Die letzten Tage des deutschen Parlaments

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Autor: Moritz Hartmann
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Titel: Die letzten Tage des deutschen Parlaments
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 40–44
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die letzten Tage des deutschen Parlaments
Von Moritz Hartmann.
Der Zug nach Stuttgart – Besuch bei Justinus Kerner – Wie der Nervegeischt zusammenstimmt – Schwüle in der Residenz – Die erste Sitzung – Uhland als Redner – Wahl der Reichsregentschaft – Deutschlands Vertreter obdachlos – Noch einmal Uhland – Der Gang zum Schaffote – Das Erbarmen der Soldaten.


Wie herzlich auch die Aufnahme war, welche wir in Heilbronn, wo sich der größere Theil der Abgeordneten sammeln sollte, fanden, wie freundlich man uns überhaupt überall auf würtembergischem Boden aufnahm, so konnte sich wohl doch ein großer Theil unserer Schaar des Gefühles nicht erwehren, daß es zu Ende gehe. Die Pflicht hatte uns die Unternehmung geboten; die Hoffnung saß wohl nur bei Wenigen im Reisewagen: Hundert Kleinigkeiten schienen uns, oder wenigstens mir, in diesem Zustande bedeutungsvoll und auf Auflösung nach allen Seiten hin zu deuten. Fortwährend mußte ich an den Schulmeister gedenken, den wir am selben Tage in einem Gasthause auf badener Gebiete getroffen hatten. Er war sonntäglich gekleidet und machte kein Hehl daraus, daß er dem Großherzog nachziehe, ja er proclamirte es laut, so oft er glaubte, daß Revolutionäre in der Nähe seien, offenbar wünschend, von ihnen seiner großherzoglichen Treue wegen mißhandelt oder zurückgehalten zu werden. Es zog ihn nicht im Geringsten zum Großherzog; er war mit ganzer Seele bei dessen Feinden, und einmal, in einem ekstatischen Zustande, stieß er ein brünstiges Gebet für die Revolution und die Verfassungskämpfer aus. Weinend aber versicherte er, es bleibe nichts Anderes übrig, als mit dem Großherzog Frieden zu machen, weil Alles verloren sei. Dieser Schulmeister war mir das trübe Bild des deutschen Volkes.

Im Gasthause zu Heilbronn sahen wir zwei reisende junge Mädchen, deren eines als Mann verkleidet war. Höchst wahrscheinlich auf der Flucht und schutzlos, wie sie waren, schufen sie sich auf diese Weise einen fingirten Schutz. Sie hatten nichts Abenteuerliches in Wesen und Benehmen, und man sah es ihnen an, daß nur die Noth sie zu solcher nicht ganz weiblichen List gezwungen hatte. Alle Anwesenden, sammt den Wirthsleuten, gingen stillschweigend auf ihre Absichten ein, obwohl Niemand auch nur einen Augenblick getäuscht war. Romantik ist eine schöne Sache, wo sie einem aber auf solche und ähnliche Weise im Leben entgegentritt, da deutet sie immer auf Zustände, wie sie nicht sein sollten. Ich gestehe, daß die Serenaden und feurigen Ansprachen, die uns in Fülle zu Theil wurden, wenig zu meiner Erheiterung beitrugen; auch Heinrich Simon war sehr nachdenklich, nur Jacoby bewahrte jene unerschütterliche und erstaunliche heitere Ruhe, welche sagt: „impavidum ferient ruinae“. Rappard saß auf seiner Stube und zerstreute sich mit mikroskopischen Untersuchungen. Glücklicherweise waren diese meine speciellen Reisegefährten so geartet, daß sie selbst in solchen Zeiten sich den Sinn für alles das bewahrten, was in ruhigern Jahren ihrem Geiste, ihrem Gemüthe und Schönheitsgefühle wohlgethan. Mit Jacoby konnte man immer von Kant und überhaupt von Philosophen und Dichtern sprechen; von Heinrich Simon erinnere ich mich, daß er mir selbst auf dieser Reise, da doch unsere Geister so sehr eingenommen und beunruhigt waren, sehr ausführlich über seinen Landsmann, den alten Dichter Logau sprach, den er bis in’s Einzelnste und zum großen Theile auswendig konnte und an dessen letzter Ausgabe er sein Theil hatte. Ja, er lieferte mir sogar einen Lustspielstoff aus Logau’s Jugendleben.

Es war mir nicht schwer, solche Reisegefährten zu einem Besuche bei Justinus Kerner in Weinsberg zu bewegen, und dieser Besuch bildet in jener bewegten und in unsern Gemüthern noch mehr als äußerlich ruhelosen Zeit eine schöne Idylle. Weinsberg war mir als sagenhafter Boden der Weibertreue, als geschichtlicher des Bauernkrieges und als Aufenthalt eines lieben Dichters und sonderbaren Magiers interessant und bis zu einem gewissen Grade heilig als ehemaliger Aufenthaltsort meines theuren Nicolaus Lenau, der mir in schönen Jugendtagen oft von Weinsberg erzählt hatte. Es war ein herrlicher Sommernachmittag, an dem wir durch das schöne Land dem schönen Städtchen entgegenfuhren; aber ich will Fahrt und Land und Kernerhaus nicht näher beschreiben, wohl fühlend, daß sich meine Beschreibung dem „Besuche bei Justinus Kerner von David Strauß“ nicht im Entferntesten nähern würde.

