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Die Lutherzelle auf der Wartburg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
DCLXXXXIX. Auf dem Todtenacker zu Mannheim Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCC. Die Lutherzelle auf der Wartburg
DCCI. Wilhelmsthal bei Eisenach
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Die LUTHERZELLE
auf der Wartburg.

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DCC. Die Lutherzelle auf der Wartburg.




Die Wartburg, wie ich sie als Knabe und Jüngling so vielmal besucht habe und wie ich sie vor 15 Jahren im Universum beschrieb, ist nicht mehr dieselbe. Damals trug sie noch das alte, abgetragene Kleid, auf welches die Jahrhunderte so viele Flicken und Lappen gesetzt hatten, daß sie einer Bettelherberge ähnlicher sah, als einer Fürstenburg, von deren Glanz und Herrlichkeit die thüringer Chroniken und Sagen so Vieles zu erzählen wissen. Die zierlichen Erker waren abgefallen, die Söller und Säulengänge waren entfernt oder vermauert, und auf dem gewaltigen Mauerwerk ehemaliger Warten und Thürme hatte sich im Lauf der Zeit ein Konglomerat von schlechten Bauten aus Fachwerk angesiedelt, das bald einem Verwalter oder Kastellan zur Wohnung, bald einer Invalidenbesatzung zur Kaserne, bald Gefangenen zu Zellen, bald als Speicher, Vorrathshaus, Kneipe oder zu sonstigen ökonomischen Zwecken, wie sie Bedürfniß und Gelegenheit schufen, gedient hatte. Nur wenige Räume, an welche sich ein hervorragendes geschichtliches oder volksthümliches Interesse knüpfte, waren nothdürftig im ursprünglichen Zustande erhalten worden. Das Uebrige der alten Wartburg war dem Zahne der Zeit mit sorglosem Vertrauen auf die Unverwüstlichkeit der Grundmauern überlassen, die mit dem Fels zusammen gewachsen scheinen, auf dem sie ruhen.

Das ist nun seit einigen Jahren anders geworden. Dem jetzigen Großherzog von Weimar war es schon als Erbprinz ein Lieblingsgedanke, die Wartburg in der Weise herzustellen, wie sie zu Zeiten der heiligen Elisabeth der Stolz Thüringens gewesen war. Den ersten Anstoß zur Restauration gab ein Auftrag des Fürsten an einen Maler, den berühmten Wettkampf der Minnesänger am landgräflichen Hoflager darzustellen. Dies führte zu einer künstlerischen Besichtigung und Erforschung der Räumlichkeiten der Burg, damit das Bild auch vom Oertlichen [164] des Schauplatzes eine treue Darstellung gebe. Daß der Maler Reste der alten Pracht theils vermauert, theils in unbeachteten Winkeln auffand, war zwar keine neue Entdeckung; denn ich erinnere mich, auf meinen häufigen Wartburgwanderungen in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts bei den damaligen Ausbesserungen des Schlosses zierliches Simswerk, Säulchen und Fragmente von Skulpturen im Schutte gesehen zu haben und daß wir Buben einmal einen Haufen alter Bildwerke und Ornamente in einem Winkel ergatterten, von dem wir, was uns eben gefiel, abschlugen und als Wartburgangedenken mit nach Hause nahmen. – Jener Maler berichtete dem Fürsten über die Möglichkeit, manches Schöne am alten Bau wieder herzustellen und in Folge Dessen wurde vom Prinzen eine Kommission hergesendet, die Restaurationsentwürfe einer nähern Prüfung zu unterziehen. Zunächst empfahlen die Architekten eine Halle im byzantinischen Styl, mit verzierten Rundbogenfenstern, von schmucken Säulchen getragen, durch Entfernung des Mauerwerks, das letztere verhüllte, und der kleinen Fenster, die der Vandalismus späterer Zeiten an die Stelle der Arkaden angebracht hatte, herzustellen. Während dieser Arbeit fand man noch andere Säulenreste, Austritte zu Altanen, Ornamente von guter und zarter Arbeit, Vieles dem Besten am Rhein und in Italien zu vergleichen. Manches war nur durch Backsteinverkleidung oder Tünche verhüllt, oder dem Auge entzogen worden. Der Fürst, durch die Berichte über diese Funde erregt, kam selbst mehrmals zum alten Fürstensitz, ordnete an, befeuerte den Eifer zur weitern Prüfung, und auf der Basis der gewonnenen Resultate wurde endlich der Plan zu einer Restauration gelegt, die des Gegenstandes ganz würdig sey. Die Aufgabe war eine höhere als die bloße Herstellung eines alten Raubritternests, wie sie jetzt von Fürsten und Junkern als Mode-Spielerei, oder um ihre Sympathie mit den Zeiten des Faustrechts offenkundig zu machen, häufig vorgenommen wird. Es galt, ein Bauwerk in seiner ursprünglichen Form herzustellen, an das, als Monument der Kulturgeschichte, sich das Interesse und die Verehrung aller Zeiten knüpft, – die Burg, wo deutsches Fürstenthum in edlen Vorbildern glänzte, wo deutsche Poesie und Gesittung ihre frühesten Feste und Triumphe feierte, das Haus, wo der große Apostel des gereinigten Glaubens die rettende Freistätte fand, den Ort, von dem aus Luther das Buch der Bücher, die Urkunde des Christenthums, gesäubert von Fälschungen und Irrdeutungen, dem deutschen Volke in seiner Sprache hingegeben und Allen verständlich und zugänglich gemacht hat. Die Wartburg ist recht eigentlich der Freiheit und Gesittung „feste Burg“ und deshalb knüpft sich an sie die Theilnahme der ganzen gebildeten Welt. Gefeiert in Balladen und Gedichten lebt sie fort im Gedächtniß der Jahrtausende, wie die Säulenhäuser auf der Acropolis Athens, wie die Monumente auf dem kapitolinischen Hügel, wie des Jordans heilige Stätten. Ihre ursprüngliche Form zu bewahren und der Nachwelt zu erhalten ist, folglich ein patriotischer und auch humaner Gedanke, und er verdient den Dank Aller, die am Schönen und Guten ein menschliches Interesse haben.

