer.




Nr. 2. Taubenjagden.

Die amerikanischen Wälder sind noch erfüllt mit zahllosen Schaaren wilder Tauben. Gegen Norden findet man sie bis zur Hudsons Bai, und südlich in den Forsten von Louisiana und Texas in gleicher Masse. Der Naturforscher Audubon berechnet, daß er eine Schaar von mehr als einer Billion beisammen gesehen, und Wilson sagt, daß er eine solche auf 2230 Mill. geschätzt habe. Sie bauen ihre Nester auf hohen Bäumen, die nicht selten hundert solcher enthalten, in denen sich meistentheils zwei Junge befinden. In Kentucky ist eine dieser Brutstätten 40 Meilen lang und stellenweise auch ebenso breit. Am Liebsten bauen sie in der Nähe von Strömen und Bächen und auf Bäumen, deren Zweige über dem Wasser hängen.

Die Vögel sind etwas kleiner als unsere Haustauben und schieferfarbig, die Farbe der Männchen ist indessen tiefer als die der Weibchen, und ihre Halsfedern schillern in herrlichem Grün, Gold und Purpurroth. In der Gefangenschaft und selbst unmittelbar, nachdem sie geschossen werden, verschwinden diese Farben.

Ihre Brutstätten sind begreiflicher Weise mit einer Menge Feinde umgeben. Zahllose Habichte und Geier holen sich die Jungen aus den Nestern, selbst der weißköpfige Adler verschmäht dies nicht, unten auf dem Boden lauern Füchse, Wölfe, wilde Katzen, Rackuns, Cougars, Luchse, Dachse und schwarze Bären auf sie, und massenweise tödtet sie der Mensch durch seine Schußwaffen oder durch Fällen der Bäume, die Farmer bringen oft Wagenladungen nach Hause.

Diese Jagden werden meistentheils bei Fackellicht angestellt, wenn die Vögel von ihrer Fütterung nach ihren Nestern zurückkehren, und gewähren ein ungemein lebendiges Schauspiel. Das Rauschen der Flügel tönt wie dumpfer Donner, dann folgen die Schüsse und Rufe, Frauen und Kinder jauchzen vor Freude, dazwischen das Gebell der Hunde und Wiehern der Pferde, das Krachen der Zweige und der Wiederhall von der Axt der Holzschläger, Alles mischt sich wild durch einander und bringt eine stete Aufregung hervor.

So zahllosen Feinden, sollte man glauben, müßten diese Vögel gar nicht widerstehen können, aber sie vermehren sich ebenso schnell als sie abnehmen, und die Jagd auf sie ist nicht ihre größte Gefahr. Diese besteht vielmehr in dem Mangel an Nahrung. Wilson berechnet, daß die Schaar, welche er gesehen, täglich achtzehn Millionen Scheffel Getreide erfordern würde, um sich zu erhalten, sie könnten dies daher gar nicht, wenn ihnen nicht die Wälder mit ihren Buchnüssen und vielfachen Beeren zu Hülfe kämen. Im Norden leben sie fast nur von Wachholderbeeren. Im Süden verschlingen sie natürlich das Wälschkorn, den Reis und die Wallnüsse der Pflanzungen mit Begierde, den größten Theil ihrer Speise bilden jedoch im Allgemeinen die Buchnüsse. So lange die Buchen Amerika’s ihre Millionen Scheffel Nüsse herabschütteln, werden auch die zahllosen Schaaren von Tauben dort existiren.

Halbjährlich wandern sie, aber nicht wie andere Zugvögel zu regelmäßiger Zeit. Sie führen vielmehr ein nomadisches Leben und richten ihren Abzug nach dem Maaße ihrer Nahrung. Wenn im Norden viel Schnee fällt, sieht man ihre zahllose Schaaren über Ohio nach Kentucky und dort durchschwärmen sie dann die Wälder nach Futter.

Bei Tage sind die alten Vögel schwer zu schießen. Wenn man ihnen auch auf hundert Schritt nahe gekommen ist und sie sicher zu treffen hofft, so verschwinden sie plötzlich wieder, und ebenso wissen sie sich auf die Bäume zu retten, wenn diese auch zuweilen ganz schwarz von ihnen sind. Deshalb sucht man sie durch Fackellicht zu blenden.

Als ich in Cincinnati war, wurde ich einmal zu einer Jagdparthie, 60 Meilen von da, eingeladen, und dort machte ich auch eine sehr vergnügliche Jagd auf Tauben mit, die eben auf ihrer Wanderung angekommen waren. Unsere Jagdgesellschaft wurde in zwei verschiedene Theile mit gleich viel Schützen getheilt, und die Damen sollten die Parthie begleiten, welche die größte Anzahl von Vögeln bringen würde. Außerdem fielen ihnen auch die weiteren Privilegien, die Partnerschaft bei Tische und beim Tanz zu.

Das stachelte uns natürlich nicht wenig. Am ersten Tage theilten sich auch die Damen, von denen mehrere leichte Vogelflinten führten.