Der alte Magus empfing uns überaus freundlich, und ich hatte die schmeichelhafte Genugthuung, die ich nicht im Geringsten erwartet hatte, mit meinen Versen von ihm gekannt zu sein. Seine Erscheinung machte mich anfangs etwas stutzig, denn er sah gar nicht so aus, wie ich mir einen Geisterseher vorgestellt hatte. Groß, breitschulterig und dick, wie er war, begriff man es nicht, wie er in die Gesellschaft durchsichtiger, körperloser Geister paßte, und wie sich in solch derber Körperlichkeit eine Phantasie eingenistet haben sollte, die so phantastisches Zeug an’s Tageslicht brachte und selber daran glaubte. Hatte man sich aber nach einiger Zeit an diese Wohlbeleibtheit gewöhnt, und brachte man es dahin, von dieser zu abstrahiren und nur den großen Kopf mit den langen Haaren und den halb erloschenen Augen, über denen sanfte Dämmerung schwebte, für sich allein zu betrachten: dann allerdings konnte man das Resultat der Betrachtung mit der vorgefaßten Vorstellung von Justinus Kerner in Einklang bringen. Was uns rasch für ihn einnahm, war der Umstand, daß er sich sofort als unsern Gegner auf politischem Felde offenbarte und daß er uns trotzdem mit so großem Wohlwollen entgegenkam, als ob nichts trennend zwischen uns stände. Ach, wie selten waren in jener Zeit solche Erscheinungen! Selbst wenn er uns ironisirte mit unsern Bestrebungen, war es, als ob er uns und die Leiden, die uns erwarteten, nur beklagte. Von Ankage, von Verdächtigung unserer Absichten, war in Wort und Benehmen keine Spur. Doch hing er als veralteter Romantiker mit ganzer Seele am Alten. Bei Erwähnung Böhmens brach er in ein Lob des Katholicismus aus und rühmte die Zeit, da die Welt von Mönchen angefüllt war. Dieser Mann, den man immer mit Ludwig Uhland zusammen nannte, war ganz und gar das Gegenstück dieses klaren, ruhevollen, edeln Geistes, der immer auf festem, irdischem Boden stand, an Leid und Freud’ der Gegenwart Antheil nahm, sich über Vergangenheiten nicht täuschte und die Zukunft nach Kräften gut und schön mit aufzubauen strebte, und wahrhaftig, es wird doch Niemandem einfallen, diesen Ludwig Uhland als Romantiker im schönsten Sinne des Wortes unter Justinus Kerner zu stellen.

Nachdem wir in seinem reizenden Hause einige Zeit gemüthlich verplaudert hatten, führte uns Justinus Kerner durch seinen Garten in den historischen Thurm, welcher während des Bauernkrieges allerlei Gräuel gesehen und in dessen Fenstern jetzt die berühmten Kerner’schen Aeolsharfen wie Geister über Gräbern Klagelieder aushauchen. Auf dem Wege dahin stützte sich Justinus auf meinen linken Arm und sprach von der Glückseligkeit des Klosterlebens, dann mit einem Male hielt er inne, drückte meinen Arm fest an seine Seite, ergriff meine Hand und fragte, indem er sein Gesicht dem meinigen näherte: „Fühlst Du nit, wie unser Nervegeischt zusammenstimmt?“ Ich bestätigte das; er war darüber voller Freude, bedauerte, daß ich ihn wieder verlassen solle, da offenbar zwischen uns ein inniger Rapport bestehe, und rieth mir am Ende, von den revolutionären Wegen abzulassen. Dann, während sein Sohn Heinrich Simon in einen Thurm führte, wo junge Mädchen für den Fall eines Aufstandes Patronen machten, zeigte mir Justinus Kerner die seinem Hause gegenüberliegende kleine Wohnung, in welcher Lenau gehaust hatte und in der noch sein melancholisches Portrait hing. Es war in dieser Stube, unter diesen traurigen Augen noch trauriger, als in jenem Thurmgemache, das die Aeolsharfen mit ihren geheimnißvollen Klagen erfüllten.

Die Stimmung, in der wir das Haus des Magus verließen, war im Ganzen eine gemüthliche; seine feine Ironie oder Ironisirung der revolutionären Bestrebungen war um so weniger verletzend, als er, sobald man mit ihm discutiren wollte, zugab, daß sein Conservatismus rein Gemüthssache sei, da er an mehreren Gliedern der königlichen Familie mit großer Freundschaft hänge, und daß er in der Theorie eigentlich gar nichts gegen uns einzuwenden habe und uns Recht geben müsse. Ein einiges, großes und freies Deutschland wäre gewiß eine sehr schöne Sache, und man müßte aller Poesie, jedes Edelsinnes baar sein, wenn man für diese Idee nicht empfänglich, ja begeistert wäre; aber die Sache, wie die Dinge einmal ständen, sei zur Zeit nicht ausführbar, und er persönlich hätte zu großes Mitleid mit denjenigen, die, wenn man es erreichte, darunter zu leiden hätten. Das sei allerdings nicht gesprochen, wie ein Politiker sprechen sollte, aber er sei ja auch kein Politiker und er wolle sich als alter blinder Mann auch [41] nicht in Dinge mischen, welche naturgemäß das jüngere Geschlecht auszufechten habe. Unter solchen Bedingungen und Zugeständnissen konnten wir uns seine Widersprüche gefallen lassen, und das um so leichter, als die Witze, die er damit verband, nie gegen uns, sondern gegen seinen eigenen Sohn, der sich im höchsten Grade revolutionär zeigte, gerichtet waren.

Wir schieden als gute Freunde, und selbst Jacoby, jener klare Verstand, der Landsmann und Jünger Immanuel Kant’s, der rationelle Arzt, sprach auf dem ganzen Wege von dem guten Eindruck, den ihm sein geistersehender College gemacht hatte. Was mich betrifft, so glaube ich nach einzelnen sehr klugen und klaren Aeußerungen Justinus Kerner’s schließen zu dürfen, daß er in seinen alten Tagen nur noch deshalb Geister sah, weil er ihre Existenz in seiner Jugend zu laut proclamirt hatte.

