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Die Kapelle bei Morgarten in der Schweiz

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DCLXXXVIII. Sacramento-City in Kalifornien. (Im Jahr 1850.) Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCLXXXIX. Die Kapelle bei Morgarten in der Schweiz
DCLXXXX. Eine Savannah in Mosquitia
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Die MORGARTEN-CAPELLE
in der Schweiz.

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DCLXXXIX. Die Kapelle bei Morgarten in der Schweiz.




Der Mensch, welcher wie eine vernunftlose Bestie an Andern das Recht des Stärkern übt, der Mensch, welcher ohne Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Rechts nichts achtet, denn seinen Willen allein, ist ein Barbar, und ein Zeitalter, in dem die Willkür der Herrscher sich als höchstes Gesetz verkündet, ist eine Faustrechtszeit, – wäre sie auch mit allem Zinselkram der Civilisation behangen. Wo der Verlaß auf das Gesetz aufgehört hat, da hat der Zustand der Rechtlosigkeit begonnen, und ein Volk, das durch die eiserne Faust der Gewalt in einen solchen Zustand gebracht und in demselben erhalten wird, verwildert. Es sinkt der Barbarei unaufhaltsam in die Arme. Dulden andere Staaten, wo man das Gesetz achtet, Zustände dieser Art, – lassen sie zu, daß Völker rechtlos gemacht werden durch die Gewalt, brandmarken sie nicht eine solche Handlungsweise als an der Menschheit und am Völkerrecht begangene Verbrechen, – zaudern sie, den Schuldigen auszustoßen aus ihrem Kreise und Arm und Schwert zu erheben, um den Gottesfrieden herzustellen, den er gebrochen hat: – dann hat in den Beziehungen von Nation zu Nation das Sittengesetz keine Geltung und keine Stimme mehr; das Recht des Stärkern wird Propaganda machen, und wie sich die Wölfe zusammenrotten, wenn sie auf Raub und auf’s Würgen ausgehen, so werden auch die Mächte der Gewalt und Willkür Bund machen unter sich, gerichtet gegen Alles, was gesittete Menschen heilig achten, – und gerichtet gegen Alle, welche mit ihnen nicht gleiche Wege wandeln. In solchen Zeiten erlauben sich mächtigere Staaten alles Schändliche gegen die schwächern; denn die größere Gewalt und die größere Arglist sind an die [119] Stelle der Moral getreten, und die Ueberlegenheit in der materiellen Stärke und in der Kunst, wort- und treulos Andere zu überlisten, gilt für das einzig achtbare Recht. An Priestern aber, die solches Recht als ein göttliches heilig sprechen, hat es nie gefehlt.

Um desto herrlicher treten aus solchen entarteten Zeiten – wo das Unrecht und die Schwertgewalt zu Throne sitzen, – die Heldengestalten hervor, welche für die Heiligthümer, die man rauben will, ihr Leben einsetzen und nichts darnach fragen, ob das Maß ihrer Stärke dem der Räuber gewachsen sey. Was kleine Völkerschaften, wenn sie der wahre Geist der Selbstaufopferung beseelt, gegen übermächtige Feinde auszurichten vermögen, davon hat uns die Geschichte Beispiele aus allen Zeitaltern aufbewahrt. Von den kleinen Republiken Griechenlands, welche die persischen Heere vernichteten, bis zu dem Häuflein, daß nun seit 20 Jahren seine Freiheit und Unabhängigkeit siegreich gegen die Armeen des Czars vertheidigt, – des Czars, den die großen Völker und Staaten des Westens jetzt wie die Kinder den Popanz fürchten, – erzählt sie eine Reihe Geschichten, die an den Bibelspruch erinnern: „vor dem Thurm des Glaubens sinken Roß und Reisige dahin“. – Es ist der Glaube: „daß Gott die Freien unüberwindlich mache“.

Hellas Ruhm selbst erbleicht vor dem der kleinen Hirtenvölker in der Schweiz, wenn wir die ausdauernden Kämpfe betrachten, durch die sie ihr Recht und ihre anspruchslose Unabhängigkeit gegen die brutale Gewalt der Mächtigen behaupteten. Keine Geschichte ist geeigneter, große, hochherzige Gefühle zu wecken. Darum ergreife ich immer mit neuer Lust die Gelegenheit, Heldenscenen des Schweizer Volkslebens zu schildern. Sie lehren fort und fort: – „der Tod für ewiges Recht ist Welterlösertod“.

