Die Vorläufer unserer Neujahrskarten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hans Boesch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Vorläufer unserer Neujahrskarten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 882–884
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[882]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die Vorläufer unserer Neujahrskarten.

Von Hans Boesch.

In der diesjährigen Weihnachtsnummer der „Gartenlaube“ hat Alexander Tille erzählt, wie sich die Christbescherung zum Teil aus dem Brauch der Neujahrsgeschenke entwickelt hat, der, wie bei vielen anderen Völkern, von altersher bei den Römern bestanden hat. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Vereinigung von Glückwünschen für Weihnachten und Neujahr, die sich noch heute auf den englischen „Weihnachtskarten“ (christmas-cards) finden – „eine fröhliche Weihnacht und ein glücklich Neujahr!!“ – von jener Verschmelzung alten Neujahrsbrauchs mit neuer Weihnachtssitte herstammt.

Wenn wir auf die Geschichte unserer deutschen Neujahrskarten, soweit sie sich nachweisen läßt, zurückblicken, so finden wir, daß diese Vereinigung von Weihnachts- und Neujahrsfeier in der Form eines Glückwunsches in Deutschland nie bestanden hat, oder wenigstens nur insoweit, als eben der Anfang des neuen Jahres mit dem Weihnachtsfeste zusammengefallen ist, daß dafür aber auf den ältesten uns überlieferten gedruckten Neujahrswünschen das Christkind, als Patron des Jahresanfangs dargestellt worden ist.

Ein Schriftsteller aus dem Beginne des 16. Jahrhunderts schildert, wie es zu seiner Zeit in Deutschland am Neujahrsfeste gehalten wurde; doch wie damals wird es wohl auch schon Jahrhunderte früher hergegangen sein, denn in jenen Zeiten veränderten sich die Sitten nur langsam. „Zum 1. Januar,“ schreibt er, „zur Zeit, wo das Jahr und alle unsere Zeitrechnung beginnt, besucht der Verwandte den Verwandten, der Freund den Freund; sie reichen sich die Hände und wünschen sich glückliches Neujahr und feiern dann diesen Tag mit festlichen Glückwünschen und Trinkgelagen. Nach althergebrachter Gewohnheit macht man sich auch gegenseitig Geschenke.“ Anstatt der Weihnachtsgeschenke waren damals noch allgemein Neujahrsgeschenke üblich.

Der älteste gedruckte Neujahrswunsch (1466).

Als mit der allgemeinen Verbreitung der Kultur im 14. und 15. Jahrhundert sich auch die Kunst des Schreibens immer mehr ausbreitete, als man unter Verwandten und Freunden anfing, fleißig sich Briefe zu schreiben, gelangte zur Zeit des Jahreswechsels die Formel in Gebrauch: „Gott geb’ Dir und uns allen ein gut selig neu Jahr und nach diesem Leben das ewig Leben. Amen.“

Die Erfindung des Buchdruckes und des Kupferstiches in der Mitte des 15. Jahrhunderts, der rasche Aufschwung, den die graphischen Künste damals nahmen, brachte einen Ersatz für die mündlichen und geschriebenen Glückwünsche: die „gedruckten“. In welcher Ausdehnung die Herstellung der gedruckten Wünsche in der Wiegenzeit dieser Künste erfolgte, kann nicht mehr festgestellt werden, da der größte Teil derselben, wie es bei dem vergänglichen Material derselben begreiflich genug ist, zu Grunde gegangen ist. Der älteste noch erhaltene gedruckte Neujahrswunsch rührt von dem ersten deutschen Kupferstecher von Ruf, dem sogenannten Meister E. S. vom Jahre 1466, her, dessen Namen die Forscher noch nicht bestimmen konnten. Auf einer reich und üppig erblühten, trefflich stilisierten Blume, die das anbrechende Jahr versinnbildlichen soll, steht das Christuskind; es hält ein fliegendes Band mit dem Wunsche „Ein goot selig jor“. Welch großer Beliebtheit sich dieser sinnige Neujahrswunsch, dessen Abbildung hier ihn etwas verkleinert zeigt, erfreute, sagen uns die verschiedenen Kopien, die es von ihm giebt.

