Die Jagd auf den Hochalpen

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Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Die Jagd auf den Hochalpen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4 und 5, S. 48–51 und 59–62
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Im Karwendel
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 7
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Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 7. Die Jagd auf den Hochalpen.

Nachdem ich in den bisherigen „Wild-, Wald- und Waidmanns-Bildern“ meist Schilderungen aus meiner Heimath und Beobachtungen, die ich in derselben in reichem Maße anzustellen Gelegenheit gehabt, zu geben versucht, möge mir der Leser diesmal hinausfolgen in die Berge des bairischen Hochlandes und Tyrols.

Mit jubelndem Gefühle verließ ich den Dampfwagen, dessen dämonisch beflügeltes Vorspann mich bald in die Nähe meines Zieles, des Hochgebirges, wohin mich unwiderstehliche Sehnsucht getrieben, gebracht hatte, und fuhr mit dem Postomnibus, hoch oben auf dem Verdeck des Wagens sitzend, durch die malerischen Gegenden nach Tölz und von da ab nach Langriß, wo ich übernachtete.

Am andern Morgen wurde mir endlich das Vergnügen, mich mit gutem Gewissen meinen eigenen Füßen anvertrauen zu können. Meine ziemlich schwere Reisetasche wandelte ich dadurch in einen Gebirgssack um, daß ich mir mittelst eines Strickes ein paar Tragbänder daran herstellte und so die Last wohlgemuth auf den Rücken nahm. Fort gings nun, immer im Thale hin, wo die smaragdgrünwellige, milde Isar am hellleuchtenden kalkigen Ufer vorüberrauschte, auf so wundervoll schönem Wege, daß ich mich im Vollgenuß solcher Umgebung überglücklich fühlte.

Erst durchwanderte ich noch bewohntere Gegenden; dann wurde es wilder und wilder. Doch hat man, im Thale weiter ziehend, stets einen gut gehaltenen Fahrweg, da alljährlich nicht allein der König von Baiern mit bedeutendem Gefolge und vielen Pferden nach der Vorderriß zum Jagen kommt, sondern auch der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, welcher sein ausgedehntes, wildreiches Jagdgebiet in der Hinterriß und weiteren Umgebung besitzt, diesen Weg benutzt. Der Wald, theils Laub-, theils Nadelholz, das sich vom Thale aus in die höheren Regionen erstreckt, prangt in kräftigster Entwickelung. Von ungemeinem Reiz ist übrigens der sich hier geltend machende Ahorn, welcher in den phantastischsten Formen, während Stamm und Aeste mit saftig grünen, auf der Rückseite silberweißen Flechten oder sammetgrünem Moos in üppigster Fülle überwuchert sind, seine Kronen auf mächtigem Gezweig emporträgt.

In einem nur aus einigen Häusern, unter denen ein Forsthaus zugleich Wirthhaus war, bestehenden Orte im Thale mache ich Halt. Hier traf ich mit einem höheren österreichischen Grenzbeamten von der Station Achenthal, Namens Köckert, zusammen, der, als er mich als Sachse erkannte, mit großem Enthusiasmus von der cameradschaftlichen Aufnahme sprach, die er im Jahre 1851 als Oberlieutenant der Jäger auf dem Durchmarsche von Schleswig-Holstein in Leipzig und Dresden gefunden hatte. Mit besonderer Achtung und Liebe gedachte er der sächsischen Jägerofficire Keller, Lehmann, Dietrich und Nallein, die er mich von ihm zu grüßen bat, wenn ich etwa den einen oder anderen der Herren kennen lernen sollte. Vielleicht bestellt dieses Blatt die Grüße. Wir schieden herzlich von einander, jeder seinen Weg verfolgend, und gegen Abend kam ich in der Vorderriß an, wo ich beim dortigen Revierförster eine gastliche Aufnahme fand.

Nachdem ich einige genußreiche Stunden in der liebenswürdigen Försterfamilie verlebt und, ehe ich zu Bett ging, am offenen Fenster bei sternenhellem Himmel dem fernen Ruf der Hirsche, die sich dann und wann vernehmen ließen, gelauscht hatte, warf ich mich dem Schlafe in die Arme, um am andern Morgen früh weiter zu wandern.

Von der Hinterriß, wohin ich nun steuerte, hatte ich bereits so viel Rühmliches gehört, daß meine Erwartungen nicht wenig gespannt waren. Dennoch wurden alle meine auch noch so anspruchsvollen Einbildungen von der Wirklichkeit übertroffen. Diese stumme und doch so beredte, heilige, mächtige Bergesnatur mit ihren wilden

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Jagd im Hinterriß: Der Sturz des Alpenhirsches.

Wäldern und rauschenden Wässern machte den tiefsten, ernstesten Eindruck auf mich.

In einem Punkte aber, hinsichtlich dessen ich gerade stets die bescheidensten Ansprüche, namentlich im Walde, zu machen gewöhnt bin, sah ich mich demungeachtet getäuscht, woran freilich die Natur unschuldig war. Ich hatte nämlich in dem Glauben, in der Hinterriß [50] einen, wenn auch kleinen, doch mit irgend welchem Verkehr, insbesondere mit einem Schuhmacher gesegneten Ort zu finden, mich nicht einmal mit Bergschuhen versehen, geschweige denn an einem Unterkommen gezweifelt. Allein in dieser Beziehung hatte ich mich zu harmlosen Vorstellungen überlassen. Glücklicher Weise ließ mich wenigstens der noch immer gut gebahnte Weg, den ausschließlich Se. Hoheit der Herzog von Coburg erhält, nicht im Stich, und ich wanderte daher in meinen kalbledernen Stadtstiefelchen, die mir, nebenbei gesagt, auf halbwege gutem Pfade lieber sind, als solche, mit wahren Radnägeln beschlagene, rindslederne, harte Gebirgschuhe, fröhlich weiter. Nahm mich doch auch die imposanteste Natur zu sehr in Anspruch, als daß sie mich hätte Fragen der Fußbekleidung erwägen lassen.

