Die Gartenlaube (1882)/Heft 13

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1882
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 13.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



An unsere Leser.

An der Spitze des nächsten Quartals wird die mit allseitigem Interesse erwartete vortreffliche Erzählung

Recht und Liebe von Levin Schücking

ihren Platz finden, der sich mehrere kleinere Novellen, unter Anderm C. del Negro’s „Zwischen Vater und Sohn“, anschließen werden.

Außerdem liegen uns mannigfache werthvolle Aufsätze aus dem Leben der Zeit und der Wissenschaft vor, aus deren Zahl wir hier nur hervorheben: „Die deutschen Samariterschulen“ von Professor Esmarch (in Kiel), „Die Eröffnung der St. Gotthard-Bahn und ihre Bedeutung für den internationalen Verkehr“, „Der Canaltunnel zwischen England und Frankreich“, „Die Kettenschleppschifffahrt auf der Elbe“, „Die Magdeburger Börde“, sowie eine Reihe von Artikeln über die demnächst in Berlin zu eröffnende „Allgemeine deutsche Ausstellung auf dem Gebiete der Hygiene und des Rettungswesens“, für welche letzteren Beiträge wir eine Anzahl fachmännischer Autoren von hervorragender Bedeutung gewonnen haben. Auch werden wir in diesem Quartal eine Artikelreihe „Bilder von der deutschen Ostseeküste“ aus verschiedenen Federn, illustrirt von Robert Aßmus, eröffnen, wobei das Leben und die Wohnstätten der Deutschen in den russischen Ostseeprovinzen besondere Berücksichtigung finden werden.

Wir benutzen diese Gelegenheit zu der erfreulichen Mittheilung, daß unsere gefeiertesten Erzählerinnen: E. Marlitt und E. Werner, rüstig an der Arbeit sind. Jede von ihnen hat einen neuen Roman für die „Gartenlaube“ unter der Feder, und dürfen wir voraussichtlich noch in diesem Jahre auf die Fertigstellung dieser mit Spannung erwarteten Beiträge rechnen.

Die Redaction der „Gartenlaube“. 


Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Schluß.)

„Seltsam,“ meinte der Gutsherr, „da fällt mir ein, daß mir der Ortsvorsteher gestern von einem verdächtigen Subjecte sprach, das sich in der letzten Zeit hier in der Gegend umhergetrieben und allerlei Betrügereien und Spitzbübereien ausgeführt haben soll. Eine Art Taschenspieler, Bauchredner, was weiß ich, der unter anderem auch dem geizigen Hollerbauer drüben in Großdorf einen Schatz zu heben versprach, für den er ihm eine hübsche Summe ablockte. Der Aberglaube geht eben immer wieder auf dieselben Leimruthen, mit denen schon seit Jahrhunderten schlaue Vogelsteller ihre Gimpel fangen. Seit ein paar Tagen ist der Mann verschwunden und doch meint man, er könne noch nicht weit fort sein. Wäre er am Ende erkrankt und wäre er es –“

„O nein, o nein, Papa! Den kenne ich gut; der sieht ganz anders aus als der heimliche Gast – alt, dick und häßlich – nein, dem fällt man nicht so ohne Weiteres in die Arme – in die Arme, sage ich; denn ich hab’s mit meinen eigenen Augen gesehen, Papa.“

„Wie meinst Du das?“

„Heute kam Trine abermals durch den Garten an’s Fenster und pochte, Papa. Nach einer Weile trat die Tante mit ihr wieder heraus, und dann gingen sie dem Walde zu – und ich – ja es war eben nur Neugierde – ich wollte doch sehen – ich habe dann freilich nur durch den Nebel und ganz flüchtig gesehen, was vorging – und wenn auch nicht die Züge, so sah ich doch die Gestalt, die schon an der Thür wartete; ich hörte ganz deutlich, wie er sie ‚einen Engel‘ nannte und – nun ja, dann umarmten sie sich, Papa. Es ist doch nun einmal die Wahrheit – und warum sollte ich die nicht sagen?“

„Du spionirtest also?“ fragte ihr Vater, der ihr mit Befremden zugehört hatte, sehr ernst.

Sie schlug vor seinem Blicke die Augen nieder; sie sah auch nicht zu Edwin hinüber, dessen verlegene Winke den Strom so wenig einzudämmen vermocht hatten. Beschämt und doch trotzig, dem Weinen nahe, brach sie endlich in die entrüstete Anklage aus:

„Weil es abscheulich ist von der Tante, es mit zweien zugleich zu halten. Abscheulich! – Und weil ich nicht begreife, wie man selbst absichtlich die Augen schließen kann, um sich täuschen und verrathen zu lassen. Ich habe es Edwin schon heute Mittag gesagt, und jetzt ist sie ganz gewiß wieder dort – ganz gewiß! Wo wäre sie denn anders als bei ihrem heimlichen Gaste? O, das ist grundhäßlich von der Tante! Es empört sich alles in mir über solche Schlechtigkeit.“

„Geht nur zu den Dohnen und seht nach, ob sich etwas gefangen hat!“ sagte Franz finsteren Blickes und in einem Tone, der jeden Einwurf abschnitt. „Ich habe noch etwas in’s Reine zu bringen. Geht also! Geht!“

Damit schwenkte er ab und ließ die Beiden allein mit einander [202] – im dunkelnden Walde. Vergeblich hatte sich Edwin angeboten, den Gutsherrn zu begleiten; jetzt stand er Mimi gegenüber, welche ganz verbittert und trotzig auf die Erde starrte, in die sie mit der abgebrochenen Haselruthe zornig tiefe Löcher bohrte.

Zärtlich blickte er sie an, und seine Stimme hatte nicht ganz den rechten Ernst des Vorwurfs, wie er ja auch die Hälfte der Verantwortung großmüthig auf sich nahm, indem er kopfnickend sagte:

„Fräulein Mimi, jetzt haben wir aber etwas Schönes angerichtet.“ – –

Inzwischen war der Gutsherr damit beschäftigt, sich Aufklärung zu suchen. Er hatte nur wenige hundert Schritte quer durch den Wald aufwärts bis zum Jägerhause. Vor demselben stand des Doctors alterthümlicher kleiner Wagen, in welchem er über Land zu fahren pflegte. Der Kutscher war jedoch nicht bei dem Pferde, sondern saß, wie Franz beim Eintritt in die Stube bemerkte, mit noch einem Manne am Tische und zwar im eifrigsten, wenn auch gedämpften Gespräche mit Trine, welche die Flasche Wein, aus der sie Beiden eingeschenkt, über dem Interesse ihrer eigenen Mittheilungen wieder hinzusetzen vergessen hatte.

„Jesus, der gnädige Herr!“ rief sie, erst durch die auf den Tisch schnüffelnden Hunde aufmerksam gemacht.

Staunend erkannte Franz in dem Manne, der früher im Dunkeln gesessen hatte und der sich jetzt erhob, einen Gensd’armen. Was konnte der hier zu suchen haben? Sollte die Vermuthung doch zutreffen? Aber zuweilen kam es ja vor, daß ein solcher auf seinen Streifzügen in dem einsamen Hause einsprach und Erkundigungen einzog.

„Ist ein Kranker hier?“ fragte der Gutsherr nur kurz, „ein Kranker, bei dem der Doctor zu thun hat?“

„Wir sind just zuvor erst gekommen,“ erklärte der Kutscher, dem dies als das Wichtigste erscheinen mochte.

„Gerade wie gerufen, gnädiger Herr,“ übernahm nun Trine in ihrer unwirschen Weise die Antwort. „Aber doch schon zu spät. Es ist nur gut, daß der Halder zum Herrn Pfarrer gegangen ist. Wenn der nur schnell käme. Du lieber Gott, ich hab’s gleich gewußt, daß es so kommen wird. Ja, die jungen Leut’, gnädiger Herr! Das Elend und der Jammer, das ist’s, was einen Menschen herunterbringt, und wenn Einer so schwach ist, da reißt es ihn gleich zusammen, man weiß nicht wie. Es ist kein Wunder. Muß da noch der schlechte Mensch kommen! Ich hab’ ihm von allem Anfang nichts Gutes zugetraut, aber der Jäger, der wäre noch gut Freund mit ihm geworden. Ja, die jungen Leut’, wenn bei denen einer nur recht unterhaltlich ist und was zu erzählen weiß – und so ein Lump muß auch noch den Angeber spielen, weil er selber nicht mehr aus noch ein kann. Der verdient den Galgen, wenn noch eine Gerechtigkeit auf der Welt ist.“

„So viel wird ihm wohl nicht geschehen,“ meinte der Gensd’arm, an den sie sich mit den letzten Worten, wie wenn sie ihn persönlich verantwortlich mache, gewendet hatte.

„Was ist denn eigentlich hier vorgefallen?“ fragte ihn nunmehr auch Franz, der aus dem Gerede der Alten nicht klug zu werden vermochte.

„Eigentlich nur ein paar leichte Prellereien,“ lautete der Rapport, „aber die Bauern haben Anzeige gemacht, und er war signalisirt. Heute Nachmittag hat der Jäger Halder einen Wagen in Großdorf drüben bestellt und dann im Wirthshause so ein paar Kunststücke mit Karten, Messern und Gläsern zum Besten gegeben. Der Hollerbauer hat ihm in’s Gesicht gesagt, die könne er nur von dem Taschenspieler gelernt haben, und ist geradeswegs zum Ortsvorsteher gegangen, wo wir gerade auf Patrouille waren. Es hat sich so eins aus dem andern ergeben, gnädiger Herr, und zuletzt haben wir den Patron auch richtig hier aufgegriffen. Mein Camerad hat seine Escortirung übernommen. Er genügt auch allein, und ich muß nur hier bleiben, bis er zurückkommt und weiteren Befehl bringt. Es wäre doch am Ende möglich, daß es mit der Denunciation seine Richtigkeit hat. Das gnädige Fräulein hat eigentlich auch nicht widersprochen, und so weiß ich nicht –“

„Als ob ein Mensch noch reden könnte bei all dem Jammer und Elend,“ brummte die Alte. „Das Fräulein wird zuletzt auch noch krank davon werden.“

„Sprechen Sie von meiner Schwester?“ wandte sich Franz, dem das Gerede sonderbar ungereimt erschien, wieder an sie. „Wo ist sie?“

In diesem Augenblicke legte sich eine Hand, aus der alles Blut gewichen war, kalt, wie die des Todes, auf die seine. Er wandte sich mit einer raschen Bewegung zur Seite und sah in Hilda’s bleiches Angesicht, dessen tief ernster, schmerzlicher Ausdruck ihn seltsam ergriff.

„Du hier? Also doch hier?“ rief er. „Was ist das mit dem Kranken? Wer ist er?“

Ohne ein Wort zu erwidern, führte sie ihn an der Hand zu der hinter ihr offen gebliebenen Thür. Dort in der anstoßenden kleinen Schlafkammer stand Doctor Schöller neben dem Bette und zählte die Pulsschläge seines Patienten, den man während eines tiefen Ohnmachtanfalls schleunig auf all die hochaufgebauschten Kissen gelegt hatte.

Als Franz in das leichenhafte Gesicht sah, dessen Augen geschlossen waren und an dem keine Regung mehr Leben verrieth, da zuckte er in mächtiger Erschütterung; sein Fuß hielt an und weigerte sich, die Schwelle vollends zu überschreiten. Dann schweifte sein Blick von dem Arzte, der ihm mit leisem bedeutungsvollem Kopfschütteln begegnete, zur Schwester, und es sprach sich ein harter Vorwurf darin aus, während er die Hand mit einer heftigen Bewegung aus der ihrigen zog.

„O, sei nicht unversöhnlich in seiner letzten Stunde!“ bat sie ihn mit sanfter Mahnung.

So leise sie gesprochen, rief doch der Ton ihrer milden Stimme den Sterbenden noch einmal aus den Schatten des Todeskampfes zurück. Seine Augen öffneten sich und hingen eine Weile an des Bruders Zügen. – Ein Lächeln flog um die bleichen Lippen und ging wie ein scheidender Sonnenstrahl über das schon vom Kuß des Todes berührte Antlitz.

„Hast Du ihn gebracht, Hilda?“ fragte Wilhelm sanft und mit dem Aufwand seiner letzten Kraft. „Es ist lieb von Dir, Franz, daß Du gekommen bist. Es ist doch noch gut, Abschied zu nehmen, ehe man verreist. Und es geht diesmal weit weg – noch weiter als das erste Mal – vielleicht sehe ich da drüben die arme liebe Any wieder. Arme Kleine, es war doch zu einsam für sie allein in der andern Welt. Ja, die andere Welt, Franz – die andere Welt – – Ob die Recht haben, die da sagen – –? Aber es ist mir wirklich eine Freude, Dich noch einmal zu sehen. Fürchte Dich nicht, ich mache Dir keine Schande mehr – – ich ziehe weiter, weiter – – Der dumme Schlaukopf hat sich selbst in die Daumschrauben gebracht, und ich – ziehe dennoch weiter.“

Noch einmal flog es wie das matte Aufleuchten eines schadenfrohen Lächelns um die blutleeren Lippen, dann aber fuhr er noch viel weicher und fast unhörbar fort:

„Es hat mir immer leid gethan, daß ich Deinen Zorn erweckt hatte. Wir waren doch so gute Cameraden immer – einst – als kleine Jungen – weißt Du noch, Franz?“

„Gerade weil ich Dich –“ preßte Franz hervor – „weil ich Dich so sehr geliebt, Wilhelm,“ aber es war ihm unmöglich, weiter zu sprechen.

„Gott lohn’ es Dir – möcht’ ich sagen, aber meine Wechsel sind schlecht,“ seufzte der Sterbende mit bitterem Humor.

Er versuchte die Hand auszustrecken aber er vermochte sie kaum zu heben. Doch Franz hielt sie im nächsten Momente schon mit festem, krampfhaftem Drucke in den seinen.

„Mein lieber, armer Willi!“ sprach er zitternd, indem er sich hinabbeugte, und eine schwere Thräne rollte ihm über die braune Wange in den Bart.

Der große Versöhner, der allen Hader schlichtet und jedem Groll ein Ende macht, senkte sich langsam hernieder auf den armen Müden da in der kleinen Schlafkammer des Jägerhauses. Vor seinem Winke thun sich die verriegelten Herzen auf, und seine Berührung bringt ihnen Frieden.




11.

Auf dem erleuchteten Perron des Bahnhofes schritt Meinhard händeschüttelnd die Reihe der Bekannten auf und ab, die sich hier vereinigt hatten, um ihm das Geleite zu geben. Er hatte sich viele Freunde erworben in den langen Jahren, und so waren denn außer seinen bisherigen Untergebenen und den Angestellten der anderen Aemter auch Honoratioren und Bürger der Stadt zahlreich erschienen, um sich hier, wie das die freundliche Sitte verlangte, von dem Abreisenden noch einmal zu verabschieden.

[203] Sehr ernst und sichtlich gerührt ging er von Einem zum Andern, hatte für Jeden ein herzliches Wort oder ein freundlich aufmerksames Gehör, wo man sich noch in der letzten Minute die Protection des in eine so einflußreiche Stellung Gelangenden sichern wollte, aber dabei schweifte doch sein Blick manchmal plötzlich zur Seite, als ob er die Anwesenden mustere oder noch Jemand erwarte.

Da mit einem Male erhellte sich sein Auge, und dem Commandanten der Garnison, mit welchem er eben gesprochen, nur eine hastige Entschuldigung zuwerfend, wendete er sich der Eingangsthür zu, aus der eben Franz heraus getreten war.

„Du meinst also, daß Du von Waltershofen so holländisch davon gehen könntest?“ redete ihn dieser an. Was aber ein Versuch zum Scherze sein sollte, klang recht schwer und trüb.

Während sich die beiden Freunde die Hände drückten, zuckte Meinhard plötzlich und machte von Neuem eine rasche Wendung; denn hinter Franz tauchten nun Arm in Arm zwei zarte Frauengestalten auf.

„Wir fürchteten schon zu spät zu kommen, aber die Pferde haben doch noch tüchtig ausgegriffen,“ rief Mimi lebhaft.

Hilda sagte kein Wort; sie war sehr bleich und bewegt, und wäre der Schleier nicht bis zur Hälfte über das Gesicht herabgezogen gewesen, so hätte man an ihren Wimpern noch den Rest hinweggewischter Thränen flimmern sehen.

Meinhard begrüßte sie stumm.

„Ich konnte ja nicht erwarten,“ wandte er sich abermals zu Franz, indem er nur durch eine Gewaltanstrengung seine unsichere Stimme beherrschte, „ich konnte nicht erwarten, daß nach den heutigen Vorgängen – nach den Vorgängen in den letzten Stunden,“ verbesserte er sich, „Jemand von Euch noch Zeit und Stimmung finden würde –“

„Du weißt also schon?“ unterbrach ihn Franz.

„Soeben hat mir Doctor Schöller mitgetheilt – –. So traurig es ist, genau betrachtet, lieber Freund, muß man doch vielleicht sagen – es ist dem armen abgehetzten Manne die Ruhe zu gönnen.“

Franz nickte zu dem gutgemeinten Troste. Man sah ihm an, daß er innerlich bewegt war.

„Ja ja, ich weiß wohl,“ sagte er traurig. „Es ist alles gut, was ist, weil es ist, wie die Philosophen sagen. Aber daß es so kommen mußte – man hätte doch vielleicht –“

„Quäle Dich nicht mit Selbstvorwürfen, Franz! Was auch geschehen wäre, es hätte nichts mehr geändert. Schon gestern sagte mir Schöller, er besorge, daß Wilhelm nicht lange mehr leben werde. Sein Herzleiden sei zu weit vorgeschritten, es könne allenfalls noch Monate dauern, aber bei der geringsten Aufregung auch ein plötzliches Ende nehmen. Und wie war er in seiner Lage – vor Aufregungen zu behüten?“

„Gestern? – Sie wußten gestern –?“ fragte Hilda überrascht.

„Sobald Doctor Schöller vom Jägerhause zurückkam,“ antwortete Meinhard. „Der alte Herr hielt sich selbst schon für einen Mitschuldigen an der Verheimlichung und wußte sich vor Besorgniß nicht zu fassen. So nahm er denn in seiner Angst seine Zuflucht zu mir –“

„Und lieferte den Flüchtling damit aus,“ meinte Hilda.

„Nein,“ protestirte Meinhard mit Nachdruck. „Ich war zur Stunde nicht mehr an der Spitze des Amtes. Sonst hätte ich gegen meinen ehemaligen Jugendfreund einschreiten müssen. Doctor Schöller wußte das freilich nicht. Für mich aber gewann das Harte, das mich vor noch Härterem bewahrte, ganz andere Bedeutung. Es ist doch wohl alles gut, was ist.“

Hilda erbebte bis in’s Herz hinein. Alles, was gestern vorgefallen, trat ihr wieder vor Augen. O, sie verstand, was er meinte. Und nun war ihr auch der Sinn jener Worte klar, mit denen er ihr das Geld am Morgen eingehändigt. Er hatte genau gewußt, zu welchem Zweck sie es verwenden wollte, und diesen, wie die Dinge lagen, gebilligt, ohne sich unzart in das ihm einmal entzogene Vertrauen gewaltsam wieder eindrängen zu wollen. Und ihn hatte sie für gemüthlos halten können – ihn, ihn!

„O Meinhard!“ mehr brachte sie in tiefer Bewegung nicht hervor, aber auch dieser Laut wurde von dem Gerassel des anfahrenden Zuges verschlungen. Es war ihr, als gingen die schweren Eisenräder über ihr Herz hinweg, und ängstlich umklammerten ihre Finger seine Hand. Scheiden! Schon so bald, so schnell sollte es sein – –!

„Soll ich denn nicht noch einmal wenigstens in Ihr liebes Gesicht schauen dürfen, Hilda?“ bat er.

Und als jetzt die freie Hand den Schleier zurückgeschlagen hatte, da sah er in ein bleiches schmerzentstelltes Antlitz, in zwei schmerzerfüllte verweinte Augen, in die er seine ganze Seele versenkte. Einen Moment lang war’s ihm, als müsse noch ein Wort zwischen ihnen gesprochen werden – aber sie schwieg, und ihm versagte die Sprache jeden Laut. Und was sollte er auch noch sagen? Die Trauer galt ja doch nicht ihm – nur dem Todten waren die Thränen geflossen, und die Hand, die jetzt wie erstarrt in der seinen lag, wiederholte nicht den Druck, der ihm soeben das Scheiden nur noch erschwert hatte.

Er ließ sie los. Es mußte ja so sein.

Noch einmal Franz in die Arme. – „Du schreibst,“ sagte er. „Im Februar komm ich nach Wien.“ Dann hastig noch diese und jene Hand gedrückt, nach hier und dorthin einen Gruß und dann rasch in den Wagen, wo der Diener schon Ueberrock und Reisedecke bereitlegte. Hinauf! – „Glückliche Reise! Glückliche Reise!“

Aus Hilda’s Augen rannen plötzlich Ströme von Thränen. Schwankend klammerte sie sich an ihres Bruders Arm.

