Die Mutter des großen Doctor Martin

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Autor: L. Schneider
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Titel: Die Mutter des großen Doctor Martin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 45-47
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[045]
Die Mutter des großen Doctor Martin.

Wenn ich des Reformationsfestes gedenke, ersteht auch jedesmal vor mir das Bild meiner lieben Vaterstadt Weimar; mir ist, als sei es erst gestern gewesen, daß ich mit einer ganzen Schaar von Schulkindern hinzog nach dem sogenannten Luthergäßchen, wo die Currendschüler unser herrliches Hohelied: „Eine feste Burg ist unser Gott!“ sangen, zum Andenken daran, daß Luther bei seinem Aufenthalte in Weimar von seiner Wohnung im Vorwerke durch dies Gäßchen in die Stadtkirche gegangen, um zu predigen, und daß er selber einst in Eisenach ein armer Currendschüler gewesen sei. Jetzt ist das Alles anders geworden; die heute sogenannte Luthergasse entspricht nicht eigentlich unserem Luthergäßchen von damals, und der alte Brauch, am 31. October dort das Lutherlied zu singen, hat auch schon seit einer Reihe von Jahren aufgehört. Damals aber, im Anfange der vierziger Jahre, zogen wir großen und kleinen Mädchen in später Abendstunde, ich meine, es wäre um acht Uhr gewesen, zusammen in’s Luthergäßchen. Und wenn wir dann wieder nach Hause kamen und uns im traulichen Stübchen erwärmt hatten, dann holte der Vater ein altes Erbstück hervor, ein ganz vergriffenes Buch; ich weiß nicht einmal, ob es lateinisch oder deutsch geschrieben war; ich erinnere mich aber sehr gut und werde es nie vergessen, so lange ich selbst noch den Reformationstag auf Erden mitfeiere, wie er dann mit seiner armen, kranken Stimme vorlas: „Irmensula Lutheri oder Irmensäule zum Ehrengedächtniß des großen Lutheri“.

Margaretha Lutherin,
eine geborene Lindemännin aus Eisenach.

Und dann folgte, ein Jahr wie das andere, die ausführliche Beschreibung, wie dasjenige Haus, darin Luther zu Eisleben geboren worden, von dem Rathe daselbst auferbaut und am 31. October 1693 zu einem Almosenhause, auch Schreib- und Rechenschule eingeweiht worden, welches der Schreiber des Buches, Herr Gottfried Vogler, Stadtvoigt zu Eisleben, der ganzen evangelischen Kirche durch sein Schriftlein wollte kund machen. Und dann erzähle uns der Vater mehr als er las, obgleich er das Buch immerfort in Händen hielt, ausführlich, wie Luther’s Mutter Margaretha, geborene Lindemann, am 10. November 1483, Abends elf Uhr, in diesem Hause ihr Söhnlein Martin geboren, der dann später durch Gottes weisen Rathschluß der große Reformator geworden sei. Und wir beklagten gar sehr die arme Frau und das kleine Kind, das fast wie unser liebes Jesulein, ohne Vorbereitung auf der Welt empfangen worden war; denn seine Mutter war nur von Mansfeld nach Eisleben zum Jahrmarkte gegangen, und da wurde unerwartet das Söhnchen [046] geboren, in dem Hause, das vor Jahren die „Gartenlaube“ schon zur Anschauung gebracht hat. Und als der damals ungebeten gekommene Erdengast längst von der Welt geschieden, ist das Häuschen „zu mehreren Malen in großer Feuersgefahr gewesen, aber immer wunderbarlich daraus gerettet worden“. Zum Exempel Anno 1653, wo fast zweihundert Häuser und Scheunen rund um genanntes Häuslein im Feuer darauf gegangen, ist dasselbe auch durch göttliche Schickung erhalten geblieben. Aber Anno 1689 ist es doch durch das grausame Element zerstört worden, und da hat sich denn der gottesfürchtige Rath zu Eisleben entschlossen, unter Mithülfe anderer Städte (wir besitzen noch den Rathsbrief, unterzeichnet von dem Stadtvoigt, den Richtern und dem Rathe, an die Stadt Rostock in dieser Angelegenheit), „solches Haus als ein ewiges Gedächtniß nicht allein zu conserviren, sondern auch eine Schule für die gar kleine Jugend darinnen anzurichten.“

Das damals erbaute Haus wurde eine Freischule für arme Waisen, die freilich im Lauf der Zeiten nur nothdürftig ihr Leben fristete, bis Friedrich Wilhelm der Dritte die Schule in seinen Schutz nahm und sie zur Luther-Freischule erhob. Jetzt steht ein gar stattliches Gebäude, das Lehrer-Seminar, hinter dem alten Lutherhause.

