Die Maschine als Sprachlehrer

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Textdaten
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Autor: H. B.
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Titel: Die Maschine als Sprachlehrer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 671-672
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[671] Die Maschine als Sprachlehrer. Wir haben Sprech- und Rechenmaschinen kennen gelernt oder wenigstens davon gehört. Ohne uns weiter darauf einzulassen, gehen wir gleich zu einer dritten neuen Maschine über, welche ebenfalls das Mechanische geistiger Arbeit übernimmt oder wenigstens wesentlich erleichtert. Es ist eine Spracherlernungsmaschine, metabolische genannt, von dem griechischen Worte metaballein (mit lateinischen Buchstaben so geschrieben), welches „Durcheinanderwerfen, Würfeln“ bedeutet. Sie ist von dem Engländer Alfred Long erfunden und von einem anderen Engländer Thomas Prendergast in einem besondern gelehrten Buche ausführlich beschrieben und ihre praktische Anwendung bis in’s Kleinste erklärt und warm empfohlen worden. Die Spracherlernungs- oder Wörterwürfelungs- und Satzbildungsmaschine beweist zunächst ihre Nützlichkeit aus der besten Art, wie man überhaupt Sprachen, besonders lebendige zum Sprechen erlernen muß. In jeder sogenannten „höheren“ Knaben- und Mädchenschule müssen jetzt mehrere Sprachen gelehrt und gelernt werden. Aber wie machen sie’s dabei? Meist zum Gotterbarmen für die Kinder. Diese müssen Jahre lang Vocabeln, Regeln, Grammatik, Syntax lernen, Dutzende von weißen Büchern mit Vocabeln, Sätzen und Exercitien voll schrciben und können nach dieser jahrelangen Qual doch nur stottern und stümpern, mit keinem französischen Mädchen, keinem englischen Jungen sprechen, ohne ausgelacht oder nicht verstanden zu werden. Französisches Mädchen und englischer Junge haben nicht ein Hundertstel dessen in ihren Sprachen gelernt, was unsere „höheren“ Mädchen oder Jungen; aber erstere plaudern flüssig, ohne Anstoß und richtig, und letztere stümpern. Daraus folgt, daß unsere Kinder Sprachen, die sie sprechen lernen sollen, auch so von selber lernen müssen, just wie die Kinder ihre Muttersprache. Da nun in fremden Sprachen keine solche lebendige Gelegenheit zum „Vonselberlernen“ ist, so ersetzt man diesen Mangel am Besten und Billigsten durch eine – Maschine, Französische Bonnen und englische Gouvernanten sind allerdings noch besser, aber für die meisten Familien zu theuer.

Mich besuchte einmal ein deutscher Gelehrter in England, der neunzehn Jahre lang das Englische gründlich erlernt, studirt und Shakespeare etc. gelesen und fein verstehen gelernt hatte. Er kriegte es aber nicht fertig, der Wirthin durch Worte deutlich zu machen, daß er ein Handtuch wünsche. Sie verstand erst unter vielem Gelächter, was er wolle, durch seine deutliche Pantomime des Abtrocknens, nachdem er sich pantomimisch gewaschen hatte. Ueberhaupt konnte er sich in den gewöhnlichsten, alltäglichsten Dingen selten verständlich machen, auch meist sehr schwer verstehen, so daß sehr oft das erst vor sechs Monaten hinübergekommene deutsche Dienstmädchen zu Hülfe gerufen werden mußte. Diese plauderte Englisch, sozusagen, wie Wasser, verstand Alles und wurde stets verstanden. Der Gelehrte wußte die verschiedensten Bedeutungen und feinsten Schattirungen von vielleicht fünf- bis sechstausend Wörtern, das Mädchen hatte wohl nicht mehr als zwei- bis [672] dreihundert von selber erlernt, mechanisch durch täglich wiederholte Uebung im Sprechen und Hören. Sie sprach vollkommen und flüssig Englisch, der deutsche Gelehrte wie ein fauler Junge in der Schule, der seine Verse nicht gelernt hat. Das viele, leichte, flüssige Sprechen in einer oder in mehreren Sprachen ist sehr leicht erlernt, wie unsere deutschen Kellner in deutschen, französischen, englischen, amerikanischen Hotels, Kinder mit französischen Bonnen und englischen Gouvernanten beweisen. Mit ein paar hundert Worten, die man in allen ihren Wendungen und Windungen und Stellungen mechanisch erlernt, ist für das beste Geplauder Alles abgemacht. Mit etwa tausend solchen Wörtern des gemeinen Lebens, der Umgangssprache d. h. etwa dreihundert in ihrem deutschen, französischen und englischen Klange und deren idiomatischer, d. h. jeder Sprache eigenen Gefügigkeit, spricht man für den gewöhnlichen Umgang und dessen Unterhaltungsstoff vollkommen Deutsch, vollkommen Französisch, vollkommen Englisch.

Man kann schon mit achtzehn bis zwanzig Wörtern eine lange Rede halten.

Mein Buch ist auf ihrem Tische.
Ihr Ring war bei meinem Glase.
Sein Messer liegt unter ihrem Stuhle.