In Heilbronn, wo sich indessen mehrere Abgeordnete gesammelt hatten, wurden wir mit großen Volksdemonstrationen empfangen, denen am nächsten Tage noch andere und größere folgten, und an denen auch die Bürgerwehr Theil nahm. Indessen erinnere ich mich nicht mehr an die Einzelnheiten, die diese bezeichneten, da die damalige Zeit an solchen Aeußerungen reich und diese einander meist sehr ähnlich waren. Ich weiß nur, daß uns der Empfang in Heilbronn einen Eindruck machte, der uns zu dem Glauben berechtigte, daß wir in Würtemberg willkommen seien und daß das würtembergische Volk aufrichtig und mit Wärme an der Reichsverfassung hänge. Viele ausgezeichnete Würtemberger, darunter Mitglieder des Landesausschusses, Kammerabgeordnete und Schriftsteller, kamen uns von Stuttgart aus entgegen, und mit diesen bestiegen wir einen mit schwarz-roth-goldenen Fahnen, Blumen und Guirlanden geschmückten Eisenbahnzug, um uns in die Hauptstadt zu begeben. Auf jeder Station wurden wir von großen Volksmassen begeistert empfangen; am bedeutungsvollsten aber dürfte die Begrüßung erscheinen, die uns in Ludwigsburg zu Theil wurde.

Dort unter den Augen des Hofes, der sich dahin geflüchtet hatte, drängte sich eine große Anzahl von Soldaten, meist Artilleristen, an uns heran, um uns ihre Sympathien, ihre Ueberzeugung von der Gerechtigkeit unserer Sache auszudrücken. An ihrer Spitze stand ein Unterofficier der Artillerie, ein sehr schöner junger Mann, dessen Worte und Benehmen viel Bildung verriethen und der in höchst klarer, ruhiger, aber darum nicht minder schwungvoller Rede auseinandersetzte, wie die Sache des Volkes auch Sache der Armee sei. Man hätte bei allen diesen Symptomen, auch ohne sanguinisch zu sein, die größten Hoffnungen hegen dürfen. Ich gestehe, daß ich trotzdem von großen Hoffnungen weit entfernt war, will das aber weniger meinem Scharfsinn zuschreiben, als dem leidenden Zustande, in dem ich in Stuttgart ankam.

Wer die Augen öffnen wollte, konnte sich überzeugen, daß es in der Hauptstadt anders aussah, als im offenen Lande. Die Bürgerwehr, die uns feierlich empfing und sich dem Parlamente zur Verfügung stellte, war offenbar zu einem großen Theile für uns; auch die untern Volksschichten und Alles, was in den Mittelclassen mit der liberalen Partei zusammenhing. Aber man wußte doch nicht, was wir in den Falten unserer Toga mit uns brachten; wir waren eine geheimnißvolle Erscheinung und darum bis zu einem gewissen Grade unheimlich. Die große Mehrheit war von unserm Rechte durchdrungen, voll Achtung für uns, als die Vertreter der Nation und zwar als das kleine Häuflein von Vertretern, das in diesem kritischen Momente aushielt, während die große Mehrzahl auf Befehl oder Drohungen der Regierungen auseinander stob und die Fahne der Nation schmählich im Stiche ließ. Von unserem Rechte, und ich darf wohl sagen, von dem Achtungswerthen unserer Lage, war Jedermann durchdrungen; wagte doch selbst die Regierung in ihrer Proclamation weder das Eine noch das Andere zu leugnen; aber die Stadt war ruhig, und wir brachten vielleicht die Revolution, wir brachten vielleicht Straßenkampf, eine neue Krise und eine Zukunft voll Unsicherheit.

Nicht Alle, die für das Recht waren, waren zugleich für einen Kampf um dieses Recht und alle aus einem solchen Kampfe entspringenden Möglichkeiten. Die Begeisterung, die Ehrerbietung, die man uns zeigte, hatte etwas Gedrücktes, so wie bei aller Bewegung, die wir brachten, die ganze Atmosphäre nicht aufgeregt, gewitterhaft wurde, sondern ohne Schwüle gedrückt blieb. Ein großer Theil der Einwohner dieser Stadt, welche sich damals noch nicht, wie das heute der Fall ist, durch Handel und Gewerbe unabhängig gemacht hatte, hing mit dem Hofe zusammen und lebte vom Hofe. Dieser Theil war uns ausgesprochen feindlich; dieser betrachtete uns mit düstern Blicken, während der andere, wenn auch mit Sympathie, doch zugleich melancholisch zu uns herübersah. Dies ist die Wahrheit über die damalige Stimmung in Stuttgart, wenn auch der Enthusiasmus, der uns in den nächsten Kreisen umgab, manchem Abgeordneten vielleicht ein anderes Bild in der Erinnerung zurückließ. Die Agitatoren des Landes, die Mitglieder des Landesausschusses, diejenigen, die uns unsere eigentliche Basis schaffen sollten, waren selber niedergeschlagen, denn sie hatten in den letzten Tagen Erfahrungen gemacht, in Folge deren sie uns die Uebertragung des Parlamentes widerrathen haben würden, wenn es nicht zu spät gewesen wäre. Die traurigste dieser Erfahrungen war die, daß mehrere Städte, die sich eifrig für die Reichsverfassung gezeigt hatten, plötzlich lau wurden, als sie zu merken glaubten, daß sie durch die Grundrechte gewisse aus alten reichsstädtischen Zeiten herabgekommene Privilegien, die ihnen einen Theil ihrer Einkünfte sicherten, verlieren könnten. Doch das sind Einzelheiten, über welche Mitglieder des Landesausschusses, wie z. B. Carl Mayer von Eßlingen, bester Auskunft geben können, als ich. Zur Ehre dieses Landesausschusses sei es gesagt, daß er vom Momente unserer Ankunft an, trotz mancher entmuthigenden Täuschung, seine Thätigkeit sofort wieder aufnahm und zu Allem bereit war, was die Nationalversammlung, als einzige berechtigte Vertreterin der Nation, beschließen würde.

