Die New-York-Erie-Eisenbahn
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Während des alten Englands Weltreich von den Fluthen des Oceans getragen wird, während an seine Herrschaft zur See sich der Bestand seiner Herrschaft zu Lande knüpft, – über alle die weiten Länderstrecken, welche seinen ungeheuern Besitzstand ausmachen, und über alle die Völker, welche das britische Dreizack als hörige Hintersassen jenem kleinen Eiland unterworfen, welches seine Flotten in alle Meere sendet, den Umlauf der Güter zwischen den Welttheilen vermittelt, und das Herz für den Kreislauf der Industrie ist, deren Arterien und Venen Leben und Wärme in die entferntesten Glieder unsers Weltkörpers bringen: – hat das junge Amerika sowohl in’s Meer, wie in die Landveste die Wurzeln seiner Macht getrieben, und seine künftige Weltherrschaft auf beiden Fundamenten zugleich gegründet. Der Geist Amerika’s ist eben so sehr auf die Machtentwickelung zur See als zu Land gerichtet. Während es sich in der Herrschaft über die Meere keck als Rival Englands aufwirft, ist es rastlos bemüht, seine Herrlichkeit über das prächtigste der Kontinente auszubreiten, die unermeßlichen Gefilde voller Naturreichthümer von den zahlreichen rothhäutigen Völkerschwärmen zu befreien und die Prairien und Urwälder dem Ackerbau und der Gesittung zu gewinnen. Reichend von den kanadischen Seeen bis zum Meerbusen von Mexiko, von dem goldenen Thor des stillen Oceans bis nach Governers Eiland, dessen Veste sein neues London vor den Gelüsten des Ostens schützt, hinübergreifend nach den Gestaden Asiens und stolz und drohend herüberschauend nach den Küsten Europa’s, stellt es sich als ein modernes Reich der Mitte dar, dem alten zu vergleichen, wie ein Jüngling dem abgelebten Greise, wie die Macht der Unmacht, wie die Stärke der Hinfälligkeit. Ruhend auf der größten Masse des Erdelements in der neuen Welt, im Charakter seines Volks das Cyklopenartige, Erdhafte, Beharrliche und Beständige mit plastischer Beweglichkeit, feurigem Thatendurst, trotziger Willensfestigkeit und berechnendem Verstande vereinigend, im Gelde und im Erwerb den Nerv irdischer Macht und seiner Lebensthätigkeit vorzugsweise erkennend, immer aber die Kirche der Freiheit, die es auf hohem Fels aufgerichtet, als Nationalheiligthum und als die Quelle aller Wohlfahrt betrachtend: – sehen wir in Amerika die Wiege neuer
[148] Zeiten stehen, und neuer Formen für Glauben und Gesellschaft. An seine Pforten ist die Verheißung geschrieben: es werde auch einst in Europa den Abgrund schließen, in dem ein verderbtes Geschlecht um seiner Feigheit, Niederträchtigkeit, Indolenz und Eigenliebe willen den Weg der Buße wandelt.
Die wirksamsten Elemente, welche eine neue, bessere Zeit vorbereiten: – das Anpassen der Erfahrungswissenschaften an die Fassungskraft der Massen, das Popularisiren der nützlichsten Kenntnisse und jene großen Hebel zur Gemeinschaft der Volksinteressen – Dampfschifffahrt, Telegraphendrähte und Eisenbahnen, wurden daher von keinem Volke der Erde schneller, vollkommener und ausgedehnter begriffen, gewürdigt und angewendet, als von dem amerikanischen, und waren nirgends mehr am rechten Ort als auf der Landfeste, deren Borde beide Weltmeere netzen, deren Größe unserm ganzen Welttheil nahe kommt, und wo, statt sich mit Brustwehren, Wällen, Gräben, Festungen und stehenden Heeren zu umgürten, der lebendige Odem der Selbstregierung und der Freiheit die ganze Nation zum rechten Bewußtseyn der Unüberwindlichkeit gehoben hat. Ein Amerikaner, Foulton, war es, der das erste Dampfschiff baute; und Amerika’s Dampfmarine übertrifft jetzt an Zahl und Tonnengehalt die der übrigen Welt. Der erste elektrische Telegraph wurde vor 2 Jahrzehnten von Washington nach New-York gelegt; und die Länge aller Drähte in der Union ist jetzt 28,000 Meilen; 1830 begann der Eisenbahnbau in den Vereinigten Staaten; der fertigen und im Bau begriffenen Eisenwege sind jetzt über 380 und ihre Gesammtlänge ist 30,000 Meilen; mehr, denn die Eisenbahnen der ganzen übrigen Welt.
