Die Gartenlaube (1867)/Heft 35

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1867
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[545] No. 35.
1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Der starke, muthige Geist des Mädchens war gebrochen – völlig betäubt wußte sie nicht, daß ihr vermeintlicher Widersacher sie noch stützte, sie hatte die Augen geschlossen und sah nicht, wie sein Blick tiefinnig auf ihrem bleichen Gesicht ruhte. „Felicitas,“ flüsterte er mit tiefer, bittender Stimme.

Sie fuhr empor und begriff sofort ihre Lage. Aller Groll, alle Bitterkeit, an denen sich ihre Seele jahrelang genährt, kamen nochmals über sie – sie riß sich heftig los, und da war er wieder, der dämonische Ausdruck, der eine tiefe Falte zwischen ihre Augenbrauen grub und die Mundwinkel in herben Linien umzog!

„Wie mögen Sie die Paria anrühren?“ rief sie schneidend. Aber ihre hochaufgerichtete Gestalt sank sofort wieder in sich zusammen; sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und murmelte grollend: „Nun, so verhören Sie mich doch – Sie werden zufrieden sein mit meinen Aussagen!“

Er nahm ihre Hände sanft zwischen die seinen.

„Vor Allem werden Sie ruhiger, Felicitas!“ sagte er in jenen weichen, beschwichtigenden Tönen, die sie schon an Bett des kranken Kindes wider Willen bewegt hatten. „Nicht den wilden Trotz, mit dem Sie mich geflissentlich zu verletzen suchen! … Sehen Sie sich um, wo wir sind! Hier haben Sie als Kind gespielt, nicht wahr? … Hier hat Ihnen die Einsiedlerin, für die Sie heute so heiß gekämpft haben, Schutz, Belehrung und Liebe gewährt? … Was Sie auch hier gethan oder gesucht haben mögen – es ist kein Unrecht gewesen, ich weiß es, Felicitas. Sie sind trotzig, verbittert und über die Maßen stolz, und diese Eigenschaften verleiten Sie oft zu Ungerechtigkeit und Härte – aber einer gemeinen Handlung sind Sie nicht fähig. … Ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir, als müsse ich Sie hier oben finden – Heinrich’s scheues, verlegenes Gesicht, sein unwillkürlicher Blick nach der Treppe, als ich nach Ihnen frug, bestärkten mich in meiner Annahme. … Sagen Sie kein Wort! fuhr er mit erhobener Stimme fort, als sie ihre heißen Augen rasch zu ihm aufschlug und die Lippen öffnete. „Verhören will ich Sie freilich, aber in einem ganz anderen Sinn, als Sie denken – und ich glaube, ich habe ein Recht dazu, nachdem ich durch Sturm und Wetter geschritten bin, um mir meine Tanne herabzuholen.“

Er zog sie tiefer in das Zimmer hinein, – schien es doch, als sei es ihm zu hell im Vorbau, als bedürfe er der halben Dämmerung des Wohnzimmers, um weiter sprechen zu können. Felicitas fühlte, wie ein leises Beben durch seine Hände ging. Sie standen genau auf der Stelle, wo sie vorhin einen furchtbaren Kampf mit sich selbst gekämpft hatte, wo sie versucht gewesen war, ihm einen Dolch in das Herz zu stoßen, ihn moralisch zu lähmen für seine ganze Lebenszeit. … Sie senkte den Kopf tief auf die Brust, als eine Schuldbewußte, unter den Augen, die, sonst so tiefernst, jetzt eine wunderbare Gluth ausstrahlten.

„Felicitas, wenn Sie hinabgestürzt wären!“ hob er wieder an, und es war, als liefe noch bei dieser Vorstellung ein Schauder durch seine kräftige Gestalt. „Soll ich Ihnen sagen, was Sie mir angethan haben, durch diesen verzweifelten Trotz, der lieber zu Grunde geht, als daß er an das vernünftige Urtheil Anderer appellirt? Und meinen Sie nicht, daß ein Augenblick voll Todesangst und namenloser Leiden ein jahrelanges Unrecht zu sühnen vermag?“

Er hielt erwartungsvoll inne, aber die erblaßten Lippen des jungen Mädchens blieben geschlossen, und ihre dunklen Wimpern lagen tief auf den Wangen.

„Sie haben sich in Ihre bittere Anschauungsweise förmlich verrannt,“ sagte er nach vergeblichem Warten herb und mit sinkender Stimme, der man die Entmuthigung anhörte; „es ist Ihnen geradezu unmöglich, eine Wandlung der Dinge zu begreifen.“ Er hatte ihre Hände sinken lassen, aber jetzt nahm er nochmals ihre Rechte und zog sie heftig gegen seine Brust. „Felicitas, Sie sagten neulich, daß Sie Ihre Mutter vergöttert haben – diese Mutter hat Sie ‚Fee‘ genannt; ich weiß, Alle, die Sie lieben, geben Ihnen diesen Namen, und so will auch ich sagen: ‚Fee, ich suche Versöhnung!‘“

„Ich habe keinen Groll mehr!“ stieß sie mit erstickter Stimme hervor.

„Das ist eine vielsagende Versicherung aus Ihrem Munde, sie übertrifft meine Erwartung, allein – sie genügt mir noch lange nicht. … Was hilft es, wenn Zwei sich versöhnen und dann auf Nimmerwiedersehen scheiden? Was hilft es mir, daß ich weiß, Sie grollen mir nicht mehr, und ich kann mich nicht stündlich davon überzeugen? … Wenn Zwei sich versöhnt haben, die so getrennt gewesen sind, wie wir, dann gehören sie zusammen – auch nicht eine Meile Raum dulde ich ferner zwischen uns – gehen Sie mit mir, Fee!“

„Ich habe Abscheu vor dem Aufenthalt in einem Institut – ich könnte mich nie in die schablonenmäßige Behandlung fügen,“ antwortete sie hastig und gepreßt.

Der Anflug eines Lächelns glitt über sein Gesicht.

„Ach, das möchte ich Ihnen auch nicht anthun! … Die Idee mit dem Institut war nur ein Nothbehelf, Fee. … Ich selbst wäre ja dann ziemlich eben so übel daran. … Es könnte [546] sich ereignen, daß ich Sie einen, auch zwei Tage nicht sehen dürfte, und dann stünde ein Dutzend naseweiser Mitschülerinnen um uns her und finge jedes Wort auf, das zwischen uns fiele; oder Frau von Berg, die strenge Vorsteherin, säße daneben und duldete nicht, daß ich auch nur einmal diese kleine Hand in der meinigen behielte. … Nein, ich muß zu jeder Stunde in dies liebe, trotzige Gesicht da sehen dürfen – ich muß wissen, daß da, wohin ich nach den Anstrengungen meines Berufes zurückkehre, meine Fee auf mich wartet und an mich denkt – ich muß am stillen, trauten Abend inmitten meiner vier Wände bitten dürfen: ‚Fee, ein Lied!‘ Das Alles aber kann nur geschehen, wenn – Sie mein Weib sind!“

Felicitas stieß einen Schrei aus und versuchte sich loszureißen; aber er hielt sie fest und zog sie näher an sich heran.

„Der Gedanke erschreckt Sie, Felicitas!“ sagte er tief erregt. „Ich will hoffen, daß es nur der Schreck des Unerwarteten ist und nicht Schlimmeres. … Ich sage mir ja selbst, daß es vielleicht langer Zeit bedürfen wird, ehe Sie mir das sein können, was ich ersehne – gerade bei Ihrem Charakter läßt sich eine so rasche Wandlung schwer annehmen, nach welcher der ‚verabscheute Todfeind‘ ein Gegenstand inniger Neigung werden soll. Aber ich will um Sie werben mit aller Ausdauer einer unvergänglichen Liebe; ich will warten – so schwer dies auch sein mag – bis Sie mir einst aus eigenem Antrieb sagen: ‚Ich will, Johannes!‘ … Ich weiß ja, welche Wunder im Menschenherzen vorgehen können. Ich floh aus der kleinen Stadt, um mir selbst und meinen furchtbaren inneren Kämpfen zu entrinnen, und da vollzog sich das Wunder erst recht! Der qualvollsten Sehnsucht gegenüber zerfielen diese Kämpfe in nichts, ich wußte nun, daß das, was ich vermessen und trotzig abschütteln wollte, meines Lebens Seligkeit werden würde… Fee, inmitten nichtssagenden Geschwätzes und koketter Gesichter schritt das einsame Mädchen mit der energischen Haltung und der weißen Stirn voll kraftvoller Gedanken unablässig neben mir her, über Berg und Thal – sie gehörte zu mir, sie war die andere Hälfte meines Lebens, ich sah ein, daß ich mich nicht von ihr losreißen könne, ohne mich innerlich zu verbluten! … Und nun ein einziges Wort der Beruhigung, Felicitas!“

Das junge Mädchen hatte allmählich ihre Hand aus der seinigen gezogen. Wie war es möglich, daß ihm, während er sprach, die Veränderung in ihrem Aeußern entgehen konnte! Die Brauen wie in heftigem, physischem Schmerz zusammengezogen, haftete ihr erloschener Blick längst am Boden, und die eiskalten Finger verschlangen sich krampfhaft ineinander.

„Beruhigung wollen Sie von mir?“ versetzte sie mit schwacher Stimme. „Vor einer Stunde haben Sie mir gesagt: ‚Das soll Ihr letzter Kampf gewesen sein,‘ und jetzt schleudern Sie mich mit eigener Hand in den entsetzlichsten, den die Menschenseele durchzumachen hat! … Was ist ein Kampf wider äußere Feinde gegen das Ringen mit sich selbst und den eigenen Wünschen?“ Sie hob die festverschlungenen Hände empor und warf wie in Verzweiflung den Kopf zurück. „Ich weiß nicht, was ich verbrochen habe, daß Gott mir diese unselige Liebe in’s Herz gelegt hat!“

„Fee!“

Der Professor breitete seine Arme aus, um sie an seine Brust zu ziehen, aber sie streckte ihm abwehrend die Hände entgegen, wenngleich ein Schimmer der Verklärung über ihr Gesicht flog. „Ja, ich liebe Sie – das sollen Sie wissen!“ wiederholte sie in Tönen, die zwischen Jauchzen und Thränen schwankten. „Ich würde schon in diesem Augenblick sagen können: ‚Ich will, Johannes!‘ aber diese Worte werden nie ausgesprochen werden!“

Er wich zurück, und Leichenblässe bedeckte sein Gesicht, er kannte „das Mädchen mit der energischen Haltung und der weißen Stirn voll kraftvoller Gedanken“ viel zu gut, um nicht zu wissen, daß sie mit diesem Ausspruch für ihn verloren sei.

„Sie sind geflohen aus X., und warum?“ hob sie fester an; sie richtete sich empor, und einer ihrer durchdringendsten Blicke traf die Augen, aus denen plötzlich alles Leben entwichen schien. „Ich will es Ihnen sagen. Ihre Liebe zu mir war ein Verbrechen gegen Ihre Familie, sie stieß alle Ihre wohlgepflegten Grundsätze um und mußte deshalb wie ein Unkraut aus Ihrem Herzen gerissen werden. Daß Sie von Ihrer Flucht nicht geheilt zurückgekehrt sind, ist nicht Ihre Schuld – Sie unterlagen derselben Macht, die auch mich zwingt, Sie gegen meine Grundsätze zu lieben… Wohl mag es ein erbitterter Kampf gewesen sein, bis alle die stolzen Kauf- und Handelsherren dem verachteten Spielerskind Platz gemacht haben – nichts in der Welt wird mich glauben machen, daß ich diesen Platz für meine ganze Lebenszeit behaupten werde! … Sie haben mir vor wenigen Wochen die unerschütterliche Ueberzeugung ausgesprochen, daß die Standesverschiedenheit in der Ehe sich unausbleiblich räche – dieses Princip haben Sie Gott weiß wie viele Jahre hindurch festgehalten, es kann unmöglich in sechs Wochen sich spurlos verflüchtigt haben, es ist nur übertüncht, es wird nur verleugnet – und selbst wenn es einer anderen Ueberzeugung gewichen wäre, was müßte Alles geschehen, um die Erinnerung an diesen Ausspruch in meiner Seele zu verlöschen!“

Sie schwieg einen Augenblick erschöpft. Der Professor hatte die Rechte auf die Augen gepreßt, und um seine Lippen zuckte es wie ein leichter Krampf. Jetzt ließ er die Hand sinken und sagte tonlos: „Ich habe die Vergangenheit gegen mich – aber Sie sind doch im Irrthum, Felicitas… O Gott, wie soll ich Ihnen das beweisen!“

„In den äußeren Verhältnissen hat sich nicht das Mindeste geändert,“ fuhr sie unerbittlich fort. „Es ist weder ein Flecken auf Ihre Familie gefallen, noch bin ich irgendwie meinem verachteten Standpunkt entrückt – meine Persönlichkeit ist es mithin allein, welche diese Umkehr bewirkt hat – es wäre vermessen und gewissenlos von mir, wollte ich den Moment benutzen, wo Sie die mit Ihnen festverwachsenen Principien mühsam niederhalten und nur Ihrer Liebe Gehör geben… Ich frage Sie auf’s Gewissen: Nicht wahr, Sie haben eine sehr hohe Meinung von der Vergangenheit Ihrer Familie? … Und haben Sie sich auch nur einen Augenblick einzureden vermocht, daß diese Vorfahren, die sämmtlich standesgemäß gewählt hatten, eine solche Mißheirath ihres Enkels billigen würden?“

„Felicitas, Sie sagen, Sie lieben mich, und sind fähig, mich so systematisch zu martern?“ rief er heftig.

Ihr Blick, der unverwandt auf seinem Gesicht geruht hatte, schmolz – wer hätte je in diesen stolzen, zurückweisenden Augen den Ausdruck unbeschreiblicher Zärtlichkeit gesucht, der sie jetzt beseelte! Sie nahm die Rechte des Professors in ihre beiden Hände.

„Als Sie mir vorhin das Leben an Ihrer Seite schilderten, da habe ich mehr gelitten, als sich aussprechen läßt,“ sagte sie in tiefster Bewegung, „es würden vielleicht hundert Andere an meiner Stelle die Augen vor der Zukunft verschließen und nach diesem augenblicklichen Glück greifen, aber so wie ich einmal bin, kann ich das nicht… Das, was lebenslänglich zwischen uns stehen wird, ist meine Furcht vor Ihrer Reue. Bei jedem finsteren Blick, bei jeder Falte auf Ihrer Stirn würde ich denken: ‚Jetzt ist der Augenblick da, wo er bedauert, wo er umkehrt zu seinen ursprünglichen Ansichten, wo er dich innerlich verstößt als die Ursache seines Abfalles!‘ Ich würde Sie unglücklich machen mit diesem Mißtrauen, das ich nicht besiegen könnte.“

„Das ist eine furchtbare Wiedervergeltung!“ sagte er dumpf und schmerzlich. „Uebrigens will ich dies Unglück getrost auf mich nehmen… Ich will Ihr Mißtrauen ohne Murren ertragen, so tief verwundend es auch ist – es muß ja doch einmal eine Zeit kommen, wo es hell zwischen uns wird… Felicitas, ich werde Ihnen eine Häuslichkeit schaffen, in der Ihnen so böse Gedanken gar nicht kommen können. Freilich wird es sich ereignen, daß ich manche Falte auf der Stirn, manch’ finsteren Blick mit nach Hause bringe – die sind unausbleiblich in meinem Wirkungskreise – aber dann ist ja eben meine Fee da, die sofort die Falten verwischt und den Blick aufhellt… Könnten Sie es wirklich über das Herz bringen, Ihre eigene Liebe zu zertreten und einen Mann, dem Sie das höchste Erdenglück zu geben vermögen, elend zu machen?“

Felicitas war allmählich nach der Thür zugeschritten, sie fühlte ihre moralische Kraft treulos werden dieser angstvollen Beredsamkeit gegenüber, und doch mußte sie fest bleiben gerade um seinetwillen.