Das las unser Vater uns jeden Luthertag vor, das wurde für uns die lebendige Irmensula Lutheri. Die einfache Erzählung wurde die Grundlage für unsere Kenntniß der Reformationsgeschichte, sie umhegte unsern Katechismus wie ein immergrüner Zaun, an dem wir zu jeder Zeit Blüthen und Früchte pflücken konnten. War die Lectüre beendet, dann öffnete der Vater die graue Mappe, die wir Alle kannten, darin lag, sorgfältig zwischen Seidenpapier verwahrt, das Bild der Mutter unseres Luther, das mein Vater schon von seinem Großvater ererbt hatte und das nun in meinen Besitz übergegangen ist. Damals hatte ich keine Idee, daß es mir eines Tages leid sein würde, die vergriffenen Enden und Ränder des Bildes durch Abschneiden des ausgefranzten Papieres „ordentlich“ gemacht zu haben: der Name des Malers und des Kupferstechers sind dadurch verloren gegangen. Es mag wohl aus einem Druckwerke stammen; denn es war im 18. Jahrhundert gebräuchlich, schöne werthvolle Stiche aus den Büchern herauszuschneiden und sie zum Zimmerschmuck zu verwenden. So sind aus dem mir von der königlichen Bibliothek in Berlin wohlwollend übersandten Werke: „Das Leben Hans Luther’s und seiner Ehefrau Margarethe Lindemännin etc.“ (herausgegeben von Friedrich Sigmund Keil, Rev. Min. Cand. Leipzig, verlegt von Michael Blochberger, Buchhändler, 1752), dessen Titelblatt ausdrücklich sagt: nebst ihren Bildnissen, und in dem von der Universitätsbibliothek in Bonn freundlich zur Benutzung überlassenen „Leben, Meinungen und Schicksale des Martin Luther, mit Kupfern von Joh. Friedr. Wilh. Motz“ (Halle, Joh. Jac. Gebauer 1796), die Bildnisse herausgeschnitten. In keines der beiden genannten Bücher paßt jedoch das Format des Bildes, das ich hiermit der Veröffentlichung übergebe. Vielleicht gehörte es zu dem Erinnerungsblatt, das in Nürnberg im Verlage des Balthasar Caymex von Ludwig Lochner auf einem Regalbogen gedruckt und „zu unseres Luther’s Eltern allerseligem Gedächtniß“ herausgegeben wurde; leider kann ich nicht vermelden, in welchem Jahre solches geschehen. Vielleicht weiß einer der gelehrten Herren Kupferstichsammler, woher unser in der Schabmanier oder Schwarzkunst gearbeitetes Bild eigentlich stammt.

Bei jeder künftigen Wiederkehr des Reformationsfestes aber und des Geburtstages Luther’s sollte eine Erinnerung an die Mutter des großen Mannes eine bescheidene „Irmensul Lutheri“ werden, als Festzugabe für jene Tage.