Die erste Eisenbahn, welche in der Union entstand, war eine kurze Strecke im Staate Massachussets, 4 Meilen lang, und bestimmt, Eis von einem kleinen See nach dem nächsten Hafen zu schaffen. Sie wurde im Herbste 1830 eröffnet. In demselben Jahre ließ der Staat Süd-Karolina eine Eisenstraße von Charleston, seinem Haupthafen, nach Augusta im Staate Georgien beginnen. Die Entfernung war 135 Meilen. Diese Bahn wurde 1833 dem Betrieb übergeben; sie hatte 1,400,000 Dollars gekostet. Das Gelingen dieses schon bedeutenden Unternehmens erweckte in der ganzen Union Pläne zu ähnlichen, und man schreckte nicht mehr vor den größten und schwersten zurück. Das große Unternehmen des von New-York nach dem Eriesee, in einer Entfernung von etwa 500 Meilen, führenden berühmten Schifffahrtkanals war vollständig geglückt und gab eine große Rente; aber je mehr sich der Verkehr an die Vortheile dieser großen Wasserverbindung gewöhnt hatte, je mehr wurde der Umstand fühlbar, daß der Kanal während der Winterzeit gefriert und mehre Monate lang nicht zu befahren ist. Da sprang nun die kühne Idee auf, eine Eisenbahn neben den Kanal zu legen. Diese, die „New-York-Erie-Eisenbahn“, ist immer noch die von einer Gesellschaft ausgeführte längste Bahn in der Welt. Ausgehend vom Mittelpunkte New-York’s, windet sie sich den Ufern des Hudson entlang, und von da durch ein, große Bauschwierigkeiten bereitendes, coupirtes Terrain, nach dem Eriesee, den sie bei Dunkirk erreicht, wo sie mündet. [149] Die Hauptbahn hat eine Länge von 469 englischen (100 deutschen) Meilen. Sie schickt auf verschiedenen Distanzen Zweigbahnen aus, die auch mehre hundert Meilen lang sind. Dieses riesenhafte Unternehmen, das in der Wiegenzeit des Eisenbahnwesens gewagt wurde, drückt die amerikanische Energie aus, welche in einem Sprunge vom erprobten Versuche zu der ausgedehntesten Anwendung übergeht und vor keiner Schwierigkeit zurückscheut. Die Menge der Kunstbauten, Dämme, Brücken und Viadukte ist erstaunenswerth und ihre Ausführung die kühnste, welche man sich denken kann. Das Wunder der deutschen Eisenbahnen, der Viadukt über das Göltzschthal, auf der Leipzig-Hofer Strecke, erreicht eine Höhe von 280 Fuß; die Eriebahn hat einen Viadukt von 484 Fuß Höhe, der eine Schlucht von 275 Fuß Breite mit einem Bogen überspannt, aufzuweisen, und sämmtliche Ueberbrückungen von Thälern, Seeen und Flüssen haben eine Gesammtlänge von nicht weniger als 120,000 Fuß! –
Das erste Projekt zur Bahn wurde schon 1829 entworfen – damals, als kaum die ersten Versuche in England und in Amerika mit den Eisenstraßen angestellt waren. Eine Gesellschaft zur Ausführung bildete sich 1832, und im folgenden Jahre begannen die Arbeiten, die ununterbrochen bis zum Jahre der Eröffnung der ganzen Bahn (1851) fortgingen. Der Bau kostete 24 Millionen Dollars (60 Millionen Gulden), zu dem der Staat einen Zuschuß von 6 Millionen gab. Die Unternehmer hatten gut gerechnet. Dem Verkehr übergeben, stieg die Bahnfrequenz in kurzer Zeit so außerordentlich, daß man schon im folgenden Jahre die Ueberzeugung gewann, daß ein Geleise unzureichend seyn würde für die Beförderung aller der Güter- und Menschenmassen, die sich darbieten würden, und deren progressive Zunahme mit den Kultur- und Kolonisationsfortschritten