„Wenn Sie mit mir in Abgeschiedenheit und Einsamkeit leben könnten, dann würde ich Ihnen willig folgen,“ entgegnete sie, während sie hastig das Thürschloß ergriff, als sei es ihr letzter Halt. „Glauben Sie nicht, daß ich die Welt selbst und ihr Urtheil scheue – sie urtheilt meist blind und einsichtslos – aber im Verkehr mit ihr fürchte ich eben den Feind in Ihnen selbst. Dort gilt eine ‚respectable‘ Herkunft sehr viel, und ich weiß, daß Sie darin mit der Welt harmoniren… Sie haben einen bedeutenden Familienstolz – wenn Sie ihm auch in diesem Augenblick [547] kein Recht einräumen – im Umgang mit solchen Bevorzugten wird und muß Ihnen früher oder später der bedauernde Gedanke kommen, daß Sie viel, sehr viel für mich aufgegeben haben.“

„Das heißt also mit anderen Worten: Wenn ich Sie besitzen will, dann muß ich entweder meinen Wirkungskreis aufgeben und in einer Einöde leben, oder irgend einen Flecken, einen unwürdigen Moment aus der Vergangenheit meiner Familie aufzufinden suchen!“ rief er gereizt und bitter.

Eine jähe Röthe stieg bei seinen letzten Worten in das Gesicht des jungen Mädchens. Unwillkürlich glitt ihre Hand über die Falten ihres Kleides und befühlte die scharfen Ecken des grauen Kastens, ob er auch sicher sei in seinem Versteck.

Der Professor durchmaß in unbeschreiblicher Aufregung das Zimmer.

„Das trotzige, unbeugsame Element in Ihrem Charakter hat mir bereits viel zu schaffen gemacht,“ fuhr er in demselben Ton fort, indem er vor Felicitas stehen blieb, „es zieht mich an und erbittert mich zugleich; in diesem Augenblick jedoch, wo Sie mit rauher Consequenz mir meine Liebe vor die Füße werfen und sich selbst zu einem so unnützen Opfer verurtheilen, fühle ich geradezu eine Art Haß, einen wilden Ingrimm – ich könnte es zertreten! … Ich sehe ein, daß ich für jetzt nicht um einen Schritt weiter mit Ihnen komme – aber Sie aufgeben, daran denkt meine Seele nicht! … Ihre Versicherung, daß Sie mich lieben, ist für mich ein unverbrüchlicher Schwur – Sie werden mir niemals treulos werden, Felicitas!“

„Nein,“ versetzte sie rasch, und wohl gegen ihren Willen brach abermals ein voller Strahl der Liebe aus ihren Augen.

Der Professor legte seine Hand auf den Scheitel des jungen Mädchens, bog ihren Kopf leicht zurück und sah ihr mit einem Gemisch von Schmerz, Groll und Leidenschaft in das Gesicht. … Er schüttelte leise den Kopf, als unter diesem beschwörenden Blick ihre Wimpern sich tief auf die Wangen legten und die Lippen festgeschlossen blieben – ein tiefer Seufzer hob seine Brust.

„Nun, da gehen Sie!“ sagte er gepreßt und tonlos. „Ich willige in eine vorläufige Trennung, aber nur unter der Bedingung, daß ich Sie öfter sehen darf, wo Sie auch sein mögen, und daß ein schriftlicher Verkehr zwischen uns bleibt.“

Sie schalt sich innerlich unsäglich schwach, daß sie ihm zusagend die Hand hinreichte, doch ihm diesen Trost zu nehmen vermochte sie nicht. … Er wandte sich rasch ab, und sie trat hinaus in den Vorsaal.


26.

Draußen streckte sie in namenloser Qual unwillkürlich die Arme gen Himmel. Wie hatte sie gelitten in den letzten Augenblicken, die an Bitterkeit und Schmerzen Alles hinter sich ließen, was dies junge, schwergeprüfte Herz bereits hatte durchkämpfen müssen!

Sie zog wie unbewußt den kleinen Kasten. hervor – das Geheimniß da drinnen zertrümmerte sofort die Schranke, die sich zwischen ihr und dem geliebten Mann aufthürmte, es fiel schwer in die Wagschale ihrer verachteten Herkunft gegenüber – kam der Versucher nochmals über sie? Nein, Tante Cordula, dein Wille soll geschehen, so glänzend auch dies Buch dich rechtfertigt! … Und er? … Ihn wird die Zeit heilen; der Schmerz der Entsagung heiligt die Seele – die Mitwissenschaft eines Verbrechens aber erniedrigt und lähmt sie für immer. … Noch in dieser Stunde sollte dies kleine, unheilvolle Buch zu Asche werden! Felicitas sah noch einmal nach der Thür zurück, hinter welcher sie den Professor rastlos auf- und abgehen hörte, dann glitt sie die Mansardentreppe hinab und öffnete geräuschlos die gemalte Thür.

Den Wanderer, der ahnungslos auf den grauenvollen Leib einer Schlange tritt und plötzlich das furchtbare Haupt der Gereizten vor sich aufbäumen sieht, ihn kann kein größeres Entsetzen packen, als Felicitas in dem Augenblick empfand, wo sie in den Corridor heraustrat. Fünf Finger legten sich mit raschem Griff wie Eisen um ihre Linke, die noch den Kasten hielt, und dicht neben ihrem Gesicht funkelten zwei Augen in einem grünlichen Licht – es waren die süßen, sanften Madonnenaugen der Regierungsräthin.

Das schöne Weib hatte in diesem Moment den bestrickenden Zauber weiblicher Anmuth und Zartheit völlig abgestreift – wie konnten diese rosigen, im Gebet so weich und graciös sich verschlingenden Hände derb und energisch zugreifen und festhalten! Welcher Ausdruck satanischer Bosheit lag in diesem Engelsangesicht und verzerrte die kindlich weichen Linien bis zur Unkenntlichkeit!

„Das trifft sich ja charmant, schöne, stolze Caroline, daß ich Ihnen gerade begegnen muß in dem Augenblick, wo Sie dies allerliebste Schmuckkästchen in Sicherheit bringen wollen!“ rief sie hohnlachend und legte rasch auch noch ihre Linke wie einen Schraubstock auf die Hand des Mädchens, das sich loszureißen suchte. „Haben Sie die Freundlichkeit, diesen unglücklichen, kleinen Verräther da noch ein wenig in der Hand zu behalten – es liegt mir durchaus nicht daran, daß Sie ihn fallen lassen. … Nur noch einen Moment Geduld; ich brauche einen Zeugen, um vor Gericht beweisen zu können, daß ich die Diebin auf frischer That ertappt habe – Johannes, Johannes!“

Wie klang es schrill und kreischend durch den Corridor, das sonst so silberreine, in Erbarmen und christlicher Milde hinschmelzende Organ der jungen Wittwe!

„Ich bitte Sie um Gotteswillen, lassen Sie mich los, gnädige Frau!“ bat Felicitas in Todesangst, während sie mit ihr rang.

„Nicht um die Welt! Er soll sehen, wen er heute an seine Seite gestellt hat. … Es war wohl recht süß, zu hören: ‚Hier ist Ihr Platz‘? Sie glaubten sich am Ziel, Sie ehrlose Kokette, aber ich bin auch noch da!“

Sie wiederholte ihren Hülferuf – es war unnöthig; der Professor kam bereits die Treppe herab und trat in die Thür, zu gleicher Zeit erschien Heinrich am anderen Ende des Corridors.

„Ach, da oben warst Du, Johannes?“ rief die Regierungsräthin. „Ich glaubte Dich hier unten im zweiten Stock. In dem Fall ist ja die Kunst dieser jungen Taschenspielerstochter um so mehr zu bewundern, als sie Dir das Erbtheil der seligen Tante so zu sagen unter der Hand wegescamotirt hat!“

„Bist Du von Sinnen, Adele?“ rief er rasch, die letzte Stufe verlassend, von wo aus er erstaunt die unbegreifliche Scene überblickt hatte.

„Ganz und gar nicht!“ klang es ironisch zurück. „Halte mich nicht für gewaltthätig, lieber Vetter, weil ich nothgedrungen das Amt eines Häschers übernehmen mußte. Aber der Herr Rechtsanwalt Frank verweigerte mir indignirt seine Hülfe bei Entdeckung des Silberdiebes, Du selbst nahmst diese Unschuld hier unter Deine Flügel – was blieb mir da anderes übrig, als eigenmächtig zu handeln? Du siehst diese fünf Finger hier, sie umklammern den Kasten, den sie von da oben herabgetragen haben – diese Thatsache wäre constatirt, und nun wollen wir sehen, was die Elster in ihr Nest tragen wollte!“

Sie riß mit Blitzesschnelle den Kasten aus Felicitas’ Hand. Das junge Mädchen stieß einen Schrei aus und haschte angstvoll nach dem entrissenen Geheimniß, allein die Regierungsräthin flog auflachend mit dem Raub einige Schritte tiefer in den Corridor und hob in fieberhafter Hast den Deckel ab.

„Ein Buch!“ murmelte sie bestürzt – Kasten und Deckel fielen zur Erde. Sie nahm den Einband mit beiden Händen, schüttelte das Buch heftig hin und her und ließ die Blätter von einander klaffen – es sollten und mußten doch wenigstens Banknoten oder Documente, oder irgend etwas Werthvolles herausfallen – nichts von Alledem!

Unterdeß hatte sich Felicitas von ihrem tödtlichen Schrecken erholt. Sie ging der Dame nach und verlangte mit ernsten Worten das Buch zurück; aber bei aller scheinbaren äußeren Ruhe hörte man doch die innere Angst deutlich an ihrer Stimme.

„So – meinen Sie wirklich?“ rief die junge Wittwe hämisch und drehte ihr, das Buch fest an ihre Brust drückend, gewandt den Rücken zu. „Sie sehen mir viel zu ängstlich aus, als daß ich meinen Verdacht sofort aufgeben sollte,“ fuhr sie fort, indem sie den Kopf verächtlich über die Schulter nach dem jungen Mädchen zurückbog. „Irgend eine Bewandtniß muß es mit dieser Geheimthuerei haben – lassen Sie uns einmal sehen, meine Kleine!“

Sie schlug das Buch auf – es waren keine Banknoten, keine Kostbarkeiten, die auf dem gelb gewordenen Blatt da lagen – nur Worte, zart und anmuthig geschriebene Worte; aber wenn plötzlich aus diesem häßlichen Büchlein ein Dolch nach der Brust der jungen Wittwe gezückt worden wäre, sie hätte nicht entsetzter und fassungsloser zurückschrecken können, als bei dem augenblicklichen Ueberfliegen dieser so harmlos aussehenden, über die aufgeschlagene Seite hingestreuten kleinen Worte! Das rosige Gesicht wurde weiß bis in die Lippen, sie legte instinctmäßig die [548] Hand bedeckend über die stieren Augen, und die üppige Gestalt sah für einen Moment aus, als bedürfe sie einer Stütze, um nicht zusammenzubrechen.

Aber diese junge Frau hatte sich ja zeitlebens in der Selbstbeherrschung vor Zeugen geübt, um des Nimbus der Gottseligkeit willen. Sie hatte gelernt, die Augen fromm und madonnenhaft zum Himmel aufzuschlagen, ob auch ihr Herz in Groll und Galle schwoll; sie konnte mit tiefer Inbrunst einer Predigt zuhören, während ihre Seele bei einer neuen Toilette verweilte; sie sprach, wo sie konnte, empört und mit dem Roth der Entrüstung auf den Wangen über das sündhafte Treiben der Welt, über den nicht zu verzeihenden Mangel an Bibellesen und las heimlich die schlüpfrigsten französischen Romane.

Diese unglaubliche Biegsamkeit und Elasticität ihres äußeren Menschen hatte sich in entscheidenden Momenten stets bewährt, und auch jetzt bedurfte es kaum einiger Secunden, um ihr die vollständige Fassung zurückzugeben. Sie schlug das Buch zu und ein vortrefflich gelungener Zug der Enttäuschung spielte um ihre blassen Lippen.

„Es ist wirklich eine elende, alte Scharteke!“ rief sie nach dem Professor hinüber, während sie wie in halber Zerstreutheit das Buch in ihre Tasche schob. „Ich finde es sehr albern von Ihnen, Caroline, daß Sie um dieser Lappalie willen einen solchen Lärm veranlassen!“

Sie hat diesen Lärm veranlaßt?“ frug der Professor rasch hinzutretend – er bebte vor innerer Aufregung. „Ich glaubte, Du habest mich zu Hülfe gerufen, um dieses junge Mädchen vor Zeugen des Silberdiebstahls zu überführen! … Willst Du wohl die Gewogenheit haben, Deine nichtswürdige Anschuldigung hier auf dieser Stelle zu motiviren?“

„Du siehst, daß ich augenblicklich außer Stande bin –“

„Augenblicklich?“ unterbrach er sie heftig. „Du wirst dies kränkende Wort zurücknehmen und der Beleidigten in meiner und Heinrich’s Gegenwart sofort volle Satisfaction geben!“

„Mit tausend Freuden, lieber Johannes! Es ist ja Christenpflicht, einen Irrthum zu bekennen und gut zu machen… Meine beste Caroline, verzeihen Sie mir, ich habe Ihnen Unrecht gethan!“

„Und nun gieb das Buch zurück!“ befahl der Professor kurz und unerbittlich weiter.

„Das Buch?“ frug sie mit ihrer völlig wiedergewonnenen, kindlich unschuldigen Miene. „Ach, liebster Johannes, es gehört ja gar nicht der Caroline.“

„Wer sagt Dir denn das?“

„Nun, ich habe flüchtig den Namen der alten Tante Cordula darin gelesen! … Wenn Jemand darüber zu verfügen hat, so bist Du es, als Erbe ihrer Mobilien und Bücher… Es hat an sich offenbar nicht den geringsten materiellen Werth – wie es scheint, ist es eine Abschrift alter Dichtungen… Was wolltest Du mit dem sentimentalen Zeug anfangen? Aber ich bin eine Freundin solcher alten, vergilbten Bücher – für mich ist es trotz seiner Unsauberkeit und Plumpheit eine Art Cabinetstück… Bitte, schenke es mir!“

„Vielleicht, nachdem ich’s gesehen haben werde,“ versetzte er kalt und achselzuckend und streckte die Hand aus, um das Buch in Empfang zu nehmen.

„Aber es würde ja dadurch gerade einen erhöhten Werth für mich erhalten, wenn Du es mir unbesehen überlassen wolltest,“ bat sie mit lieblich schmeichelnder Stimme weiter. „Müßte ich nicht denken, Du hättest materielle Rücksichten bei diesem ersten und einzigen Geschenk, um das ich Dich bitte?“

Eine dicke Zornader schwoll auf der Stirn des Professors. „Ich erkläre Dir hiermit, daß es mir sehr gleichgültig ist, wie Du über dieses mein Verhalten denkst,“ sagte er schneidend. … „Ich verlange unter allen Umständen das Buch zurück. … Du bist mir sehr verdächtig! Die Abschrift irgend einer alten, sentimentalen Dichtung kann unmöglich die ‚vollendete Weltdame‘ plötzlich so schreckensbleich gemacht haben.“

Mit diesen Worten vertrat er der Regierungsräthin den Weg; ihr ungewisser Blick, der mit Blitzesschnelle die Länge des Corridors durchmaß, und eine rasche Bewegung verriethen unwiderleglich, daß sie das Weite suchen wolle. Der Professor ergriff ihre Hand und hielt sie fest.

Felicitas gerieth außer sich bei dem Gedanken, daß er seine Absicht erreichen werde. Es war ihr schrecklich, das Buch im Besitz der abscheulichen Heuchlerin zu wissen, aber sie mußte sich selbst sagen, daß es dort so sicher sei wie in ihren Händen und jedenfalls heute noch für immer spurlos verschwinden werde. Sie stellte sich deshalb an die Seite der Regierungsräthin, um ihr die Flucht zu erleichtern.

„Ich bitte, Herr Professor, lassen Sie der gnädigen Frau das Buch!“ bat sie so ernst und ruhig, als es ihr in diesem kritischen Moment möglich war. „Sie wird sich beim Lesen desselben völlig überzeugen, daß es voreilig war, irgend eine Kostbarkeit in dem kleinen Kasten zu vermuthen.“

Der erste mißtrauische Blick fiel aus den stahlgrauen Augen auf ihr Gesicht – es war, als träfe sie ein Messerstich; sie wurde flammendroth und schlug die Augen nieder.

„Also auch Sie lassen sich zu einer Bitte herbei?“ fragte er scharf und sarkastisch. „Da handelt es sich ganz gewiß um mehr, als um ‚sentimentales Zeug‘! … Zudem erinnere ich mich, daß meine Cousine vorhin behauptete, Sie sähen sehr ängstlich aus, und ich gestehe, daß ich dieselbe Bemerkung gemacht habe. … Ich frage Sie jetzt auch auf’s Gewissen: Was enthält das Buch?“

Das war ein entsetzlicher Moment. Felicitas rang mit sich selbst; sie öffnete die Lippen, aber kein Laut wurde hörbar.

