Die neueren Curorte gegen Lungenschwindsucht, besonders Görbersdorf und Davos

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Titel: Die neuen Curorte gegen Lungenschwindsucht, besonders Görbersdorf und Davos
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 400–402
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die neueren Curorte gegen Lungenschwindsucht, besonders Görbersdorf und Davos.

Unter allen chronischen schweren Krankheiten kommt keine so häufig vor und keine rafft so viele Menschen, meist in der Blüthe ihres Lebens, hin, wie die Lungenschwindsucht. Diese Krankheit besteht bekanntlich in eigenthümlichen Veränderungen der Lungen, welche zu deren theilweiser Zerstörung führen und meist unter länger anhaltendem Fieber nach monate- oder jahrelangem Verlaufe den Menschen tödten.

Die Behandlung der Lungenschwindsucht hat sich in den letzten Jahrzehnten in mehreren wichtigen Punkten wesentlich geändert und – das darf man sicher behaupten – vervollkommnet. Vor zehn, zwanzig und dreißig Jahren hütete man solche Kranke, auch wenn sie noch nicht bettlägerig, noch nicht fieberhaft waren, in der ängstlichsten Weise vor jeder Erkältung; sie mußten ununterbrochen im warmen Zimmer bleiben oder durften nur bei sehr warmem Wetter in's Freie; sie wurden warm gekleidet; sie mußten jede Einathmung kalter oder kühler Luft vermeiden, wozu besonders der sogenannte Respirator diente (ein vor dem Munde und zum Theil vor der Nase angebrachtes mehrfaches Drahtgitter), u. dergl. m.

Die Aenderung dieses älteren Curverfahrens ging von Dr. med. Brehmer in Görbersdorf aus. Nach Brehmer ist die Lungenschwindsucht bedingt durch eine verminderte Ernährung der Lunge,

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Dr. Brehmer’s Heilanstalt in Görbersdorf.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

[402] in Folge von geringerer Energie des Herzens und dadurch verminderter Blutcirculation in den Lungen. Brehmer suchte demnach die Herzthätigkeit und den Lungenblutlauf in verschiedener Weise anzuregen. Mag diese Ansicht richtig sein oder nicht, jedenfalls hatte Brehmer Erfolge seiner Curmethode aufzuweisen, sodaß sich seine Heilanstalt Görbersdorf immer mehr vergrößerte und jetzt – etwa fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung derselben – vielen Tausenden von Kranken aus allen Welttheilen Besserung und selbst Heilung brachte.

Görbersdorf liegt im Waldenburger Kreis des Regierungsbezirkes Breslau, in einem Thale, welches, nach Südwesten offen, von Osten nach Westen zieht, am Riesengebirge, nahe der Eisenbahnstation Friedland, an der böhmischen Grenze von Schlesien. Es liegt, worauf Brehmer wegen des verminderten Luftdrucks besonderes Gewicht legt, 1900 Fuß überm Meere, in der Zone, deren Bewohner von der Schwindsucht frei sind. Die angrenzenden dicht bewaldeten, bis 3000 Fuß hohen Berge haben die schönste Tannenluft und gleich den anmuthigen Gärten der Anstalt ausgedehnte und mit vielen Ruhesitzen versehene Promenaden. Das Trinkwasser ist vorzüglich. Die Kranken wohnen meist in der Anstalt selbst, in ältern oder neuern stilvollen, höchst comfortabel eingerichteten Gebäuden: mehrere Hunderte finden gleichzeitig Aufnahme. Durch die Einrichtung der Häuser (Wasserheizung und dergl.), durch großartige Wintergärten etc. ist auch eine erfolgreiche Wintercur leicht durchführbar, und durch eigene Viehwirthschaft ist für gute Milch, von welcher jährlich über 50,000 Liter gebraucht werden, gesorgt.