des Westens in Verhältniß bleiben mußte. In dieser Voraussicht faßte die Gesellschaft den kühnen Entschluß, sofort eine zweite Linie unmittelbar neben der alten zu legen, und sie beschloß, zu diesem Bau das Kapital von 20 Millionen Dollars in dem Maße, als das Baubedürfniß es erheischte, auf Hypothek nach und nach zu leihen. In welchem Lande hätte man 50 Millionen Gulden gegen Prioritätsaktien zum Bau einer solchen Bahn erlangen können? In Amerika, wo der Scharfblick des Kapitals mit seiner Lust, zu erwerben, allezeit Eins ist, war es ein Leichtes; – statt der verlangten 20 Millionen wurden der Gesellschaft nahe an hundert angeboten, sie konnte ihre Prioritäten über Pari verwerthen und es selbst wagen, kurze Rückzahlungstermine festzusetzen, gestützt auf die Vorausberechnung beständiger Zunahme der Bahn-Einnahmen. – 24,000 Arbeiter wurden zum Bau des zweiten Geleises aufgeboten, und dasselbe ist bereits auf den meisten Strecken in Betrieb. Die Bruttoeinnahme der Bahn hat im Jahre 1852 4 Millionen Dollars (10 Millionen Gulden) überstiegen; sie wird im laufenden Jahre die enorme Summe von 5 Millionen Dollars mindestens erreichen, während man die Betriebskosten unter 40 Procent zu reduziren Hoffnung hat. Welch’ eine Prosperität, die um so staunenswerther durch den Umstand erscheint, daß die Bahn die Konkurrenz ihres [150] Nachbars, des Kanals, auszuhalten hat und folglich genöthigt ist, sehr niedrige Frachtsätze zu adoptiren, welche für schwere Güter und Roh-Produkte kaum ein Drittelkreuzer, oder 3 Silberpfennige die deutsche Meile betragen. Wie kleinlich erscheinen daneben die Bewirthschaftungsgrundsätze auf den deutschen Eisenstraßen, wo man hundert und aberhundert Gegenstände des großen Transports durch einen hohen Tarif zur Unbeweglichkeit verdammt, – statt sie zu Faktoren einer verzehnfachten Frequenz und einer doppelten Rente zu machen!
In den Kinderjahren des amerikanischen Eisenbahnwesens hatte man die Gewohnheit, die Mitwirkung von Staatsmitteln für den Bau nachzusuchen, und überall kamen die Regierungen solchen Anträgen und mit größerer Bereitwilligkeit entgegen, als dem Staatskredit allemal zuträglich war. Durch solche Betheiligungen sind in mehren Staaten, namentlich Pennsylvanien, Michigan, Illinois, und Mississippi, große Schulden und schwere Finanzverlegenheiten erwachsen, als der große Bankbruch von 1836 eine Geldkrise über die ganze Union brachte und diese wie ein Hagelwetter das Vermögen von Hunderttausenden zerschlug. Viele damals begonnenen Bauten mußten unterbrochen werden, zum Nachtheile und Schaden der Unternehmungen und zum Ruin vieler Betheiligten. Aber als diese Krise vorüber war, wurden die Bauten überall um so energischer vollendet, und wo dies nicht durch Privatmittel allein geschehen konnte, griff der Staat mit einer Liberalität unter die Arme, die eben nur da Statt finden kann, wo der Staat seines wahren Zwecks immer eingedenk ist, und wo die Selbstregierung der Bürger vor jeder Verfälschung seines Wesens und der Begriffe über dasselbe wahrt. Auch die Unionsregierung blieb in der Förderung der Eisenbahnbauten nicht zurück. Der Kongreß sprach den Grundsatz aus, daß auch der Gesammtstaat jedes gemeinnützige, den Bürgern des Einzelstaats Nutzen schaffende