Die künstliche Darstellung des Indigo

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Titel: Die künstliche Darstellung des Indigo
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 869
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[869] Die künstliche Darstellung des Indigo. Zur Beruhigung aller Derjenigen, welche bereits zu fürchten begannen, daß die Erfinder sämmtlich nach Amerika ausgewandert seien, können wir mittheilen, daß vor Kurzem in Deutschland wieder eine jener Entdeckungen gemacht worden ist, die eine bedeutende Zukunft haben: die Darstellung des Indigoblaues auf synthetischem Wege, durch Professor Baeyer, den Nachfolger Justus Liebig’s in München. Das Indigoblau, welches trotz aller neuen und blendenden Errungenschaften der modernen Farbenchemie unverrückbar den vornehmsten Platz in der Reihe der blauen Farbstoffe behauptet, ist ein lange sehnsüchtig umworbenes Räthsel der zusammensetzenden Chemie geblieben, und mehr als einmal bereits sind wir durch voreilige Botschaften über das Gelingen des großen Wurfes seiner Herstellung im Laboratorium getäuscht worden, seit einigen Monaten aber ist der künstliche Indigo eine Thatsache.

Was eine solche Entdeckung für die Industrie und den Nationalwohlstand bedeutet, möge ein Blick auf einen Vorläufer des Indigo, auf das künstliche Alizarin, den Farbstoff der für die Türkisch-Roth-Färberei bis dahin benützten Färberröthe oder Krappwurzel darthun, dessen künstliche Darstellung im Jahre 1868 den Berliner Chemikern Gräbe und Liebermann zuerst gelang. Schon im Jahre 1874 erreichte die Menge des jährlich gewonnenen künstlichen Alizarins den Vierth von circa sieben Millionen Thalern, von denen Zweidrittel in Deutschland blieben, und heute ist diese Zahl gewiss noch bedeutend höher. Der Krappbau, welcher sonst dem Getreide- und Gemüseanbau eine Menge Land wegnahm, hat seitdem beinahe gänzlich aufgehört; fast alles in der Türkisch-Roth-Färberei Verwendung findende Alizarin wird nunmehr aus einem Abfallprodukt der Gas-Industrie, dem Anthracen gewonnen. Von Neuem richteten sich seitdem die sehnsüchtigen Blicke der Chemiker auf den Indigo, der ja noch viel geschätzter ist, als die Krappwurzel. Die chemische Synthese, das heißt die künstliche Zusammensetzung der chemischen Verbindungen und besonders der in der Natur fertig gebildet vorkommenden anorganischen und organischen Stoffe, hat, wie wir in dem Artikel über die künstlichen Edelsteine (S. 228 dieses Jahrgangs) erfuhren, in der Neuzeit namentlich durch die Berliner Chemiker-Schule einen hohen Grad von Leistungsfähigkeit erlangt, und selbst die in den lebenden Pflanzen und Thieren gebildeten Verbindungen verfallen eine nach der andern der Synthese, die in der Regel nicht mehr lange auf sich warten läßt, wenn man nur erst weiß, zu welcher chemischen „Familie“ der betreffende Körper gehört.

Die organischen Verbindungen bilden namlich große Gruppen, deren Zugehörige sich von gewissen einfachen Grundverbindungen, die der Gruppe den Namen geben, herleiten lassen, und gleichsam als deren Abkömmlinge betrachtet werden können. So ist beispielsweise das Coniin, der giftige Stoff des fleckigen Schierlings, ein künstlich herstellbarer Abkömmling der im Butterfett vertretenen und darnach benannten Buthy-Gruppe. Zu welcher Familie nun der Indigo gehört, wußte man trotz aller darüber aufgestellten Vermuthungen keineswegs sicher, und Professor Baeyer kam erst zur Gewißheit, indem er ein von ihm erfundenes Verfahren anwendete, welches man, dem obigen Gedankengang entsprechend, die chemische Ahnenprobe nennen konnte. Sie besteht in einer Erhitzung des fraglichen Körpers mit einem Ueberschusse von Zinkstaub, der die vergänglicheren Bestandtheile an sich zu reißen und die zusammengehöre Verbindung auf die meist beständigere Grundform zu reduciren pflegt.

Als Gräbe und Liebermann das seit Jahrzehnten allen Bemühungen der Chemiker trotzende Alizarin mit Zinkstaub erhitzten, destillirte daraus eine Art Steinkohlenkampher, das Anthracen, aus dem es jetzt in großen Massen gewonnen wird, und indem Baeyer den Indigo ebenso auf seine Abstammung prüfte, gelangte er zu einer wohlbekannten und leicht darstellbaren Verbindung, der sogenannten Phenylessigsäure. Damit war Etwas, aber nicht Alles erreicht, denn von diesem Endproduct der rückschreitenden Analyse galt es nun wieder vorwärts aufzubauen, und in der That gelang es ihm, wenn auch auf einem ziemlich umständlichen Wege, aus der Phenylessigsäure erst die näheren Zersetzungsproducte des Indigos, das sogenannte Oxindol und Isatin und aus diesen, auf einem von ihm früher erkannten Wege, das Indigoblau selbst zu gewinnen. Vorläufig dürfte der Process allerdings noch zu umständlich sein, um sogleich industriell ausgebeutet zu werden, aber es ist kaum zu bezweifeln, daß man nun sehr bald jenen altehrwürdigen Farbstoff, den die Römer nach seinem indischen Heimathslande Indicum nannten, auch im Großen künstlich herstellen wird, und daß das Land Indien alsdann für die Krone Englands verschiedene Millionen weniger werth sein wird.