Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Zwanzigster Brief

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Neunzehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Einundzwanzigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band
Untertitel: Zwanzigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Andra delen.
Originalsubtitel: Tjugonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Zwanzigster Brief.
Cap May (New-Jersey) den 2. August 1850.  

Letzten Sonnabend und Sonntag befand ich mich auf einem schönen Landsitz in der Nähe von Philadelphia, mitten unter schönen seltenen Blumen, wovon sich besonders die mexikanischen durch glühende Farbenpracht auszeichneten, und Schaaren von Kolibris, die sich um sie her schwangen, ihre feinen langen Schnäbel in die Kelche derselben tauchend; ein wahres Fest von zierlichen Naturgegenständen außer dem Haus und innerhalb desselben, Alles niedlich, kostbar, schön, aristokratisch, aber in verschiedenen Dingen zu exklusiv für meinen Geschmack und zu wenig vom wahren „high life“ enthaltend. Heute schreibe ich Dir von der Meeresküste, wo der große, freie Ocean gegen die Sandriffe vor meinem Fenster emporbraust und mir in den Wellen ein Schauspiel von höchst demokratisch republikanischem Gehalt vorführt.

Aber ich muß Dir noch ein Wort von meinem Besuch auf der schönen Villa sagen, denn ich war da beim Hochzeitfest des Mais (amerikanischen Kornes), ich sah seine Hochzeitkleider, und ich muß Dir etwas davon erzählen. Der Mais ist ein Diclin. Die Staubfäden entwickeln sich in einem Büschel von Aehren, welche zuhöchst auf dem Wipfel des breitblättrigen, starken, grünen Gewächses sitzen. Die Staubfädenähren schwingen sich munter im Wind und blasen ihr Samenmehl aus wie Rauch. Weiter unten am Schluß des Stammes sitzt die Maisähre (gewöhnlich zwei bis drei Aehren auf einem Stengel) in hellgrüne Hülsen eingewickelt, die sich zur Blüthezeit im Wipfel ein wenig öffnen, um einem Büschel glänzender Silberfäden Platz zu machen, die in allen Regenbogenfarben, doch zumeist in Violett und Gold spielen. Sie kommt jedoch nicht weit hinaus, sondern wenn die Aehre durch sie das Licht und das Leben begrüßt hat, zieht sie sich wieder hinein wie die kleinen weißen Flöckchen an den Roggen- und Waizen-Pistillen bei uns. Jetzt waren just die zierlichen Seidenbüschchen heraus, und ich brach einen der so hervorblickenden Maisstengel und nahm sachte die eine grüne Hülle nach der andern ab. Sieben grüne Hüllen hatte ich so hinweggenommen; sie wurden immer heller, immer feiner, je näher sie der Aehre kamen. Behutsam rollte ich die letzte hellgrüne Hülle ab, und ein spiralförmiger Schleier von glänzenden, weißen Silberfäden wogte tief hinab von der reichen, perlreihigen Aehre, so schön, so unendlich reich und rein, daß es entzückend war. Jede Kornperle hatte ihren Silberfaden, und alle waren auf derselben Seite um die Aehre gewunden und vereinigten sich in der Spitze, um zum Licht zu dringen und von seinen Strahlen gefärbt zu werden. Ich betete beinahe an beim Anblick dieser ursprünglich verwirrten, jetzt geoffenbarten Herrlichkeit, und ich mußte an die Worte denken: „Salomo in all seiner Herrlichkeit war nicht gekleidet wie eine von diesen. Es war unendlich schön, und ich wünschte nur, Du hättest es mit mir gesehen. Unter den Blumen muß ich die Tiegerlilie wegen ihrer ungewöhnlichen Pracht ausdrücklich nennen.

Am Abend sah ich über die Blumen hin eine Sphinx flattern, die, einem Kolibri in seiner ganzen Art zu fliegen und Blumen zu saugen vollkommen gleichend, auf Schwingen mit einem schnabelartigen Schwanz emporflog, so daß ich einen Augenblick im Zweifel war, ob sie dem Geschlecht der Vögel oder Schmetterlinge angehört. Ich mußte näher kommen und die vier Füße sehen. Ihren Namen konnte ich nicht erfahren. Jemand behauptete, man nenne sie „ladys-bird,“ zu deutsch Herrgottskäfer. Im Allgemeinen verstehen sich die Männer wie die Frauen hier zu Land sehr wenig auf Gegenstände der Natur, wenn es sich nicht ganz einfach um Nutzen und Vergnügen handelt. Besonders im Süden und mitten in dieser reichen Thier- und Pflanzenwelt erschien mir die Unwissenheit darüber recht beklagenswerth. Der Mensch sollte doch die Natur anders genießen als der Ochs; er sollte als Herr der Schöpfung sich und seinen Schöpfer dadurch ehren, daß er seine Werke verständig betrachtet, ihre Bedeutung einsehen lernt, und als Priester der Natur sollte er ihre Lehren erklären und ihre Lobgesänge dollmetschen. Dieß wäre ein würdiges Geschäft für Leute von „high life“; und das „high life“ in der neuen Welt wird ein leerer Begriff, wenn man nicht das „hohe Lied“ eines neuen Lebens singen lernt, ein hohes Lied, höher als das Salomonis, höher als das von Odin und Wala, aber im Geist.