Unternehmen mit seinen Mitteln und Kräften zu unterstützen die Verpflichtung habe und bekannte, daß für jede große Eisenbahnlinie, deren Erbauung als eine dem Gesammtwohl dienende erkannt sey, durch Schenkung von Kongreßländereien beigesteuert werden solle. So bewilligte schon im Jahr 1850 der Kongreß dem Staate Illinois nicht weniger als 2,700,000 Acres Kongreßland als Geschenk zur Herstellung der großen Centralbahn, und da die Ländereien rechts und links der Bahnlinie lagen, so konnten sie weit über den Kongreßpreis verkauft werden. Man schätzte dies Geschenk auf nicht weniger als 18 Millionen Dollars (45 Millionen Gulden!). Seitdem und bis zum Jahre 1853 sind die Dotationen von Staatsländereien zur Unterstützung von Eisenbahn- und Kanalbauten auf 21 Millionen Acres angewachsen, zum Werthe von nahezu 100 Millionen Dollars. Welcher andere Staat kann sich nur im Entferntesten solcher Förderung des Unternehmungsgeistes der Bürger für Werke des öffentlichen Nutzens rühmen, und in welchem Kontraste treten zu jener Munificenz einer bürgerlichen Selbstregierung die Besteuerungen, die lästigen Kontrollen und Bevormundungen mancher Regierungen in Europa, die doch beständig die [151] Sorge für das Staatswohl im Munde führen? – Deutschland hat gegenwärtig 1300 geographische (6500 engl.) Meilen Eisenbahnen in Betrieb; Belgien und Holland 200 Meilen; Frankreich 600 Meilen; England 1500 Meilen (7500 englische Meilen); Rußland 300 Meilen; Italien, Spanien, Ungarn, die Schweiz 400 Meilen; ganz Europa also etwa 4300 geographische, oder 21,000 engl. Meilen. Gegenwärtig sind in der Union 15,400 engl. Meilen im Betrieb, 14,000 Meilen sind im Bau; weitere 6000 Meilen sind projektirt und zur Ausführung vorbereitet. In den nächsten 5 Jahren wird die Union von einem Eisenbahnnetz übersponnen seyn, das die Häfen des stillen Oceans mit denen des atlantischen Meeres verknüpft und die Union von Nord nach Süd in 5 parallelen Linien von einem Ende zum andern durchschneidet und 700 Millionen Dollars gekostet hat. Die gesammten Einnahmen der nordamerikanischen Bahnen überstiegen im vorigen Jahre bereits die enorme Summe von 21 Millionen Dollars oder 52 Millionen Gulden.
Zu keiner Zeit war der Eifer für den Ausbau des amerikanischen Eisenbahnnetzes so groß, als gegenwärtig, wie schon aus der, unsern europäischen Begriffen ganz unglaublich vorkommenden Thatsache hervorgeht, daß zur Zeit nicht weniger als 14,000 Meilen Eisenstraßen im Entstehen sind und über 600,000 Menschen für dieselben arbeiten! Der tägliche Bauaufwand wird jetzt auf nicht geringer als eine Million Dollar veranschlagt; kein Wunder, daß selbst das reichste und bestrechnendste Volk der Erde es für zweckmäßig finden kann, fremdes Geld zu Hülfe zu nehmen, und die hohen Procentsätze, die es geben kann, jetzt selbst Deutsches Kapital hinüberführen, um die Eisenstraßen der Union mitzubauen und an den Vortheilen Theil zu nehmen, welche diese Unternehmungen, bei verständiger Anlage, fast ohne Ausnahme in einem Lande gewähren, wo keine raubsüchtige Finanz darauf bedacht ist, die Rente zu schmälern und zu regeln, den Erwerb zu besteuern und zu bevormunden, und auf die freie Entwickelung der Landeswohlfahrt in einer andern, als förderlichen, aufmunternden Weise einzuwirken.