„Bemühen Sie sich nicht!“ sagte er ironisch lächelnd zu dem jungen Mädchen, während er die Hand der Regierungsräthin fester zusammenpreßte, da sie verschiedene Manipulationen machte, um sich allmählich loszuwinden. „Sie können mitleidslos, rauh und entsetzlich aufrichtig sein, aber lügen können Sie nicht. … Das Buch enthält also keine Dichtungen, sondern irgend eine Wahrheit, eine Thatsache, die ich um keinen Preis wissen soll. … Wirst Du endlich die Freundlichkeit haben, Adele, mir mein Eigenthum, wie Du es selbst genannt hast, herauszugeben?“

„Mache mit mir, was Du willst, aber bekommen wirst Du es nie!“ rief mit verzweiflungsvoller Entschiedenheit die Regierungsräthin, die in ihrer Angst gänzlich aus der Rolle des harmlos bittenden Kindes fiel. Sie machte abermals verzweifelte Anstrengungen, sich loszureißen, und es gelang – sie floh wie gejagt; aber da stand Heinrich mit ausgespreiteten Armen und Beinen wie eine Mauer und füllte den schmalen Corridor völlig aus. Sie prallte zurück. „Unverschämter Mensch, gehen Sie mir aus dem Wege!“ schrie sie auf und stampfte außer sich mit dem Fuße.

„Ja wohl, gleich, gnädige Frau Regierungsräthin,“ entgegnete er ruhig und höflich, ohne jedoch im Geringsten seine Stellung zu verändern; „geben Sie nur erst das Büchelchen her, nachher will ich schon gern auf die Seite treten!“

„Heinrich!“ rief Felicitas herbeispringend; sie rüttelte verzweiflungsvoll an seinem Arme. „Ach, das hilft Dir nichts, Fee’chen!“ schmunzelte er, als seine alten Knochen unter den ohnmächtigen Anstrengungen des jungen Mädchens eisenfest verharrten. „Ich bin nicht so auf den Kopf gefallen, wie Du denkst – Du möchtest aus purer Gutmüthigkeit gern einen dummen Streich machen, und das leide ich nicht!“

„Laß die Dame vorüber, Heinrich!“ gebot der Professor ernst. „Aber hiermit sollst Du wissen, Adele, daß ich ohne Weiteres den einzigen Weg einschlagen werde, der mir zu meinem Eigenthum verhilft! Es kann mir Niemand verwehren, anzunehmen, daß dies Buch wichtige Enthüllungen über den Nachlaß der Tante enthält – möglicherweise giebt es Aufschluß über verborgene Gelder“ –

„Nein, nein!“ betheuerte Felicitas, ihn unterbrechend.

„Es ist meine Sache, zu denken, was ich will!“ versetzte er streng und unerbittlich, „und Sie sowohl wie Heinrich werden mir vor Gericht bezeugen, daß diese Dame hier ein vielleicht sehr bedeutendes Erbtheil meiner Familie unterschlagen hat.“

Die Regierungsräthin fuhr empor, als habe sie eine Natter gebissen. Sie warf einen wilden Blick auf ihren unbeugsamen Peiniger, und jetzt kam die rasende Leidenschaftlichkeit über sie, mit der sie Taschentücher zerriß und Tassen zerschmetterte. Sie riß das Buch aus der Tasche und warf es ihm unter gellendem Hohngelächter vor die Füße.

„Da nimm es, Du eigensinniger Thor!“ rief sie, und ihr ganzer Körper bebte, als schüttele sie ein Krampf. „Ich gratulire Dir zu der vortrefflichen Acquisition! … Trage die Schande, von der es Dir erzählen wird, mit Würde!“

Sie flog durch den Corridor, die Treppe hinab und warf unten die Zimmerthüre schmetternd in das Schloß.

(Fortsetzung folgt.)
[549]
Illustrirte Volkspoesie.


Von den deutschen Volksliedern hat der schwäbische Dichter Georg Scherer vor einigen Jahren die schönsten zu einem durch Bild und Liederweisen bereicherten Strauß zusammengebunden,

Thüringer Volkslied.
„Ach, wie wär’s möglich dann, daß ich dich lassen kann“.

von welchem so eben eine zweite um vierzehn Nummern vermehrte Auflage bei Alphons Dürr in Leipzig erscheint. Die Auswahl der Lieder ist eine gelungene, wir vermissen von unseren beliebtesten Volksliedern keines; die Illustration bietet achtundsechszig Holzschnitte nach Originalzeichnungen von J. Grünewald, Andr. Müller, Carl Piloty, A. Romberg, L. Richter, M. von Schwind, Thumann und Alex. Strähuber; die vierstimmige Bearbeitung der Melodien hat K. M. Kunz besorgt. Unter den zum größten Theil recht hübschen und sinnigen Bildchen haben wir drei besondere Lieblinge. Dem Geist des herzigen Thüringer Volksliedes „Ach, wie wär’s möglich dann, daß ich dich lassen kann“ unübertrefflich abgelauscht ist das Mädchen voll „treuer Liebe“, das, an den Tisch am Waldabhang gelehnt, sehnsüchtig in die Ferne blickt. Piloty hat’s gezeichnet.

Das zweite unserer Leibstückchen, des Schneiders Höllenfahrt, von L. Richter, ist ein Bildchen von urkomischer Wirkung. Auf den Befehl eines Teufels:

„Hehe, du Schneiderg’sell,
Du mußt mit mir in d’Höll,
Du mußt uns Teufel kleiden,
Es gehe wie es wöll’!“

kommt der Wanderbursch mit Scheere und Elle in die Unterwelt und beginnt hier unsäglichen Unfug. Erst prügelt er alle Teufel

Schneiders Höllenfahrt.
„Es wollt’ ein Schneider wandern“.

mit seinem „Ellenstab“ durch, dann stutzt er ihnen „d’Schwänzeln“ ab, bügelt ihnen die Falten aus, sticht sie mit den Pfriemen in die Köpfe, näht ihnen die Nasen zu und schneidet ihnen schließlich die Ohren ab. Das Lied beschreibt dies Alles gar rührend, z. B.

Da zog er’s Bügeleisen ‘raus
Und warf’s in’s Höllenfeu’r;
Er streicht den Teufeln die Falten aus,
Sie schrieen ungeheu’r.
„Hehe, du Schneiderg’sell,
Geh du nur aus der Höll’!
Wir brauchen nicht das Bügeln,
Es geh’ halt wie es wöll’.“

Regt sich nicht unser Mitgefühl für die gutmüthigen dummen Teufel? Was sagen die zelotischen Vertheidiger des Teufelglaubens zu dieser ihrer Abfertigung durch den Volkswitz? – Aber weiter im Lied:

Er nahm den Pfriemen aus dem Sack
Und stach sie in die Köpf’;
Er sagt: „Halt still, ich bin schon da:
So setzt man bei uns die Knöpf’.“
„Hehe, du Schneiderg’sell,
Geh einmal aus der Höll’!
Wir brauchen keine Kleider,
Es gehe wie es wöll’.“

Drauf nahm er Nadel und Fingerhut
Und fängt zu stechen an;
Er näht den Teufeln d’ Nasen zu,
So eng er immer kann.
„Hehe, du Schneidergs’ell,
Pack dich nur aus der Höll’!
Wir können nimmer schnaufen,
Es geh’ nun wie es wöll’.“

Darauf fängt er zu schneiden an,
Das Ding hat ziemlich brennt,
Er hat den Teufeln mit Gewalt
Die Ohren abgetrennt.
„Hehe, du Schneiderg’sell,
Marschir nur aus der Höll’!
Sonst brauchen wir den Bader,
Es geh’ nun wie es wöll’.“

Und da sitzt nun der Herr Lucifer auf seinem Thron, aus einer türkischen Pfeife rauchend und trägt seinen stattlichen Schwanz über den rechten Arm gelegt, wie ein Küster seinen Mantelflügel, und vor ihm stehen die heulenden Teufel und zeigen ihm ihre abgeschnittenen Schwänze, während das Schneiderlein einem uralten Teufel noch den Wedel stutzt. Da wird’s endlich ihm doch zu toll, denn

„Nach diesem kam der Lucifer
Und sagt: „Es ist ein Graus!
Kein Teufel hat kein Schwänzerl mehr!
Jagt ihn zur Höll’ hinaus!“

Das geschieht, und dabei erfahren wir die Nutzanwendung der Begebenheit, die wir verschweigen; aber das Schneiderlein

„ging eilends aus der Höll’
Und blieb ein Schneiderg’sell. –“

Ein Stück reine liebe Natur ist Paul Thumann’s „lustiger Fuhrmannsbue“, der auf dem Treppengeländer des Wirthshauses sitzend, die Peitsche in der Linken, den Maßkrug in der Rechten, der schmucken Kellnerin, die ihm „den Hut außi tragen hat“, sein Fuhrmannslied vorsingt. Man sieht wie Recht das Lied hat:

„B’hüt di Gott, Kellnerin, auf’s nächste Mal!“
„B’hüt di Gott, du herzlieber Bue!
Bleib fein net gar z’lang aus,
Kehr fein bald wiederum zue!“



[550]
Aus deutschen Gerichtssälen.
3. Nach acht Jahren.


Die Gartenlaube, welche sich die Aufgabe gestellt hat, das gesammte Gebiet des Familien-, des öffentlichen und des Volkslebens in das Bereich ihrer Darstellungen und Belehrungen zu ziehen, hat die Pflicht, auch solchen Mittheilungen nicht aus dem Wege zu gehen, denen man vielleicht versucht sein könnte, ausschließlich in den Gerichtszeitungen ihren Platz anzuweisen. Dieses Motiv allein hat uns bestimmen können, im Verfolg unserer Veröffentlichungen „aus deutschen Gerichtssälen“ mit der nachstehenden Erzählung an eine allerdings sehr delicate Frage heranzutreten, weil uns bei der Wichtigkeit des Falles, bei seinem Eingreifen in die zartesten Beziehungen des Familienlebens, bei seiner Bedeutung für Glück oder Unglück weiterer Kreise zwingend geboten schien, jener höheren Pflicht die Rücksicht auf das von uns sonst mit emsiger Sorgfalt gewahrte conventionelle Herkommen einmal zum Opfer zu bringen. Wir sind keinen Augenblick in Zweifel, daß uns die gereifte Anschauung und das unbefangene Urtheil unserer Leser für die Mittheilung des höchst interessanten und ergreifenden Rechtsfalles, wie ihn ein höherer preußischer Justizbeamter aus seiner eigenen amtlichen Erfahrung aufzeichnet, nur Dank wissen, in keinem Falle aber der Gartenlaube die allen ihren Artikeln fernliegende Absicht beimessen werde, nur müßiger Neugier eine pikante Unterhaltung bereiten zu wollen.


Es war ein prächtiges Paar, Beide echte Kinder Schlesiens. Er, der Schulzensohn, ein stämmiger, dunkeläugiger Bursch von neunzehn Jahren mit Zügen, in denen Offenheit, Freundlichkeit und Intelligenz eine schöne Mischung bildeten; sie, des reichen Wassermüllers einzige Tochter, ein blondes herziges Mädchen, das, Jungfrau in seiner ganzen Erscheinung, mit seinen runden blauen Augen so kindlich-heiter in die Welt schaute, als gäbe es nichts Böses darin, und dessen Gesichtsausdruck durch den mit dem Auge contrastirenden schwermüthigen Zug um den feinen Mund einen eigenthümlichen Reiz erhielt.

Sie waren für einander bestimmt. Als dem Wassermüller nach mehrjähriger kinderloser Ehe das Töchterchen geboren und von dem bewährten Freunde, dem Schulzen, aus der Taufe gehoben worden war, trat der Müller noch in der Kirche an ihn heran und sagte, indem er auf den damals fünfjährigen Knaben des Schulzen hinwies:

„Höre, Nachbar, die Anna soll für den Joseph sein, wenn sie mir Gott am Leben läßt und sie ein schmuckes Mädchen wird. Schulzenhof und Mühle sollen dann ein Gut werden, wie es meilenweit in der Runde kein zweites giebt. Bist Du’s zufrieden, so schlag’ ein!“

Und der Schulze legte seine Hand gewichtig in die des Müllers und erwiderte:

„Der liebe Gott hat uns Beiden nur ein Kind geschenkt. Wenn es dabei bleibt und der Joseph und die Anna sich lieb gewinnen, so werde ich es mit Freuden sehen, wenn sie ein Paar werden und dereinst unsere Höfe vereinigen. Die Sache ist ein für allemal abgemacht.“

Die Voraussetzungen des Schulzen verwirklichten sich. Beide Kinder blieben ohne Geschwister und fingen um so eher an, sich bald als solche zu betrachten, als sie der sich immer herzlicher gestaltende Verkehr der Eltern häufig zusammen führte und nicht allein die exclusive Stellung der Letzteren als reichste Grundbesitzer im Orte, sondern auch die Entfernung der in diesem Landestheile weit von einander liegenden Bauerhöfe ihren Verkehr mit andern Kindern erschwerte. Sehr bald wurde die kleine Anna der Schützling ihres prädestinirten Gatten und dieser erfüllte in dem stolzen Gefühl seiner Superiorität treulich alle Pflichten des Ritters in schweren Kämpfen mit den bissigen Dorfhunden oder dem durch das rothe Kleidchen des Kindes zur Wuth gereizten Truthahn. Anna war aber auch ein dankbares Schwesterchen. Kein guter Bissen wurde im Mühlhofe gebacken oder gekocht, von dem sie nicht mit echt weiblicher Selbstverleugnung dem Joseph einen reichlichen Antheil überbrachte, und wenigstens einige auf dem Wege zum Schulzenhofe gepflückte Feldblumen mußten Zeugniß ablegen für die freundliche Gesinnung, die sie in ihrem kleinen Herzen für den lieben Gespielen hegte.

Die beiderseitigen Eltern freuten sich innig darüber, daß die Kinder ihren Absichten so zwanglos entgegen kamen und daß sich deren Zuneigung von Tag zu Tag steigerte. Auch die Zeit, in welcher beide Kinder die Schule besuchten und durch besonderen Unterricht bei dem schon erwähnten Geistlichen eine über ihre künftige Lebensstellung weit hinausreichende Ausbildung erhielten, störte ihren innigen Verkehr nicht. Sahen sie sich jetzt auch nicht so häufig, wie früher, und waren es nicht mehr die kindlichen Spiele allein, in denen die Regungen ihrer Herzen sich begegneten, so wurde es ihnen ein angenehmes Bedürfniß, ihre Kenntnisse durch gegenseitigen Austausch des Erlernten zu befestigen und zu erweitern. Beide lebten sich immer mehr Eins in das Andere hinein, und als am Tage, da Joseph confirmirt wurde, der Geistliche nicht blos ihm den Segen ertheilte, sondern – wie zufällig – die Hand auch auf das lockige Haupt des Mädchens legte, das sich, um jeden Moment der heiligen Handlung zu erfassen, dicht an den Jugendgespielen herangedrängt hatte, da erschien dieser Umstand den beiden Vätern wie eine höhere Bestätigung ihrer getroffenen Verabredung und sie bekräftigten diese auf’s Neue durch Wort und Handschlag.

Anna entwickelte sich auffallend schnell. Sie hatte das dreizehnte Jahr kaum überschritten, als der Hauch der Jungfräulichkeit sich auf ihre anmuthigen Züge legte und die Beweglichkeit und Unbefangenheit des Kindes der Ruhe und dem sinnenden Ernst des Weibes wich. Ihr Verhalten gegen Joseph änderte sich, weil sie sich nach und nach eines andern, tieferen Gefühls, als das der Freundschaft, für ihn bewußt wurde. Ihre Liebe zu ihm ließ sie in seiner Gegenwart scheu und schweigsam erscheinen und eine geraume Zeit konnte man glauben, daß sie jedes Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden suche. Joseph empfand Aehnliches. Er, der offene, brave Junge, wurde ebenfalls schweigsam und verschlossen und fühlte sich in seinem achtzehnten Lebensjahre unbeholfener und gedrückter, als jemals, wenn er mit ihr verkehrte. Er fand niemals das richtige Wort, wenn er mit ihr sprach, und wenn er ihr gar einmal längere Zeit in die tiefblauen Augen sah, so schien es ihm immer, als ob alle Gegenstände eine kreisende Bewegung um ihn annähmen und sein Denkvermögen plötzlich paralysirt sei. Er ärgerte sich über sich selbst, er ärgerte sich aber auch über die Anna, weil sie ihm nicht mehr, wie früher, zu Hülfe kam. Nichtsdestoweniger zog es ihn immer und immer wieder zu ihr und im Geheimen befriedigte er mit innigem Behagen jeden Wunsch des Mädchens, der zu seiner Kenntniß gekommen war, oder suchte ihr unbemerkt jene kleinen Aufmerksamkeiten zu erweisen, die ein wesentliches Kennzeichen der Liebe bleiben, mag sie in der Hütte des Bauern oder in den Salons der Fürsten ihre duftenden Blüthen treiben.