Das sind drei richtige deutsche Sätze mit achtzehn Wörtern, die jedes Kind leicht lernt. Sind sie ordentlich gelernt, so kann man damit etwa eine halbe Stunde richtig und flüssig sprechen, ohne die drei Sätze nur ein einziges Mal zu wiederholen. Man kann nämlich aus diesen drei Sätzen etwa siebenhundert machen, jeder von dem andern verschieden, indem man immer das eine oder das andere Wort (oder mehrere) des einen Satzes mit einem oder mehreren darunter stehenden vertauscht, also: „Mein – Ring – liegt – auf – ihrem – Tische“ etc. siebenhundert Mal, jedesmal verschieden, jedesmal richtig. Die Unterschiebungen einzelner Wörter an die Stelle anderer, können ganz mechanisch, gedankenlos gemacht werden, es wird doch immer ein richtiger deutscher Satz. Dieses mechanische Durcheinanderwürfeln der Wörter behufs der Einprägung und des flüssigen Gebrauchs in allen Fügungen übernimmt nun die metabolische Maschine. Es ist die „Ollendorf’sche Sprachlehrmethode“ in vereinfachter und vervollkommneter Form. Sie geht von der richtigen Voraussetzung aus, daß man eine Sprache nur flüssig und geläufig sprechen kann, wenn man sich zunächst an die nöthigsten und gewöhnlichsten Worte hält und diese nicht als einzelne Vocabeln, sondern in allen möglichen idiomatischen Verbindungen lernt.

Die Maschine übernimmt es, alle möglichen Verbindungen und Satzbildungen zu erleichtern. Sie besteht aus einem Kasten mit Würfeln und einem Glasdeckel. Auf den Würfeln stehen verschiedene einzelne Wörter, so gewählt, daß sie, wie sie auch fallen, immer einen richtigen Satz bilden. Damit keine ungrammatische oder unsyntaktische Verbindung entstehe, sind Zellen im Innern so eingerichtet, daß jeder Würfel sich nur auf seinem Platze drehen und irgend ein Wort seiner sechs Seiten obenhin bringen kann. Eine Handhabe zum Drehen am Kasten verändert die Würfel mit jeder Umdrehung mechanisch. Als Beispiel der Mannigfaltigkeit der Verbindungen solcher gewürfelten Wörter wird angeführt, daß zehn Würfel, jeder nur mit zwei Worten beschrieben, die zwei Sätze von je zehn Worten bilden, sich zu mehr als fünftausend richtigen Sätzen – alle verschieden – verwürfeln lassen. Man denke nun an die Combinationen mit zehn bis zwölf Würfeln, von denen jeder sechs statt zwei Wörter enthält!

Der specielle Nutzen dieses mechanischen Hülfsmittels für richtigen, flüssigen Gebrauch der Wörter besteht darin, daß des Lernenden Aufmerksamkeit immer nur auf je einen Satz auf einmal gerichtet wird, während in Lehrbüchern die vielen Sätze neben- und untereinander die Aufmerksamkeit zerstreuen und ermüden; daß es dieselbe zu erlernende Sache in immer neuen Formen herausspielt und dieses Spiel frisch erhält; daß dieses Würfelspiel wegen des Zufalls, der dabei herrscht, das Auge immer für den nächsten Wurf schärft (wie dies bei allen Zufallsspielen der Fall ist); daß die Beschreibung der Würfel in der einen Reihe mit den Worten der zu erlernenden Sprache, in der andern mit denen der Muttersprache (die Würfel werden mit Bleistift beschrieben und können leicht gereinigt werden), immer Gelegenheit und Uebung in doppelter Uebersetzung giebt; daß zu dem ordentlich Erlernten immer leicht und unmerklich etwas Neues gefügt und so der ganze Sprachreichthum allmählich spielend und in stets lebendigen, richtigen Sätzen in Fleisch und Blut, in die Sprachwerkzeuge, nicht in Papier und verwirrende Regeln und Ausnahmcn übergeht; daß die Maschine den Werth und Nutzen aller andern Maschinen hat, nämlich dem Geiste, der Arbeitskraft abzunehmen, was blos mechanisch ist; daß sie die bessere Kraft für bessere Zwecke schont und spart. Sie ersetzt das mechanische Erlernen einer Sprache, das „Vonselberlernen“, wie es durch Aufwachsen in einem bestimmten Volke oder künstlich durch Bonnen und Gouvernanten geschieht, so gut eine Maschine dies überhaupt ersetzen kann.

Es mag für deutsche Lehrer und Gelehrte wie eine Spielerei aussehen, aber „ein tiefer Sinn liegt oft im kindischen Spiel“. Die Sache scheint genauerer Prüfung werth. Wir empfehlen deshalb das Originalwerk zur Lectüre, resp. Uebersetzung. Der Titel ist: „The Mastery of Languages; or the Art of speaking foreign tongues idiomatically. By Thomas Prendergast. London, Bentley.“ (Die Bemeisterung der Sprachen, oder die Kunst, fremde Zungen in deren Eigenthümlichkeit richtig sprechen zu lernen.)
H. B.