Von Philadelphia reiste ich mit Professor Hart und seiner Frau an einem schönen Julitag nach Cap May, und schön war die Fahrt auf dem spiegelruhigen Delawarefluß, mit seinen grünen, idyllischen, lieblichen Ufern. Den Tag über las ich Mr. Clays Annalen von der schwedischen Kolonie auf diesen Ufern und hatte mein inniges Vergnügen daran, von der historischen Idylle hinweg auf die Ufer zu blicken, wo sie in Frieden und Frömmigkeit lebte. Der Uebermuth und die kriegerische Laune einiger der Häupter der Colonie, der Herren Prinz und Rising, war Schuld an den Unruhen, die endlich ihren Untergang bereiteten. Aber das Volk war friedlich und begnügsam. Von ihrer Liebe zum Mutterlande zeugen die Namen, die sie den verschiedenen Orten gegeben: „Neu Götheborg, Elfsborg“ u. s. w.; von ihrem Entzücken über die neue Welt zeugt der Name „Paradies-Spitze“, den sie dem ersten Landungsplatz am Delaware-Ufer gaben, wie auch noch manche, von ihrem schwedischen Annalisten Campanius aufbewahrte Anekdoten. Hier im Weinland der alten Sagen fanden die Schweden die wilde Weinrebe und manche herrlichen Früchte, von denen sie sprechen. Hier auf diesen schönen, sonnbeglänzten Höhen und Feldern lebten sie glücklich, selbst nachdem sie unter fremde Gewalt gekommen. „Denn die neue Regierung war mild und gerecht gegen sie,“ sagt die Kronik. Aber sie machte ihr Mutterland vergessen. Die Erinnerung an die erste Kolonie auf diesen Ufern gleicht jedoch dem frischen Grün, das sie bedeckt. Ich betrachtete sie mit Liebe. Frieden und Freiheit sind hier von Schwedens Volk gepflanzt worden.

Am Abend kamen wir aufs Meer und zum Cap May.

Und jetzt zur Republik in den Wellen, nicht Alles „high life“, außer mit Bezug auf gewisse Gefühle. Es ist ungefähr 9 Uhr Morgens. Nach einer kleinen Weile beginnt längs am Meeresufer ein recht buntes Schauspiel. Mehrere hundert, ja wohl mehr als tausend Personen, Männer, Frauenzimmer und Kinder in roten, blauen und gelben Kleidern Trachten von allen Farben und Schnitten (die Grund-Façon in allen Kostümen ist die Blouse, Hosen und gelber Strohhut mit breitem, rundem Rand und hübschen, rothen Bändern) ziehen schaarenweise ins Meer hinaus und hüpfen hinauf und hinab in den schwellenden Wogen, oder lassen sie dieselben unter großem Jubel über ihre Köpfe hinschlagen. Wagen und Pferde fahren hinaus in die Wogen, Herren reiten hinaus, Hunde schwimmen hinaus, weiße und schwarze Menschen, Pferde, Wagen und Hunde, Alles tummelt sich um einander her; dicht davor strecken große Fische, Meerschweine genannt, ihre Köpfe empor und thun zuweilen hohe Sprünge, vermuthlich aus eitel Lust und Vergnügen an den Sprüngen der Menschen. Es ist wie gesagt eine Republik in den Wellen, mit mehr Gleichheit und Brüderlichkeit, als irgend eine auf dem trockenen Land. Denn das Meer, das große, mächtige Meer behandelt Alle gleich; es braust um und über Alle mit solcher Uebermacht, daß es sich für Niemand der Mühe lohnt, sich als eine Gegenmacht oder als etwas für sich Bestehendes dagegen aufzulehnen; das Meer schlägt über Alle hin, um Alle her, belebt Alle, umkost Alle, vereinigt Alle.

Unter den Bürgern in den Wellen dürftest Du besonders ein Paar bemerken, nämlich einen Bürger in zierlichen, feuerfarbigen Kleidern, und eine Bürgerin in einer braunen, kohlraupenartig gestreiften Wollbluse. Die Bürgerin zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich von dem Haufen nach einem einsamen Ort zurückzieht, ebenso durch ihr Verlangen nach Selbstherrschaft und ihr Unvermögen, im Schlag der Wellen auf den Füßen zu stehen. Auch werfen diese sie unbarmherzig genug an ein Sandriff, wenn sie allein ihren eigenen Kräften und einer dreispitzigen Gabel überlassen wird, womit sie sich, aber vergebens, auf dem Boden festzuhalten sucht, während der Bürger auf den Strand geht, um seine Frau hinauszuführen. Dieses Paar ist Professor Hart und die Unterzeichnete. Dann und wann könntest Du mich aus dem Wasser tauchen sehen, müde mit den Wogen zu streiten und mich gegen das Ufer hinschleudern zu lassen, einer Fischmöve gleich an diesem sitzend, umrauscht von weißschäumenden, tosenden Wogen, bald den Ocean, bald den grenzenlosen Raum betrachtend, bald die bunte Gesellschaft in den Brandungen am Strande.

Ganz anders ist es im Capitol zu Washington ! … Der Mensch scheint hier nicht groß, nicht merkwürdig in irgend einer Weise, und mehr einem ungraziösen, ungelenken Thiere gleich (denn die Kleider, welche die Sittsamkeit beschützen, sind gänzlich unvortheilhaft für die Schönheit), als einem Herrn oder einer Herrin der Schöpfung.

Im Anfang erschrack ich beinahe über dieß Unternehmen und die Gesellschaft, sowie über das Unschöne, scheinbar Grobe in dieser Republik. Aber ich sehnte mich nach den Kräften des Meeres und dachte: „Wir sind Alle gleich vor unserem Herrn und Alle Sünder, Alle arme Sünder!“ Und ich ging hinaus unter die Andern. Und obschon ich noch nicht daran gewöhnt bin, mit den Wogen zu kämpfen, wie ich Andere es thun sehe, so bin ich doch bereits ganz entzückt über diese wilden Bäder und hoffe sehr viel Gutes von ihnen. Sie geben mir einen eigenthümlichen Eindruck von etwas zugleich Großem und Lieblichen. Die Woge kommt wie ein Riese, stark, aber zugleich so mild und mächtig wie eine Gotteskraft, voll von gesundheitspendendem Leben, so daß ich, wenn ich mich von ihr überschäumt fühle, unwillkürlich denken muß, es sei doch nicht schwer, in ihr zu sterben. Aber habe keine Angst, meine liebe Agathe, Du darfst glauben, daß ich mich wohl in Acht nehme, und daß auch noch Andere da sind, die mir ihre Obhut angedeihen lassen; denn auch hier habe ich gute Freunde, obschon ich, um im Frieden leben zu können, einem Theil von ihnen etwas weniger freundlich begegne; und mich in einiger Entfernung von ihnen halte. Diese Art liegt gar nicht in meiner Natur, und es kommt mich mitunter recht schwer an, Leuten, die mir freundlich entgegenkommen, so zurückstoßend zu begegnen; aber ich muß schweigen und ruhen und meiner selbst ein wenig Meister sein.

