Die Sonnenflecken

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Autor: Anton Edler von Braunmühl
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Titel: Die Sonnenflecken
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 208-212
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Sonnenflecken.

Von Professor Dr. A. v. Braunmühl.

Auf unserm Sonnenball war es in der letzten Zeit auffallend lebendig. Man beobachtete dort eine stark erhöhte Thätigkeit, und auf der Erde trat gleichzeitig das Schauspiel des Nordlichts mit besonderem Glanze auf. Die Sonnenflecken, jene räthselhaften Erscheinungen an unsrer Licht- und Wärmespenderin, erschienen in ungewöhnlicher Größe und beschäftigen nunmehr wie je die Gedanken der Himmelsforscher und die Aufmerksamkeit der Laien. So dürfte es nicht unangemessen sein, einmal einen Rückblick zu werfen auf die Entwicklung unserer Kenntnisse von diesem Gegenstand und die gegenwärtigen Anschauungen darüber mitzutheilen.

Soviel uns bis jetzt bekannt ist, sind die Chinesen die ersten gewesen, welche Sonnenflecken gesehen haben; in einer Encyklopädie von Ma Twan Lin finden sich nämlich fünfundvierzig den Zeitraum von 301 bis 1205 nach Christus umfassende Beobachtungen angegeben, in denen die Flecken in Bezug auf ihre Größe mit Eiern, Pflaumen etc. verglichen werden. Von Huyana Capac aber, dem Inka von Peru, der im Jahre 1525 starb, weiß der Spanier J. de Acosta zu berichten, derselbe habe mit freiem Auge Flecken in der Sonne beobachtet und deshalb an ihrer göttlichen Natur zu zweifeln begonnen.

Eine Erscheinung, die mit Sicherheit auf Sonnenflecken zurückzuführen ist, erwähnt auch der Biograph Karls des Großen, der berichtet, vom 16. April 807 an sei ein kleiner, schwarzer Flecken acht Tage lang in der Sonne gesehen worden; den Beobachter führt er nicht an, wahrscheinlich ist derselbe jedoch in der Person Eginhards, des Geheimschreibers von Karl dem Großen, zu suchen. Diese Mittheilung blieb unbeachtet, bis Kepler in seiner Optik darauf zurückkam und meinte, der beobachtete Flecken habe seinen Grund in einem sogenannten Merkurdurchgang gehabt, wobei Merkur zwischen Erde und Sonne zu stehen komme und sich folglich als ein schwarzer Punkt von der Sonnenscheibe abhebe. Diese Anschauung suchte er auch durch eine Beobachtung am 28. Mai 1607 zu bestätigen, die nach seiner Meinung dieselbe Erscheinung betraf. Jedoch schon einige Jahre später, als inzwischen die wirkliche Existenz von Sonnenflecken unzweifelhaft erwiesen worden war, zeigte Galilei, daß Kepler nicht recht habe, und er stützte diese Ansicht mit so triftigen astronomischen Gründen, daß Kepler, der stets der Wahrheit die Ehre gab, bald seinen Irrthum zugestand.

Nun hielt sich Kepler aber für den ersten Entdecker der Sonnenflecken, indem er sich mit Simon Marius verglich, der auch die Jupitermonde zuerst gesehen habe, ohne sie zu kennen; doch wird man diesen Anspruch nicht anerkennen dürfen. Der Ruhm der eigentlichen Entdeckung der Sonnenflecken gehört vielmehr Johann Fabricius (geb. 1587, gest. um 1615), dem Sohne des bekannteren friesischen Astronomen David Fabricius. Johann Fabricius entwirft in dem Werke „Narratio de maculis in sole observatis“ oder „Bericht über Flecken, die in der Sonne gesehen wurden“ (Wittenberg, 1611) eine eingehende Schilderung der Erscheinungen, die ihm im Dezember 1610 das wirkliche Vorhandensein von Sonnenflecken unzweifelhaft machten. Ja er schloß sogar in diesem Werke aus der beobachteten Bewegung der Flecken auf die Umdrehung der Sonne, welche Kepler vorher nur geahnt hatte.