Die Kranken stehen unter dem scharfen Regiment des für sein Curverfahren mit Recht begeisterten Directors Dr. Brehmer und seiner Assistenzärzte: und ein solches Regiment ist recht nöthig; ja in seiner strengen Durchführung, die aber nur in einer geschlossenen Heilanstalt, nicht im Curort möglich ist, liegt ein Haupttheil der Cur. Die Kost ist gut, verhältnißmäßig fettreich (letzteres aus Gründen, welche theoretisch und praktisch erprobt sind), reichlicher Milch- und mäßiger Weingenuß, besonders von Ungarwein, ist geboten. Die Kranken müssen systematisch tief athmen, vernünftig spazieren gehen und ihren Kräften entsprechend Berge steigen, was ohne die der Anstalt selbst gehörenden Berge mit ihren guten Promenaden und den vielen Ruhesitzen unbedingt nicht möglich wäre. Eine vernünftige Kaltwassercur (kalte Abreibungen, Regendouchen etc.) wird meist mit in Betracht gezogen.

Es konnte nicht fehlen, daß die Brehmer'schen Erfolge alsbald andere Aerzte zu gleichen Unternehmungen anregten. Unter den so entstandenen Curorten ist der wichtigste Davos in der Schweiz, das zuerst durch den dortigen Landschaftsarzt Dr. Spengler, dann durch den Dr. Unger, welcher früher als Kranker in Görbersdorf gewesen war, die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Während Görbersdorf das ganze Jahr hindurch zur Cur geeignet ist, vorzugsweise aber vom Frühjahr bis Spätherbst frequentirt wird, ist Davos wesentlich Wintercurort, das heißt die Kranken bleiben hier vom October bis zum März.

Für die Benutzung von Davos sprach schon der Umstand, daß dort Lungenschwindsucht bei den Eingebornen fast noch nie beobachtet worden ist und daß die Davoser zwar im flachen Land nicht selten schwindsüchtig werden, jedoch meist mit dem Leben davonkommen, wenn sie zeitig genug in ihre Heimath zurückkehren. – Davos liegt in einem von Nordost nach Südwest liegenden Hochalpenthal, 5000 Fuß über dem Meere, von 3000 bis 4000 Fuß hohen, zum Theil bewaldeten Bergen umgeben. Es besteht aus den beiden eine halbe Stunde von einander entfernten Ortschaften Davos-Platz, welches mehrere große und kleine Hôtels und eine Anzahl Einzelhäuser hat, und aus dem kleinen Davos-Dörfli, welches fast nur das große Curhôtel besitzt. Die große Landstraße ist ausgezeichnet; die Promenadenwege sind gut, beides auch im Winter.

Die Luft in Davos ist sehr rein, vollkommen staubfrei, dünn, also sauerstoffarm, und trocken, wodurch eine stärkere Wasserausscheidung durch Haut und Lungen bedingt wird. Im Winter sind nur mäßige Winde vorhanden. Von Ende October an fällt in wenigen Tagen meist sehr reichlicher Schnee („Davos ist eingeschneit“) und bleibt häufig bis Ende März liegen. Die Winterkälte in Davos ist selbstverständlich größer als in der Ebene, aber es giebt viele Tage mit Sonnenschein, und an diesen können die Kranken von zehn oder elf Uhr Vormittags bis drei oder vier Uhr Nachmittags im Freien oder auf den offenen Veranden sitzen. Das ist dadurch möglich, daß (bei Nachttemperaturen von – 15 bis fast 30° C.) an den Tagesstunden bei Sonnenschein die Temperaturen + 25 bis 40° C. betragen. Davos vereinigt so gewissermaßen die Kälte des Nordens mit der Wärme des Südens. – Die zahlreichen Wohnungen sind zweckmäßig eingerichtet; die Kost ist gut; eine Anzahl von tüchtigen schweizer, deutschen und anderen Aerzten sorgt für die zu Ausschreitungen im Besserungsfall nur zu leicht geneigten Kranken. Ein Theil der ständigen Bewohner von Davos besteht aus Leuten, welche vor Jahren schwindsüchtig dorthin kamen und schließlich dort sich niederließen, weil sie in der Heimath wieder zu erkranken pflegten: mehrere Aerzte, Gastwirthe, Kaufleute, Buchhändler, Handwerker etc.

