Die Kometen und die Erde

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Textdaten
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Autor: Hermann J. Klein
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Titel: Die Kometen und die Erde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 841–842
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Kometen und die Erde.
Von Dr. Hermann J. Klein.


Die Kometen haben in früherer Zeit den Völkern große Angst und neuerdings den Gelehrten viel Kopfzerbrechen verursacht. Heute weiß man ganz genau, daß die Schweifsterne keine Zuchtruthen Gottes sind, daß sie auch zu Seuchen und Kriegen in keinerlei Beziehung stehen, aber ihr Wesen an und für sich hat viel Räthselhaftes für uns. Es sind in der That seltsame Weltkörper, diese Kometen. Unangemeldet steigen sie aus den Tiefen der Himmelsräume zu unserer Sonne hernieder, glänzen eine kurze Zeit am nächtlichen Firmamente und verlieren sich dann auf Nimmerwiedersehen. Nur eine ganz kleine Anzahl dieser „Gaststerne“ kehrt regelmäßig nach Ablauf einer gewissen Jahresreihe zurück; aber ihre heutigen Bahnen sind, wie hervorragende Astronomen glauben, vielleicht nicht die ursprünglichen, sondern im Laufe der Zeit durch die Anziehung der Planeten unsers Sonnensystems entstanden. Diese Kometen würden also hiernach gewissermaßen Eroberungen unseres Sonnensystems sein.

Obgleich die Zahl der mit bloßem Auge sichtbaren Kometen nicht groß ist, so muß doch aller Wahrscheinlichkeit nach die Menge dieser im Weltraum herumschwärmenden Himmelskörper eine beträchtliche sein; in der nächsten Umgebung unseres Sonnensystems circuliren gewiß Tausende. Man schließt dies daraus, weil überhaupt nur diejenigen Kometen für uns sichtbar sind, welche der Sonne und Erde verhältnißmäßig sehr nahe kommen, während andrerseits gar kein Grund zu der Annahme vorliegt, daß in größeren Entfernungen keine Kometen vorhanden seien. Man hat sich früher viel mit der Frage herumgeplagt, ob die Erde mit einem Kometen zusammenstoßen könne und welches die Folgen davon sein würden.

Da diese Gestirne aus allen Richtungen her sich gegen die Sonne hin bewegen und da ihre Anzahl beträchtlich ist, so kann die Möglichkeit eines Zusammentreffens mit der Erde nicht in Abrede gestellt werden. Die Rechnung zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit eines solchen centralen Zusammenstoßes indeß außerordentlich gering ist, selbst eine sehr beträchtliche Annäherung eines Kometen an die Erde ist sehr unwahrscheinlich, und fände sie je statt, so könnte sie in Folge der raschen Bewegung beider Himmelskörper nur ganz kurze Zeit dauern. Wenn die Erde mit einem Kometen zusammentreffen soll, so muß sich dieser gleichzeitig an der Stelle befinden, welche unser Planet eben einnimmt. Der Astronom Weiß in Wien hat diejenigen Kometen zusammengestellt, bei welchen diese Bedingungen ziemlich nahe erfüllt waren, und was hat er gefunden? Weiter Nichts, als daß um dieselbe Zeit zahlreiche Sternschnuppen wahrgenommen worden sind. Sternschnuppen haben aber bekanntlich noch keinem Menschen etwas zu Leide gethan, ja zum großen Aerger der Naturforscher kommen sie niemals auf den Boden herab, sondern verschwinden Meilen hoch in der Luft.

Aber die Schweife der Kometen? Es ist wahr, diese sind in vielen Fällen von ganz respectablen Dimensionen, und wenn auch die kleinen Kometen keine Lichtschweife zeigen, so besitzen doch in anderen Fällen manche „Haarsterne“ Besen – wie die Chinesen die Kometenschweife nennen – von zwanzig Millionen Meilen Länge. Die Wahrscheinlichkeit, daß unsre Erde mit einem solchen Kolosse zusammentreffen könne, ist nicht ganz Null; aber wir dürfen uns über die Folgen einer solchen Katastrophe beruhigen. Die Rechnungen der Astronomen haben nämlich ergeben, daß der Fall schon dagewesen ist und Niemand etwas davon bemerkt hat. Die Kometenschweife sind keine compacten Körper, sondern Wesen von großer Feinheit, die wahrscheinlich aus Staub- und Dampftheilchen bestehen und deren durchschnittliche Dichtigkeit weit geringer ist als die unserer Luft in großer Höhe.