Mit Professor Hart und seiner Frau befinde ich mich vollkommen wohl; sie sind stille, freundliche, ernste Menschen. Sie lassen mich gewähren ganz wie ich will. Ich habe ein angenehmes Stübchen nahe bei ihrem Wohnzimmer, mit der freien Aussicht auf den Ocean, der sich hier ohne Inseln und Scheren an dem niedrigen, sandigen Strand bricht; ich höre sein Brausen Tag und Nacht durch meine geöffneten Fenster. (Seit mehreren Monaten schlafe ich bei offenem Fenster, aber verschlossenen Jalousien, und man macht es in Amerika allgemein so). Ich ruhe und genieße, wie ich das hier zu Land noch nie gethan habe, denn hier erst habe ich das Recht bekommen, über mich selbst zu verfügen. Der rastlose Gedanke arbeitet jedoch, schreibt Romane und Dramen, die sämmtlich in Schweden spielen, obschon hiesige Scenen sie ins Leben rufen. Aber für Schweden lebe ich mit all meinem Dichten und Trachten.

Jetzt bist auch Du am Meer, meine Agathe, und tauchst Dich in die salzigen Wogen. Mögen die stillen Bäder von Marstrand Dir ebenso gut und stärkend sein, wie ich diese wilden oceanischen für mich fühle! Für Dich würden sie nichts taugen. Sie sind zu heftig.

Den 10. August.  

Wie schön ists hier zu sein, wie wohlthätig vor Ausfahrten in die Umgegend, vor dem angestrengten Hören und Lernen, vor dem Gesellschaftsleben und Unterhaltungen Ruhe zu haben und allein sein zu dürfen, schweigend und still! Und das Meer, das Meer, das große, herrliche Meer, wie belebend ists es zu betrachten, ihm zu lauschen, sich darin zu baden! Alle Morgen nach meinem Frühstück, welches aus Kaffee, karolinischen Reisgraupen und einem Ei besteht, sitze ich am Meeresstrand in einer Laube, die über das Dach einer Holzbude gebaut ist, sitze da mit einem Buch in der Hand und sehe ins Meer und auf die weiten Himmelsräume hinaus, sehe die Meerschweine schaarenweise an der Küste hinziehen und höre die großen Wogen zu meinen Füßen sich brechen und brausen. Die Meerschweine belustigen mich ganz besonders, sie gehen meistens paarweise, und wenn sie aus dem Meer hervorgucken, gleich als wollten sie „guten Tag“ sagen, machen sie eine biegende Bewegung mit dem ganzen Körper, so daß ihr ganzer oberer Theil über der Wasserfläche sichtbar wird; nach dieser langsamen und mit einer gewissen Methode gemachten Verneigung stecken sie den Kopf wieder hinab und verschwinden in den Wogen, erscheinen jedoch bald wieder auf dieselbe Art wie vorher. Sie sind große Fische (ich glaube ungefähr drei Ellen lang) scheinen von Gestalt unsern größten Lachsen nicht ungleich, und haben etwas Gravitätisches in ihren Bewegungen, während sie uns ihre Grüße aus der Tiefe bringen. Aber zuweilen machen sie hohe Sprünge. Weißt Du, warum ich ein Buch in der Hand habe, während ich Alles das ansehe? Damit die Leute glauben sollen, ich lese, und damit man mein Lesen respectire. Anders kann ich nicht im Frieden sein. Und ich bin durch dieß beständige Anreden fremder Personen, sowie durch ihre ewig gleichen Fragen so reizbar geworden, daß ich Herzklopfen bekomme, so bald sich jemand nur auf dieselbe Bank setzt wie ich, denn ich fürchte dann schon, man wolle mich anreden. Deßhalb wende ich bei solchen Aussichten sogleich die Augen dem Buche zu. Morgens ist jedoch mein luftiger Salon ziemlich frei von Leuten. Und die interessanten Meerschweine sind zuweilen die einzigen lebendigen Wesen, die ich sehe. Einige genußreiche Stunden habe ich durch ein Buch, nämlich Oersteds neulich herausgegebenes viertes Heft seiner Schrift: „Der Geist in der Natur“ gehabt, worin er, wie ich ihn in Kopenhagen darum bat, die Gedankensummen weiter entwickelte, die in seinem herrlichen kleinen Aufsatz über „die Einheit der Vernunftgesetze im ganzen Universum“ verborgen lagen. Nie werde ich die Freude vergessen, welche mich an dem Morgen durchströmte, als ich zum ersten Mal dieses Schriftchen las, das Oersted mir gegeben hatte, und als die Ahnung der Anwendung, deren sie auf das ganze höhere menschliche Bewußtsein fähig war, wie ein Blitz durch meine Seele flog. Es war früh am Morgen, aber ich konnte mich nicht enthalten, ich mußte hinaus und zu Oersted und ihm meine Freude und meine Ahnungen sagen. Dieser Morgen und die Gespräche, die er zwischen dem liebenswürdigen alten Mann und mir herbeiführte während des Winters, den ich in Kopenhagen zubrachte, und die genußreichen Stunden, welche sie mir schenkten, waren ganz besonders angenehm für mich, während ich Oersteds neues Buch las, und bei den herrlichen Aussichten, die es für mich eröffnet, selbst über den Horizont hinaus, welchen der edle Mann der Wissenschaft angegeben. Aber Oersted hat seine Sache auf eine große Weise ausgeführt, und während er feststellte, was man mit Bestimmtheit wissen kann und auf was man mit der größten Wahrscheinlichkeit in diesen Fragen schließen darf, hat er das Feld für weitere Forschungen und Gedankengänge offen gelassen, wobei die Gesetze und Analogieen, auf die er hindeutet, als Wegweiser dienen können. Wie freue ich mich, auf meinem Rückweg in Dänemark den verehrungswürdigen, noch jugendlichen, alten Gelehrten wieder zu sehen! Aber ich muß Dir jetzt von meinem Leben auf Cap May erzählen.