Ohne von der wichtigen Entdeckung des J. Fabricius Kenntniß erhalten zu haben, sah P. Christof Scheiner, Professor für Mathematik und Hebräisch zu Ingolstadt, im März 1611 ebenfalls Flecken in der Sonne, die er in drei Briefen an seinen Freund, den Augsburger Patrizier Markus Welser, einen hochgebildeten Gönner der Wissenschaften, genau beschrieb. Interessant ist es für unsre heutige Anschauungsweise, aus dem ersten Briefe zu sehen, mit welchem Erstaunen Scheiner seine eigene Entdeckung aufnimmt; denn für die noch ganz in der Aristotelischen Ansicht von der absoluten Reinheit der Sonne befangenen Geister der damaligen Zeit war es etwas ganz Unerhörtes, in diesem Gestirn Flecken wahrzunehmen. So sehr waren diese Ansichten eingewurzelt, daß Scheiner, obgleich er die Richtigkeit seiner Beobachtungen mit den scharfsinnigsten Schlüssen zu stützen wußte, dennoch bei der von Welser 1612 besorgten Herausgabe seiner drei Briefe mit seinem Namen nicht hervorzutreten wagte, sondern als „Apelles latens post tabulam“, als „Apelles hinter dem Gemälde“ erschien.

Aber die Zeit der Aristotelischen Weltanschauung war eben vorüber, seit Galilei durch seine gewaltigen Entdeckungen die Beobachtung und die Erfahrung als oberste Grundsätze und Leitsterne der Naturwissenschaft hingestellt hatte.

An ihn, den großen Reformator, sandte auch Markus Welser, der mit den berühmtesten Gelehrten seiner Zeit in Briefwechsel stand, zwei Exemplare der drei Briefe des Apelles. Galilei [210] antwortete am 4. Mai 1612 in einem langen Schreiben, in welchem er bemerkte, daß er dieselben Beobachtungen bereits vor achtzehn Monaten gemacht und sie verschiedenen Freunden mitgetheilt habe.

Wenn nun auch kein triftiger Grund vorhanden ist, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln, so ist Galilei auf die Wichtigkeit seiner Entdeckung doch erst durch die Forschungen Scheiners aufmerksam geworden. Uebrigens erkannte er sofort mit dem ihm eigenthümlichen Scharfsinn die Unrichtigkeit in der Ansicht des letzteren, daß die Flecken von Körpern herrührten, welche sich in sehr engen Kreisen um die Sonne bewegten; er hielt sie vielmehr von Anfang an wegen der verschiedenen Gestalten, die sie annehmen, für wolkenartige Gebilde, die vermöge ihrer verschiedenen Dichtigkeit mehr oder weniger imstande seien, das Licht der Sonne zu trüben – eine Auffassung, die den modernen Anschauungen viel näher kommt als irgend eine andre der damaligen Zeit. Scheiner gab die Unrichtigkeit seiner Ansicht über die Natur der Sonnenflecken sehr bald zu, über die Priorität ihrer Entdeckung aber entspann sich zwischen den beiden Astronomen ein fast zwei Jahrzehnte dauernder Streit, der nur die eine gute Wirkung hatte, daß er lange Zeit die Sonnenflecken in den Vordergrund des Interesses rückte und zwei Werke der beiden Gegner entstehen ließ, die ein wichtiges Material von Beobachtungen enthalten. Merkwürdig ist dabei, daß der eigentliche Entdecker der Flecken, J. Fabricius, von keinem der beiden Nebenbuhler auch nur mit einem Worte erwähnt wird.

Trotz der vorgeschrittenen Ansicht Galileis über die Natur der Sonnenflecken erhielt sich bei seinen Zeitgenossen und auch noch lange nach ihm die ursprüngliche Auffassung Scheiners, daß man es mit Gestirnen zu thun habe, welche die Sonne umkreisten. Ja der Niederländer Malapertius schlug sogar vor, dieselben „österreichische Gestirne“ zu nennen, während ihnen der Franzose Tardé den Namen „bourbonische Gestirne“ beilegte. Andere sahen in den Sonnenflecken eine Art Schlacken, welche bei dem großen Sonnenbrande abgesondert und dann zuweilen als Kometen ausgeworfen würden, damit die Sonne, wie z. B. Simon Marius meinte, „wie ein gebutzt Kerzenlicht wieder heller leuchten könne.“

Von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bis gegen Ende desselben erlahmte allmählich das Interesse an den Sonnenflecken, und wenn sie auch noch von einzelnen beobachtet wurden, so ist uns doch aus dieser Zeit wenig werthvolles Material überliefert. Es scheint eben, daß die Astronomen von damals glaubten, das Ihrige gethan zu haben, wenn sie die Größe und Gestalt der Flecken, ihre Lage auf zwei schmalen zu beiden Seiten des Sonnenäquators verlaufenden Zonen – die übrigens schon Scheiner kannte – feststellten, die Bewegungen der Flecken nachwiesen und daraus die Umdrehungszeit der Sonne berechneten.