„Wäre es nicht gut,“ sagte eines Tages die Schulzenfrau zu ihrem Manne, „wenn Du den Joseph jetzt zum Schwager schicktest, wie Du es beabsichtigst, und ihn zwei oder drei Jahre dort ließest, um sich so recht in der Landwirthschaft zu vervollkommnen?“

„Warum schon jetzt?“ fragte der Schulze, dem das veränderte Verhalten des Sohnes zwar nicht entgangen war, der sich aber über die Ursache nicht weiter Sorge gemacht hatte. „Joseph sollte ja bis zum zwanzigsten Jahre hier bleiben.“

„Weil’s nicht taugt, wenn ein neunzehnjähriger Bursche und ein Mädchen von vierzehn Jahren, das für achtzehn gelten kann, fast täglich mit einander verkehren. Die Gevatter Müllerin hält’s auch nicht für gut.“

„Unsinn!“ polterte der Schulze. „Ich hoffe doch nicht, daß die Frau Gevatterin an meines Jungen Rechtschaffenheit zweifelt?“

„So wenig als ich an dem tugendhaften und ehrbaren Sinn der Anna,“ erwiderte die Frau mit dem Gefühl begründeten Mutterstolzes. „Aber,“ fügte sie weich hinzu, „wie brav und rechtschaffen wir auch sein mögen, wir beten doch täglich: Führe uns nicht in Versuchung! und hoffen auf Erhörung. Und da dächte ich, wir müßten für unser eigen Fleisch und Blut die Versuchung zu allererst aus dem Wege räumen.“

Der Schulze sah sie einige Augenblicke nachdenklich an. Dann ging er auf sie zu, klopfte sie herzlich auf die Schulter und mit den Worten: „Du hast Recht, Alte!“ verließ er das Zimmer. Bald darauf sah man ihn im Sonntagsrock mit den silbernen [551] Knöpfen, – ein Zeichen, daß es sich um etwas Wichtiges handle, – dem Mühlhof zuschreiten, und als er nach einigen Stunden zurückkehrte, lächelte er so pfiffig, als ob er in irgend einer diplomatischen Mission die glänzendsten Erfolge davon getragen hätte.

„Vor Pfingsten,“ begann er zu seiner Frau, „kann der Schwager den Joseph nicht aufnehmen und bis dahin muß er also noch hier bleiben. Damit aber die Sache völlig in Ordnung gebracht wird, so habe ich mit dem Gevatter verabredet, daß wir, nachdem Anna am Palmsonntag eingesegnet ist, die Kinder zu Ostern feierlich zusammen geben. Am Pfingstmontag, dem vierzehnten Geburtstag der Anna, packst Du die Sachen des Jungen, und Tags darauf fahre ich selbst ihn zum Schwager, bei dem er drei Jahre bleibt. Nur zum Weihnachtsfest lasse ich ihn immer auf einige Wochen zurückkehren. Nach Ablauf der drei Jahre, – und bis dahin werden wir für ein kleines Besitzthum gesorgt haben – soll die Hochzeit sein. Ist’s so recht, Mütterchen?“

Die Schulzenfrau drückte ihrem Manne dankend die Hand, und der Abrede gemäß fand am Ostersonntag die Verlobung des jugendlichen Paares bei einem festlichen Mahle auf dem Mühlhofe statt. Joseph strahlte vor Glück und Wonne, als Anna in Gegenwart des würdigen Geistlichen seine Versicherung, daß er sie über Alles lieb habe, freudig erröthend erwiderte. Das Gefühl, daß nun ein zweites Wesen ihm für sein ganzes Leben anvertraut sei, ließ ihn in seiner Haltung alsbald einen Ernst und ein Selbstbewußtsein an den Tag legen, das einen fast komischen Gegensatz zu seiner bisherigen Befangenheit und Unsicherheit bildete. Anna dagegen, so innig sie auch den Jugendgespielen liebte, war um so reizender durch die jungfräuliche Schüchternheit, die sie ihm gegenüber auch jetzt noch bewahrte und mit der sie, wie mit einem rosigen Schleier, die Regungen ihres Herzens verhüllte.

So kam der Pfingstsonntag heran, der vorletzte Tag, welchen das junge Paar vor seiner dreijährigen Trennung gemeinsam verleben durfte. Schon am Morgen war Joseph in den Mühlhof geeilt und hatte seiner Braut, die, ein überaus liebliches Bild im Doppelschmuck des Festes und der Jugend, ihm entgegen kam, als vorläufige Geburtstagsgabe ein kleines goldenes Kreuz um den Hals gelegt, damit sie in ihrem Gebete immer seiner gedenke. Natürlich blieben Beide beisammen. Sie besuchten gemeinschaftlich den Gottesdienst, gingen dann in den Schulzenhof, unterstützten Joseph’s Mutter in den Vorbereitungen zur Reise und kehrten erst Nachmittags, gefolgt von dem Schulzenpaar, in den Mühlhof zurück, um bei einem solennen Mahle im Kreise der Familie, das am nächsten Tage im Schulzenhofe wiederholt werden sollte, ebenso sehr Anna’s Geburtstag vorzufeiern wie den Schmerz über die bevorstehende Trennung zu lindern. Die Müllerin schien anzunehmen, daß dieser Doppelzweck am besten durch eine überreich besetzte Tafel erreicht werde, und ihr anderes Ich, offenbar von gleicher Ueberzeugung durchdrungen, hatte nicht nur für das gewöhnliche Getränk an Festtagen, einen etwas säuerlichen Landwein, ausreichend gesorgt, sondern sogar mehrere Flaschen spanischen Weins, das bis dahin sorgfältig aufbewahrte Geschenk eines Verwandten, freigebig zum Opfer gebracht.

Der Abend dämmerte, als Joseph und Anna das Zimmer verließen, in welchem die Alten heiter plaudernd zurückblieben. Hand in Hand gingen sie, während die Sonne den fernen Bergen zueilte und die wunderbarsten Farbentöne hervorrief, auf einem Feldrain einem Buchengehölz zu, das, in einiger Entfernung auf einer Anhöhe gelegen, eine weite und herrliche Rundschau gestattete. Beide waren erregt; der feurige Südwein hatte seine Wirkung nicht verfehlt. In dem sonst so ruhigen und besonnenen jungen Manne hatte er eine leidenschaftliche Stimmung erzeugt, und auch Anna fühlte sich heute zum ersten Male dem Geliebten gegenüber weniger schüchtern, als bisher. Mit jedem Schritte, den sie weiter hineinthaten in die in vollstem Frühlingsschmucke prangende Natur, klopften ihre Herzen ungestümer. Immer stürmischer preßte Joseph die Geliebte an die Brust und als sie, auf der Anhöhe angelangt, sich an einem Hage wilder Rosen niedergelassen hatten, drückte er glühende Küsse auf Anna’s Mund, die endlich ebenso heiße Erwiderung fanden. In ihrem Liebesrausche entschwand den Beiden die Wirklichkeit um sie her … und, eine Thräne im Auge, verhüllte der Engel der Unschuld sein Antlitz und trug die Sünde in das große Schuldbuch ein, das uns einst vorgelegt werden wird an dem Tage, da wir gewogen werden mit der Wage der Gerechtigkeit. –


Etwa acht Jahre waren vergangen, als eines Montags die Stadt .……hausen in ungewöhnlichem Maße von Landleuten besucht war, welche das Gerichtsgebäude umstanden und dem Verlauf der bei verschlossenen Thüren geführten schwurgerichtlichen Verhandlung mit einer fast fieberhaften Spannung entgegen sahen. Es waren sämmtliche Bewohner des Dorfes, in welchem Joseph seit zwei Jahren das Schulzenamt bekleidete, nachdem sein Vater plötzlich gestorben und ihm, als dem begütertsten, rechtschaffensten und intelligentesten Hofbesitzer, durch einstimmigen Beschluß der Gemeine der Schulzenstab übergeben worden war. Die Ortschaft hatte ihre Wahl nicht zu bereuen. Der junge Schulze zeigte in seinem Amte dieselbe Umsicht und Energie wie sein Vater, aber die ihm eigenthümliche Milde und Freundlichkeit gewannen ihm in noch höherem Grade die Herzen Aller. Dazu kam, daß Anna, mit der er seit vier Jahren in der glücklichsten und durch zwei prächtige Kinder gesegneten Ehe lebte, als Schulzenfrau sich für die Freundin und Helferin aller Leidenden und Bedrängten im Orte ansah und bald nach dem Amtsantritt ihres Gatten auf dem Mühlhofe unter besonderer Obhut ihrer dort von einem reichlichen Altentheile zehrenden Eltern ein kleines Wohlthätigkeitsinstitut errichtete, das Hospital, Apotheke, Garküche und eine in Nothständen immer offene Darlehenscasse in sich vereinigte. Es war ein rührendes Bild, die junge hübsche Frau dort in ihrer sanften und bescheidenen Weise die Werke der Barmherzigkeit üben zu sehen, und es konnte nicht fehlen, daß die fast an Verehrung grenzende Liebe, mit welcher die ganze Gemeine ihr zugethan war, auf Joseph, der sie übrigens nach Kräften in ihrem menschenfreundlichen Wirken unterstützte, übertragen wurde.

So durfte es nicht befremden, daß von allen Seiten der lebhafteste Antheil genommen wurde, als etwa drei Monate vor der heutigen Gerichtsverhandlung eine Allen unbegreifliche Aenderung in dem Wesen des Schulzen sich bemerkbar machte. Sie fiel zusammen mit der mehrtägigen Anwesenheit eines jener nichtsnutzigen Winkelschreiber, die das Land häufig durchzogen, um in der Verhetzung der ärmern und namentlich auch der dienenden Classe gegen die Begüterten ihren unsaubern Gewinn zu suchen, und mit dem plötzlichen Verschwinden eines Knechts vom Schulzenhofe, der als Waise von Joseph’s Vater auf das Gut genommen und dort dreißig Jahre lang mit Wohlthaten überhäuft worden war, obwohl sein Verhalten oft ernstliche Rügen und Strafen nothwendig gemacht hatte. Man hatte den Knecht in häufigem Verkehr mit dem Winkelconsulenten gesehen und es war auch nicht unbemerkt geblieben, daß er diesen, als ihn der Schulze unter Androhung sofortiger Einsperrung aus dem Orte verwies, bis in’s Buchenwäldchen begleitet hatte und dort längere Zeit mit ihm zusammen geblieben war. Wie mit Einem Schlage war kurze Zeit darauf nach dem Eintreffen einer gerichtlichen Vorladung aus dem frohen, glücklichen Joseph ein verschlossener und unzugänglicher Mensch geworden, dessen Lebenskraft versiecht zu sein schien und der finster vor sich hinbrütend die Tage in seinem Zimmer zubrachte. Alle Ansprache naher Freunde, die dringenden Bitten seiner Angehörigen und selbst die heißen Thränen Anna’s vermochten ihn ebenso wenig seiner trübsinnigen Stimmung zu entreißen, als ihm die Ursache derselben zu entlocken. „Laßt mich, laßt mich,“ war seine einzige Antwort, „Gott wird noch Alles zum Besten wenden!“ Weder seine Wirthschaft noch sein Amt interessirten ihn mehr. Zuweilen fuhr er in die Stadt, aber während Anna hoffte, daß er erheitert oder wenigstens freundlicher von dort zurückkehren würde, zeigte er sich nach der Heimkehr noch finsterer und einsilbiger. Der ganze Hof schien nach und nach wie unter einem schweren Banne zu liegen. Anna’s Züge wurden täglich kummervoller, das frische Roth ihrer Wangen schwand dahin und das fröhliche Lachen und Jauchzen der Kinder verstummte endlich auch, als sie die Augen der Mutter immer von Thränen umflort sahen.

Am Tage vor der Gerichtssitzung traf ein berühmter Advocat im Dorfe ein und stieg beim Schulzen ab. Beide schlossen sich ein und conferirten mehrere Stunden lang. Anna, deren Kräfte die andauernde Spannung kaum noch ertrugen, horchte athemlos an der Thür, aber die Unterredung wurde so leise geführt, daß sie nur dann und wann ein heftig gesprochenes Wort ihres Gatten erhaschte, ohne in den Zusammenhang eindringen zu können. Nachmittags sah man Joseph am Arme des Rechtsgelehrten dem Buchengehölz zuschreiten und längere Zeit an dem inzwischen üppig fortgewucherten Rosenhag verweilen. Als sie zurückkehrten und Joseph [552] den Befehl zum Anspannen gab, war er noch blasser als bisher. Er küßte Weib und Kinder innig, als ob es sich um ein Lebewohl für ewig handle, allein vergeblich erwartete Anna ein Wort von ihm zu hören. Er vermochte nicht zu sprechen, die Erregung seiner Seele war zu mächtig. Er vergaß selbst zu sagen, daß er über Nacht fortbleiben werde. Noch ein wehmüthiger Blick auf das geliebte Weib – dann bestieg er mit seinem Rechtsbeistande den Wagen, drückte das Gesicht in beide Hände, und einige Augenblicke später sah ihn Anna in dem nahen Hohlwege verschwinden. –

„Gerichtsdiener, rufen Sie den Schulzen Joseph .… aus ..…dorf auf und führen Sie ihn auf die Anklagebank!“ befahl am nächsten Morgen der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes, ein würdiger Herr mit grauem Haar und wohlwollenden Zügen, nachdem die Geschworenen sich versammelt hatten und durch eine ernste Ansprache auf die Pflichten ihres Berufes hingewiesen worden waren.

Fast wankenden Schrittes erschien Joseph, geführt von dem Advocaten, der sich dem Gerichtshofe als Vertheidiger vorstellte, in dem einfach und angemessen decorirten Gerichtssaal. „Muth, Muth, junger Freund!“ flüsterte ihm sein Begleiter zu, als Joseph unwillkürlich vor dem Eintritt in das Gitter, welches die Anklagebank einschließt, zurückschreckte. „Der Platz auf dieser Bank schändet nicht, es hat schon mancher brave Mann darauf gesessen.“

Joseph sammelte seine Kräfte energisch und von diesem Augenblicke an, wo das furchtbare Geschick, das so lange auf ihm gelastet und jede Lebensregung seiner Brust erstickt hatte, der Katastrophe zueilte, gewann er, wie es eine Eigenthümlichkeit starker Naturen im Moment der äußersten Gefahr ist, seine volle männliche Festigkeit wieder. Er trat ohne Weiteres in den ihm angewiesenen Raum, bezeigte dem Gerichtshofe durch eine Verbeugung seine Ehrerbietung und erwartete ruhig die nächsten Vorgänge. Nur als sein Blick auf den Zuhörerraum fiel und er diesen dicht gefüllt und Aller Augen auf sich gerichtet sah, überzog ein dunkles Roth seine bleiche Stirn und unwillig wandte er sich mit der Frage an seinen Vertheidiger, ob die Leute nicht würden entfernt werden.

Ehe Letzterer noch antworten konnte, eröffnete der Präsident die Verhandlung mit dem Namensaufruf der Geschwornen und belehrte Joseph, nachdem die Namen der Anwesenden in die Urne gelegt worden waren, über das ihm zustehende Ablehnungsrecht bei der nun beginnenden und, da weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Vertheidigung von diesem Recht Gebrauch gemacht wurde, sehr schnell beendeten Bildung des Schwurgerichts. Die Geschwornen nahmen in der Reihenfolge, wie sie das Loos aus der Urne hatte hervorgehen lassen, ihre Sitze ein und Joseph bemerkte mit Befriedigung, daß mehr als die Hälfte unter ihnen Männer waren, welche ihn seit seiner Jugend kannten und mit denen sowohl sein verstorbener Vater als er selbst in mannigfachem Verkehr gestanden hatte. Als nach ihrer Vereidung auf den von Joseph’s Vertheidiger lebhaft unterstützten Antrag des Staatsanwalts der Gerichtshof die Ausschließung der Oeffentlichkeit während der Verhandlung beschlossen, der Zuhörerraum sich geleert und der Gerichtsdiener die Eingangsthüren verschlossen hatte, befahl der Präsident nach einigen Joseph’s persönliche Verhältnisse betreffenden Fragen die Vorlesung der Anklageschrift.