Ich verweilte in der Morgenstunde in Gesellschaft der Meerschweine und des Meeres. Um halb 11 Uhr beginnt die Fluth zu steigen und das Meer höher und höher an den Strand zu schlagen; dann lege ich mein Badkostüm an und gehe so ins Meer hinaus, ehe noch die größte Menge sich versammelt hat, und lasse mich von den Wogen überschwemmen, sehr oft an der Hand des Professors Hart, zuweilen auch mit einer artigen Quäckerin (einer Schwiegertochter der Lucretia Mott); manchmal bin ich auch ganz allein, denn ich bin jetzt sehr geschickt geworden in der Kunst, mit den Wogen zu ringen und in ihrer Mitte die Balance zu erhalten. Das Bad währt ungefähr eine Viertelstunde und empfindet sich so angenehm, daß es beinahe Mühe kostet wieder herauszusteigen. Nach dem Bad gehe ich auf mein Zimmer, schreibe ein wenig, während ich meine Haare trocknen lasse, trinke ein Glas eiskalte, gute Milch, esse ein Stück gutes Waizenbrod dazu und lege mich dann ein Stündchen auf mein Bett, wo ich bei dem großen Wiegengesang des Meeres so leicht und lieblich einschlummere, wie ich vermuthe, daß kleine Kinder beim Wiegengesang der Mutter einschlummern. Wenn ich erwache, kleide ich mich schnell zum Mittagessen an.

Um 2 Uhr wird dinirt. Dieß ist ein mühsames Geschäft. In einem großen hellen Saal sitzen an zwei langen Tischen ungefähr dreihundert Personen mit donnernder Tafelmusik und bedient von einem Regiment von etlichen und vierzig Negern, welche nach dem Glockenschlag hereinmarschiren und manövriren und so viel Lärm machen, als sie möglicherweise mit Tellern und Schüsseln u. s. w. zu Stand bringen können, und das ist nicht wenig. Sie kommen zu zwei und zwei hereinmarschirt, jeder eine Schüssel oder Schale in der Hand haltend. Ping! sagt eine kleine Uhr, die vom Haushofmeister noch in die Höhe gehalten wird, und die Schüsselträger bleiben stehen und werden in zwei Reihen zwischen den Tischen aufgestellt. Ping! sagt die Uhr wieder und sie wenden sich nach den Tischen, bleiben jedoch unbeweglich auf ihrem Platze stehen. Ping! und sie stellen die Schüsseln auf die Tische mit einem Getöse, so daß man dabei in die Höhe springen möchte, wenn nicht die ganze Bedienung eine Kette von lärmendem und schwirrendem Getöse wäre, so daß man aus dieser geräuschvollen Sphäre gar nicht herauskommt. Das Mittagessen ist meistens sehr gut, und die Speisen sind weniger gewürzt, als ich sie am amerikanischen Tische, besonders in Hotels zu finden gewohnt bin. Obschon ich hier überall grüne Gemüse vermisse, esse ich doch gern etwas, was man Sqwash nennt, und was das Fleisch einer Art von sehr allgemeinem Kürbis ist, die man ungefähr so kocht und servirt, wie wir den Kohl, und die man auch zum Fleisch ist. Es ist weiß, ziemlich geschmacklos, aber weich und angenehm, ungefähr wie Spinat, und wird allgemein im Lande gegessen. So ist auch der Tomato eine sehr schmackhafte und beliebte Südfrucht und wird als Salat gegessen. Zum Dessert wage ich nichts anderes zu essen, als Sagopudding oder Custard, eine Art Eierkreme in Schalen. Aber ich bin froh, daß diese immer vorhanden sind. Ein stehendes Gericht auf amerikanischen Tischen ist um diese Zeit das sogenannte „süße Korn“; es ist der ganze Kornstock von einer Art frühreifem und sehr süßem Mais, den man in Wasser kocht und ganz servirt; man ißt es mit Butter, und es schmeckt wie die französischen „petit-pois“, während man mit dem Messer das Korn von dem Stock wegscharrt oder schneidet. Einige nehmen den ganzen Stock und nagen ihn mit den Zähnen ab. So machen es drei Herren, die vor mir und Professor Hart am Tisch sitzen, und welche wir Haifische nennen wegen ihres merkwürdigen Talentes große, oft doppelte Portionen von Allem, was auf den Tisch kommt, zu verschlucken. Es wird mir wahrhaft angst und bang, wenn ich sehe, wie ihre breiten, mit tüchtigen Zähnen versehenen Mäuler gierig die schönen weißen, perlartig gereihten Maisähren umnagen, die ich kaum zuvor in ihren Hochzeitkleidern sah, und die jetzt massakrirt in dem gefräßigen Schlunde der Haie verschwinden. Wenn ich das sehe, fühle ich, daß, wenn das Essen nicht ein von der Religion geheiligter Akt ist (und dieß ist der Sinn des Tischgebets), es dann eine niedrige, thierische Handlung, unwürdig des Menschen und der Natur ist.

Nachmittags sitze ich wieder mit meinem Buche in der Hand da, betrachte das Meer und trinke die weiche, lebenspendende Meerluft. Einige Badgäste finden sich schon um halb sechs in der von Neuem steigenden Fluth ein, und zuweilen nehme auch ich dann ein Bad, aber gewöhnlich spüre ich, daß eins genug ist, denn der Kampf mit den Wellen macht das Bad ermūdend. Dann mache ich gewöhnlich einen Spaziergang und besuche mitunter Personen, die mich besucht haben, entweder in den großen Hotels hier, oder in den kleinen Landhäusern in der Umgegend. Wenn es dunkelt (und es dunkelt hier bald) gehe ich auf der großen Piazza, die um unser Hotel (Columbia House) geht, auf und ab, und betrachte das herrliche Schauspiel von Blitzen und ungewöhnlichen Lichtexplosionen, welches das Firmament uns alle Abende gewährt, seit ich hiehergekommen bin, ohne daß sich ein Donner hören läßt. Die eine Hälfte des Himmelsgewölbes ist dabei ganz klar und sternhell; über der andern ruht eine Wolke, und am Rand und in den verschiedenen Theilen der Wolke geschehen Lichtexplosionen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Feuerkugeln erscheinen und springen in keilartigen Strahlen nach mehreren Seiten aus, andere flammen und knistern, wie brennbare Stoffe, die schnell verbrennen; es öffnen sich Schlünde von hübschen, farbigen Flammen, die da und dorthin fliegen, und der Rand der Wolke, der grau und leicht erscheint, schickt unaufhörlich flammende Spieße und Raketen aus; weiter unten am Horizont, wo der Himmel mit dem Ocean zerschmilzt, wird er von langen, sanften Blitzen erhellt; — mit einem Wort, es ist eine himmlische Feuerwerkerei, die immer neu, überraschend und für mich ganz entzückend ist. Ein paar Mal haben wir auch prächtige Donnerwetter gehabt, wo die Blitze über den Ocean hinfliegen und sich kreuzen, so daß es ein wahrhaft großes Schauspiel ist. Dabei ist die Luft rein und die Tage und Nächte sind ununterbrochen lieblich und schön.