„Führ’ mich hinweg, Franz!“ stöhnte sie. „Mir ist zum Sterben.“

Während der Scheidende von seinem Sitze aus nach allen Seiten winkte und nickte, glitt sein Auge noch einmal zu Hilda hinüber. Aber kein wehendes Tuch, kein letzter Gruß – sie war verschwunden. Warum war sie gegangen? Man blickt doch dem scheidenden Freunde gern noch so lange nach, wie der entschwindende Zug noch sichtbar ist. Und sie hatte auch nicht die winzige Minute mehr auszuharren vermocht! Fürchtete sie dieselbe dem Glücklichen zu entziehen, der sie daheim erwartete – Edwin? Was hätte der Beneidenswerthe an der einen Minute verloren – er, dessen wonniges Eigenthum die ganze Zukunft blieb? – So fahr’ denn wohl, Traum eines Lebens!

Da huschte flink, wie eine Eidechse, noch eine schlanke Gestalt durch die dem Waggon zugewendete Gruppe der Herren, hüpfte über das nächste Geleise und war mit einem kleinen Sprunge auf dem Laufbrette. Gleich darauf tauchte Mimi’s frisches Gesichtchen an dem Fenster auf und sah mit wichtigen Augen zu dem überraschten Meinhard empor.

Das Kind also hing noch am treuesten an ihm! Das war ein Tropfen Rührung in die aufwallende Bitterkeit.

„Onkel Meinhard,“ begann die Kleine mit fliegender Hast, in dem Geräusche der Stimmen und zuschlagenden Thüren kaum verständlich, „Onkel Meinhard, Sie müssen nicht böse sein, aber mit unserer Heirath wird es nun wohl doch nichts. Ich kann nicht; denn ich habe schon Edwin mein Wort gegeben. Es thut mir leid, aber es geht wirklich nicht; das wollt’ ich nur noch sagen, damit Sie nicht am Ende wiederkämen, und darum bin ich auch eigens mit hierhergefahren. Aber nicht wahr, Sie tragen mir’s nicht nach, Onkel?“

„Edwin, Kind? Edwin? – Was ist es aber dann mit Hilda’s Brautschaft?“

„Zu Ende, zu Ende, lieber Onkel! Ist Alles nur ein Irrthum gewesen, ein Irrthum!“

„Was sagst Du? Wie ist das? – Du selbst irrst Dich gewiß, mein Kind!“

Die Kleine konnte nicht zur Antwort kommen, da der Schaffner sie eben gebeten hatte, zurückzutreten; sie sprang vom Laufbrett herab. Meinhard war kaum seiner selbst noch Herr. Edwin und Mimi ein Paar? Hilda frei? Und er sollte reisen – reisen in diesem Moment? Alles kochte in ihm; er öffnete nochmals die Thür und sprang rasch gleichfalls zur Erde.

„Ist es auch volle Wahrheit, Mimi? Nicht vielleicht ein kleiner Scherz?“ wiederholte er dringender seine Frage.

„Ich werde doch nicht so kindisch sein! Mit solchen ernsten Dingen treibt man keinen Scherz.“ Sie faßte seine Hand, indem sie mit ihm ein paar Schritte bei Seite trat. „Ach, Onkel Meinhard, lieber Onkel Meinhard, ich freue mich so unendlich. Es ist zwar recht traurig – das mit dem Todesfalle im Jägerhause – aber ich kann doch nicht immer weinen, und ich bin so glücklich – o so glücklich!“

„Aber ich verstehe noch immer nicht, was ist denn eigentlich geschehen? Es ist ja gar nicht möglich!“

„Doch, doch! Papa selbst hat nichts eingewendet. Er war [204] nach der aufregenden Scene im Jägerhause so weich und bewegt, daß er zu Allem nur nickte. Mama hat mir eine schöne Aussteuer versprochen, und Edwin will Alles thun, was Papa von ihm fordert. Er will ein Buch schreiben und Artikel für die Blätter, und sobald er die ersten tausend Gulden Honorar vorzeigen kann, dürfen wir heirathen – ja heirathen, Onkel Meinhard.“

Der Stationschef war an die beiden so vollkommen in ihr Gespräch Vertieften herangetreten, sie waren schon Zielpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden.

„Herr Sectionsrath!“ mahnte er höflich. „Es ist die höchste Zeit. Ich darf den Zug nicht länger aufhalten.“

„Lassen Sie ihn abgehen, lassen Sie ihn abgehen!“ erwiderte Meinhard in großer Erregung. „Ob ich nun zwölf Stunden früher oder später ankomme, davon hängt das Wohl des Staates nicht ab.“

Ein Wink! Es läutete – ein Pfiff, und vorwärts pustete der Zug, der sich ächzend und klirrend von der Stelle losriß, wo er kurze Zeit gerastet.

Mitten in dem Getöse die feine Stimme erhebend, erzählte Mimi auf Meinhard’s erneuerte Frage, wie Alles gekommen.

„Im Walde hat er mir’s gesagt,“ schloß ihr kurzer Bericht. „Er hat ja doch eigentlich mich lieb. Und ich glaub’s ihm – er wäre ja zu falsch, wenn es anders wäre.“

„Und – Hilda?“

„Tantchen wollte eben nur Jemand haben, der ihre Geschäfte besorgt, dazu aber braucht man doch nicht nothwendiger Weise zu heirathen – nicht wahr?“

„Mein Gott, wäre es denn aber wirklich möglich –! Wo ist sie, Mimi?“

„Da drinnen und weint sich die Augen aus.“

„Daß ihre Verlobung mit Edwin auseinander ging?“

„Gott bewahre, sie war es ja, die ihn fortgeschickt hat. Ich habe sie dafür so lieb.“

„Warum weint sie denn?“ drang er in steigender Aufregung in sie. „Um den Todten?“

„Danach können Sie sie ja aber doch selber fragen, Onkel Meinhard,“ versetzte Mimi achselzuckend, indem sie ihn schlau von der Seite ansah. „Warum sprechen Sie denn nicht zu ihr, wie Sie zu mir gesprochen haben? Ich habe ihr schon ein Bischen davon gesagt, nur ein klein Bischen – – Himmel! Jetzt sind Sie wirklich sitzen geblieben,“ rief sie lachend und klatschte hinter dem letzten Wagen des davonrollenden Zuges fröhlich in die kleinen Hände. „Wird das eine Ueberraschung geben!“

Meinhard war plötzlich von ihrer Seite verschwunden, und seine während des fliegenden Gespräches discret ferngebliebenen Bekannten sahen ihn nun mit ungemessenem Erstaunen zurückbleiben und dann mit beflügelten Schritten, leidenschaftlich wie einen Jüngling, in den Wartesaal eilen.

Ihm war zu Muthe, als hätte ein Sturmwind ihn plötzlich erfaßt, der ihn aus düsterer Schlucht zum hellen Sonnentage emporwirbelte.

Dort, im Wartezimmer, saß sie auf dem Bänkchen in der Ecke und lehnte schluchzend an ihres Bruders Schulter.

„Meinhard!“ rief dieser erstaunt dem in’s Zimmer Tretenden entgegen. In seinen Augen blitzte ein frohes Licht auf, als er den Freund erscheinen sah.

„Ich bin zu spät gekommen,“ versuchte Meinhard schüchtern eine Entschuldigung.

„Ich glaube eher – gerade zurecht. Gut, daß Du da bist; sie ist mir fast umgesunken.“

„Hilda, ist es möglich – ist es möglich, daß Du um mich weinst?“ fragte er mit bewegter Stimme. Hastig ergriff er ihre Hände und zog sie mit zärtlicher Gewalt von dem thränenfeuchten Antlitze hinweg.

„Hilda!“

„Nimm mich mit, Bruno,“ klagte sie sanft. „Ich kann nicht sein ohne Dich !“ –

„So war’s gemeint!“ sprach Franz nach einer Weile, während welcher er mit Rührung den Freund und die Schwester betrachtet, die sich wortlos umfangen hielten. „Na, was lange braucht, wird gut.“

„Das wollen wir hoffen!“ sagte Meinhard leuchtenden Blickes. „Endlich, endlich ist der säumige Gast doch noch eingekehrt in dieses widerspenstige Herz.“

„O nein,“ entgegnete sie, und mit schmerzlichem und doch glücklichem Lächeln, dessen Spiegelung sie in des Geliebten Augen suchte, schmiegte sie sich innig in seinen Arm. „Er ist immer dagewesen, von jeher – ich habe es nur nicht gewußt.“

„Da ist er also doch, der heimliche Gast,“ frohlockte Mimi. „Hatt’ ich nicht Recht mit meiner Warnung vor dem gefährlichen Nebenbuhler? O, ich hab’ es gefühlt. – Was wohl Edwin dazu sagen wird?“

Leise nickte Franz vor sich hin.

„Dort ist der Tod – hier das Leben. Das bleibt im Rechte.“




Das Moharremfest in Constantinopel.

„Haben Sie Zeit?“ rief es in mein Zimmer im Gesandtschaftshôtel zu Constantinopel.

„Ja!“

„Auch gute Nerven?“

„Natürlich – was giebt es denn?“

„Machen Sie sich schnell fertig! Der Wagen wartet; ein Schauspiel steht Ihnen bevor, wie Sie es schwerlich hier auf europäischem Boden erwarten.“

Die lange Gestalt meines Freundes M. tauchte im Hintergrund des Zimmers auf, hinter ihm, wie sein Schatten, der getreue Lazarian, das „Factotum“ der Gesandtschaft.

„Wir haben nur noch eine Viertelstunde bis zum Sonnenuntergang,“ fuhr der Eingetretene fort, indem er mit unverhohlener Geringschätzung die angebotene Cigarette zurückwies und die geliebte Virginia wieder mit einiger Mühe in Brand setzte, „das Fest beginnt mit einbrechender Nacht, und es ist fraglich, ob wir später noch Einlaß finden. Also eilen Sie!“

„Vor Allem,“ unterbrach ich den unermüdlich Redenden, „haben Sie die Güte, mir zu sagen, was denn das für ein ‚Fest‘ ist, das während der Nacht abgehalten wird und starke Nerven erfordert!“

„Unterwegs sollen Sie Alles erfahren. Haben Sie nie von den persischen Flagellanten gehört?“

„Ach, wieder einmal ein religiöser Humbug,“ rief ich enttäuscht, „eine Wiederholung der Taschenspielerkünste aus dem Kloster der heulenden Derwische oder etwas Aehnliches.“

„Unverbesserlicher Kritiker,“ warf er ein. „Erst sehen und dann urtheilen! Das heutige Fest hat nichts gemein mit jenem lächerlichen Gaukelspiel, von dem Sie da sprechen. Es ist eine persische national-religiöse Todtenfeier, die alljährlich im Validé-Khan[1] abgehalten wird, und Sie werden schwerlich eine bessere Gelegenheit finden, den Fanatismus in seiner ursprünglichsten rohesten Gestalt zu beobachten. Doch die Zeit drängt! Also avanti –“

Er zog mich fort. Ich hatte eigentlich geringe Lust, einem zum Ueberdruß bekannten Schauspiel zu Liebe die behagliche Wärme meines Zimmers mit der kalten Winterluft zu vertauschen. Gehörte ich doch zu den Bevorzugten, die sich bei den damaligen abnormen Witterungsverhältnissen einer wasserdichten Zimmerdecke und eines heizbaren Ofens erfreuten. Nicht Jedem ward es in jenen kalten Tagen so wohl in Constantinopel. Tausendmal schrecklicher als bei uns daheim in Deutschland sind die Plagen des Winters, wenn sie einmal hereinbrechen, in den gesegneten Zonen des südlichen Europas.

„Wer Pillaf[2] nie mit Unschlitt aß,
Wer nie im Bett den Schirm aufspannte,
Am kalten Ofen fröstelnd saß,
Der kennt dich nicht, du himmlische Levante!“

Die tiefe Wahrheit dieser classischen Verse hat gar Mancher in dem herrlichen Constantinopel zu erproben Gelegenheit gehabt.

Es dämmerte bereits, als wir hinaustraten. Der Abend war klar und von nordisch-winterlicher Schönheit. Tiefblaue Schatten lagerten auf den Cypressenhainen der Kirchhöfe, die nach dem

[205]

Das Moharremfest der Perser in Constantinopel. Nach einer Skizze von L. von Hirschfeld auf Holz gezeichnet von A. Langhammer.

[206] „Goldenen Horn“ hinabsteigen, und wie geschmolzenes Blei schimmerte die glatte unbewegte Wasserfläche zu uns herauf. Drüben erhob sich wie eine dunkle Wand das Häusermeer von Stambul, und die zahllosen Kuppeln und Minarets zeichneten sich wie schwarze Silhouetten von dem kalten gelblichen Abendhimmel ab.

Wir waren im Februar. Auf der großen Perastraße, wo sonst gerade um diese Tageszeit ein buntes geräuschvolles Treiben herrscht, eilten die heimkehrenden Geschäftsleute, in Pelze und Mäntel gehüllt, fröstelnd und mit flüchtigem Gruß an einander vorüber, und die heitere Scenerie orientalischen Straßenlebens war vor dem eisigen Hauche eines ungewöhnlich strengen Winters wie mit einem Schlage verschwunden.

Während unser Wagen über das schauderhafte Pflaster von Galata und den berüchtigten Knüppeldamm der „neuen“ Brüder nicht etwa rollte, sondern geschleudert wurde, erfuhr ich von meinem Begleiter die näheren Details über das Schauspiel, das uns in Stambul erwartete, über das Moharremfest.

Zwischen Türken und Persern besteht bekanntlich ein uralter Widerstreit, der nicht nur auf der Verschiedenheit der Volksstämme, der Sitten und Gebräuche beruht, sondern vorzugsweise aus der politisch-religiösen Spaltung herzuleiten ist, welche bald nach dem Tode des Propheten die Bekenner des Islam in zwei große Parteien trennte. Den Sunniten oder Anhängern der Sunna (der Tradition), welche sich um den Thron der ersten Kalifen schaarten, standen die Parteigänger Ali’s (shy’ at Ali) oder Schiiten gegenüber, welche in diesem ihrem Führer, dem Neffen und Schwiegersohne Mohammed’s, den einzig legitimen Nachfolger des Propheten erblickten und die herrschenden Ommahjaden als Usurpatoren betrachteten.

Der Kampf, der nunmehr um die Erbfolge entbrannte, ging allmählich mit dem Hinzutreten dogmatischer Zwistigkeiten in einen Religionskrieg über, der durch mehrere Jahrhunderte von beiden Seiten mit der höchsten Erbitterung geführt wurde und schließlich mit der Unterwerfung der persisch-schiitischen Provinzen endete. Die schiitische Lehre dagegen überdauerte alle Kämpfe und Verfolgungen; sie ist noch heutigen Tages Staatsreligion des persischen Reiches. Ihr wesentlichstes Merkmal ist, daß ihre Bekenner die nahezu abgöttische Verehrung, mit welcher die orthodoxen Moslems die Person des Propheten umgeben, auf den Gründer ihrer Secte und dessen Familie übertragen. Der gewaltsame Tod Ali’s – er fiel durch Meuchelmord – namentlich aber das tragische Schicksal seiner Söhne Hussein und Hassan, welche auf der Ebene von Kerbela von einem feindlichen Streifcorps überfallen und erschlagen wurden, liefern den Stoff zu alljährlich wiederkehrenden Trauerfesten, in denen der schiitische Fanatismus stets neue Nahrung findet, und die Todtenfeier am 10. Moharrem, an deren Schauplatz wir im Begriffe standen, uns zu begeben, ist das wichtigste Fest des ganzen Jahres.

Es war bereits ziemlich dunkel geworden, als wir vor der mächtigen düsteren Steinmasse des Carawanserails anlangten, um der Darstellung des Haupt- und Schlußactes des Festes beizuwohnen. Man hatte uns schon gesagt, daß, so hoch sich auch der religiöse Fanatismus der Perser während dieser Tage steigern möge, der sich ruhig bewegende Fremde doch unbelästigt bleiben werde, und in der That, wir konnten nicht nur ruhig unseres Weges gehen, sondern wurden sogar freundlich willkommen geheißen; denn kaum waren wir in den Khan, in dessen geräumigem Hofe das Schauspiel vor sich gehen sollte, eingetreten, als sich uns ein Kovaß (Gensd’arm) der persischen Gesandtschaft näherte und, an unseren Kleidern die Fremden erkennend, uns sehr höflich bat, ihm zu folgen. Durch die Mitte des versammelten Volkes hindurch führte er uns geradeswegs zu dem Zelte des persischen Gesandten und verschaffte uns so die angenehme Gelegenheit, von dem günstigsten Standpunkte aus Alles in Augenschein nehmen zu können. Auf dem Wege dorthin mußten wir bei den Darstellern vorbei, die eben ihren Zug aufstellten.

Derselbe wurde durch eine Anzahl schwarzgekleideter Knaben eröffnet, die nach dem Commando eines älteren eine Art von Recitativ sangen. Die beiden Kleinsten unter ihnen trugen zwei große Fahnen, wie sich denn deren mehrere im Zuge befanden; aus schwarzem oder dunkelgrünem Stoffe, mit in Gold gestickten Sprüchen aus dem Koran versehen und auf dem oberen Ende der Stange eine geöffnete goldene Hand als Spitze tragend, wehten sie prächtig im Winde. Den Knaben folgten vier Handpferde, von denen die drei ersten mit schwarzen Decken behangen waren und verschiedene Schilde und Schwerter trugen; sie brachten die Schlachtrosse der Kriegsgefährten Hussein’s zur Anschauung. Das letzte der vier Pferde, ein Schimmel, stellte das Pferd Hussein’s selbst vor und war in abschreckender Weise mit Blut bedeckt – ebenso die weiße Decke desselben. Schilde, Schwerter und einige Pfeile schmückten es zu beiden Seiten, und auf seinem Rücken sah man zwei weiße, mit Blut befleckte Tauben befestigt – eine allegorische Darstellung der reinen Sache, für die Hussein kämpfte und fiel. Neben diesen Pferden aber wurden zwei hohe Stangen getragen, von denen in reicher Fülle kostbare Cachemirshawls herabflatterten. Den Pferden folgten acht Männer mit einer Art Sänfte in der Form eines Sarkophages; sie war mit kostbaren Teppichen bedeckt und vorn und an den Seiten mit ovalen Schilden geschmückt, die mit kostbaren Edelsteinen besetzt waren, oben auf der Sänfte aber lag ein Turban, der den Kopfputz Hussein’s darstellte. Ein prächtiges Bild, diese Gruppe der Pferde und der Sänfte, um so prächtiger, als eine Schaar reichgekleideter Perser, die theils Fahnen, theils Wachslichter in kostbaren Glasleuchtern trugen, sie würdevoll umgab!

An das Prachtvolle aber reihte sich nun das Unschöne: eine große Zahl von Männern, die sämmtlich die linke Schulter und die Brust entblößt hatten und in gleichmäßigem Tacte mit voller Kraft diese nackten Körpertheile heftig schlugen. Dabei begleiteten sie mit einer Art rhythmischen Gesanges eine melancholische Stimme, welche aus ihrer Mitte laut hervortönte.

Dann folgte eine Schaar Personen mit ganz entblößtem Oberkörper, die nur um den Kopf und um die Hüften ein schwarzes Tuch geschlungen hatten. In der Hand trugen sie eine Art Geißel, die aus einem kurzen Stiele mit angehängten eisernen Ketten bestand.

Endlich bildeten den Schluß des Zuges zwei lange Reihen wild aussehender Männer, sämmtlich in lange weiße Gewänder gekleidet und den nach persischer Sitte ganz kahl geschorenen Kopf entblößt. Jeder von ihnen trug in der rechten Hand ein scharfes Schwert und hatte mit der linken den Gürtel seines Nebenmannes von rückwärts erfaßt. Sie stellten die zweiundsiebenzig sogenannten Märtyrer vor, welche den jungen Hussein begleitet und bei seiner Vertheidigung den Tod gefunden hatten.