Schon am Abend nach unserer Ankunft erfuhren wir, daß unser College, der Minister Römer, den Kopf verloren habe, daß er besinnungslos zwischen seiner Wohnung und dem Schlosse hin und her renne, und man sprach die Vermuthung aus, daß er sich, sobald er ein wenig zur Besinnung gekommen, dem Parlamente als Feind gegenüber stellen werde. Dieser Mann war vor Allem ein Würtemberger und vor Allem schreckte ihn der Gedanke, daß seine Heimath mit in die Revolution hineingezogen werden solle. Dies war auch bei andern Würtembergern, auch bei Ludwig Uhland der Fall, aber dieser Letztere, obwohl er die Uebertragung des Parlamentes nach Stuttgart widerrathen hatte, obwohl ihm unser Beschluß wahrhaften Schmerz verursachte, dachte doch, wie die meisten andern würtembergischen Abgeordneten, groß genug, um trotz aller persönlichen Gefühle auf Seiten des Rechts und der Nation auszuharren, seine Besorgnisse und Schmerzen nicht weiter zu berücksichtigen und den Beschlüssen der einzigen berechtigten Behörde und seinem Mandate Folge zu leisten. Dies war um so rühmenswerther, als die Gefahr für die würtembergischen Abgeordneten, wie es damals schien, größer sein konnte, als die der Andern, da sie unmittelbar und auf heimischem Boden gegen ihre Regierung auftreten mußten. Römer erkannte zwar als Advocat ebenfalls das Recht der Nationalversammlung und zwar bis auf den letzten Moment der Auflösung und selbst bis über diesen hinaus, aber vor Allem fühlte er sich als Würtemberger und als Minister des Königs von Würtemberg. Sein bureaukratisches Gewissen war stärker als sein rechtliches und patriotisches; er sprach sich für die Pflicht aus, die Jedermann bestreiten konnte, und gegen die Pflicht, die Niemand und er selber nicht bestritt.

Am 5. Juni Mittags hatte sich in Stuttgart bereits die beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten eingefunden, und am Abend fand eine Vorversammlung statt, in welcher die Fortsetzung der Sitzungen gleich für den nächsten Tag bestimmt wurde. Diese Vorversammlung war nicht ohne Interesse. Alte Freunde und Parteigenossen, die nun seit mehr als einem Jahre miteinander getagt und, da sie immer in der Minderheit waren, man darf wohl sagen, mit einander gelitten hatten, fanden sich hier nach einer Trennung von nur wenigen Tagen mit Gefühlen zusammen, als ob zwischen Frankfurt und Stuttgart lange Zeiten und unendlich große Räume lägen. Jedermann hatte irgend welche Abenteuer zu erzählen; die Hessen hatten bereits den Weg zwischen den beiden Städten verlegt, und so hatten sich die Einen mit allerlei Schweirigkeiten mitten durch sie hindurchschlagen oder schleichen müssen, während die Andern zu großen Umwegen durch die Pfalz oder durch Baiern gezwungen waren. Diese kleine Schaar, deren jeder Einzelne von seinem Rechte durchdrungen war, mußte sich von einem Orte nach dem andern, nach Art einer Räuberbande, begeben, zerstreut und in einzelnen Abtheilungen, damit doch wenigstens ein Theil glücklich am Endziele anlange. Und da wir nun endlich zusammen waren, was wird unser ferneres Schicksal sein? Wahrlich, unsere Lage war keine lachende; die Meisten von uns hatten [42] das Bewußtsein, daß wir einen letzten und äußersten Versuch zur Rettung der Freiheit machten und daß, wenn dieser Versuch mißlang, mit ihm vielleicht unser ganzes Leben zugleich ein mißlungenes wurde. Trotzdem herrschte in jener Versammlung die Heiterkeit des Wiedersehens; unsere Partei hatte im Laufe des Jahres eine Art Familiengefühles bekommen, viele einzelne Mitglieder waren unter einander auf’s Innigste befreundet, und zu alle dem kam, daß die große Mehrheit der Anwesenden sich gerade durch das Schwierige unserer Lage gehoben fühlte.

Am 6. Juni Morgens neun Uhr versammelten wir uns auf dem Rathhause, um uns von da nach der würtembergischen Kammer zu begeben. Bürgerwehr bildete den ganzen Weg entlang ununterbrochene Spaliere, und hinter diesen drängte sich das Volk, um uns durch Zuruf zu begrüßen und zu ermuntern. Der kleine Saal der würtembergischen Kammer war groß genug, um die deutsche Nationalversammlung, welche einst in den weiten Räumen der Paulskirche kaum Platz hatte, bequem zu beherbergen. An die große, säulengetragene Rotunde mit den weiten Gallerien gewöhnt, war es uns hier zu Muthe, als befänden wir uns in einem hübschen Familienzimmer. Indessen war unsere Schaar nicht so klein, als man gewöhnlich annimmt. Hundertunddrei oder hundertundfünf Mitglieder waren bereits anwesend; Manche, die zur äußersten Linken gehörten und die uns unter andern Umständen gewiß begleitet hätten, waren als Theilnehmer an der Pfälzer und badischen Bewegung in der Ferne, wie z. B. Ludwig Bamberger aus Mainz, Trützschler, Martin, Würth aus Sigmaringen u. A. Nahe an funfzig waren mit „Entschuldigung“ abwesend und gehörten de facto noch zur Nationalversammlung, obwohl sie ihrem ganzen Wesen nach nichts mehr mit uns zu thun hatten und nur noch aus Politik, um abwarten zu können, ihre Austrittserkläurugen verzögerten. Zu diesen darf man wohl die Herren Beseler, Edel, Robert Mohl, Tellkamp u. A. zählen.

