Die beiden Frauen zu Aulosen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Jodocus Donatus Hubertus Temme
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die beiden Frauen zu Aulosen
Untertitel:
aus: Die Volkssagen der Altmark
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: Nicolaische Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[54]
62. Die beiden Frauen zu Aulosen.

Vor vielen hundert Jahren lebte auf seinem Schlosse zu Aulosen in der Wische ein Herr von Jagow. Er hatte eine Frau und viele Kinder; aber weil er sehr fromm und gottesfürchtig war, so ließ er Alles im Stich, und zog mit [55] den deutschen Heeren in den Türkenkrieg, um den Erbfeind des christlichen Glaubens besiegen zu helfen. Dort ging es ihm indeß sehr schlecht, er wurde gefangen und als Sklave verkauft. Er kam als Gärtner zu einem vornehmen türkischen Herrn. Die Tochter dieses Türken kam oft in den Garten, in welchem er arbeitete, und sah ihn, und hatte ihr Gefallen an ihm, weil er ein sehr schöner und schmucker Herr war. Sie fühlte auch bald Mitleiden mit seinem Unglücke, und endlich hatte sie ihn in ihrem Herzen so lieb gewonnen, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnte. Der Ritter merkte das Alles wohl, und obgleich er seine Gemahlin mit seinem ganzen Herzen liebte, so war er doch auch der Türkentochter gut, weil er nur durch ihre Hülfe hoffen konnte, seine Freiheit zu erlangen, und seine Hausfrau, seine lieben Kinder und seine Heimath im Leben wiederzusehen. Deswegen ließ er sich mit ihr ein, und er versprach, sie neben seiner Gemahlin zu heirathen, wenn sie ihn befreien und zu dem christlichen Glauben übertreten wolle. Dazu war sie gern bereit. Sie entfloh glücklich mit ihm aus seiner Sklaverei; in Deutschland wurde sie eine Christin und dann durch die Dispensation des Papstes seine Hausfrau.

Es war gerade auf Grünen Donnerstag des Mittags, als der Ritter mit seiner gewesenen Türkin auf seinem Schlosse zu Aulosen ankam. Seine deutsche Hausfrau und seine Kinder saßen am Mittagstisch und aßen Erbsen und Stockfisch. Sie freueten sich sehr, wie sie ihren Herrn und Vater wieder sahen, den sie todt geglaubt hatten, und die erste Frau nahm die mitgebrachte zweite mit Freuden neben sich auf. Beide Frauen wurden die besten, verträglichsten Freundinnen, und blieben dies bis an ihr seliges Ende. Das Bildniß der Türkin wird noch unter den Jagowschen Familiengemälden gezeigt; sie ist danach ganz ausnehmend [56] schön gewesen. Sie ist, wie man sagt, zu Großen-Garz begraben; in dem Kirchengewölbe daselbst zeigt man noch ihren einbalsamirten Körper; auch zeigt man dort zwei Leichensteine, auf welchem zwei weibliche Figuren ausgehauen sind, welches die beiden Frauen dieses Ritters sein sollen.

Der Ritter stiftete zum Andenken an seine glückliche Heimkehr auf den Grünen Donnerstag eine Armenspende, daß alle Armen, so viel deren sich einfinden würden, auf dem Schlosse mit Erbsen und Stockfisch, als welches seine Familie bei seiner Rückkehr gegessen, gespeiset werden, und ein Stück Speck und Brod mit auf den Weg bekommen sollten. Noch vor nicht langen Jahren war dieses Bettlerfest so besucht, daß an die fünfhundert Armen dahin wallfahrteten.

Vergl. Ueber die Altmark. II. S. 133.