Was ich in dem Zuge vermißte, war die Darstellung der dem Hussein feindlichen Soldaten des Kalifen Jezid. Man belehrte mich jedoch, daß es selbst in Persien sehr schwer halte, die nöthigen Darsteller dazu zu gewinnen, da bei dem Anblicke des Schauspieles die bis auf das Höchste gesteigerte religiöse Wuth des versammelten Volkes sich gewöhnlich gegen diese Soldaten des Jezid kehre. Russische Kriegsgefangene, die man einmal in Teheran dazu gezwungen hatte, diese Rolle zu übernehmen, mußten so schnell wie möglich die Flucht ergreifen, um ihr Leben vor den scharfen Hieben und dem Steinhagel zu retten, mit dem die erregte Menge diese unglücklichen Schauspieler überschüttete. Auch die Darstellung der Leichname der Märtyrer, wie sie in Teheran stattfindet, fehlte hier, da gewöhnlich mehrere Menschen dabei ihr Leben einbüßen. In Teheran gräbt man, um die enthaupteten Leiber der Hussein’schen Schaar zu veranschaulichen, eine Zahl Personen bis an den Hals in die Erde und legt dann eine ebenso große Zahl anderer Personen, von denen man die Köpfe geschickt verbirgt, so neben diese aus der Erde hervorragenden Häupter, daß es aussieht, als habe man eine Reihe enthaupteter Cadaver vor sich – ein schreckliches Bild!

Doch nicht lange war uns Zeit zum Betrachten des sich aufstellenden Zuges geblieben; unser Führer drängte, und wenige Augenblicke später befanden wir uns vor dem Zelte des persischen Gesandten. Dasselbe war mit Gewändern ganz schwarz ausgeschlagen und mit zahlreichen Gaskronleuchtern und vielen Lichtern feierlich erhellt.

Wir fanden in dem Zelte bereits eine kleine Zahl Europäer versammelt, und auf die liebenswürdigste Art wurde uns dort von der Gesandtschaft Thee und Tabak angeboten und Alles gethan, um uns die Betrachtung des zu erwartenden Schauspiels so bequem wie möglich zu machen. Die Zeit, die uns bis zum Beginn desselben verblieb, verfloß rasch in der Anschauung des bunten wechselvollen Bildes, das die zu Tausenden versammelte Menge darbot. Aus allen Theilen des weiten Orients schien sie zusammengeströmt zu sein, um dem staunenden Fremden den Anblick einer wahrhaft reichhaltigen Musterkarte der verschiedenartigsten Völkertypen und der verschiedensten Trachten zu gewähren.

[207] Von dem tiefen Blauschwarz des Negers bis zu der durchsichtig zarten, weißen Haut der bevorzugten Haremsdame, von dem schwarzen Frack und hohen Cylinderhut des Europäers bis zu der weitbauschigen türkischen Pluderhose und der bärenartigen Pelzmütze der Bewohner Kleinasiens war hier ein buntes Gemisch von pittoresken Figuren vertreten, wie sie eben nur der Orient in so reichhaltiger Menge aufzuweisen vermag. Hier stand der scharfäugige Tscherkesse in seiner kriegerischen Kleidung neben dem langsamen, bequemen Türken, dort der braune Araber im weißen Burnus neben dem ernsten Perser im langen Kaftan. Aber damit noch nicht genug! Sogar die Fenster und Balkone der den Hof einschließenden Gebäude waren mit Schaulustigen angefüllt. Hier hatte namentlich das schöne Geschlecht seinen Platz: Schaaren türkischer Frauen blickten auf uns neugierig herab; nach türkischer Art hockten sie auf dem Boden und ließen sich die selbst gedrehten Cigaretten gut schmecken.

Noch waren wir ganz im Anschauen des bunten Bildes versunken – da plötzlich erschallte in der Ferne ein rhythmischer Gesang, der das Herannahen des Zuges verkündete, und augenblicklich verstummte das dumpfe Gemurmel der vielköpfigen Menge. Man hörte nur noch das laute Schluchzen der zahlreich anwesenden, auf’s Tiefste ergriffenen Perser, die ihrer religiösen Trauer in lauten Klagen und reichen Thränenergüssen Luft machten. Die Priester erinnerten das Volk daran, wie kostbar eine einzige Thräne sei, die dem Andenken Hussein’s geweiht wäre, wie es eine Thräne wäre, die alle Verbrechen tilge, und mit großem Ernst verkündigten sie, daß Jeder, der an diesem Tage nicht betrübt wäre, elend zu Grunde gehen würde. Dann nahmen sie ein Stückchen Watte und, sich den Anwesenden nähernd, wischten sie diesen die Thränen von den Wangen und sammelten sie in einem kleinen Fläschchen. Es herrscht nämlich in Persien der Glaube, eine einzige dieser Thränen, in den Mund eines Sterbenden geträuft, lasse diesen sofort gesunden. Wie sollte man so kostbares Naß nicht sorgfältig sammeln!

Nun hatte der Zug sich unserem Zelte genähert und passirte unter lautem Getöse an uns vorüber. Die Knaben sangen ihr Recitativ, und hinter ihnen begleiteten noch immer die Erwachsenen den Gesang ihres unermüdlichen Vorsängers; noch immer hieben sie sich dabei im Tacte wild auf die nackte Brust. Dann folgte die Gruppe der Geißler. Hieb auf Hieb schlugen sie sich im Wechsel von rechts und links mit den eisernen Ketten auf die nackten Schultern, daß die Haut aufsprang und das rothe Blut hervorrieselte. Ein lautes klagendes „O Hussein“ erscholl von den Lippen der weißgekleideten Männer, die ihnen folgten und mit geschwungenen Schwertern ihre Reihen gegen einander näherten.

So zog der Zug das erste Mal vorbei, und lauter und immer wilder, immer herzzerreißender ertönten die Klagen der anwesenden Perser. Nur eine kurze Weile, und schon wälzte er sich zum zweiten Male heran. Bereits von weitem hörte man den eigenthümlichen dumpfen Ton, den die gleichzeitigen Schläge, auf die nackte Brust von einer so zahlreichen Menge geführt, hervorbrachten.

Vorbei zogen abermals Pferde und die Fahnenträger mit ihrer Umgebung. Zu Hunderten angewachsen, da sich Viele aus dem Volke ihr angeschlossen, brauste wieder die Gruppe der sich die Brust zerschlagenden Fanatiker an uns vorüber. Viele von ihnen trugen jetzt den Oberkörper ganz entblößt, und bei Allen war bereits die Brust, die sie mit immer stärkeren Schlägen bearbeiteten, dick geschwollen und mit Blut unterlaufen. Und da waren auch wieder die Geißler. Noch nicht ermattet von dem einmaligen Umzuge und mit von Minute zu Minute mehr gesteigertem Fanatismus, zerfleischten sie sich mit ihren Schlägen den nackten Rücken, indem sie dabei einander in der Kraft und der Zahl der Schläge zu überbieten suchten. Aber nun – was war es, das sich von weitem unter verworrenem Geschrei herandrängte? Es kam näher und immer näher – nun war es – grausiger Anblick! – unmittelbar vor uns: Schwerter blitzten aus einer wüst schreienden Schaar. Blutige Häupter – verzerrte Züge, rollende Augen – Wahnsinn der Exaltation – – es war die bewaffnete Schaar, unter all diesen Fanatikern die Schlimmsten. Einer suchte nicht nur die Anderen durch lautes Schreien in dem Rufe „O Hussein!“ zu überbieten, sondern schlug sich dazu auch noch wie rasend mit dem scharfen Schwerte über den Kopf. Vergebens war es, daß hinter ihnen die Menge die wuchtigen Hiebe mit Stöcken zu pariren suchte; denn bei der Heftigkeit, mit der die Schläge geführt wurden, erreichten dieselben nur zu wohl ihr Ziel. In Strömen floß das Blut über Gesicht und Hinterkopf auf die weißen Kleider herab. So wälzte sich diese blutige Menge an uns vorbei. Hier stürzte Einer erschöpft zu Boden und wurde nur mit Mühe von seinen Freunden unter den Füßen der Nachdrängenden hervorgezogen; dort reihte sich ein Anderer, der dasselbe Schicksal erlitten und sich inzwischen etwas erholt hatte, wieder in den Zug ein, um nach wenigen Minuten unter den verdoppelten Schlägen wieder zusammenzubrechen. Einen immer wilderen Charakter nahm das Bild an, und in der inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit erschienen seine Schrecken doppelt schrecklich unter der alles mit einer rothen Gluth übergießenden Helle der Kienfackeln.

Endlich aber verlangte die menschliche Natur ihr Recht. Von religiöser Trauer übermannt, von Blutverlust erschöpft und den körperlichen Schmerzen der heftig klaffenden Wunden fast erliegend, lösten die Darsteller nach mehrmaligem Herumziehen den Zug auf. Noch Stunden lang dauerte es, ehe sich die fanatisirten Zuschauer so weit erholt hatten, um, immer noch unter heftigen lauten Klagen, sich ihren Wohnungen zuwenden zu können und dort in dem Alles begrabenden Schlafe Vergessenheit und neue Kraft zu suchen. – –

Als ich zwei Tage später wieder den Validé-Khan betrat, fand sich keine Spur mehr von den Zeugen des Festes; im Hofe und in den Gängen herrschte das gewöhnliche geschäftliche Treiben; die Estraden waren abgebrochen, und nur einige dunkle blutrothe Flecken auf dem Steinpflaster erinnerten an das eigenthümliche Schauspiel, dessen Zuschauer ich gewesen. Auch fiel es mir auf, daß ein mir bekannter wohlhabender Teppichhändler, der einem der größeren Geschäfte vorsteht, seine geliebte spitze Lammfellmütze abgelegt und den Kopf mit leinenen Tüchern umwunden hatte.




Etwas über die Lage der Deutschen in England.

Von Wilhelm Hasbach.
(Schluß.)


Die deutschen weiblichen Dienstboten in England sind in mancher Beziehung günstiger, als andere Einwanderer gestellt; denn ihre Löhne sind hoch. Eine Köchin bezieht gewöhnlich einen Jahresgehalt von 20 bis 25 Pfund Sterling (400 bis 500 Mark), ein Zimmermädchen und Hausmädchen je nach Alter und Erfahrung einen solchen von 12 bis 20 Pfund Sterling (240 bis 400 Mark), da aber die englische Küche verschieden von der deutschen ist, kann eine deutsche Köchin in den seltensten Fällen sofort eine derartige Stellung bekleiden. Was daher deutschen Dienstboten vor Allem noth thut, ist, daß sie etwas Gründliches gelernt haben. Im englischen Hauswesen herrscht nämlich eine bestimmte Arbeitstheilung, und darum ist es für die Dienstboten von viel größerem Vortheile, in einem Zweige tüchtig zu sein, als mannigfache, oberflächliche Kenntnisse zu besitzen. Sie müssen sich auch an eine andere Behandlung durch die Herrschaft gewöhnen; denn während in Deutschland die Hausfrau vielfach im Hauswesen thätig ist und sich daher leicht ein halb vertrauliches Verhältniß zwischen Hausfrau und Magd herausbildet, besteht in England eine unüberbrückbare Kluft zwischen Herrschaft und Dienerschaft.

Bei uns in Deutschland sind wir es gewohnt, daß sich junge Mädchen in den Zeitungen „zur Stütze der Hausfrau“ anbieten. Manche derselben haben nicht genug Kenntnisse, um in Deutschland zu unterrichten; sie haben nicht wie ein Dienstmädchen arbeiten gelernt, sondern nur der Mutter in ihren Obliegenheiten geholfen. Sie wählen gern eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und Gesellschafterin, in der ihnen ein gewisser Halt in der Familie bleibt. In England gehört ein großer Theil der deutschen Einwanderinnen zu dieser Classe von Mädchen, welche bei uns zu Hause auf eine Stellung als „Stütze der Hausfrau“ reflectiren würden. Auf englischem Boden versuchen sie zuerst meistens ihr [208] Brod als Gouvernanten zu verdienen. Mißlingt ihnen dies, so bieten sie sich als Dienstmädchen an. Dazu sind sie aber nicht erzogen worden, wenigstens ist ihnen kein Theil des Hauswesens völlig vertraut, und so sind sie in diesen Versuchen in der Regel auch nicht glücklich. Nachdem Alles, was sie besaßen, verzehrt worden, erhalten sie, vielleicht durch die Hülfe eines deutschen Geistlichen, in einer kleinen Familie eine Stelle mit niedrigem Gehalt, welche ungefähr ihren Kenntnissen entspricht.

Das ist ein Fall, den man noch einen glücklichen nennen muß, denn in der Regel blüht den deutschen Dienstboten ein viel weniger gutes Loos; es ist ein sehr gefahrdrohender Weg, auf dem sie sich befinden. Dieser Weg ist aber, um ihn kurz zu skizziren, dieser: weibliche Dienstboten und ein großer Theil der Gouvernanten werden in England gewöhnlich von Agenten engagirt, welche ihnen auch Kost und Logis, manchmal zu unverhältnißmäßig hohen Preisen, geben. Der Agent hat natürlich ein großes Interesse daran, immer möglichst viele Waare auf Lager zu haben, und läßt deshalb in deutschen Zeitungen oder unter der Hand übertriebene und lügenhafte Berichte über den Bedarf und die Stellen deutscher Dienstmädchen in England verbreiten. Er schießt ihnen sogar zuweilen das Ueberfahrtsgeld unter der Vorspiegelung vor, daß eine glänzende Stelle für sie bereits gefunden sei. Aber wenn das arme Mädchen in England gelandet ist, will sich die Stelle nicht finden. Nachdem es Wochen lang gewartet und seine sauren Ersparnisse verzehrt hat, giebt ihm der Agent noch so lange Credit, wie die Habseligkeiten seines Opfers die Kosten zu decken scheinen, und weist ihm dann einfach die Thür. Das ist jedoch noch nicht das schlimmste Loos junger deutscher Mädchen. Mit manchen Agenturen stehen die verrufensten Häuser des Continents in Verbindung. Auch vor den englischen Agenten selbst und deren guten Freunden, älteren wie jüngeren Herren, die immer Geld haben, muß auf’s ernsteste gewarnt werden. – Wird es den Regierungen denn niemals gelingen, diesen verruchten Menschenschacher zu unterdrücken und die Agenturen unter dauernde Controlle zu bringen? Vorläufig sollten deutsche Mädchen den Verlockungen der Agenten das hartnäckigste Mißtrauen entgegensetzen und nur mit solchen verhandeln, die ihnen von berufener Seite als vertrauenswürdig bezeichnet sind. Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder nicht so leichtsinnig wie bisher nach England ziehen zu lassen. Ueber die Zahlen deutscher Dienstmädchen und Gouvernanten, welche hier zu Grunde gehen, berichtet keine Statistik; aber sie ist jedenfalls sehr bedeutend.

Für deutsche Frauen bietet sich hier ein reiches Feld der Vereinsthätigkeit. Möchten sie doch bis zu einem gewissen Grade die Vermittelung zwischen dem Agenten und dem Mädchen übernehmen und Beiträge für solche Häuser sammeln, welche sich die Unterstützung nothleidender Mädchen zum Zweck gemacht haben! Eine englische Wohlthätigkeitsanstalt hat mehrere derartige „Homes“ bereits gegründet; so wurde z. B. im Jahre 1881 ein Haus (8 Ensleigh Gardens, Tavistock Square) für deutsche Mädchen eröffnet, zunächst für Arbeiterinnen und Ladenmädchen bestimmt. Die wöchentliche Miethe für Schlafzimmer und Mitbenutzung der Speise- und Lesezimmer, beträgt 2,50 bis 4 Mark, und für Beköstigung berechnet sich dieses „Gordon-House“ wöchentlich ungefähr 4,50 Mark.

Ueber die Lage der deutschen Gouvernanten läßt sich nur ein allgemeiner Satz aufstellen: sie würden kein so entschiedenes Uebergewicht über die französischen Erzieherinnen behaupten, wenn sie nicht den Ruf größerer Solidität besäßen; denn die französische Sprache und Literatur werden in England noch immer höher geschätzt, als die deutsche. Deutsche Erzieherinnen werden daraus entnehmen, daß ihnen eine gründliche Kenntniß des Französischen, eine gute Aussprache und Fertigkeit in der Unterhaltung besonders förderlich sind. Wie bei allen Deutschen, wird auch bei ihnen musikalische Bildung vorausgesetzt.

Das Loos der deutschen Erzieherinnen jenseits des Canals ist nicht immer rosig, und es ist besonders ein Punkt, auf welchen die Schäden des Gouvernantenthums in England zurückzuführen sind: die Mißdeutung des contractlichen Verhältnisses zwischen der Erzieherin einer- und des stellungbietenden Hauses andererseits. Selbst intelligente Köpfe der vornehmen englischen Welt sehen nicht ein, daß das moderne Arbeitsverhältniß auf dem Contracte gleichberechtigter Menschen beruht, daß die Gouvernante die Kinder erzieht und dafür ihren Lohn zum Theil in Geld, zum Theil in Wohnung und Nahrung erhält, daß eine Familie folglich außer der erziehenden Thätigkeit keine Ansprüche an die Erzieherin zu stellen hat und dieselbe, deren Arbeitskraft sie kauft, ebenso wenig zu meistern hat, wie den Kaufmann, von dem sie ihren Kaffee und Zucker bezieht.

Ein Unternehmen, welches im Stande ist, manche Härten im Leben der Erzieherinnen abzuschleifen, verdient daher volle Aufmerksamkeit, nämlich der von Fräulein Adelmann gegründete „Verein deutscher Erzieherinnen in England“. Der Zweck desselben ist ein vierfacher: Er will seinen Mitgliedern Stellen verschaffen, den stellenlosen Lehrerinnen vorübergehend ein Heim bieten, arme und kranke Erzieherinnen ohne Stellung unterstützen und Damen des Vereins, welche Schulen in England gegründet haben, Zöglinge zuführen. Der Verein besitzt ein Haus in Wyndham Place 16, Bryanston Square, London W, welchem Fräulein Gaudian vorsteht. Es enthält ein Stellenvermittelungsbureau und Raum für etwa 20 stellenlose Damen. Der Verein verlangt von Neuaufzunehmenden gewöhnlich ein deutsches wissenschaftliches Prüfungszeugniß oder einen Nachweis über erfolgreiche Thätigkeit. Die Candidatinnen dürfen nicht unter 20 Jahren alt sein, und der Jahresbeitrag beläuft sich auf beinahe 8 Mark. Dafür hat das Mitglied die erwähnten Vortheile und den bedeutend höheren, daß es einer guten Stelle gewisser ist, als wenn es sich an einen Agenten wendet. Ohne es ausdrücklich zu bezwecken, verhilft der Verein seinen Mitgliedern auch zu besseren Gehältern und freundlicherer Behandlung.[3]

Angesichts dieser großartigen Thätigkeit des schwachen Geschlechts ist der Mangel an jeder Organisation unter den deutschen Lehrern, deren Anstellung auch durch Agenten vermittelt wird, um so auffallender und beschämender. Hier ist der Gang des Engagements gewöhnlich folgender: wohnt der Principal nicht zu weit von London, so läßt er Einige unter den Hunderten von Bewerbern in das Comptoir des Agenten bitten und trifft eine Auswahl; wohnt er aber weit von der Hauptstadt entfernt, so überläßt er das Engagement ganz dem Agenten. Da Beide gewöhnlich weder deutsche Zeugnisse lesen können, noch die geringste Kenntniß des deutschen Bildungswesens haben, so sind sie völlig unfähig, die Lehrer zu beurtheilen.

Damit ist dem Schwindel Thür und Thor geöffnet; denn die Kenntnisse, welche in England von einem Lehrer verlangt werden, sind so gering, daß ein gebildeter Kaufmann und Kellner ohne Noth unterrichten kann. Was hält sie da ab, die pädagogische Laufbahn zu betreten? Ob sie etwas von Pädagogik verstehen, kann der Principal nicht beurtheilen; es ist ihm auch herzlich gleichgültig. Die Hauptsache bleibt immer, daß die Knaben gut genährt und gesund aussehen, und wenn sich hier und da ein Talent unter der Schaar findet, so wird es auf das Bestehen eines öffentlichen Examens eingedrillt. Um diese Lage der Dinge noch begreiflicher zu finden, muß man bedenken, daß der Agent um so mehr Gebühren einnimmt, je mehr Stellen er vermittelt, und daß ein Mann von weitem Gewissen seine Interessen wahrt, wenn er den richtigen Mann nicht an die richtige Stelle schickt. Die Rechnung ist einfach: bei diesem Mißverhältniß löst sich das Verhältniß am leichtesten wieder auf; der Lehrer sucht eine neue Stelle und zahlt neue Gebühren. Ich möchte nicht behaupten, daß alle Agenten so handeln, aber der Eine oder Andere steht nicht nur im Verdacht, solche Streiche zu begehen, sondern weit schlimmere auf dem Gewissen zu haben, z. B. ganz unfähige Candidaten für sehr gute Stellen zu empfehlen, wenn dieselben mehr als den gewöhnlichen Procentsatz zahlen.[4]

Das englische Schuljahr zerfällt in 3 Trimester, welche zu Weihnachten, Ostern und Ende Sommer durch im Ganzen 15 Wochen [209] dauernde Ferien unterbrochen werden. Die Ferienzeit muß der Lehrer außerhalb der Schule zubringen, und zwar bei Stellenlosigkeit in der Nähe der Schulagenten in London. Die Reise und dieser Ferienaufenthalt verschlingen, selbst wenn er sparsam ist, gewöhnlich 35 Pfund Sterling, sodaß er sich jährlich eine Agenturgebühr von fünf Pfund Sterling auferlegen muß. Nun beträgt das durchschnittliche Gehalt des deutschen Lehrers, welches gewöhnlich nur ein Drittel oder die Hälfte desjenigen seiner englischen Collegen erreicht, 50 Pfund Sterling. Es bleiben ihm also für Wäsche, Kleidung und unvorhergesehene Fälle etc. nur 10 Pfund Sterling = 200 Mark!