Löwe von Calbe wurde zum Präsidenten gewählt, und es begannen sofort die Debatten, welche die Schöpfung eines neuen Mittelpunktes, einer neuen Centalgewalt zum Zwecke hatten. Der Reichsverweser konnte als Vertreter der Centralgewalt von uns nicht anerkannt werden; er hatte keine der Pflichten erfüllt, die er beschworen, und die Gewalt, die man ihm anvertraut hatte, gegen die Nation gekehrt, die ihn an die Spitze gestellt. Wir waren mehr als berechtigt, wir waren verpflichtet, diese Centralgewalt als null und nichtig wenigstens zu erklären, und es war geboten, eine neue zu schaffen, für den Fall, daß ihr noch irgend eine Wirksamkeit gegönnt wäre. Die Debatten, die sich in Bezug darauf entspannen, sowie die Debatten der folgenden Tage zeichneten sich vor denen der Paulskirche vortheilhaft durch ihre Kürze aus. Man fühlte wohl, daß man keine Zeit zu verlieren hatte, und es war keine Partei da, in deren Interesse es lag, vor Allem Zeit zu gewinnen und die revolutionäre Kraft verrauchen zu lassen, wie das ein Jahr hindurch in der Paulskirche der Fall gewesen. Nur um vor der Nation unsere Schritte zu motiviren, hielt noch Vogt eine seiner glänzenden Reden. Was in dieser ersten Sitzung noch auffallen mußte, war die größere Thätigkeit, die Uhland jetzt entwickelte. Es war ein Antrag von ihm auf der Tagesordnung, und er sprach auch einmal vom Platze. Weil die Gefahr da war, wurde dieser Edle auch thätiger. Er griff unmittelbar ein, während er sich in der Paulskirche immer im Hintergrunde gehalten hatte, und er sprach frisch weg und eifrig seine Meinung aus, da es ihm doch sonst eine große Ueberwindung kostete, eine Rede zu halten. Ich erinnere mich, wie ich ihm in der Paulskirche, als er nach seiner Kaiserrede die Tribüne verließ, einige Schritte entgegen eilte, in der Besorgniß, daß ihm, aufgeregt wie er war, etwas begegnen könnte, und wie er mir beinahe athemlos versicherte, daß er mehr als zwei Dritttheile dessen, was er sagen wollte, vergessen habe. Jetzt war es anders. Er sprach kurz, aber entschieden und präcis, horchte nach allen Seiten, blickte überaus ruhig und war wie ein Steuermann, der auf Alles achtet. Der Minister Römer nahm sich neben ihm wie das böse Gewissen aus; er schob sich auf seinem Sitze hin und her, beugte sich bald vor-, bald rückwärts, fuhr sich mit den Händen über’s Gesicht und murmelte viel vor sich hin, ohne ein lautes Wort zu sprechen.

In dieser ersten, wie in allen spätern Stuttgarter Sitzungen wurden uns Ergebenheits-Adressen vorgelesen oder angekündigt, die allerdings von vielseitigem gutem Willen zeugten, gegen die aber Unsereiner schon längst abgehärtet war. Ebenso kamen uns verschiedene Geschenke zu, und unter diesen auch noch ein Beitrag zur deutschen Flotte, was wohl Manchen noch hätte lachen oder lächeln machen können, wenn man damals überhaupt zur Beobachtung der komischen Momente und der komischen Seiten unserer Lage gestimmt gewesen wäre. Es war damals schon ebenso schwer, an die deutsche Flotte zu glauben, wie an eine deutsche Reichsverfassung.

Am Nachmittag des 6. Juni gingen wir an die Wahl der Reichsregentschaft. Mehr oder weniger hatten wir Alle die Ueberzeugung, daß wir damit etwas Illusorisches begannen, und gewiß waren die fünf Männer, die wir zu Reichsregenten ernannten, von dieser Ueberzeugung durchdrungen. Desto größer war ihr Opfer, daß sie sich zu einem Versuche hergaben, der wie ein Spiel ausfallen konnte, ja der alle Wahrscheinlichkeit des Mißlingens für sich hatte. In der That ist die Selbstverleugnung, die diese Männer zeigten, nicht genug zu rühmen. Man sage, was man wolle, man mache alle Witze, welche Gefallenen gegenüber so leicht zu machen sind, so ist es doch wahr, daß Charaktere und Intelligenzen, wie Heinrich Simon, Schüler, Raveaux, Becher, Vogt, selten in einer Regierung vereinigt sind, und man darf behaupten, daß solche Männer, wo sich ihnen nicht Unmöglichkeiten entgegenstellen, ein Regierungscollegium bilden würden, das hoch über all den Regierungen stünde, welche uns besiegt haben. Man vergleiche diese Männer mit den Ministerien und Regierungen der damaligen Zeit und sage, ob hier zu viel behauptet oder übertrieben werde. Daß sie mit unbestreitbarem Rechte auf ihrer Seite doch unterlagen und das vorgesteckte Ziel nicht erreichten, das beweist nur, daß Recht, Charakter und Geist auf dieser Erde nicht immer, vielleicht am seltensten den Sieg davon tragen, und daß dieser häufiger ihren Antagonisten, ihrem Gegentheile bestimmt ist. Die Wahl der Reichsregenten wurde von den Gallerien mit Begeisterung aufgenommen, und in der ganzen Umgebung der Kammer erscholl gewaltiger Jubel, als man von Einsetzung der Reichsregentschaft vernahm. Ich gestehe, daß dieser Jubel, als er in den Sitzungssaal eindrang, mein Herz mit den schmerzlichsten Gefühlen und mit der größten Bitterkeit erfüllte. Aber es blieb uns nichts mehr übrig, als wenigstens die Form des Rechtes zu erfüllen, da es uns, die wir von der Majorität der Nationalversammlung, sagen wir es nur gerade heraus, feige verlassen waren, nicht gegönnt war, das Recht selbst zu verwirklichen. Wir versuchten das Letzte und Aeußerste, wenn es auch bereits wie ein leeres Spiel aussah, und mit kaltem Blute, nach jahrelanger Abkühlung scheint mir dieses Spiel noch immer würdiger, als die Desertion der Mehrzahl, die so rasch den Regierungen gehorchte und die Fahne dahinwarf, die ihr die Nation in die Hände gegeben. Was wir thaten und begannen, war Moschus, den wir dem sterbenden Rechte eingaben, um noch Tage oder Stunden zu gewinnen, während welcher eine heilsame Krisis, eine Rettung möglicherweise eintreten konnte.