Der Kopf, die Nebelhülle mit dem Kerne, ist der wichtigste Theil des Kometen, von ihm geht der Schweif aus und zwar ist es merkwürdig, daß sich die Nebelhülle sammt dem Schweife in dem Maße vergrößert, als sich der Komet der Sonne mehr und mehr nähert. Daneben erkennt man mittelst kräftiger Fernröhre auch noch andere Veränderungen an den Kometenköpfen, z. B. ein Hin- und Herschwenken heller Lichtstrahlen, die fontainenartig mit dem Kerne aufsteigen, kurz, die Kometenköpfe erscheinen uns in der Sonnennähe stets im Zustande großartiger Revolutionen und diese nehmen an Ausdehnung ab, wenn der Komet sich wieder von der Sonne mehr und mehr entfernt. Solche gewaltige Veränderungen können aber nach unserem heutigen Wissenszustande nicht wohl als ohne Lichtentwicklung vor sich gehend gedacht werden, und in der That hat man mittelst des sogenannten Spectroskops gefunden, daß die Kometen eignes Licht aussenden, daß sie bis zu einem gewissen Grade selbstleuchtend sind. Das Spectroskop hat uns sogar auch über die Natur der Substanzen belehrt, welche in den Kometen glänzen, und wir wissen, daß der Kohlenwasserstoff dort eine große Rolle spielt.

Es ist sehr schwierig, die zahlreichen an den Kometen wahrgenommenen Erscheinungen zusammenzufassen und eine ihnen genügende Theorie der physischen Beschaffenheit dieser Himmelskörper aufzustellen. Mehrere Forscher haben sich bereits daran versucht, aber Keiner mit solchem Erfolge wie der Leipziger Astronom Zöllner.

Ich müßte nun eigentlich dem wißbegierigen Leser eine Auseinandersetzung dieser Theorie geben; allein das ist eine außerordentlich schwierige Sache, wenn ich dabei nicht gewisse Vorkenntnisse voraussetzen will, was ich gegenüber der Mehrzahl der Leser nicht darf. Ich will daher den Kelch, welcher die Beziehungen zwischen Masse, Temperatur und Aggregationszustand (Verbindung der Theile) der Körper enthält, an dem Leser vorbeigehen lassen und gleich bemerken, wie Zöllner gezeigt hat, daß eine tropfbar flüssige Masse, welche sich durch den Weltraum bewegt, in der Nähe der Sonne alle diejenigen Erscheinungen darbieten muß, welche uns die Kometen in der That zeigen. Die Licht- und Schweifentwickelungen dieser Gestirne betrachtet Zöllner als Wirkung elektrischer Processe. Zur Erklärung der Kometenschweife macht dieser Gelehrte die Annahme einer bestimmten Sonnenelektricität, worauf auch gewisse andere Thatsachen hinweisen, und andererseits zeigt er, daß auf den Kometen eine ununterbrochene elektrische Erregung stattfinden müsse als Folge der ungeheuren Verdampfungs- und Siedeprocesse, welche die Sonnenwärme [842] daselbst hervorruft. Wenn man nun annimmt, daß die aus den flüssigen Kernen der Kometen entwickelten Dämpfe die gleiche Art von Elektricität besitzen wie die Sonne, so müssen diese Dampftheilchen abgestoßen werden und, schweifartig, eine von der Sonne abgewandte Richtung erhalten. Das findet bei den Kometen in Wirklichkeit statt, wie schon der alte römische Philosoph Seneca wußte. Der sagte: „Die Kometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen.“ Auch die ungeheure Geschwindigkeit, womit sich bisweilen die Kometenschweife entwickeln, hat Zöllner als übereinstimmend mit seiner Theorie nachgewiesen, sowie er nicht minder das räthselhafte Penduliren der hellen Streifen oder Sectaren in den Kometenköpfen auf eine Wirkung der Elektricität zurückführt. Ich muß aber hier von der Zöllner’schen Kometentheorie abbrechen, um nicht zu sehr in’s Fachwissenschaftliche hinein zu gerathen; wer sich darüber weiter belehren will, den verweise ich auf mein Buch „Kosmologische Briefe“.

