Die Ruinen von Futtepore in Indien
| Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig. |
Ruinen! Alles, was uns umgibt, ruft: „Ruinen!“ – Kein Auge kann sich aufthun, ohne sie zu schauen; kein Fuß sich erheben, ohne auf eine Welt der Zerstörung zu treten, ja, der Gedanke selbst kann ihnen nicht entgehen. Flöge er an’s Ende der Welt, so träfe er sie; tauchte er in den Grund des Meers, er würde sie finden; senkte er sich in den tiefsten Schacht, er würde ihnen begegnen; stürzte er sich in den Raum des Himmels, er sähe zertrümmerte Sterne auf ungeordneten Bahnen kreisen. Ist nicht unser ganzes Erdendaseyn selbst nur eine Ruine? Wo ist der Glückliche, der sagen dürfte, es sey nicht aufgebaut auf den Trümmern seiner Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche?
Hierin ist wohl auch der eigentlichste Grund für jene geheimnißvolle Anziehungskraft zu suchen, welche der Anblick von Ruinen auf den menschlichen Geist ausübt, und welche oft um so mächtiger wirkt, je großartiger das Bild der Zerstörung ist, das wir betrachten. Schon der stumpfeste Sinn kann keine graue Burgtrümmer sehen, ohne daß ihm die Bemerkung entschlüpfe: „wie hat sich doch die Welt verändert!“ Wie viel lebhafter werden aber die Empfindungen des gebildeten Menschen seyn, wenn er eintritt in die versunkenen Thorhallen Thebens, oder unter den Portikus der Parthenais, oder in die Rotunda des Colosseums, oder in die Straßen Pompeji’s, wo ihn das griechische Leben, wie es vor zwei Jahrtausenden war, so frisch und geistverwandt anweht.
Anders wird er auf den Gräbern der indisch-moslemitischen Kultur empfinden. Diese ist eine Kultur von gestern her, und wie fern und wie fremd ist uns dennoch ihre Erscheinung! Kein Band verknüpft uns mit [92] einer barbarischen Gesittung, welche nie aus dem engen Kreise despotischer Herrscher und ihrer Satrapen drang, und die sich stets nur auf das bitterste Volkselend, durch Sklaverei und Rechtlosigkeit erzeugt, gestützt hat. Kein Gedanke betrauert den Untergang ihrer Paläste und Mausoleen, deren Steine Menschenblut kittete und in deren Pracht und Ueppigkeit das Vermögen, der Wohlstand, das Glück ganzer Völker begraben lag. Der Geist der Humanität, welcher bei einem griechischen Säulenknauf, den ein Brombeerstrauch liebend umrankt, sich wehmüthig erregt fühlen kann, geht froh an den Trümmern solcher Tyrannenherrlichkeit vorüber.
Auch an dir geht er ohne Trauer vorüber, du letzte Trümmer von Akbar’s weltberühmtem Säulenhaus bei Futtepore, – dem Hause jenes gefürchteten Akbar’s, der, der Größte der Moguldynastie, halb Indien verwüstet und sein Eroberungsschwert in das Blut von mehr als einer Million Menschen getaucht hat. Die Werke seiner Pracht sind vergangen nach zwei kurzen Jahrhunderten; sein Geschlecht in ausgerottet; aber seine Unthaten hat die Geschichte in ihr Buch eingetragen. Da werden sie verzeichnet bleiben, nachdem die fortschreitende Gesittung das letzte Kranzblatt falschen Ruhms von seinem Haupte längst gestreift hat.