Aus dem Moharremfestzuge:0 Gruppe der Büßer.
Nach Skizzen von F. Moral.

Den deutschen Lehrer wie die deutsche Erzieherin schätzt man nicht etwa wegen vorhandener Kenntnisse oder der Nationalität. Der Lehrer ist für den Principal eine schätzbare Acquisition, weil er überall zu gebrauchen ist. Erstens kann er neben Deutsch auch Französisch unterrichten. Dann spielt er Clavier, vielleicht auch Violine, und wenn die Schule eine eigene Capelle hat, Sonntags die Orgel. Er kann, wenn es nöthig ist, auch zum Unterricht in Geographie, Geschichte, Rechnen und verschiedenen anderen Fächern verwandt werden. Nun, welcher Art, angesichts dieser Verhältnisse, der Unterricht an Privatschulen überhaupt und der fremden Lehrer insbesondere sein muß, das kann sich jeder verständige Mensch selbst sagen, ja sogar Engländer gewinnen allmählich einige Einsicht in diese Zustände, richten aber in nationalem Dünkel ihren Tadel wieder an die unrichtige Adresse, indem sie sich in bitteren Schmähungen über die „pädagogischen Abenteurer“ ergehen, welche von Frankreich und Deutschland herüberkommen; sie schmähen so, ohne zu bedenken, daß Adler sich sammeln, wo Aas ist, und daß etwas faul sein muß im Staate England, wenn die Zahl der „pädagogischen Abenteurer“ anschwillt. Und faul ist in der That in dieser Beziehung manches im Staate England; denn – um nur Einiges kurz anzuführen – in welchem Lande ist es in das Belieben jedes Reverend gestellt, eine pädagogische Firma zu gründen? In welchem Lande hält man eine Agentur für das geeignetste Mittel, um tüchtige Lehrer zu erhalten? In welchem Lande sind die Directoren so ungebildet, daß sie nicht einmal die Zeugnisse ihrer Lehrer lesen können?

Aus dem Moharremfestzuge:0 Gruppe der Geißler.
Nach Skizzen von F. Moral.


Hier muß gründlicher Wandel geschaffen werden. Von englischer Seite kann man kein kräftiges Eingreifen erwarten; folglich müssen die deutschen Lehrer sich der Sache annehmen. Die tüchtigen Elemente, welche gute Zeugnisse besitzen, sollten zu einem Verein zusammentreten und vor Allem die Agentur in die Hand nehmen, damit die Schatzung der Stellenvermittler endlich aufhört. Ihr zweites Bestreben müßte es sein, ihre Kunden mit scrupulöser Gewissenhaftigkeit zu bedienen, um Vertrauen im Lande zu gewinnen; denn alsdann würde sich die sociale Hebung ihrer Mitglieder von selbst vollziehen und in Folge dessen jeder englische Director ihnen gern ein höheres Gehalt geben. Der jährliche Beitrag müßte so hoch bemessen werden, daß der Verein seinen kranken und stellenlosen Mitgliedern eine Unterstützung zukommen lassen könnte.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß zahlreiche Mitglieder der deutschen Colonien den Gründern solchen Vereins mit Rath und That zur Seite stehen und hochstehende Personen das Patronat desselben übernehmen würden. Dieser Hülfe müssen die deutschen Lehrer sich aber zunächst versichern, wenn sie in England Vertrauen und Erfolg erwarten wollen. – Eine Species deutscher Lehrer, welcher man am dringendsten vom Besuche Englands abrathen muß, ist der deutsche Musiklehrer. Er vermehrt sich jenseits des Canals in so wunderbarer Weise, daß an einigen Stellen die Preise bis auf einen Schilling für die Musikstunde heruntergegangen sind. Wie gering aber ist der Werth eines Schillings [210] (etwas mehr als eine Mark) in England! Ja, es ist eine schlimme Lage, in der sich die deutschen Musiklehrer in England befinden, und diese Lage wird immer schlimmer. Alles, was in Deutschland Elfenbeintasten gefühlt hat, bietet sich dort als Lehrer im Spielen und Singen an, aber es ist ein Irrthum zu glauben, die Engländer seien noch immer so unmusikalisch, daß jeder musikalische Deutsche hier sofort eine gut bezahlte Stellung fände. Langsam vollzieht sich eine wichtige Aenderung. Die Engländer studiren mit großem Eifer Musik; in zehn bis fünfzehn Jahren wird das Land seinen Bedarf an Musiklehrern ganz decken, und der dilettantische deutsche Musiklehrer nur noch ein Dasein in den alten Jahrgängen des Punch führen, in denen er jetzt eine beliebte Figur ist.

Besonders praktisch haben sich dagegen in England die deutschen Kellner organisirt! Dieselben finden hier je einen Zweig der zwei großen über Mitteleuropa verbreiteten Kellnervereine vor, nämlich die Section des „Deutschen Kellnerbundes“ und die des „Genfer Vereins der Hôtelangestellten“. Das Centralbureau des ersteren befindet sich in Leipzig, das des zweiten in Genf, und beide bezwecken Hebung des Kellnerstandes, Stellenvermittelung, Gründung einer Kranken- und Unterstützungscasse. Der Genfer Verein beschreitet mehr die Wege eines Gewerkvereins. Er hat sein Bureau Charlotte Street 107 W. und der deutsche Kellnerbund 36 Clipstone Street W. Ein solcher Verein ermöglicht einen regen, geselligen Verkehr zwischen den Mitgliedern. Die Häuser, in welchen sich die Bureaus befinden, enthalten je einen kleinen Gasthof, in welchem Mitglieder gegen geringes Entgelt Unterkunft finden, und trotz dieser Organisation haben die Vereine einen über den Bedarf starken Zufluß ihrer Mitglieder nicht verhindern können.

Die Deutschen halten England noch immer für ein Eldorado, in dem es ihnen glücken müsse. Aber mehr als die Hälfte aller Einwanderer leidet Schiffbruch und muß sich glücklich schätzen, wenn sie nicht moralisch verkommt. Alle, Kaufleute, Handwerker, Dienstboten, Erzieher und Erzieherinnen, müssen dringend vor einer Uebersiedlung nach England gewarnt werden. In jedem Erwerbszweige ist Ueberfluß an Deutschen vorhanden, und ihre erbitterte Concurrenz unter einander bewirkt ein stetiges Sinken des Lohnes. Es herrscht unter vielen die größte Noth und ein unbeschreibliches Elend.

So verdienen denn alle Berichte in deutschen Zeitungen, deren Verfasser entweder aus gewinnsüchtiger Absicht oder aus übel angebrachtem Patriotismus die Verhältnisse unserer Landsleute so glänzend wie möglich darstellen, das größte Mißtrauen, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn behauptet wird, daß jeder, welcher, um dem deutschen Nationalgefühl zu schmeicheln, irrige Angaben über die Lage der Deutschen in England verbreitet, sich zum Mitschuldigen an den bitteren Enttäuschungen, den pecuniären Verlusten und dem moralischen Ruin einwandernder Landsleute macht.[5]

Nur wenige Deutsche gelangen in England zu Wohlstand und Reichthum, und diese Wenigen bleiben gewöhnlich im Lande. Es wird also auf diese Weise kein großes Capital von England nach Deutschland getragen.

Weshalb die Deutschen, wie dies von den Engländern gefordert wird, ganz besonders dankbar für ihre Aufnahme in Albion sein sollten, ist uns wirklich unverständlich. Denn was man ihnen giebt, ist in den meisten Fällen der Lohn, den sie für harte Arbeit reichlich verdient haben. Die Engländer sollten im Gegentheil dankbar dafür sein, daß sie die deutsche Arbeit so billig kaufen können.

Eines will ich zum Schluß hier nicht unerwähnt lassen, weil es charakteristisch für die Sache ist: Man will uns verwehren, unser Urtheil über England abzugeben – das ist eines der zahlreichen Beispiele englischer Inconsequenz. Die Waare des Arbeiters ist seine Arbeit. Verkauft er an den Unternehmer außer dieser Waare etwa auch sein Urtheil, seinen Verstand, seine Meinung? Unsere Vettern haben uns ein Beispiel gegeben, welches augenscheinlich seine Früchte trägt! Ueber jedes Land, in welches der Britte seinen Fuß setzt, sitzt er gewöhnlich mit viel Unkenntniß und von ausschließlich englischem Gesichtspunkte zu Gericht, aber kein Land hat er seit zehn Jahren mit solcher Vorliebe zur Zielscheibe beleidigender Sottisen gemacht, wie Deutschland. Und nun verlangt er von uns Dankbarkeit, Wohlwollen und Schmeichelei?!

Möge es mir nun nach der möglichst objectiven Darstellung der Lage unserer Landsleute in England vergönnt sein, hier zwei Ziele für künftige Thätigkeit kurz zu bezeichnen! Energische und praktische Männer werden trotz der mannigfachen Schwierigkeiten zwei Vereine in’s Leben rufen können: einen Rechtsschutzverein und einen Vorschußverein. Die englischen Gerichtskosten sind hoch, und die Kenntniß des englischen Rechts unter unseren Landsleuten ist gering. Von welch unberechenbaren Segen würde sich da ein Verein erweisen, an den sie sich in Fällen der Rechtsverletzung wenden könnten! Und gleiche Bedeutung würde ein Vorschußverein behaupten, welcher unsere Landsleute in Nothlagen, in welche sie unverschuldet gerathen sind und in welchen sie sich, fern von der Heimath, nicht zu helfen wissen, mit einem verzinslichen Darlehen unterstützte. Er würde manches schwache Gemüth vor übermächtigen Versuchungen und manchen stolzen Charakter vor Entblößungen bewahren, welche nicht nur die Kraft seines Körpers untergraben, sondern oft die Gesundheit seiner Seele in Mitleidenschaft ziehen. Möchte deutsche Intelligenz und deutsche Thatkraft nach diesen beiden Seiten hin zum Heil Deutschlands in England heute lieber als morgen eintreten!


  1. So heißt die große Herberge der Perser in Constantinopel.
  2. Türkisches Gericht, bestehend aus Reis und Hammelfleisch.
  3. Der Jahresabschluß des Vereins für 1880 zeigte eine Einnahme von 3520 Pfund Sterling 15 Schilling 21/2 Pence (über 70,000 Mark) und eine Ausgabe von 1371 Pfund Sterling 5 Schilling 73/4 Pence. Ueber 1000 Pfund Sterling waren als Geschenk und freiwillige Beiträge eingegangen. Unter den Geschenkgebern stehen deutsche Fürsten und freie deutsche Städte voran. Die Leiter beabsichtigen einen Reservefonds von 4000 Pfund Sterling anzusammeln, um den Verein vollständig unabhängig zu machen und vielleicht später einmal ein Haus für alte und invalide Mitglieder, „a Home of Rest“, irgendwo an der schönen und gesunden Seeküste Englands zu gründen.
  4. Welche Steuer die Agentengebühren vorstellen, kann man daraus entnehmen, daß Jemand 33 Pfund Sterling 10 Schilling in 6 Jahren an Agentengebühren ausgab. Während dieser Zeit betrugen seine Einnahmen 450 Pfund Sterling. Er bezahlte also eine jährliche Steuer von 51/2 Pfund oder 71/2% von seinem Gehalte. Ein Anderer bezahlte in 2 Jahren 11 Pfund Sterling auf eine Einnahme von 110 Pfund Sterling.
  5. Wie groß die bekannte Noth unter den Deutschen in England ist, wird man folgenden Angaben entnehmen. Die Unterstützungen, welche im ganzen Lande von den deutschen Pfarreien gespendet werden, rechne ich nicht. Das General-Consulat unterstützte vom 1. November 1880 bis zum 1. November 1881 1188 Personen und spedirte 36 Personen in die Heimath zurück. Die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit und Eintracht“, welche unter der energischen Leitung Herrn Karl Tuchmann’s steht, vertheilte im Jahre 1880 an 1477 Personen etwa 630 Pfund Sterling, gleich 13,000 Mark. Außerdem bezahlte sie an 14 Pensionäre 71 Pfund Sterling 10 Schilling. Die „Gesellschaft der Freunde nothleidender Fremden“ ließ in demselben Jahre an 2300 Deutsche Almosen austheilen. In dem deutschen Hospital zu Dalston fanden im Jahre 1880 nicht weniger als 758 Personen Aufnahme.




Die sicilianische Vesper.

Auch ein „Jubiläum“.


Fürwahr, es ist eine eigene Sache um die Lehre von der dereinstigen Verbrüderung der Nationen, um das Dogma vom „goldenen Zeitalter des ewigen Völkerfrühlings“, wie das Ding von den rechtgläubigen Bekennern einer politisch-optimistischen Weltanschauung officiell benamst wird. Es giebt nämlich Leute, die nicht recht daran glauben mögen, Leute, die es vielmehr umgekehrt bedünken will, als stünde aller Humanität zum Trotz unsere alte Erde leider noch auf lange hinaus im verhängnißvollen Zeichen des Mars. Und was beinahe noch schlimmer: selbst mitten im formellen Friedensstande treten von Zeit zu Zeit Symptome hervor, sehr unzweifelhafte Symptome, welche die Verwirklichung jenes schönen Traumes einstweilen als in unabsehbare Ferne gerückt erscheinen lassen.

So z. B. an dem bevorstehenden fröhlichen Osterfeste des gegenwärtigen Jahres. Ein wahres Glück, daß Meister Elihu Burritt, der bekannte amerikanische Hufschmied und Friedensapostel, vor drei Jahren das Zeitliche gesegnet hat. Lebte der Mann heute noch, er würde wahrscheinlich die Augenbrauen bedenklich emporziehen und sich baß verwundern ob der Dinge, die gegenwärtig dort unten im europäischen Süden sich zutragen. Denn im Augenblick, da wir dies schreiben, rüsten sich gewisse politische Kreise Italiens, besonders Siciliens, mit Paukenschlag und Posaunenton den sechshundertjährigen Gedenktag jener ingrimmig blutigen Metzelei feierlich zu begehen, die in den Jahrbüchern der italienischen Geschichte unter der Bezeichnung der „Sicilianischen Vesper“ eingetragen steht. Da dieses Ereigniß zwar nicht der äußern Veranlassung, wohl aber dem tiefern Grunde nach mit der mittelalterlichen Geschichte unseres deutschen Vaterlandes, speciell mit dem glorreich-tragischen Abschnitt der Hohenstauferzeit im Zusammenhange steht, so wird es kaum einer näheren Motivirung bedürfen, wenn auch wir heute einem historischen Factum, das über Jahrhunderte hinaus seine Wellen schlug und welches noch gegenwärtig im Gedächtnisse des italienischen Volkes lebendig fortwirkt, eine kurze Betrachtung nicht versagen.

[211] Nach Conradin’s, des letzten Hohenstaufer’s, Niederlage und Hinrichtung (29. October 1268) – Ermordung wäre hier der richtigere Ausdruck – waren Neapel und Sicilien mit leichter Mühe der Regierung Karl’s von Anjou wieder unterworfen worden, allein der Uebermuth, mit dem die Franzosen ihre Unterthanen behandelten, die unbarmherzige Eintreibung unsinniger Steuern, das Verbot, irgend welche Waffen zu tragen, und die Verfolgungen, welche sie über eine Menge von Leuten als angebliche Anhänger des staufischen Geschlechts ergehen ließen, trieben das Volk mehr und mehr zur Verzweiflung. Am tiefsten wurde der Druck auf der Insel Sicilien empfunden, die, von den deutschen Kaisern von jeher besonders bevorzugt, jetzt unter französischer Herrschaft auf jede Weise hintangesetzt und in ihren Rechten gekränkt wurde.

Da faßte ein unternehmender Mann, Johann von Procida – er entstammte einer angesehenen Familie in Salerno, war Besitzer der Insel Procida und zugleich in der Arzneikunde wohlerfahren – den Entschluß, der unerträglichen Unterdrückung ein Ende zu machen. Als Ghibelline, das heißt als Anhänger der staufisch-kaiserlichen Partei, hatte er zwar seine Güter vor König Karl’s räuberischen Händen nicht retten können, sein Leben aber brachte er in Sicherheit durch die Flucht an den aragonischen Hof in Spanien, wo er die freundlichste Aufnahme fand. Voll Haß gegen die Franzosen und voll Treue gegen das hohenstaufische Haus erregte er den König von Aragonien, Peter den Dritten, der mit einer Tochter des bei Benevent besiegten und gefallenen Königs Manfred vermählt war, zur Rache gegen Karl und zur Befreiung der Unterdrückten. Da Peter allein sich nicht für stark genug hielt, zog Johann von Procida überall umher, ihm Bundesgenossen zu werben. Er ging heimlich nach Sicilien, entdeckte sich den dortigen Mißvergnügten und fand, daß er auf diese Insel am meisten werde rechnen können. Als Barfüßermönch verkleidet, reiste er auch nach Constantinopel zu dem griechischen Kaiser, der, mit König Karl’s feindseligen Absichten gegen seinen Thron nicht unbekannt, diesen gern in dessen eigenen Staaten beschäftigt sah. Kaiser Paläologus spendete reichliche Hülfsgelder und versprach außerdem den sicilianischen Edelleuten die Lieferung von Waffen. Nun faßte auch Peter von Aragonien Muth; er begann, eine Flotte auszurüsten, und da er vorgab, mit derselben gegen die Ungläubigen in Afrika kreuzen zu wollen, so erhielt er Geldbeiträge dazu vom König Philipp dem Dritten von Frankreich und, wie man sagt, sogar von Karl von Anjou selbst. In der That wollte Peter nach Afrika segeln, um dort zu erwarten, was in Sicilien geschehen werde; allein ehe er noch mit seinen Schiffen an der afrikanischen Küste erschien, war die von Johann von Procida geleitete Verschwörung durch einen Zufall, und früher als eigentlich beabsichtigt, bereits zum Ausbruch gekommen. Hiermit aber verhielt es sich folgendermaßen.

Das Osterfest des Jahres 1282 war herangekommen, aber es war für Palermo kein Fest der Freude; es war die Zeit, da der schmachvolle Uebermuth der Gewalthaber seinen Gipfelpunkt und die bis dahin mühsam bewahrte Geduld eines mißhandelten Volkes ihr Ende erreichen sollten. Gerade die gedachte Stadt – die ehemalige Hauptstadt des Reiches – haßten die Franzosen am meisten, einmal, weil sie die mächtigste der ganzen Insel war, sodann, weil man sich von ihr, welche die schwersten Kränkungen zu erdulden gehabt, gelegenen Falles des Aeußersten zu versehen hatte.

In Messina hatte Herbert von Orleans, der königliche Statthalter der Insel, seinen Sitz, und der Königsrichter des Districtes Mazzara, Giovanni di San Remigio, ein seines Herrn würdiger Diener, war Gouverneur von Palermo. Seine Unterbeamten hatten sich eben zu neuen Räubereien und Gewaltthätigkeiten verbunden, aber noch duldete das Volk im Stillen. Als die Bewohner Palermos an den Tagen des Leidens Christi gegen die irdische Trübsal in den Kirchen Trost durch das Gebet suchten, spähten des Königs Steuereinnehmer unter der andächtigen Menge diejenigen aus, welche dem Fiscus Abgaben schuldeten, schleppten sie mit Gewalt aus den Gotteshäusern, warfen sie gefesselt in den Kerker und höhnten das herbeieilende Volk durch den Zuruf: „Bezahlt, ihr Ketzer, bezahlt eure Schulden!“ Es war der letzte Act despotischer Willkürherrschaft. Das Maß war voll, und wenige Tage später, am Osterdienstage, den 31. März, nahm zunächst das Volk von Palermo und im weiteren Verlaufe der Empörung ganz Sicilien blutige Rache an den fremden Peinigern.

Etwa tausend Schritt südlich von der Stadt steht auf der Höhe von Oreto eine Kirche, welche dem heiligen Geiste geweiht ist. Rings um dieselbe dehnte sich zu jener Zeit ein freundliches Gefilde, welches eben der Frühling mit neuen Blüthen geschmückt hatte und durch das am gedachten Osterdienstage gegen Abend, alter Sitte gemäß, die Bewohner Palermos und der Umgegend friedlich dahinzogen, um in jener Kirche die Vesper zu hören. Noch während des Gottesdienstes thaten sich draußen im Freien Gesellschaften zusammen; Tische wurden errichtet; man lagerte sich im Grase, und muntere Tänze begannen. Für einen Augenblick athmete das Volk frei auf und vergaß seiner Noth. Plötzlich erschienen königliche Gerichtsdiener, und ein Schauer durchbebte all die froh Versammelten. Die Fremden kamen in gewohnter Weise, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, wie sie sagten; sie mischten sich unter die Gesellschaften, betheiligten sich am Tanze, thaten mit den jungen Mädchen vertraut – und schon begannen die Herzen der heißblütigen Sicilianer heftiger zu schlagen.