Im Jahre 1311 ruhten die Waffen der Eidgenossen, welche ihr Freithum sieghaft vertheidigt hatten. Fröhlich klang flott des Schlachthorns wieder die Schalmei in den Thälern und die Heerden weideten ungestört auf den fetten Alpen. In dieser Friedenszeit geschah es, daß zwei Männer von Schwytz mit ihrem Hause wallfahrten gingen nach Einsiedeln zu der Mutter Gottes. Da sie nach vollendeter Andacht wieder heimkehren wollten, begegnete ihnen der Pfarrer mit vier Konventsherren. Der letztern einer vertrat ihnen den Weg und sagte: „Euch groben Schwytzern wird’s nun auch nicht mehr gelingen; denn der Kaiser hat Herren zu Richtern gesetzt, die unsere Sachen besser wahrnehmen werden“. Den Männern von Schwytz verdroß die Rede und sie antworteten ernst: „wir Schwytzer wollen keine ungerechten Sachen; ein Freiherr ist übrigens um kein Haar besser, als ein freier Mann“. – Darüber wurden die Konventsherren zornig, sie fielen über die Schwytzer her mit loser Rede, und da diese nichts schuldig blieben, so zogen sie ihre Jagdmesser und stießen die Beiden nieder. Es erhob sich darauf ein großer Zulauf des wallfahrtenden Volks; und als die Schwytzer Kunde von der That erhielten, versammelte der Landammann die Gemeinde, und diese ließ durch einen Läufer dem Abt von Einsiedeln sagen: „die Männer von Schwytz hielten [120] das Geschehene für einen Landfriedensbruch und würden sich selbst Recht nehmen“. Das Kloster aber verklagte die Schwytzer bei dem kaiserlichen Voigt wegen solcher Drohung, und dieser legte eine Buße auf von 200 Mark Silbers. Schwytz aber antwortete: Wer sie haben wolle, solle sie selbst holen.

Die Landleute ließen es nicht bei den Worten. Sie hielten mit Recht dafür, daß Frieden durch Schrecken erworben werden müßte, weil, wer sich fürchte, im Unterhandeln nachgiebig sey. Also zogen sie zu Hauf gen Einsiedeln schon in der nächsten Nacht und umstellten die Abtei, daß Niemand drinnen entweichen konnte. Da fuhr der Schrecken in die Konventsherren und sie versprachen, Frieden zu halten mit den Waldstädten und Schwytz Genugthuung zu geben: die Landleute aber zogen nicht eher ab, als bis das Kloster gute Bürgen stellte, daß auch erfüllt werde, was man zugesagt hatte.

Die Abtei klagte jedoch bei dem Bischof von Konstanz über das Geschehene. Der that die Schwytzer in den Kirchenbann und hetzte an dem kaiserlichen Hofe, auch die Reichsacht über sie zu verhängen. Dies geschah nun zwar nicht; aber Oesterreich, als Schutzherr von Einsiedeln, rüstete seine Hausmacht, die Schwytzer zu züchtigen und bei dieser Gelegenheit Habsburgs Gewalt zu verstärken. Herzog Leopold kam herangezogen mit einem Heerhaufen von 4000 Mann, und die kaiserlichen Voigte und die adligen Herren fügten dereinwillig ihre Fähnlein hinzu; benn alle waren den groben Schwytzern abhold, und ergriffen die Gelegenheit gern, sie zu demüthigen.

Lavinenartig wuchs Leopolds Heer, das in 2 Haufen den Thur- und Aargau hinaufrückte. Der ganze alte Adel von Habsburg, Koburg und Lenzburg und die ritterliche Blüthe Oesterreichs waren dabei; alle schwer gerüstet, der Stolz und Kern von mehr als hundert berühmten Geschlechtern.

Die Landleute von Schwytz veränderten darum ihre Gesinnung nicht. Tag und Nacht hatten sie, mit Weibern und Kindern, an den Eingängen des Landes geschanzt, alle Pfade und Wege zerstört, Vieh und Habe in die Gebirge geschafft; als aber der Herzog nahete, da nahmen die Männer Schwert und Hellebarde auf und sammelten sich unter die Landesfahne. 600 waren ihrer. Zu ihnen stießen die treuen Eidgenossen von Uri, 400, von Unterwalden 300; so daß der ganze Haufen 1300 Männer waren, alle des Muthes voll und wohl bewehrt. Und als sie bei einander waren und sich in Ordnung gestellt hatten, flehten sie, nach alter Sitte, auf den Knieen Gott an, ihren einzigen Herrn, um seinen Beistand, und wohlgemuth zogen sie sodann auf den Bergsattel bei Morgarten, – den einzigen Paß des Landes, den sie offen gelassen, um Oesterreichs Heer zu erwarten. Da geschah es, daß fünfzig schwerbewaffnete Männer, aus Schwytz gebürtig, welche die Gemeinde wegen Parteiung vor vielen Jahren ausgestoßen hatte, zu ihnen kamen und auf Befragen, was sie suchten? antworteten: „Wir haben in der Fremde die Gefahr des alten Vaterlandes vernommen und kommen nun, mit Euch, als Schwytzer, für Schwytz zu kämpfen oder zu sterben“. Die Eidgenossen aber, dem selbstgegebenen Gesetze unterthan, antworteten: [121] „das Gesetz steht über unserer Gefahr und über unserem Willen: – wollt Ihr streiten und sterben für unsere gemeinsame Mutter, so thut’s als gesondertes Fähnlein. In unsern Reihen dürft Ihr’s nicht!“ Und die fünfzig Männer folgten der Weisung in Demuth und stellten sich dahin, wo die Gefahr am größten war.