Ein Wendepunkt in der Geschichte der Sonnenflecken trat mit dem Jahre 1769 ein, als der englische Astronom Wilson am 22. November bemerkte, daß die Flecken, wenn sie sich in der Mitte der Sonne befinden, zuweilen einen Halbschatten, einen „Hof“, aufweisen, der ihren dunkeln Kern kranzartig umgiebt. Wilson beobachtete am genannten Tage einen großen Flecken und verfolgte ihn bei seiner Bewegung um die Sonne, wobei er bemerkte, daß, je weiter derselbe von der Mitte der Sonnenscheibe gegen den rechten Rand zu rückte, desto mehr der Halbschatten auf der linken Seite des Fleckens verschwand und der schwarze Kern vortrat. Daraus schloß er sofort, daß die Flecken aus tiefen kraterartigen Höhlungen der die Sonne umgebenden glühenden Gasmassen beständen, und er bewies seine Ansicht in einer 1774 erschienenen Schrift durch die zwingendsten Gründe. Allerdings hatte er auch hierin schon, ohne es zu wissen, Scheiner und Leonhard Rost zu Vorgängern, von denen ersterer bereits den Halbschatten entdeckt und letzterer die Sonnenflecken als tiefe Abgründe bezeichnet und sie mit Sonnenvulkanen in Verbindung gebracht hatte, ohne jedoch seine Annahme begründen zu können.

An diese wichtige Entdeckung Wilsons anschließend, begann der geniale Wilhelm Herschel (geb. 1738 zu Hannover, gest. 1822 zu Slough) mit den von ihm selbst gefertigten riesigen Spiegelteleskopen die Untersuchung des Sonnenkörpers. Er kam zu dem Ergebniß, daß die Sonne ein dunkler mit einer durchsichtigen Atmosphäre umgebener Körper sei, auf welcher eine wolkenartige Lichtsphäre (Photosphäre) schwimme. In dieser Lichthülle entstehen zuweilen durch Strömungen von unten nach oben trichterförmige Oeffnungen, und das seien die Sonnenflecken. Der schwarze Kern aber sei der durch eine solche Oeffnung sichtbare Theil des dunklen Sonnenkörpers. Herschel hat seine Ansichten und Entdeckungen, bei denen er, wie immer, seinen eigenen Weg gegangen war, in zwei großen Abhandlungen niedergelegt, die er 1795 und 1801 erscheinen ließ. Lange Zeit blieb dann auch seine Hypothese über das Wesen des Sonnenkörpers die herrschende, da sich alle bis dahin bekannten Erscheinungen damit aufs beste erklären ließen.

Ein vollständiger Umschwung fand jedoch statt, als man die Entdeckung machte, daß die Sonnenflecken in gewissen regelmäßigen Fristen, also „periodisch“, auftraten. Wohl findet sich schon bei einigen Astronomen älterer Zeit eine Ahnung davon, daß die Flecken periodisch sich zeigen: so schrieb Kircher 1639 aus Rom, daß er die Sonne mit sehr vielen Flecken bedeckt gesehen habe und daß eine solche Erscheinung in hundert Jahren kaum drei- oder viermal vorkomme, und ein andrer, Horrebow, giebt 1776 an, daß die Veränderungen der Sonnenflecken häufige seien, daß sich jedoch keine bestimmte Regel dafür finden lasse, nach welcher Ordnung und nach wieviel Jahren dieser Wechsel sich vollziehe; er spricht jedoch die Hoffnung aus, daß man durch eifriges Beobachten schließlich auch hier eine Periode werde bestimmen können.

Dies gelang, als Schwabe in Dessau 1826 seine Beobachtungen begann. Dieser Gelehrte setzte seine Arbeit mit Ausdauer und Umsicht bis in die neuere Zeit fort und konnte am 31. Dezember 1843 aus seinen Tabellen den bestimmten Nachweis führen, daß während der Dauer seiner Beobachtungen ein regelmäßiger Wechsel in der Häufigkeit der Sonnenflecken stattgefunden habe, und zwar in der Weise, daß einer fleckenarmen Zeit (Minimum) nach etwa fünf Jahren eine fleckenreiche (Maximum) und dieser nach weiteren fünf Jahren wieder eine fleckenarme folgte, also im ganzen eine Periode von etwa zehn Jahren sich bemerkbar mache.