Obschon die Preise des Handlohns in Amerika im Durchschnitt reichlich viermal so hoch sind, als auf dem europäischen Festlande (der Tagelohn eines Erdarbeiters an den Eisenbahnen ist in den Oststaaten ¾ bis 1 Doll., im Mississippithale 1¼ bis 1½ Doll., in Oregon und Neu-Mexiko 2½ bis 3 Doll., in Kalifornien 4 bis 6 Doll.), so bauen doch im großen Durchschnitt die Amerikaner ihre Eisenbahnen um die Hälfte wohlfeiler und in der halben Zeit als wir Europäer. Warum? Nicht weil der Grund und Boden für die Bahnsohle weniger kostet; denn das will zum Gesammtaufwand wenig sagen: auch nicht weil das Material (Steine, Holz, Eisen) weniger gelten; denn Produktion und Zurichtung dieses Materials kosten des theuern Handlohns wegen nicht weniger, sondern oft viel mehr als in Europa; sondern weil man ohne Pedanterie und ohne gouvernementale und büreaukratische Bevormundung baut, nur auf das Nothwendige sieht, und allen unnützen Luxus, wie er z. B. auf deutschen Eisenbahnen sich auf den Bahnhöfen und in den Kunstbauten etc. so breit macht, vermeidet. Die theuersten Bahnen der Union [152] haben nicht über 45,000 Dollars die engl. Meile zu bauen gekostet (in Deutschland 120,000 Dollars, in Frankreich sogar 180,000 Doll.); und im Süden und Westen sinken die Baukosten öfters unter 20,000 Dollars herab. Der Yankee, der weiß, welcher Segen seinem Gute erwächst, wenn es eine Eisenbahn durchschneidet, weit entfernt, die Expropriationsgesetze als eine Gelegenheit auszubeuten, ein Stückchen Feld zum 10fachen Preise zu verwerthen, schenkt in der Regel das erforderliche Terrain für die Bahnsohle, und größere Güterbesitzer wetteifern mit einander in Anerbietungen zu unentgeltlichen Leistungen, sobald ein Eisenbahnprojekt, das ihre Besitzungen berührt, auftaucht. Das alte Bausystem auf dem europäischen Kontinente, welches noch gegenwärtig, namentlich bei den deutschen Bahnbauten, in Ausübung gebracht wird, haben die praktischen, gescheidten Amerikaner längst verlassen, und in diesem Umstand ist der eigentliche Schlüssel ihres schnellen und wohlfeilen Bauens hauptsächlich zu suchen. Jedes Eisenbahnunternehmen in Amerika wird durch zwei Gesellschaften ausgeführt: – die Finanzgesellschaft, welche das Kapital hergibt, und, als künftige Eigenthümerin, die Bahn für ihre Rechnung betreibt, – und die Baugesellschaft, repräsentirt durch einen Hauptunternehmer, welcher nach sorgfältigen Voranschlägen und strenger Prüfung derselben, für ein Pausch- und Bogen-Quantum die ganze Bauausführung, die Betriebseinrichtung mitbegriffen, übernimmt, und bei so und so viel 1000 Dollars Entschädigung für jeden Tag Verspätung die Verbindlichkeit eingeht, die Bahn zum Betrieb fertig in der kontraktlich festgestellten Zeit der Finanzgesellschaft zu übergeben. Dadurch werden nicht bloß die bei fast allen europäischen Bahnbauten nach dem alten System, – nach welchem alle einzelnen Arbeiten sektionsweise an einzelne Unternehmer verdungen werden – erfahrungsmäßig Statt findenden, großen, manchmal das alterum tantum erreichenden Ueberschreitungen des Voranschlags vermieden, sondern es wird auch das Verschleppen der Bahnvollendung (manchmal auf das Doppelte der veranschlagten Frist) in Folge des Umstands, daß einzelne Unternehmer die Fristen nicht einhalten und die Materiallieferungen sich verspäten, – verhütet; denn die Finanzgesellschaft hat es allemal mit einer Baugesellschaft von großen Mitteln zu thun und ist durch Kautionsleistungen für alle Fälle vollkommen sicher gestellt. Im Gegensatz zu den kontraktlichen Verzögerungsbußen offeriren die amerikanischen Finanzgesellschaften gemeinlich den Bauunternehmern Prämien für jeden Tag einer frühern Bahnübergabe, und die Erfahrung hat gezeigt, daß bei diesem vortrefflichen und bewährten Bahnbausystem in hundert Fällen kaum einer vorkam, wo die Baugesellschaft Entschädigung zu zahlen hatte, sie vielmehr in den meisten Fällen die Prämie zu erwerben gewußt hat. Time is money! (Zeit ist Geld!) und wenn das Wort irgendwo eine ganze Wahrheit ist, so ist’s beim Eisenbahnbau, wo es während der Bauzeit Millionen Baukapital zu verzinsen gibt.