In diesem Augenblicke kam eine schöne Jungfrau von edler, sittsamer Haltung mit ihrem Bräutigam und ihren Anverwandten zur Kirche. Ein Franzose Namens Drouet – nach anderer Lesart hätte der Wackere Drouchet geheißen – näherte sich ihr, stellte sich, als wolle er untersuchen, ob sie nicht dem königlichen Verbote zuwider verborgene Waffen bei sich führe, und legte in schamloser Weise Hand an sie. Dies war das Signal zum Ausbruche des lange verhaltenen Grolles. Ohnmächtig sank die Jungfrau in die Arme ihres Bräutigams; dieser, rasend vor Wuth, schrie laut: „Nieder, nieder mit den Franzosen!“ und in demselben Augenblicke stürzte aus dem umstehenden Volke ein Jüngling hervor, der den Franzosen packte und ihn durchbohrte.

Kräftige Beispiele entflammen die Gemüther mehr als gesprochene Beweisgründe; die von langer Sclaverei Gedrückten erwachten wie mit einem Schlage aus ihrer Betäubung, und binnen weniger Minuten hallte der Ruf. „Tod allen Franzosen!“ durch das ganze Thal. Auf Drouet’s Leiche sanken haufenweise die Opfer von beiden Parteien, und wild durch einander wogte der Kampf. Die Sicilianer schlugen sich wie Verzweifelte mit Dolchen, Steinen und Stöcken gegen die vom Kopfe bis zum Fuße bewaffneten Fremden; ein wildes Gemetzel tränkte den Boden mit Lachen von Blut, aber die einmal entfesselte Kraft des Volkes trug den Sieg davon, und von den zweihundert bei der Kirche anwesenden Franzosen entkam nicht ein Einziger.

Keuchend, blutbedeckt und wie rasend vor Wuth rannten die Empörer nunmehr nach der Stadt, die vom Geschehenen noch keine Kunde hatte, schwangen die erbeutetet Waffen und verkündeten die erlittene Schmach sowie die geübte Rache. „Nieder mit den Franzosen!“ ertönte auch hier der allgemeine Ruf, und Alle, deren man habhaft wurde, mußten über die Klinge springen. Mitten im Getümmel wählte man einen palermitanischen Edelmann, Ruggiero Mastrangelo, zum Anführer. Immer mehr wuchs die Volksmenge; in große Trupps getheilt stürmte sie durch die Straßen; die Thüren der Häuser wurden eingeschlagen; kein Versteck, kein noch so verborgener Schlupfwinkel blieb ununtersucht. Wo immer man Franzosen fand, da schlug man sie nieder, zerriß man sie förmlich in Stücke, und wer nicht dazu gelangen konnte, selbst einen zu tödten, der schlug wenigstens jauchzend in die Hände, wenn ein Anderer es that. Giovanni di San Remigio, der schon oben erwähnte Gouverneur von Palermo, hatte sich bei dem plötzlichen Ausbruche der Empörung in seinem festen Palaste eingeschlossen, aber in einem Nu war derselbe von einer mordschnaubenden Volksmenge umringt, die den Tod des Verhaßten forderte. Die Schutzwehren wurden niedergerissen, und die Aufständischen drangen in den Palast ein, aber der Statthalter entkam in der Dämmerung und allgemeinen Verwirrung, indem er, nur von zweien Dienern begleitet, sich auf ein Pferd warf und in gestrecktem Laufe davonjagte.

Indessen dauerte das wüthende Gemetzel überall fort, und selbst die hereinbrechende Nacht setzte ihm kein Ziel. Am folgenden Morgen begann das Blutbad von Neuem; noch immer war der Rachedurst nicht gesättigt, aber es mangelten ihm allmählich die Opfer; denn gleich bei diesem ersten Ausbruche der Revolution waren mehr denn 2000 Franzosen hingeschlachtet worden. Wie die Chronisten berichten, diente der Laut eines Wortes als Erkennungszeichen der Fremden; wenn nämlich das Volk einen verdächtigen oder übelberüchtigten Menschen von zweifelhafter Nationalität bemerkte, so zwang man ihn mit an die Kehle [212] gesetztem Dolche, das italienische Wort „Ciciri“ (tschitschiri, so viel wie „Erbsen“) auszusprechen; sprach er die Laute fremdartig, das heißt mit französischer Betonung aus, so wurde er ohne Weiteres niedergestoßen.

Selbst in die Kirchen und Klöster drangen die Empörer; die Altäre boten keine Zufluchtsstätte mehr; Greise, Kinder und Weiber wurden getödtet, die Säuglinge an der Mutter Brust erwürgt und selbst das Kind im Mutterleibe nicht verschont von den unbarmherzigen Rächern.

Der stürmische Ausbruch der Empörung in der Hauptstadt hatte zunächst die auf die ganze Insel zurückwirkende heilsame Folge, daß alle inneren Parteiungen wie mit einem Schlage aufhörten. Noch in der Blutnacht des 31. März, unter dem Frohlocken über die gelungene Rache und dem Entsetzen über seine eigene kühne That, versammelte sich das Volk von Palermo, bildete ein Parlament und wurde dadurch noch weiter auf der betretenen Bahn vorwärts getrieben. Der königliche Name ward für immer abgeschafft; man beschloß, einen Freistaat zu bilden und ihn unter den Schutz der römischen Kirche zu stellen. Zu diesem Entschlusse wurde das Volk bestimmt, einmal durch seinen tödtlichen Haß gegen König Karl und seine Behörden, sodann aber auch durch das leuchtende Vorbild der lombardischen Städte-Republiken, die schon ein halbes Jahrhundert zuvor die Oberherrschaft der hohenstaufischen Kaiser glücklich abgeschüttelt hatten und nun sich auf ihre eigene stolze Kraft stützten.

Die Berufung auf den wesentlich nur nominellen Schutz der Kirche aber mußte den päpstlichen Zorn entwaffnen, vielleicht sogar dem Ehrgeize des Stellvertreters Christi schmeicheln, oder doch wenigstens der Rebellion einen Schein von Rechtmäßigkeit verleihen, indem man bei der Vertreibung des böswilligen unmittelbaren Herrschers doch nicht die Rechte des päpstlichen Oberlehnsherrn verletzte, aus dessen Händen Jener die Herrschaft empfangen hatte.

So wurden denn der schon weiter oben gedachte Ruggiero Mastrangelo und acht Beiräthe – sämmtlich den vornehmsten Geschlechtern der Stadt angehörig – zu Häuptern des Volkes ernannt. Bei Fackelschein wurde auf dem blutgetränkten Boden unter rauschendem Geleite Bewaffneter und festlichem Auf- und Niederwogen der Menge der republikanische Magistrat eingesetzt; Trompeten und maurische Heerpauken ertönten, und Tausende jubelnder Stimmen vereinten sich in dem Rufe: „Es lebe das Glück! Es lebe die Freiheit!“ Das alte Banner der Stadt aber, ein goldener Adler in rothem Felde, entfaltete sich in erneutem Glanze, und zum äußeren Zeichen des Gehorsams gegen die Kirche wurden in einem neuen Geviert die Schlüssel Sanct Peter’s hinzugefügt.

Von der Hauptstadt Palermo aus verbreitete sich der Aufstand binnen wenigen Tagen über die ganze Insel. In Catania allein sollen 8000 Franzosen um’s Leben gekommen sein, und in Taormina, wohin sich Viele geflüchtet hatten, ging es ebenso. In Messina, welche Stadt, da sie durch die stärkste Besatzung im Zaume gehalten wurde, sich am spätesten (gegen Ende April) der Empörung anschloß, wurden 3000 Franzosen ermordet, und in ganz Sicilien sollen, dafern man den Chronisten Glauben schenken darf, nur zwei französische Edelleute verschont geblieben sein.

So gestaltete sich diese „Sicilianische Vesper“ zu einem Blutbade, dem – gottlob! – die Geschichte aller Zeiten nur wenig ähnliche an die Seite zu stellen hat; in Deutschland aber betrachtete man sie mit Befriedigung als ein Strafgericht Gottes, als ein loderndes Todtenopfer, dargebracht den Manen Conradin’s, des ermordeten Hohenstaufer’s.

Karl von Anjou befand sich eben beim Papste Martin dem Vierten zum Besuche, als er die Schreckensnachricht erfuhr. Er schäumte vor Wuth und schwur den Sicilianern grimmige, teuflische Rache. Aber während er Messina, welches sich heldisch vertheidigte, mit großer Macht zu Wasser und zu Lande bestürmte, landete Peter von Aragonien, der, Karl’s Uebermacht fürchtend, einstweilen den Ereignissen gegenüber eine beobachtende Stellung eingenommen hatte, jetzt aber frischen Muth faßte, im Monat August mit 30,000 Kriegern, ließ sich in Palermo feierlich zum König krönen, zwang Karl zur Aufhebung der Belagerung von Messina und vernichtete den größten Theil seiner Flotte. So war denn die junge Freiheit der schönen Insel nur von kurzer Dauer gewesen, die Herrschaft Peter’s trat an die Stelle der Tyrannei Karl’s, und obschon der Kampf zwischen beiden Königen und ihren Nachkommen noch lange fortdauerte, blieben doch alle Versuche der Franzosen, die Insel wieder ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, vergeblich. Im Jahre 1302 kam endlich ein Friede zu Stande, kraft dessen Peter’s von Aragonien Sohn, Friedrich, König der Insel Sicilien blieb, während Karl der Zweite, der Sohn des drei Jahre nach dem sicilianischen Aufstande gestorbenen Karl’s von Anjou, sich mit dem unteritalienischen Festlande oder dem Königreiche Neapel begnügen mußte. Die Kirche bestätigte den Vertrag, einmal, weil auch König Friedrich sich für ihren Lehnsmann erklärte, sodann aber, weil eine Theilung der neapolitanischen Macht in ihrem eigenen Interesse lag; und so bildeten die Länder diesseits und jenseits der Meerenge für länger denn anderthalb Jahrhunderte zwei getrennte Reiche.

Die Weltgeschichte – und diese ist bekanntlich das Weltgericht – hat mit Recht in dem geschilderten Drama einen Act der Nothwehr seitens der Sicilianer erkannt und demgemäß ihren Wahrspruch auf „Nichtschuldig“ gestellt. Die französische Herrschaft über die trinakrische Insel hatte sich zu einer unerträglichen Landplage gestaltet, und die heißblütigen Sicilianer entledigten sich derselben nach ihrer Art, rasch und gründlich. Auch die Frage, ob das mißhandelte Volk bei Ausübung seines guten Nothwehrrechts nicht das erlaubte Maß bedenklich überschritten habe, mag hier füglich unerörtert bleiben. Anders verhält es sich mit jener pomphaften und feierlichen Verherrlichung der „Sicilianischen Vesper“, zu welcher augenblicklich die nationale Partei in Italien umfassende Vorkehrungen trifft. Unseres Erachtens wäre dieser „sechshundertjährige Gedenktag“ besser ungefeiert geblieben. Wir wissen es: die nationale Empfindlichkeit der Italiener ist durch die französische Besitznahme von Tunis schwer gereizt; aber der Genius der Humanität verhüllt trauernd sein Haupt gegenüber einer absichtsvollen Jubelfeier, die, gelinde gesagt, eine allmähliche, friedliche Verständigung unter den europäischen Völkern anzubahnen so wenig geeignet ist.

Fritz Träger.     


Ketten und Verkettungen.

Novellette von B. Oulot.
(Schluß.)


„Diane, sind Sie es?“ fragte ich zitternd, aber die Gräfin sah mich bei dieser merkwürdigen Apostrophe mit so ungekünsteltem Erstaunen an, daß ich, wieder beruhigt, annehmen konnte, ihrem Ausspruche liege keine tiefere Bedeutung zu Grunde.

So zog ich von einer Dame zur anderen, doch keine ließ mich errathen, ich möchte beinahe sagen, keine ließ mich wünschen, daß sie Diane sei.

Es wurde noch musicirt, conversirt, Karten gespielt und erst um Mitternacht wurde aufgebrochen und das Programm für den morgigen Tag entworfen: Nach dem Frühstück Jagd und Abends kleiner Costümball; alle Damen würden maskirt erscheinen und uns Herren durch allerlei kleine Scherze chicaniren.

„Das wird recht amüsant werden,“ sagte die Gräfin Hausfrau „umsomehr, als wir morgen eine noch zahlreichere Gesellschaft bilden werden; ich erwarte noch mehrere Gäste aus Wien.“

Diese Worte machten mein Herz pochen. „Diane kommt also vielleicht erst morgen,“ dachte ich und fühlte meine halb geschwundenen Hoffnungen und Erwartungen wieder neugeboren.

Am anderen Morgen begleitete uns Frau von Boworowska auf die Jagd. Sie trug ein elegantes Jagdcostüm, eine zierliche Flinte auf der Schulter und sah reizend aus; sie that sehr kokett mit mir. Wieder war ich beinahe überzeugt, Diane gefunden zu haben, doch alle in meinem Gespräche enthaltenen Anspielungen auf in unserer Correspondenz vorgekommene Dinge ignorirte sie vollständig. Freilich dauerte unsere Conversation zu Zweien nicht lange; denn die interessante Polin war stets von einer Schaar von Herren umringt.

[213] 

Luchs auf der Lauer.
Originalzeichnung von F. Specht.

[214] Diesmal habe ich meinen Ruf als guter Schütze wieder zu Ehren gebracht, wissend, daß die schöne Jägerin mich beobachten könne, gab ich mir alle Mühe und massacrirte so viel Wild wie möglich.

Ich forschte Saalfeld noch einmal über die mich nun lebhaft interessirende Dame aus.

„Ja, sie ist eine verführerische Schönheit,“ sagte dieser, „aber ich halte sie für keine gute, keine liebenswerthe Frau. Nochmals: nimm Dich in Acht! Sie hat ihren Mann unglücklich gemacht und sich dann freiwillig von ihm getrennt, auch ihre Anbeter weiß sie zur Verzweiflung zu bringen und lacht nur über deren Sentimentalität. Weißt Du, Baron, wegen der Frau von Boworowska hat einmal ein Duell stattgefunden, welches einem hoffnungsvollen jungen Menschen das Leben kostete – und am folgenden Tage tanzte sie munter auf einem Gesandtschaftsballe.“

Diese Mittheilungen aus Saalfeld’s Munde waren mir sehr peinlich. „Aber es geschieht ja oft,“ dachte ich, „daß Frauen falsch beurtheilt werden. Wenn sie die Verfasserin jener Briefe ist, so kenne ich sie besser als die Welt.“

Bei anbrechender Nacht kehrten wir in’s Schloß zurück, und ich hatte Muße, in meinem gemüthlichen Zimmer all die Eindrücke des Abends an meinem Geiste vorübergehen zu lassen. Es waren noch zwei Stunden bis zum Diner. Ich machte mir’s bequem, goß mir eine Schale des bereitstehenden Thees ein und hielt mir folgende Ermahnungsrede:

„Ritterglas, mein Guter, Du hast Dich von einem zu lebhaften Glückstraume erfassen lassen. Die Sache wird Dir höchstens eine ‚bonne fortune‘, aber kein Lebensglück bringen. Eine kokette, geschiedene Frau, wie sollte die Deiner Herzenssehnsucht genügen können! Ritterglas, Du hättest bei Deiner Arbeit bleiben sollen, statt Heirathsanträge zu schreiben. Aber wer weiß, vielleicht ist Diane erst unter den heute angekommenen Gästen, oder ist sie etwa gar nicht anwesend? Ritterglas, das wäre allerdings schrecklich!“

Wie ich so monologisirte, öffnete sich die Thür.

„Was willst Du, Bohuslav? Es ist noch zu früh zum Ankleiden.“

„Ein Stubenmädchen hat mir dieses für den Herrn Baron gegeben,“ sagte mein treuer Diener, indem er mir eine kleine Schachtel überreichte.

Ich hob den Deckel. Am Boden lag, in Watte gehüllt, eine frische Rosenknospe und ein Zettel mit den Worten: „Gruß von Diane!“

Die theure Schrift machte mir den Eindruck eines verloren geglaubten, wiedergefundenen Freundesantlitzes. Aus dieser Schrift leuchtete mir wieder das ganze durch Frau von Boworowska halb verwischte, traute Bild meiner Träume entgegen.

Mit der Rosenknospe im Knopfloch, wieder so gespannt wie gestern, und noch erwartungsvoller, da ich nun bestimmt wußte, Diane sei hier, betrat ich den Salon. Die Gesellschaft war in der That bedeutend zahlreicher, ich sah mehrere – darunter sehr anmuthige – Frauengestalten, welche gestern noch nicht anwesend waren. Doch ich hatte nicht Zeit, mich den Neuangekommenen vorstellen zu lassen, weil die Gesellschaft sich sofort in den Speisesaal begab. Ich war wieder Frau Katharina Meier’s Tischnachbar, und ich fürchte, daß meine Conversation der guten Dame ziemlich zerstreut vorgekommen sein muß. Sie hatte mich um meine Lieblingsbeschäftigung und um mein Wappen ausgefragt.

Natürlich, wenn mich Jemand um meine Lieblingsbeschäftigung befragt, so bin ich ihm die Erklärung schuldig, daß ich Philosophie betreibe, und zwar nicht nur als Student, sondern als schriftstellerisch thätiger Chorführer einer neuen Schule. Freilich besteht meine Autorschaft erst aus den Ihnen gemachten vertraulichen Mittheilungen, und Diane hat meine diesbezüglichen Ideen eine harmlose Marotte genannt, aber Frauen verstehen ja von solchen Dingen nichts.

Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich in meinen Antworten auf Frau Meier’s Fragen Philosophie und Wappenkunde in der kläglichsten Weise mit einander vermischt habe; denn ich sah meine Nachbarin öfters im Stillen den Kopf schütteln.

Ich mochte erklärt haben, daß mein Wappen aus Ketten und Verkettungen bestehe und daß mein Buch einen Turnierkragen und mehrere Schrägebalken enthalten werde. Ich habe Freiherrnkronen im Allgemeinen vielleicht als Postulate der praktischen Vernunft bezeichnet und meinen oft citirten Herrn von Hartmann einen linksschreitenden Greif genannt.

Diesmal blieben, nach englischer Sitte, die Herren allein an der Tafel zurück, da die Damen sich alle früher entfernten, um der gestrigen Verabredung gemäß sich zu costümiren und zu maskiren.

Nach einer Stunde ungefähr füllten sich die Salons mit den schönen Masken. Auch die Hausfrau und die anwesenden Mütter und Tanten hatten sich zumeist in Dominos gehüllt. Die jungen Mädchen waren als Bäuerinnen, Blumenmädchen und dergleichen verkleidet. Das Fest war ein improvisirtes, und daher waren keine besonderen Costüme vorbereitet worden.

Ich wußte nun, daß meine Stunde geschlagen habe. Jetzt oder nie mußte Diane mir nahen und sich mir zu erkennen geben.

Ich hatte dies kaum gedacht, als eine majestätische und anmuthige Gestalt auf mich zugeschritten kam, sie trug einen langen faltenreichen Domino aus weißem Atlas und hielt in der Hand ein schleifengeziertes Rosenbouquet. Ich trat ihr einen Schritt entgegen.

„Diane!“ sagte ich.

Sie schob bebend ihre Hand unter meinen Arm und stand schweigend neben mir. Die Hand war nicht behandschuht, aber sie hob sich weiß wie Marmor von meinem Aermel ab, und es war dieselbe grübchengeschmückte königliche Hand, wie sie auf dem photographirten Steingeländer lehnte.

„Diane, Diane!“ wiederholte ich. „Sagen Sie nur ein Wort!“

„Ja, ich bin es, Ritter Emil,“ hörte ich die leise, fast nur gehauchte Antwort, und das Händchen zitterte sichtbar.

Ich war selbst so ergriffen, daß ich nicht reden konnte; ich führte sie aus dem menschenvollen Saale durch die Reihe der offenstehenden Nebengemächer, bis wir einen kleinen blumengefüllten Salon erreichten, wo wir allein waren.

Beim Kamin standen zwei Fauteuils; Diane trennte sich von meinem Arm und ließ sich auf einen dieser Fauteuils nieder, mir den ihr gegenüberstehenden Sitz mit einem Winke anweisend. So saßen wir eine Weile, sie zurückgelehnt, den zarten Atlasschuh am Kamingeländer gestützt; wir hatten noch immer nicht gesprochen.