Diese Zeitangabe fand eine nähere Bestimmung durch eine Entdeckung, welche zu den merkwürdigsten unsres Jahrhunderts zählt und zum ersten Male einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen in dem Zustand des Sonnenkörpers und den physikalischen Vorgängen auf unserem Erdplaneten erkennen ließ. Der englische General Sabine, R. Wolf in Zürich und Gautier in Genf fanden nämlich fast gleichzeitig im Jahre 1852, daß zwischen der von Schwabe aufgestellten Sonnenfleckenperiode und der Periode, welche die Schwingungen der Magnetnadel aufweisen, eine merkwürdige Uebereinstimmung herrsche. Genaue Beobachtungen hatten nämlich ergeben, daß eine Magnetnadel, deren Stellung bekanntlich eine gewisse Abweichung (Deklination) von der genauen Richtung nach Norden zeigt, täglichen Schwankungen in der Weise unterworfen ist, daß sie zwischen 8 und 9 Uhr morgens ihren östlichsten Stand besitzt, sich sodann bis 2 Uhr nachmittags nach Westen bewegt und bis zum nächsten Morgen wieder in die ursprüngliche Lage zurückkehrt. Den Unterschied der beiden äußersten Standpunkte der Nadel an einem Tage nennt man ihre „Variation“, und man weiß schon seit längerer Zeit, daß dieselbe im Sommer größer ist als im Winter. Durch Zusammenstellung eines größeren Beobachtungsmaterials gelang es nun dem Münchener Astronomen Lamont im Winter 1851/52, eine beiläufig zehnjährige Periode in diesen Schwankungen der Variation der Magnetnadel nachzuweisen, während die drei obengenannten Forscher unter Benutzung dieses Ergebnisses zeigten, daß die Zeitpunkte der größten und kleinsten Variationen mit den Maxima und Minima der Sonnenflecken so vollständig zusammenfielen, daß eine gegenseitige Beziehung der beiden Erscheinungen außer Zweifel war. Wolfs ausschließliches Verdienst aber ist es, durch ein mehr als drei Jahrhunderte umfassendes Beobachtungsmaterial die Länge beider Perioden auf die Dauer von 111/9 Jahren näher bestimmt zu haben, ja es gelang ihm mit einer aus den Beobachtungen der Sonnenflecken gezogenen mathematischen Formel die magnetischen Variationen für spätere Jahre genau vorauszuberechnen, gewiß ein Beweis für den inneren Zusammenhang beider, wie man ihn nicht schöner wünschen kann.

Nachdem nun einmal die Einwirkung der Sonnenflecken auf die Magnetnadel erkannt war, lag es nahe, auch andere Erscheinungen, welche die Variationen der Nadel beeinflussen, in ihrem Zusammenhang mit den Veränderungen des Sonnenkörpers zu betrachten. So kam es, daß man vor allem dem noch immer rätselhaften Schauspiel des Nordlichtes, welches, wie schon Mairan 1733 dargethan hatte, die Magnetnadel in unruhige Schwingungen versetzt, größere Aufmerksamkeit schenkte; und es ist namentlich der im Mai 1863 beginnenden unermüdlichen Thätigkeit des [211] Astronomen Hermann Fritz zu verdanken, wenn wir jetzt mit Bestimmtheit aussprechen können, daß auch diese irdische Erscheinung mit der Sonne in Verbindung steht, und daß ihre Perioden von 111/9, 555/9 und 222 Jahren mit ebensolangen Perioden der Sonnenflecken sich decken, insofern die höchsten Fleckenstände mit der größten Häufigkeit der Nordlichterscheinungen zusammenfallen.