Nehmen wir z. B. an, daß eine Bahn 20 Mill. Gulden Baukapital erfordere. Zu 5 Procent verlangt dies also eine jährliche Zinsausgabe von 1 Million Gulden, oder etwa 20,000 Gulden jede Woche. Wird die Bahnvollendung [153] nur um einen Monat verschleppt, so verursacht dies also einen Mehraufwand von 90,000 Gulden; und wie viele deutsche Bahnen könnte ich nennen, deren Vollendung Jahre über die nöthige Zeit hinaus verspätet wurde! Schon die notorisch gewordenen Verzögerungen dieser Art haben beim Bau des deutschen Eisenbahnnetzes einen Mehraufwand von 10 Millionen Gulden veranlaßt, und am häufigsten und schreiendsten kommen sie gerade da vor, wo sie am wenigsten zu entschuldigen sind, bei dem Bau von Staatsbahnen. –
Die Centralbahn von Illinois ist eine merkwürdige Illustration des Yankeecharakters und der Energie, mit der die kaum dem Ei entschlüpften Freistaaten den Weg des Fortschritts gehen. Illinois trat 1818 mit einer Bevölkerung, die damals kaum 30,000 erreichte, in die Reihe der Unionsstaaten. Dreißig Jahre später hatte Illinois 800,000 Einwohner, die sich auf einen Flächenraum von 56,000 engl. □Meilen vertheilten. Trotz dieser noch so dünnen Bevölkerung votirte die Legislatur die Herstellung eines Eisenbahnnetzes von nicht weniger als 1000 engl. Meilen Länge, von dem die Centralbahn den Hauptstrang bildete, der 680 Meilen Länge bekam und 14 Millionen Dollars in Anspruch nahm. Im Jahre 1851 begonnen, ist sie jetzt auf 400 engl. Meilen in Betrieb! Für die Riesenbahn aus dem Mississippithale über das Felsengebirge nach dem stillen Meere, um Kalifornien, Oregon und Neu-Mexiko mit den übrigen Theilen der Union enger zu verbinden, haben sich nicht weniger als drei verschiedene Gesellschaften angeboten, von denen die eine dem Kongreß einen Fond von 100 Millionen Dollars nachwies. Diese Bahn wird 2000–2500 engl. Meilen lang werden und Höhen von 8000, 7000 und 5800 Fuß übersteigern Die von der Union angesprochene Unterstützung soll sich auf den zunächst der Bahnlinie liegenden Landstreifen beschränken, und eine der Gesellschaften will die Verbindlichkeit eingehen, die Bahn, welche auf fünf Sechstel ihrer ganzen Länge Wüsten, Urwald und Gebirge durchzieht und Bauschwierigkeiten bietet, an welche keine Vorstellung reicht, binnen 6 Jahren zu vollenden und gleichzeitig hundert Städte und Poststationen anzulegen.
So sehr alle Regierungen der Unionsstaaten mit andern wetteifern, nach den Grundsätzen ächter Staatsweisheit die Unternehmungen des gemeinen Nutzens in jeglicher Weise zu fördern und auf das Liberalste zu unterstützen, so enthalten sie sich doch prinzipiell bei der Ausführung und dem Betrieb jeder Einmischung und Bevormundung. Sie wissen, daß die büreaukratische Weisheit nirgends gebrechlicher und verkehrter sich zeigt und weniger am Ort ist, als in Sachen der Industrie und Gewerbe, und der Vortheil der Unternehmer mit dem des Publikums nirgends besser Hand in Hand geht, als beim Eisenbahnbetrieb in einem Lande, wo die freieste Konkurrenz jedem Versuche zur unbilligen Uebervortheilung des einen Theils durch rivalisirende Unternehmungen begegnet und [154] ihn züchtigt. Darum sind auch die Tarifsätze der vielen hundert Eisenbahnen, obschon nirgends eine obrigkeitliche Schranke für sie gezogen ist, durchschnittlich viel niedriger als auf den deutschen Bahnen, für welche die Regierungen die Fahrpreise bestimmt haben, und besonders sind sie für schwere, geringwerthige Rohprodukte unglaublich wohlfeil, so daß selbst eine Menge Bahnen die Konkurrenz der Wasserfrachten zu bestehen vermögen. Demungeachtet werfen über hundert amerikanische Bahnen sehr hohe Renten ab; viele geben 10 und mehr Procent Dividende. Im Eisenbahnbetriebe gilt häufig als Grundsatz: um doppelte Rente zu erlangen, muß man die Frachtsätze halbiren.
