Die Kirche zu Sachseln im Melchthale
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Im Schweizerkanton Unterwalden windet sich, ausgehend von einem kleinen See am Fuß des öden, hohen Jochbergs, eine Schlucht in südwestlicher Richtung dem Sarner-See zu, welche sich, anfangs eng und wild, in der Gegend von Sachseln zum lachenden Thal erweitert, durchrauscht von einem forellenreichen Wildbach. Es ist das Melchthal, welches der Schweiz zwei Männer gab, die das Schweizer Volk als Schildträger seiner Freiheit feiert: Arnold Anderhalden, der Drei im Rütli einer, und Nikolaus von der Flühe, der Mann Gottes, welcher am Volkstage in Stanz durch die Einigung der zwiespältigen Eidgenossen die Volksfreiheit gerettet hat, die jener Arnold aufrichten half. Dort in der Kirche von Sächseln liegt der Heilige begraben, der ein Leben in Frömmigkeit geführt hat, von welchem das Pfaffenthum nichts weiß und nichts lehrt.
Und wie Nikolaus von der Flühe und Arnold Anderhalden, so leben noch Tausende in diesen stillen, abgelegenen Alpthälern, zu denen der verpestete Hauch der vornehmen Welt, der die Menschen verschlechtert, noch nicht hinaufgedrungen ist; – Tausende, die den Verhöhnern des ewigen Rechts, wenn ihrer Freiheit Gefahr drohte, auch heute noch eben so fest entgegentreten würden, als jener Arnold, und die noch so denken und fühlen, als jener Nikolaus. Die einfachen Hirten des Melchthales, die auf den Absätzen und Vorsprüngen ihrer Felsen mit ihren kleinen Heerden die dürftigen Rasenplätze abweiden, welche oft nur der kletternden Ziege zugänglich sind, – diese kräftigen, starken, furchtlosen Zöglinge der Natur, sind ein anderer Schlag als die Städter, welchen im Staub der Schule, in dem [158] Gewühl der Börsen und Märkte, im Joch der Mode und der Regeln der Gesellschaft, unter den Sklavenschwärmen, die den Pforten der Kasernen und Paläste entströmen, – das Herz vertrocknet und der Stolz und der Muth des Mannes entschwunden ist! Was diesen als Lebensziele gelten – Reichthum, Ehren, Rang, Herrschaft, Gewalt – ist in den Augen jener Söhne der Berge ein Nebel, der vor dem Strahl der Morgensonne flieht. Gott selbst erscheint ihnen in der Stille des Gebirgs ein anderer Gott, denn der Gott, vor dessen Prachtaltären die Menschen in der Tiefe die Knie beugen, und erst dort, beim Heerdengeläute, bei dem Brausen der Wasserfälle, lernt man Rousseau’s Schmerz verstehen über die Selbstqual der Völker durch ihre Sittenverderbniß und über die Abtrünnigkeit des Geschlechts von der Natur.