Die Lage der Büreaubeamten

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Autor: J. S.
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Titel: Die Lage der Bureaubeamten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 623–624
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[623] Die Lage der Büreaubeamten. Während unter dem eminenten Aufschwunge, welchen in Folge der vielfachen Erfindungen der neueren Zeit und bei den total veränderten Verkehrsverhältnissen die Industrie in der gegenwärtigen Zeit genommen hat, die äußere Lage des Bürgers im Allgemeinen eine weit behäbigere geworden ist, während in Folge der fast überall durchgeführten Separationen und einer intelligenteren Cultivirung des Ackers der Bodenwerth seit zwei Jahrzehnten fast um das Doppelte gestiegen ist, und bei der stärker gewordenen Nachfrage auch das Angebot der ländlichen Erzeugnisse eine bedeutende Steigerung im Preise erfahren hat, während unter diesen veränderten Zeitverhältnissen die Lage des Bauern im Ganzen bedeutend sich gehoben hat, während selbst der Tagelohn des Handarbeiters nicht unbeträchtlich gestiegen ist, – hat sich die Lage der Beamten nicht allein nicht verbessert, nein, sie ist weit, weit schlechter geworden, als ehedem. Obschon aber diese unerhörte Lage der Beamten ein öffentliches Geheimniß ist, wagt Niemand frei und offen darüber zu sprechen, und es mag wohl sein, daß den Beamten selbst ein gewisses Zartgefühl zurückhält, über Zustände zu sprechen, bei deren näherer Erörterung Fragen der delicatesten Natur sich nicht vermeiden lassen.

Wir wollen nicht bestreiten, daß die Quelle der bekannten und auffallenden Erscheinung, daß der Drang nach Reform auf poetischem und socialem Gebiete gerade aus der Beamtenwelt am stärksten hervortritt, zum größeren Theile in einer hervorragenderen Geistesbildung und einer idealeren Richtung der Seele ihren Ursprung nimmt; dennoch glauben wir, daß die durch anhaltendes Elend in allen Schichten der Beamtenwelt hervorgerufene tiefe Mißstimmung ein nicht minder treibendes Motiv hierzu gebildet hat.

Fassen wir einmal die Lage der Beamten näher in das Auge und richten wir unseren Blick zunächst auf die Büreaubeamten der Justiz – die Secretaire und Actuarien.

Nachdem er eine Reihe von Jahren unentgeltlich und dann gegen eine geringe Remuneration gearbeitet hat, erhält der Referendarius, Auscultator oder Actuarius dann, wenn er sich dem Schwabenalter nähert, eine Secretair-Stelle; die Secretaire beziehen einen Gehalt von 450–650 Thlr., avanciren aber langsam, und nur wenige erreichen daher die höchste Gehaltsstufe.

Angekommen an dem längst und heiß ersehnten Ziele führt nunmehr der neucreirte Secretair die Verlobte seines Herzens heim – und wir glauben, daß gerade hier derartige Verbindungen noch am häufigsten vorkommen – aber von diesem Augenblicke ab datirt auch sein trauriges Geschick, welches sich als ein dunkler Faden durch seine ganze künftige Lebensbahn hindurchzieht, wenn er nicht kinderlos bleibt oder eigenes Vermögen besitzt.

Will er seinen Kindern eine entsprechende Ausbildung gewähren, so muß er sich persönlich die schwersten Opfer auferlegen; kommen aber Krankheiten in seiner Familie vor, oder brechen gar noch andere Unglücksfälle über sein Haus herein, dann ist er auf immer derangirt und vermag sich finanziell nimmer wieder zu erheben. Die drückende Noth, in welcher sich eine solche Familie befindet, übersteigt in der That alle Grenzen. Während sie nach außen hin bemüht sein muß, ihre bejammernswerthe Lage zu verbergen, während in der äußeren Erscheinung Alles aufgeboten wird, um dieses Geheimniß auf das Strengste zu wahren, während die Familie selbst den gesellschaftlichen Cirkeln nicht ganz fern zu bleiben vermag, während auf diese Weise Alles geschieht, um den Schein des Wohlbefindens nach außen hin zu retten – wie elend, wie traurig ist es um das Innere des Hauses bestellt!

Dienende Personen können nicht gehalten werden, und selbst die gebildete Frau muß mit ihren zarten Händen sich den gröbsten Handverrichtungen unterziehen, sie muß des Nachts bei den kranken Kindern wachen, die Kleidungsstücke der Kinder anfertigen und ausbessern, die Stuben reinigen, die Küche besorgen, und es gehört in der That der ganze sittliche Muth einer deutschen Hausfrau dazu, um unter diesem traurigen Loose nicht zu erliegen.