Eine Reihe anderer in die gleiche Kategorie gehörender Curorte erwähnen wir nur kurz: die Concurrenzanstalt des Dr. Rempler in Görbersdorf, die Heilanstalt Falkenstein im Taunus, den Ort St. Blasien im Schwarzwald und endlich mehrere Davos ähnliche Orte in der Schweiz. Wir wünschen auch ihnen allen ein rüstiges Weiterschreiten; bei der Häufigkeit der Lungenschwindsucht werden Kranke nicht ausbleiben, wenn die Anstalten der Mutteranstalt Görbersdorf, welche wir unseren Lesern im Bilde vorführen, ernstlich nacheifern.

Welche Kranke gehören nun in die oben beschriebenen Anstalten und Curorte? Diese Auswahl wird selbst den besten und erfahrensten Aerzten nicht immer leicht, und es kommen auch bei solchen hier und da Mißgriffe vor. Wir sind deshalb weit entfernt, für die Kranken, für Nichtärzte specielle Regeln aufstellen zu wollen. Die folgenden Zeilen geben nur ein ganz allgemeines Bild.

Obige Heilanstalten und Curorte müssen wenigstens Monate lang besucht werden; zunächst gehört dazu selbstverständlich Geld. – Geeignet sind dieselben in erster Linie für Alle, welche der Lungenschwindsucht vorbeugen wollen, vorzugsweise Menschen vom fünfzehnten Lebensjahre an, aber auch für noch jüngere, welche blutarm, muskelschwach, schmalbrüstig sind, häufig an Husten leiden, von schwindsüchtigen Eltern abstammen oder denen schon Geschwister an gleicher Krankheit starben, ferner für Leute, welche an gewissen Arten von Scrophulose, von allgemeiner Blutleere und Schwächlichkeit auch ohne nachweisbare Lungenerkrankung leiden, sowie für Reconvalescenten von Brustfell-Entzündungen.

Weiter findet man in jenen Curorten in größter Zahl Solche, welche an chronischer, das heißt langsam verlaufender Schwindsucht leiden, welche aber nicht besonders erregbar, womöglich nicht über vierzig Jahre alt sind, nicht fiebern, einen gesunden Kehlkopf, kein Herzleiden und gesunde Nieren haben. Alle anderen Formen der Schwindsucht erachten viele Aerzte als nicht geeignet für jene Orte. Auch manche Formen von chronischem Luftwegekatarrh, manche Arten von Brustbeklemmung (sogenanntes Asthma) werden, besonders in Davos, gebessert oder geheilt.

Manche Aehnlichkeit mit den genannten Curorten und nicht selten gleich guten Erfolg haben für Lungenkranke die monatelangen Fahrten zur See, während der Gebrauch der Seebäder oder der Aufenthalt am Meere fast immer nachtheilig auf dieselben wirkt.

Wann aber soll man die Curorte im Süden Europas, in Afrika aufsuchen? Welche Kranke gehören nach Ems, Soden, Lippspringe, Salzbrunn etc.? Welche in die Soolbäder? In die Molkencurorte? In die Sommerfrischen Thüringens, des Schwarzwaldes etc.? Hierauf Antwort zu geben ist recht schwer, und wir wollen das nicht einmal versuchen. Jeder dieser Orte kann geeigneten Falles ausgezeichnete Dienste leisten: man erwarte aber nur nicht, von einer langen Krankheit ernsterer Art in vier Wochen geheilt zu werden, und man besuche keinen dieser Orte und keine jener Heilanstalten, ehe man einen erprobten Arzt zu Rathe gezogen hat!