Ueberhaupt spiegeln sich alle bedeutenderen Vorgänge auf dem Sonnenkörper untrüglich in unseren erdmagnetischen Erscheinungen ab. Das merkwürdigste Beispiel hierfür ist eine Beobachtung, welche die englischen Astronomen Carrington und Hodgson, unabhängig voneinander, am 1. September 1859 machten. Während nämlich Carrington mit seinen täglichen Messungen des Sonnenfleckenstandes beschäftigt war, wurde er durch das plötzliche Auftreten zweier Stellen von besonders starkem Lichte, sogenannten „Sonnenfackeln“, die sich häufig mitten in den Fleckengruppen zeigen, überrascht. Dieser starke Lichtausbruch dauerte nur fünf Minuten, legte aber in dieser Zeit auf der Sonnenscheibe einen Weg von ungefähr 7600 Meilen zurück, und zwar ohne in der Fleckengruppe irgend eine Veränderung hervorzurufen. Genau zur selben Minute zeigten alle erdmagnetischen Stationen einen gewaltigen magnetischen Sturm an, dessen Wirkungen bis zum 4. September dauerten. Der telegraphische Verkehr war überall unterbrochen, Funken gingen von den Drähten aus, Polarlichter zeigten sich auf beiden Erdhälften, und die Magnetnadeln konnten keine Ruhe mehr finden und schwankten hin und her, als wenn sie von einem unerklärlichen Schrecken ergriffen wären. Die Sonne war also hier, wie sich Balfour Stewart ausdrückte, bei der Hervorbringung irdischer Erregungen „auf frischer That ertappt“ worden. Worin der Grund zu dieser merkwürdigen Einwirkung der Sonne auf unsere irdischen Verhältnisse liegt, darüber haben wir bisher noch keine absolute Gewißheit, obwohl die in jüngster Zeit von Hertz gemachten großartigen Entdeckungen im Gebiete der elektrischen Wellentheorie die Wahrscheinlichkeit nahelegen, daß die Sonne auf unseren Weltkörper direkt elektrische Ströme induziert und durch diese magnetische Wirkungen verbreitet.

Nicht so glücklich war man bisher in der Auffindung eines untrüglichen Beweises für den unmittelbaren Einfluß der Zustände des Sonnenkörpers auf unsere irdischen Witterungsverhältnisse. Schon Wilhelm Herschel wurde durch verschiedene Ueberlegungen zu dem Versuche geleitet, die Abwesenheit der Sonnenflecken in manchen Jahrgängen mit den Kornpreisen und den Klagen über schlechte Ernten in Verbindung zu bringen, und sein Gedanke hat auch in neuerer Zeit wiederholt zu Untersuchungen über den Zusammenhang der Sonnenfleckenperioden mit den Handelskrisen Anlaß gegeben. So veröffentlichte W. Stanly Jevons 1879 in den „Times“ mehrere Artikel, in denen er aus einem Vergleich der Weizenpreise zu Delhi eine zehn- bis elfjährige Periode nachzuweisen suchte, welche mit der Periode der Sonnenflecken in der Weise zusammenstimme, daß den Jahren der geringsten Fleckenzahl die höchsten Weizenpreise entsprechen. Obgleich nun R. Wolf nachwies, daß Stanlys Zahlen, selbst wenn sie ausreichend waren, dennoch zu diesen Schlüssen keine Berechtigung geben, so wurden doch 1886 dieselben Untersuchungen von F. Chambers in England wiederum aufgenommen und in größerem Maßstabe weitergeführt. Nach seinen Tabellen, welche die Getreidepreise in zehn indischen Distrikten von 1783 bis auf die neueste Zeit verzeichnen, scheint allerdings eine Uebereinstimmung dieser Preisreihen mit den Sonnenfleckenperioden vorhanden zu sein, wenn man eine Verschiebung der Epochen zuläßt, welche Chambers zum Theil auf die Ansammlung von Vorräthen zurückführt. Doch ist diese Art der Untersuchung vom Standpunkt des Meteorologen entschieden zu verwerfen; denn die Güte der Ernten und die Bewegung der Getreidepreise hängt von den verschiedensten Einflüssen ab und gestattet niemals einen sicheren Rückschluß auf die größere oder geringere Trockenheit und Wärme der betreffenden Jahrgänge. Vielmehr gab es nur einen richtigen Weg, den die Meteorologen einschlagen konnten, nachdem sie einmal einen Einfluß der Vorgänge im Sonnenkörper auf unsern Planeten kannten; sie mußten ihr Hauptaugenmerk unmittelbar auf die Temperatur, die Regenmengen, den Luftdruck und die damit zusammenhängenden Erscheinungen richten.