Die Fahrschnelligkeit auf den amerikanischen Bahnen ist im Allgemeinen geringer wie auf den europäischen und übersteigt fast nirgends 3 geographische Meilen auf die Stunde Fahrzeit. Die Einrichtungen der Wagen sind sehr zweckmäßig, und kürzlich auch auf den österreichischen und würtembergischen Bahnen adoptirt worden. Durch die Mitte der sehr langen Personenwagen läuft ein Gang und rechts und links desselben reihen sich zweisitzige gepolsterte Bänke, eine hinter die andere. Die Lehnen derselben lassen sich vor und rückwärts schlagen, so daß eine Gesellschaft von Vieren sich bequem zusammensetzen kann. Für den Winter kömmt ein Zugofen von Gußeisen, der mit Anthrazit geheizt wird, in jeden Wagen, und die ihm Zunächstsitzenden werden durch Schirme vor der lästigen Wärme geschützt. Einen Klassenunterschied der Wagen kennt man so wenig im freien Amerika, als einen Klassenunterschied der Menschen; der Präsident der Union sitzt in demselben Raume neben dem Taglöhner und verliert nicht ein Jota von seiner Würde durch seine Nachbarschaft. Die Funktion der Kondukteurs beschränkt sich in Amerika auf die Abnahme der Billets, und von einer Fürsorge für die Sicherheit der Passagiere, welche in Deutschland oft unbequem wird, ist so wenig eine Spur, als von der staatsretterischen Wachsamkeit der Polizei, die bekanntlich das Jahr 1848 doch nicht verhindert hat. Im Gegentheil ist eine Sorglosigkeit bemerklich, welche einem Deutschen, welcher daran gewöhnt ist, daß ihn das offizielle Gängelband bei jeder Bewegung vor dem Ausgleiten behüte, Einsetzen einflößen kann. Die Bahnen endigen mitten in den Großstädten; die belebtesten Straßen und Märkte werden von ihnen durchschnitten: und statt eine Hecke von Bahnwärtern aufzustellen, damit kein Unfall begegne, – genügen dem Yankee ein Dutzend Riesen-Plakate in farbiger Schrift mit mannslangen Ausrufungszeichen: „Look out for the Locomotive! Beware of the Locomotive!“ (Siehe Dich nach dem Dampfpferd um! Hüte dich vor der Lokomotive!). Von Zaun, Staket und Barriere ist nirgends etwas zu sehen; man kann 20 Meilen durch den Urwald fahren, ohne einen Bahnwärter zu treffen; statt seiner geht wohl das Wild auf der Bahn umher oder weiden die Kühe auf derselben, und damit diese Spaziergänger beseitigt werden, ohne Schaden zu nehmen, ist jede Lokomotive vorn mit einer riesigen Schaufel aus Bretern versehen, die das Thier säuberlich aufhebt und bei Seite schiebt. – Ich will nicht leugnen, daß die Sorglosigkeit der Amerikaner bei ihrem Eisenbahnbetrieb manchmal weiter geht, als Achtung für Menschenleben rechtfertigen kann; aber die häufigen [155] Unglücksfälle sind doch nicht dieser allein anzurechnen; bei weitem die meisten sind in der Beschaffenheit des Terrains und in dem Umstande begründet, daß die Bahnen auf langen Strecken durch ganz wüste, noch im Urzustand befindliche Gegenden ziehen, durch Sumpf und Wildniß, in denen sie nicht beständig im Paradezustand erhalten werden können.
Neben den Nachtheilen, die an dieser Eigenthümlichkeit haften, bieten sie dem Reisenden eine Abwechselung von Genüssen dar, die er auf den europäischen Bahnen entbehrt. Bald führt ihn die Bahn durch die lieblichen Sitze der jungen Kultur, mitten durch kleine, freundliche, reinliche amerikanische Städtchen von Gestern, deren Straßen mit prächtigen Bäumen bepflanzt sind, und die ihren Wohlstand durch die Menge freundlicher Kirchen und hoher Glockenthürme zu erkennen geben, die zwischen und über den Bäumen hervorragen. Bald eilt er durch einzelne, oder Gruppen bildende Ansiedelungen, vielleicht das Embryo einer City; im weiten Umkreise ist der Wald gerodet und in Felder umgeschaffen, die mit haushohem Mais, oder 100fältig tragendem Weizen bedeckt sind und deren im Zickzack fortlaufende Umzäunungen die Oase der Kultur von der Wildniß scheiden. Bald folgt eine Strecke des wirklichen Urwalds, ein dichter Schluß von Bäumen und Gesträuchen jeden Alters, vom ehrwürdigen Stammvater bis zu den jungen Schößlingen, alle entsprossen dem Humus einer abgestorbenen Vegetation, der Asche früherer Geschlechter. Diese innige Verbindung des frischen Lebens in allen Abstufungen mit der Verwesung des Alten ist das eigentliche Merkmal des Urwalds. Dann und wann fällt der Blick auf eine kleine Lichtung mit einem einsamen Blockhaus, oder auf die malerische Scenerie einer Schneidemühle an einem Wassersturz, deren rohe, plumpe Konstruktion mit ihrer vortrefflichen Maschinerie einen wunderlichen Kontrast bildet. Zuweilen braust das Dampfroß auch an den wieder verlassenen Stellen einer kaum begonnenen Kultur vorüber. Ein elegischer Anblick ist eine so verunglückte Niederlassung! Das Dach des Blockhauses ist eingesunken, die Wände sind auseinander gerückt, die Stämme und Sparren liegen, überwuchert von Schlingpflanzen und in Moder begraben, umher: nur der steinerne Schlot steht noch aufrecht – ein Leichenstein an dem Grabe. Was ist aus den Ansiedlern geworden? Sind sie am Fieber gestorben, oder am vergifteten Pfeil des Rothhäuters, oder sind sie vor den Miasmen der Einöde geflohen? Kein’s weiß Antwort zu geben: kein Griffel zeichnet des Einzelnen Geschichte in der Einsamkeit des Urwalds auf. Clio registrirt nur die Lebensschicksale des Volks; Chronisten des Urwalds hat Amerika nicht.