„Diane!“ sagte ich endlich, „wir sind allein hier – nehmen Sie die Maske ab!“ .

Sie schüttelte den Kopf.

„Noch nicht“ sprach sie mit unsicherer Stimme.

„Sie scheinen mich zu fürchten, Diane, haben Sie das Vertrauen verloren, welches aus Ihren Briefen sprach? Entziehen Sie meiner Person die Sympathie, die Sie Ihrem Correspondenten schenkten?“

Sie schüttelte wieder verneinend das Haupt.

„Nein,“ sagte sie, „das ist es nicht … aber sehen Sie … die Begegnung von Seele zu Seele in dem Phantasienlaubgang, welche mich in den sonderbaren Briefwechsel hineingezogen, hat sich jetzt in eine gewöhnliche Begegnung von Herr und Dame am Kamin verwandelt – und das ganze Unerhörte – ja ich könnte sagen, Unschickliche unseres Verkehrs tritt jetzt in dieser Wirklichkeitsumgebung hervor, und ich fühle mich beklommen – fast beschämt. Wenn ich weiter zu Ihnen reden soll, so muß ich wenigstens noch diese Maske behalten; hinter ihr fühle ich noch etwas, wie den Schutz eines Briefcouverts: sie ist das Einzige, was von der Mystik unserer Freundschaft zurückgeblieben.“

„Freundschaft, Diane! Von meiner Seite – ich habe ja gewagt es Ihnen zu schreiben – ist es – ist es Liebe.“

„Ritter Emil, Sie wissen ja nicht einmal, wer ich bin, wie ich aussehe –“

„Ich weiß mehr als alles das,“ unterbrach ich mein reizendes Gegenüber, „was ist ein Name, ein Gesicht im Vergleich zu dem hohen Werthe solchen Gedankenschwunges, solchen Gesinnungsadels, wie er aus Ihren lieben schönen Briefen spricht!“

„Auch Sie, Baron Ritterglas, sind mir durch Ihre Briefe so – so nahe getreten – – ich schüttete Ihnen gern mein Herz aus, aber dennoch: wie Julie in der Balconscene, fühle ich die Wangen brennen, und wie Jene der Nacht dankt, die sie vor Romeo’s Blicken birgt, so danke ich dieser Maske.“

Ich ergriff ihre Hand, welcher derselbe Veilchenduft entströmte, der ihren Briefen eigen war, und führte sie an meine Lippen:

„Und wie Romeo will ich schwören, daß Du meines Lebens Herrin werden sollst.“

Bei dem Worte „Du“ durchschauerte es sichtlich ihre ganze Gestalt, und sie zog ihre Hand zurück.

[215] „Sie sind zu ungestüm, Baron Ritterglas. Sie schwören zu früh. Sie wissen ja nicht einmal, ob ich frei bin.“

„Sie mußten wissen, daß Sie über sich verfügen können, Diane, als Sie die Worte schrieben ‚cela engagerait à tout‘. Mein höchster Wunsch wäre – – wäre – gebe Gott, daß Sie unvermählt sind! Es war ja doch ein Heirathsantrag, der das Ganze begonnen – und ich bin dazu geschaffen, glaube ich, häusliches Glück zu schätzen und zu schaffen.“

„In Ihrem Antrag war eine Bedingung – Reichthum!“

„Mein Gott, ich bin für die Poesie des Luxus sehr empfänglich, aber wenn das Mädchen meiner Liebe auch keinen Heller besitzt und mein bescheidenes Heim theilen will, so wäre ich doch der glücklichste Mensch. Uebrigens werde ich nach und nach zu einem Vermögen gelangen.“

„Wodurch?“ fragte Diane.

„Sie wissen ja – meine schriftstellerische Thätigkeit, von welcher ich Ihnen mitgetheilt! Wenn die Philosophie der Verkettungen einmal die achte Auflage erlebt.“

Nun schallte unter der Spitze von Diane’s Maske ein silbernes Lachen hervor.

„Wer lacht, ist entwaffnet,“ sagte ich; „sprechen Sie ein gütiges Wort zu mir, Diane – geben Sie mir Hoffnung?“

„Ich will, so lange ich mich hinter meiner Maske sicher fühle, ein ernstes Wort zu Ihnen sprechen, Baron Ritterglas. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren einer Unbekannten gemachten Antrag – oder hätten Sie mir nachgeforscht,“ unterbrach sie sich „– wissen Sie vielleicht, wer ich bin?“

„Auf mein Manneswort: nein!“

„Also, ich danke Ihnen,“ fuhr sie fort, „und gebe Ihnen meine Antwort. – Ich kenne Sie. Ich weiß, daß Sie in jeder Beziehung ein Ehrenmann sind und zudem – verzeihen Sie, – kein Philosoph, sondern ein Poet. – Sie haben mir, die ich ein einförmiges, alltäglich-bürgerliches Leben führte, durch Ihre Briefe eine neue Welt erschlossen. Wie einsam war ich bei meinen Dichtern und Denkern! Ich hatte mich in die Werke unserer großen Geister vertieft, war dadurch in meinen Lebensanforderungen vielleicht etwas exaltirt geworden – ich fühlte mich in meiner Umgebung recht unglücklich – ich dachte schon, daß ich an die nichtssagende Prosa der mich umgebenden interesselosen Lebensverhältnisse gefesselt bleiben müsse, daß ich meinem Ideale nie begegnen würde, als unser Briefwechsel mir ein mitfühlendes Wesen nahe brachte, dessen Geist meine Gedankenkreise noch weit überflog, dessen Herz ebenso warm wie das meine, von Menschenliebe und Gottesahnung erfüllt ist – und vollends – als dazu noch Ihr Brief kam mit dem Geständnisse: ‚Diane, ich liebe Sie‘, – da –“

„Nun, da? – Sprechen Sie weiter, Diane! Ihre Worte sind mir berauschende Musik!“

„Da hatte ich aufgehört, mich unglücklich zu fühlen, Baron Ritterglas – ich war so glücklich, glücklich – –“

O, daß ich nicht auf die Kniee sinken konnte, die Hand zu küssen, die sie mir nun reichte! Ich konnte es nicht; denn die Thür des Salons war offen, und der Hausherr trat eben ein:

„Ah, hier ist noch ein Intriguenpaar – und es ist schon Zeit zum Demaskiren. Ich bitte die Herrschaften, sich in den großen Saal zu begeben.“

Diane war bei des Grafen Eintritt eilig von mir weggegangen und stand nun in einer Fensternische. Saalfeld nahte sich mir und sagte leise:

„Du scheinst sehr lebhaft die Cour gemacht zu haben, Freund Ritterglas, aber ich würde Dir rathen, lasse Dich in keine Liebesintriguen ein; ich habe nämlich ein Project für Dich – das schöne Fräulein Elsbeth Meier – was sagst Du dazu? – Zwei Millionen Mark! – Die Idee kommt von meiner Schwester.“

„Ich bedauere, mein Herz ist nicht frei.“

Diane war zurückgekommen, und mit dem ganzen Muth der Liebe trat sie zu uns Beiden:

„Verzeihen Sie meine Indiscretion, Herr Graf! – ich hörte, was Sie sagten.“

„Dann haben Sie wohl auch meine Antwort vernommen: mein Herz ist nicht frei.“

„Sie sind wohl selbst diejenige,“ sagte der Graf, sich gegen Diane verneigend, „welcher das gefesselte Herz des Herrn Baron angehört, schöne Maske?“

„Ja, ich bin es, und ich nehme Besitz davon,“ lautete ihre Antwort. Bei diesen Worten hatte sie langsam ihre Maske herabgenommen und stand in strahlender Schönheit vor uns:

„Elsbeth!“ rief ich entzückt.

„O weh, was habe ich angerichtet!“ seufzte der Graf.

Cela n’engage à rien,“ lächelte Elsbeth.

Cela engage à tout!“ erwiderte ich.

Saalfeld schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich verstehe kein Wort von alledem.“

*  *  *

Morgen haben wir Hochzeit. – Sie sehen wohl ein, daß ich nun eine Zeit lang nicht zum Philosophiren aufgelegt sein werde. Wir wollen mit meiner vielgeliebten Elsbeth den Winter in Rom verleben und uns im nächsten Frühjahr auf unserer neuangekauften Domäne niederlassen.

Dann nehme ich meine Arbeit wieder auf, und Sie werden mir zugestehen, daß ich bis jetzt allen Anlaß habe, mit meinen „Ketten und Verkettungen“ zufrieden zu sein. – Eine Verkettung der Ideen, die blos aus meinen Ihnen mitgetheilten Weisheitssätzen hervorgegangen ist, hat mich durch die Verkettung von Ereignissen zu den seligsten aller Ketten – zur Ehe mit einem geliebten Wesen – geleitet und ich behalte glänzend Recht: Ketten und Verkettungen überall! Ich glaube, mein philosophisches Werk wird doch noch zum Abschluß kommen und meinen Namen den gefeiertsten des Jahrhunderts beigesellen; die Hauptsache eben ist, wie ich Ihnen schon öfters bemerkt habe: „Nur planmäßig vorgehen!“




Hundert Jahre der Luftschifffahrt.

Seit undenklichen Zeiten beseelte den Menschen der Wunsch, die natürlichen Fesseln, welche ihn an den Staub der Erde ketten, zu brechen und sich frei über Berge und Thäler zum blauen Himmel aufzuschwingen. Es giebt kein Volk, in dessen Sagen sich diese tiefe Sehnsucht nicht wiederspiegelte, kein Volk, dessen Phantasie nicht menschliche beflügelte Wesen geschaffen hätte. Mustern wir die Götter- und Heldengestalten, welche nach dem Glauben unserer Vorfahren auf den Wolken dahinjagten, oder die Engel- und Teufelschaaren, welche, auf ihren Schwingen durch die Lüfte fahrend, dem Menschen Gutes und Böses brachten, so werden wir sehr bald der Ueberzeugung, daß die Uebertragung des Flugvermögens auf menschliche Wesen ein von der Natur in unsere Seele gepflanztes Verlangen bilde, das nicht auslöschen wird, so lange unser Geschlecht besteht.

Daraus erklärt sich, wie seit Jahrtausenden die Menschen es immer von Neuem versuchten, diese brennende Sehnsucht zu stillen, und wie es trotz unzähliger mißlungener Versuche immer verwegene Geister gab, die sich die Aufgabe stellten, gegen den Himmel zu stürmen. Und wenn auch der mit den gegebenen Verhältnissen kühl rechnende Verstand von der anscheinend unnützen Mühe abrieth, so genügte nur ein Blick auf die geflügelten Schaaren der Vögel und der Insecten, um in der schon zweifelnden Brust des Forschers das Bewußtsein wieder zu stärken, daß die Lösung des Räthsels vom Fluge etwas durchaus Natürliches, dem Menschen Erreichbares sei.

Darum versuchte man auch zuerst, den Flug des Vogels nachzuahmen. Die griechische Sage läßt den Tausendkünstler Dädalus Flügel herstellen, auf denen er mit seinem unglücklichen Sohne Icarus aus der Gefangenschaft des eifersüchtigen Minos entfloh, und von dem Tarentiner Archytas wird berichtet, er habe eine hölzerne Taube gefertigt, die er durch eingeblasenen Hauch zu beleben trachtete. In der griechisch-römischen Culturwelt, während des Mittelalters und in der neuesten Zeit wurden diese Versuche oft wiederholt, sie führten aber zu keinem nennenswerthen Resultate; denn wir wissen bis heute unendlich mehr von den Gesetzen, nach welchen die Sterne ihre elliptischen Bahnen im Weltraume beschreiben, [216] als von den Regeln, nach denen die Vögel in der irdischen Luft kreisen.

Erst vor einem Jahrhundert ist, dank einer überraschenden Erfindung, in den bisherigen Anschauungen über die Flugtechnik eine radicale Wandlung eingetreten. Die Gebrüder Montgolfier, Papierfabrikanten zu Annonay, trugen sich mit der Absicht, künstliche Wolken herzustellen, und füllten zu diesem Zweck im November 1782 einen hohlen Papierballon mit erwärmter Luft, welcher zu ihrer Freude sofort in die Höhe stieg. Am 19. September 1783 führten sie vor dem französischen Hofe und einer großen Volksmenge einen zweiten gelungenen Versuch aus und begründeten hierdurch eine neue Aera der Luftschifffahrt. Das Princip, auf welchem die Montgolfière beruht, war auch zu damaliger Zeit nicht neu. Das Naturgesetz, daß Gegenstände, welche leichter sind als die Luft, unbedingt in die Höhe steigen müssen, war den Naturforschern ebenso gut bekannt, wie dasselbe Gesetz, kraft dessen ein auf den Boden eines mit Wasser gefüllten Gefäßes hinabgedrücktes Holzstück sofort auf die Oberfläche desselben hinaufgetrieben wird, sobald man es losläßt. Es fehlte auch nicht in früherer Zeit an Vorschlägen, derartige Luftschiffe zu bauen, und wir erwähnen nur, daß im Jahre 1775 der Dominikanerbruder Galien zu Avignon die Absicht hegte, einen großen aus leichtem Holz gezimmerten Kasten mit der leichten Luft höherer atmosphärischer Schichten zu füllen und ihn dann zum Transport ganzer Armeen zu verwenden. – Noch im Jahre 1783 wurde die Erfindung der Gebrüder Montgolfier durch den Physiker Charles übertroffen, der einen kugelförmigen Ballon aus luftdicht präparirtem Seidentaffet baute, ihn mit leichtem Gase füllte und durch das noch heute gebräuchliche Netzwerk an demselben eine Gondel befestigte.

Die Geschichte des Luftballons ist jedoch so allgemein bekannt, daß wir hier auf dieselbe ausführlicher nicht einzugehen brauchen. Man überzeugte sich bald, daß der Luftballon wohl steigen und sinken könne, aber gänzlich unlenkbar sei und als ein Spiel der Winde im vollsten Sinne des Wortes von dem leisesten Windhauche fortgerissen werde. Man benutzte ihn zwar zur wissenschaftlichen Erforschung höherer Luftschichten oder führte ihn an Festtagen u. dergl. als ein Schaustück der Volksmenge vor, aber seine Bedeutung war in den Augen ernster Forscher immer mehr gesunken, bis man seine Erfindung durch lange Jahre sogar als einen Rückschritt in den Bestrebungen der Luftschifffahrt betrachtete.

Cayley’s Luftschraube.

Unter solchen Umständen entstanden neue Projecte, deren Schöpfer weder den Flug der Vögel nachahmten noch den Luftballon in den Kreis ihrer Berechnungen zogen, sondern nach physikalischen Gesetzen eine Maschine zu construiren suchten, die, durch menschliche oder maschinelle Kraft in Bewegung gesetzt, sich selbst heben und in der Luft fortbewegen würde. Diese moderne Schule der Flugkunst spaltete sich bald in zwei Richtungen: die Anhänger der einen empfahlen die Benutzung starrer geneigter Ebenen, die, in gerader Linie vorwärts bewegt, das Aufsteigen des Luftschiffes bewirken sollten; die Anhänger der andern dagegen suchten das für die Bewegung im Wasser mit großem Erfolg angewendete Princip der Schraube auch für die Luftschifffahrt zu verwenden.

Eine Flugmaschine, die durch Vorwärtsbewegung geneigter Ebenen in die Höhe steigt, ist jedem Kinde bekannt; wir sehen sie an klaren Herbsttagen am Himmel an langen Schnuren flattern, als vom Winde getragene Papierdrachen. Während der Kopf des Papierdrachens mit einer bestimmten Geschwindigkeit und unter einem gewissen Winkel durch die Luft fährt, wird dieselbe zusammengedrückt und verhindert durch den Gegendruck das Niederfallen des Spielzeugs. Dieser Gegendruck wird am leichtesten erzeugt, wenn wir den Drachen gegen den Wind bewegen, und dadurch erklärt sich die Manchem so sonderbar erscheinende Thatsache, warum der Papierdrache stets gegen den Wind aufsteigt; freilich kann er auch in der Windrichtung gehoben werden, aber dann müßte seine eigene Geschwindigkeit die des Windes übertreffen.

Flugmaschine von de la Landelle.

Das Project der ersten nach diesem Princip construirten Maschine wurde 1843 von Henson veröffentlicht. Sein Aërostat, welchen wir unseren Lesern in Bild vorführen (S. 217), wurde von der Spitze einer schiefen Ebene losgelassen und erhielt, auf derselben herunterrollend, genügende Geschwindigkeit, um sich eine Zeitlang in der Luft zu erhalten. In Folge der Reibung gegen die Luft hätte jedoch diese Geschwindigkeit bald so gering werden müssen, daß ein Sinken der Maschine unvermeidlich geworden wäre, und um dies zu vermeiden, brachte Henson an derselben noch einen kleinen Dampfmotor an, welcher zwei Schraubenflügel trieb, durch die der Flugapparat weiter vorwärts bewegt würde; hierdurch sollte der Verlust der Geschwindigkeit wieder ausgeglichen werden. Ein Zeitgenosse Henson’s giebt uns im „Journal of Arts and Science“ folgende Beschreibung dieses Modells:

„Der Apparat besteht aus einem Kasten, welcher die Waaren, Passagiere, Maschinen, Feuerung etc. enthält, und mit diesem ist ein rechtwinkliges Gerüst aus Holz oder Bambusrohr verbunden, das mit Persenning oder geöltem Seidenzeug überzogen ist. Dieses Gerüst erstreckt sich zu beiden Seiten des Kastens, ähnlich wie die ausgebreiteten Flügel eines Vogels, jedoch mit dem Unterschiede, daß das Gerüst unbeweglich ist. Hinter den Flügeln sind zwei senkrechte Fächerräder angebracht mit schrägen Flügeln, welche den Apparat durch die Luft forttreiben sollen. Die runden regenbogenfarbigen Räder sind die Schrauben, welche ganz der Schraube eines Dampfschiffes entsprechen und auf die Luft nach Art einer Windmühle wirken. An einer Achse am Hinterende des Kastens ist ein dreieckiges Gerüst angebracht, das wie ein Vogelschwanz aussieht und gleichfalls mit Persenning oder geöltem Seidenzeug überzogen ist. Dies kann nach Belieben ausgebreitet und zusammengezogen werden und wird auf und nieder bewegt, um die Maschine steigen oder sinken zu lassen. Unter dem Schwanze befindet sich ein Ruder, um den Lauf der Maschine nach rechts oder links zu lenken, und um die Steuerung noch zu erleichtern, ist endlich ein Segel zwischen zwei von dem Kasten aufsteigenden Masten ausgespannt. Die Menge Persenning oder geöltes Seidenzeug, welche erforderlich ist, um die Maschine flott zu erhalten, [217] wird auf einen Quadratfuß für je ein halbes Pfund an Gewicht angegeben.“

Außer Henson haben noch Wenham und Stringfellow Modelle von Flugmaschinen nach ähnlichen Principien gebaut; dieselben bewegten sich an einem Drahtseile mit großer Geschwindigkeit vorwärts, stiegen auch auf kurze Zeit in die Höhe, erwiesen sich aber im Großen und Ganzen als durchaus unpraktisch und unzuverlässig.

Weit größere Erfolge hatten indessen die Anhänger der Luftschraube zu verzeichnen. Den ersten praktischen Beweis für die Anwendbarkeit derselben hat Sir George Cayley schon im Jahre 1796 geliefert. In J. Bell. Pettigrew’s interessantem Werke: „Die Ortsbewegung der Thiere nebst Bemerkungen über die Luftschifffahrt“ finden wir einen Auszug aus Cayley’s Abhandlung, der seinen für die Flugkunst epochemachenden Apparat (vergl. unsere Abbildung Seite 216) erläutert.

„Da es manchem meiner Leser Vergnügen machen wird,“ schreibt der genannte Verfasser, „zu sehen, wie eine Maschine sich durch mechanische Mittel in die Luft erhebt, so will ich ein Instrument dieser Art beschreiben, das sich jeder in zehn Minuten herstellen kann.

Haenlein’s lenk-
bares Luftschiff.