Je weiter ich kam, desto enger wurde das Thal, so daß zuletzt nur auf der einen Seite der wildströmenden Riß noch Raum für den Weg im Thale war. Das Laatschengebüsch (Knieholz) trat sonderbarer Weise schon hier häufig auf mit schlangengleichem, zähem Gezweig und dunkelm, saftiggrünem, üppigem Nadelwuchse den Boden bedeckend oder hier unten im Thale sich ausnahmsweise bisweilen zu einem dürftigen Baume, ähnlich einer verkrüppelten Kiefer, gestaltend. Da, wo die mit Laub- und Nadelwald bekleideten Bergesmassen Schluchten bildeten, klimmte das Knieholz in diesen hinan, bis es über dem eigentlichen Walde die Herrschaft gewann und das Auge nur noch diese Vegetation und grüne Matten durchstreifte. Zuletzt thronte das todte, zerklüftete Gestein wie eine Mauerkrone über Allem. Im Thale rauschte, wie schon erwähnt, die wilde Riß dahin, grünwellig und weißschäumig, der Isar ähnlich, in die sie sich ergießt. An gewissen Stellen, wo sich der Weg hoch über dem Ufer des sich überstürzenden Wassers hinzieht, verengt sich das Flußbett, man möchte sagen, zur bloßen Spalte. Hier ist der Anblick großartig, wenn man mit Hülfe sich über den Abgrund neigender Bäume an die in die Tiefe abschießende Felswand vortritt und unter sich das wie im Zorn brausende, seine engen Felsufer unterhöhlende Gewässer tobend dahinstürmen sieht, als wolle es so schnell als möglich seinen Zwangspaß zurücklegen, um Freiheit zur Ausbreitung zu gewinnen.

Von eingetretenem Regen getrieben, beschleunigte ich meine Schritte, so daß ich in Kurzem in der Hinterriß anlangte. Es steht hier ein reizendes, vom Fürsten von Leiningen im Burg-Styl erbautes Jagdschloß, welches jetzt Besitzthum des Herzogs von Coburg ist. Nicht weit davon befindet sich ein malerisches, geräumiges Jagdhaus, in dem der Herzog zur Jagdzeit ausschließlich wohnt. Außerdem begegnet der Blick da, wo sich das Thal erweitert, einem Kirchlein, dem sich ein von vier Mönchen und einem Pater bewohntes Gebäude anschließt, dem sich wieder ein Wirthschaftsgebäude zugesellt, worin das sogenannte Gasthaus nebst Ställen für das Vieh des Wirthes befindlich ist. Diese Herberge nun, welche als Schild ein Cigarrenkastenbretchen, auf dem mit Tinte „Gasthaus“ geschrieben stand, führte, wurde mein Absteigequartier, an das ich noch jetzt nicht ohne Schauder zurückdenken kann. Die Wirthin, eine Frau von etwas düsterer, schmutziggrauer Färbung, hatte nämlich die Ueberzeugung, daß alles für die Leibesnahrung Nothwendige in unmittelbare Berührung mit ihren Fingern gekommen sein müsse, ehe es genossen werden könne. Hieraus machte sie auch durchaus kein Hehl, wie ich gleich am ersten Abend erfahren sollte.

Ich hatte mir einen „Schmarren“ bestellt, und da die Küche in diesem Gasthof der einzige erträgliche Aufenthalt war, so bekam ich Gelegenheit, die Art und Weise, wie mir „mein Brod gebacken wurde“, mit anzusehen. Zuerst wurde Milch an’s Feuer gesetzt und durch Eintauchen des Fingers, der übrigens – die Gerechtigkeit erfordert die Anerkennung – jedesmal sauber abgeleckt wurde, so oft gekostet, bis der gehörige Wärmegrad erprobt war; dann kam sie in einen Tiegel mit Mehl, um mit diesem zu einem Brei vermischt zu werden, dem ein paar Eier zugesetzt wurden, wobei die treffliche Köchin nicht verfehlte, deren zarte Schalen mit dem Finger rein auszuwischen und das an ihm Haftende in die allgemeine Masse, die mir zugedacht war, geschickt hineinzuschlenkern. Endlich pflückten ihre gewandten Hände noch die leckere Butterzuthat in das Gericht, und in fünf Minuten durfte ich mir Appetit wünschen.

Nach solcher Erfahrung zog ich es am andern Tage vor, mir Eier, Butter und einen Tiegel geben zu lassen, um mir selbst ein frugales Mahl zu bereiten; doch auch da entging ich meinem Schicksale nicht, denn als ich fertig war und die gelungenen „Eier auf Butter“ auf den Teller geschüttet hatte, siehe, da that meine gute Frau Wirthin wieder, was sie nicht lassen konnte, tunkte die fürchterliche Fingerspitze in jedes der zitternden Eidotter, natürlich nicht, ohne sie jedesmal gewissenhaft abzulecken, und belobte mich, wie vortrefflich ich es mit dem Grade der Weichheit getroffen hätte. Resignirt ließ ich später Alles über mich ergehen, da es nicht zu ändern war. Um mich übrigens nicht dem Verdacht der Uebertreibung auszusetzen, darf ich bemerken, daß das Haus von den wenigen Bewohnern der Hinterriß mit volksthümlichster Aufrichtigkeit der „Gasthof zum dreckigen Löffel“ benamst wurde. Glücklicher Weise spreche ich von vergangenen Zeiten. Die Wirthschaft ist jetzt in ganz andern, nämlich reinlichen Händen. die sich von unberufenen Einmischungen frei halten. Die Wirthsleute von damals sind, wenn ich nicht irre, nach Innsbruck gezogen, und jetzt waltet an ihrer Statt ein Förster mit seiner Familie.