[165] Der Großherzog hat die Restauration der Burg einem geschickten Architekten anvertraut, der, für seine Aufgabe begeistert, sie gleichsam zu seinem Lebenszweck macht. Es ist viel geschehen diese Jahre her, aber noch viel mehr ist zu thun übrig. Herstellung des Alten ganz so, wie es war, ist die Aufgabe, und eine gewissenhafte Lösung derselben kann keine Eile vertragen. –

Wenn die Dichter Recht hatten, die Wartburg einen Tempel des deutschen Volks zu nennen – so ist die Luther-Zelle ihr Sanktuarium. Sie ist in einem abgelegenen Theile der Gebäude versteckt. Der Kastellan führt uns durch ein enges, tiefes Eingangsportal zu einem schmalen Treppenhaus, dessen hölzernes, verziertes Balkenwerk ein hohes Alter verräth. Eine massive Thür von Eichenholz, mit großen, schweren Bändern, die sich über die Thürfläche verzweigen, stößt auf einen kleinen Vorplatz. Der Führer ergreift aus seinem Bündel einen der schwersten Schlüssel; knarrend bewegen sich die Schließhaken, die Thüre wird geöffnet, und wir stehen auf der nämlichen Schwelle, die der Mann Gottes ein ganzes Jahr lang täglich überschritten hat. Hier wohnte Luther im Jahre 1521 unter dem Namen Ritter Görg, – ein freiwilliger Gefangener. In dieser Zelle fertigte er das Riesenwerk seiner Gelehrsamkeit und seines Fleißes, die Bibelübersetzung, und während er verschollen schien, während die Hierarchie dem Volke die Lüge aufheftete, der Teufel habe den Ketzer lebendig zur Hölle geholt: – da schmiedete Luther in seiner Wartburgklause ruhig die Waffe, mit der er Rom besiegte.

Die Lutherzelle ist noch ganz so, als zur Zeit, da sie Luther bewohnte. Es ist eine mäßig große Stube mit 2 breiten, fast viereckigen Fenstern, deren kleine, in Blei gefaßte runde Scheibchen durch das Alter meist erblindeten. Die inneren Wände sind von der Decke bis zum Boden mit dicken Bohlen beschlagen, und der kindische, oder eitle Sinn vieler der Besucher hat auf denselben seit drei Jahrhunderten unbekannte Namen in Menge eingeschnitten. An der Wand, zur Seite der Thür, ragt ein Kachelofen, wie dergleichen noch da und dort in Thüringen auf dem Walde anzutreffen sind, dessen Feuerraum groß und weit genug ist, um einen mäßigen Baumstamm ungespalten aufzunehmen. – An der Wand, neben dem Ofen, ist der bekannte Tintenklecks zu schauen, der unsern Luther schärfer uud treuer zeichnet, als tausend Federn, welche sein Leben schilderten. Die Legende von dem Klecks hat, wie alle Legenden, ihre Varianten; die anmuthigste ist wohl folgende: „Als Luther einst bei trübem Lampenschein noch spät nach Mitternacht über die richtige Deutung einer schwierigen Bibelstelle nachsann, – da erschien plötzlich Satanas, Doktorhut und Schwanz zierlich neben einander im Arme tragend, vor seinem Schreibtisch. Er sprach : „„Doktor Martin: – was sinnst du und zerbrichst dir den Kopf? – mir ist das ein Leichtes; schreib’, ich will dir’s diktiren““. Doktor Martin sah auf, räusperte sich, als ob er was sagen wollte; aber ehe sich’s jener versah, faßte er das schwere Tintenfaß und schmiß es dem Versucher an den Kopf. Der Teufel verschwand mit großem Gestank, und er ist nie wieder gekommen“. – Luther gebrauchte die rechte Waffe. Tinte und Druckerschwärze [166] können der Teufel und seine Vetterschaft auch jetzt noch so wenig vertragen, als in Luthers Tagen; und auch wir würden uns ihrer gewiß erwehren können, wenn wir stets volle Freiheit hätten, ihnen das Tintenfaß an den Kopf zu werfen. –