Meine Partei hatte außer diesen acht Gewehren, Doppelflinten und Büchsen. Die letzteren waren nicht unnütz, denn die Inhaber derselben konnten doch mit Sicherheit darauf rechnen, jedesmal einen Vogel zu treffen, während wir mit unsern Flinten, die wir auf die Masse zu speculiren hatten, oft von dieser genarrt wurden und nicht zum Schuß kamen, oder fehlten, weil die Tauben zu weit entfernt waren. So bemühten wir uns unablässig, bis die Vogel gegen Abend verschwanden. Wir hatten 640 Stück und eilten freudig damit nach Hause, aber unsere Gegner hatten [204] 726, und wir waren geschlagen und ärgerten uns wüthend, denn wir hatten die Damen verloren.

Am nächsten Tage gaben wir uns daher, wie man sich denken kann, noch einmal so viel Mühe. Es kommt bei der Tauben­jagd wesentlich darauf an, daß man dem Flug die Spitze abge­winnt, wenn dieser sich auf die Nahrung stürzt, denn hierbei drän­gen sich die Vögel alle nach vorn, und schießt man dann in sie hinein, so kann man sie dutzendweise tödten. Ich beobachtete dies vielfach und sah auch, daß die jungen Tauben so sorglos waren, daß sie sich gar nicht vor mir scheuten, ja selbst, als ich in sie hin­eingeschossen hatte, arglos weiterdrangen. Da konnte ich mich nicht länger halten, ich stieg auf mein Pferd und ritt in sie hin­ein, wobei denn natürlich rechts und links ein furchtbares Blut­bad unter ihnen entstand.

Stolz auf diesen Sieg, raffte ich meine Beute zusammen und begab mich zu meinen Gefährten, und wir waren sämmtlich unge­mein erfreut, als wir 800 Vögel zählten. Aber, o Schmach! Wieder wurden wir geschlagen, unsere Gegner hatten 100 mehr.

Meine Genossen geriethen außer sich. Die Damen waren abermals für uns verloren und wir hatten Hohn und Spott zu ernten. Das konnte nicht länger ertragen werden. Etwas mußte geschehen, unsere Ehre zu retten. Aber was? Das war die große Frage. Unsere Gegner waren bessere Schützen als wir, das lag am Tage. Uns konnte daher nur List helfen. Eine solche fiel mir bei. In Corington, das nur wenig Stunden von der Farm entfernt lag, hatte ich Berghaubitzen gesehen. Wenn wir uns eine solche verschaffen und aus der Ferne schießen konnten, waren wir im Stande, die Tauben massenweise zu erlegen,

Das leuchtete Allen ein und sie beauftragten mich, die Hau­bitze zu schaffen. Ich schickte einen Boten ab, und am nächsten Tage waren wir, noch ehe es Mittag wurde, im Besitz der Hau­bitze, die uns heimlich nachgeschafft wurde. Diese luden wir mit Schrot, und jeder Schuß brachte uns Massen Vögel zu; einmal fielen 123 auf einen Schuß. Jetzt waren wir unsers Sieges ge­wiß, aber als die erste Freude über diesen vorüber war, kam uns ein neues Bedenken. Für heute half uns unsere List, denn für uns acht Schützen konnten wir stehen, daß keiner unser Geheimniß verrathen würde. Wie aber sollte es am nächsten Tage werden, nachdem die Damen uns begleitet hatten? Würden sie schweigen können? Darauf war nicht zu rechnen. Wir beschlossen daher, zu einer zweiten List unsere Zuflucht zu nehmen und ein Depot von Tauben anzulegen. Demgemäß ließen wir 1500 Vögel bei einem Squatter und stellten auch unsere Haubitze dahin, um uns ihrer im Nothfall bedienen zu können. Sonst wollten wir nur unsere Gewehre gebrauchen.

Als wir nach Hause kamen, fanden wir, daß unsere Gegner ein gut Stück Arbeit gethan hatten, sie wurden aber doch von uns um hundert geschlagen. Die Damen gehörten uns.

Und so blieb es bis zu Ende der Jagd. Die Andern zer­brachen sich den Kopf, wie wir sie mit einem Male so glücklich aus dem Felde schlugen, denn sie waren alte Schützen und konnten nicht begreifen, daß wir das Ding so schnell gelernt haben sollten.

Mitunter sprachen sie zwar von dem lauten Wiederhall im Walde, den sie gehört hatten, meinten aber, es müsse entweder Donner oder unterirdisches Getöse gewesen sein.

Man kann sich denken, wie wir uns dabei vergnügten und nachher, wenn wir unter uns waren, darüber lachten. Unser Ge­heimniß hielt glücklich bis zu Ende der Jagdparthie vor, und als es dann laut wurde, gab es natürlich wieder neuen Stoff zum Lachen für uns und zum Aerger für die Gegenpartei, und noch oft konnten wir nachher unsern Freunden von der Taubenjagd mit Haubitzen erzählen.




Blätter und Blüthen.