Derselbe Wunsch „ein gut selig Jahr“ findet sich auch auf dem Kopfe von Wandkalendern jener Zeit. Auf einem solchen, den Hans Zainer in Ulm für das Jahr 1483 druckte, steht auf der vorderen Randleiste das Christuskind, während in dem quer über den Kalender sich hinziehenden Spruchbande, das wir verkleinert abbilden, der Neujahrswunsch des Buchdruckers steht: „Jhesum und Maria sein mutter klar, wünschet euch Hanns Zainer zum guten Jar.“ Man kommt in Versuchung, diesen Kalender als eine Widmung, als ein Neujahrsgeschenk Hans Zainers an seine Kunden anzusehen, von der Art, wie sie der Buchdrucker der Neuzeit seinen Geschäftsfreunden in das Haus sendet.

Also schon vor mehr als vierhundert Jahren hat man sich durch Karten beglückwünscht und erhielt man zum neuen Jahr einen Kalender mit Glückwunsch, ganz wie heutzutage. Natürlich kamen durch die gedruckten Wünsche die mündlichen und geschriebenen nicht außer Brauch. In den Briefen, die um Neujahr geschrieben wurden, fehlt der Wunsch zu einem glückseligen gnadenreichen neuen Jahr niemals. Die Nürnberger Klosterfrau Brigitta Holzschuherin sandte dem Michel Behaim zum neuen Jahr 1496 folgenden überschwenglichen Glückwunsch: „Jesus Christus der neugeborn Künig mit allem Trost, Freud und Seligkeit, die er uns mit seiner Geburt gebracht hat, besunder mit seiner Kraft wirken den heilsamen Namen Jesu am achten Tag ausgesetzt in der Myrrhen Bitterkeit seines Blutvergießen, in dem Geschmack der Süßigkeit des Weihrauch und Gold seiner unergründten Lieb, wünsch u beger ich dir aus Grund meines Herzen, zu einem guten seligen gnadenreichen neuen Jahr.“ Solchen Wünschen lag dann wohl auch noch Konfekt oder ein Fazenetlein (Taschentuch) als Geschenk bei. Nicht alle Nonnen hatten ein solch demutsvolles, gottergebenes Gemüt. Anna Tucherin, die gegen ihren Willen Klosterfrau geworden war, schreibt zornigen Gemütes an ihre Muhme: „Gott geb ihm ein verdorben Jahr, der mich macht zu einer Nunnen.“

Neujahrswunsch in einem Wandkalender für das Jahr 1483.

Dem besprochenen Urahn unserer heutigen Neujahrskarten können wir eine Reihe sich anschließender Karten, welche den Zusammenhang mit unseren modernen herstellen würden, nicht folgen lassen. Ebenso ist der Kalender des 16. Jahrhunderts ganz wesentlich verschieden von seinem Vorgänger. Es wiederholt sich hier die merkwürdige Erscheinung, daß gerade die Erstlinge irgend einer Kunstübung oder irgend eines neuen Gegenstandes oft auf einer merkwürdig hohen Stufe stehen, von der die Nachkömmlinge schnell und zwar sehr tief herabsinken, um sich manchmal erst in Jahrhunderten wieder zur Höhe der Erstlingsprodukte zu erheben.

Die gedruckten Neujahrswünsche des 16. Jahrhunderts haben zwar mit denen des vorhergehenden die Darstellung des Christuskindes, den tiefreligiösen Sinn gemein; aber man begnügte sich mit so einem Bildchen allein nicht mehr; man war redseliger geworden und hängte demselben noch einen langen Text an, so daß die Wünsche über das Kartenformat hinauswuchsen und zu Plakaten [883] wurden. Aus einem solchen vom Jahre 1564, das sich im Germanischen Museum in Nürnberg befindet, rührt das hier wesentlich verkleinerte Christkind mit der Erdkugel in der Hand her. Es führt den Titel: „Schöne Trostsprüche von dem Kindlein Jesu Christi, den lieben Christen Kindlen zum Neuen Jar zusammengezogen.“ Rings um das Bild sind religiöse Sprüche eingedruckt, deren Inhalt sich auf die Weihnachtsfeier, auf die Geburt und Sendung Christi bezieht und die Kinder zum christlichen glaubensfesten Lebensgange ermahnt. Der Neujahrswunsch war also zunächst für Kinder bestimmt und bildet demgemäß einen Beleg für die weitere Ausbildung der Neujahrswünsche.

Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.