Obgleich ich im strömenden Regen angekommen war, ließ ich mich, da es noch früh am Tage war, nicht abhalten, sobald ich meine Reisetasche abgelegt hatte, in die Berge zu steigen. War ich nun doch einmal so naß, daß es mir auf etwas mehr nicht ankam, und wahrlich, ich hatte nicht Ursache, mein Unternehmen zu bereuen. Allerdings erschien die Natur wie grau in grau gemalt, und nur das herbstlich bunte Buchenlaub war die einzige wirkliche Farbe, welche die Einförmigkeit unterbrach; desto gewaltiger aber wirkten die Formen. Massenhaft stieg der Wald empor, massenhaft überragten ihn die kahlen Wände, und massenhaft thürmten und ballten sich die Wolken um die tief grau-violett gefärbten Häupter des Gebirges, sie hier und da verhüllend und an ihnen sich niedersenkend in den Wald, um schwer darüber hinzuziehen, bis sie entweder in Regen zerflossen oder wieder emporzogen und an den steilen Wänden gleichsam hinankletterten, um sich mit dem Wolkenmeere über den Bergen wieder zu vereinigen und das alte Spiel auf’s Neue zu beginnen. Bald befand ich mich selbst in den Wolken; hier den einen Weg verfolgend, kam ich auf eine verlassene Alm. Hier bot sich eine wundervolle, wenn auch durch den Regen beschränkte Aussicht meinen Blicken dar. Zackig stiegen aus einem unter mir liegenden Thale die Wände empor, näher erscheinend, als sie es in Wirklichkeit waren – ein Phänomen, das, so das entgegengesetzte, im Gebirge sehr häufig vorkommt, weshalb sich der Schütze sehr daran zu gewöhnen hat, um nicht zu weit oder zu nah zuzuschießen. Da, wo Wald die Berge deckte, sah man an manchen Stellen, wie ihn die Lawinen in ihrem rasenden Fall streifenweise vernichtet hatten. Solch ein mit den verwetterten, grauen Baumleichen übersäeter Wahlplatz schaute gar düster darein, wozu die umherschwärmenden, goldgelb geschnäbelten, rothfüßigen, sonst rabenschwarzen Alpendohlen mit ihrem pfeifenden und, wenn auch angenehmen, doch ungemein melancholischen Ton eine höchst charakteristische Staffage bildeten. Höher schlug mir das Herz, als trotz so schlechtem Wetter an der gegenüberliegenden Gebirgslehne aus dem düster gefärbten Walde der mächtige Schrei eines Hirsches erschallte, der wie fern rollendes Gewitter sich dröhnend als Echo fortsetzte und in der Ferne von einem Nebenbuhler beantwortet wurde. Wer niemals einen Hirsch schreien hörte, namentlich nicht im Gebirge, hat keine Ahnung davon, wie großartig das klingt! Gewaltig, löwenhaft, ist diese Stimme der ausgesprochenste herausforderndste Ausdruck mannhaften Zornes und brennender Kampfbegier; Aufruf zum Wettstreit und Warnung, ihn anzunehmen, zugleich!

In längerem Pausen wiederholte sich des Liebebrünstigen Geschrei, bis er, vielleicht in einer Suhle liegend, das Zornesfeuer gedämpft hatte und still wurde. Das war mir wahrhaft lieb, denn ich hätte mich sonst kaum schon entschließen können, in’s Thal hinabzusteigen, und doch war es die höchste Zeit, wenn ich nicht der einbrechenden Dunkelheit überrascht werden wollte. Ich trat deshalb schleunigst den Rückweg an, und kam dennoch bereits im Finstern in meinem classischen Gasthof an. Der Hunger, der nach dem Sprüchwort der beste Koch ist, würzte den naiv bereiteten Schmarren, und der Wirthssohn, ein herzensguter Mensch, erfreute mich den Abend über beim Feuerschein des Heerdes mit reizend hübschem Citherspiel. Nachdem ich meine Sachen zum Trocken am Heerd aufgehängt hatte, beschloß ich, mich schlafen zu legen, und bald umfing mich das Bett freilich nur halb, wenigstens das Oberbett, das jedenfalls nur für einen halbwüchsigen Menschen bestimmt war. Wollte man sich ganz darunter bergen, blieb einem nichts übrig, als sich wie ein Taschenmesser zusammenzuknicken; denn [51] sonst müßten die Beine mit der Brust abwechseln, unbedeckt zu frieren. Außerdem hatte man die gebräuchliche Decke nur annähernd durch ein noch beigegebenes Linnentuch zu ersetzen gesucht. Ich kam mir in dieser Hülle wie ein eingewickelter Leichnam vor, dem man ein großes Kopfkissen auf den Bauch gelegt hat.

Dem düstern Regenwetter folgte ein schöner, sonniger Tag, und so ging ich denn bei Zeiten mit einem Stück Brod in der Tasche fort, um neue Ausflüge zu machen. Wieder schlug ich mich auf dem ersten besten Pfad in den Wald und durch diesen in die Höhe. Hatte der graue Tag großartige, erste Totaleindrücke gegeben, so brachte der heitere Sonnenschein bezaubernde, freudig erregende und doch nicht minder großartige Wirkungen auf diesem herrlichen Stück Erde hervor. Im feinsten duftigen Ton lagen die gegipfelten Bergeshäupter über dem nicht minder duftigen Walde, der nach dem Thale zu, wo das Laubholz mehr vorwiegend war, in herbstlich goldenem Schmucke dalag. Weiße Nebelstreifen zogen hier und da aus den Thälern empor, um als leichte Wölkchen die in rosigem Lichte strahlenden Höhenzüge zu umschweben, wo sie oft lange, wie gefesselt vom spielenden Sonnenglanz, der auch sie purpurn überhauchte, hafteten, bis sie, wie im Lichte zerfließend, dem Auge entschwanden, oder am blauen Aether dahin eilten und sich nach und nach den Blicken entzogen. Und wie durchschoß und durchwob die Sonne den stillen Wald! Hier streifte das Licht anmuthig schimmernd über die Wände eines der haushohen Felsblöcke, wie sie in Menge, größer oder kleiner, stellenweise den Wald bedecken, Zeugen von mächtigen Ereignissen, welche sie hinabschleuderten in die Tiefe, wo sie seitdem, überwuchert von Moos, zum Theil mächtige, sie mit den Wurzeln umklammernde Bäume auf sich tragend, einer neuen Umwälzung entgegen zu harren scheinen. Dort schlüpfte und drängte sich gleichsam das allbelebende leuchtende Element zwischen Stämmen und Felsblöcken durch, jetzt an einem mächtigen Ahornstamm emporklimmend, jetzt über die am Boden liegenden, modernden Baumriesen dahin gleitend; oder es sprang blinkend über den Gießbach weg, bis es sich an einer Matte ausbreitete und Alles mit goldigem Schein umschloß. Welcher Reiz liegt aber in einer solchen Matte oder Voralm, wie man sie heißt! Einzelne große Ahornbäume oder Buchen bilden hier wohl Gruppen, an denen gewöhnlich ein Muttergottesbild den andächtigen Jäger oder Senner fesselt. Und kommt man nun vollends in die Höhe, so daß man meistens noch unter sich zu blicken hat, dann fühlt man erst, was es bedeutet, in freier Bergluft zu stehen – es weht Dir die kleinlichen Sorgen und Erinnerungen aus der Brust. Ja, kleinlich erscheint Dir so Vieles, was Dich im schweren Odem der Städte bedrückte! Wild starren hier oben die letzten mächtigen Tannen empor oder liegen, vom Sturme gewaltsam gebrochen oder in sich selbst sterbend zusammengesunken, unter ihren theils noch trotzenden, grünenden, theils bereits ebenfalls schon abgestorbenen, aber noch stehenden, mit wallendem Baumbart geschmückten Brüdern. Noch weiter hinan streift das Auge über dunkelsaftiggrünes Laatschengebüsch, bis über diesem die hellen, leuchtenden Zacken des Gebirges sich emporrecken. Mit feierlich erhobenem Gefühl stand ich an solchen Orten und schaute zu den hellglänzenden, silbernen Wolken hinauf, wie sie emportauchten über jene Felsengipfel, oder sah in die blaue duftige Tiefe unter mir, wo der Blick von Wipfel zu Wipfel der ehrwürdigen Tannen hernieder stieg, bis er endlich auf dem in Massen zusammengehenden Walde Ruhe fand und dem Ohr das Anrecht überließ, weiter vorzudringen und dem tobenden Gießbach, den das Auge nicht mehr erreichte, zu lauschen. Was aber die Sinne nicht mehr erfassen könnten, das zaubert die Phantasie herbei. Sie folgt den unsichtbaren Wellen, um sich mit ihnen in die Gebirgsseeen zu verlieren und all die bedrängenden Erscheinungen in harmonischer Ruhe zu lösen und auszugleichen.