Nach dem Mitgetheilten wird keiner der geneigten Leser der Meinung sein, auf den Kometen lebten menschenähnliche Bewohner. Selbst wenn man von dem revolutionären Zustande der rohen Materie in jenen Weltkörpern absieht, so würden schon die großen Extreme von Hitze und Kälte, welchen die Kometen auf ihrem langen Laufe um die Sonne ausgesetzt sind, die dortige Existenz lebendiger Wesen von höherer Organisation sehr bedrängen. Der große Komet von 1843 z. B. kam der Sonne am 27. Februar jenes Jahres so nahe, daß die Hitze, der er ausgesetzt war, vierundzwanzigmal stärker sein mußte als diejenige im Brennpunkte jener riesigen Glaslinse, mit welcher Parker Carneol, Achat und Bergkrystall schmolz. Während des ganzen fünfzehnten und sechszehnten[WS 1] Jahrhunderts, als derselbe Komet sich in seiner größten Entfernung von der Sonne befand, war er dagegen einer so grausenhaften Kälte ausgesetzt, daß die Temperatur unsers Nordpols dagegen als recht angenehm erscheinen muß. Dasselbe Gestirn wurde am 27. Februar 1843 siebenundvierzigtausendmal stärker von der Sonne erleuchtet als unsere Erde; zu anderen Zeiten hat es Jahrhunderte hindurch finstere Nacht.

Daß unter solchen Verhältnissen an eine Bewohnbarkeit der Kometen nicht wohl gedacht werden kann, ist klar; auch besitzen gewisse „Haarsterne“ die üble Eigenschaft, daß sie sich von Zeit zu Zeit zu zertheilen pflegen, was ebenfalls für lebendige Wesen auf ihnen eine gewisse Unbequemlichkeit mit sich bringen müßte. Solche Zertheilungen kommen bei den Kometen thatsächlich vor, der sogenannte Biela’sche Komet z. B. hat sich im December 1845 fast unter den Augen der Astronomen in zwei Theile getrennt, die gleich fix und fertig waren, wohl mit Kopf und Schwanz versehen. Beide Gestirne entfernten sich mehr und mehr von einander, so daß am 11. Februar 1846 ihre größte Entfernung bereits vierzigtausend Meilen betrug, also fast dem Abstande unseres Mondes von der Erde gleichkam. Im Spätsommer 1852 kehrten beide Kometen der Uranusberechnung gemäß zur Sonne zurück, und es fand sich, daß ihre Entfernung voneinander bereits auf dreihundertfünfzigtausend deutsche Meilen gestiegen war. Mit Interesse erwarteten die Astronomen die weitere, für uns wahrnehmbare Rückkehr im Frühjahre 1866; allein die Kometen – kamen nicht. Es ist das der erste Fall dieser Art, den man kennt. Auch im gegenwärtigen Jahre sind die Kometen nicht wieder aufgefunden worden, obgleich sie, falls vorhanden, recht wohl hätten wahrgenommen werden können. Dafür aber hat man gegen Ende November eine außerordentlich große Anzahl von Sternschnuppen gesehen, und diese Sternschnuppen gehören einem Schwarme von kleinen Meteoren an, der sich in derselben Bahn um die Sonne bewegt, welche einst der Biela’sche Komet durchlief.

Wir dürfen daher behaupten, daß unsere Erde damals die Trümmer des Biela’schen Kometen durchwanderte, die bei dieser Gelegenheit als leuchtende Meteore am Himmelsgewölbe sichtbar wurden. Unbelauscht vollziehen sich so die großartigsten Veränderungen über unserm Haupte; wie der Blumenteppich auf grüner Au, so wandeln auch die Himmel ihr Antlitz, und in dem allgemeinen Kampfe widerstreitender Gewalten beharrt allein unvergänglich das leitende Gesetz.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: echszehnten