Oft haben wir auch Musik und irdische Feuerwerke am Meeresstrand vor unserem Hotel, so daß es uns an ermunternder Unterhaltung nicht fehlt. Zu diesem Capitel gehören auch Cavalkaden am Ufer hin von Herren und Damen, Spazierfahrten in leichten, luftigen Wagen, Fußpartieen längs der Rhede, wo man Cap-May-Diamanten sucht und findet, kleine, helle, weißliche Steine, die geschliffen mit einem ganz klaren und schönen Wasser glänzen. Unter den Fußgängern spät am Abend, wenn der Mond aufgegangen ist, bin auch ich zuweilen mit Professor Hart, dem ich so gerne zuhöre, wenn er seine Gedanken über die Erziehung der Jugend entwickelt, seine Methode, in der Schule Jahr für Jahr die Aufmerksamkeit der Knaben immer neu zu wecken und zu unterhalten, wie auch die Selbstthätigkeit ihres eigenen Wesens zum vollen Bewußtsein zu rufen. Seine Ansichten und Methode erscheinen mir dabei vortrefflich, und der Erfolg seiner Schule, die Brauchbarkeit der Jünglinge, ihre Tüchtigkeit zu verschiedenen Gewerben, wenn sie aus derselben kommen, zeugt für die Richtigkeit des Prinzips und die Güte der Methode. Das Meeresbrausen ist gewöhnlich am Abend leiser als bei Tag, des Mondes träumerisches Licht scheint die unruhige Welle einzuschläfern, und ihr Gesang ist eine Ruhe. Mitunter gehe ich ein wenig ans Land hinauf und lausche dem Gesäusel des Maises im Abendwind, lauter stille, ruhende Töne! … So kommt die Nacht und der Schlaf mit des Meeres großem Wiegengesang! So vergehen die Tage mit geringen Abwechslungen, und ich wünschte blos Alles verdoppeln zu können. Die Zahl der Badgesellschaft soll sich zwischen zwei- und dreitausend Personen belaufen.

„Miß B *** kann ich das Vergnügen haben, ein Bad mit Ihnen zu nehmen?“ (oder „mit Ihnen zu baden“) ist eine Einladung, die man oft von einem Herrn an ein Frauenzimmer hört, just wie man auf einem Ball zu einer Française oder einem Walzer engagirt, und ich habe niemals gehört, daß die Aufforderung abgeschlagen wurde. Auch ich habe an diesen Badtänzen nie etwas eigentlich Unschickliches gesehen, aber hübsch und anmuthig sehen sie nicht aus, besonders nicht diejenige Tour des Tanzes, wo der Cavalier die Dame schwimmen lehrt, welche Kunst indeß in Seegefahren nicht übel ist. Allerlei verschiedene Scenen bekommt man übrigens in der badenden Republik zu sehen. Hier ein schönes junges Paar in eleganten Badekleidern in die wilden Wogen hinaustanzend, lebenslustig, lebensmuthig einander an der Hand haltend, als könnten sie es mit dem ganzen Weltmeer aufnehmen und allen seinen Wogen die Brust entgegenbieten; dort wieder ein altes Paar in grauen Kleidern, das sich beständig an den Händen hält und in den Wellen auf und ab taucht (gerade wie wenn man Lichter zieht), ernsthaft und blos darauf bedacht, fest stehen zu bleiben und für die Gesundheit etwas zu profitiren; da eine lächelnde junge Mutter, die ihr junges Knäblein vor sich her trägt, einen noch nicht ein Jahr alten nackten Amorino, welcher lacht und die Händchen aus Freude zusammenschlägt, wenn die wilden Wogen über ihn hinfahren; daneben eine dicke Großmutter mit einem „Lebenserhalter“ um den Leib und selbst halb im Sande sitzend, aber offenbar voll Angst trotz alle dem zu ertrinken, und wenn die Woge kommt, an irgend einem ihrer hüpfenden und lachenden großen Kinder und Kindeskinder sich haltend, welche jubelnd im Kreise um sie her tanzen. Hier ein graziöses junges Mädchen, das sich zum ersten Mal im Seebad befindet und aus Furcht vor der Woge in die Arme von Vater und Mutter eilt, um sich da von ihr überschäumen zu lassen; da eine Gruppe wilder junger Frauenzimmer, die einander Hand an Hand halten, herumtanzen und laut aufschreien, so oft die Woge über ihren Köpfen zusammenschlägt; und nicht weit von ihnen ein Schwarm noch wilderer junger Männer, die wie Fische tauchen und sich um einander herumtummeln zur großen Verwunderung der Meerschweine (wie ich vermuthe), die da und dort ihre großen Köpfe aus den Wellen hervorstrecken, was wiederum ein paar großen Hunden die Köpfe verrückt, so daß sie in der Hoffnung auf einen guten Fang ins Meer hinaus ihnen entgegen stürzen. Mitunter, wenn man gerade von der Woge überspült zu werden hofft, bekommt man zu gleicher Zeit eine Masse von Frauenzimmern und Herrn, die sitzend mit ihr herankommen und von ihr herbeigetragen werden, so daß man nur sein junges Leben zu vertheidigen hat. Drei[WS 1] Rettungsboote rudern während der Badezeit beständig vor dieser Scene auf und ab, um bei der Hand zu sein, wenn je eine Gefahr vorkommen sollte. Dessen ungeachtet ereignen sich beinahe jedes Jahr Badunglücksfälle durch die Unvorsichtigkeit von Leuten, die sich zu weit hinaus wagen, ohne starke Schwimmer zu sein. Der Trieb der Woge ins Meer hinaus, wenn sie, nachdem sie sich am Ufer gebrochen, davon zurücktritt, ist noch stärker als ihr Andrang; sie scheint da ordentlich in die Tiefe hinabziehen zu wollen, und ich mußte dabei an unsere mythologische Sage von dem falschen Strom denken, der nach dem Leben der Menschen hungert und sie in seinen kalten Shooß hinabzieht. Andere Gefahren finden sich auf dieser Küste nicht vor. Die Meerschweine sind nicht gefährlich und die Haifische finden sich nirgends, als bei der Mittagstafel.