Die Ergebnisse, die hierbei erzielt wurden, lassen sich in kurzem folgendermaßen schildern: Zunächst ist zu bemerken, daß, wie die größte Winterkälte meist erst nach dem tiefsten Stande der Sonne, die höchste Wärme nach der Sommersonnenwende eintritt, so auch die Einwirkungen der Sonnenfleckenperioden, wenn solche vorhanden sind, erst nach dem Eintritt der Maximal- und Minimalstände zu erwarten sind. Außerdem ergaben die Untersuchungen von Köppen in Hamburg 1873 die wichtige Thatsache, daß die von der Fleckenperiode mittelbar oder unmittelbar beeinflußten Schwankungen der Temperatur nicht gleichzeitig auf der ganzen Erde eintreten, sondern zuerst nur in den Tropen, dann, allmählich immer mehr abnehmend, nach den Polen zu fühlbar werden und in den kalten Zonen kaum mehr wahrnehmbar sind. Ferner zeigen die Beobachtungen von 1816 bis in die letzten Jahre, daß wenigstens in diesem Jahrhundert die höheren Temperaturen in den Zeitraum zwischen einem Sonnenfleckenmaximum und einem Minimum fallen, während die niedrigeren Temperaturen in die Zeit zwischen einem Minimum und dem darauffolgenden Maximum treffen und somit als die Wirkungen des vorhergehenden kleinsten Fleckenstandes anzusehen sein dürften. Die Uebereinstimmungen im Wechsel dieser Vorgänge sind so genau, daß man einen ursächlichen Zusammenhang für dieses Jahrhundert kaum mehr leugnen kann. Interessant ist es, nebenbei bemerkt, daß schon Riccioli zu Bologna im Jahre 1651 annahm, daß mit einer Abnahme der Sonnenflecken eine Steigerung der Temperatur zusammenfalle.

Schwieriger gelingt der Nachweis einer Verbindung beider für das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts (1779 bis 1816), da hier merkwürdigerweise gerade die umgekehrten Erscheinungen zutreffen. Ob dieselben nun von dem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Hauptmaximum, der großen 555/9jährigen Fleckenperiode, in noch unbekannter Weise bedingt wurden, oder ob andere Ursachen zugrunde lagen, die stark genug waren, jene Regelmäßigkeit für eine Reihe von Jahren ganz zu verdecken, das ist noch nicht zur Genüge aufgeklärt.

Was nun die Regenmengen anlangt, so sprechen sich Meldrum, Jelinek und Wolf dahin aus, daß die Niederschläge in den fleckenreichen Jahren im allgemeinen größer seien als in den fleckenarmen, und Hahn bemerkt, daß trockene Sommer in den Perioden vom Minimum zum Maximum der Sonnenflecken am häufigsten auftreten. Aehnliches gilt auch von dem Erscheinen der sogenannten „Cirrus-Wolken“, wie ein alter Mitarbeiter der „Gartenlaube“, der Astronom H. J. Klein in Köln, durch zahlreiche Beobachtungen mit Sicherheit nachgewiesen hat. Es sind dies bekanntlich jene feinen, weißen Wölkchen, welche bald flockig ausgebreitet sind, bald in zarten Verästelungen oder auch in langen Parallelstreifen den Himmel überziehen. Dieselben bestehen, wie man jetzt allgemein annimmt, aus Eisnadeln und treten in ihrer größten Häufigkeit nach einem Sonnenfleckenmaximum auf. Da nun diese Wolken, wie allgemein bekannt, die Vorläufer und Begleiter der Regen und Sturm bringenden „Depressionen“ sind, so müssen auch letztere am zahlreichsten in den Jahren mit vielen Sonnenflecken und am seltensten in den Jahren der Sonnenfleckenminima sein.

Im allgemeinen ist wohl zu beachten, daß unsere bisherigen Kenntnisse der besprochenen Erscheinungen noch kaum Schlüsse auf eine längere Zeitperiode und einen allgemeinen Durchschnittsstand der Witterung in größeren Länderstrecken, geschweige denn Schlüsse auf ein einzelnes Jahr und auf Landstriche von geringerer Ausdehnung, gestatten. Aehnliches gilt auch für andere Dinge, wie vulkanische Ausbrüche, zündende Blitze, Hagel, Veränderung der Gletscher und das Auftreten verheerender Heuschreckenschwärme, die in den letzten Jahrzehnten mit den Sonnenfleckenperioden in Verbindung gebracht wurden. Es fehlt eben noch an genügendem statistischen Beobachtungsmaterial – ist dies beschafft, so wird eine spätere Zeit sicher Aufklärung bringen.