Noch erinnere ich mich lebhaft des unvergleichlich schönen Morgens, als ich in solchen Empfindungen schwelgte, – und als der Schrei eines Hirsches, scheinbar ganz nah, mich freudig aufschreckte. Sofort beschloß ich, mich an diesen Hirsch heranzupirschen. Als er wieder schrie, folgte ich, nachdem ich den Wind wohl beobachtet hatte, der Richtung, wo ich ihn vermuthete. Freilich war das nicht so leicht, als ich im ersten Augenblicke geglaubt hatte, da ich mich bei völliger Unkenntniß des Terrains auf Umgehung mächtiger, mir im Wege liegender Gebirgseinschnitte nicht einlassen konnte, sondern möglichst gerade auf das Ziel lossteuerte. Der öfter wiederkehrende Schrei des Brünstigen ließ mich nicht leicht irre werden und leidenschaftlich stieg, kletterte und rutschte ich immer weiter. Bald mußte ich wild durcheinander geworfene Stämme überklettern, die, zum Theil morsch oder schon verfault, das Darüberhinschreiten unsicher machten; bald ging es an Hängen hinauf und hinab, über mächtige Blöcke oder Geröll weg. Lauschend stand ich dann oft still, wenn ich einen Stein losgetreten hatte, der vollends hinabsprang in die Tiefe. Doch wieder schrie der Hirsch, da hier im Gebirge ein solches Geräusch aus verschiedenen Ursachen häufig vorkommt und das Wild nicht stört. Endlich, als ich einen tiefen Einschnitt mühsam überklettert und den Hirsch noch einmal gehört hatte, kam ich auf ein etwas tiefer liegendes, von alten Tannen umsäumtes Wiesenplätzchen. Es war ein Brunftplatz, was mir mehrere Suhlen und vom Schlagen des Hirsches weißgeschälte Baumstämmchen, so wie der durch zahlreiche Fährten zertretene Boden und endlich der Brunftgeruch des Hirsches bewiesen. Nicht lange vorher mußte der Hirsch noch hier gestanden haben, das sah man an dem aus der Suhle umhergespritzten Schlamme, der an den in der Nähe stehenden Gegenständen haftete und noch ganz frisch war. Lange Zeit stand ich hier lauschend, bis an die Knöchel im Koth und Wasser, und zwar in meinen kalbledernen Stiefeln, deren Sohlen ohnehin in ein höchst widerspenstiges Verhältniß zum Oberleder gerathen waren, während dieses in schmerzlicher Zerrissenheit über solche abnorme Zustände und Zumuthungen sich selbst aufzugeben schien. Glücklicher Weise besaß ich in meiner Reisetasche noch ein Brüderpaar, welches ich bisher von dergleichen ungewohnten Strapatzen fern gehalten hatte.

Der Hirsch hatte inzwischen aufgehört zu schreien, und schon glaubte ich, ein Stück Wild vom Trupp, den er jedenfalls bei sich hatte, hätte mich wahrgenommen, als ich, nicht weit über mir, den machtvollen Ruf wieder vernahm. Ich hörte mein Herz schlagen und rang buchstäblich nach Athem, so regte es mich auf, daß ich bald den ersten Alpenhirsch sehen sollte. Vorsichtig kletterte ich empor, was anfangs ziemlich leicht und gut von Statten ging. Aber bald erfuhr ich, daß ich mich abermals in der Entfernung getäuscht; ich mußte immer höher und höher und fand nur hier und da, wo der Boden eine weiche Stelle hatte, die Fährte, aus der ich, wie aus dem Schrei, auf den Hirsch als einen starken schließen konnte. Wieder hörte ich ihn, und nun kam es darauf an, mich auf eine teufelsmäßig steile Höhe hinanzubringen, wenn ich mit Erfolg, das heißt, unbemerkt an mein Ziel gelangen wollte. Innerhalb meines Gesichtskreises stand wenigstens kein Wild, und ich mußte daher aller Wahrscheinlichkeit nach unbemerkt bleiben, so lange ich mich von der Höhe hielt. Gelang mir’s aber, diese zu ersteigen, dann durfte ich fast mit Bestimmtheit darauf rechnen, über die andere Seite hinab den Burschen stehen zu sehen. Wohlan denn, hinauf – ich hatte keine andere Wahl! Laatschengebüsche, die hier schon vorherrschend waren, benutzte ich als natürliche Strickleitern, mit deren Hülfe ich von Plateau zu Plateau emporstieg. Oben standen ein paar verknorrte Fichten, deren struppige Zweige bis auf die Wurzeln herunterreichten. Nicht ohne Anstrengung näherte ich mich den Schutz versprechenden Wächtern dieser Zinne, bis ich die gewaltige Handhabe einer ihrer ausbiegenden Wurzeln erfassen und mich hinaufschwingen konnte. Hier barg ich mich, auf dem Bauche liegend, unter dem Gezweig. Vorsichtig hob ich den Kopf, die mir gegenüberliegende Hänge sorgfältig mit dem Auge absuchend. Da half mir der Hirsch selbst, ihn zu finden, indem er in einer Entfernung von nicht mehr als vierzig Schritten, etwas unter mir, zu schreien anfing. Er stand an einem Laatschengebüsch auf einer kleinen Grasfläche, von der aus mächtiges Geröll sich in die Tiefe erstreckte. Ueber dem Gebüsch trotzten die kahlen schneidigen Rücken einen Gebirgsjoches empor. Ein Trupp, so viel ich bemerken konnte, von zwei alten Thieren mit Kälbchen und einem Schmalthiere war der Serail des Alleinherrschers. Vollkommen außer Wind, lag ich in meinem Versteck so sicher, daß ich mit der wünschenswerthesten Muße das Treiben dieser Thiere beobachten konnte.