Ein See-Unglück hat sich neulich nicht fern vom Cap May zugetragen, die Hoffnung manches Herzens zermalmt und auf Tausende von Gemüthern in den nordöstlichen Staaten einen tiefen Eindruck gemacht. In einer stürmischen Nacht im verflossenen Juli strandete an der Küste von New-Jersey eine Brigg, welche die Markise Ossoli (Margret Fuller), den Gegenstand so vielen Geredes und so vieler Verläumdung, so vieler Bewunderung und so großer Aufmerksamkeit in den Staaten Neuenglands, nach ihrer Heimath zurückbrachte, und nebst ihr, ihren Mann, den Marchese Ossoli und ihren kleinen Jungen. Sie gingen sämmtlich unter, während sie vier Stunden lang den Tod herannahen gesehen hatten und die Wogen das Schiff in Stücke zerschlugen. Ich glaube, daß ich Dir von Margret Fullers Brief, den sie von Genua aus an Springs schickte, von ihren traurigen Ahnungen, von dem Tod des Kapitäns u. s. w. erzählt habe. Das Schiff war hernach vom ersten Steuermann geführt worden, der ein geschickter junger Seemann zu sein schien, und seiner Sache so sicher war, daß er am Abend vor der Unglücksnacht den Passagieren versprochen hatte, sie sollen am Morgen in New-York sein. Sie begaben sich darauf alle zur Ruhe und erwachten erst, als das Schiff bei der Morgendämmerung auf den Grund stieß. Der Steuermann hatte sich durch einen Leuchtthurm, den er fälschlich für einen andern in diesen Fahrwassern hielt, irre führen lassen. Sie befanden sich nicht weit vom Lande und die Wogen drängten gegen die Küsten zu; mehrere Passagiere ließen sich auf Bretter binden und kamen auf diese Art, obwohl halbtodt, ans Land. Man bot Margret Fuller dieses Rettungsmittel an. Sie verweigerte es; sie wollte nicht gerettet werden, außer mit ihrem Mann und mit ihrem Kind. Bei der Einschiffung von Italien her hatte sie einer Freundin in Amerika geschrieben: „Ich habe eine Ahnung, daß eine große Veränderung in meinem Schicksal bevorsteht. Ich fühle das Herannahen einer Krisis … Ossoli ist in jüngeren Tagen von Weissagern vor der See gewarnt worden, und dieß ist seine erste größere Seereise … aber sollte ein Unglück eintreffen, so will ich mit meinem Mann und meinem Kind zu Grund gehen.“ Jetzt war die geahnte Stunde gekommen und sie wollte mit den Ihren sterben.

Ein Matrose hatte den kleinen Jungen genommen, ihn und ein kleines italienisches Mädchen auf ein Brett gebunden und sich mit ihnen ins Meer hinausgeworfen, in der Hoffnung, sie zu retten. Man sagte Margret Fuller, sie haben glücklich das Ufer erreicht. Man sagte ihr, daß auch Ossoli gerettet sei; dann erst willigte sie ein, daß man auch sie an ein Brett band. Sie erreichte den Strand nicht. Die Tiefe verschlang sie. Eine Woge hatte Ossoli von dem Verdeck ins Meer gespült. Man fand weder seine noch ihre Leiche. Aber der kleine Junge wurde nebst dem italienischen Mädchen auf dem Sandriff gefunden, beide todt. „Ein schneller Tod und eine kurze Todesangst!“ war immer Margret Fullers Gebet gewesen. Es ist erfüllt worden, und sie war und sie ist bei den Ihrigen. Aber ihre Mutter und ihre Schwester, die nach New-York gekommen waren, um sie zu empfangen, — ihr Kummer soll an Verzweiflung grenzen. Sie hatten sich so lang, mit so großer Sorge und so inniger Freude auf diesen Empfang vorbereitet. Sie wollten sie so glücklich machen! Und der kleine Junge — Alles war fertig für ihn, sein Bettchen, sein Stühlchen, sein Tischchen! …Rebekka Spring, die M. Fullers Mutter gesehen hat, schreibt, sie sehe aus, als ob sie nie wieder würde lächeln könne. Sie scheint zermalmt zu sein. Unter denjenigen, die beim Schiffbruch untergingen, befand sich auch Ch. Sumners Bruder, der junge Mann, der nach Petersburg fuhr und dem Kaiser Nikolaus eine Eichel schenkte.

In dem, was ich von M. Fuller gelesen habe, findet sich nichts, was die hinreißende Macht verriethe, die sie im Gespräch ausgeübt haben soll; ihr schriftstellerisches Talent scheint mir ziemlich schwach, aber ein großartiger, edler Geist verräth sich in ihren Schriften, und sie grämt sich und zürnt oft über das, was sie an ihrem Volk als unedel erkennt. Sie zeigt sich dabei mehr kritisch als enthusiastisch. Aus ihrem Buch „Ein Sommer an den Seen“ habe ich mir zur Erinnerung an sie folgende Worte abgeschrieben:

„Wer muthig und fest dabei bleibt, einen edeln Vorsatz auszuführen, auf welchen Widerstand er auch stoßen möge, der muß just durch denselben gesegnet werden.“

Nach M. Fullers Brief sollte ich glauben, sie habe ihr höchstes Lebensziel in ihrer mütterlichen Glückseligkeit gewonnen. Ihre ganze Seele schien darin aufgegangen zu sein. Man hatte sie mir als nicht weiblich genug geschildert. Ich finde sie beinah allzu sehr so, allzu concentrirt in dieser Privatwonne. Wohl ihr indeß, daß sie mit dem Herzen voll von Liebe dahin gehen durfte und zugleich mit denen, die sie am höchsten liebte!