So stünden wir denn mit unsrer Geschichte mitten in der neuesten Zeit, und es bleibt uns nur noch übrig, unsere gegenwärtigen Ansichten über das Wesen der Sonnenflecken und des Sonnenkörpers überhaupt in Kürze darzustellen.

Wie schon erwähnt, ist die Herschelsche Theorie von dem dunkeln Sonnenkern unhaltbar geworden, und zwar einerseits und hauptsächlich infolge der Forschungen, welche Kirchhoff durch Anwendung der Spektralanalyse über das Wesen der im Sonnenkörper enthaltenen Stoffe anstellte, andrerseits durch die zuerst von Carrington in den Jahren 1853 bis 1861 genauer untersuchte Eigenbewegung der Sonnenflecken. Obgleich nämlich schon Scheiner 1612 die bedeutsame Bemerkung gemacht hatte, daß diejenigen Sonnenflecken, welche weiter vom Sonnenäquator entfernt sind, [212] sich langsamer bewegen als die ihm näher gelegenen, so blieb doch diese Erscheinung zwei Jahrhunderte lang unbeachtet und mußte, wie es in der Wissenschaft so oft geht, erst wieder neu entdeckt werden. Man erkennt auf den ersten Blick, daß sich die sonderbare Erscheinung durch die Umdrehung der Sonne keineswegs erklären läßt, ja daß in der Eigenbewegung der Flecken vielmehr der Grund dafür lag, weshalb die Astronomen, von Galilei bis auf unsre Zeit, in Bezug auf die Umdrehungsdauer der Sonne zu so wenig übereinstimmenden Ergebnissen gelangten; schwanken doch die von ihnen angegebenen Zahlen zwischen 25 und 30 Tagen!

Carrington unternahm nun eine Reihe von Beobachtungen und fand, daß die Flecken, sobald sich ihr Stand dem Minimum nähert, nach dem Aequator hin zusammenrücken und dort schließlich ganz verschwinden; hierauf erscheinen, gleichsam durch einen frischen Anstoß, plötzlich wieder Flecken in höheren Breiten der Sonne, die sich mit dem Fortschreiten der neuen Thätigkeitszeit wieder gegen den Aequator hin ausbreiten. Wolf, der diese Angaben durch seine eigenen Beobachtungen bestätigt fand, vergleicht die Bewegung der Flecken mit Strömungen, welche von den beiden Polen nach dem Aequator hin gehen; je nach einem Fleckenminimum beginnen solche Strömungen, steigern sich bei gegenseitiger Annäherung in ihren uns als Flecken und Fackeln sichtbar werdenden Wirkungen, bis ein gewisser Höhepunkt erreicht ist und nun eine Ausgleichung beginnt, die zur Zeit des minimalen Fleckenstandes als beendigt betrachtet werden kann. Die Flecken vor dem Minimum sind die letzten Spuren der erlöschenden alten Strömung, die nach dem Minimum die ersten Wirkungen der neuen Strömung.