Die Morgenröthe des Fünfzehnten im Wintermonat Anno 1315 ging auf und die ersten Strahlen der Sonne vergoldeten die Helme und Kürasse der ritterlichen Schaaren Leopolds von Oesterreich, die gen Morgarten langsam heraufgeritten kamen, – ein langer, stattlicher, unabsehlicher Zug. Ihnen nach folgte ein Wald von Lanzen: Knechte und Fußvolk. Schweigend reiheten sich die Eidgenossen in die verabredete Schlachtordnung. Die Fünfzig hatten sich an der äußersten Enge des Wegs über einen Felsrand gestellt, und als die Spitze des Habsburger Zugs vorüber war, rollten sie plötzlich gelockerte Steinblöcke auf die Reiter hinab. – Dadurch gerieth der Zug in Unordnung und wurde getrennt. Der Angriff Oesterreichs wendete sich nun zunächst gegen die kühne Schaar. Während des Handgemenges aber ersahen die Eidgenossen ihren Vortheil und brachen mit vorgehaltenen Hellebarden und, ihre Streitäxte schwingend, in geschlossener Ordnung, im vollen Laufe vor und in die über den Doppelangriff stutzenden Reitermassen Oesterreichs. Bald waren beide tapfern Heere handgemein und nur noch ein Kämpfen und ein Würgen. „Hie Schwyz – hie Freiheit – hie Sieg!“ war das Losungswort der Eidgenossen, und wo es erschallte, da thürmten sich die Leichen auf unter den Streichen des Schwertes und der Axt, und wo ein Schweizer fiel, da sanken mit ihm viele Mannen Oesterreichs. Schon lagen die besten und tapfersten Führer von des Herzogs Heer auf der Wahlstatt; – der Graf Rudolf von Habsburg-Lauffenburg, der zweite im Kommando; drei Bonstetten, drei Hallwyl, drei Urikon, vier Grafen von Tokkenburg, zwei Geßler, die Landenberge und noch 200 andere von edlem Geblüt. Die vielen ledigen Rosse, welche scheu hin und her rannten, mehrten die Verwirrung; viele Ritter konnten die wüthenden Pferde nicht mehr meistern und sprengten den Abhang hinab in den See, der Mann und Thier verschlang. Die Eidgenossen gaben kein Quartier; „hie Freiheit! hie Sieg!“ brüllend, drangen sie unaufhaltsam in die Massen Oesterreichs die vergeblich auf’s Aeußerste widerstanden; nach anderthalb Stunden löste sich des Herzogs Heer in wilde Flucht auf. Tausend waren auf der Wahlstatt gefallen, Tausende wurden auf dem Rückzuge erschlagen – der Herzog selbst entkam mit knapper Noth. Der Verlust der Eidgenossen aber war, obschon viele Tapfere nicht wieder heimkehrten, kaum zu zählen gegen den großen Verlust Oesterreichs und die unermeßliche Beute und den Gewinn, welcher der schweizerischen Unabhängigkeit und Freiheit aus diesem denkwürdigen Siege geworden ist.

Und dieser Gewinn ist kein vorübergehender. Er knüpft sich nicht an Zeit und Raum. Er dauert fort, so lange solche Thaten im Gedächtnisse der Nachwelt leben, so lange sie ein Blatt in der Weltgeschichte haben. Ihre Stätten sind nicht nur dem Lande werth, dem die Helden angehören; sie sind der ganzen Menschheit heilig.

[122] Und so bist auch du, Morgarten, mit deinem Kirchlein auf der Wahlstatt, ein Stern in der Nacht und in den Gefahren des Vaterlandes ein Quell des Muthes und ein Stab der Zuversicht und des Glaubens an die Unbezwinglichkeit der Freiheit, wenn ihr Geist ein Volk ganz durchdringt.

Die Morgartener Kapelle ist auch einer der schönsten Punkte der Schweiz weit umher. Der Blick von dieser heiligen Höhe verliert sich in ein Land idyllischer Schönheit. Um den Spiegel des stillen, kleinen Egerisees gruppiren sich weidende Heerden auf grünen Matten, zwischen Obsthainen, einzelnen Gehöften, Kapellen und Dörfern und ringsum winden die Alpen einen Doppelkranz bis zum Roßberg und Kaiserstock und Kamstal, – einen Kranz, gewunden von Gottes Hand um die Gräber der Helden.