Ein dem Eisenbahnreisenden auffallender, zwar unschöner, doch interessanter Zug amerikanischer Scenerie ist eine gewisse Eintönigkeit der Landschaft, allem Wechsel zum Trotz. – Sie wird durch die öftere Wiederkehr derselben Bilder hervorgebracht. Die Eisenbahnen suchen, so viel als möglich und, ihrer Natur nach, die geringsten Terrainverschiedenheiten auf und sind inständig bemüht, ihr Niveau zu behaupten; deshalb gelangt man so selten zu einem hinreichend hochgelegenen Punkt, der den Ausblick auf große Gebiete vergönnt. [156] Es ist vielmehr eine beständige Wiederkehr von kleinen Landschaftsbildern, – meistens angebaute Thalstrecken mit Städtchen, Dörfern und Ansiedelungen, – die zum Urwald, der das Land bedeckt, nur wie Oasen in der Wüste sich verhalten. Bloß in den ältern Staaten des Ostens, wo die großen Mittelpunkte des Verkehrs und eine zweihundertjährige Kultur die Bevölkerung gedichtet haben, ist dies anders. Eine üble Gewohnheit der neuen Ansiedler ist es, daß sie innerhalb der gerodeten, dem Feldbau gewonnenen Stellen allen Baumwuchs vertilgen. Man kommt an 100 Farms vorüber, ehe man eine antrifft, wo ein schöner Stamm das Blockhaus beschattet, oder eine Baumgruppe neben einem Stückchen Rasen mit einer Bank der Familie zum Ausruhen oder zur Erholung dient. Nackt und kahl steht die Hütte des Pflanzers zwischen den dürren geringelten Stämmen, oder den hohen Stumpfen, welche die Säge und die Axt stehen gelassen haben. Selbst der deutsche Bauer, der sich von Kindesbein an des Laubdachs erfreute, das die Linde auf seinem Hofe, oder der Apfelbaum am Hause gaben, scheint in Amerika den Sinn dafür verloren zu haben. Was ist der Grund dieser Erscheinung? Doch kein anderer, als der allgemeine Mangel an Phantasie und Gemüth, der am amerikanischen Volkscharakter so sehr auffällt und in allen Dingen zur Erscheinung kommt. Ein Mensch ohne Phantasie genießt so wenig wie das Thier das Naturschöne, das sein leiblich Auge sieht. Nur das werden wir ganz genießen, was unser Geist der Natur andichtet, – unsere Freude an der Natur ist im Grunde mit der Phantasie für dieselbe Eins. Ohne sie gehen wir so gleichgültig durch blühende Paradiese, wie über beschattete Gräber. –
Der Starucca-Viadukt (190 Meilen von New-Uork, 270 Meilen von Dunkirk entfernt) überspannt mit 18 Bogen ein tiefes, von dem Staruccafluß durchströmtes Thal von 1200 Fuß Breite in einer Höhe von 120 Fuß. Dieser kolossale Bau, durchgängig aus großen Sandsteinquadern errichtet, ist eine Zierde der Erieeisenbahn. Er hat 320,000 Dollare gekostet und wurde in der kurzen Zeit von 36 Wochen errichtet.