Die Aufregung, mit welcher die Mitglieder des Gerichtshofes und die Geschwornen dem Inhalt des Schriftstücks folgten, bezeugte ebenso sehr das Interesse, das sie an der Person des Angeklagten nahmen, wie den Abscheu, welchen die von der Staatsanwaltschaft selbst mit größtem Widerwillen veranlaßte, durch die bestehenden Gesetze aber gebotene strafrechtliche Verfolgung der Sache überhaupt in ihnen erregte. Es war ein Verbrechen gegen die Sittlichkeit, dessen Joseph angeklagt war. Es war jene unglückselige Stunde am Rosenhag, die in Verbindung mit dem Umstande, daß Anna damals das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hatte, die thatsächliche Grundlage der Anklage bildete, einer Anklage, deren auf mehrjährige Zuchthausstrafe hinweisender Schluß für einen vor acht Jahren begangenen Fehltritt nicht blos den einen Mann auf der Anklagebank, sondern eine ganze Familie der Vernichtung preiszugeben drohte!

Eine tiefe Stille trat ein, als der Gerichtsschreiber dem Präsidenten die Acten zurückreichte und dieser, sichtbar bewegt, das Wort ergriff:

„Ehe ich die im Gesetz vorgeschriebene Frage an Sie richte, Angeklagter, kann ich es mir nicht versagen, einem Gefühl Ausdruck zu geben, von dem Niemand in diesem Saale unberührt geblieben ist, dem Gefühl der aufrichtigsten Theilnahme an dem schweren Geschick, welches Sie betroffen hat. Wir werden Ihnen dasselbe, unbeschadet der getreuen Erfüllung unserer Pflicht und der Heilighaltung unseres Eides, soviel wie möglich zu erleichtern suchen. Fassen Sie Vertrauen zu dem Gerichtshofe und sehen Sie der Gefahr mit Mannesmuth in’s Auge. Können Sie sich dazu entschließen, die reine und volle Wahrheit zu sagen, so dürfen Sie sich rühmen, das Sittengesetz unter den schwierigsten Verhältnissen erfüllt zu haben; ich halte es indeß für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie sorgfältig jede Ihrer Antworten erwägen mögen, damit Sie sich nicht selbst schädigen und Ihrem Herrn Vertheidiger sein Amt erschweren. Hoffen Sie endlich – ich glaube Ihnen das mit Sicherheit in Aussicht stellen zu können – im schlimmsten Falle auf die Gnade des Königs. Und nun frage ich Sie: Bekennen Sie sich schuldig oder nicht?“

Trotz aller Selbstbeherrschung vermochte Joseph den schweren Kampf nicht zu verbergen, den diese Frage, so lange er auch schon von seinem Vertheidiger auf sie vorbereitet war, in seinem Innern erregte. Bis zu diesem Tage war noch niemals eine Lüge über seine Lippen gegangen, sein offener und ehrenhafter Charakter duldete nicht einmal Hinterhalt oder Zweideutigkeit. Wenn er der Stimme seines Herzens hätte folgen dürfen, so wäre seine Antwort ein kurzes Bekenntniß seiner Schuld gewesen. Aber – sowie die gestellte Frage über seine Person hinausreichte, so konnte auch seine Antwort eine Beziehung auf sein geliebtes Weib nicht umgehen. Es schien ihm, als müsse er sie selbst preisgeben, wenn er auf den Inhalt der Anklage näher einginge. Diese Rücksicht überwog auch jetzt, ungeachtet des tiefen Eindrucks, den die herzlichen Worte des Vorsitzenden auf sein empfängliches Gemüth gemacht hatten, jede andere Erwägung und ließ ihn bei seinem von dem Vertheidiger durchaus gebilligten Entschluß beharren, jede Auslassung auf die Anklage zu verweigern.

„Ich bitte es zu entschuldigen,“ erwiderte er nach einer Pause, in welcher ein eigenthümlicher Ton, ähnlich einem unterdrückten Schluchzen, auf einer Galerie des Saales gehört worden war, „wenn ich die Beantwortung dieser Frage und überhaupt jede weitere Erklärung über das mir zur Last gelegte Verbrechen ablehne. Ich bin überzeugt, der Gerichtshof wird die Gründe meines Verhaltens zu würdigen wissen und vor Allem nicht annehmen, daß Mangel an Ehrerbietung vor ihm meine augenblicklich vielleicht seltsam scheinende Handlungsweise bestimmt.“

„Bedenken Sie aber wohl,“ unterbrach ihn der Vorsitzende, „daß die Anklage gerade dies Verhalten, das Sie sich schon in der Voruntersuchung haben zur Richtschnur dienen lassen, als ein Sie in hohem Grade belastendes Moment hervorhebt, daß sie es als die Folge Ihres Schuldbewußtseins auffaßt und daß es allerdings auch von diesem Gesichtspunkt aufgefaßt werden kann.“

Joseph blickte fragend auf seinen Vertheidiger, als dieser sich erhob und erwiderte: „Wir müssen uns die Schlußfolgerungen der Staatsanwaltschaft gefallen lassen und es abwarten, welchen Eindruck sie auf die bewährte Einsicht der Herren Geschwornen machen werden. Vorläufig wolle der hohe Gerichtshof berücksichtigen, daß wir uns in einer außerordentlichen Lage befinden, und von diesem Gesichtspunkt aus unser außergewöhnliches Verhalten beurtheilen.“

„So schreiten wir zur Beweisaufnahme,“ fuhr der Präsident fort. „Gerichtsdiener, führen Sie die Zeugen ein!“

Nach kurzer Abwesenheit kehrte der Gerichtsdiener mit drei Personen in den Saal zurück. Es waren zwei Männer und eine ältere Frau, welche, als sie Joseph auf der Anklagebank erblickte, die heißesten Thränen vergoß. Unter den Männern ging der vom Schulzenhofe entlaufene Knecht voran, sichtlich bemüht, eine freie Haltung zu bewahren, und doch nicht fähig, den Blick vom Boden zu erheben. Sein Begleiter war ein in der Nähe des Buchenwäldchens wohnender Holzschläger, dessen kolossaler Körperbau nicht minder die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, als seine treuen, von weißen Locken umrahmten Gesichtszüge für ihn einnahmen. Als er des Schulzen ansichtig wurde, schritt er, den Gerichtsdiener wie ein Kind zur Seite schiebend, auf ihn zu, drückte ihm kräftig die Hand und mit einer Stimme, die, so rauh sie war, das tiefste Mitgefühl durchtönen ließ, redete er ihn tröstend an: „Gott segne Euch, Schulze, in dieser schweren Stunde. Laßt nur den Muth [553] nicht sinken, mein lieber Sohn! der alte Herrgott da oben läßt einen braven Mann nicht zu Schanden werden.“

Der Gerichtsdiener schnitt die weiteren Herzensergüsse des Mannes ab, und der Vorsitzende ermahnte in eindringlichster Weise die in der Voruntersuchung schon vernommenen und vereideten Zeugen, hier nochmals vor versammeltem Gericht die lautere Wahrheit zu sagen. Der Holzschläger und die alte Frau sollten nur über einige Nebenumstände vernommen werden, deren Feststellung weniger für den Sachverhalt selbst, als für die Beurtheilung der Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen von Erheblichkeit war. Dieser – der entlaufene Knecht – war der zufällige und unfreiwillige Augenzeuge der Vorgänge am Rosenhag gewesen. Sein Zeugniß bildete die Hauptstütze der Anklage und mit seiner Vernehmung wurde daher begonnen.

Das Auftreten des Mannes machte zur Bestürzung des Vertheidigers, der jedes Wort und jede seiner Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte, nicht den ungünstigen Eindruck, welchen er erwartet hatte. Man merkte allerdings sehr bald, daß man es mit einem leichtsinnigen Subject zu thun habe, allein sein Benehmen ließ eben so wenig wie seine Aussage Bosheit, Rachsucht oder Herzenshärte erkennen. Ohne Rückhalt, aber auch ohne Uebertreibung erzählte er ruhig und mit dem Gepräge der Wahrheit Alles, was er aus nächster Nähe beobachtet hatte, und nicht ohne den Ausdruck der Beschämung und Reue erklärte er auf Befragen des Vorsitzenden, daß es ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, zu einem Verfahren gegen seinen Herrn die Hand zu bieten, wenn er nicht durch den Winkelschreiber dazu verleitet worden wäre. Gereizt durch einen ihm von Joseph ertheilten und nach seiner Ansicht nicht verdienten Verweis habe er sich bei dem Schreiber über seine Behandlung beklagt. Sie seien vertrauter mit einander geworden und in weiterem Verkehr habe er ihm auch die Wahrnehmungen mitgetheilt, denen er sich an jenem Pfingstsonntag und am Abend vor der im Schulzenhofe festlich begangenen Geburtstagsfeier Anna’s nicht habe entziehen können. Der Winkelschreiber, ein wegen Unterschlagung aus dem Justizdienst entlassener Actuar, habe dies aufgefaßt. Es sei ihm gelungen, zu ermitteln, daß Anna erst am Pfingstmontage vierzehn Jahre alt geworden sei, und hierauf habe er den Plan gebaut, durch Drohungen mit einer Denunciation eine bedeutende Geldsumme von dem Schulzen zu erpressen. Als der Versuch erfolglos geblieben sei und Joseph sein Andringen mit seiner Ausweisung beantwortet habe, sei die Denunciation abgefaßt, bei der Staatsanwaltschaft eingereicht und darin er und die beiden andern anwesenden Personen als Zeugen benannt worden.

Der Zeuge versicherte die Wahrheit seiner Deposition auf den schon von ihm geleisteten Eid und es sollte die Vernehmung des Holzschlägers erfolgen, als der Advocat doch noch einen Versuch machen zu müssen glaubte, die Aussage des Mannes wenigstens in einigen Punkten zu erschüttern. Mit Genehmigung des Vorsitzenden richtete er zunächst an den Zeugen die Frage, ob er sich wirklich noch heute – nach Verlauf von acht Jahren – eines jeden von ihm bekundeten Umstandes mit solcher Sicherheit erinnere, daß er nicht befürchten dürfe, sich durch sein Zeugniß des Verbrechens des Meineides schuldig zu machen.

Der Knecht bejahte die Frage mit dem Ausdruck innerster Ueberzeugung.

Denken Sie an Ihre Verantwortlichkeit vor Gott dem Allwissenden!“ rief ihm der Vertheidiger aufgeregt zu. „Denken Sie daran, daß Ihre Aussage einen Mann, dessen Ehrenhaftigkeit bis zu dieser Stunde über jeden Zweifel erhaben war und dem Sie persönlich für die Ihnen erwiesenen Wohlthaten zum Dank verpflichtet sind, möglicher Weise in’s Zuchthaus führt! Denken Sie daran, daß das unglückliche Weib des Angeklagten …“

Derselbe klagende Ton, wie der Schmerzensseufzer einer geängsteten Seele schwach und doch durchdringend, der schon einmal von der nur selten dem Publicum geöffneten und fast immer verschlossenen Galerie gehört worden war, klang wieder durch den Saal und ließ, als der Vertheidiger plötzlich inne hielt, eine tiefe Stille in dem weiten Raume eintreten. Aller Augen richteten sich auf den Ort, wo man ihn gehört zu haben glaubte, aber – so hell das Licht der hohen Bogenfenster auch auf die Galerie fiel – man konnte Niemand dort entdecken. Und doch wußte Jeder, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Präsident wollte eben dem Gerichtsdiener den Befehl geben, sich an Ort und Stelle zu begeben und die räthselhafte Störung aufzuklären und zu beseitigen, als ein anderer Vorgang die Aufmerksamkeit auf die unteren Räume des Saales zurückführte.

Die Worte des Vertheidigers „in’s Zuchthaus“ waren wie ein Donnerschlag auf den Knecht niedergefahren. Daß es ihm leid that, seinen früheren Herrn und langjährigen Wohlthäter der gerichtlichen Verfolgung ausgesetzt zu haben, konnte keinem Zweifel unterliegen, und wenn er ihn nichtsdestoweniger durch sein Zeugniß schwer belastete, so war es offenbar nur der Hinblick auf seinen Eid gewesen, welcher ihn von einer Aenderung seiner Aussage zu Gunsten Joseph’s zurückgehalten hatte. Das Bewußtsein, die reine Wahrheit sagen zu müssen und gesagt zu haben, und die Unkenntniß der Folgen, die sich an seine Aussage knüpfen konnten, hatten auch allein im Laufe der Verhandlung ihn die anfänglich vergeblich gesuchte Sicherheit seiner Haltung wieder gewinnen und nur noch dann sich ängstlich und befangen zeigen lassen, wenn sein Auge zufällig den Blicken Joseph’s begegnete. Kaum war aber das furchtbare Wort „in’s Zuchthaus“ ausgesprochen, kaum hatte er von einer Strafe gehört, die nach seinen Rechtsbegriffen nur dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft zu Theil werden durfte, als sein ganzes Wesen von dem Sturm seiner Empfindungen erschüttert wurde. Seine Gesichtszüge wurden starr, wie die eines Todten, die Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, sein ganzer Körper streckte sich krampfhaft, und taumelnd sah man ihn einige Augenblicke später auf Joseph zustürzen, sich vor dem Gitter ihm zu Füßen werfen und seine Hände mit einem Schrei der Verzweiflung flehend zu ihm emporheben. „Vergebung, lieber, lieber Herr, – ich habe gelogen, ich war nicht im Wäldchen, ich habe nichts gesehen!“ Mehr konnte er nicht sprechen. Ein heftiges Weinen erstickte seine Stimme und wie gebrochen blieb er händeringend am Gitter liegen.

Der Präsident bewahrte einige Minuten tiefes Schweigen, um sich und allen Anwesenden Zeit zur Sammlung und Beruhigung zu gewähren. Auch Joseph, der schon, als der Vertheidiger wider die ausdrückliche Verabredung seines Weibes Erwähnung gethan hatte, heftig erregt worden war und dessen Blicke seit diesem Augenblick fest auf einem Punkt der Galerie hafteten, als ob sie ihre hölzerne Brüstung durchdringen wollten, bedurfte nothwendig der Schonung. Er schien durch die unerwartete Wendung der Sache alle Fassung und selbst sein Bewußtsein verloren zu haben, wenigstens hörte er auch nicht ein Wort von dem, was sein Vertheidiger ihm mit leidenschaftlicher Geberde in’s Ohr flüsterte, bis der Präsident die Verhandlung wieder aufnahm.

„Treten Sie jetzt nochmals vor, Zeuge, und überlegen Sie wohl, was Sie thun! Sie haben ein eidliches Zeugniß abgegeben und widerufen es jetzt. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich selbst des Verbrechens des Meineids anklagen, wenn Sie auf diesem Widerruf beharren, und daß Sie der Strafe des Verbrechens – mehrjähriger Zuchthausstrafe! – nicht entgehen, wenn auch der Beweggrund Ihres Widerrufs ein edler und achtungswerther ist. Bei der Hoffnung, die Sie einst auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit setzen, frage ich Sie: Haben Sie bei Ihrer Vernehmung die Wahrheit gesagt oder haben Sie wirklich nichts gesehen und also bisher gelogen?“

Der Knecht schwankte mit augenscheinlicher Mühe dicht an den Richtertisch, auf welchem das Kreuz des Erlösers, das Symbol der ewigen Gottesliebe und Vergebung, ihm gegenüber stand. Er faßte es fest in’s Auge und es war, als erwarte er eine höhere Eingebung. Dann sagte er mit fester Stimme: „Ich war nicht im Buchenwäldchen, ich habe nichts gesehen, – mein Zeugniß war falsch. Der Schreiber hat Alles erfunden und mir gesagt, wie ich aussagen solle. Nach seiner Vorschrift habe ich gehandelt.“

„Sie müssen jenem Elenden aber doch Thatsachen an die Hand gegeben haben, die er benutzen konnte? Er war ja mit den Verhältnissen und Personen völlig unbekannt.“

„Ich habe ihm einmal,“ erwiderte der Knecht, „als wir über die Jugend der Schulzenfrau sprachen, erzählt, daß sie noch nicht vierzehn Jahre alt gewesen sei, als sie sich mit dem Herrn versprochen habe. Im Laufe des Gesprächs kamen wir dann auch auf den Pfingstsonntag, und ich theilte ihm mit, wie ich gesehen, daß der Schulze damals seine Braut auf dem Wege in’s Buchenwäldchen mehrmals geküßt habe. Weiter habe ich nichts erzählt und mehr habe ich auch nicht gesehen. Alles Uebrige hat der [554] Schreiber hinzugesetzt, der sich noch längere Zeit im Dorfe herumtrieb und auch die beiden andern Zeugen ermittelte, die ebenfalls den Schulzen und seine Braut in’s Buchenwäldchen und an den Rosenhag gehen sahen.“

„Und welchen Zweck verfolgten Sie bei der wahrheitswidrigen Bezichtigung Ihres früheren Brodherrn?“ fragte der Präsident weiter.