Um Unterstützung zu bitten, gilt unter den Standesgenossen für unehrenhaft, und um dem bittersten Nothstande vorzubeugen, benutzt so mancher Beamte die Nachtzeit, um durch literarische oder sonstige Nebenbeschäftigung einen kleinen Nebenverdienst sich zu sichern. Doch der Blick auf die ungewisse Zukunft seiner Kinder, die Frage über die Lage seiner Familie nach seinem Tode beunruhigen seine Seele unaufhörlich; denn die Pension, welche er aus seinen Gehaltsabzügen seiner Frau zu sichern vermag, reicht noch nicht aus, den nothdürftigsten Unterhalt der Wittwe zu bestreiten, die noch in jugendlichem Alter stehenden Kinder werden nach seinem Tode bei gutwilligen Verwandten oder Gott weiß wo untergebracht, die älteren Söhne aus ihren mit Erfolg eingeschlagenen Lebensbahnen herausgedrängt, die älteren Töchter aus der mütterlichen Pflege in eine öde, liebeleere Welt hinausgestoßen, um sich umringt von Gefahren unter fremden Leuten ihr Brod zu verdienen.

Ja der Fluch dieses elenden Daseins reicht oft noch über das Grab hinaus, wenn der unglückliche Mann bei seinem Tode Schulden hinterlassen hat, welche seine arme Wittwe nicht zu bezahlen vermag. Unter Spott und Hohn schließt sich das geöffnete Grab über der Hülle des armen Mannes. Gesenkten Hauptes verlassen dasselbe die Hinterbliebenen und fliehen vergebens vor dem frechen Blicke des Spötters, der selbst den heiligen Schmerz nicht scheut!

So steht es mit dem Secretair, nicht minder beklagenswerth ist die Lage der Actuarien. Indem diese mit einer guten Gymnasialbildung ausgerüsteten jungen Männer eine lange Reihe von Jahren hindurch für 16–20 Thaler monatlichen Gehalt arbeiten, rangiren sie kaum mit dem gewöhnlichsten Tagearbeiter, der in mannigfacher Beziehung weit glücklicher zu preisen ist. Während die Vorbildung des Actuar seine letzten Mittel absorbiert hat, während er stets in anständiger Kleidung erscheinen muß, während er acht Stunden des Tages die dumpfe Luft des Bureaus athmet, hat der Arbeiter auf seine Vorbildung wenig oder gar keine Kosten verwendet, fragt kein Mensch nach der Beschaffenheit seiner Kleidung, und in der freien frischen Luft, welche er täglich in vollen Zügen einathmet, schöpft er immer und immer wieder neuen Lebensmuth.

Kommt nun aber – was leider nur zu häufig der Fall – ein Actuar auf die unselige Idee, ein armes Mädchen zu heirathen, dann entrollt sich vor unseren Blicken ein Bild des Elendes, wie es kaum größer gedacht werden kann. Man muß sie gesehen haben, die Frau dieses Beamten, wie [624] sie mit den Kindern auf den Armen und unter dem Geschrei nach Brode dem unglücklichen Manne in das Bureau gefolgt war, wie er unter dem Drucke des Moments in seinem Arbeitssessel zusammenbrach und wie endlich sein tiefer, brennender Schmerz in heiße Thränen sich ergoß!

In die dunkelsten Farben müßte man die Feder tauchen, um ein solches trauriges Bild zu zeichnen; selbst das vollendetste Gemälde – wie weit würde es hinter die Tragik der Wirklichkeit zurücktreten müssen! Und nun denke man sich einen solchen Mann auf dem Posten eines Sportelerhebers. Einen Finger nur braucht er zu rühren, um den Hunger seiner Familie zu stillen, welch ein sittlicher Muth gehört dazu – ein treuer Mensch zu bleiben!

Ist es unter solchen Umständen ein Wunder, wenn alljährlich die Zahl der pflichtvergessenen Beamten größer wird? ist es ein Wunder, wenn andere wieder in dumpfer Verzweiflung hinsiechen, weil ihre Kraft gebrochen ist, weil sie kein Mittel, keine Waffe in ihren Händen fühlen, um den über sie hereinbrechenden Schicksalsschlägen Trotz zu bieten? In der That, es ist unbegreiflich, daß sich noch Menschen für diese traurige Laufbahn finden, und wir können es nur als eine erfreuliche Erscheinung begrüßen, daß der Mangel an jüngeren Actuarien schon jetzt immer fühlbarer wird.

Zeit ist es bei Gott, daß dieser traurigen Lage der Bureaubeamten ein Ende gemacht wird, und es ist wirklich eine räthselhafte Erscheinung, daß in unserem Zeitalter der Humanität Zustände andauern, die der Menschlichkeit Hohn sprechen und unter deren fortgesetztem Drucke ein sonst so ehrenwerther Stand dem sittlichen Ruin entgegengeht.

J. S.