[59] Mit trotziger Gebehrde schlug der kampfbegierige Hirsch sein stolzes Geweih – es war ein Zwölfender – an die Stämme einzeln stehender, verkrüppelter Fichten, so daß die Schale in langen Streifen ringsumher abflog und die Wipfel erzitterten. Dann trollte er mit vorgestrecktem, reichgemähntem Halse eine kleine Strecke vor, um das abseits getretene Schmalthier zum Trupp zu treiben, und umkreiste den letzteren. Mit in die Höhe gehaltenem Kopfe und emporgezogener Oberlippe die Atmosphäre seiner Auserwählten wollüstig einschlürfend, ließ er hinterher den Ruf erschallen, der jeden etwaigen Nebenbuhler schrecken sollte. All’ dieses leidenschaftliche [60] Gebahren hob seine Gestalt, wie sie gerade während dieser Zeit beim Hirsche in der That am großartigsten ist. Dazu kam noch die jetzt besonders malerische Färbung des Haares, so daß er mit seinem hellgrauen Kopfe und der dunklen struppigen Mähne am Halse nur noch mächtiger und durch den schwarzen Moorbodenschlamm, in dem er sich kurz vorher gefühlt und der die ganze untere Hälfte seines Leibes, so wie die Läufte schwarz gefärbt hatte, wahrhaft dämonisch erschien. Wohl eine halbe Stunde lang genoß ich so die Lust, den Herrscher des Gebirges zu bewundern, der jeden Schritt seiner gleichgültigen Schönen eifersüchtig bewachte, sie immer und immer trieb, oder seine Wuth, namentlich wenn er einen andern Hirsch, der drüben über dem Thale stand, hörte, durch Schlagen mit seinem Geweih gegen Baum und Strauch kund gab. Man wurde versucht zu glauben, die Stangen müßten vom Kopf herunterbrechen, so weit klirrend schallten die Schläge.

Die Sonne stieg indessen höher und höher und veranlaßte das Wild, sich etwas thalabwärts dem Walde zuzuziehen. Mit tief gehaltenem Kopfe zog der Hirsch hinterher, dann und wann murksende Töne ausstoßend, bis Alle meinen Augen entschwanden. Jedenfalls waren sie zu Holze, vielleicht nach dem Brunftplatz hingezogen und hatten sich niedergethan; denn von nun an war der Hirsch verstummt. Für mich auf meiner einsamen Zinne war’s jetzt Zeit zu anderen Betrachtungen. Vorzüglich beschäftigte mich die Frage, wie ich wieder hinunterkommen würde. Jenseits ging’s zwar weniger tief, aber um so steiler, ja sogar überhängend hinab. Es blieb mir daher nichts Anderes übrig, als da wieder hinunter zu klettern, von wo ich gekommen war. Als ich mich dazu anschickte, beschlich mich ein ähnliches Gefühl, wie es Jeder wohl öfters im Traume gehabt: man ist auf eine schöne Stelle wie durch Zaubergewalt versetzt worden, aber ach, auch abgeschnitten vom gefahrlosen Boden – dazwischen liegen finstere Schrecknisse. Dem Träumenden helfen dann bisweilen Flügel oder im schlimmsten Falle ein jäher Sturz, von dem man mit Herzklopfen erwacht. Doch hier war ich schon wach, und wenn ich auch nicht gerade Herzklopfen hatte, so war mir doch auch nicht eben behaglich zu Muthe. Nachdem ich mich, da ich einmal oben war, noch gehörig umgesehen, denn es war zauberhaft schön, ging ich an’s Werk des Hinabsteigens. So viel war mir klar: auf das Gebüsch konnte ich mich verlassen; denn ich glaube, man kann eher ein Drahtseil zerreißen, als so einen Laatschenast abbrechen. Mein aus den Knabenjahren, in denen ich ein verwegener Kletterer war, angenommenes System – einen Fuß von dem eingenommenen Standpunkte niemals eher wegzusetzen, bis nicht die Hand einen sicheren Halt gefunden, und eben so nicht eher eine Hand freizumachen, bis nicht der Fuß wieder festen Boden gefaßt – ließ mich leichter, als ich geahnt hatte, und ohne Unfall auf ungefährliches Terrain kommen.

Mit wahrem Behagen setzte ich mich nun hin, um das Geschehene in meinem Skizzenbuche als Motiv festzustellen und nach der Natur zu zeichnen. So kam der Nachmittag unter immerwährend wechselnden, herrlichen Eindrücken heran.