„Der Schreiber hatte mir gesagt, der Schulze werde in eine große Geldstrafe verurtheilt und ein Theil davon ihm als Angeber und mir als Hauptzeugen zugesprochen werden. Dann aber wollte ich mich auch an meinem Herrn rächen, weil er mich häufig gestraft und hinter andere Dienstleute zurückgesetzt hat.“

Der Staatsanwalt, der mit dem lebhaftesten Interesse dem Verhör gefolgt war, erhob sich. „Nach diesen wiederholten, bestimmten und motivirten Erklärungen,“ begann er, „beantrage ich die sofortige Verhaftung des Zeugen wegen Meineids. Die weiteren Anträge in Bezug auf die Sache selbst behalte ich mir vor, bis der Beschluß publicirt ist.“

„Der Zeuge ist sofort zu verhaften,“ verfügte der Präsident, nachdem die beisitzenden Richter ihre volle Zustimmung zu dem Antrage der Staatsanwaltschaft zu erkennen gegeben hatten. „Führen Sie den Mann in’s Gefängniß, Gerichtsdiener, – der Haftbefehl wird ihm eingehändigt werden.“

Der Diener war eben im Begriff, sich des Menschen, der, ohne eine Bewegung zu verrathen, den Beschluß des Gerichts gehört hatte, zu bemächtigen und ihn einem Gefängnißbeamten zuzuführen, als das Wort „Nimmermehr!“ von der Anklagebank gehört wurde. Joseph, der während der letzten Vorgänge anscheinend theilnahmlos geblieben war, hatte sich plötzlich erhoben und war dicht an die Brüstung getreten. Obgleich jede Muskel seines kräftigen Körpers unter dem Druck dieses Moments zu erbeben schien, sprach er doch mit fester, im ganzen Saale widerhallender Stimme: „Lassen Sie den Mann in Frieden ziehen, – er hat die Wahrheit gesprochen bis zu dem Augenblick, als er sich selbst des Meineids anklagte. Die Reue dieses Unglücklichen fällt schwerer auf mein Haupt, als sein Leichtsinn, aber um so weniger kann ich sein Opfer annehmen. Ich darf jetzt keine Rücksichten mehr nehmen; jetzt – Herr Präsident – beantworte ich die erste Frage, die Sie an mich stellten. Ich bekenne mich schuldig! Schicken Sie mich nun in’s Zuchthaus, wie es Ihnen das Gesetz vorschreibt!“

Man erzählt von einem Ton, der zuweilen in der Wüste gehört werden soll, einem Ton – so markdurchdringend und erschütternd, als ob sich die Verzweiflungsqual aller Creatur in ihm ausdrücke. Ein solcher Ton, der Klageruf eines gebrochenen Herzens, hallte jetzt durch den Saal und über der Brüstung der Galerie wurde das blonde Haupt eines jungen Weibes sichtbar, dessen gramerfüllte Züge auf die Anklagebank herunterstarrten. „Joseph, mein geliebter Mann, ich sehe Dich niemals wieder!“ Dann – ein dumpfer Fall auf den Boden und Alles war still, wie das Grab.

Die Verhandlung wurde geschlossen und das Verfahren niemals wieder aufgenommen. Joseph folgte nach einigen Tagen dem Sarge seiner Gattin, aber er wußte nicht, welch’ kostbarer Schatz in die kühle Erde gesenkt und mit Rosen überschüttet wurde. Ueber seinen Geist war eine ewige Nacht eingebrochen. Sie allein bewahrte ihn vor der Verurtheilung in Gemäßheit eines Gesetzes, das, so gerechtfertigt seine Strenge in den Fällen ist, welche dem Gesetzgeber vorgeschwebt haben mögen, in anderen Fällen dem Rechtsbewußtsein tiefe Wunden schlägt. Die Keuschheit eines Kindes ist etwas Heiliges und muß dem gewissenlosen Wüstling und Verführer gegenüber energisch geschützt werden. Ein Mord kann entschuldbarer sein und eine mildere Beurtheilung beanspruchen, als die Vergiftung der reinen Seele eines Kindes. Aber die Entscheidung der Frage, ob ein solcher Fall vorliegt, sollte nicht abhängig gemacht werden von Tag und Stunde,[1] sondern – ebenso wie Strafart und Strafmaß – von der Individualität der Person und von den der freien Würdigung des Richters unterliegenden anderweitigen Thatumständen. Andererseits hätte man überall die weise Bestimmung der Carolina und des älteren preußischen Rechts, wonach die strafrechtliche Verfolgung nur auf Antrag der Verletzten oder ihrer Angehörigen eintreten durfte, mindestens in dem Falle aufrecht halten sollen, wenn das öffentliche Interesse nicht durch die Erregung eines öffentlichen Aergernisses tangirt wird.

H. Black.




Deutschlands große Industriewerkstätten.
Nr. 4. Bei dem Locomotivenkönig.
I.


Wer von einem hochgelegenen Punkte in oder bei Berlin einen Blick auf die Stadt wirft, der bemerkt unter dem Wald von Schornsteinen, welcher sich im Nordwesten über dem Häusermeer der Stadt erhebt, ein Exemplar von außergewöhnlicher Gestalt. Einem riesigen Candelaber gleich, unterbricht er das gleichförmige Bild der übrigen Essen, von denen ihn manche vielleicht an Höhe überragen. Unwillkürlich fragt der Fremde nach der Bedeutung dieses eigenthümlichen Schornsteins, und ganz sicher antwortet der heimische Führer mit einigem Selbstbewußtsein: „Das ist der Schornstein der Borsig’schen Fabrik!“ Auf dem vier Meilen entfernten Pfingstberge zu Potsdam wird auf diese Merkwürdigkeit mit derselben Genugthuung hingedeutet, wie auf irgend einem beliebigen Höhepunkte, einem Kirchthurme etc. in Berlin selbst.

Es ist eine bekannte Eigenthümlichkeit gerade der Berliner, daß sie auf das Großartige ihrer Vaterstadt mit ganz besonderem Stolz hinblicken; selten haben sie dazu gerechtere Ursache, als im Hinblick auf die großartigen Borsig’schen Etablissements, welche den Ruhm der Berliner Industrie über die Eisenstraßen eines großen Theiles von Europa, ja selbst bis in den fernen Orient tragen. Ganz sicher gehören die Borsig’schen Maschinenfabriken zu den imposandesten Sehenswürdigkeiten in Berlin; unwillkürlich wird man mit Bewunderung für den Mann erfüllt, der, von kleinen Anfängen ausgehend, diese Anlagen geschaffen und zu solcher Bedeutung erhoben hat. Möge uns also der geneigte Leser zu einer näheren Kenntnißnahme dieser Etablissements folgen.

Wir beginnen unseren Besuch mit dem Eisenwerk in Moabit, welches sich unter jenem erwähnten candelaberartigen Thurme ausbreitet, betrachten unsere heutige Schilderung indeß nur als Einleitung, uns eine eingehendere Darstellung der Borsig’schen Anstalten, ihrer mannigfachen Leistungen und Erzeugnisse, ihrer Bedeutung und ihres Umfangs für einen zweiten Artikel aufsparend, welcher zunächst den großen Borsig’schen Werken in Berlin selbst, den weltberühmten Locomotivenwerkstätten, gewidmet sein wird.

Es ist ein seltsames und eigenthümliches Terrain im Nordwesten von Berlin auf dem rechten Spreeufer, dem Thiergarten gegenüber, auf welchem sich jetzt ein reiches industrielles Leben entfaltet hat. Preußens erster König schenkte den überaus sandigen und sterilen Boden einer Anzahl von französischen Colonisten zur Bebauung mit Maulbeerplantagen. Bald jedoch verzweifelten die Franzosen an dem Erfolge ihrer Anlagen und nannten das ihnen geschenkte Land daher „terre de Moab, terre maudite“ Hieraus entwickelte sich der Name „Moabit“, resp. „Moabiter Land“, und die Ortschaft erlangte eine locale Berühmtheit durch die Fabrikation von „Pumpernikel“ und durch Anlage einer ganzen Reihe von Tabagien, welche, wie zum Theil auch noch heute, den Zielpunkt des Vergnügens für die Berliner Dienstboten an Sonn- und Festtagen bildeten. Seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts hat man nun angefangen an dem Ufer der Spree, welche die Ortschaft begrenzt, Fabriken anzulegen, die sich von Jahr zu Jahr vermehrten und unter denen die Borsig’schen Etablissements jetzt selbstverständlich an der Spitze stehen.

Der Gründer dieser letzteren, der nur zu früh, am 6. Juli 1854, verstorbene geheime Commercienrath A. Borsig, begann [555] sein Unternehmen, wie wir später des Näheren ausführen werden, mit einer ziemlich kleinen Eisengießerei vor dem Oranienburger Thor in Berlin. Als diese sich zu einer großen Maschinenbauanstalt entwickelt hatte, sah er ein, daß er zur Bearbeitung des Rohmaterials einer eigenen Fabrik bedürfe, und schuf daher das Walz- und Hammerwerk in Moabit, welches seit 1852 in ununterbrochenem Betriebe sich befindet. Hart an der Straße nach Moabit gelangt man an einen schon von außen imponirenden stattlichen Park, aus dessen dunklem Laub ein schloßartiges Wohnhaus hervorblickt. Dies sind die berühmten Borsig’schen Gärten; dicht daneben führt eine breite Einfahrt zu einem aus Backsteinen aufgeführten Portal, dessen Pfosten zwei kolossale Statuen, Schmiede von markiger Gestalt, zieren. Durch das Portal gelangt man in einen weitausgedehnten Hof, auf welchem ein geschäftiges Treiben wogt. Die Gebäude zur Rechten des Eintretenden umfassen die Bureaux, die technischen, sowie die kaufmännischen Verwaltungsräume. Ein Seitengebäude zur Linken enthält Schlosserei und Tischlerei. Vor dem Eintretenden liegt ein großes Bassin zur Abkühlung des glühenden Eisens. Schwer mit Metallen beladene Wagen fahren ab und zu; hier wird mit riesigen Gewichten Eisen gewogen, dort das glühende Metall herausgefahren und von fern her dröhnen dumpfe Hammerschläge an das Ohr. Vor uns erhebt sich ein langausgestrecktes mit einem Tonnendach versehenes Gebäude, aus welchem der Lärm arbeitender Maschinen immer stärker zu uns herandringt, je näher wir dem Eingange uns zubewegen. Wir treten ein, doch überrascht von dem wunderbaren Treiben, das sich vor unsern Blicken in der sechshundertfünfzig Fuß langen und über hundert Fuß breiten Halle zeigt, bleiben wir stehen. Diese letztere ist meist durch Oberlicht erleuchtet und gewährt schon an sich durch die Dachconstruction mit ihren mächtigen Bändern und Trägern von Eisen einen gewaltigen Anblick. Eine Unzahl glühender Feuerstätten: Puddelöfen, Schweißöfen, Schmieden etc. sind in Thätigkeit und sprühen ihren Funkenregen in den buntesten Verschlingungen. Durch den ganzen Raum fahren unablässig, von je einem Arbeiter geleitet, kleine zweirädrige Karren, hoch mit glühenden Eisenstücken bepackt, pfeilschnell von einem Ende zum andern; an allen Orten sehen wir die Arbeiter, den Cyklopen gleich, mit dem glühenden Eisen herumhantiren: wie Bandstreifen ziehen sie glühende Eisenstäbe durch die Walzen, gestalten sie die unförmliche Masse zu Blechen und Schmiedestücken, und in dichten Feuerregen gehüllt verschwinden die geschwärzten Gestalten der Arbeiter oft auf Minuten vor unseren Augen.

Wenn sich der überraschte Blick einigermaßen zu orientiren beginnt, bemerken wir vor uns eine lange Walzenstraße, dieser gegenüber eine riesige Dampfmaschine und rechts und links, mehr oder minder davon entfernt, eine Anzahl von Eisenhämmern und zwar sieben von zwanzig, fünf von sechszig, einen von hundert und einen von zweihundert Centnern; ferner fünfzehn Dampfmaschinen im Ganzen von sechshundert (darunter eine von allein hundert) Pferdekraft. Der furchtbare Lärm, welchen alle diese Maschinen hervorbringen, wird zuweilen noch übertönt, wenn, unter massenhaftem Funkenregen, die Kreissäge ihre Arbeit beginnt. Man glaubt dann für Augenblicke, daß alle Lärmgeister der Hölle losgelassen seien. – Zur Linken des Einganges befindet sich ein an die Fabrik grenzender mächtiger Raum, welcher den „Walzenpark“ umfaßt, während auf der anderen Seite der Halle sich die Vorrathsräume anschließen. Neben der Halle liegt ein großer Hof, in welchem die Halbproducte aufgestapelt sind und der von dem Gußstahlwerk begrenzt ist.

In dem Eisenwerke werden nun aus dem Rohmaterial, welches in den Borsig’schen Hüttenwerken in Oberschlesien gewonnen wird, sämmtliche Eisen- und Stahlmaterialien für die, wie wir bemerkten, in der Stadt selbst befindliche Locomotivenfabrik hergestellt; und zwar alle Sorten von Stahl- und Façoneisen, Bleche, schmiedeeiserne Wellen bis zu einem Gewichte von hundert Centnern, Achsen für die Locomotiven, Tender und Eisenbahnwagen in Feinkorneisen und Gußstahl, Façonschmiedestücke jeder Art in beiden Materialien, sowie Bandagen im Gesammtquantum von zweihundertfünfzigtausend Centnern pro Jahr. Die Zahl der Arbeiter des Werkes beläuft sich auf etwa achthundert Mann, welche in Schichten von zwölf zu zwölf Stunden beschäftigt werden, so daß also die Fabrik Tag und Nacht in Thätigkeit ist. Nach je vierzehn Tagen tritt eine Pause von vierundzwanzig Stunden zur Reparatur der Oefen ein, zu deren Erheizung dreizehn- bis vierzehntausend Lasten Kohlen im Jahr erforderlich sind. Der Hofraum, welcher hinter der Fabrik zwischen dieser und dem Spreeufer sich ausdehnt, umschließt eine bedeckte Badeanstalt für die Arbeiter mit lauwarmem, aus der Fabrik geleitetem Wasser. Diese ist in origineller Weise construirt und das Bassin auf der einen Seite niedrig (zum Gebrauch für die Lehrburschen), auf der andern Seite tief und zum Schwimmen geeignet (für die Gesellen) eingerichtet; dasselbe wird im Winter erwärmt. Jede die Arbeit verlassende Schicht von Arbeitern benutzt vor dem Heimgange diese Badeanstalt.