Zwischen Salzungen und Eisenach liegt das kleine Dorf Möhra. Dort lebte in dürftigen Verhältnissen ein rechtschaffener Bergmann und Schieferhauer, Hans Luther, unseres Martin’s Vater. Er stammte aus einer gar ansehnlichen Familie; schon in einer vom Kaiser Rothbart gestifteten Kirche in Ingingen in Kärnthen ist eine der in Stein gehauenen Figuren mit dem Namen Lutherus bezeichnet. Das will freilich nicht viel sagen, da man ja auf diese Weise auch des frommen Ludwig Sohn Lothar, im 9. Jahrhundert, als den Ahnherrn des Reformators ansehen müßte. Sicherer ist, daß seine Familie mit dem alten Siegel Derer von Luther siegelte , welche durch Kaiser Sigismund im 14. Jahrhundert Adel und Wappen erhalten hatten, ja, daß selbst unser Martin sich dieses Siegels bediente, bis er in seines Herzens tiefer Noth, als alle Welt ihm nach Leib und Leben gestanden, sich eines neuen Siegels bediente, das symbolisch sein Vertrauen und seine Gläubigkeit ausdrückte: die aus des Vaters Siegel beibehaltene Rose im himmelblauen Felde, „mit einem grünen Kränzlein umgeben, und mitten in der Rose ein Herz, und auf dem Herz ein golden Kreuz, dazu geschrieben stand: des Christen Herz auf Rosen geht, wenn’s mitten unter Dornen steht.“ – Vermeine übrigens, der Martinus Luther wird’s mit den Ahnen gehalten haben, wie der Kaiser Napoleon, der seinen mühsam von schmeichlerischer Hand zusammengestellten Stammbaum in Stücken zerriß, weil mit ihm selbst ein neues Geschlecht beginne.

Wie der Vater unseres Luther die Bekanntschaft seiner späteren Eheliebsten gemacht, wird uns nirgends berichtet. Wir wissen nur, daß er zur Führung seiner Haushaltung zu seiner Gehülfin Jungfer Margarethen, aus dem alten Geschlecht der Lindemänner zu Eisenach erwählte und sich mit derselben ehelich trauen ließ. Jahr, Monat und Tag, wann solches geschehen, können wir ebenfalls nicht mehr genau angeben; es mag um 1479 gewesen sein. Wie alt sie war, als sie in den Ehestand trat, ist auch nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Wohl aber wissen wir, daß ihre Eltern sie zu aller Gottesfurcht, Haushaltung und anderen Tugenden erzogen, sodaß, „obgleich sie ebenfalls kein großes Vermögen besessen, Hans Luther doch seine eheliche Liebe auf sie warf“. Abweichend von anderen Berichterstattern erzählt Magister Nicolaus Rebhahn in seiner Kirchenhistorie, daß sie bei Luther’s Geburt bereits von Möhra nach Mansfeld gezogen waren. Sie waren recht arm, Hans und Margarethe; „Gott hatte ihnen aber Beiden einen festen Körper gegeben, sodaß sie ihren Beruf sorgfältig und unverdrossen in Acht nehmen konnten.“ Der Vater arbeitete unermüdlich im Bergwerk, die Mutter trug ihr Holz auf dem Rücken heim; ihr großer Sohn berichtet uns selbst, daß sie „sich’s haben blutsauer werden lassen, wie es zu seiner Zeit fürwahr die Leute nimmer thäten“. Und wie sie hart und streng gegen sich selbst sein mußten, so waren sie’s auch gegen ihre Kinder, deren sie eine große Zahl hatten, denn gegen die gewöhnliche Annahme von sechs Kindern spricht Luther selbst in seinen Briefen, indem er neun Schwäger, die Männer seiner Schwestern, erwähnt.

Die uns mit Namen bekannten Kinder sind, außer zwei an der Pest verstorbenen Söhnen: unser Martin, Jacob, Barbara, Dorothea, Maria, Katharina. Die Mutter mag wohl ein hart Stück Arbeit bei der Erziehung der vielen Kinder gehabt haben, da der Vater viel aus dem Hause sein mußte, und unser Luther preist noch in späten Jahren der Eltern große Strenge an ihm, wenn er auch nicht verkennt, daß, obgleich sie es gut meinten, sie doch nicht die Charaktere zu unterscheiden wußten, nach welchen Strafen einzurichten. Er wurde gar hart gehalten, die Mutter stäupte ihn einst wegen einer geringen Nuß bis auf’s Blut. Und als sie ihn in die Schule brachten, er war damals so klein, daß der Vater ihn auf den Armen dahin tragen mußte, da wurde er auch nur der Strenge, nicht der Nachsicht des Lehrers empfohlen, und der gebrauchte das ihm verliehene Recht in vollem Maße; fünfzehnmal hat er den armen Martin in einem Vormittag „gestrichen“. Er wurde schüchtern, der arme Knabe, und bekennt selbst, daß ihn die übergroße Strenge später in’s Kloster getrieben habe.