Da mir die Wege im Gebirge, wie gesagt, vollkommen unbekannt waren und ich nicht Lust hatte, die Kletterei über Schluchten und Hänge zurück auf dem Wege, wo ich gekommen war, von Neuem zu beginnen, beschloß ich, gerade hinab in das Thal zu steigen, um so wenigstens den Vortheil der Neuheit zu haben. Das Rauschen eines Wassers unten, vermuthlich die Riß, ließ mich keine Verirrung befürchten. Gedacht, gethan. Erst mußte ich noch steinige und grasige Hänge hinabklettern; dann aber schritt ich über eine verlassene Alm dem Walde zu, der mich bald aufnahm. Er war, wie nur ein Urwald gedacht werden kann. Während das moosige Terrain in seinen Linien eine längst untergegangene Baumgeneration ahnen ließ, lagen ihre Nachfolger gebrochen und untereinander gewürfelt, mit Moos und Flechten überzogen, in ihren Formen noch da. Aber wie morsche Mumien beim Berühren zusammenfallen, so auch diese Scheingebilde des Waldes. Stieg man über sie hin, so sank man bis an die Kniee und weiter ein; – es war Humus, – Staub der Verwesung! Ein drittes erstorbenes Geschlecht, das am Boden lag oder wohl noch stand, war zwar Holz, doch morsch und bot den Spechten die willkommensten Speisebehälter. Wie von Kugeln zerschossen, zeigten diese Stämme unzählige cirkelrunde Löcher, die jene Vögel, welche hier ihr Eldorado haben, mit den Schnäbeln gemeißelt hatten, um mit ihren spitzen Zungen die Larven aus dem Holze zu holen. Die lebenden Bäume endlich, und zwar vom Greisen- bis zum Kindesalter herab, beschatteten den ernsten Friedhof, auf dem auch sie ihrer Erfüllung entgegenharrten. Hier war‘s still, so still, daß man sich athmen hören konnte; denn kein Hauch bewegte die Nadeln der alten Tannen und Fichten, so wie die goldigen Blätter des Ahorn und der Buche, die hier schon auftraten. Wie in einem Zauberschlafe standen die ehrwürdigen Häupter mit grünlich-weißen Flechtenbärten, die unbeweglich an ihnen herabhingen. Nur das Rauschen des Wassers in der Tiefe unten unterbrach das heilige Schweigen, denn nicht einmal ein Vogel ließ sich vernehmen. Und doch, – wie beredt sprach diese stille Stunde von der ewigen Liebe und Güte des Schöpfers und von dem Glücke, Mensch zu sein!

Ohne Aufenthalt verfolgte ich über Moos und Stämme, Steine und Bäche meinen beschwerlichen Weg. Wie das Schreien des Hirsches seiner vermeinten Nähe halber mich verlockt hatte, emporzuklimmen, so erging es mir bergab mit dem Rauschen des Wassers, das ich auch viel näher vermuthete, als es in der That war. Wenn ich zuversichtlich glaubte, bald unten zu sein, da kam ich an einen Vorsprung, von dem aus ich noch in die blaue Tiefe sah und ausbiegend wieder die minder steilen Hänge suchen mußte. Bei diesem Niedersteigen hatte ich nochmals die Freude, einen Hirsch mit Wild, und zwar ganz nahe, bei mir vorüberziehen zu sehen. Vorsichtig, um sie nicht zu stören, blieb ich stehen, so daß sie ruhig, ohne mich bemerkt zu haben, weiterzogen. Endlich fand ich, nachdem ich einem ausgetrockneten Gießbachbett gefolgt war, einen Pfad, der freilich nicht breiter als einen Fuß war, mich aber doch, wenn auch nicht immer auf die bequemste Weise, weiter leitete. Manchmal kam ich an ganz verteufelt knapp hinunterschießenden Stellen vorüber, die, waren sie auch vielleicht nicht höher, als ein vierstöckiges Haus, doch vollkommen genügt hätten, dem Hinunterfallenden ein offenes Grab zu sein. Es dauerte indessen nicht lange, so sah ich die Riß, allerdings noch ziemlich tief unten, und mit verdoppelter Eile steuerte ich abwärts. Nach einiger Zeit erreichte ich das Thal, zwar eine hübsche Strecke weiter stromabwärts, als ich beabsichtigt hatte; aber ich befand mich mit heiler Haut unten, und das war mir die Hauptsache. Dennoch merkte ich, fast möchte ich sagen, zum ersten Male in meinem Leben, daß die Fahrt meine Beine angegriffen hatte, denen ich, um gerecht zu sein, nachrühmen kann, sich sonst kein ungebührliches Bemerkbarmachen zu Schulden kommen zu lassen. Bald darauf saß ich in meinem Hotel und ließ mir’s nach den überstandenen Strapatzen und Entbehrungen wohlschmecken, ohne der Art der Bereitung nachzugrübeln.

Am andern Tage, als ich mich abermals zu Excursionen aufmachte, hatte ich durch einen zufälligen Umstand das Glück, die Aufmerksamkeit des Jagdherrn, des Herzogs von Coburg, der bereits anwesend war, auf mich zu ziehen. In einer längeren Unterredung gab sich das lebendigste Interesse für Kunst, Poesie und Natur, wodurch sich der reich begabte und selbstschaffende edle Fürst, wie bekannt, so sehr auszeichnet, kund. Die Gunst dieser Begegnung hatte die Folge, daß ich von dem Herzog mit einer Einladung zum Frühstück auf dem Pürschhause Steileck beehrt wurde und dadurch Gelegenheit erhielt, ein Jagdschauspiel von wahrhaft dramatischer Großartigkeit zu sehen.

