Die Weihnachtsfeiertage des 2. leichten Infanterieregiments der britisch-deutschen Legion

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Autor: unbekannt
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Titel: Die Weihnachtsfeiertage des 2. leichten Infanterieregiments der britisch-deutschen Legion
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 31–32
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[31] Die Weihnachtsfeiertage des 2. leichten Infanterieregiments der britisch-deutschen Legion. „Am 22. December,“ so schreibt uns der junge Legionär, dessen Berichte aus Shorncliff wir neulich mittheilten, „kam endlich der schon öfter gegebene, aber immer wieder zurückgenommene Befehl zur Einschiffung des 2. Regiments zur Ausführung.“

Im Hafen von Portsmouth lag ein stattliches Transportschiff, „der Transit,“ bereit, das Regiment aufzunehmen. Das Schiff wurde bestiegen und lichtet die Anker, legte aber etwa zwei englische Meilen von Portsmouth noch auf der Rhede wieder an, um Pulver an Bord zu nehmen, was im Hafen nicht geschehen darf. Das Pulver ward eingeladen, der Transit aber blieb ruhig vor Anker liegen.

Inzwischen hatte man Zeit gehabt, sich das Innere des Schiffes näher anzusehen. Der Transit ist ein Schraubendampfer und hat zwei Zwischendecke, dessen unteres aber zum größten Theile von den Maschinen eingenommen wird. In diesem untern Zwischendeck waren die 4. und 5. Kompagnie einquartirt, in dem obern die acht andern Kompagnien. Es stellte sich sofort heraus, daß der Schiffsraum viel zu enge für das ganze Regiment war, und höchstens etwa 600 Mann fassen konnte. An den beiden Seiten des obern Zwischendecks stehen dicht an einander Tische in Parallele. Zwischen denselben ist eben so viel Raum, daß an jeder Seite eines Tisches eine schmale Bank stehen kann. An jedem Tische sind sechzehn Mann einqartirt, es können aber in Wahrheit nur zehn, höchstens zwölf Mann daran sitzen. Das Gepäck der Soldaten, Tornister und Lederzeug, mußte oberhalb und zur Seite der Tische aufgehängt werden, aber auch hierfür war kaum Platz vorhanden. Nur aus der Enge des Schiffsraums läßt sich der Befehl erklären, daß stets ein Drittel der Mannschaft als sogenannte Wache Tag und Nacht, von vier zu vier Stunden abwechselnd, die Witterung sei, welche sie wolle, auf dem Verdeck kampiren muß. Zu welchem Zwecke sonst eine so unerhört starke Wache? Als die Nacht herannahte, wurden Tische und Bänke zur Erde niedergeklappt, etwa die Hälfte der Mannschaft legte sich auf dieselben zur Ruhe, die übrigen wenige Fuß darüber in Hängematten. Jeder Mann hatte etwa zwei bis drei Decken im Ganzen zur Unterlage und zur Bedeckung. Jetzt konnte man erst recht merken, wie enge man eingepfercht war; in Wahrheit mußte der Mann in Verlegenheit gerathen, wohin er sich wenden sollte, wenn er etwa einmal sich übergeben wollte.

Der Transit blieb den Sonntag und Montag über noch immer ruhig vor Anker liegen. Mit Sehnsucht erwartete ein Jeder die Abfahrt, nur bedenkend, daß er, je früher diese Statt sinde, desto eher aus dieser Eingeengtheit abgelöst werden könnte. Die Beköstigung konnte die Mannschaft für diesen Zeitverlust nicht entschädigen. Des Morgens empfing jeder Mann eine Portion Schisffszwieback von etwa ¾ Pfund, außerdem Morgens und Abends Kakao oder Thee, aber immer so dünn, daß das Getränk fast nichts Anderes war als heißes Wasser. Mittags gab es das unvermeidliche Salzfleisch (zwei oder drei Mal bis zum 28. allerdings frisches Fleisch) mit Erbsen oder Bohnen, oder mit Pudding, einem Gemengsel von Mehl und Fett mit vereinzelten Rosinen. Der beste Bestandtheil der täglichen Ration war ein kleiner Rum, den der Mann täglich einmal erhielt. Zur Genüge erhielt wohl Jeder, aber gut konnte Speise und Getränk nicht genannt werden. Dazu kam, daß die zinnernen Geschirre, aus denen gegessen und getrunken wurde, nicht gehörig gereinigt werden konnten, und zwar lediglich nicht wegen Mangels an Raum und heißem Wasser. Jedem übrigens, der an reinliches Geschirr gewöhnt war, mußte für die ersten Tage der Appetit bald vergehen. Am Tage vor Weihnachten waren übrigens die Portionen besonders klein gerathen, und am heiligen Abend mußte in Wahrheit mancher Legionär hungrig sich niederlegen, wenn auch die wehmüthigen Erinnerungen an früher erlebte [32] Weihnachtsfeste im trauten Familienkreise bei dem Einen oder Andern wohl den Gedanken an Speise und Trank nicht aufkommen ließen.