Aber der große Sohn hielt die Eltern doch bis an’s Ende ihrer Tage hoch und werth, denn er wußte eben, sie meinten es herzlich gut, auch als sie ihm anfänglich die Erlaubniß zum Eintritt in’s Kloster verweigerten und später nur halbe Einwilligung zur Verheirathung mit seiner lieben Käthe gaben.

Was hatten die Eltern nicht um ihn zu leiden gehabt! Als Luther’s Lehre den alten bösen Feind mit Macht und viel List gegen ihn in die Waffen rief, da griff Unverstand und böser Wille auch die Ehre der Mutter an. Man lebte ja in der Zeit des Dr. Faust, der da in Verbindung mit dem Bösen seine Werke vollbrachte, wie das Volksbuch jener Tage uns berichtet, und der Böse, so glaubte die Menge, zog um unter jeglicher Gestalt und verführte die Herzen thörichter Jungfrauen, sodaß sie der teuflischen Buhlschaft sich hingaben, und dies Entsetzliche dichtete der Aberglaube ober vielmehr der böse Wille auch der Mutter Luther’s an. Vor ihrer Verheirathung, so habe sie selbst einer Freundin berichtet, sei ihr der Böse als ein junger Gesell in rothen Kleidern erschienen, und sie sei die Seine geworden, und [047] Luther so des Bösen Kind. (Petrus Sylvius nach P. Kreutz.) Und die arme Frau erfuhr solche gemeine Reden nur zu bald, aber sie ertrug Lästerung und Schmach, Spott und Verachtung um ihres Sohnes willen mit geduldigem Gemüth. War ja doch ihr Eheherr ihr eine feste Stütze in diesem schweren Leid! Und die Achtung des Sohnes, und der mit ihm zugleich am großen Werke arbeitenden Männer, eines Melanchthon und Anderer, mag sie getröstet haben über den Unverstand der Menge, der sie anfänglich wohl tiefer getroffen hat, als man jetzt glauben möchte. Sie war ja auch ein Kind ihrer Zeit und nicht frei von dem Aberglauben derselben, wie Luther uns in seinen Tischreden erzählt, daß seine Mutter viel von ihrer Nachbarin, einer Zauberin, geplagt worden sei, und wie sie dieselbe auf’s allerfreundlichste und herrlichste habe halten müssen, damit sie ihr nicht die Kinder verhexe. Vielleicht wurde sie erst durch die traurige Erfahrung, die sie machen mußte, und durch welche sie die Verblendung des Aberglaubens recht deutlich einsah, die Frau, als welche Melanchthon sie rühmt, „auf die alle anderen ehrlichen Weiber als auf ein Exempel und Vorbild der Tugend sehen konnten.“ Und als im Jahre 1520, am 25. November, Melanchthon sich ein Ehegemahl nahm, da durfte die einfache Frau, die einst das Holz auf ihrem Rücken in’s Haus getragen hatte, um den Ihren die einfache Mahlzeit bereiten zu können, mit ihrem lieben Hans nicht an der Tafel fehlen, ja, Beide saßen unter den Ehrengästen.

