Die beiden Liebenden

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Autor: Gottfried August Bürger
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Titel: Die beiden Liebenden
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 112–121
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1773
Erscheinungsdatum: 1778
Verlag: Johann Christian Dieterich
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Erscheinungsort: Göttingen
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Quelle: Commons
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Die beiden Liebenden.
Im Sommer 1773.


     Ein Andrer werb’ um Ehr’ und Gold!
Ich werb’ um Wollust bei Selinden.
Mich kan nur süsser Minnesold
An algetreue Dienste binden.

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Das Glük läst manchen Ehrenman

In seinem Dienst’ umsonst verderben.
Allein bei trauter Minne kan
Der Hirt auch sichern Sold erwerben.

     Ich bin kein grosser reicher Herr,

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Und sie ist keine hohe Dame.

Dagegen klingt viel reizender
Ein kurzer schäferlicher Name.
Dagegen herzen wir uns frei,
Sind sicher vor Verrätertücken,

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Auch schielet keine Spötterei,

Wann wir uns Knie und Hände drücken.

     Der Prunk der hochstaffirten Kunst,
Selbst die Natur im Feierkleide,
Erbulen selten meine Gunst;

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Denn sie beschämt an Reizen beide.

Das tausendstimmige Konzert
Der Lerchen und der Nachtigallen
Ist mir kaum halb so lieb und wehrt,
Wann ihre Solotriller schallen.

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     Im Denken ist sie Pallas ganz,

Und Juno ganz am edlen Gange,
Terpsikore beim Freudentanz’,
Euterpe neidet sie im Sange;
Ihr weicht Aglaja, wann sie lacht,

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Melpomene bei sanfter Klage,

Die Wollust ist sie in der Nacht,
Die holde Sitsamkeit bei Tage.

     Des Morgens, welch ein Malerbild!
Wallt sie hervor in leichtem Kleide,

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Noch ungeschnürt, und halb verhült

Nur in ein Mäntelchen von Seide.
Entringelt auf die Schulter sinkt
Die Hälfte goldner Locken nieder.
Wie dann ihr rasches Auge blinkt,

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So blinkt das Licht aus Quellen wieder.


     Natur und Einfalt helfen ihr,
An ihrem kleinen Morgentischgen.
Des Busens und des Hauptes Zier
Sind Ros’ und Myrt’ in einem Büschgen.

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Zu ihren Wangen wurde nie

Ein Pinsel in Karmin getauchet;
Und doch, wie Rosen, blühen sie,
Von Frühlingsodem aufgehauchet.

     Wann sie an ihrem Tischgen sizt,

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So werd’ ich scherzend hingewinket:

„Kom, schmücke selbst dein Mädchen izt,
Wie deiner Laun’ am besten dünket!“
Und mich beflügelt ihr Gebot,
Sie unvermutet zu umfangen.

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Dann schminkt mit hohem Morgenrot

Mein Kus die jugendlichen Wangen.

     Ihr Haar im Nacken reizet mich
Zu hundert kleinen Thorenspielen.
Fast nimmer müde läst es sich

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In diesen seidnen Locken wülen.

Sie äugelt nach dem Spiegel hin,
Und lauschet meinen Neckereien.
Sie schilt, daß ich ein Tändler bin,
Und freut sich doch der Tändeleien.

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     Drauf leg’ ich ihr die Schnürbrust an.

Vor Wonne beben mir die Hände.
Das Band zerreist, so oft es kan,
Damit die Arbeit später ende.
Wie flink bin ich nicht stets bereit,

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So liebe Dienste zu verrichten!

Doch flinker noch, zur Abendzeit,
Das Werk des Morgens zu zernichten.

     Nun schlinget meine kühne Hand –
O Liebe, Liebe, welche Gnade! –

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Ein sanftgeflamtes Rosenband

Ihr zierlich zwischen Knie und Wade.
Wie mir das Blut zu Herzen stürzt!
Nicht schöner wies sie Atalante,
Da sie um’s Jawort, hochgeschürzt,

80
Mit ihren Freiern wetterante.

     Nun schwebt die Grazie vor mir,
Schlägt mit den Silberfüschen Triller,
Und tanzet hin an das Klavier,
Und singt ein Lied, nach Weiß, von Miller.

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Mit welcher Wollustfülle schwelt

Mein Herz der Zauber ihrer Kehle!
Hinweg, aus aller Gotteswelt,
Gen Himmel singt sie meine Seele.

     Der Morgen eilt, man weis nicht wie?

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Zur Malzeit ruft die Küchenschelle.

Ihr gegen über, Knie an Knie,
Und Fus an Fus, ist meine Stelle.
Hier treiben wir’s, wie froh und frei!
Uns fesselt kein verwünschter Dritter.

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Die beste Fürstenschmauserei

Ist gegen solch ein Schmäuschen bitter.

     Selinde schenkt mir Nektar ein.
Erst aber mus sie selber nippen:
Hierauf kredenzet sie den Wein,

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Mit ihren süssen Purpurlippen.

Der Pfirsich, dessen zarten Flaum
Ihr reiner Perlenzahn verwundet,
Wie lüstern macht er Zung’ und Gaum!
Wie süs mir dieser Pfirsich mundet!

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     Nach Tische läst auf ihrer Brust

Mein hingesunknes Haupt sich wiegen.
Von Wein berauschet und von Lust,
Wil schier die Sprache mir versiegen.
Ein volles Herz giebt wenig Klang;

110
Das leere klingt aus allen Tönen.

Sie fühlet dennoch seinen Drang;
Und ach! versteht sein stummes Sehnen.

     Jezt wird Selinden bang’ um’s Herz.
Ein Mädchen ist ein banges Wesen.

115
Sie reichet mir, aus losem Scherz,

Verwirten Zwirn, ihn aufzulösen.
Zwar findet sie mich ungeschikt,
Doch sucht sie mich nur hinzuleiern.
O List! Indem sie her sich bükt,

120
Mus sich ihr Busen selbst entschleiern.


     Ein schlauer Blik wird hingesandt;
Allein der Dieb läst sich betreten.
Ein Streich von ihrer weichen Hand
Rächt auf der Stell’ ihr Schaamerröten.

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Dann rükt sie weg und spricht nicht mehr;

Bedekt ihr Auge; macht die Blinde;
Lauscht aber durch die Finger her:
Ob ich die Kränkung wol empfinde?

     Dann spiel’ ich einen Augenblik,

130
Doch nur verstelt, den Tiefbetrübten;

Und sie, o Wonne! springt zurük,
Versönt sich mit dem Vielgeliebten,
Umhalset ihn, weis nicht genug
Mit süssen Namen ihn zu nennen,

135
Und Mund und Wange, die sie schlug,

Fühlt er von tausend Küssen brennen.

     Wol hundert Launen, kraus und hold,
Umflattern täglich meine Traute.
Bald singt und lacht, bald weint und schmolt,

140
Bald klimpert sie auf ihrer Laute,

Tanzt hin und wieder, blizgeschwind,
Bringt bald ein Büchelchen, bald Karten,
Bald streut sie alles in den Wind,
Und eilt hinunter in den Garten.

145
     Ich hinterher, ereile sie

In einer sichern stillen Grotte.
Freund Amor treibt, sie weis nicht wie?
Sie tief ins Dunkel. Dank dem Gotte!
Sie bebt, von meinem Arm umstrikt.

150
Mein Kus erstikt ihr leztes Lallen.

Sie sinkt. Ich halte sie entzükt,
Und – halt! – und lasse sie nicht fallen.