Hintere Ansicht.

a und b stellen zwei Korke vor, in deren jeden vier Schwungfedern von irgend einem beliebigen Vogel eingefügt sind, und zwar so, daß sie, wie die Flügel einer Windmühle, ein wenig schräg stehen, jedoch an beiden Korken in entgegengesetzter Richtung. In dem Kork a ist ein drehrunder Stab befestigt, der mit einer scharfen Spitze endet. Am oberen Theile des Korks b ist ein Fischbeinbogen angebracht, mit einem kleinen Bohrloch im Mittelpunkte zum Durchtritt der Spitze des Stabes. Der Bogen wird dann auf beiden Seiten gleichmäßig an den oberen Theil des Stabes gebunden, und die kleine Maschine ist fertig. Dann windet man die Schnur auf, indem man die beiden Flugschrauben in entgegengesetzter Richtung dreht, sodaß die Elasticität des Bogens sie, mit ihren vorderen Kanten nach oben gerichtet, wieder abwindet; man stellt darauf den Kork mit dem Bogen auf den Tisch und drückt auf den oberen Kork so stark mit dem Finger, daß die Schnur sich nicht abwickeln kann; wenn man nun den Finger plötzlich wegnimmt, so drehen sich die Federn und das Instrument steigt bis zur Zimmerdecke empor.“

Die Wirkung der Luftschraube ist durchaus ähnlich derjenigen der Schrauben bei unseren Dampfschiffen. Sobald die Schraube im Wasser in Bewegung gesetzt wird, übt sie einen Druck gegen das Wasser aus; dieses drückt in Folge dessen gegen den Körper des Schiffes und treibt es nach vorwärts. Bewegt sich dagegen die Schraube in der Luft, so wird in diesem Falle der Apparat, an dem sie befestigt ist, durch den Druck der Luft vorwärts getrieben, und zwar, der Stellung der Schraube entsprechend, in senkrechter oder in ebener Richtung. Wir brauchen dabei nicht besonders hervorzuheben, daß die Luftschraube anders gebaut sein muß, als die für die Vorwärtsbewegung im Wasser bestimmte. Im Jahre 1842 fertigte ein gewisser Phillips ein Modell, das zwei Pfund wog und aus einem Dampfkessel mit vier sich drehenden Fächern bestand. Sobald der Dampf durch die Fächer strömte, versetzte er sie mit großer Geschwindigkeit in Umdrehung; das Modell stieg in die Höhe und fiel erst zu Boden, nachdem es eine ziemlich bedeutende Strecke „durchflogen“ hatte.

Haenlein’s lenkbares Luftschiff. Längsansicht.

Die Idee des Schraubenluftschiffes fand vor Allem in Frankreich begeisterte Anhänger, und in den sechsziger Jahren fertigten jenseits der Vogesen Nadar, Pontin d’Amécourt und de la Landelle Uhrwerkmodelle, die in die Luft steigen und auch gewisse Lasten tragen. Durch diese Versuche im Kleinen ermuthigt, construirten diese Herren auf dem Papier großartige Flugmaschinen, bei denen die nach oben gerichteten Schrauben das Luftschiff heben und die quer an demselben angebrachten es in der Luft vorwärts bewegen sollten.

Als Curiosität führen wir ein solches Luftschiff der Zukunft unsern Lesern vor (vergl. Abbildung S. 216). Die mit m bis t bezeichneten Schrauben sollen hier das Aufsteigen des Schiffes bewirken, während die unten bei t befindliche zum Vorwärtsbewegen desselben bestimmt ist.

Wenn auch alle diese Versuche einerseits klar bewiesen, daß die Herstellung einer Flugmaschine kein Ding der Unmöglichkeit und kein leeres Hirngespinnst ist, so zeigten sie andererseits, daß wir von der praktischen Verwirklichung der angestrebten Idee noch unendlich weit entfernt sind, da unsere kühnsten Pläne einstweilen an der Unzulänglichkeit der uns zu Gebote stehenden technischen Mittel scheitern.

Henson’s Flugmaschine.

Inzwischen war in dem letzten deutsch-französischen Kriege der Luftballon wieder zu Ehren gekommen. Bekanntlich verließen während der Belagerung von Paris 66 Ballons mit etwa 160 Personen und gegen 3 Millionen Briefen die eingeschlossene Hauptstadt, und 364 Brieftauben, welche die Ballonfahrer mitgenommen hatten, kehrten mit Nachrichten in dieselbe zurück. Hierdurch wurde die Aufmerksamkeit der Militär-Behörden aller Länder auf das verachtete Kind der Montgolfier wieder gelenkt, und die Verfechter der Ansicht, daß man den Luftballon lenkbar machen könne, erschienen von Neuem auf der Bildfläche. – Die jetzt zahlreicher auftauchenden „Erfinder des lenkbaren Luftschiffes“ halten daher vornehmlich daran fest, man müsse durch Schrauben oder Flügel dem Luftballon eine eigene Geschwindigkeit geben und ihn dadurch lenkbar machen. Indem sie ferner auf Grund meteorologischer Beobachtung anführen, daß die Windgeschwindigkeit nur an 26 Tagen des Jahres mehr als 5 Meter pro Secunde beträgt, behaupten sie, daß schon ein lenkbares Luftschiff von 5 bis 8 Meter Eigengeschwindigkeit während des ganzen Jahres mit Ausnahme von circa 8 Tagen gegen den Wind fahren würde.

Die größte Aufmerksamkeit unter allen diesen Apparaten verdient ohne Zweifel das lenkbare Luftschiff von Haenlein in Frauenfeld in der Schweiz. Dasselbe (vergl. die obenstehenden Abbildungen) ist in ovaler Form gebaut und hat eine Länge von 50,4 Meter bei einem Durchmesser von 9,2 Meter. Zwischen der Gondel und dem Ballon ist ein Rahmen angebracht, an welchem das Steuerruder befestigt ist und der außerdem dazu dienen soll, durch 4 Streben (v) die Verbindung zwischen der Gondel und dem Ballon zu vermitteln. Die am Hintertheile der Gondel befestigte Luftschraube, deren 4 Flügel aus dünnem [218] Eisenblech bestehen, wird durch eine Gaskraftmaschine in Bewegung gesetzt. Die Maschine saugt Gas aus dem Ballon an, vermengt dasselbe mit atmosphärischer Luft, und dieses Gemenge wird durch einen von einer kleinen elektrischen Batterie abgegebenen elektrischen Funken entzündet. Die Explosion des Gases setzt hierauf den Kolben in Bewegung und läßt die Maschine mit 3 bis 4 effectiven Pferdekräften arbeiten. Da nun durch den Verbrauch des Gases der Ballon erschlaffen würde, so wurde im Innern desselben noch eine Luftblase (n-n) angebracht, in welche Luft eingepumpt werden kann, um die Spannung des großen Ballons zu reguliren. Außerdem befinden sich an demselben selbstthätige Sicherheitsventile (s-s), welche ein etwaiges Platzen des Ballons in Folge übermäßiger Gasspannung verhüten sollen. Die Kosten des gesammten Apparates, der zwei, unter Umständen auch drei Personen tragen kann, belaufen sich auf etwa 28,400 Gulden ö. W.

Mit einem ähnlichen Ballon, dessen Schraube jedoch nur durch Menschenhand gedreht wurde, stieg schon im Jahre 1872 Dupuy de Lôme von Vincennes aus in die Höhe. Die selbstständige Bewegung des Luftballons betrug nach seinen Angaben 2,82 Meter, die des Windes dagegen 16 bis 17 Meter. Unter diesen Umständen konnte das Fahrzeug gegen den Wind nicht ankämpfen; es gelang ihm aber, den Wind unter einem Winkel von 12° zu kreuzen. In gewisser Beziehung war also die Lenkbarkeit des Luftschiffes erreicht, und sie war genügend für ruhige Luft, aber fast vollständig unzureichend bei einem nicht besonders starken Winde.

Indem wir hiermit unsern gedrängten und möglichst unparteiischen Rückblick auf die Entwickelung der Luftschifffahrt in dem letzten Jahrhundert beschließen, heben wir noch besonders hervor, daß sich am 31. August vorigen Jahres ein „Deutscher Verein zur Förderung der Luftschifffahrt“ in Berlin gebildet hat, welcher eine Monatsschrift herausgiebt, in welcher die Fragen der Flugtechnik erörtert werden. Hoffen wir, daß es demselben gelingen wird, Wesentliches zur Lösung des schwierigen Räthsels beizutragen und einer unnützen Zersplitterung der Kräfte auf diesem Gebiete der Culturarbeit entgegenzuwirken! Ein Unheil für die Flugtechnik waren bis jetzt Leute, die ohne genügende Vorbildung sich berufen wähnten, an der Lösung des Problems zu arbeiten, und natürlich auf Irrwege gelangten und Fehler begingen, welche nicht nur ihre eigene Person, sondern, was viel schlimmer ist, die Sache selbst bei der großen Menge lächerlich machten und dadurch dieselbe schädigten. Der neugegründete Verein wird voraussichtlich durch passende Belehrung Manchen dieser unberufenen Erfinder von seinen Illusionen befreien und so das vielfache Elend verhüten, mit welchem bis jetzt viele Familien die Ruhmessucht ihrer Ernährer zu büßen hatten. Dem Vereine müßten aber auch die Mittel an die Hand gegeben werden, wirklich brauchbaren Projecten materielle Hülfe zuzuwenden, und unter den ihm gestellten Aufgaben dürfte es besonders diese sein, welche auf Unterstützung von Seiten der Nation hoffen darf.

Das hohe Ziel, welchem der Verein entgegenstrebt, ist, wie wir gesehen haben, keineswegs unerreichbar, und der Tag, an welchem das erste lenkbare Luftschiff die Feuerprobe gegen Wind und Wetter bestanden haben wird, wird einen der glanzvollsten der menschlichen Geschichte bilden. Die Eroberung des Luftreiches würde ohne Zweifel alle Siege der Cultur verdunkeln, durch welche der Mensch sich bisher zum Beherrscher des Landes und des Wassers emporgeschwungen.

Valerius.     


Blätter und Blüthen.


Die Lianen oder Schlingpflanzen des Gartens.

 „Nicht, was ich angebunden, war, was am schönsten blühte,
 Sondern, was ich ließ ranken nach eigenen Gedanken.“

 Rückert.

Wenn überhaupt von „poetischen Pflanzen“ die Rede sein kann, so kommt diese Bezeichnung den Lianen[1] am meisten zu. Alles was die Phantasie an einem Pflanzenwesen sich Charakteristisches erdenken kann, findet sich daran; denn diese interessanten Rankengewächse zeigen sich in ihren Lebensgesetzen so regellos wie die Phantasie und bekunden doch alles Ebenmaß und alle Schönheit; sie sind gleichsam die durch die poetische Form verständlich gewordene Gedankenfülle in Ranken, Blättern und Blumen; sie ranken „nach eigenen Gedanken“, wie der Dichter in unserm Motto singt.

Es ließe sich noch Vieles in dieser Weise sagen, aber meine Absicht ist, den Lesern der „Gartenlaube“ Winke über die praktische Verwendung und den vielfachen Nutzen der Schlingpflanzen zu geben. Ihre verschönernde Wirkung ist so bedeutend, daß überall, wo sie auftreten, der Eindruck ihrer Umgebung ein anderer wird; sie tragen den Geist der Poesie überall hin. Wo etwas fehlt, nüchtern, leer aussieht, da gestatte man nur den Ranken der Lianen Eingang, und sofort macht sich ein gleichsam poetischer Hauch in der Umgebung geltend.

Bei der Verwendung der Lianen lassen sich zwei Formen bestimmt unterscheiden: die geordnete, welche sich an die Architektur anschließt, und die malerische, gleichsam verwilderte. Die erste schließt die zweite indessen nicht immer, ja selten ganz aus; die zweite erkennt kein Gesetz und betrachtet das schönste architektonische oder plastische Kunstwerk nur als willkommene Stütze. Eine Haupteigenschaft der Lianen ist, daß sie Unschönes verbergen und verschönern. Das gewöhnlichste Gebäude, an dessen nüchterner todter Regelmäßigkeit keine Spur von Schönheit zu finden oder dessen architektonischer Charakter durch den Baumeister verdorben worden, wird durch die Bekleidung der Schlingpflanzen nicht nur leidlich, sondern sogar schön.

Diese Wirkung steigert sich noch, wenn Veranden damit verbunden werden. Es giebt unleidliche, würfelförmige Häuser, welche im Verhältniß zu ihrer Höhe an der Giebelseite zu schmal sind. Bringt man nun an beiden Seiten nach der Art der Seitenschiffe einer gothischen oder byzantinischen Kirche, wenn auch nur kurze, auf den Schein berechnete Veranden an, so bessern sich sogleich die architektonischen Verhältnisse: das Haus erscheint niedriger, besonders wenn sich die Veranda auch auf der Schmalseite fortpflanzt.

Ist aber keine Gelegenheit zu Veranden da, oder will man sie aus anderen Gründen nicht, so verbessert es schon die Ansicht, wenn das untere Stockwerk ganz mit Schlingpflanzen begrünt ist. Wenn ein Gebäude alt, häßlich, aber malerisch in seinen schiefen oder vortretenden Theilen ist, so kann es durch eine Wildniß von Schlingpflanzen mit lang herabhängenden Ranken auch in den Augen Solcher reizend erscheinen, die sonst die malerische Schönheit alter Gebäude nicht zu schätzen wissen. Wer hätte nicht auf Dörfern, an Vorstadthäusern, an Burgen und anderm alten Mauerwerk schon die geschmackvolle Decoration von wucherndem Epheu oder üppigen Weinreben bewundert, wenn sie Giebel und Sims mit anmuthigem Geranke umzieht!

Das regelmäßige gut erhaltene Haus verlangt auch an den Schlingpflanzen Ordnung, aber jede Abweichung von der Regelmäßigkeit am Hause fordert gleichsam zum regellosen Wachsenlassen der Schlingpflanzen auf. Haben sie den Dachrand erreicht, so mag man sie überall herabhängen lassen. Hat ein Haus eine schöne Architektur und Ornamente, so wäre es eine Versündigung am guten Geschmacke, die Wände ganz mit Schlingpflanzen zu bekleiden. Die besonders für solche Zwecke ausgewählten Lianen müssen dann den Linien der Architektur folgen, müssen schmal gehalten werden, dürfen keine Verzierung verdecken. In dieser Weise war früher (vielleicht noch jetzt?) das Bahnhofsgebäude von Wilhelmshöhe bei Kassel ein Muster von gutem Geschmack.

Das Haus führt uns zur Laube, einem Häuschen im Grünen. Was Lauben sein können, habe ich den alten Lesern der „Gartenlaube“ schon vor mehr als zwei Jahrzehnten erzählt (vergleiche „Gartenlaube“ 1856, Nr. 20 und 1859, Nr. 16). Hier mag die Andeutung genügen, daß nur mit Schlingpflanzen bezogene Lauben schön und sogar nicht einmal alle Lianen bei Lauben schön wirken. Eine solche nicht brauchbare Liane ist der sonst so schöne Jelängerjelieber, weil man bei seiner Anwendung in der Laube nur kahle Zweige sieht und seine Schönheit deshalb unsichtbar bleibt.

Zur Absonderung von nicht zum Schmuckgarten gehörenden Gartentheilen, sowie zur Verdeckung von Höhen und anderen unschönen Plätzen, giebt es, wenn nicht dichtes Gebüsch angebracht werden soll oder kann, kein besseres Mittel, als einen Schirm von Schlingpflanzen. Derselbe wird zum Laubengang, wenn ein Gitterdach über dem daran hinführenden Wege angebracht wird. Die Innenseite muß ganz offen bleiben. Unerschöpflich ist die Verwendung der Lianen, an den verschiedensten Gestellen als Bogen, Schirmen, Pyramiden, Säulen, Laternenträgern, in Form von Guirlanden u. dergl. m.

An diesen Gestellen, die zu erdenken namentlich die Damen viel Geschick zeigen, finden besonders die schön blühenden Lianen Verwendung. Obgleich eine Aufzählung auch nur der schöneren Schlingpflanzen hier nicht erforderlich ist, so kann ich mir doch nicht versagen, einige zu Guirlanden unvergleichlich geeignete zu nennen. Es sind Pilogyne suavis und die ähnliche Cephalandra quinqueloba, die man leicht im Zimmer durchwintern und im Frühjahr durch Stecklinge vermehren kann. Der ersteren steht die einjährige leicht aus Samen zu erziehende Melothria cucumerina nahe. An Schirmen und Bogen, überhaupt an jeder Stelle, wo die Ranken herabhängen können, übertrifft die herrliche Glycine (Glycine oder Wisteria chinensis) mit den langen hängenden blauen Blüthentrauben jede andere holzige Liane an Schönheit. Leider kommt sie nur im südlichen und westlichen Deutschland gut fort, ist aber auch dort vor allen beliebt.

Weniger bekannt und gebräuchlich ist die Anwendung der Schlingpflanzen in ganz natürlicher Weise, ohne jeden Zwang, an Bäumen und Gebüschen. Dort sind sie die eigentlichen Lianen, deren Schönheit [219] A. von Humboldt schilderte, und ein Garten, wo sie häufig vorkommen, macht auf Jeden den Eindruck des Romantischen, Außerordentlichen. Wer hätte nicht schon in der freien Natur auf Gebüschauen den wilden Hopfen bewundert, wie er an Erlen und Weiden emporklimmt, oder die den wilden Rosenbusch umschlingende Waldrebe (Clematis), wenn sich die weißen seidenartigen Samenbüschel mit den Korallenfrüchten vermischen! Schön ist auch die Zaunwinde mit den großen weißen Kelchblumen und der Epheu, zumal wenn er in reicher Fülle und Ueppigkeit in südlicheren Gegenden den Baum umspinnt.

An Bäumen hat die Liane zwei verschiedene Aufgaben zu erfüllen; entweder: sie schmückt nur den Stamm in derselben Weise, wie die Säule, und überzieht, wie der Epheu, Stamm und Aeste, oder: Stamm und Aeste sind nur Träger der nackten Ranken; denn die grünenden suchen das Licht, klettern in die äußersten Zweige und entwickeln erst dort Blätter und Blüthen. Die erste Art, die Bekleidung des Stammes, darf nicht oft vorkommen, weil diese so geschmückten Stämme gekünstelt aussehen und ihre eigentliche Schönheit verloren geht; dagegen kann die zweite Art häufiger Anwendung finden, obgleich auch hier eine Beschränkung geboten ist. Man vertheile diesen Schmuck nicht im ganzen Parkgarten, sondern bringe ihn nur in gewissen Theilen an, namentlich an Ufern. Als Träger dieser Lianen sind Laubholz- und Nadelholzbäume gleich geeignet; nur fallen sie an letzteren mehr auf. Wer die Wildniß von Wildweinranken an den Fichten unterhalb der Villa Solms in Baden-Baden gesehen hat, wo die Ranken zwanzig Fuß hoch herab über den Bergweg hängen, der wird diesen reizenden seltenen Anblick nicht vergessen.

Herrlich ist auch der Jelängerjelieber, wenn er niedrige Nadelholz- und Lebensbäume durchschlingt und das magere Grün mit seinen Blättern und seinem herrlichen Grün schmückt. An Laubholzbäumen bemerkt man die eingeflochtenen Lianen erst recht, wenn die Blüthen erscheinen oder der Herbst die Blätter roth färbt, wie am Wildwein. In manchen Fällen macht die Aehnlichkeit der Blätter des Baumes mit denen der Lianen einen besonders guten Eindruck. So steht z. B. in Bad Kissingen, an einem der Mittelwege, jenseits des Curhausbrückenstegs eine Gruppe von Platanen, welche so von wilden amerikanischen Weinreben durchwachsen sind, daß man die ähnlichen Blätter fast nicht unterscheiden kann. Sie schlingen sich in verwilderten Guirlanden von Baum zu Baum und hängen von einer absterbenden Baumkrone in schöner Regellosigkeit herunter. Mit den Lianen in Gebüschen muß man vorsichtiger sein; denn manche unterdrücken ihren Träger so, daß er kaum das Leben fristet. Dies gilt besonders vom Hopfen, dessen weibliche Pflanze mit den duftigen Blüthenzapfen so überaus malerisch ist.

Am verträglichsten sind in dieser Hinsicht die Waldreben oder Clematis und die Gaisblatt-Ärten (Jelängerjelieber). Die niedrigen, großblumigen Clematis können auch kleinere Sträucher ohne Schaden für dieselben überziehen. Für größere Sträucher ist die gemeine Waldrebe, Clematis Vitalba, mit weißen, wohlriechenden Blumen und wie Federsterne geformten Samen unübertroffen.

Aber nicht nur Bäume und Sträucher werden von den Lianen bewohnt: auch mit dem Boden begnügen sich einige, wenn sie nur eine Stütze haben. Wo sie im Walde einen entwurzelten Baumstock finden, da umstricken sie ihn mit ihrem Geflechte. Man kann diesen Naturzufall absichtlich nachahmen und im Parke (ja nicht im Blumengarten) Baumstöcke mit Wurzeln so aufstellen, daß die Wurzeln nach oben stehen und diese mit verwilderten Lianen überwachsen lassen. Auch an Felsen sind sie gut angebracht.

„In der Oede liegt ein Stein
So ganz allein, ganz allein –
Ist der Epheu still gekommen,
Hat ihn in den Arm genommen.“

sang Clemens Brentano in der „Chronica des fahrenden Schülers“.