Ihre Kinder, und vor Allem ihr herrlicher Sohn Martin, hielten sie sehr hoch und werth; ebenso die Schwiegertochter Käthe und deren Kinderschaar. Wie der Reformator schon früher sein Buch von der Klosterzucht seinem Vater gewidmet hatte, so hat er beider Eltern Andenken dadurch zu verewigen gesucht, „daß er ihre Namen in sein Traubüchlein unter der Formel: ‚Hans, willst Du Grethchen zum ehelichen Gemahl haben?‘ zusammengesetzt und hierdurch seine Dankbarkeit für alle ihre Wohlthaten öffentlich annoch bei ihrem Leben an den Tag gelegt“. Margarethe Luther hatte noch das unsägliche Glück, alle ihre Kinder wohl versorgt und sich und ihren Hans selbst in recht guten Umständen zu sehen. Der Gatte wurde schon wenige Jahre nach ihrer Uebersiedelung nach Mansfeld wegen seiner allgemein bekannten Rechtlichkeit in den Rath des Städtchens gewählt; der Gewinn seiner Arbeit war so beträchtlich gewesen, daß er angefangen hatte, sich ein hübsches Vermögen zu sammeln. Grethe trug nicht mehr das Holz auf dem Rücken aus dem Walde heim, sondern saß ruhig in ihrer blüthenweißen Faltenhaube in ihrem hübschen Häuschen, Kinder und Enkel umgaben sie, und Freude war der tägliche Gast im Hause der alten Leute. Da traf das treue Herz der Gattin der schwerste Schlag; sie verlor am 29. Mai 1530 den wackeren Lebensgefährten, und von der Zeit an neigte sich auch ihre Lebenskraft dem Ende zu. Martinus Luther hatte den Tod des Vaters vorausgeahnt. Ihm träumte nämlich, ein großer Zahn sei ihm ausgefallen, und das deutet in Sachsen der Aberglaube noch bis auf den heutigen Tag auf einen nahen Todesfall in der Familie. Wie Luther sich den Tod des Vaters zu Herzen nahm, berichtet uns Magister Veit Dietrich: seine fürsorgliche Käthe sandte ihm, um ihn zu trösten, auf die Veste Coburg, woselbst er sich während des Augsburgischen Reichstags aufhalten mußte, das Bild seines lieben Töchterchens Lenichen, das er ja auch früh durch den Tod verlieren sollte. Wie sich die alte Frau Margarethe gegrämt, erzählt uns kein Chronist; aber wir wissen, sie starb an ihrer Trauer; ein Jahr nach dem Tode ihres Hans, am 30. Juni 1531, segnete auch sie das Zeitliche. Ihr großer Sohn war in ihrer Scheidestunde von der Erde ihr fern; seine größeren Pflichten gestatteten ihm nicht die weite Reise zur geliebten Mutter. Aber „seine kindliche Pflicht hatte er doch insonderheit in Acht genommen. Als sie von Gott auf das Krankenbett geleget ward, und als er vermuthete, daß dieses ihr letztes Lager sein dürfte, wollte er der kranken Mutter mit Trost beistehen, weil er selbst nicht gegenwärtig sein konnte“. Und so schrieb er ihr den schönen Brief, der uns in seinen gesammelten Schriften aufbewahrt ist, und dessen Anfang und Ende lautet:

„Meine herzliebe Mutter! Ich habe die Schrift meines Bruders Jacob von Eurer Krankheit empfangen, und ist mir ja herzlich leid, daß ich nicht kann leiblich bei Euch sein, wie ich wohl gerne wäre. – Der Vater und Gott alles Trostes verleihe Euch durch sein heiliges Wort und Geist einen festen, fröhlichen und dankbaren Glauben, damit Ihr diese und alle Noth mögt seliglich überwinden, und endlich schmecken und erfahren, daß es die Wahrheit sei, da er selbst spricht: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Und befehle hiermit Euer Leib und Seele in seine Barmherzigkeit. Amen. Es bitten für Euch alle Eure Kinder und meine Käthe; etliche weinen, etliche essen und sagen: die Großmutter ist sehr krank. Gottes Gnade sei mit Euch und mit uns Allen. Amen. Sonnabend nach Himmelfahrt, 1531.

Euer lieber Sohn
Dr.Martin Luther.“

Und im festen Glauben an diese göttliche Barmherzigkeit, in deren Hände sie der ferne Sohn befohlen, ist sie verschieden. Derselbe Geistliche, M. Coelius zu Eisleben, der von den erbleichenden Lippen der Eltern das Bekenntniß ihres Glaubens gehört, der Margarethen und ihrem geschiedenen Eheherrn den letzten Segen nachgesprochen, hörte auch von dem sterbenden Reformator, „dem lieben Mann Gottes“, fünfzehn Jahre später die letzte Anrufung des göttlichen Namens.

Die allbekannten Züge Luther’s finden sich in dem Gesicht der Mutter treulich wieder. Es liegt etwas Festes, Entschlossenes um diese Lippen, ein klares und verständiges Ausschauen in diesen Augen; Strenge, ja wohl Eigensinn in dem breitauslaufenden Nasenrücken; behäbige Lust am Leben in dem weichgerundeten Kinn. Und so mögen diese Zeilen ihr Angedenken unter den deutschen Frauen wieder lebendig machen, damit die Frau, die uns den starken Glaubenshelden, den großen Dichter erzogen, nicht vergessen werde. Möchten diese Worte zu ihrer Erinnerung ebenfalls sein eine bescheidene Irmensul Lutheri!

L. Schneider.