Den 12. August.  

Immer lieblich und schön! Das Meer, der Himmel und diese Walhallakampfspiele, die jeden Abend aufgeführt werden, wenn Helden und Amazonen ihre flammenden Spieße werfen, die Umarmung des Meeres am Tage, der Gesang des Meeres in der Nacht, die Freiheit, der Friede in der freien Luft, das Alles schmeckt herrlich! Professor Hart erfreut sich des Bades und des Lebens dahier wie ich, und der kleine Morgan flattert wie eine Fischmöve am Strand und am Wasser umher, blosbeinig und braun und so glücklich, wie nur ein freier Junge am Meeresufer es sein kann. Aber der armen Mrs. Hart bekommt das Bad und die Luft dahier nicht gut, sie wird mit jedem Tag bleicher und kann beinahe nichts mehr essen, als etwas Reis mit Wasser gekocht. Ich glaube, daß sie hauptsächlich von dem Lebensgenuß, den ihr Mann und ihr Sohn hier finden, lebt und sich erhält, und sie will um ihretwillen den Ort noch nicht verlassen.

Ich habe hier das Vergnügen gehabt, die Bekanntschaft einer liebenswürdigen Familie von Philadelphia oder vielmehr zweier Brüderfamilien zu machen, die hier in der Nähe einen Landsitz bewohnen, um das Bad zu gebrauchen. Mr. Furneß der Aeltere ist Prediger einer unitarischen Gemeinde in Philadelphia und eine der edelsten reinsten Menschennaturen, die Gott geschaffen hat, wahr, warm und liebevoll, aber von seinen Antisklavereigefühlen so sehr eingenommen, daß sein Leben und seine Gesundheit darunter leiden, und ich glaube, daß er sich mit dem größten Vergnügen dem Tod unterziehen würde, um die Sklaverei aufzuheben. Und mit ihm würde mit Freuden seine schöne Tochter gehen, eine Walkyre an Seele und Haltung, ein herrliches Mädchen, die Wonne des Vaters, wie er die ihrige ist. Der Kummer über die Sklaverei würde dem Leben des edlen Geistlichen ein Ziel machen, wenn nicht die Tochter ihn täglich mit neuer Freude und neuem Entzücken belebte. Das Mädchen ist blond und blauäugig wie eine nordische Jungfrau und sie sieht einer Schwedin nicht ungleich. Die Frau des andern Bruders ist eine feine schöne Brunette, geistreich und anmuthsvoll wie eine Französin, ein starker Contrast gegen die blonde Amazone, aber einer der allerliebsten Contraste. Sie ist die glückliche Mutter von drei tüchtigen Jungen. Die Walkyre hat drei Brüder. Beide Familien führen ein schönes Familienleben mit einander. Das Schönste und Beste, was ich in der neuen Welt gesehen habe und noch sehe, ist das Familienleben und die Natur, nebst den bürgerlichen Einrichtungen, welche das Werk der christlichen Liebe sind.

Zu den Merkwürdigkeiten dahier gehören einige Indianer, die ihre Zelte in der Nähe des Hotels am Strand aufgeschlagen haben und allda Körbe, Fächer in indianischem Geschmack nebst andern kleinen Dingen verfertigen, die sie an den Liebhaber verkaufen. Die Männer sind Halbblut-Indianer, aber die Weiber sind ächte Skwaws (so nennt man die Indianerinnen, mit schwarzem, struppigem, wild herabhängendem Haar und starken Gesichtszügen. Sie sind garstig, aber die Kinder sind schön, haben prächtige Augen und sind wild wie kleine wilde Thiere.

Jede Woche hat man in den Hotels ein Hüpfen, d. h. eine Art Ball, der sich, wie ich vermuthe, von andern Bällen blos dadurch unterscheidet, daß man ungenirter herumhüpft. Ich habe es nicht übers Herz bringen können, die Gesellschaft des Meers und des Mondscheins zu verlassen, um in den Ballsaal hineinzugehen und die Leute hüpfen zu sehen. Auch an Scenen von weniger heiterer Art hat es nicht gefehlt. In unserem Hotel gab es gestern eine große Schlägerei zwischen den schwarzen Bedienten und den weißen Herrn, wobei es blutige Köpfe absetzte. Die größte Schuld fiel dabei auf einen Sklavenbesitzer. Er mußte abreisen. In einem andern Hotel wurden zwei Mordbrennereiversuche gemacht, aber noch rechtzeitig entdeckt. Man schiebt die Schuld auf einen Neger, zumeist aber auf die Art, wie die Wirthin dieses Hotels ihre Leute behandelt. NB. Alle Bediente hier sind Neger oder Mulatten.

Dieser Tage lud ein angenehmer junger Mann Mr. Barlow mich und einige Andere von der Badgesellschaft zu einer Spazierfahrt auf einer ihm angehörigen Lustjacht ein, und da bekam ich die größte Lust, mit einem Segelschiff über den Ocean nach Hause zu fahren, wenn ich nur Zeit dazu finden würde. Das Segelschiff ist unendlich schöner und poetischer als das Dampfschiff. Auf dem letzteren hört man den Gesang der Winde und Wellen nicht vor dem Getöse der Dampfmaschinen, und man bekommt kaum einige Seeluft, die nicht mit dem Dunst des Schornsteins oder der Küche vermengt wäre. Das Dampfschiff ist gut auf den Flüssen, aber auf dem Meer da lebe das Segel!

Neulich hatte ich Besuch von einigen allerliebsten jungen Quäckerinnen. Man kann sich nichts Anmuthigeres[WS 2] denken, als diese jungen Mädchen in ihrer hellen feinen, sittsamen Tracht.