Am 8. Juni nahm Fürst Waldburg-Zeil Urlaub, und so that auch der Abgeordnete Giskra. Das waren Symptome. An diesem Tage hatte auch schon Herr Römer, unser College, seine gegen die Nationalversammlung gerichtete Ansprache an das würtembergische Volk erlassen, und damit war der Krieg erklärt und der Bruch des Rechtes eingeleitet, welches Herr Römer selbst in dieser Ansprache noch anerkannte. So stark ist der Deutsche, wenn es gilt, die Theorie von der Praxis zu scheiden. Es ist wohl zu bemerken, daß Herr Römer seinen Austritt aus der Nationalversammlung erst am 13., also nach Erlaß der Ansprache, anzeigte. Allerlei dunkle Gerüchte verbreiteten sich in Folge dieser Kriegserklärung; unsere Freunde glaubten uns von drohenden Gefahren umgeben, und ihre Besorgnisse schienen gerechtfertigt, als man sich überzeugen konnte, daß in der That allerlei militärische Vorbereitungen getroffen wurden. Es kamen uns allerlei Warnungen zu, und der Schreiber dieser Zeilen erhielt selbst einen Brief von einer mit höhern Kreisen in Verbindung stehenden Person, in welchem er beschworen wurde, an seine Sicherheit zu denken und Stuttgart zu verlassen. Die Bürgerwehr bot uns ihren Schutz an, und das Bureau der Nationalversammlung, auf den Antrag eingehend, verlangte, daß die Bürgerwehrartillerie vor dem Sitzungssaale auffahre, um uns den Eingang frei zu erhalten. Aber als die Artillerie Folge leisten wollte, fand es sich, daß die Regierung an ihr Eigenthum Hand gelegt und ihre Kanonen confiscirt hatte.

Die Sitzung des 8. Juni war die letzte, die wir in der würtembergischen Kammer gehalten; von diesem Tage an waren wir, [43] so zu sagen, obdachlos, und die souveraine Nationalversammlung des deutschen Volkes irrte in den Straßen umher. Am 13. versammelten wir uns im Kolbischen Saale. An diesem Tage lief wieder eine große Anzahl von Adressen ein, und, was interessanter ist, es stieß eine Anzahl von Ersatzmännern zu uns, um die Lücken einiger Deserteure der letzten Tage aufzufüllen, und unter diesen auch der Ersatzmann des Herrn Römer. Es ist gewiß anerkennenswerth, daß diese Männer sich im letzten und äußersten Momente auf das lecke Schiff begaben, das sich selbst als ein versinkendes bekannte. Wieder am 16. beherbergte uns das Fritz’sche Reithaus, das, ohne daß wir eine Ahnung hatten, vor unserm Einzuge mit Blumen und Gezweige auf das Anmuthigste ausgeschmückt wurde. Es war ein geschmückter Katafalk. Wir sollten nicht zum zweiten Male in diese Räume einziehen.