Die Plakatform behielten diese gedruckten Wünsche auch noch im 17. Jahrhundert bei. Infolge dieses großen Formates heftete man dieselben meist an Zimmerthüren oder an die Wand, wie es auf dem Lande mit „Haussegen“ und ähnlichen Blättern heute noch geschieht. An der Wand sind sie dann auch allmählich zu Grunde gegangen, wodurch sich ihre heutige große Seltenheit erklärt. Ihren religiösen Charakter haben die Neujahrswünsche auch noch im 17. Jahrhundert beibehalten; sie danken Gott für das Gute, das er im abgelaufenen Jahre beschert hat, und bitten um ein gutes neues Jahr. Auch hiervon eine Probe:

„Ach, laß dir auch forthin der Zeit
In deinen Schutz und Gütigkeit
Mich und die Mein empfohlen sein,
Thu wohl dem Rat und der Gemein,
Die Kirch und Priesterschaft erhalt,
Im Haus auch mit Ehleuten walt,
Die Handlung, Handwerk, Vieheszucht,
Den Feldbau segne mit der Frucht
Und hab also bei allem Stand
Dein himmelbreite Gnadenhand.
Behüt für Sünden, Schand und Spott,
Für Wasser, Feur und andrer Not,
Daß wir das Jahr in stiller Ruh
Und dir zum Lobe bringen zu,
Und wann der Jahre Ziel vollendt
So hilf uns an der Himmel End.“

Das Christkindchen aber, das die Neujahrswünsche des 15. und 16. Jahrhunderts zierte, ist verschwunden; es hat dem Geschmacke der Zeit entsprechend einer Anzahl schwülstiger Sinnbilder weichen müssen.

Buntdruck aus dem 18. Jahrhundert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahmen auch die regelmäßig erscheinenden Zeitungen ihren Anfang und auch diese nahmen die Sitte an, ihren Abonnenten zum Jahreswechsel Glückwünsche darzubringen. Einer der ältesten der Art findet sich im Jahrgang 1624 der Frankfurter „Postzeittungen“, die wahrscheinlich eine Fortsetzung der im Jahre 1617 vom Postmeister von der Birghden gegründeten Zeitung waren. Der Glückwunsch lautet also: „Demnach das 1624. Jahr hierbei nahet, Als wünsch ich dem gutherzigen Leser durch das Neugeboren Christkindlein unsern lieben Emanuel und Frieden-Fürsten ein frölich antrettend und vielfolgender glückselig fried- und freudenreicher Neuer Jahr, in welchem man Fried und Einigkeit im Heil. Röm. Reich und unter des Adlers Flügeln geruhig und friedlich wohnen und leben mögen, Amen, Amen, Amen.“

Die Neujahrsbriefe wurden in diesem Jahrhundert zahlreicher; man schrieb solche an alle möglichen Gönner, Freunde und einflußreiche Personen, an deren Wohlwollen dem Gratulanten gelegen war. Unterbeamte schrieben sie in „ersterbender Demut“ an ihre Vorgesetzten, die Angestellten der Handelshäuser an ihre Gcschäftsherren etc. Oft waren diese Begrüßungen eine Förmlichkeit, die von der andern Seite mit der Auszahlung vertragsmäßig feststehender „Gratifikationen“ erwidert wurde. Die Neujahrsbriefe, Welche die Beamten, Honoratioren etc. unter sich austauschten, strotzten vom schwülstigen Phrasentum übertriebener Höflichkeit, wobei das Prunken mit Fremdwörtern sich häßlich hervordrängte. Natürlich folgten auf diese Briefe ebenso steife und schwülstige Erwiderungen: „Ich kann nicht anders als mit einem Widerschall antworten,“ schreibt ein Rat in Stettin an einen hohen norddeutschen Geistlichen, „und wünsche mit solchem ardeur als je gewünscht werden kann, daß der Höchste Gott meinem hochgeehrten Herren Ober-Kirchenrath mit aller prosperité an Leib und Seele beglücken und denselben et Ecclesiar et Reipublicae causa noch lange, lange Zeit erhalten, stärken und erquicken wolle.“

Gepresste Rosaseidenkarte aus dem 18. Jahrhundert.