Ganz erfüllt von den empfangenen Eindrücken, gelangen wir, an jenem im Eingange erwähnten Schornsteine vorüber, wieder in den Vorhof, auf welchem soeben eine große Partie verarbeiteten Rohmaterials aufgeladen wird, um in dem Berliner Etablissement seiner weiteren Bestimmung entgegengeführt zu werden. Wir aber wollen von Moabit nicht scheiden, ohne dem berühmten Borsig’schen Garten, einer der hervorragendsten Sehenswürdigkeiten in den Umgebungen Berlins, einen Besuch abgestattet zu haben. Der jetzige Besitzer, Commercienrath Albert Borsig, der einzige Sohn und Erbe des verewigten Gründers dieser Werke, gestattet mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit Fremden den Eintritt in seinen Garten, welcher, namentlich durch seinen großartigen Camellienflor, einen europäischen Namen erlangt hat, aber auch zu anderer Zeit, im Sommer, viel des Herrlichen und Bewunderungswürdigen bietet. Man begreift es, daß Friedrich Wilhelm der Vierte dem verstorbenen Borsig bei einem Besuche des Gartens einmal zurief: „Wenn ich doch so wohnte, lieber Borsig!“

Ein breiter, sauber gehaltener, mit Kies belegter Gang führt durch den herrlichen Park nach der Villa, in welcher der Fabrikherr wohnt und für welche die Bezeichnung „Wohnhaus“ allerdings viel zu bescheiden ist. Breite, große Rasenstrecken, bestanden mit schattigen Eschen, Rüstern und Ulmen, durchziehen den ganzen Theil des Parkes vor dem Wohnhause und zeigen hinter zierlichen Gittern ein Gehege, in welchem sich zahme Rehe herumtummeln. Ein breites Portal, welches neben dem neuangebauten Flügel des Wohnhauses liegt, führt uns in das Gewächshaus, das im Winter auf der einen Seite eine wirklich zauberhafte Mannigfaltigkeit von Camellien umschließt und auf der andern Seite an ein großartiges Palmenhaus stößt. Dies letztere gewährt, ebensowohl durch seinen reichen Inhalt wie durch die sinnige und überaus malerische Anordnung einen überraschenden Anblick. In der Mitte glitzert ein großes Bassin, aus welchem sich, beschattet von Fächer- und Dattelpalmen, die Marmorfigur eines badenden Mädchens auf einem Tropfsteinfelsen erhebt, über den eine Cascade herabrieselt. Die Figur ist ein Meisterwerk des Bildhauers Cantardini in Mailand und trägt nicht wenig dazu bei, den Eindruck des Palmenhauses zu verschönen. Aus dem letzteren treten wir direct in den Blumengarten, welcher die Hinterfront des Wohnhauses umkränzt und zur Zeit in einem Rosenschmuck prangt, der jeder Schilderung spottet. Diesen Theil des Gartens grenzt eine Marmorbank ab, vor der sich auf schlanker Säule die Marmorbüste des verstorbenen Borsig erhebt, ein Meisterwerk Rauch’s. Mehrere Wege führen nun in den weit ausgedehnten, bis an die Spree reichenden Park mit vielen schattigen Gängen, auf denen man ab und zu Halt macht, um die einzelnen seltenen Bäume und Anlagen zu bewundern. Wir bleiben vor einem hohen eisernen Hause stehen, in dem sich zwei Araucarien oder Chili-Tannen erheben, Coniferen von wunderbarer Gestalt, welche in ihrer Heimath einhundertundzwanzig Fuß hoch werden und hier bereits eine Höhe von sechszig Fuß erreicht haben. Vor diesen Bäumen dehnt sich eine kleine, völlig bezaubernde Tropenlandschaft aus; ein Wasserfall bildet einen sich weit ausdehnenden und reich bevölkerten Goldfischteich, neben welchem sich ein Victoria-Regia-Haus erhebt. Die Ufer dieses Teiches sind mit Tropenpflanzengruppen reich verziert: Fächerpalmen wechseln mit einer Baumfarrengruppe ab; hier prangt eine Cycas-, dort eine Dracänengruppe; dazwischen erglänzen niedrige, buntfarbige Blattgewächse, und das Auge weiß nicht, wohin es sich in diesem Formenreichthum der seltenen Pflanzen zuerst wenden soll, welche sich auf dem dunklen Hintergrunde des Parks wirksam abheben.

Einen eigenen Anblick gewähren die Nymphäen auf dem Teiche mit ihren duftigen und in röthlichen Schattirungen prangenden Blüthen, welche den Eindruck der Tropenlandschaft vollenden. In der That, man glaubt vor dem illustrirten Blatte eines morgenländischen Märchens zu stehen und trennt sich nur schwer, dem

[556]

Spree. Große Esse. Walzwerk. Eisenhammer. Wirthschaftsgebäude
Borsig’s Etablissement in Moabit bei Berlin.
Im Auftrag der Gartenlaube aufgenommen von Adolf Eltzner.
Palmenhäuser.     Wohnhaus.                         

[557] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [558] Ausläufer des Teiches folgend, um dem Spreeufer zuzugehen, über dem sich, den Garten abschließend, eine zierliche Veranda erhebt. Noch einmal blicken wir von hier aus auf all’ diese Herrlichkeit zurück, welche – eigenthümlich genug – auf der ehemaligen „Terre maudite“ erstanden und ihren Spottnamen „terre de Moab“ Lügen straft.

An dem Wohnhause wieder angelangt, bemerken wir eine geräumige, reich bevölkerte Volière, deren bunt befiederte Bewohner einen heitern Anblick darbieten. Noch durchstreifen wir flüchtig den großen Obst- und Gemüsegarten, um dann vom Eingang zu dem Eisenwerke aus uns dem Zuge der Wagen anzuschließen, welche das Rohmaterial in die Locomotivenfabrik nach Berlin führen.




Die Musik der Vögel.


Gar oft muß man es hören, so auch in dem interessanten Artikel über die Vogelsprache im letzten Jahrgang der Gartenlaube, daß andere Welttheile im Vergleich mit Europa ebenso arm an Singvögeln wie an wohlriechenden Blumen seien. In dieser Beziehung eine kleine Berichtigung zu geben und speciell die australischen Singvögel zu Ehren kommen zu lassen, ist der Zweck dieser Zeilen.

Das süße Gezwitscher unserer heimathlichen gefiederten Sänger wird man allerdings – abgesehen von den in den letzten Jahren erfolgreichen Bemühungen der Acclimatisations-Gesellschaft, welche mit besonderer Liebe die Einführung europäischer Singvögel pflegt – bei den Antipoden vermissen müssen, aber man glaube deshalb nicht, daß die mitunter so prächtige tropische und subtropische Natur des Reizes von Vogelstimmen entbehrt. Vielmehr werden dort mitunter die großartigsten Concerte von gefiederten Sängern aufgeführt, denen der Reisende mit Entzücken lauscht, und es dringen Töne, klangvolle und glockenreine Töne an sein Ohr, deren vollen Eindruck zu erhalten er mit angehaltenem Athem stille steht.

Während hingebende und unermüdliche Beobachter das allerdings liebliche Gezwitscher unserer Singvögel nur durch Silbenlaute in die Sprache übersetzen können, die, so treu und wahr sie auch sein mögen, dennoch der Natur der Sache nach nur das unvollkommenste Bild liefern, kann man, allerdings blos wenn mit den nöthigen musikalischen Kenntnissen ausgerüstet, die Melodieen der lustigen Sänger Australiens, ohne seine Phantasie spielen zu lassen, wirklich bis zum feinsten Unterschied der Töne und mit der genauesten Wiedergabe der rhythmischen Bewegung in unser Notensystem bringen.

Ich bin leider kein Zoologe, und es haben mir damals alle Mittel gefehlt, die australische Vogelwelt anders, als das Volk der Colonisten sie kennt, kennen zu lernen; ich habe auch die edlen Sänger, deren Melodieen mein Herz erfreuten und deren Noten ich in mein Journal verzeichnete, nicht immer, ja nur selten selbst sehen können. Sicher aber ist, daß alle die Vögel, die ich vorzugsweise als Sänger bezeichnen muß, die jedoch, wie man sehen wird, je nach der Localität verschiedene Melodieen haben können, soweit mir bekannt, mit einer einzigen Ausnahme, einem Vogel, den die Colonisten soldier (Soldat) oder auch leather-head (Lederkopf, von seinem kahlen Schädel) nennen, zu der Gattung der krähenartigen Vögel gehören.

In manchen Fällen machte mir die Aufzeichnung nicht wenig Mühe, und es war eine mehrmalige Wiederholung der Melodie nothwendig, um sie festzuhalten. In anderen Fällen konnte ich leider, auf Reisen begriffen, die kostbare Zeit nicht opfern, um eine Wiederholung abzuwarten, und die Melodie war für mich, den augenblicklichen Genuß abgerechnet, verloren. Dennoch habe ich eine Anzahl derselben sammeln können und bezeichne sie hier nach der Localität, wo ich sie hörte.

Nr. 1. Mc Intyre River. Darling Downs. Ziemlich häufig.

Nr. 2. Notirt bei Dangar’s Station Yellowroy. Darling Downs.

Diese hübsche Melodie ist sehr verbreitet. Ich habe sie bestimmt in verschiedenen Theilen von Queensland und Neusüdwales gehört.

Nr. 3. Hastings River, Neusüdwales.

Dieser Gesang zeichnet sich außer der Lieblichkeit und Zartheit der Melodie durch seinen strengen Rhythmus aus, sowie durch das besondere Marcato einzelner Noten, das seinen Grund in der dabei gebrauchten In- oder Exspiration hat. (Die In- und Exspiration ist durch die Anfangsbuchstaben bezeichnet.)

Nr. 4. Tenterfield, Neu-England, in Neusüdwales.

Die folgenden Melodien wurden theils in Warwick, Darling Downs, theils in der Nähe von Ipswich, Queensland, aufgezeichnet. Ich habe einige davon ebenfalls in weiterer Verbreitung gehört, ohne mich gerade der Localitäten erinnern zu können.

Die Wiederholung verschieden oft, diese die gewöhnliche.

Nr. 10.

[559]
Nr. 11.

Der soldier oder leather-head hat ebenfalls seine ganz bestimmte Melodie, in der eine Welt von Melancholie liegt. Ich habe ihn, obgleich er von den Colonisten wohl gekannt ist und ziemlich verbreitet zu sein scheint, nur auf der Station eines alten Freundes, Herrn Bracker, eines gebornen Mecklenburgers und eines der hervorragendsten Deutschen in Australien, gehört und gesehen.

Der Vogel kam des Abends auf einen dem Hause nahestehenden Baum und sang da verschiedene Male sein wehmüthiges Liedchen mit reiner, aber etwas scharfer und seufzender Stimme, das beginnende c jedes Mal scharf markirt wie durch eine gewaltsame rasche Exspiration.

„Unsere deutschen Singvögel,“ so schrieb ich unter dem ersten Eindruck an meinen Bruder in Deutschland, „sind wahrhaftig gegen die australischen nur Stümper,“ und ich habe keinen Grund, dieses Urtheil zu ändern.

Beim ersten Grauen des Morgens erwachte das gefiederte Sängerchor zum neuen heitern sorgenlosen Tagesleben. Ich hörte wenig während der Nacht. Der Curlew allerdings ließ seine wilden, schneidenden, melancholischen Rufe durch die tiefe, nächtliche Stille schallen, ein unruhiger, langbeiniger, langhalsiger und langschnabliger Nachtwanderer, der keinen Frieden finden kann. Oder es huschte eine Eule aus ihrem modernden Loch, um ein Bischen Luft zu schöpfen und ein Bischen zu rauben, oder ein hungeriger Adler schnitt mit schwerem Flügelschlag über das Rindendach unserer Hütte, durch dessen Spalten das Licht des Mondes in breiten Streifen herabfiel oder das strahlende Licht eines Fixsterns auf einen Augenblick hereinbrach.

Ein Parrot begann mit seinem unveränderlichen geduldigen Kakariki, die schlafenden Brüder zu wecken, und behielt durch den ganzen Vortrag sein Solo wie ein Vorsänger, während allmählich einer nach dem andern, alle Parrots, ihm respondirten. Es war nichts Anderes als eine eintönige Litanei, wenig Melodie außer einer ziemlich reinen Sext. Die Litanei ist endlich im strengsten Rhythmus in vollem Gang und stimmt, wir nehmen an, in G-Dur. Mit Eins mischt ein Magpie seine Zauberstimme in das monotone Geleier der buntfederigen Mönche, das ihm gleichsam zur Folie dient, und singt:

Der Nachklang dieser reinen Töne schwimmt noch, leiser und leiser werdend, durch das Geleier, das Ohr lauscht wie Tönen aus einer anderen Welt, der Sänger macht eine Pause und beginnt wieder:

Wieder eine Pause, gleichsam als wenn er selbst dem Wiederklange seiner glockenhellen Stimme mit Entzücken lauschte.

Nun

wieder eine Pause, dann plötzlich mit einer Kraft und einer Anmuth, die erkennen lassen, wie viel der Sänger selbst auf diese Stelle hält:

Dies repetirt sich mit Zwischenpausen vier bis fünf Mal, leiser und leiser wird der Gesang der Parrots, endlich ist Alles still. Allmählich lassen sich auch die anderen Sänger hören. Sie gehören alle dem Krähengeschlecht an, aber, wie es scheint, verschiedenen Arten desselben.

D. H. Beckler.




Blätter und Blüthen.

Der Turnvater Jahn als Spion. Von einem der wenigen noch lebenden Kampfgenossen Jahn’s und Körner’s geht uns die nachstehende Mittheilung zu, die einen der wichtigsten Momente aus dem Leben des Turnvaters schildert, welchem dieser selbst nur in einem in seinem Nachlasse gefundenen Blättchen an Professor Eiselen flüchtig erwähnt:

Das dritte Bataillon des bekannten tapfern Lützow’schen Freicorps, der schwarzen Schaar, stand unter dem Befehl des Turnvaters Jahn, welcher die Charge eines Lieutenants inne hatte, aber allgemein als Hauptmann titulirt wurde, weil die unter seinem Commando stehenden Freiwilligen sehr wohl wußten, daß Jahn einer derjenigen deutschen Männer war, durch welche die Bildung der schwarzen Schaar ihren Anfang genommen hatte. Im September des Jahres 1813 befanden wir uns in Mecklenburg im Lager bei Zarrentin. Unser drittes Bataillon war den Truppen des Generals Wallmoden zugetheilt und hatte die besondere Aufgabe, den Marschall Davoust an der Stecknitz zu beobachten. Unsere Lage war keine beneidenswerthe. Die öde Gegend, aus Sümpfen und Haiden bestehend, bot wenig Abwechselung dar, es trat allmählich Mangel an Lebensmitteln ein und fast täglich wurden wir von den dänischen Husaren beunruhigt, ohne daß diese uns Stand hielten und in ein Gefecht mit uns eintraten. Dies erbitterte uns von Tage zu Tage mehr. Wir glühten von Kampfeslust, doch leider war uns bisher noch wenig Gelegenheit geboten worden, uns mit den Franzosen messen zu können, denn durch ihre Uebermacht waren wir von ihnen fast beständig im Schach gehalten worden. Und doch hatten wir noch eine tüchtige Scharte auszuwetzen! Unsere Reiterei war von dem hinterlistigen Feinde verrätherischer Weise während des Waffenstillstandes bei Leipzig in die Pfanne gehauen und größtentheils zersprengt worden, wobei manches edle deutsche Herzblut geflossen war; unser theurer Körner, der Stolz des Bataillons, dem ich manches Mal die Büchse getragen hatte, während er seine feurigen Kriegslieder dichtete oder sie uns vorlas, schlummerte, von einer französischen Kugel getroffen, in seinem Heldengrabe und viele unserer Cameraden waren bei dem nächtlichen Ueberfall in Lauenburg getödtet und verwundet worden.

Diese Scharte auszuwetzen, dazu schien vorläufig wenig Aussicht vorhanden, denn noch immer lagen wir einer bedeutenden Uebermacht des Feindes gegenüber, der noch den Vortheil einer günstigeren Stellung hatte. Ueber diese konnten wir nur sehr wenig erfahren, und selbst diese wenigen Nachrichten waren durchaus unzuverlässig. Mißmuth und Ingrimm hatten sich unsers ganzen Corps bemächtigt.