Am 17., spät Abends erhielt der Präsident Löwe von Calbe im Namen des Gesammtministeriums ein von Herrn Römer unterzeichnetes Schreiben, in welchem dieser verkündigte, „daß das Tagen der hieher übergesiedelten Nationalversammlung und das Schalten der von ihr am 6. d. Mts. gewählten Reichsregentschaft in Stuttgart und Würtemberg nicht mehr geduldet werden könne.“ Die Zuschrift enthält noch immer eine Anerkennung des Rechtes, kann sich aber trotzdem hie und da eine gegen die Nationalversammlung gerichtete höhnische Bemerkung nicht versagen. Wer Herrn Römer für einen tragischen Helden hält, der unter einer Collision von Pflichten leidet, der lese diese Zuschrift, um sich zu überzeugen, daß sich mit dieser Kleinigkeit, mit dieser Verspottung des ohnmächtigen Rechtes, keine Tragik verbinden lasse. Der Präsident ließ diese Zuschrift unbeantwortet. Herr Römer schickte ihm am nächsten Tage, gegen Mittag, wieder einen Zettel zu, um ihn „darauf aufmerksam zu machen“, daß gegen eine Sitzung der Nationalversammlung „die erforderlichen Maßregeln ergriffen werden“. Der Präsident wollte sich hierauf mit den Schriftführern in das Sitzungslocal begeben, um es vor Eröffnung der Sitzung, welche um drei Uhr beginnen sollte, in Besitz zu nehmen, aber schon um ein Uhr wurde er benachrichtigt, daß das Haus bereits von Militär besetzt sei. Doch war von Truppenbewegungen nichts bemerkt worden; die Soldaten hatten sich durch Seiten- und Nebengassen in die Nähe des Fritz’schen Locales geschlichen. Man wußte bald, daß dort verhältnißmäßig bedeutende Truppenmassen aufgehäuft waren, und in den Straßen hieß es, daß man uns Alle niederhauen wolle. Da trat Ludwig Uhland auf. Er forderte den Präsidenten auf, so viele Mitglieder als möglich zu versammeln und sich mit diesen in einem Zuge an Ort und Stelle zu begeben, um die Gewalt an uns sich vollenden zu lassen, und käme es auch auf’s Aeußerste. Wir versammelten uns unter den Bäumen eines gewissen Platzes, den ich, bei meiner damaligen Unbekanntschaft mit der Stadt, nicht näher bezeichnen kann, und setzten uns von da aus in Bewegung. An unserer Spitze schritt der Präsident, ihm zu Seiten zwei Prytanen Deutschlands, die beiden Greise Albert Schott und Ludwig Uhland, zwei Männer, die ein ehrenvolles, fleckenloses, langes Leben hinter sich hatten, das nur dem Kampfe für das Recht, für das Gute und Schöne gewidmet war und das sie auch jetzt, ohne Zaudern der Ungewißheit, einer drohenden Gefahr ruhig und schlicht entgegentrugen. Auf dem Gesichte des alten Schott lag dieselbe Milde, derselbe Ausdruck der Humanität, die dieses Gesicht zu allen Zeiten charakterisirte, dieselbe Heiterkeit, die nur eine attische Bildung, verbunden mit dem Bewußtsein stets erfüllter Pflicht, geben kann. Damit sei aber nicht gesagt, daß sich in diesem sanften Gesichte nicht zugleich eine gewisse Aufregung kund that; das Verbrechen, welches eben an der deutschen Nation begangen werden sollte, ging ja von Römer aus, der der Mann seiner Tochter war. Wenn es Deutschland nicht auffiel, wie klar ein Recht sein mußte, für das ein Mann wie Schott mit dem Reste seiner Tage eintrat, so fehlte es vielleicht nicht an fernen und fremden Völkern, denen seine Gegenwart am Sterbebette der Nationalsouverainetät für uns ein vollgültiges Zeugniß war. Ist es doch dem Aufzeichner dieser Skizze begegnet, daß sich bei ihm, auf ferner griechischer Insel, alte Hellenen nach dem braven, edlen „Skotos“ erkundigten. Und aus der andern Seite des Präsidenten ging Ludwig Uhland, mit jenen großen, strammen Schritten, die man an ihm kannte. Sollte man nicht meinen, daß ein Recht, das von zwei solchen Zeugen begleitet auftritt, von aller Welt erkannt werden müsse? Man sollte es meinen, wenn man nicht wüßte, daß der Eigennutz sich um das Recht und seine heiligsten Zeugen nicht kümmert und daß er, um es zu besiegen, die Gedankenlosigkeit als Mittel gebraucht. Unmittelbar hinter dem Präsidenten und den beiden Greisen ging ich, Arm in Arm mit meinem Freunde Ludwig Simon, kann also als Augenzeuge über die letzten Momente des Parlamentes berichten. Ich wußte, daß wir unserm Ende entgegengingen, und das dicht gedrängte Volk, rechts und links an unserm Wege, flößte mir, trotz aller Zurufe, kein Vertrauen ein. Durch die natürlichste Ideenassociation erinnerte ich mich jenes andern Ganges vom Römer in die Paulskirche bei Eröffnung des Parlamentes – als alle Häuser mit Flaggen und Blumen geschmückt waren, aus allen Fenstern Jubelrufe erschollen, die Musik „Nur gewagt, unverzagt“ aufspielte und Aller Herzen voll großer Hoffnungen waren. Nun will ich es offen gestehen, daß ich mich damals in Frankfurt nicht so gehoben fühlte, wie auf diesem letzten Gange des Parlamentes, der einem Gange zum Schaffote glich. Wir kamen in eine Straße, in der wir das Militär, Infanterie, aufgestellt sahen; während links in einer Seitenstraße Cavallerie wartete. Wir setzten unsern Weg fort, als ob jenes Hinderniß vollkommen unsichtbar wäre, und kamen so an die Reihen der Soldaten, welche die Straße, die zum Sitzungslocale führte, absperrten. Der Präsident mit seinen beiden Begleitern war eben bis auf ungefähr zwei Schritte Entfernung den Soldaten nahe gekommen, als sich deren Reihen plötzlich öffneten und ein älterer Mann mit weißer Binde und einem Papier in der Hand heraustrat und dem Präsidenten verkündete, daß er als Civilcommissär den Auftrag habe, zu erklären, daß keine Sitzung gehalten werden dürfe. Der Mann – Cammerer hieß er – war blaß, und seine Stimme zitterte, wie eines Verbrechers. Kaum hatte er seine Worte hervorgestoßen, als er schon wieder hinter den Soldaten verschwand. Ich glaube, daß er nur noch die Worte „mein Auftrag ist erfüllt“ hervorstotterte. Der Präsident erhob seine klangvolle Stimme und rief: „Ich erkläre“ – hier aber wurde er von Trommelwirbel unterbrochen, wie ein Delinquent, den man nicht zu Worte kommen läßt. Trotzdem rief der Präsident dem Civilcommissär zu: „Sie müssen mich hören!“ und als dieser verschwunden blieb, erhob er die Stimme noch einmal und rief: „Ich protestire gegen dieses Verfahren, als gegen einen Verrath an der Nation!“ und die Worte wurden gehört, trotzdem die Trommelwirbel immer stärker wurden und trotz dem Waffengeklirr. Die meisten Abgeordneten hatten sich indessen nach vorn gedrängt und standen in compacter Masse vor den Soldaten. Eine kleine Episode, die in diesem Momente spielte, scheint von nur sehr Wenigen, vielleicht nur von mir bemerkt worden zu sein, da ich sie in den zahlreichen[WS 1] Berichten, die später im Hotel Marquart erstattet wurden, nirgends erwähnt finde.