Aus dieser sogenannten Eigenbewegung der Sonnenflecken schloß nun Secchi 1864 nicht nur, daß die Photosphäre, das heißt die die Sonne umgebende leuchtende Gashülle, wie die Wolken unsrer Atmosphäre beständig in Bewegung ist, sondern auch, daß der sogenannte Sonnenkern kein fester Kern, sondern eine glühende Gasmasse von beträchtlicher Dichtigkeit sei, eine Ansicht, die, durch verschiedene gewichtige Gründe gestützt, jetzt allgemein Eingang gefunden hat. Diejenigen Theile der Masse, welche ihrem Mittelpunkt näher liegen, besitzen nach Secchis Ansicht eine größere Umdrehungsgeschwindigkeit als die Photosphäre. Steigen nun infolge einer gleich näher zu besprechenden Ursache Ströme von Gasmassen aus dem Innern der Sonne an die Oberfläche auf, so kommen sie daselbst mit dieser durch ihre frühere Lage bedingten größeren Geschwindigkeit an und werden deshalb in der Drehungsrichtung der Sonne vorwärts geschleudert, eine Erscheinung, die thatsächlich beobachtet werden kann, wenn man die Entstehung der Flecken aufmerksam verfolgt. Nach dieser Theorie sind also die Sonnenflecken einfach Brüche oder Löcher in den photosphärischen Wolken, welche durch die senkrecht vom Sonnenkern ansteigenden heißen Ströme verursacht werden, sie sind somit Gegenden, in denen eine erhöhte Hitze herrscht. Da die Photosphäre, in welche die Gasmassen durch die senkrecht aufwärts gerichteten Ströme gelangen, ihrem Eindringen infolge ihrer größeren Dichtigkeit einen beträchtlichen Widerstand entgegensetzt, so verlangsamt sich allmählich die Bewegung der emporgeschleuderten Massen, bis ein gewisses Gleichgewicht hergestellt ist, das heißt bis der Flecken dieselbe Geschwindigkeit besitzt wie das ihn umgebende Mittel. Der dunkle Kern, den die durch die hervorbrechenden Gasmassen entstehenden Höhlungen zu enthalten scheinen, rührt nach Secchis Anschauung theils von metallischen Dämpfen her, welche die Lichtstrahlen stärker absorbieren und deren Existenz durch die Spektralanalyse thatsächlich nachgewiesen ist – theils ist er auf eine Wirkung des Gegensatzes der ausgestoßenen helleren Massen gegen die tiefer liegenden Partien der entstehenden Krater zurückzuführen. In der That hat man sich auch bei Beobachtung der Venus- und Merkurdurchgänge überzeugt, daß die scheinbar schwarzen Sonnenfleckenkerne weit heller als diese ganz dunkeln Planeten sind, eine Bemerkung, die schon Galilei 1612 gemacht hatte.

Woher nun jenes Aufsteigen von heißen Gasmassen? Secchi sucht die Veranlassung darin, daß die Photosphäre sich durch fortgesetzte Ausstrahlung in den Weltraum abkühlt; die Gasmassen verdichten sich durch diese Abkühlung, nehmen folglich an Gewicht zu, sinken hinab und verdrängen die wärmeren Massen, welche dann infolge ihres geringeren Gewichtes emporsteigen und so als fleckenbildende Ströme erscheinen.

Der Sonnenkörper befindet sich sonach beständig im Zustand einer kolossalen Bewegung. Manche Flecken bilden sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit und verschwinden wieder ebenso schnell, als sie gekommen. Andere wieder besitzen eine beträchtliche Dauer und können nach Verlauf von drei oder vier Sonnenumdrehungen wenig verändert wieder aufgefunden werden. Diese gehören zu den größten und weisen die tiefsten Kraterbildungen auf, die man beobachten kann. Die Größe der Sonnenflecken ist eine sehr wechselnde, die umfangreichsten besitzen einen Durchmesser bis zu 30200 geographischen Meilen – einen von dieser Ausdehnung hatte z. B. Schwabe in Dessau 1850 beobachtet. Solche Flecken können mit freiem Auge wahrgenommen werden. Die kleinsten hingegen sind nur in den stärksten Fernrohren sichtbar.

Auch ihre Gestalt ist einer fortwährenden Veränderung unterworfen: sie erweitern sich und ziehen sich zusammen, ja sie theilen sich oft in mehrere kleinere, und umgekehrt vereinigen sich kleinere zu einem einzigen Flecken von beträchtlicherer Ausdehnung.

Man erkennt, wie sich alle diese Vorgänge leicht mit der Ansicht Secchis über das Wesen des Sonnenkörpers erklären lassen; nur die Eigenbewegung der Flecken sowie ihr periodisch wechselndes Auftreten bleibt in dieser Theorie unerklärt, und es ist bisher, trotz der verschiedensten Hypothesen, die von anderen Gelehrten wie Zöllner, Young, Faye und Lockyer (1886) aufgestellt worden sind, noch nicht gelungen, eine vollkommen befriedigende Lösung dieser wichtigen Fragen zu erreichen. Vielleicht hat dies seinen Grund darin, daß die Ursachen jener Erscheinungen gar nicht im Sonnenkörper selbst, sondern außerhalb desselben, etwa in der Massenanziehung der Planeten, zu suchen sind.

Schließen wir mit dem Wunsche, daß es auch hier dem nimmer rastenden Menschengeist gelingen möge, in ein Geheimniß der Natur völlig einzudringen, dessen Einwirkung auf die kosmischen Erscheinungen wir bis jetzt wohl theilweise erkennen, aber noch nicht in seiner ganzen Tiefe zu ergründen imstande sind!