Ein Gegenstück zu ihnen muß ich Dir jetzt vorstellen. Eines Morgens saß ich unter der Laube am Meeresstrand, mit einem Buch in der Hand, aber die Augen auf das Meer und die Meerschweine gerichtet, als eine dicke Frau mit einem Gesicht, das der fettesten Trödlerin von Stockholm Ehre gemacht hätte, herkam und sich auf meine Bank setzte. Ich ahnte Unrath und heftete meine Augen stark auf Wordsworths „Excursion“. Meine Nachbarin schielte mich an und endlich sagte sie: „Wissen Sie, wo Miß Bremer zu finden ist?“ — „Ich glaube, sie wohnt im Columbiahaus,“ antwortete ich — „Hum! … ich würde mich freuen, sie zu sehen.“ Pause. Ich schwieg und sah in mein Buch. Meine Nachbarin begann von Neuem: „Ich schickte ihr dieser Tage ein Paket — es waren Verse und ein Buch darin — und ich habe seitdem gar nichts von ihr gehört.“ — „Ach,“ sagte ich, da ich jetzt auf so üble Weise gezwungen wurde, „Sie sind vielleicht die amerikanische Harfe, und ich habe die Sendung Ihnen zu verdanken?“ Ich hätte nämlich am liebsten die Verfasserin des Buchs, das in demselben Styl geschrieben ist, wie die „trügerische Unzweifelhaftigkeit“ nicht getroffen, denn die Verfasserin sagte in ihrer Epistel, es sei in den Zeitungen von Cap May sehr gelobt worden, und ich konnte es nicht anders als gänzlich verrückt nennen. Aber die gute Meinung in den Versen verdiente eine Danksagung, und ich dankte jetzt ganz ordentlich. „Nun,“ sagte die Harfe, „haben Sie das Buch gelesen?“ — „Nein, noch nicht, „ich habe blos ein wenig hineingeschaut.“ — „Ei, so lesen Sie es doch, lesen Sie es ganz durch, denn das ist ein Buch, das immer besser gefällt, je mehr man darin liest. Und ich habe das alles geschrieben, sowohl Prosa als Verse. Alles das ist mein Eigenthum. Ich habe eine Menge Verse geschrieben und gedenke bald eine Sammlung meiner poetischen Arbeiten im Druck herauszugeben. Aber es ist gar zu theuer, solche Sachen herauszugeben.“ Ich sagte, nach meiner Vermuthung müsse es so sein. „Ja,“ versetzte sie, „aber ich schreibe so leicht Verse, besonders da, wo es Wasser gibt, und ich schreibe so gern vom Wasser. Ich liebe das Wasser so sehr. Gibt es viel Wasser in Schweden?“ — „Ja, viel Wasser, Meer, Flüsse und Binnenseen.“ — „Ich möchte gerne dort schreiben, es würde mir viel Freude machen, in Schweden zu schreiben.“ — Ich bemerkte ihr, die Ueberfahrt sei schrecklich mühselig und lang; beinahe unausführbar. — „Ach das würde mich nicht viel bekümmern; ich liebe das Wasser so sehr. Ich würde in Schweden viel schreiben können … Sieh da, jetzt ist mein Sonnenschirmchen hinabgefallen! … Und der Knopf ist abgebrochen. Ja, ich habe es mir wohl gedacht. Gestern zerbrach ich meine Brille mit goldenem Gestell und muß jetzt mit dieser silbernen herumgehen. Ich zerbreche immer etwas, doch habe ich den Hals noch nicht gebrochen.“

„Dann ist noch nicht alles verloren,“ sagte ich lachend, und da ich jetzt Professor Hart die Treppe zu unserem luftigen Salon heraufkommen sah, eilte ich ihn mit der amerikanischen Harfe bekannt zu machen, überließ sie ihm und räumte das Feld.

Solche Harfen finden sich in allen Ländern vor, aber selten erklingen sie so naiv wie hier.

Ein junger Dichter aus der Stadt der Freunde mit einem schönen dramatischen Talent und einem Byronskopf, sowie eine feingebildete und in jeder Beziehung liebenswürdige Familie gehören zu meinen angenehmen Bekannten hier, die ich gerne mehr sehen möchte, die aber vor mich kommen und wieder gehen wie die Meereswellen.




Den 16. August.  

Jetzt ist es aus mit dieser guten Zeit, heute werde ich nach New-York reisen. Am Morgen reisten meine Freunde Harts nach Philadelphia. Mein Begleiter nach New-York ist ein Jurist, ein älterer Gentleman, sehr ehrenwerth und gutmüthig, wie ich glaube. Nur hat er den Fehler ein allzu gutes Gedächtniß für Verse zu besitzen, sowie die Manie, lange oft ganz prosaische Fantasien auf Deutsch, Französisch und Englisch herzusagen, was für prosaische Zuhörer nicht sehr erbaulich ist. An der Mittagstafel habe ich meinen Platz verändert, und die Haifische, die jetzt vor dem leeren Platz saßen, sahen sich, däuchte michs, mit hungrigen Mienen um, als bedauerten sie, keinen Vordergrund von lebendigen Wesen bei ihrem Gastmahl zu haben.

Mit Bedauern scheide ich von diesem Ort, der mir so viel Ruhe und Gesundheit spendete. Aber ich darf nicht länger verweilen. Ich habe hier zu Lande noch so viel zu sehen und zu lernen. Jetzt will ich hingehen und mein letztes Bad nehmen, und daran denken, daß auch Du in den stärkenden Wogen des Meeres badest. Die Wellen des atlantischen Meeres und der Nordsee gehen doch in dieselbe große Badwanne, und in dieser badest Du mit mir und ich mit Dir. „Miß ***, kann ich das Vergnügen haben, ein Bad mit Ihnen zu nehmen?“ … Und so umarme ich Dich herzlich übers Meer hinüber.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. schwedisch „Tre“; Vorlage: Zwei
  2. Vorlage: Aumuthigeres
Neunzehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Einundzwanzigster Brief
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