Civilcommissär Cammerer, nachdem er hinter den Soldaten verschwunden war, kam auf einen Augenblick wieder zum Vorschein, wandte sich an Ludwig Uhland und sagte ihm, daß, wenn er allein eintreten wolle, ihm der Weg offen stehe. Ich werde die Gebehrde der Verachtung, das wegwerfende Achselzucken, mit dem sich Uhland von ihm abwandte, nie vergessen und ich glaube, daß selbst Herr Cammerer, obwohl ein Mann, der sich zu einem solchen Amte hergegeben, diesen Moment ebenso wenig vergessen werde. Mittlerweile, da die Abgeordneten sich an die Soldaten herangedrängt hatten, commandirte man „Fällt das Bajonnet“ – aber sie gehorchten nur zur Hälfte. Ich bemerkte, daß ein einziger Soldat das Bajonnet so weit sinken ließ, daß es Einen der Herandrängenden beschädigen konnte. Dieser Eine hatte offenbar den besten Willen, sein Bajonnet in Blut zu tauchen; seine Bewegungen, wie der Ausdruck seines Gesichtes verriethen es zu deutlich. Die Anderen aber waren unschlüssig und sahen niedergeschlagen vor sich hin. General Miller bemerkte das wohl ebenso gut wie ich, rief dem Präsidenten, der unbeweglich stand, ein „Fort!“, dann einem Officier in der Seitenstraße ein Commandowort zu, und in demselben Augenblicke sprengte die Cavallerie auf uns ein, während der Officier, der sie führte, „Einhauen!“ conmmandirte und die anderen Officiere fortwährend „Haut zu! Haut zu!“ ausriefen. Doch muß ich der Gerechtigkeit wegen hinzufügen, daß ich einen Officier selber sah, der einem Cavalleristen, welcher auf den Abgeordneten Günther einhauen wollte, in den Arm fiel. Der Abgeordnete Günther nämlich, als die Cavallerie herbeisprengte, warf sich ihr entgegen, riß seine Kleider auf und außer sich rief er den Heransprengenden entgegen: „Haut zu!“

Im Allgemeinen aber hatten auch die Cavalleristen, trotz der beständigen Aufmunterung der Officiere und Unterofficiere, nicht die [44] geringste Lust zum Einhauen. Sie thaten nur so und schwenkten, indem sie in unsere Schaar hineinritten und uns trennten, ihre Säbel über unseren Köpfen. Der Präsident selbst war in Gefahr niedergeritten zu werden. Es lag also nach alldem weder an Herrn Römer noch an dem guten Willen der würtembergischen Officiere, daß das Parlament ein unblutiges Ende nahm. Hätten die Soldaten gehorcht, ihre große Anzahl hätte unser kleines Häuflein binnen fünf Minuten bis auf den letzten Mann niedermetzeln können. Das Volk drängte sich mit in das Gewirre, und die Erkenntniß von der Stimmung der Soldaten, die man sofort gewinnen mußte, war wohl mit eine der Ursachen, daß es zu keinem weitern Conflicte kam.

Bei dem Gedränge von Abgeordneten, Soldaten und Volk, bei der Verwirrung war es nicht möglich uns wieder zusammenzufinden und an Ort und Stelle etwas Gemeinschaftliches zu beginnen. „Nach dem Hotel Marquart!“ rief ein Abgeordneter dem andern zu, und in der That fanden wir uns dort zur selben Stunde zusammen, auf welche die Sitzung in der Reitschule angesetzt war. Aber wir zählten uns – unsere Zahl belief sich nur noch auf 94 – wir waren nicht mehr beschlußfähig – die Nationalversammlung war gestorben oder, wenn es besser klingt, hingerichtet.

Man nahm noch ein Protokoll auf über die Vorgänge, und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit, daß auch die Reichsregentschaft auf ihrem Wege zum Sitzungslocale vom Militär aufgehalten und dann mit Gewalt unter militärischer Begleitung in ihr Haus zurückgebracht wurde, daß sich während dieser Zeit zwischen Bürgern und Officieren ein Conflict erhoben, und daß die Officiere gegen die wenigen Männer der Reichsregentschaft ihre Soldaten die Gewehre laden ließen.

Indessen war die Hoffnung nicht aufgegeben, die beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten wieder zusammenzubringen, obwohl Manche in wahrhafter Verzweiflung während der letzten Tage ihren Posten verlassen hatten. Der Präsident hatte das Recht uns wo immer zusammenzuberufen. Natürlich wandten sich unsere Blicke nach Baden, als dem einzigen Winkel auf deutscher Erde, in welchem sich die einzigen rechtlichen Vertreter deutscher Nation noch versammeln konnten. Es kam nicht darauf an, daß wir noch Berathungen hielten, es kam nur darauf an, daß die Reichsversammlung noch zu Recht bestand. Viele Abgeordnete begaben sich bald auf badischen Boden, Andere verweilten noch einige Tage in Stuttgart, obwohl sich schon am 18. Juni, dem Tage der Auflösung, das Gerücht verbreitete, daß die Reichsregenten und viele Abgeordnete verhaftet werden sollten. Es scheint auch in der That die Absicht der Regierung gewesen zu sein, uns zwangsweise über die Grenzen bringen zu lassen. Aber sie kam davon ab und begnügte sich damit, einige andere politische Persönlichkeiten, die nicht zum Parlamente gehörten, aus dem Lande zu weisen. Was die Abgeordneten betrifft, so hatte der König die Gnade, ihnen, im Falle es ihnen an Mitteln fehlte, Reisegelder anbieten zu lassen. Ich will nicht weiter untersuchen, welche Motive dieser Anerbietung zu Grunde lagen, und selbst annehmen, daß diese der besten Art waren – Thatsache aber ist, daß auch der Aermste unter uns von diesen Anerbietungen keinen Gebrauch machte.

In Baden-Baden fanden wir uns wieder in bedeutender Anzahl zusammen. Aber es war nach der Schlacht bei Waghäusel. In Freiburg machten wir noch ein Mal Halt, aber nur um von da aus mit der Masse badischer Flüchtlinge, mit der Reichsregentschaft und mit dem Archive der deutschen Nationalversammlung in’s Exil zu wandern.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zahreichen