Endlich, am ersten Weihnachtstage Morgens neun Uhr wurden die Anker gelichtet. Das Wetter war schön, der Wind jedoch nicht günstig. Der Transit fuhr der Küste entlang, und gegen Abend hatte er wohl schon den Kanal passirt. Plötzlich, als die meisten Leute sich schon zur Ruhe begeben, nach acht Uhr, erlitt die Maschine eine Beschädigung. Mehrere Offiziere eilten in’s Zwischendeck, die Soldaten wurden auf’s Verdeck kommandirt. Durch die Beschädigung der Maschine war das Schiff leck geworden; die ganze Mannschaft mußte abwechselnd an die Pumpen. Das Schiff schwankte hin und her, die Dampfkraft war nicht mehr zu benutzen, das Steuer versagte den Dienst. Man sagt, der Kapitain, nicht Willens umzukehren, habe das Schiff der französischen Küste wollen zutreiben lassen, wo es an den Klippen gewiß gestrandet sein würde; allein die energischen Vorstellungen des Oberstlieutenants v. Aller hatten den Kapitain endlich zur Umkehr vermocht. Der Morgen des zweiten Festtags brach heran. Das Schiff trieb mitten auf dem Meere; es brauchte nicht mehr so stark gepumpt zu werden. Der Transit konnte sich nur noch mit Hülfe der Segel bewegen.

Nun erhob sich gegen Mittag ein Sturm. Das Schiff drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Die Kapitains Schmidt und Riedel eilten in das Zwischendeck und beorderten alle Leute nach dem Hinterdeck zu. Die schäumenden Wellen spritzten über das Verdeck, die Situation war mehr als einmal kritisch. Auf dem Hinterdeck stand in seinen Wassermantel gehüllt, mit dem breitkrämpigen Hute auf dem Kopfe, der erste Schiffslieutenant, seine schrille Kommandostimme drang durch das Heulen des Windes. Die Soldaten, die am Tage zuvor von der Seekrankheit arg mitgenommen waren und die ganze Nacht hindurch angestrengt hatten arbeiten müssen, benahmen sich gefaßt und ruhig. Nach drei Uhr Nachmittags kam die kreidige Küste Englands wieder zu Gesicht. Schiff und Mannschaft konnten damit als gerettet betrachtet werden.

Aber sein Opfer hatte dieser Tag verlangt. Freilich nicht aus den Reihen der Legion. Ein Matrose stürzte während des heftigsten Sturmes aus dem Takelwerk in die See und er war natürlich rettungslos verloren.

Um fünf Uhr Abends befand sich der Transit wieder auf der Rhede von Portsmouth und warf Anker. Die ermüdeten Leute konnten der wohlverdienten Ruhe pflegen.

Der folgende Morgen bot einen prachtvollen Anblick. Unzählige Schiffe lagen zerstreut auf der Rhede, unter ihnen bedeutende Kriegsschiffe, wie der Wellington und Neptun. Auch das 3. leichte Infanterieregiment der Legion, das inzwischen an Bord gegangen war, konnte man auf einem dem Transit ähnlichen Transportschiffe bemerken. Dasselbe verließ gegen Abend die Rhede und dampfte unter Hurrahruf, während die Musikbande God save the queen spielte, am Transit vorüber. Wohin, kann ich nicht sagen. Auch der Bestimmungsort des Transit war bei der Abfahrt noch nicht bekannt.

Gegen Abend erwartete die Soldaten eine neue Qual. Sie hatten den ganzen Tag auf dem Verdeck zubringen müssen, da die untern Schiffsräume gereinigt wurden. Allmälig machte sich in Folge des vielfach genossenen Salzes ein furchtbarer Durst geltend. Der Apparat zur Bereitung des trinkbaren Wassers befand sich im Zwischendeck, wohin die Engländer, die mit der Schiffsreinigung noch nicht zu Ende waren, Niemand lassen wollten. Der Zugang zum Zwischendeck war von Durstigen besetzt, die ihren Unmuth bald genug laut werden ließen. Laute Klagen und Verwünschungen ertönten. Kaum konnten die Offiziere die Leute beruhigen. Endlich ließen sich die Engländer bereit finden, das an sich sehr wohl genießbare Wasser zu verabfolgen.

Auch am Freitag blieb der Transit unbeweglich liegen, und noch heute, am 29. December, liegt er wie festgebannt. Eine Kommission von Seeoffizieren ist am Bord und untersucht den Zustand des Schiffes. Wie es heißt, wird das Regiment auf demselben verbleiben, und morgen oder übermorgen, nachdem der Schaden gebessert, der Transit seine Fahrt auf’s Neue beginnen. Möge sie glücklicher sein als die jüngst versuchte!