Der Klecks ist über eine Hand groß. Er ist seit vierthalbhundert Jahren bei dem öfteren Ausweißen der Ofenwand stets sorgfältig umfahren worden, und daher erscheint er um so viel tiefer, als die verschiedenen Lagen der Tünche betragen. Das Luther-Meublement, was davon noch übrig, besteht aus einem massiven Tisch von Lindenholz, dessen äußere Kanten seit langer Zeit mit starken Eisenschienen beschlagen sind, um ihn vor weiteren Spoliationen zu schützen. Der Volksglaube machte einen Span von Doktor Luthers Arbeitstisch zu einem unfehlbaren Mittel gegen Zahnweh, und am Ende wäre er, der schon um ein Drittel kleiner geworden ist, gar verschwunden, hätte man dem Wunder nicht noch rechtzeitig eiserne Riegel vorgeschoben. In der Ecke neben dem Tisch steht eine Truhe, stark mit Eisenbändern beschlagen, und mit Abtheilungen für Luthers Wäsche und Kleidern versehen; gegenüber der Thür aber fällt ein plumper, mit schwerem Beschlag versehener Schrank von Tannenholz in’s Auge, Luthers Bücherschrank. – Statt des Armsessels, der, sammt der hölzernen Bettstelle Luthers, schon vor zwei Jahrhunderten unter den Messern der Besucher zu Trümmern gegangen ist, wird jetzt das Wirbelstück eines Wallfischgeripps vorgezeigt; der Sage nach hat es Luthern zum Fußschemel gedient. Ueber dem Tisch an der Wand hängt Luthers Bildniß mit den Portraits seiner Eltern, alle drei mit Kranachs, des Malers, Zeichen, aber sicherlich nicht von seiner, des Meisters, Hand; wahrscheinlich sind’s alte Copieen ächter Bilder. – In der letzten Zeit seines Wartburg-Aufenthalts war das Geheimniß seiner Person den Bewohnern des Schlosses verrathen und Luther hielt zuweilen in der Burgkapelle statt des Schloßkaplans die Sonntag- oder Festpredigt. – Als der Tisch durch die eisernen Spangen vor den Messern der Besucher geschützt worden war, übertrug sich der Glaube an die Heilkraft der Späne von Luthers Tisch auf die Kanzel – und auch sie ist guten Theils spanweise durch die Welt gewandert.

Ich habe die Wartburg nur ein einziges Mal als Mann wieder besucht. Wie war doch damals der Eindruck ein ganz anderer, als der, welcher sich in den Erinnerungen aus den Jünglingsjahren wiederspiegelt! – Wie heilig, hehr und verklärt strahlte mich das Reformationswerk am Jubelfeste 1817 an, wie stand es so unverwüstlich vor meinen Augen, da noch die großen Führer des Protestantismus, ein Löffler, Bretschneider, Ammon, Schuderoff, Röhr, in Luthers Geist die Vernunft mit dem Glauben versöhnten und ein jeder derselben stolz war auf den Ursprung unserer Kirche – die Revolution des Gedankens gegen das Dogma, – den ihre heutigen Koryphäen muttermörderisch verleugnen. O laß sie doch, großer Luther!, sich wärmen an der Flamme Deiner Empörung, die armen Schächer, die Deine Heerde nicht mehr wie Hirten, sondern wie Wölfe hüten! Wann that dem Protestantismus mehr noth die Wärme des Lebens? Wann war ihm die todte, starre Form entbehrlicher und schädlicher, als in unsern Tagen? Reden die Zeiten nicht mit feurigen [167] Zungen? Kann nicht ein Tag kommen, ein Tag des Schreckens und der Trauer, wo uns protestantischem Volk die Wahl gelassen wird, Luthers Lehre abzuschwören – oder zu erwarten, daß sich erneuere das Schicksal der Waldenser? – Dann werden die Protestanten auf die Wartburg ziehen und gen Wittenberg, und pilgern zu Luthers Zelle und knieen an Luthers Grabe, und ihre Thränen werden Luthers Asche wegschwemmen und fluchen werden sie den Hohenpriestern, welche ihre Kirche zur Bettlerin werden ließen. Daß das Lutherthum das erfahren sollte, – daß die zur Hut Berufenen selbst den Gegnern die Waffen schmieden – und seine Kirche zum Spott machen würden ihrer Feinde: – solch ein Loos ist den großen Werken großer Menschen manchmal beschieden. Wehe aber über Diejenigen, welche es verschulden, daß das Heilige, der Ewigkeit würdig, zum Vergänglichen werde – und dreifach Wehe! den Schuldigen, stehen sie als Priester an den Altären.