Auf halbem Wege nach dem genannten Pürschhause, wohin mich der Kammerdiener des Herzogs, Herr Wenzel, in dem ich einen humoristischen, gebildeten und kunstsinnigen Mann kennen lernte, führte, schloß sich uns ein Jäger des Herzogs an, ein echter Gebirgsjäger, der bereits ein Haselhuhn (diese Thiere kommen hier häufig vor) geschossen hatte. Zwei vortreffliche Schweißhunde folgten ihrem Führer auf dem Fuße und bildeten mit der kräftigen Jägergestalt in ihrem malerischen Costüm eine lebendige Staffage. Einen Hirsch, auf den er durch seinen Schrei aufmerksam gemacht worden, entdeckte Moosrainer, so hieß der Sohn des Gebirges, alsbald mit scharfem Späherauge. Drüben am rasigen Hange, am Rande eines alten Fichtenbestandes, zeigte sich der Hirsch mit mehreren Stücken Wild. Deutlich sah man ihn gegen junge Bäume schlagen, daß die Wipfel sich peitschend hin- und herbewegten. Es war dieser Hang nach der Aussage der beiden mich Begleitenden, denn auch Herr Wenzel besaß eine ganz ungewöhnliche Ortskenntniß hier im Gebirge, nicht weit vom Pürschhause Steileck, und ungefähr auf Schießweite zog sich ein Pürschpfad hin, den man bereits erkennen konnte, und auf dem der Herzog jeden Augenblick erscheinen konnte, da er schon vor uns aufgebrochen war. So lange wir den Hirsch beim Fortschreiten in Sicht behielten, hafteten unsere Augen unverwandt an ihm, so wie das Ohr dem scharfen Knall der Büchse [61] entgegen lauschte. Es erfolgte jedoch nichts, und wir beeilten uns deshalb, so schnell als möglich nach Steileck zu gelangen, von wo aus Alles zu übersehen sein sollte. Bald erreichten wir das wunderbar schön gelegene Pürschhaus, Der Herzog war mit seinem Leibschützen schon oben und beobachtete denselben Hirsch, der uns in so große Aufregung versetzt hatte. Hier wurde ich von dem Herzog auf das Huldvollste empfangen und in das Pürschhaus eingeführt, von wo aus man jedenfalls eine der seltensten Aussichten hat, die wohl überhaupt das Gebirge bieten kann. Ueber das Rißthal hinweg in ein Seitenthal, irre ich nicht, Johannesthal genannt, schweifte das Auge hinüber, um in duftig blauen, edelgeformten Gebirgslinien zu schwelgen. Ein Wasser, das im Thale fließt, schlängelte sich wie ein silbern glänzendes Band dahin. Mit voller frischer Bewunderung machte mich der hohe Jäger auf diese herrliche Natur aufmerksam und auf Augenblicke wurde der Hirsch vergessen. Doch es durfte nicht gezögert werden. Der Herzog beschloß, nach dem Hirsch zu pürschen, und führte dies, nachdem er noch die nöthigen Befehle an die Jäger ertheilt hatte, sofort aus. Ebenso rasch als vorsichtig verschwand er auf kurze Zeit thalabwärts, um bald an der jenseitigen Lehne, jedoch weit ab vom Hirsch wieder zu erscheinen. Mit wunderbarer Behendigkeit und nicht weniger Sicherheit und Behutsamkeit klimmte der ritterliche Waidmann zur Seite des Hirsches empor, um über ihn zu kommen und so von oben mit gutem Winde auf Schußweite sich heranpürschen zu können. Mit Herzklopfen verfolgte ich, das Fernglas vor dem Auge, jede Bewegung des Jagdherrn, um dann schnell wieder nach dem Hirsch zu sehen, ob dieser noch ruhig sei. Der ahnte nicht, daß ihm der Tod so nahe; doch zog er dem Wilde nach in einem Streifen hoher alter Fichten, die von Unterwuchs umgeben waren, so daß man von Steileck nichts mehr vom Wilde sehen konnte. Auch dem Herzog schien es nicht besser zu gehen, und die Instructionen, die der Leibschütz und Moosrainer hatten, nämlich durch Handbewegungen anzudeuten, wo sich der Hirsch befinde, waren nicht mehr ausführbar. Da entschlossen sich die beiden Jäger, auf eigene Verantwortung hin zu manövriren, um so ihrem Gebieter den Hirsch zu Schuß zu bringen. Und es gelang.

Jagdschloß des Herzogs von Gotha im Hinterriß.

Während der Leibschütz mit einem anwesenden Treiber die entgegengesetzte Flanke, an der der Herzog stand, deckte, um den Hirsch am dortigen Herausziehen zu verhindern, pürschte Moosrainer geradezu auf den Hirsch los, um von ihm bemerkt zu werden und ihn zur Flucht zu veranlassen. Das doppelte Interesse, mit dem ich dies Alles beobachtete, sollte sich bald bis zur höchsten Spannung steigern. Das Wild hatte von Moosrainer Wind bekommen und wurde flüchtig. Erst kam ein Stück nebst Kälbchen, dann ebenso noch ein Thier, und ihnen folgte eines ohne Kalb. Sie kletterten über ein ausgetrocknetes Gießbachbette hinweg, um höher hinauf zu steigen. Eine kleine Pause, – und es erschien der Hirsch selbst. Den Kopf gerad aus, nicht hoch über den Körper tragend, eilte er dem Trupp nach. Jetzt mußte er, so viel ich von meinem Standpunkt aus beurtheilen konnte, dem Herzog schußgerecht sein! Mich ergriff dabei förmlich das Hirschfieber, als stände ich selbst mit der Büchse in der Hand bereit, das edle Thier zu erlegen. Unverwandt verfolgte ich den Hirsch mit den Blicken, um den Moment, wenn er die Kugel bekäme, nicht zu versäumen. Plötzlich wich der Hirsch links vom Trupp ab, und schon glaubte ich, da ich keinen Schuß vernahm, er habe den Schützen in Wind bekommen und wolle einen andern Wechsel annehmen, als der Schuß donnernd zu mir herüberhallte. Er hatte bereits vorher getroffen. Nur wegen der Entfernung hatte ich die Wirkung der Kugel so viel früher gesehen, bevor ich den Schuß hörte, und darum das Abgehen vom Trupp – ein, wie ich aus Erfahrung wußte, sicheres Zeichen des Getroffenseins – für etwas Anderes gehalten. Nicht weit mehr ging der Hirsch, so sah man, wie es ihm an’s Leben ging und er nicht mehr zu steigen vermochte. Zwar versuchte er es, aber schon fing er an zu taumeln; dennoch hielt er sich noch, und mühsam wendete er die letzten Kräfte an, seinem Schicksale zu entgehen. Aber es war nicht mehr möglich. Fast nur gleitend, rückwärts weichend, wurde er immer unfähiger, sich zu halten, und indem er den Versuch zum Emporklimmen erneuerte, erfaßte es ihn wie mit unsichtbarer gewaltiger Hand und hob ihn aus, so daß er, sich hoch überstürzend, zusammenbrach und nun in rasendem Fall und mit lawinengleich reißender Schnelle die Gebirgslehne hinabstürzte, An einem dichten Laatschengebüsche gewann der rollende, mächtige Körper Halt, und ich glaubte ihn nun dort zerrissen hängen bleiben zu sehen – da raffte sich, wahrhaft gespenstig, das edle Thier noch einmal halb empor – doch der Tod, mit dem es kämpfte, klammerte sich an das ihm verfallene Opfer und, wieder zusammenbrechend, rollte es mit neuem Schwunge vollends hinab bis ziemlich auf den schon erwähnten Pürschpfad, wo es verendet liegen blieb.