Um den Mittag des 14. September hatte unser Hauptmann Jahn das Bataillon zum Appell versammelt. Nach Beendigung desselben wählte er sich zehn Mann aus, unter welchen auch ich mich befand, und bedeutete uns, zu warten, da er uns eine Mittheilung zu machen habe. Neugierig, welcher Art diese Mittheilung sein werde, und die stille Hoffnung hegend, daß vielleicht eine Unternehmung beschlossen sein könne, welche der bisherigen niederdrückenden Unthätigkeit ein Ende machen werde, sahen wir unsere Cameraden sich entfernen. Als wir nur noch allein dastanden, trat Jahn unter uns und ließ uns dicht an sich herantreten. „Kinder,“ sagte er mit gedämpfter Stimme, „so kann es nicht länger fortgehen. Etwas muß geschehen. Vor allen Dingen gilt es, einen genauen und zuverlässigen Bericht von der Stellung des Feindes zu erhalten. Wer von Euch will mich in das Lager der Franzosen begleiten? Ihr wißt, wenn sie uns kriegen, dann ist ein schimpflicher Tod unser Loos, aber wenn auch ich und Jeder von Euch einen ehrenvollen Soldatentod vorziehen, so will ich auch vor einem schimpflichen Tode nicht zurückschrecken, wenn ich durch mein Wagen einen Vortheil für uns Alle erreiche. Wer hat Lust?“

Ich, ein junger Mensch von einundzwanzig Jahren, durchglüht von der feurigsten Begeisterung und einem unauslöschlichen Hasse gegen die Unterdrücker unseres Volkes, trat augenblicklich vor und erklärte mich bereit. Auch die Anderen waren alle mehr oder weniger entschlossen, das Wagestück mit unserem geliebten Hauptmann auszuführen. Seine Wahl traf indeß mich. Er bestimmte, daß ich mich um zwei Uhr Nachmittags bei ihm einstellen sollte. Pünktlich traf ich ein, und wir begaben uns in das nächste Dorf, dessen Namen ich leider vergessen habe. In einer Scheune fanden wir zwei vollständige Anzüge Mecklenburger Bauern, welche wir anlegten. Ein kleines Fäßchen Rum, einen mehrfach zusammengedrehten Strick als Tragband aufweisend, lag für Jeden bereit, und bald hatte sich der Hauptmann Jahn mit seinem Gefährten in zwei Bauersleute verwandelt, welche als Marketender den Franzosen den Inhalt ihrer Fäßchen als willkommene, herzstärkende Erquickung, woran es ihnen, wie wir wußten, sehr fehlte, anzubieten gingen. Natürlich mußten wir auf Schleichwegen ein Stück von unserm Lager uns entfernen und von einer andern Seite her in die Mitte der Franzosen zu kommen suchen.

Mir klopfte doch unterwegs das Herz gewaltig, denn die Aussicht, im ungünstigen Falle als Spion entdeckt und an dem nächsten Baum aufgeknüpft zu werden, war nicht sehr erfreulich. Ein Blick indeß auf meinen Hauptmann, der mit der gleichgültigsten, unbefangensten Miene dahinschritt, machte mir wieder Muth. Eins fiel mir plötzlich schwer auf’s Herz. „Herr Hauptmann,“ begann ich, „ich kann ja nicht Plattdeutsch sprechen.“

„So hältst Du Deinen Mund,“ war seine Antwort, „Du kannst Dich überhaupt etwas schwerhörig stellen und schenke nur frisch ein, und wenn [560] auch einer von den Franzosen Dir mit der Bezahlung durchgeht, laß ihn laufen. Aber nur keinen langen Aufenthalt, immer gleich weiter.“

Ich befolgte seine Anweisung, und ich glaube, ich habe die Rolle eines recht dummen Bauerburschen, dem man kaum zutraute, daß er bis drei zählen könne, ganz gut gespielt.

In kurzer Zeit erreichten wir die feindliche Vorpostenkette. Ungehindert kamen wir durch dieselbe. Wer hätte auch unter dem Bauerkittel den bei den Franzosen geächteten Monsieur Jahn errathen können? Unser Geschäft ging gut und wir hätten in kurzer Zeit unsern Rumvorrath vollständig verkaufen können. Das lag aber nicht in unserm Plane, denn wir mußten vor allen Dingen darauf Bedacht nehmen, von dem Lager und der Stellung der Feinde so viel wie möglich zu sehen. Es ging deshalb nach ganz kurzem Aufenthalt bei den einzelnen Truppentheilen weiter, ohne daß wir auf das Schelten und Drohen der Franzosen achteten, denen wir mit unserer Waare zu schnell davoneilten. Endlich waren die Fäßchen leer und eine ziemliche Anzahl kleiner französischer Münze beschwerte unsere Taschen. Jahn schmunzelte zufrieden, was die Franzosen natürlich dem gutgegangenen Geschäft zuschrieben.

Glücklich gelangten wir wieder aus dem Bereich der Feinde und begaben uns in ein dichtes, mit hohem Haidekraut bewachsenes Gehege. Hier legten wir uns hin und Jahn zog zwischen der Sohle seiner derben Bauernschuhe ein mehrfach zusammengefaltetes Papier hervor und begann eifrig mit Bleistift seine Notizen zu machen, während ich sorgfältig umherspähte, daß wir nicht überrascht würden. Im Fall der Annäherung eines Menschen wollten wir uns den Anschein geben, als seien wir ganz in das Zählen und Berechnen unseres Erlöses aus dem Marketendergeschäft vertieft. Endlich war Jahn mit seinen Aufzeichnungen fertig, rollte das Papier zusammen und steckte es in das leere Fäßchen, dessen Spundloch er sorgfältig verschloß. Spät am Abend kamen wir in das Dorf zurück, entledigten uns unserer Anzüge, legten unsere Uniformen an und nahmen aus dem zerschlagenen Fäßchen das wichtige Papier, da besondere Vorsichtsmaßregeln jetzt nicht mehr nöthig waren. Bei den Unserigen angekommen, trennten wir uns, nachdem ich das feierliche Versprechen hatte ablegen müssen, keinem Menschen das Geringste von unserm Abenteuer zu verrathen.

Der Erfolg unserer Spionage zeigte sich bald. Während der Nacht und im Laufe des folgenden Vormittags herrschte ein reges Leben unter den höheren Officieren. Jeder konnte merken, daß etwas im Werke sei. Um Mittag des 15. Septembers kam der Befehl an unser Corps, uns marschfertig zu halten, welcher natürlich mit vielem Jubel begrüßt wurde. Gegen zwei Uhr Nachmittags marschirten wir still aus unserm Lager ab, ohne zu wissen wohin, und vereinigten uns während des Marsches mit den übrigen Truppen des Wallmoden’schen Corps. Am Abend hatten wir sämmtlich unsere, wie es sich aus dem Erfolge ergab, ausgezeichneten Stellungen inne, und der Feind war von drei Seiten eingeschlossen.

Am Morgen des 16. Septembers entwickelte sich das bedeutende Gefecht bei der Göhrde, welches damit endigte, daß das Corps des Marschalls Davoust fast vollständig aufgerieben wurde, indem von zehntausend Mann nur dreihundert zu Gefangenen gemacht wurden, die übrigen bedeckten todt oder verwundet das Schlachtfeld. Ein Entweichen war nicht möglich gewesen, da wir, besonders mit Hülfe der Kosaken, den Feind gänzlich umstellt hatten.

Glänzend war die Scharte ausgewetzt. Aber auch unsere Verluste an diesem Siegestage waren nicht unbedeutend. Wir Lützower betrauerten manchen tapferen Cameraden; Lützow selbst war schwer verwundet worden, auch das Heldenmädchen Prohaska befand sich unter den Schwerverwundeten und starb drei Tage darauf an ihren Wunden.

Es ist kein Zweifel, daß das kühne Unternehmen unseres tapfern Hauptmanns uns diesen glänzenden Sieg verschafft hatte. Ich habe später wohl zuweilen im traulichen Gespräch mit meinen Cameraden unsern Marketendergang zu den Franzosen erzählt, in weiteren Kreisen ist aber die Geschichte nicht bekannt geworden. Jahn hat aus mancherlei Gründen selbst nichts gethan, seinen Marketendergang in das Lager der Franzosen bekannter zu machen.
G. W.




Chinesische Geheimmittel. Einen so seltsamen Beitrag zu dem „Mundus vult decipi“, wie kürzlich die chemische Analyse entlarvt hat, kann es kaum zum zweiten Male geben. Vor noch nicht langer Zeit tauchte in allen Zeitungen die Ankündigung „Chinesischer“ Geheimmittel auf, welche sich Tsa-Tsin, Ying-kuei-tsum, Schen-Fu und Hienfong-Essenz nannten. Selbstverständlich machten diese Mittel nicht blos bei zahlreichen Leuten, denen kein „Doctus“ zuzusprechen ist, sondern auch bei recht vielen Doctoren großes Aufsehen. Der Verkäufer erzählte in den Annoncen, daß sein Freund Schmidt (warum nicht lieber Schulze?) in der Mandschurei, weit hinter den Buräten, jene unfehlbaren Heilmittel entdeckt und ihm zugeschickt habe. Alle vier, namentlich aber die Hienfong-Essenz, wurden gegen unzählige, äußerliche und innere Krankheiten und Leiden empfohlen; Nerven- und Faulfieber, Typhus und dergleichen sollten ohne Frage davon geheilt werden. Ja noch mehr, nicht blos die schwer leidenden, sondern auch die eiteln Menschenkinder sollten dadurch von ihren Uebeln befreit werden, denn auch Sommersprossen, Schinnen der Kopfhaut und dergleichen sollten sie vertreiben. Nun aber werden die chemischen und mikroskopischen Untersuchungen veröffentlicht, welche nachweisen, daß die Mittel allerdings sehr „chinesisch“ sind: Das Tsa-Tsin nämlich besteht aus sehr kleingeschnittenen und glattgestampften Blättern einer Gänsefußart; das Schen-Fu aus Beifußwurzel mit ein wenig Gelbwurzel vermengt; das Ying-kuei-tsum aus Blättern und Blüthen von römischer Kamille und Traubenkraut, verdeckt mit allerlei kleinen Zusätzen; die Hienfong-Tinctur schließlich, welche das namentlich wunderbar wirkende Hienfongin enthalten und ein ätherisch-weingeistiger Auszug der grünen Blätter des Hienfong-Kampherbaumes sein soll, ergab sich als ein sehr verdünnter Auszug von Lorbeerblättern und Lorbeerbeeren, versetzt mit etwa acht Procent Aether, 1½ Kampher-, 1 Krauseminz-, ½ Pfefferminz-, je ¼ Anis-, Fenchel-, Lavendel- und Rosmarinöl.

Der geniale Verfertiger dieser Mittel ist Dr. Schöpffer, jener wunderliche Kauz, der vor einigen Jahren herumreiste und in öffentlichen Vorträgen lehrte, daß die Erde still stehe und die Sonne sich um dieselbe drehe. Wie viele Leute ihm damals Glauben geschenkt haben, wissen wir nicht; doch das steht fest, daß diese Mittel, trotz ihrer fabelhaften Preise, massenhaft gekauft und, man staune! selbst von nicht wenigen Aerzten angewendet wurden. Mit vollem Recht fügen die „Berliner Industrie-Blätter“ hinzu, daß der Dr. Schöpffer ebenso, wie seine chinesischen, auch über Nacht Botokuden-Studien unternehmen könnte, um die Gesundheitsförderlichkeit der Knöpfe und Ringe in Nase und Lippe, sowie der an die Haut des Hinterkopfes genähten Pferdeschwänze zu begründen – und daß er auch dann wohl gute, gläubige und bezahlende Leute genug finden würde.
K. R.




Deutsch, nicht Lateinisch! Von einem unserer Abonnenten erhalten wir nachstehende Zuschrift:

„Schon oft habe ich mich darüber geärgert, deutsche Bücher und Schriften mit lateinischen Lettern gedruckt zu sehen. Neuen Aerger in dieser Beziehung hat mir die Zeitschrift des K. S. statistischen Bureau’s bereitet, welche auch noch dazu im Eingange die Verwendung lateinischer Typen in höchst naiver Weise zu rechtfertigen sucht. Ganz abgesehen davon, daß der Druck mit lateinischen Lettern keineswegs gefälliger, deutlicher und sonst zweckmäßiger erscheint, fragen wir: ist es nicht eine gänzlich undeutsche Sitte, deutsche Geistesproducte in fremden Lettern zu drucken? Man findet diesen Brauch allerdings meist bei Büchern, von denen sich der Verfasser oder Verleger eine größere Verbreitung, nach Befinden über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinaus, verspricht; – bei sogenannten „gelehrten“ Büchern und Schriften, indeß auch leider bei Festschriften etc. – Wird ein Aehnliches wohl je einer anderen Nation einfallen? Der Deutsche fühlt sich noch viel zu wenig als Nation, hält noch viel zu wenig auf seine Sprache und behandelt selbst seine eigenthümlichen Schriftzeichen verächtlich! Sollte nicht der deutsche Bücherschreiber denken: wenn ihr Ausländer von uns lernen oder euch auch nur mit uns wissenschaftlich unterhalten wollt, so bequemt euch, unsere Schrift lesen zu lernen? Und sollten hierin nicht unsere Gelehrten vorangehen und uns ein Vorbild sein von deutschem Thun und Wesen?“ –




Zur Mittheilung. Am 28. dieses Monats soll der Tag, an welchem vor achthundert Jahren die Wartburg, die weltberühmte Burg im Thüringer Lande, gegründet wurde, auf ihr selbst festlich begangen werden. Natürlich wird die Gartenlaube einen solchen Moment, der für die weitesten Kreise Interesse hat, da ja an die Wartburg sich unvergängliche Erinnerungen aus der deutschen Geschichte knüpfen, nicht unberücksichtigt vorüber gehen lassen, wir können vielmehr unsern Lesern die Mittheilung machen, daß wir bereits seit längerer Zeit Vorbereitungen zu einer würdigen Darstellung der Jubelfeier getroffen haben. Ludwig Storch, vielleicht der erste Kenner Thüringens, wird die Bedeutung des Festes nach allen Richtungen hin in seiner warmen, freisinnigen Weise beleuchten, und mehrere größere Illustrationen aus dem Griffel eines trefflichen Künstlers, welcher im Auftrage der Gartenlaube sich längere Zeit an Ort und Stelle aufgehalten, werden dem Artikel zum wahren und bleibenden Schmuck gereichen. Gleichzeitig sind wir in der Lage, aus jüngst erst erschlossenen authentischen Quellen eine Reihe ganz neuer Einzelheiten über Luther’s Gefangennehmung und seinen Aufenthalt auf der Wartburg zu bieten.

Leipzig, Mitte August 1867.
Die Redaction.




Für die Hinterlassenen der verschütteten Lugauer


gingen ein: Bei Gelegenheit einer Hochzeit in Gotha, eingesandt durch G. Mücke 5 Thlr. 26 Ngr. 5 Pfg.; Bürgerverein in Lützen noch 18 Ngr.; Erich, Oberlieutenant in Neu-Bidschow 2 fl. österr.; von der liebenswürdigen Cousine Clara in Hildburghausen 12 Thlr.; C. O. in Husum 5 Thlr.; Sammlung unter Postbeamten in Trier 6 Thlr. 9 Ngr. 5 Pfg.; Erzieher L. in Wehden 1 Thlr.; W. W. in Calbe 1 Thlr.; die Arbeiter der Maschinenfabrik von Bousack, Hausen u. Co. in Gotha 5 Thlr. 7 Ngr. 5 Pfg.; Sammlung durch Buchhändler Otto Riecker in Pforzheim 30 Thlr, 27 Ngr.; gesammelt im Quarta und Sexta des Gymnasiums in Koethen 7 Thlr.; Sammlung in der zweiten und dritten Classe der Töchterschule in Koethen 9 Thlr. 6 Ngr.; Sammlung in der Real- und Unterschule in Koethen 17 Thlr. Ein Bravo den wackern Lehrern in Koethen! – Eingesandt durch Kirchenrath Müller in Meiningen 8 Thlr. 7 Ngr. 5 Pfg.; A. H. u. W. H. in Paris 5 Thlr.; aus Heidelberg 1 Thlr.; M. v. V. in Ottmachau 7 Thlr.; T. W. in Paris 1 Thlr.; nicht reich aber mitleidig 5 Thlr.; Sammlung der Oertel’schen Schieferbrucharbeiter in Karlsbruch 20 Thlr. 15 Ngr. 5 Pfg.; eine lustige Gesellschaft im Hotel zum Mohren in Gotha 5 Thlr.; Liedertafel in Holzminden 50 Thlr.; Ertrag zweier Concerte auf der Dampf-Brauerei in Dessau 95 Thlr.; von einer Gesellschaft Deutscher in Amsterdam, eingesandt durch G. Boedeker 187 Thlr. 10 Ngr.
Die Redaction.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Novelle von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Illustrirte Volkspoesie. Mit Abbildungen. – Aus deutschen Gerichtssälen. 3. Nach acht Jahren. Von H. Black. – Deutschlands große Industriewerkstätten. Nr. 4. Bei dem Locomotivenkönig. I. Mit Abbildung. – Die Musik der Vögel. Von D. H. Beckler. – Blätter und Blüthen: Der Turnvater Jahn als Spion. – Chinesische Geheimmittel. – Deutsch, nicht Lateinisch! – Zur Mittheilung. – Für die Hinterlassenen der verschütteten Lugauer.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. So die meisten deutschen Strafrechte in Nachahmung des französischen Rechts. Vergl. auch § 144, Nr. 3 des preuß. Strafgesetzbuchs.