In bergigen Gärten giebt es Stellen, wo man die Aussicht frei halten, aber doch keinen Rasen haben will oder erhalten kann. In diesem Falle pflanze man geeignete Schlingpflanzen, besonders Jelängerjelieber an, weil dieser so besonders zur Geltung kommt, indem man die schönen Blüthen unter sich sieht und den herrlichen Duft voller als von oben genießt. Man zieht die Ranken über Draht oder auch nur über Baumäste, welche man ihnen als Unterlage giebt. Hierher gehören auch die großen Kürbisarten, die man auf kurzem Rasen sich ausbreiten läßt.

Die Zahl der in Gärten gezogenen Lianen ist sehr groß, und man muß sich auf eine kleine Auswahl derselben beschränken. Bieten doch die großen Samenhändler allein von der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceen) etwa zweihundert Arten und Sorten als Samen an, wozu auch die oben genannten Guirlandenpflanzen gehören. Man unterscheidet holzartige und krautartige Lianen, von letzteren wieder ausdauernde und einjährige. Im Parke und Parkgarten, zu Lauben, Wänden etc. sind die holzartigen vorzuziehen, wogegen die krautartigen sich meist durch schöne Blüthen auszeichnen. H. Jäger.     




Elektrische Sonden und Wünschelruthen. Der Erfinder des Telephons in seiner jetzigen Gestalt, Professor Graham Bell, hat neuerdings einen für die Chirurgie in Kriegs- und Friedenszeiten werthvollen Apparat erdacht, um mit möglichst geringer Belästigung des Verwundeten die in seinen Körper eingedrungenen Geschosse schnell und sicher zu finden. Von dem Schmerzenslager Garfield’s her wird es noch allen Lesern frisch im Gedächtnisse sein, wie viel Mühe es zuweilen machen kann, ein tiefer in den menschlichen Körper eingedrungenes Geschoß zu finden, und wie die zu dem Zwecke der Auffindung gemachten Einschnitte den Zustand des Verwundeten erheblich verschlimmern können. Schon früher (1877) hatte G. Trouvé ein derartiges Instrument erdacht, dessen Wirkungsweise darauf beruht, daß zwei nadelförmige Metallsonden einen ganz schwachen, durch sie in den Körper geleiteten Strom nur dann circuliren lassen, wenn beide Sondenspitzen auf den Metallkörper gestoßen sind; der Ausschlag der Magnetnadel eines mit den beiden Sonden verbundenen Galvanometers zeigt dann sofort an, daß das Geschoß gefunden wurde. Nun ist zwar das Einstoßen reiner Metallnadeln an den meisten Körperstellen durchaus gefahrlos und der geringe Schmerz dieser Operation kann sogar durch örtliche Aetherisation ganz aufgehoben werden, allein der neue Apparat ist insofern noch vollkommner, als dabei nur eine einzige Nadel eingeführt zu werden braucht. Es wird statt des Galvanometers ein Telephon verwendet, welches der Chirurg an sein Ohr hält, nachdem er die mit dem einen Drahtpole desselben verbundene Sonde in die Wunde eingeführt hat, während eine mit dem anderen Pol verbundene Platte aus dem gleichen Metall wie die Sonde auf die äußere Haut des Verwundeten gedrückt wird.

Sobald die Nadel das bleierne Geschoß erreicht, entsteht durch die Berührung der beiden verschiedenartigen Metalle ein schwacher elektrischer Strom, der in dem Telephon einen dumpfen Ton erzeugt, welcher durch Einschaltung eines sogenannten Stromunterbrechers und eines schwachen galvanischen Elementes noch verstärkt werden kann.

Diese elektrische Sonde, welche auf den Schlachtfeldern der Zukunft eine sehr wohlthätige Rolle spielen wird, erinnert in ihrem Principe lebhaft an die schon vor dreißig Jahren erfundene elektrische Wünschelruthe, welche dazu dienen sollte, auf dem Meeresgrunde verlorene größere Metallgegenstände aufzusuchen, und die einem Doppelrechen glich, bestehend aus einem gezahnten Kupfer- und einem gezahnten Zinkstreifen, welche parallel befestigt waren, ohne sich zu berühren.

Von jedem Streifen führte ein Draht zu einem Pole des auf dem Schiffe befindlichen Galvanometers, das heißt zu einer von Drahtwindungen umkreisten Magnetnadel, in die Höhe, und die letztere gab, umgekehrt wie bei der elektrischen Sonde, dann keinen Ausschlag mehr, wenn der Rechen tief auf dem Meeresgrunde über metallene Gegenstände, Kanonen etc., hinglitt. Mit einem in ähnlicher Weise zusammengesetzten neuen Apparat hat man nach Zeitungsberichten kürzlich auf dem Boden des Eriesees einen 1843 mit Kupferbarren beladenen Schooner aufgefunden. Da auf dem Boden des Meeres noch viel verlorenes Metallgut liegt, werden diese Einrichtungen vielleicht noch zu einer Schatzfischerei der eigenthümlichsten Art führen.




„Der Panther unseres Continents“. (Vergleiche Abbildung, Seite 213.) Der unfreundliche Geselle, welchen Friedrich Specht in unserer Illustration so mordgierig auf dem Eichenast lauern läßt, das Auge stechend, die furchtbaren Glieder zum Sprunge bereit, während unter ihm in dem anscheinlich so friedlichen Walde Ricke und Kitzchen in aller Harmlosigkeit als Todescandidaten lustwandeln, dieser wilde Gast, der Luchs, ist unseren Lesern schon durch zwei andere Meister der Thiermalerei, Guido Hammer und Ludwig Beckmann, vorgestellt und von jenem und Karl Müller geschildert worden. Guido Hammer läßt (Jahrgang 1872, Nr. 30) vorzugsweise seinen Waidmannszorn über die „zähe Höllenkatze“, das „funkeläugige Mordgeschöpf“, den „pardelgefleckten Satan“ aus, aber auch in Karl Müller kann (Jahrgang 1880, Nr. 10) der Naturforscher den Jägergeist nicht ganz bannen; auch er hält dem Uebelthäter alle seine Sünden vor, ehe er uns dann mit Art und Wesen dieser höheren Wildkatze, die besonders in den Karpathen und den skandinavischen und russischen Urwäldern zu Hause ist, bekannt macht. Während aber Hammer uns den unersättlichen Raubmörder schon siegreich auf dem Nacken seines unglücklichen Opfers darstellt, zeigt Specht uns ihn noch auf der Lauer, aber ohne uns das Gefühl zu ersparen, daß die armen Rehe doch verloren sind, und nur Beckmann gewährt uns die Freude, daß der Mordsprung des Unthiers sein Ziel verfehlt und der flüchtige Schneehase diesmal mit dem Leben davon kommt.

Haben wir nach den bisherigen Mittheilungen in der „Gartenlaube“, den Luchs betreffend, über dieses Raubthier somit nichts Neues zu berichten, so giebt uns eine Kunde über dasselbe einen großen allgemeinen Trost: der Luchs befindet sich, wie alle Seinesgleichen, vor der Cultur mehr und mehr auf der Flucht. Je weiter der Mensch mit seiner die Elemente beherrschenden Kraft auf der Erde vordringt, je weiter weichen die wilden, zerstörenden Thiergeschlechter zurück.




Das Maiblümchen ist giftig. Ja, auch dem lieblichen Maiblümchen (Convallaria majalis) hat sein Stündlein geschlagen. Wenigstens haben es die Mediciner durch pharmakologische Untersuchungen und Thierexperimente seines bisher so harmlosen Wesens entkleidet; denn seine Blüthe ist als „giftig“ erkannt worden. Schon seit alten Zeiten sind die Maiblümchen in Rußland ein beliebtes Volksmittel gegen schwere Nervenleiden, und dies hatte die dortigen Fachmänner veranlaßt, die bescheidenen Glöckchen einmal genauer vorzunehmen. Die Prüfung fiel sehr zu seinen Ungunsten aus; denn es ließen sich nicht nur die schon vor etwa zwanzig Jahren von Walz darin entdeckten zwei Gifte, das Convallamarin, (eine scharf-drastisch wirkende Substanz) und das Convallarin, ein dem Fingerhut ähnliches Herzgift, bestätigen, sondern außerdem ergaben die unter des berühmten Botkin Leitung angestellten Beobachtungen am Menschen auch noch, daß die Maiblümchen-Tinctur den Puls und Blutdruck in einem keineswegs unbedenklichen Grade beeinflußt – natürlich innerlich angewendet oder unter die Haut gespritzt. Wie oft schon mag ein solches Sträußchen „dem Herzen“ gefährlich geworden sein, wenn auch nur in bildlichem, poetischem Sinne! Jetzt scheint die Wissenschaft für dieses anheimelnde Bild der Dichtung eine wenig erfreuliche Deutung und unwillkommene Ergänzung gefunden zu haben. Doch – der Duft ist ungefährlich. Darum mögen sich die Liebhaber jenes reizenden Blümchens im kommenden Mai nur ja nicht davon abschrecken lassen, sich dieses Duftes zu freuen! Das Maiblümchen aber wird vielleicht noch für die ihm jetzt angethane Unbill durch eine Ehrenrettung entschädigt werden; denn wer weiß: möglichenfalls wird sein „Geist“ als „Tinctura Convallariae“ einmal eine Perle des Arzneischatzes werden und bei der Behandlung von Herzfehlern und deren Folgen eine Glanzrolle spielen. Dr. F.     



[220] Ludwig Kalisch †. Unsere Leser werden sich gern unseres geistreichen Mitarbeiters erinnern, der ihnen oft ein ebenso belehrender wie unterhaltender Führer durch die verschiedenartigsten Schichten des Pariser Lebens war. Nun ist dieser ausgezeichnete Humorist am 3. März, in der Mitte seines neunundsechszigsten Lebensjahres stehend, zur ewigen Ruhe eingegangen. Kalisch blickte auf ein innerlich mannigfach bewegtes Leben zurück: als zwölfjähriger Knabe hatte er seine Vaterstadt Polnisch-Lissa, verlassen um erst nach und nach spät festen Boden zu gewinnen und sich den Studien zu widmen. Auf den Hochschulen zu Heidelberg und München trieb er erst Medicin, bis die vergleichende Sprach- und Literaturforschung ihn ganz an sich zog.

Seine frühesten literarischen Leistungen fallen in die ersten vierziger Jahre, nachdem er sich in Mainz niedergelassen hatte. Dort veranlaßte es wohl das Carnevalstreiben, daß er ganz in den Dienst des Humors und der Satire ging. Er redigirte (und verfaßte größtentheils) vier Jahrgänge der „Narrhalla“ (1843 bis 1846) einer Carnevalszeitung, und gab rasch hinter einander „Das Buch der Narrheit“, „Schlagschatten“, „Lustiges in Wort und Bild“ und andere humoristische Schriften heraus. Seine „Shrapnels“ erschienen 1849, in demselben Jahre, in welchem die damals brausenden Revolutionsstürme auch ihn zwangen, den deutschen Boden zu verlassen. Er entfloh nach Paris, von wo er später einen Ausflug nach London machte, der ihn in den Stand setzte, sein treffliches Buch „Paris und London“ (1851, 2 Bände) zu verfassen. Paris blieb fortan seine Heimath und nahm nun auch sein irdisches Theil in seine Erde auf, nachdem der alte wackere Kämpfer in der Pariser städtischen Heilanstalt Dubois sein Leidens- und Sterbelager gefunden. Ludwig Kalisch wird nicht sobald vergessen werden; denn er hat in seinem Leben viele Menschen fröhlich gemacht, und die Freude hat ein gutes Gedächtniß. Wir erinnern hier nur noch an seine „Heiteren Stunden“ (1872), an seine „Bilder aus meiner Knabenzeit“ (1872), sein „Gebunden und Ungebunden“ (1876) und sein letztes Werk „Pariser Leben“ (1881). So lange noch frischer Frohsinn nach humoristischen Balladen und Romanzen greift, wird Ludwig Kalisch auf diesem Felde der Sieger bleiben und geehrt und geliebt werden. Und somit legt auch die „Gartenlaube“ ihren Kranz auf das Grab ihres alten treuen Mitarbeiters.




Der Fernsprecher im Dienste der Alpenistik. Dem deutsch-österreichischen Alpenvereine ist das Verdienst zuzuerkennen, die Förderung der Interessen deutscher Alpenländer gepflegt und insbesondere für Hebung des Fremdenverkehrs, durch Errichtung von Schutzhütten und Wegeverbesserungen fortschrittlich gewirkt zu haben. Indeß blieb es der im österreichischen Kronlande Kärnthen belegenen, besonders rührigen Section Eisenkappel vorbehalten, eine Erfindung im Alpengebiete praktisch zu verwerthen, die bisher wohl nur in unseren Weltstädten Anwendung fand. Neuerdings wird eine Telephonleitung vom Hochalpengipfel des Obir zu Thale geführt, den direct sprachlichen Verkehr aus der Höhe von einigen tausend Meter mit dem Städtchen zu vermitteln.

Alle bedeutenden Aussichtspunkte der österreichischen Hochgebirgsländer lassen gegenwärtig noch immer jene Leichtigkeit der Verbindung und jenen Comfort entbehren, welcher sich zu Gunsten der Touristenwelt an entsprechenden Stellen in der Schweiz vorfindet. Dieser mangelnden Verbindung zwischen Thälern und Gipfeln soll jetzt wenigstens am Obir durch das Telephon einigermaßen abgeholfen werden.

Aber auch die anderen berühmten Aussichtspunkte der österreichischen Alpen, wie z. B. die hohe Salve in Tirol, die Schmittener Höhe bei Zell am See, der Drobatsch oder die Villacher Alpe, lassen im Falle einer beabsichtigen Besteigung für die Bequemlichkeit des Besuchers Manches zu wünschen übrig, und es ist zu hoffen, daß die Sprechvorrichtung nach und vom Obirgipfel schnelle Nachahmung findet. Besonders ward zeither der Mangel für den Reisenden fühlbar, nicht zu wissen, ob er nach überstandener Strapaze in den beschränkt primitiven Wirthshäusern der Höhe auf Aufnahme und Unterkunft rechnen könne, und diesem Uebelstande soll hauptsächlich am Obir durch Fernsprech-Vorrichtung gesteuert werden.

Seine überaus günstige Lage, inmitten der Santhaler Alpen, wurde Ursache zur Errichtung einer meteorologischen Beobachtungsstation mit einer Schutzhütte und permanentem Wächterdienste. Der zu 2042 Meter ansteigende Berggipfel bietet die prachtvollste Uebersicht auf die Centralketten der Norischen und Julischen Alpen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß für die bevorstehende Sommersaison die Anfragen der Touristen in Eisenkappel zum Gipfel und die Antworten von diesem herab zum Thale eine zahlreiche Frequenz der Schallleitung herbeiführen werden.

R. Z.


Eine liebe Hausfreundin. So und nicht anders dürfen und müssen wir eine Zeitschrift nennen, welche sich seit ihrem Bestehen längst das Heimathsrecht in mehr denn tausend Familien erworben hat. Wir meinen die „Cornelia, Zeitschrift für häusliche Erziehung, unter Mitwirkung bewährter und erfahrener Pädagogen und Aerzte, herausgegeben von Dr. Karl Pilz“. (Verlag von E. Kempe, Leipzig.)

Bekanntlich ist es mit der hochwichtigen Aufgabe der häuslichen Erziehung oft ein gar eigen Ding. Kindesherz und Kindesgeist bleiben häufig auf den ersten Stufen ihrer Entwickelung psychologische Räthsel. Da heißt es aufmerken, beobachten, belauschen, erwägen, wenn nicht in der Wahl der erziehlichen Mittel fehlgegriffen werden soll. Dazu bietet sich nun dem Hause die „Cornelia“ als treue Helferin und Beratherin, indem sie aus der Feder bewährter Pädagogen und Aerzte Artikel über alle erziehlichen Fragen und zwar in einfacher belehrender Form veröffentlicht, in schwierigen Fällen Auskunft ertheilt und durch populär medicinische Aufsätze einen unschätzbaren Gesundheitsrath für die Kinderstube bildet. Neben dem Ernsten und Belehrenden bietet sie manche treffliche Erzählung für Kinder und manches anziehende Lebensbild berühmter Erzieher und Erzieherinnen, ferner ein reichhaltiges Feuilleton, Artikel über Spiele, Kunst, Literatur, Volkserziehung, Vereinswesen enthaltend, und ist in ihrem stattlichen Gewande wohl angethan, überall als gute Hausfreundin willkommen geheißen zu werden.

F. W.


Ein Seebild.

Schwarz kochte das Wasser; anschwoll der Orkan;
Er pfiff in dem Tauwerk; er heult’ um die Raa’n
Es krachten die Planken und ächzten schwer;
Die Küste war nah’ und Nacht um uns her,

5
Ringsum zu erspähen kein warnendes Licht -

Schneenebel umhüllte uns eisig dicht,
und es peitschte der heulende Wind aus Nord
Sturzsee auf Sturzsee uns über Bord.
Mit Sturmsegeln liefen wir pfeilgeschwind -

10
Wir strebten in’s Meer entgegen dem Wind,

Doch das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr,
Und der Sturm trieb höhnend uns vor sich her.
Da dröhnt’ es wie Brandung uns dumpf an das Ohr;
Da sprüht es wie ferne Schaumstreifen empor;

15
Da scholl das Commando durch’s Sturmgetos’:

„Hinunter die Anker, die Ketten los!“
Abrollten die Ketten - den Athem hielt an
An Bord der wettererprobteste Mann.
Wenn der Anker nicht faßte, die Kette zerriß

20
War eisiger Tod uns Allen gewiß;

Secunden des Wartens, ein Ruck, ein Schrei -
Die Ketten knarrten; die Brigg lag bei;
Der Anker hielt treulich fest in dem Grund:
Wir waren gerettet in letzter Stund’. -

25
Und als wir uns umsah’n im dämmernden Tag,

Das Schiff an des Hafens Barre lag;
Zwei Klafter noch weiter - wir wären zerschellt
Daheim nach der glücklichen Fahrt um die Welt.

L. B.




Kleiner Briefkasten.


Mehrere Hausfrauen in W. Ihre Annahme, als ob das „Versand-Geschäft“ von Mey und Edlich in Plagwitz-Leipzig die Versendung der „Gartenlaube“ an die Abonnenten ausführe, ist eine durchaus irrige. Der Versand unserer Zeitschrift erfolgt nach wie vor durch die Sortimentsbuchhandlungen und Postämter je nach der Ausgabestelle des Abonnements. Die Firma Mey und Edlich benutzt gegen die üblichen Gebühren, wie dies Jedermann freisteht, unser Blatt dann und wann zur Verbreitung ihrer Geschäftsempfehlungen, und würden derartige Beilagen allerdings zurückgewiesen werden, wenn Grund vorläge, an der Reellität der empfohlenen Waaren zu zweifeln. Die Firma genießt aber den Ruf solidester Geschäftsgebahrung. Die Papierwäschefabrik von Mey und Edlich besteht neben dem Versandgeschäft in alter Ausdehnung fort und beschäftigt sich letzteres damit, eine Reihe im Haushalt nothwendiger Artikel in nur guter Waare zu billigen Preisen abzugeben. Das Festhalten am Grundsatz der Baarzahlung, der Massenabsatz und das niedrige Porto für kleinere Pakete ermöglichen diese Art des Geschäftsverkehrs, wie ihn namentlich das Pariser Monstregeschäft Bon Marché seit langem auch mit zahlreicher deutscher Kundschaft betreibt.

B. G. in Magdeburg. Die gewünschten Daten aus dem Leben des allgefeierten Componisten Max Bruch (vergleiche „Gartenlaube“, Jahrgang 1881, Seite 556) teilen wir Ihnen an dieser Stelle gern mit, da dieselben das Interesse weiter Kreise beanspruchen dürften. In den Jahren 1865 bis 1867 war Max Bruch Musikdirector in Koblenz und folgte hierauf als Hofcapellmeister dem Rufe des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, in welcher Stellung er bis zum Jahre 1870 verblieb. Nach einem dreijährigen, seinen Privatarbeiten gewidmeten Aufenthalt in Berlin siedelte er 1873 nach Bonn über, bis er als Nachfolger von Julius Stockhausen die Direction des Stern’schen Vereins in Berlin bis (1878 bis 1880) übernahm. In dem letztgenannten Jahre erfolgte Bruch’s Berufung nach Liverpool, in welcher Stadt er bis jetzt als Director der „Philharmonic Society“ fungirt. Der Meister ist seit dem 3. Januar 1881 mit Clara Tuczek aus Berlin verheirathet.




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach dem Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.

Redacteur Dr. Ernst Ziel, Leipzig. – Verlag von Erst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Das Wort Liane gebrauchte in deutscher Sprache zuerst Alexander von Humboldt. Es war ein glücklicher Griff; denn Liane besagt alles, was sonst Kletterpflanze, Schlingpflanze, Winden- und Rankenpflanze etc. genannt wird.