Die Schildwach am Pulverthurm zu Breslau
Den 21. Juni 1749
Mitternacht ruht auf den Landen,
Doch nicht mitternächt’ge Kühle;
Schwere, bange Mittagsschwüle
Lähmt die in des Schlafes Banden,
Ruhe suchen und nicht fanden.
Finstrer Wetter stumme Schrecken
Starr die stille Stadt bedecken.
Wie das Unglück auf dem Kummer
Einen Krieger blei’rner Schlummer.
Auf der Thorwacht Lager bannet
Ihn ein Traum in Angst und Grausen.
Leichen sieht er, off’ne Grüfte,
Fliegen unter Wetterbrausen.
Und mit lautem Schrei erwacht er,
Andre Schläfer jach erweckend,
Seinen wachen Freund’ erschreckend,
Rings umhüllt in tiefer Trauer,
Fernes Wetterleuchten zittern,
Fühlt der schwülen Stille Schauer;
Fiebernd in ohnmächt’gem Zagen:
Bald nun soll die Stunde schlagen,
Die ihn ruft zum Pulverthurme,
Als die Schildwach nächster Stunde;
Die Begräbnißglocke schlüge,
Ihn die Nacht zu Grabe trüge.
Feigling schilt er sich vergebens,
Wird nicht mächtig seines Bebens;
Sinkt er in des Freundes Arme:
Fühle meines Blutes Wallen!
Soll ich Schildwach eben stehen,
Muß ich sterben! Freund, erbarme
Gehe du zum Pulverthurme,
Geh für mich; es gilt mein Leben!
Lasse mich dir’s ewig danken! –
An des Herzens heft’gem Sturme
Fühlt noch heftiger ihn beben,
Als nun eben Eins die Stunde
Ruft die Schildwach zu der Runde.
Sei es; spricht der Freund. Ich gehe,
Nicht mehr zagen, nicht mehr beben,
Wenn ich, Freund, dich in dem Leben
Nach dem Wetter wiedersehe! –
Nimmt’s Gewehr, und zieht von dannen,
Stehet Schildwach an dem Thurme.
Nacht doch sinkt nun dunkelnder,
Blitze kreuzen funkelnder;
Näher, drohender die trägen
Grasser krächzen von dem Sturme
Wetterfahnen auf dem Thurme:
Wilder Blitze Flammengluthen
Schrecken auch den Wohlgemuthen.
Plötzlich in ein Ziel zusammen,
Stürzet aus dem Sturmgetümmel,
Aus dem Pfuhl der Schwefeldüfte,
Reißt den Thurm in alle Lüfte,
Und ein Ätna kracht gen Himmel.
Wie zum jüngsten Tag’ erwachen
Vom gewitterschweren, tiefen,
Bei dem nie gehörten Krachen
In des Herzens Angst und Kummer,
All’, die nicht dem Herrn entschliefen.
Betend seufzet Schmerz und Klage,
Und er kommt mit grausem Schauer;
Trümmer decken Häuserreihen,
Hundert Menschenleichen weihen
Die da leben all’ in Trauer,
Der Verwundeten fast tausend
Denken dieses Tages grausend;
Schutt begräbt die reichste Habe.
Unter Trümmern, unter Leichen,
Ach, mit bänger’n Herzensschlägen,
Nicht den Qualen zu vergleichen,
Sucht der Freund den Freund in Schmerzen,
Ihn hinaus zur Aue leitet.
In vom Thurme fernem Raume,
Fortgeschleudert, unterm Schatten
Einer hohen, edlen Eiche,
Sie gesehn, auf grünen Matten
Hingestreckt die theure Leiche,
Graus von der Zerschmett’rung Wunden,
Jammerweckend aufgefunden.
Fleiß und frommer Glaube gaben
Trost und Muth; doch dem das Leben
Hat des Freundes Tod gegeben,
Er, nie froh, daß er es habe,
Wandernd in dem Grau’n der Trümmer,
Gram- und leidvoll bis zum Grabe.