Das 18. Jahrhundert brachte Europa eine merkwürdige Neuerung; aus China gelangte der Gebrauch der Visitenkarten zu uns herüber. Und diese Karten gaben dann – zunächst vornehmlich in England – den Anstoß zur Entstehung einer Reihe anderer, nachdem man gesehen hatte, daß diese Kärtchen, wenn auch etwas gar zu winzig im Format, doch recht praktischer Natur waren. Auch die Neujahrskarten im modernen Sinn, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits in Massen Verbreitung fanden, dürften aus den Visitenkarten hervorgegangen sein. Freilich sind die Neujahrskarten der Zeit der Aufklärung grundverschieden von ihren Vorgängern; das religiöse Moment, das die alten beherrschte, verschwindet vollständig. Die neuen Karten zeigen dagegen Obelisken, Pyramiden u. ä. als Symbole edler Empfindungen, und vor allem Opferaltäre, Altäre mit der Göttin der Freundschaft, dem rosenstreuenden Amor, mit den Grazien, den Musen u. dergl. Eine ganz andere Welt sieht uns aus diesen Kärtchen entgegen. Der Geschmack einer Zeit, in welcher die deutschen Dichter ihre Geliebten, wenn sie sie besangen, mit klassischen Namen, wie Chloë und Phyllis, anredeten, und die ihre Bildersprache dem Wortschatz der griechischen und römischen Mythologie entnahm, spiegelt sich in ihnen. In Goethes und Schillers Jugendzeit, [884] wo unter anderem Rousseaus Einfluß den Hang zur „Empfindsamkeit“ so stark zur Entwicklung brachte, gelangte auch dieses Element auf den Neujahrskarten zum Ausdruck. Die Spruchverse, die auf den Karten den Bildern beigefügt sind, triefen förmlich von überschwenglichen Versicherungen der Freundschaft, deren Erhaltung oft der Hauptwunsch des Gratulierenden ist. Und in Reaktion darauf treten dann zu diesen Karten auch solche von humoristischem Inhalt wie die nebenstehende, welche die frühere Zeit überhaupt nicht kannte.

Die Neujahrskarten des 18. Jahrhunderts sind meist in Kupfer gestochen und koloriert, seltener sind sie in Holzschnitt ausgeführt. In manchen ist ein Raum zum handschriftlichen Eintrag des Wunsches offen gelassen, meist aber sind die glückwünschenden Verse mit Lettern eingedruckt, häufig auf ein eingesetztes Stück von rosa Seide, das dann oft durch eine Klappe geschützt ist. Nicht selten sind die Karten ganz aus rosa Seidenstoff, der auf Papier aufgezogen ist, um ihm Halt zu geben. Gegen Ende des Jahrhunderts und im Beginn des unsrigen werden gern gepreßte Karten verwendet, wie überhaupt schon eine große Mannigfaltigkeit besteht.

Eine besondere Art Karten wurde von den Künstlern jener Zeit zu eigenen: Gebrauch für Freunde und Gönner hergestellt. Manch reizendes Blättchen, das von liebenswürdigem Künstlerhumor zeugt, ist auf diese Art entstanden. Der eine stellt sich vor, wie er in das Zimmer tritt und seinen Glückwunsch darbringt, der andere entschuldigt sich, daß er nicht selbst kommen könne: er hat sich mit in die Thüre eingeklemmtem Mantel dargestellt, der ihn am Kommen verhindert. Namentlich die Nürnberger Künstler Haller von Hallerstein, Klein, Erhard, Wilder, Fleischmann u. a. haben solche Blättchen gestochen. Nicht immer hat die Darstellung Bezug auf den Jahreswechsel; häufig ist ein interessantes altes Denkmal abgebildet und mit Widmung und Wunsch versehen. Solche Karten werden hier und da noch in der Gegenwart von Künstlern ausgeführt. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese alte Sitte bei unseren Künstlern wieder mehr in Aufnahme käme.

Wie sehr das unerschöpfliche Thema des Jahreswechsels geeignet ist, phantasie- und gemütvollen Künstlern Anregung für graziöse, bald sinnige, bald humoristische Bilder zu geben, die dem kleinen Format der Glückwunschkarten entsprechen, dafür hat in neuerer Zeit gar ansprechende Zeugnisse aber auch die Industrie hervorgebracht, welche der Massenerzeugung der Neujahrskarten obliegt. Einzelne hervorragendere Firmen haben dem auf diesem Gebiete herrschenden Ungeschmack dadurch zu begegnen gesucht, daß sie erste künstlerische Kräfte für die Ausführung neuer Blätter gewannen. Zunächst ist freilich noch der Ungeschmack in der Ueberzahl, ja die niedrigsten Gattungen des Scherzes und Witzes haben sich mit bedauerlichem Erfolg dieser Mitteilungsform bemächtigt, die von Ursprung her nur bestimmt war, seinen Mitmenschen Segen und Heil fürs neue Jahr zu entbieten.