Mit gemsengleicher Geschicklichkeit war der Herzog seiner stürzenden Beute gefolgt, und kam bald nach ihr auf dem Wahlplatze an. Natürlich litt es auch mich nicht an meinem stillen Amphitheater, denn wie von einem solchen aus hatte ich der tragischen Scene zugeschaut, sondern ich lief, was ich konnte, hinzu. Auch die Jäger kamen ihrem kühnen Herrn nach. Leuchtenden Auges, ein Typus ritterlich männlicher Kraft, in seiner ganzen Erscheinung das Urbild eines echten Jägers, stand der fürstliche Waidmann an dem von ihm erlegten Recken, dessen mit mächtigem Geweih gekrönter Kopf noch den vollen Zornesausdruck des kampfbereiten Verfechters seines Harems besaß, während andererseits der Tod einen wehmüthigen schmerzlichen Zug hinzugefügt und das gebrochene Auge mit smaragdenem, mattem Glanze übergossen hatte. Noch vor einer Stunde war der herausfordernde Ruf des nun auf immer Verstummten erklungen – und unwillkürlich empfand ich Trauer, ein so prächtiges Thier gefällt zu sehen. – Doch so fühlt man nur ohne Büchse!

Einen höchst malerischen Anblick gewährte es, wie der Hirsch auf einer rasch hergestellten Trage von den kräftigen Männergestalten der Jäger, so wie des baumlangen und urmarkigen Treibers – er hieß Jackel – auf schmalem, steinigem Pfade nach dem Pürschhaus getragen wurde.

Ein echtes Waidmannsfrühstück, aus Gems- und anderm Wildpret [62] bestehend, bildete einen angenehmen Abschluß zu dem eben Erlebten. Bei dieser Gelegenheit besprach der hohe Jäger manches früher erlebte Ereigniß in seiner ihm eigenthümlichen lebendig frischen Weise. Nachdem ich nach eingenommenem Mahle den Hirsch mehrmals gezeichnet hatte, wobei der Herzog in der Beurtheilung von Auffassung und Stellung mehr den Kenner, als den bloßen Liebhaber bekundete, verabschiedete ich mich von meinem hohen Wirth und wurde mit dem Versprechen, an bevorstehenden Gemsjagden Theil nehmen zu dürfen, huldvoll entlassen.

Der Herzog blieb, während ich in das Thal hinabstieg, auf dem Pürschhause, um am Abend oder am andern Morgen nochmals pürschen zu gehen. Und wirklich schoß der unermüdliche Waidmann an demselben Abend noch einen Hirsch von zwölf und Tags darauf einen von vierzehn Enden. An demselben Morgen, als dies geschah, stieg ich auf Befehl des Herzogs abermals nach Steileck und kam eben noch zur rechten Zeit an, um ihn auf einem Pürschpfad dahin klettern zu sehen, wie er drei Gemsen, die drüben an einem Hange standen, zu beschleichen im Begriff war. Das Resultat war diesmal kein günstiges, da die Gemsen vorzeitig flüchtig wurden. Der Herzog schoß zwar nach, jedoch ohne Wirkung; wenigstens kam Moosrainer, der mit dem Schweißhunde sofort nachspürte, erfolglos zurück. Da der Pürschpfad nach der Riß hinunterführte, die Zeit aber bereits vorgerückt war, und an diesem Tage die Frau Herzogin nebst Gefolge erwartet wurde, so stieg der Herzog vollends hinab. Hiermit waren die Pürschgänge nach dem Hirsch beendigt; der fürstliche Jäger hatte während seiner Anwesenheit sieben jagdbare Hirsche geschossen. Außerdem waren vom Grafen Erbach, einem Gaste, der noch einen andern Theil des weiten Jagdgebietes des Herzogs durchstreift hatte, zwei Hirsche und ein Gemsbock geschossen worden.

Natürlich benutzte ich meine Anwesenheit auf einem an Naturschönheiten so überaus reichen Punkte, mein Skizzenbuch zu füllen, obgleich das Wetter sehr bedenklich wurde. Die Wolken fingen an sich zu ballen und wogten schon um die Felsenkuppen herum, so daß sie selten einmal die dunkelstarrenden Gebirgshäupter sehen ließen. Noch verhielt ich mich oben, endlich aber mußte ich mich doch auf den Weg machen, da sich das Wetter immer drohender gestaltete. Mehr und mehr verdüsterte sich der Himmel. Dazu fing der Sturm an, brausend durch die alten Tannen zu jagen, daß es knarrte und krachte, und die tiefgehenden Wolken vor sich herzutreiben, bis sie sich in heftigem Regen entluden, der peitschend zur Erde niederstürzte. Wald und Gebirge, soweit man letzteres erkennen konnte, lagen im tiefsten, finstersten Tone da – ein Bild der schwersten Melancholie. Während dieses düstergrauen Nachmittags, an dem der Regen in Strömen niederrauschte, donnerten aus dem Thale herauf die Freudenschüsse, welche die Fürstin bei ihrer Ankunft willkommen hießen. Als ich unten ankam, prangten die Spitzen der Fichten am Wege mit Sträußen von „Edelweiß“, die man zu Ehren des hohen Paares dahin gesteckt hatte. Im Schloßhofe lagen vier Hirsche, welche der Herzog geschossen, auf der Strecke und gaben dem festlichen Empfang im Jagdgebiete die sinnbildliche Weihe.

Ich suchte meinen, wenn auch nicht trauten, doch wenigstens warmen Heerd im Hinterrißer Hotel auf, und hing meine triefende Jupe in den Rauchfang, um sie am andern Tage wieder verwenden zu können. Eine etwas verdächtig angealterte Jupe meines Wirthssohnes wurde einstweilen Stellvertreterin der meinen, bis mich mein Bett über die Kürze alles menschlichen Thuns nachzudenken veranlaßte. Noch im Schlafe setzten die geschäftigen Träume meine philosophischen Betrachtungen fort, die sich freilich, nach ihrer Art, so sehr in ein Spiel der Phantasie verwandelten, daß sie mir das Deckbett als einen quer über den Bauch gelegten Fidibus gaukelten.