Literarisches. Die Herren Autoren dürfen von jetzt ab ruhig der Zukunft entgegensehen, wo für Alles Rath geschafft wird, wird auch von nun an für „liegengebliebene Manuscripte“ gesorgt werden. In Frankfurt a. M. ist unter der firma: „Mercur, Commissions-Bureau für Geistesprodukte“ ein Geschäft gegründet worden, dessen alleiniger Zweck es ist, die Manuscripte der Autoren oder auch neue Ideen zu später zu schreibenden Manuscripten an den Mann, d. h. an den Verleger zu bringen. Ein Herr Bernh. Cardini ist Besitzer, Held, Procurent. – Inzwischen scheint es an unternehmungslustigen Verlegern noch nicht zu mangeln. Jedes Börsenblatt bringt Ankündigungen größerer wissenschaftlicher Neuigkeiten, und auch die schöne Literatur ist nicht unvertreten. von Freitag wird in einigen Tagen ein dreibändiger Roman: Soll und Haben erscheinen; von Kompert eine zweibändige Erzählung: Am Pfluge; von der deutschen Romanbibliothek die zweite Abtheilung, wozu Kürnberger einen Roman liefert: Der Amerika-Müde, der dem Agentur-Humbug in Deutschland einen Damm setzen soll; von Ludw. Storch eine Auswahl seiner besten Schriften. Auch eine neue Vierteljahrsschrift unter dem Titel: Europäische Chronik ist angekündigt und zwar von Dr. Buddeus, der plötzlich unter die Publizisten gegangen ist. – Leser, welche sich für naturwissenschaftliche Fragen interessiren, machen wir schließlich auf das jüngst erschienene Schriftchen von Carl Vogt: „Köhlerglaube und Wissenschaft“ aufmerksam, das in geistreicher Weise die beiden Fragen über die Abstammung der Menschen von einem Paare und über die Natur der Seele behandelt.


Erklärung.
Da der mit B. oder Bock unterzeichnete Verfasser der Aufsätze „vom Baue des menschlichen Körpers,“ der „Gesundheitsregeln“ und der „Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre“ öfters in Folge dieser Aufsätze brieflich um ärztlichen Rath angegangen wird, so sieht sich derselbe hierdurch veranlaßt, zu erklären, daß nur gewissenlose oder unwissende Aerzte und Charlatane einem Kranken ärztlichen Rath ertheilen ohne denselben gesehen und genau untersucht zu haben. Deshalb bittet also der Verf. die Leser, ihm keine Fragen über specielle Krankheitsfälle brieflich vorlegen zu wollen.
Bock 


Allgemeiner Briefkasten.

Gedichte. E. Naw. in D. Poetisch gedacht und zur größern Hälfte auch gut ausgeführt, der Schluß aber matt. – Usb. in Halle. Ein Gedicht auf den 1. Mai, was Sie mit 5 ß honorirt wünschen. Wir finden Ihr Verlangen eben so natürlich, wie Sie es begreiflich finden werden, daß wir diese Frühlingsgabe weder honoriren noch abdrucken. – Vict. R. in Hamburg. Danke freundlichst, können aber keine Gebrauch davon machen. – K. Ch. in S–d–n. Das letzte der gesandten Gedichte ist vortrefflich und wird nächstens zum Abdruck kommen. – Bei dieser Gelegenheit bittet die unterzeichnete Redaktion die Herren Einsender von Gedichten dringend, Abschriften von ihren Poesien zu nehmen, da sie sich mit der Rücksendung einzelner Gedichte nicht befassen kann.

J. M. in Frankfurt a. M. Sie haben sich lediglich an diejenige Buchhandlung zu halten, in der Sie die Gartenlaube bestellt und bezahlt haben.

Eng. in B–x. Bedauern sehr, Ihnen nicht mehr dienen zu können. Der Verfasser des Gemüse-Artikels ist leider inzwischen gestorben, und wir selbst wissen nicht, wo sich die beiden Fabriken befinden und ob das Geheimniß durch Bücher veröffentlicht worden ist.

Z. Z. in Breslau. Ohne Namensnennung des Verfassers oder Einsenders können wir keinen Artikel aufnehmen.

R. in P–. „Die Vision.“ Gut geschrieben, à la Jean Paul und mit sittlich-tendenziöser Pointe, aber doch nicht passend für unser Blatt.
D. Redakt. 

Nicht zu übersehen!

Der Festtage halber sehen wir uns veranlaßt, die Gartenlaube nächste Woche nicht erscheinen zu lassen und wird demnach Nr. 16 am 20. April ausgegeben werden.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Die Ausfuhr an Getreide könnte im türkischen Reiche bei nur einiger Entwickelung der vorhandenen günstigen Vorbedingungen auf das 5-10fache gesteigert werden.
  2. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe Schilderungen aus dem Amerikanischen Jagd- und Waldleben bringen, die viel Interessantes bieten.
    D. Redakt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Peter Christie (1796–1855), Vorlage: Christin